Die letzte Lügnerin - Florian Schwiecker - E-Book
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Die letzte Lügnerin E-Book

Florian Schwiecker

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Beschreibung

Es wird persönlich für Strafverteidiger Rocco Eberhardt: Im 3. Justiz-Krimi der Bestseller-Autoren Michael Tsokos (Rechtsmediziner) und Florian Schwiecker (früherer Strafverteidiger) geht es um Korruption, zwielichtige Immobilien-Geschäfte – und einen Mord. Ein Polit-Skandal erschüttert Berlin: In einem geleakten Video ist zu sehen, wie Bau-Senator Dieter Möller schmutzige Immobiliendeals mit einem russischen Oligarchen aushandelt - auch der Vater von Strafverteidiger Rocco Eberhardt soll darin verwickelt sein. Wie tief steckt sein Vater in einem mörderischen Polit-Skandal? Als der für das Video verantwortliche Tontechniker auf dem Seziertisch von Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer landet, lautet die Anklage gegen Möller plötzlich auf Mord. In die Enge getrieben, bittet er Rocco um Hilfe und beteuert seine Unschuld. Doch die ermittelnde Kommissarin findet immer mehr Beweise gegen den Bau-Senator, und Rocco muss sich fragen, ob sein Vater einen Mörder deckt … »Die Justiz-Krimis um Strafverteidiger Rocco Eberhardt und Rechtsmediziner Justus Jarmer sind Hochgeschwindigkeitskrimis, die keine Haltestation kennen!« Alex Dengler, denglers-buchkritik.de Die Justiz-Krimi-Reihe »Eberhardt & Jarmer ermitteln« der Bestseller-Autoren Florian Schwiecker und Michael Tsokos ist in folgender Reihenfolge erschienen: - Die siebte Zeugin - Der dreizehnte Mann - Die letzte Lügnerin - Der 1. Patient

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Florian Schwiecker / Michael Tsokos

Die letzte Lügnerin

Justiz-Krimi

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Es wird persönlich für Strafverteidiger Rocco Eberhardt: Wie tief steckt sein Vater in einem mörderischen Polit-Skandal? Im 3. Justiz-Krimi der Bestseller-Autoren Michael Tsokos (Rechtsmediziner) und Florian Schwiecker (früherer Strafverteidiger) geht es um Korruption, zwielichtige Immobilien-Geschäfte – und einen Mord.

Ein Polit-Skandal erschüttert Berlin: In einem geleakten Video ist zu sehen, wie Bausenator Dieter Möller schmutzige Immobiliendeals mit einem russischen Oligarchen aushandelt - auch der  Vater von Strafverteidiger Rocco Eberhardt soll darin verwickelt sein. 

Als der für das Video verantwortliche Tontechniker auf dem Seziertisch von Rechtsmediziner Dr. Justus Jarmer landet, lautet die Anklage gegen Möller plötzlich auf Mord. In die Enge getrieben, bittet er Rocco um Hilfe und beteuert seine Unschuld. Doch die ermittelnde Kommissarin findet immer mehr Beweise gegen den Bausenator, und Rocco muss sich fragen, ob sein Vater einen Mörder deckt …

Inhaltsübersicht

Teil eins

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Teil zwei

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

Teil drei

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

69. Kapitel

70. Kapitel

71. Kapitel

72. Kapitel

Danksagung

Leseprobe »Der 1. Patient«

Teil eins

Die Rügen-Gate-Affäre

1. Kapitel

Berlin-Moabit, Kriminalgericht, Schwurgerichtssaal 700: Mittwoch, 24. Februar

Mit dem Selbstverständnis des erfahrenen Strafverteidigers blickte Rocco Eberhardt von seinen Unterlagen auf. Er hatte im Laufe seiner Karriere Hunderte von Schlussplädoyers gehalten. Und in all den Jahren hatte ihn das Gericht in nur einem einzigen Fall mit dem Urteil überrascht. Heute würde es keine Überraschung geben. Da war Rocco sich sicher. Wenigstens drei der fünf Richter waren auf seiner Seite. Vielleicht sogar vier. Er ließ seinen Blick von links nach rechts über die Richterbank schweifen. Angefangen bei der Schöffin, die ihm von Anfang an interessiert zugehört hatte und seinen Blick auch jetzt mit einem aufmunternden Lächeln erwiderte. Dann kamen die drei Berufsrichter. In ihren langen schwarzen Roben thronten sie über der imposanten Richterbank des Schwurgerichtssaals 700. Zwei von ihnen, der Vorsitzende Richter in der Mitte und der junge Kollege zu seiner Linken, waren seiner Verteidigungslinie gleichfalls gefolgt. Ganz rechts saßen die beiden übrigen. Ein weiterer Berufsrichter und der zweite Schöffe. Rocco konnte sie nicht hundertprozentig einschätzen. Mit kritischen, geradezu abschätzigen Blicken schienen sie ihn zu beäugen.

Was soll’s, dachte Rocco. Drei zu zwei. Das reicht.

Am Ende ging es nicht darum, wie hoch er siegte. Es kam einzig darauf an, dass er gewann. Ausschließlich das zählte für seine Statistik.

Er erhob sich von seinem Stuhl und blickte ein letztes Mal auf die Stichpunkte vor sich. Sie dienten lediglich seiner Sicherheit für den Fall, dass er, aus welchem Grund auch immer, den Faden verlieren würde. In großer Schrift hatte er die wesentlichen Aspekte in klaren Worten zusammengefasst. Allerdings glaubte er nicht, dass er seine Notizen brauchen würde. Rocco hielt seine Plädoyers immer frei. Und darauf war er verdammt stolz.

Er atmete tief ein, ehe er sich leicht nach rechts drehte und an das Gericht wandte.

Aufmerksam blickten ihn die fünf Richter an; ebenso die Staatsanwältin, die Rocco aus dem Augenwinkel wahrnahm.

Er lächelte selbstbewusst, als er mit seinem Schlussplädoyer beginnen wollte. Doch zu seiner Überraschung brachte er keinen Ton hervor. Er musste sich verschluckt haben.

Er räusperte sich kurz und setzte dann von Neuem an. Doch wieder wollte kein Laut über seine Lippen kommen. Rocco spürte, wie Unruhe in ihm aufstieg.

Wieso um alles in der Welt konnte er nicht sprechen?Wie konnte das sein? Was passierte hier gerade?

Er schloss die Augen und versuchte, seine Fassung zu bewahren. Dreimal atmete er tief ein und wieder aus.

Schon besser, dachte er. Tiefes Atmen hilft immer!

Und dem Gericht würde er seinen kurzen Aussetzer mit einer allergischen Attacke erklären können. Das sollte kein Problem sein. Mit noch immer geschlossenen Augen konzentrierte er sich wieder auf sein Plädoyer.

