DIE LETZTE OPTION (Project 17) - Alex Lukeman - E-Book
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DIE LETZTE OPTION (Project 17) E-Book

Alex Lukeman

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Beschreibung

Verschollene Reliquien, mystische Schätze und geheimnisvolle Artefakte – begeben Sie sich zusammen mit der streng geheimen Regierungsorganisation PROJECT auf die weltumspannende Jagd nach den letzten Rätseln der Menschheit. Eine skrupellose Geheimorganisation setzt im Verborgenen Ereignisse in Gang, einen Atomkrieg auszulösen, um nach diesem die Weltherrschaft an sich zu reißen. Wieder einmal muss Direktorin Hacker ihr Team zum Einsatz bringen. Doch dieses Mal stehen ihre Chancen schlecht. Ein ihnen feindselig gegenüberstehender Präsident will das PROJECT-Programm einstellen, und unbekannte Gegner scheinen wild entschlossen, das gesamte Team auszulöschen. Nicks und Selenas ungeborene Kinder sind in Gefahr und selbst Selenas russische Halbschwester gerät in ein tödliches Komplott, dessen Konsequenzen sie sich niemals hätte vorstellen können. Die Uhr tickt, und wenn das PROJECT-Team den Plan nicht aufhalten kann, wird die ganze Welt den Preis dafür bezahlen müssen … ★★★★★ »Alex Lukeman schreibt mit einem sicheren Gespür für filmische Atmosphäre. Seine fesselnden Romane mit ihren griffigen Plots sind einfach absolute Hits.« - MCSFilm Review Team

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Seitenzahl: 318

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis
Die letzte Option
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Anmerkungen
Danksagungen
Über den Autor

Die letzte Option

Project – Band 17

 

Alex Lukeman

 

übersetzt von Peter Mehler

 

Copyright © 2021 by Alex Lukeman

 

Dieses Werk ist Fiktion. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, außer nach vorheriger und ausdrücklicher Genehmigung des Autors. (Dieses Werk ist Fiktion.) Namen, Charaktere, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind entweder vom Autor frei erfunden oder als fiktives Element verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen lebenden oder toten Personen ist rein zufällig.

 

Impressum

 

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: LAST OPTION Copyright Gesamtausgabe © 2025 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Peter Mehler

 

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2025) lektoriert.

 

ISBN E-Book: 978-3-95835-939-0

 

Kontaktinformation:

[email protected]

 

LUZIFER Verlag Cyprus Ltd.

House U10, Toscana Hills

Poumboulinas Street

8873 Argaka, Polis, Cyprus

 

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Kapitel 1

 

Noch eine Stunde, dann würde er in Sicherheit sein.

Juri Kolkow blickte auf das Wolkenmeer, das unter dem Flugzeug vorbeizog, und übte Druck auf sein Knie aus, um das nervöse Wippen seines Fußes zu unterdrücken. Er wusste, dass er unter Verdacht stand. Er hatte sich schon gefragt, ob er verhaftet werden würde, bevor er das Flugzeug bestieg, aber er hatte den Aeroflot-Flieger in Scheremetjewo ohne Probleme besteigen können. Jetzt war er hier, beinahe im Westen angekommen.

Es gab keinen Grund zur Sorge. Das hatte er sich eingeredet, seit er an diesem Morgen seine Moskauer Wohnung verlassen hatte.

Juri rutschte auf dem schmalen Fensterplatz hin und her und versuchte, es sich bequem zu machen. Siebzehn Zentimeter breit. Wieso wurden diese Dinger nicht für Menschen gebaut? Aber nur noch eine Stunde, dann würde er das Flugzeug und das Gebiet der Föderation für immer hinter sich lassen.

Ein kurzes Lächeln flackerte über Juris unscheinbaren Züge. Jemand würde für seine Flucht bezahlen müssen. Er hoffte, es würde seinen überheblichen Chef treffen. Juri stellte sich Breschinskis Gesichtsausdruck vor, wenn der FSB ihn verhören würde. Mit ein bisschen Glück würde das fette Schwein seinen bequemen Posten verlieren.

Er dachte an Irina und wünschte, es wären bessere Jahre gewesen. Es war lange her, dass es etwas anderes als Unzufriedenheit zwischen ihnen gegeben hatte. Natürlich würden sie sie verhören. Sie würden sie in Angst und Schrecken versetzen, aber am Ende würden sie sie gehen lassen. Sie wusste nichts. Außerdem war Irina eine Überlebenskünstlerin.

Sie wird es schon schaffen, dachte er.

Er hatte versprochen, ihr etwas Schönes aus Paris mitzubringen, wenn er nach Hause zurückkehren würde. Und sein schlechtes Gewissen gespürt, als er das sagte.

Denn er würde nicht zurückkehren.

Er würde