Womit hatte er beginnen wollen?

Rocco merkte, dass sein Puls anstieg und sein Herz zu rasen begann. O Gott, das konnte doch nicht sein. Jetzt hatte er auch das vergessen.

Die Aufzeichnungen. Seine Notizen. Die würden helfen!

Erleichtert, weil er sich alles aufgeschrieben hatte, öffnete Rocco wieder die Augen. Doch anstelle seines stichpunktartigen Manuskripts blickte er auf einen Stapel weißer Zettel. Ordentlich, geradezu rechtwinklig lagen sie vor ihm. Direkt daneben sein Montblanc-Kugelschreiber, den er sich damals zu seinem bestandenen juristischen Examen selbst geschenkt hatte und der für ihn eine Art Glücksbringer darstellte. Hektisch blätterte er durch die Seiten, doch nirgendwo konnte er seine Notizen finden.

War der Zettel vielleicht runtergefallen? Vergeblich suchte Rocco auf dem Boden unter dem Tisch.

Panik stieg in ihm auf. Wie sollte er seinen Mandanten verteidigen, wenn er nicht mehr sprechen konnte? Langsam drehte er sich um. Wie in Zeitlupe nahm er erst den Rand, dann die ganze Schutzscheibe der Kabine wahr, in der die Angeklagten untergebracht waren. Zunächst sah er nur schemenhaft die Silhouette eines Menschen. Doch langsam wurde das Bild schärfer. In einem grauen Anzug saß dort ein Mann. Ein Mann mit grauen, kurzen Haaren. Rocco konnte das Gesicht nicht erkennen. Er rieb sich die Augen, und die Züge wurden klarer. Und schließlich realisierte Rocco, wer da hinter ihm saß. Er stieß einen schrillen Schrei aus. Denn er sah direkt in die dunklen Augen seines Vaters.

Im nächsten Moment schreckte Rocco schweißgebadet aus seinem Albtraum auf.

2. Kapitel

Berlin-Moabit, Institut für Rechtsmedizin: Mittwoch, 24. Februar, 9.15 Uhr

Der Anblick, der sich Doktor Justus Jarmer bot, hätte bei den meisten Menschen Grauen hervorgerufen – wenn nicht gar nackte Panik, verbunden mit dem Wunsch, überall anders, nur nicht im Sektionssaal zu sein. Denn vor dem Facharzt am Berliner Institut für Rechtsmedizin lag auf dem blanken und auf Hochglanz polierten Stahl des Sektionstisches ein einzelner Kopf. Der Körper fehlte. Die Leichenfäulnisprozesse hatten das Gesicht des Kopfes fast aller Konturen beraubt. Nur an den Bartstoppeln konnte Jarmer erkennen, dass es sich um einen Mann handeln musste.

Der für jeden Außenstehenden abstoßende Anblick irritierte den erfahrenen Rechtsmediziner nicht im Geringsten. Er hatte im Laufe seiner Karriere Zehntausende von Leichen gesehen und Tausende selbst obduziert. Ein toter Körper war für ihn eine seelenlose Hülle und kein Mensch. Ohne diese Abstraktion wäre sein Job nicht zu ertragen. Seine Aufgabe war es, die Geschichte, die sich hinter dem Ableben der Person verbarg, zu ermitteln. Herauszufinden, wie der Betreffende aus dem Leben geschieden war. Die Bandbreite reichte dabei von natürlichen Todesfällen über Unfälle bis hin zu Suiziden und natürlich Mordfällen. In der Regel benötigten Jarmer und sein Team nicht viel Zeit, um die Todesursache festzustellen. Doch manchmal verhielt es sich anders. Dann galt es, Puzzlestück für Puzzlestück zusammenzusetzen. So lange, bis sich ein immer klareres Bild ergab. Und so schien es auch in diesem Fall zu sein. Denn der Anblick des bloßen Kopfes auf dem Sektionstisch vor ihm war für Doktor Justus Jarmer keineswegs alltäglich.

Was ist deine Geschichte?, fragte er sich und fuhr sich mit der Hand durch seine dunklen, an den Schläfen langsam grau werdenden Locken. Er warf einen prüfenden Blick auf den Kopf. Und als er ihn im Profil betrachtete, zuckte er zusammen. Irgendwie kamen ihm die Konturen der Gesichtslinie bekannt vor. Aber woher? Oder irrte er sich? Jarmer nahm den Kopf erneut in Augenschein. Doch dieses Mal kam er ihm völlig fremd vor. Er musste sich getäuscht haben. Der Fäulnisprozess hatte das Gesicht ohnehin so stark entstellt, dass es seiner ursprünglichen Form kaum noch gleichen konnte. Jarmer wischte den Gedanken beiseite. Er konnte den Toten unmöglich kennen. Das war lediglich die Hülle, die nichts mehr mit dem einstigen Menschen gemein hatte.

3. Kapitel

Berlin-Charlottenburg, Fasanenstraße 72, Kanzlei Eberhardt: Mittwoch, 24. Februar, 9.23 Uhr

Die Ereignisse der letzten Wochen in dem Fall Krampe hatten Rocco Eberhardt aller verbliebenen Energiereserven beraubt. Und der Albtraum der vergangenen Nacht hatte die Situation nicht verbessert. Eigentlich hatte Rocco nie Probleme mit seinem Schlaf gehabt. Und an Albträume konnte er sich bestenfalls aus seiner Kindheit erinnern.

Müde und erschöpft lehnte er sich über den Empfangstresen im Eingangsbereich seiner Kanzlei und sah zu Klara Schubert. Seine mittellangen schwarzen Haare waren matter als sonst und seine von Natur aus stets gebräunte Haut wirkte fahl. Das war ungewöhnlich. Vom Aussehen her kam er weniger nach seinem deutschen Vater als vielmehr nach seiner italienischen Mutter. Sein bester Freund Tobi sagte immer, er sähe so aus, als wäre er gerade aus dem Sommerurlaub gekommen.

Davon konnte heute allerdings keine Rede sein. Seine Bürochefin und langjährige Mitarbeiterin erwiderte seinen Blick und lächelte ihm über die Gläser ihrer schlichten und zugleich eleganten Brille aufmunternd zu.

»Alles klar, Chef, ich weiß Bescheid. Ich sage alle Termine für heute ab.« Mit einem leicht tadelnden Blick fügte Klara Schubert hinzu: »Und Sie sollten Ihr Telefon ausschalten und versuchen, sich ein bisschen Zeit für sich selbst zu nehmen. Sie sehen heute nicht gerade aus, als könnten Sie Bäume ausreißen.«

Sie kennt mich einfach viel zu gut, dachte Rocco, nickte dankbar und verschwand in seinem Büro. Seit nunmehr dreizehn Jahren bildeten er und Klara Schubert ein perfektes Team. Während er an vorderster Front im Gerichtssaal kämpfte, kümmerte sie sich um den ganzen Rest. Kennengelernt hatte Rocco sie während seines Referendariats, als er für drei Monate in einer Großkanzlei gearbeitet hatte, in der sie als Bürovorsteherin tätig war. Von Anbeginn hatte Klara den angehenden Juristen unterstützt, und als ihr Chef in Rente ging, war sie kurzerhand in Roccos Kanzlei gewechselt. Rocco wusste genau, was er an ihr hatte, und nahm sich vor, sie in der nächsten Woche einmal zum Essen bei ihrem Lieblings-Japaner einzuladen.

Aber nicht heute. Dafür fehlte ihm die Energie. Er klappte das MacBook zu und wollte gerade nach seiner Tasche greifen, als sein Telefon klingelte. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, wer der Anrufer war: Sven Beister vom LKA, dem Landeskriminalamt. Rocco schüttelte ungläubig den Kopf. Erst der Albtraum und jetzt Beister. Das konnte kein Zufall sein. Das letzte Mal, als sie Kontakt hatten, ging es um Roccos Vater.

»Hey, wie geht’s dir«, meldete sich Beister. »Gut, dass ich dich erreiche.«

Das bleibt abzuwarten, ging es Rocco durch den Kopf. Nach ihrer letzten Begegnung, bei der Beister vor allem herumgedruckst und geschwitzt hatte und alles andere als hilfreich gewesen war, hatte Rocco wenig Lust, mit dem Ermittler zu sprechen.

»Ich kann mir vorstellen, dass du nicht gerade auf meinen Anruf gewartet hast«, begann Beister.

Wenigstens schätzt er die Lage realistisch ein.

»Nach unserem letzten Treffen kann ich das gut verstehen. Aber das ist auch schon ein paar Monate her.« Beister machte eine Pause und Rocco hörte ihn tief durchatmen. »Hör mal, Rocco, es tut mir leid, dass ich dir damals nicht mehr zu dem Verfahren sagen konnte. Dem Ermittlungsverfahren gegen deinen Vater, meine ich. Von einem Tag auf den anderen ist das toxisch geworden. Absolute Kommunikationssperre, auch innerhalb der Behörde. Und dann ging das einfach nicht mehr. Da hätte ich mich selbst ins Aus geschossen.«

»Und was hat sich da jetzt geändert?«, fragte Rocco etwas schroffer, als er es eigentlich beabsichtigt hatte.

»Ganz einfach. Ich habe jetzt einen neuen Chef. Der sieht das Ganze nicht nur entspannter, sondern treibt das Verfahren auch nicht wirklich voran. Und viel ist in den letzten Monaten ohnehin nicht passiert. Steht irgendwie still. Lediglich einen Hinweis haben wir erhalten. Einen Namen, mehr nicht. Carlo Junghans.«

»Junghans? Habe ich nie gehört!«, sagte Rocco. »Wer soll das sein?«

»Na ja, so ein Typ halt. Auf jeden Fall hat er wohl was in der Hand. Und das betrifft in erster Linie nicht einmal deinen Vater, sondern so, wie es aussieht, einen unserer verdienten Politiker.«

»Einen Politiker?«, fragte Rocco. »Wen denn?«

»Weiß ich auch nicht genau. Das hat mir meine Quelle nicht verraten. Aber dieser Politiker und dein Vater sollen … gemeinsam an einem Strang ziehen, um das mal vorsichtig auszudrücken.«

»Und was ist mit Bäumler? Ich meine Oberstaatsanwalt Doktor Bäumler. Hattest du nicht gesagt, der hätte ebenfalls was damit zu tun?«, hakte Rocco nach.

»Das hat sich wohl als Irrtum herausgestellt«, gab Beister zu.

»Und was habt ihr noch?«

»Nicht viel. Wir können das alles nicht wirklich einordnen. Alles, was wir gehört haben, ist, dass dieser Junghans mit dem, was er in der Hand hat, in Kürze an die Öffentlichkeit gehen wird.«

»Aber was das ist, weißt du nicht? Und natürlich habt ihr keine Ahnung, wo dieser Junghans jetzt ist«, fügte Rocco eher feststellend als fragend hinzu.

»Noch nicht. Aber da sind wir dran!«

Rocco wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. Alles, was Beister ihm sagte, war denkbar vage. Selbst mit den übrigen Hinweisen, die er ihm schon vor einiger Zeit gegeben hatte, ergab sich kein klareres Bild. Beister hatte gemeint, dass Roccos Vater in einen Skandal von gigantischen Ausmaßen verwickelt wäre. Ein Politikum, das bis in die höchsten Regierungskreise reichte. Und jetzt warf er mit Junghans einen neuen Namen ins Feld, mit dem Rocco partout nichts anfangen konnte. Er merkte, wie die Unruhe, die er unterschwellig schon in den letzten Tagen gespürt hatte, weiter anstieg. Irgendwas ging hier vor sich, das spürte er. Aber was?

Da Beister offensichtlich nicht mehr zu bieten hatte, beschloss Rocco, das Gespräch zu beenden. Nachdem er aufgelegt hatte, nahm er seinen Mantel, verabschiedete sich von Klara und lief zu seinem Auto.

Wer war dieser Junghans? Bisher nur ein Name. Mehr nicht. Das musste Rocco ändern! Und er hatte auch eine Ahnung, wer ihm dabei helfen konnte.

4. Kapitel

Berlin-Wilmersdorf, Tübinger Straße: Mittwoch, 24. Februar, 9.37 Uhr

»Junghans? So wie der Funkuhr-Hersteller?«, fragte Tobi offensichtlich bester Laune.

»Genau«, erwiderte Rocco. Kaum mit seinem Auto zu Hause angekommen, hatte er seinen besten Freund angerufen. Die Sache mit Beister und seinem Vater beherrschte seine Gedanken und ließ ihm keine Ruhe. Er musste wissen, was es damit auf sich hatte. Und Tobi war nicht nur sein bester Freund, sondern auch einer der erfahrensten Privatdetektive Berlins. Die beiden kannten sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit und waren sich so nahe wie Brüder. Nach dem Abitur hatte Tobi, der mit richtigem Namen Tobias Baumann hieß, ein duales Studium bei der Polizei begonnen und sich dann als Kriminalkommissar schnell einen Namen unter den Berliner Ermittlern gemacht. Die vielen Regeln und starren Vorschriften, die seiner Meinung nach das ein oder andere Mal zu umständlichen und viel zu komplexen Verfahren geführt hatten, waren am Ende allerdings der Grund, weshalb er den Dienst quittierte und sich als Privatdetektiv selbstständig machte. Im Laufe der Jahre hatte Rocco ihn immer wieder in aufwendigen Strafverfahren beschäftigt und mehr als einmal war es nur Tobis Geschick und seinem sprichwörtlichen Spürsinn zu verdanken, dass er den entscheidenden Hinweis fand, den Rocco zu einem Sieg vor Gericht ummünzen konnte.

»Aber ich vermute, dass er nicht im Uhrengeschäft aktiv ist«, fuhr Rocco mit leicht ironischem Unterton fort. Irgendwie tat es gut, mit Tobi zu sprechen. Rocco merkte, dass er sich ein bisschen entspannte.

»Schön, dass wir das klären konnten«, nahm Tobi ungerührt den Ball auf. »Und wenn er schon nicht in Zeitmessern macht, was hat er jetzt mit der Sache mit deinem Vater zu tun?«

»Ich habe keine Ahnung«, gab Rocco zu und berichtete in knappen Sätzen von dem Telefonat mit Beister.

»Hm«, meinte Tobi. »Das ist wirklich nicht viel. Wundert mich direkt, dass Beister sich mit dem bisschen getraut hat, dich überhaupt anzurufen. Aber was soll’s«, fügte er hinzu und pustete dabei deutlich wahrnehmbar Luft durch seine Lippen. »Wir hatten schon weit weniger Informationen in anderen Fällen und haben dann doch noch was ganz Brauchbares rausgefunden. Ich hör mich mal um.«

Tobi machte eine Pause, ehe er halb scherzend hinzufügte: »Aber wenn es aufwendiger wird, kann ich das nicht umsonst machen. Du weißt ja, ich habe eine anspruchsvolle Freundin. Und die möchte verwöhnt werden.«

Rocco schmunzelte. Tobi war seit einiger Zeit mit Roccos Schwester Alessia zusammen, und auch wenn ihm eine spitze Bemerkung wegen dessen kleiner Unverschämtheit auf der Zunge lag, verkniff er sie sich für den Moment.

»Gut, hör dich um«, erwiderte er deshalb nur. »Und dann sehen wir weiter. Fürs Erste schlage ich vor, wir treffen uns auf ein paar Steaks auf meiner Terrasse. Ich habe für heute in der Kanzlei Schluss gemacht und könnte später am Tag ein bisschen Gesellschaft gebrauchen.«

»Alles klar, bin gegen sechs bei dir«, erwiderte Tobi. »Irgendwie kommt mir der Name doch bekannt vor«, schob er dann zögerlich hinterher. »Ich weiß nicht genau, wieso, aber bis heute Abend kriege ich das raus.«

Nachdem sie aufgelegt hatten, musste Rocco wieder an seinen Vater denken. Viel zu lange hatten sie kein gutes Verhältnis zueinander gehabt. Seit jenem verhängnisvollen Tag, als er im späten Teenageralter etwas gesehen hatte, was die Beziehung zu seinem Vater von einem Moment auf den anderen völlig zerstört hatte. Das hatte sich erst im Laufe des vergangenen Jahres geändert, als sie eher zufällig wieder zusammengefunden und sich einander angenähert hatten. Doch gerade als Rocco wieder Vertrauen in seinen Vater fassen wollte, hatte Beister ihn vertraulich informiert, dass gegen ihn ermittelt würde. Mittlerweile fragte sich Rocco, ob er seinen Vater womöglich überhaupt nicht richtig kannte.

5. Kapitel

Berlin-Moabit, Institut für Rechtsmedizin: Mittwoch, 24. Februar, 9.55 Uhr

»Ein klarer Fall von Mord, oder, Doktor Jarmer?«, fragte Jana Hardenberg. Die fünfunddreißigjährige Ermittlerin leitete die Untersuchung des Falles um den mysteriösen Toten. Wenngleich von diesem nicht wirklich viel zu sehen war. Denn alles, was vor ihnen auf dem Tisch lag, war lediglich sein Kopf.

Jarmer, der den Gedanken, dass ihm der Kopf bekannt vorkam, weiterhin erfolgreich beiseitegeschoben hatte, zog die Augenbrauen hoch. Dabei ließ er mit atemberaubender Geschwindigkeit einen Kugelschreiber um die Finger seiner rechten Hand kreisen. Eine Angewohnheit, die seit seiner Kindheit ein Zeichen höchster Konzentration darstellte. Dann blickte er zu seiner Sektionsassistentin, Jeanine Öttinger, hinüber, ganz so als wollte er sie bitten, auf die Frage der Beamtin zu antworten. Öttinger verstand sofort und wandte sich an Hardenberg.

»Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag, können wir da noch nicht sicher sein«, sagte sie selbstbewusst und mit einem verschmitzten Lächeln.

»Ach kommen Sie«, lachte Hardenberg. »Sie wollen doch nicht behaupten, dass er sich selbst den Kopf abgesägt und dann in den Fluss geworfen hat. Das hier ist nicht Klaus Störtebeker.«

»Vermutlich ist er das nicht. Und der hat sich im Übrigen auch nicht selbst enthauptet«, gab Jarmer zurück. »Aber sicher können wir erst sein, wenn wir ihn obduziert haben.« Langsam ging er um den Sektionstisch herum und betrachtete den vor ihm liegenden Kopf erneut von allen Seiten. Eine ungewöhnliche Leiche, dachte er und erinnerte sich dabei an die Ausführungen einer Professorin an der Uni, die ihren Studentinnen und Studenten seinerzeit den Unterschied zwischen Leichenteilen und Leichen erklärt hatte. Um eine Leiche handelt es sich auch bei einem einzelnen Körperteil immer dann, hatte sie ausgeführt, wenn der Mensch ohne ebendiesen Körperteil nicht lebensfähig wäre. Und Jarmer ergänzte in Gedanken: Was zweifellos auf einen Kopf zutrifft.

»Frau Hauptkommissarin«, wandte sich Jarmer schließlich an die Ermittlerin. »Bevor wir mit der eigentlichen Untersuchung beginnen, möchte ich Sie bitten, uns noch einmal genau zu erzählen, unter welchen Umständen dieser Kopf gefunden wurde. Jede Einzelheit könnte uns dabei helfen, das Puzzle zu einem Bild zusammenzufügen, denn das, was ich bisher der Ermittlungsakte zu den Fundumständen entnehmen konnte, ist eher rudimentär und vermutlich gibt es mittlerweile neue Erkenntnisse und Ermittlungsergebnisse Ihrerseits.«

Hardenberg nickte, griff in die Tasche ihrer tailliert geschnittenen Allzweckjacke und fischte ein kleines, abgegriffenes Notizbuch heraus. Für einen kurzen Moment blätterte sie in den Seiten, ganz offensichtlich auf der Suche nach dem entsprechenden Eintrag.

»Also«, räusperte sie sich. »Gestern, gegen 15 Uhr, erhielten wir über die Notrufnummer den Anruf eines Ehepaares. Die beiden hatten bei ihrem Spaziergang an der Havel unweit des Grunewaldturms etwas im Schilf gesehen. Nach näherer Betrachtung hatten sie dieses Etwas als einzelnen Kopf ausgemacht, waren sich aber nicht sicher, ob es sich dabei um einen echten Kopf oder um eine Attrappe handelte. Sie haben dann erst vorsichtig mit einem Zweig darin herumgestochert und schließlich den Notruf gewählt. Kurze Zeit später traf ein Streifenwagen ein und die Kollegen haben sehr schnell festgestellt, dass der Kopf tatsächlich echt ist.« Hardenberg blickte kurz auf und zog ihre Augenbrauen hoch. »Also, von einem echten Menschen, meine ich.«

Sie blätterte wieder in ihrem Notizbuch, ehe sie fortfuhr. »Polizeihauptmeisterin Böhning hat daraufhin die Kollegen von der Sofortbearbeitung eingeschaltet und schließlich ist der Fall bei mir gelandet.«

»Das ist also tatsächlich alles, was wir bisher wissen. Weiß Gott nicht viel«, sagte Jarmer mehr zu sich selbst. »Keine Hinweise, wer das ist, keine Ahnung, woher er kommt, keine Hintergründe dazu, wie er seinen Kopf verloren hat. Wo der Rest des Körpers ist? Wir wissen nichts. Oder?«

»Ganz genau«, erwiderte Hardenberg. »Rein gar nichts. Und deshalb, Herr Jarmer, setzen wir alles auf Ihre rechtsmedizinischen Fähigkeiten. Und natürlich auf die von Frau Öttinger«

»Na, wenn Sie sich da mal nicht zu viel versprechen«, entgegnete Jarmer, während er sich bereits in Richtung seiner Mitarbeiterin drehte.

»Also, Frau Öttinger, lassen Sie uns beginnen.«

Jarmer nahm den Kopf jetzt genau in Augenschein. Es war wahrlich kein schöner Anblick und er war tatsächlich überrascht, dass Hardenberg so gelassen mit der Situation umging. Der Anblick einer Wasserleiche ist sogar für erfahrene Mediziner schwer zu ertragen, geschweige denn für Laien. Und selbst wenn Hardenberg in ihrer Laufbahn zahlreiche Tote gesehen hatte, musste der vorliegende Fall für sie ungewöhnlich sein. Die Haare waren zum Großteil ausgefallen, weshalb sich die Haarlänge nicht mehr eindeutig feststellen ließ. Und auch in Bezug auf die Haarfarbe war Jarmer sich nicht sicher. Er konnte bestenfalls mutmaßen, dass die Haare einmal braun gewesen sein könnten. Außerdem hatte das Wasser die Haut des Kopfes aufgeweicht und die Gesichtshaut in eine graue Substanz verwandelt, die an Gummi erinnerte. Die glasigen, nahezu pupillenlosen Augen quollen aus den Höhlen hervor. Die Hornhäute waren milchig-trüb und hatten ihren Glanz völlig verloren.

Was soll’s, dachte Jarmer. Bevor ich mir weitere Gedanken mache, werde ich das Ganze dokumentieren.Ansonsten verschwende ich zu viel Zeit, denn nach dieser habe ich noch zwei weitere Leichen, die ich untersuchen muss.

Er griff zu seinem silbernen Diktiergerät, schob den Schalter in die Aufnahmeposition und begann damit, die Ergebnisse der Untersuchung aufzuzeichnen. Seine Stimme wandelte sich dabei von einer natürlichen Sprechweise in einen monotonen Fluss, der sämtlicher Emotion beraubt schien.

»Äußere Besichtigung«, startete er die Aufnahme. »Die Augen geöffnet. Vorquellung der Augäpfel, die Hornhäute milchig getrübt, die Augenbindehäute wie ausgewaschen, blass, nicht mehr beurteilbar. Die gesamte Oberhaut von Kopf und Hals, einschließlich Gesicht und behaarter Kopfhaut, fäulnisverändert, grünlich-gräulich, schmierig erweicht und leicht ablösbar.«

»Das ist wirklich erschreckend«, fiel ihm Hardenberg ins Wort, was ihr einen missbilligenden Blick von Jarmer einbrachte. Er spulte die Aufnahme kurz zurück, an den Punkt, bevor die Ermittlerin ihn unterbrochen hatte.

»Was ist erschreckend?«

»Verzeihung, ich wollte Sie nicht stören. Aber irgendwie kann ich nicht verstehen, wie Sie es schaffen, derart nüchtern über diesen Toten zu sprechen.«

»Das«, erwiderte Jarmer leicht genervt, »kann ich Ihnen ganz einfach erklären. Für mich ist der Tote nichts anderes als eine seelenlose Hülle. Ähnlich wie für Sie in Ihrer Polizeiarbeit ein Beweismittel, das ich untersuche, um dem Rätsel des Ablebens eines zuvor noch lebendigen Menschen auf die Spur zu kommen.«

Er hielt für einen Moment inne. »Ohne Abstraktion ist dieser Beruf kaum auszuhalten. Zumindest dann nicht, wenn man seine fünf Sinne zusammenhalten und angesichts der Brutalität und des Bösen, das manche Menschen anderen antun, seine Objektivität nicht verlieren will.« Er schaute Hardenberg direkt in die Augen. »Und darum geht es hier ja wohl. Objektivität. Denn nur so können wir herausbekommen, wie unser Mann hier aus dem Leben geschieden ist.«

Dann wandte er sich wieder dem in der Mitte des Sektionstisches liegenden Kopf zu und fuhr mit seiner Untersuchung fort.

»Fehlen von Haut- und Weichteilstrukturen im Bereich der Nasenspitze und des Nasenrückens. Freiliegen des knöchernen Nasenskeletts und der Nasenscheidewand. Freiliegen des jauchig erweichten Unterhautgewebes im rechten Kieferwinkelbereich. Entsprechender Befund unterhalb des Kinns in der linksseitigen Wangenregion mit Freiliegen der Kiefermuskulatur. Die Zähne des linken Oberkieferquadranten liegen durch den Verlust der Oberlippe im korrespondierenden Bereich frei.«

Während Jarmer in einem Wechsel von Untersuchung und Diktat mit der Obduktion fortfuhr, machte Hardenberg sich Notizen.

»Sagen Sie, Doktor Jarmer, wie wurde der Mann denn nun umgebracht? Ich meine, können Sie sagen, auf welche Art er getötet wurde? Oder sollte ich sagen, auf welche Art er hingerichtet wurde?«

Jarmer hielt mit seiner Untersuchung erneut inne. Langsam sah er auf. »Frau Hauptkommissarin Hardenberg«, begann er mit ruhiger Stimme. »Ich bitte Sie, sich für einen Moment zu gedulden. Oder für zwei. Wir sind noch mitten in der Untersuchung. Aber …«, sagte er dann, »… ich habe so langsam eine Vermutung, was dahinterstecken könnte. Bis dahin: bitte keine voreiligen Schlussfolgerungen.«

»So, so«, entgegnete die Beamtin. »Und was genau vermuten Sie?«

»Geduld. Nur ein bisschen Geduld«, erwiderte Jarmer, ehe er sich der weiteren Untersuchung des Kopfes widmete.

»Die rechte Ohrmuschel intakt. Beide Ohrläppchen nicht angewachsen, keine präformierten Löcher im Sinne von Hinweis auf früher getragenen Ohrschmuck. Die linksseitige Ohrmuschel weist grobfetzige Defekte in ihren äußeren Anteilen auf, keine Unterblutungen. Das hier freiliegende Weichgewebe hellgrünlich-gräulich imponierend.«

»Was bedeutet all das?«, unterbrach Hardenberg Jarmers Diktat. »Welche Hinweise gibt uns das auf die Art und Weise, wie unser Mann getötet wurde?«

»Das bedeutet, dass dieser Defekt grobsichtig sehr wahrscheinlich auf postmortalen Tierfraß zurückzuführen ist.«

»Er wurde von Tieren aufgefressen?« Angeekelt sah Hardenberg Jarmer an.

»Nicht aufgefressen«, gab dieser zurück. »Aber, um es mit einfachen Worten zu sagen: angeknabbert.«

Aus dem Augenwinkel sah Jarmer, wie die Kriminalbeamtin sich demonstrativ schüttelte. Ungerührt widmete er sich weiter der Untersuchung des Kopfes.

»Eigenes, festsitzendes Gebiss des Oberkiefers«, diktierte er weiter. »Der erste Schneidezahn des rechten Unterkieferquadranten fehlt, das dazugehörige Zahnfach ist offen. Im linken unteren Quadranten vollständiges, eigenes Gebiss.«

Jarmer fuhr noch etwa zehn Minuten weiter mit der Untersuchung fort. Dann wandte er sich an Hardenberg, die nach der letzten Unterbrechung auffallend still geworden war. Augenscheinlich hatte sie inzwischen selbst begriffen, dass sie Jarmer besser erst mal einfach seine Arbeit tun lassen sollte.

»Nun, damit wären wir fertig.«

»Ach ja?«, fragte Hardenberg neugierig. »Und, zu welchem Ergebnis sind wir gekommen?«

»Wir«, betonte Jarmer, »haben folgende Vermutung: Der Tote hat sich selbst das Leben genommen.«

6. Kapitel

Berlin-Wilmersdorf, Tübinger Straße: Mittwoch, 24. Februar, 18.25 Uhr

»Pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk«, zog Rocco seinen Freund auf, der eine knappe halbe Stunde später als vereinbart gekommen war. Da Tobi ansonsten immer überpünktlich war, vermutete Rocco, dass es dafür eine Erklärung geben musste.

»Sehr komisch«, antwortete dieser und streifte die Sneaker von seinen Füßen. »Anstatt mir dumm zu kommen, könntest du mir lieber was zu trinken anbieten.« Rocco meinte eine Spur von Gereiztheit in Tobis Stimme zu erkennen. Sein alter Freund schlüpfte aus seiner Jacke und hängte sie über den an der Wand angeschraubten Haken. »Und ja, wenn du mich so fragst, es gibt einen Grund, warum ich erst jetzt komme. Und ja, der hat auch was mit dir zu tun.« Tobi machte eine kurze Pause, ehe er, jetzt in einem deutlich versöhnlicheren Ton fortfuhr: »Und ja, da du es ohnehin vorschlagen wolltest: Ich nehme gerne einen Gin Tonic. Haste noch Monkey 47 da?«

Rocco musste schmunzeln. Er lief durch seinen Flur bis in das große, helle Wohnzimmer. Auf der rechten Seite lag eine offene Küche, die durch einen großen Tresen vom Essbereich getrennt war. Linker Hand konnte man durch bodentiefe Fenster auf die über zwanzig Quadratmeter große Terrasse blicken. Rocco schätzte sie sehr, denn sie war knapp eine Etage über den anderen Dächern gelegen, sodass sie nahezu uneinsehbar war.

»Machst du dir selbst einen Drink?«, fragte Rocco. »Deine Mischung ist irgendwie besser. Und mir bitte auch einen, du weißt ja, wo alles steht.«

»Na, endlich gibst du das mal zu«, lachte Tobi. Er öffnete den Kühlschrank, holte den Monkey 47 und zwei kleine Flaschen mit Fentimans Dry Tonic Water heraus.

Rocco schob unterdessen zwei Scheite in den alten gusseisernen Kaminofen. Er ließ die beiden Metalltüren leicht geöffnet, sodass man sehen konnte, wie das Holz Feuer fing, bis es kurz darauf mit lautem Knistern lichterloh brannte.

»Grillen oder braten?«, fragte Tobi und schaute skeptisch durch das schräge Küchenfenster in den dunklen Berliner Nachthimmel. Es hatte gerade zu nieseln begonnen.

»Grillen«, erwiderte Rocco und nahm seinem Freund einen der beiden Drinks aus der Hand. »Aber lass uns mal noch ein bisschen warten, es hört sicher bald auf zu regnen.«

»Deal«, sagte Tobi und prostete Rocco zu.

»Und«, hakte der nach, »hat deine Verspätung was mit Junghans zu tun? Hast du was über ihn in Erfahrung bringen können?«

»Wäre dir das denn was wert?«

»Steaks und Longdrinks«, entgegnete Rocco.

Gespielt enttäuscht blickte Tobi auf den Boden und schüttelte den Kopf. Dann sah er aber auf und lächelte Rocco direkt ins Gesicht.

Er weiß was, dachte Rocco und freute sich. Und auch wenn er mich eine Weile auf die Folter spannen will, wird er es mir erzählen. Er kann eh nichts für sich behalten.

»Also gut«, fing Tobi an. »Ich hatte dir ja gesagt, dass mir der Name bekannt vorkam, und ich habe mich nicht getäuscht.«

Er nahm einen großen Schluck von seinem Drink, ehe er fortfuhr.

»Ich habe ein paar Jungs bei der Kripo angerufen, die ich noch von früher kenne, bin da allerdings nicht weitergekommen. Junghans gibt es in Berlin wie Sand am Meer und ohne weitere Hinweise macht das keinen Sinn.«

»Und dann?«

»Dann habe ich mich ein bisschen in den Wettbüros und am Stutti umgehört. Und siehe da: Volltreffer!«

»Wieso gerade am Stuttgarter Platz?«, fragte Rocco.

»Irgendwie hatte ich das Gefühl, den Namen schon mal gehört zu haben. Also habe ich kurzerhand die üblichen Verdächtigen in Berlin durchtelefoniert. Du weißt schon, Kneipen und Bars, in denen nicht nur Universitätsprofessoren abhängen.«

»Ah«, nickte Rocco. »Verstehe. Und was hast du rausbekommen?«

Rocco merkte, dass er innerlich immer angespannter wurde. Er hatte zwar in den vergangenen Wochen die Sache mit seinem Vater erfolgreich verdrängt und während des Prozesses in der Sache Krampe kaum daran gedacht. Doch jetzt hing sie irgendwie bedrohlich über ihm. Wie eine schwarze Wolke, die immer größer wurde.

Drei Minuten später und nachdem er auf blumige Art und Weise – und ganz offensichtlich, um Rocco weiter auf die Folter zu spannen – die Qualität seiner eigenen Arbeit gelobt hatte, war Tobi dann so weit.

»Also, Junghans ist der Mann, den du anrufst, wenn du verdeckte Film- oder Tonaufnahmen benötigst. Er scheint ein absoluter Magier zu sein, wenn es darum geht, unauffällig Aufzeichnungen anzufertigen. Egal wo. Mein Kontakt meinte, er könnte eine Linse in einem Reiskorn verstecken und niemand würde etwas merken.«

»Okay«, sagte Rocco nachdenklich. »Meinst du, dass er genau das gemacht hat? Ich meine, ein Video gedreht? Von diesem Politiker, den Beister erwähnt hat?« Sein Bauch krampfte sich zusammen. Er hatte die Befürchtung, dass es vielleicht nicht nur der Politiker war, den Junghans gefilmt haben könnte, sondern auch sein Vater. »Klingt tatsächlich so, als könnte das der richtige Junghans sein«, fuhr er fort und versuchte dabei, so ruhig wie möglich zu bleiben. »Hast du auch herausbekommen, wo wir ihn erreichen?«

»Na ja, in gewisser Weise schon.«

»Und?«

»Nirgendwo«, erwiderte Tobi. »Er ist seit drei Tagen von der Bildfläche verschwunden.«

7. Kapitel

Berlin-Moabit, Institut für Rechtsmedizin: Mittwoch, 24. Februar, 19.03 Uhr

Nachdenklich klappte Jarmer die Akte vor sich auf. Er wollte sich den Obduktionsbericht des Kopfes ohne Körper noch einmal ansehen und überprüfen, welche Hinweise für seine These sprachen. Entgegen der Einschätzung von Hauptkommissarin Hardenberg, dass dies wohl nicht sein könnte, war er sich nahezu sicher, dass sie es hier mit einem Suizid zu tun hatten. Ungewöhnlich zwar, aber keineswegs ausgeschlossen.

Aufgrund seiner Erfahrung wusste er, dass die Täter sich bei Mord durch Enthauptung in der Regel einer Kettensäge, einer Axt oder eines Beils bedienten. Und all diese Werkzeuge hinterließen charakteristische Spuren an Weichgewebe und Knochen. In ihrem Fall konnte er keine entsprechenden Hinweise an dem Kopf finden. Allerdings waren die Weichteile an der Abtrennungsstelle am Kopf schon so stark verfault, dass auch das Fehlen solcher Spuren keine sichere Schlussfolgerung zuließ.

Was die Bestimmung des Todeszeitpunktes betraf, gab es allerdings einen Hinweis, der Jarmer eine zumindest sehr grobe Beurteilung ermöglichte. Anhand des Ausmaßes der Fäulnisveränderungen und der Algenbesiedlung schätzte er, dass sich der Kopf zwischen zwei und fünf Wochen im Wasser befunden haben musste.

Der eigentliche Trumpf, den er noch in der Hinterhand hielt, war indessen ein ganz anderer. Jarmer war sich sicher, dass er über den Zahnstatus, also das Gebiss des Toten, seiner Identität auf die Spur kommen würde. Und seine Erfahrung sagte ihm, dass sie nach Klärung der Identität auch weitere Hinweise finden würden, um die entscheidende Frage zu beantworten: Handelte es sich tatsächlich um einen Suizid, wie Jarmer aufgrund der fehlenden Spuren eines typischen Mordwerkzeugs vermutete? Oder war der Mann doch ermordet worden?

8. Kapitel

Berlin-Kladow, Uferpromenade: Donnerstag, 25. Februar, 6.53 Uhr

Die Grenze zwischen Berlin und Brandenburg lief mitten durch den Groß Glienicker See. Bis 1989 tummelten sich jeden Sommer auf der Kladower Seite Hunderte von Badegästen, während auf der Glienicker Seite Soldaten der DDR-Grenztruppen das Ufer vor möglichen Republikflüchtigen sicherten.

Kaum zu glauben, dachte Helmut Eberhardt, dass die Mauer jetzt schon länger gefallen ist, als sie jemals gestanden hat, während er mit der Hand durch seine kurz geschnittenen silbergrauen Haare fuhr. Und noch immer ist das Land nicht wieder vollständig zusammengewachsen.

Mit der Spitze seines wildledernen Penny Loafers kickte er einen Stein über den sandigen Strand in das seichte Wasser des Badesees. Eberhardt, der in der Nähe von Lübeck in Schleswig-Holstein geboren und aufgewachsen war, hatte selbst Familie in der ehemaligen DDR gehabt.

Familie!, dachte er und schüttelte den Kopf. In der Vergangenheit, im Jahr 1995, hatte es einen schweren Bruch in seiner eigenen Familie gegeben. Von einem Tag auf den anderen war alles anders gewesen als zuvor. Sein Sohn Rocco, auf den er so stolz war, hatte sich im Alter von sechzehn Jahren völlig unerwartet von ihm abgewendet. Ja, er hatte sogar alles dafür getan, ihn lächerlich aussehen zu lassen. In den Schulferien vor vielen Jahren hatte er mit Rocco vereinbart, dass dieser ein Praktikum in ihrem Familienunternehmen ableisten sollte. Über Wochen hatten sie kaum über etwas anderes geredet. Beide freuten sich sehr darauf und Rocco tat alles, um sich gründlich vorzubereiten. In Eberhardt senior wuchs die Hoffnung, dass Rocco irgendwann einmal sein Nachfolger werden und seine Firma übernehmen könnte. Er wollte ihm in den zwei Wochen alles zeigen. Rocco sollte in den unterschiedlichen Abteilungen nicht nur reinschnuppern, sondern auch mitarbeiten.

Und dann war mit einem Mal nichts mehr wie vorher. Von einem Tag auf den anderen, unmittelbar vor dem Praktikum, hatte Rocco sich verändert. Er sprach nur noch das Nötigste mit ihm und zeigte ihm ansonsten die kalte Schulter. Das Praktikum verwendete er darauf, seinen Vater vor den Mitarbeitern zu blamieren und allen zu zeigen, dass er ihn offenbar verachtete.

Helmut Eberhardt hatte gehofft, das würde vorübergehen, doch auch als Rocco älter wurde, änderte sich nichts. Es brach ihm das Herz zu sehen, wie sein Sohn ihn aus seinem Leben ausschloss und ihm keine Chance gab zu verstehen, was die Ursache des Ganzen war. Über Jahre hatten sie kaum miteinander gesprochen, nur das Nötigste anlässlich von Familienfeiern. Ansonsten waren sie sich aus dem Weg gegangen.

Erst im vergangenen Jahr hatten sie wieder begonnen, eine Beziehung zueinander aufzubauen. Der Anlass war alles andere als ein glücklicher. Alessia, seine Tochter und Roccos Schwester, wäre um ein Haar den Folgen eines Attentats erlegen, und die Sorge um sie hatte zu einer Aussprache zwischen Rocco und ihm geführt. Und erst zu diesem Zeitpunkt war Rocco mit der Sprache herausgerückt, was damals zu dem Bruch geführt hatte. Er hatte seinen Vater erwischt, wie dieser die Hand einer anderen Frau hielt. Rocco war zufällig an dem Restaurant vorbeigekommen und hatte die beiden von der Straße aus beobachtet.

Es fiel Helmut Eberhardt schwer, diese Geschichte aus dem Mund seines Sohnes zu hören. Denn obwohl seine Ehe mit Roccos Mutter in jener Zeit tatsächlich nicht auf stabilen Füßen stand, hatte Rocco die Situation einfach für sich bewertet und seinem Vater nie die Gelegenheit gegeben, sie zu erklären. Es kostete Helmut Eberhardt enorme Kraft, die Vergangenheit ruhen zu lassen, die verlorene Zeit mit seinem Sohn zu akzeptieren und nach vorne zu schauen. Aber in den vergangenen drei Monaten hatte er Rocco häufiger gesehen als in den zwanzig Jahren zuvor. Es war ein gutes Gefühl, zu sehen, wie die Familie wieder zusammenfand.

Eberhardt ließ seinen Blick über den See gleiten. Über den Wipfeln der Bäume auf der Glienicker Seite erhob sich langsam die Sonne und tauchte die imposanten Villen, die auf riesigen Grundstücken das Ufer säumten, in ein sanftes Licht. Die meisten davon waren, ebenso wie das Traumhaus, das er hier für seine Familie gebaut hatte, nach dem Fall der Mauer errichtet worden. Gemessen an der Fläche, die sie einnahmen, boten sie aber nur wenigen Familien Platz.

Ganz im Gegensatz zu den weiteren Wohnhäusern, die seit einiger Zeit unweit von hier auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Gatow errichtet wurden. Und denen zukünftig noch an vielen Orten in Berlin weitere folgen sollten. Wenn alles nach Plan lief. Eberhardt war Geschäftsmann. Schon immer gewesen. Und Bauen lohnte sich. Jedes Jahr mehr. Zumindest in Berlin. Das Problem waren einzig und alleine die Grundstücke, die zum Eigentum der Stadt gehörten. Die Unentschlossenheit der Politiker führte von einer Sackgasse in die nächste. Und dass die Beteiligung der Bürger durch diese mehr schlecht als recht vorbereiteten Volksentscheide in den seltensten Fällen zu einem vernünftigen Ergebnis führten, hatten die Bewohner der Hauptstadt schon ein ums andere Mal unter Beweis gestellt. Wie am Flughafen Tempelhof. Es war ja nie die Rede davon gewesen, die gesamte Fläche zu bebauen. Eine Randbebauung hätte zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und Berlin hätte gleichzeitig Wohnraum und ein neues Erholungsgebiet im Zentrum der Stadt erhalten.

Was soll’s, dachte Eberhardt. Bei den Villen auf der anderen Seite des Sees war er zu zögerlich gewesen. Und auch bei der ersten Runde der Bebauung am Flughafen Gatow kam er zu spät. Doch bei den nächsten Projekten würde ihm dieser Fehler nicht unterlaufen.

9. Kapitel

Berlin-Moabit, Institut für Rechtsmedizin: Freitag, 26. Februar, 9.17 Uhr

»Guten Morgen Frau Hardenberg«, begrüßte Jarmer die LKA-Ermittlerin. »Und, hatten Sie Erfolg?«

»Hatte ich«, erwiderte die Hauptkommissarin, wobei sie alles andere als glücklich wirkte. »So wie es aussieht, hatten Sie mit Ihrer Vermutung recht. Über das Gebiss konnten wir tatsächlich die Identität des Verstorbenen ermitteln. Es handelt sich um einen gewissen Stephan Moosmann, dreiundfünfzig Jahre alt, getrennt lebend und seit Kurzem arbeitslos.«

Jarmer zuckte bei der Erwähnung des Namens zusammen. Also doch! Er kannte den Namen.

Aber woher?

Sosehr Jarmer auch überlegte, er konnte sich nicht erinnern, wo er den Namen Moosmann schon gehört hatte. Daher beschloss er, erst einmal zu fragen, was Hardenberg noch zu berichten hatte.

»Lassen Sie mich raten«, wandte er sich mit ruhiger Stimme an die Polizistin. »Bei ihm zu Hause haben Sie einen Abschiedsbrief gefunden.«

Hardenberg nickte.

»Wie so häufig bei Menschen, die sich selbst das Leben nehmen. Der Brief ist an seine Tochter gerichtet. Wirklich tragisch.«

Moosmanns Tochter. Natürlich! Carolin Moosmann. Die kannte er! Er beschloss allerdings, diese Erkenntnis zunächst für sich zu behalten Er biss sich auf die Unterlippe, um sich nichts anmerken zu lassen, ehe er fortfuhr. »Haben Sie sie schon informiert?«

»Noch nicht. Das steht als Nächstes an. Sieht so aus, als wenn Moosmann die Trennung von seiner Frau und deren Auszug nur schwer verkraftet hätte. Zumindest schreibt er das. Dazu kam der Verlust seines Jobs und schließlich die Kündigung seiner Wohnung durch die Hausverwaltung.«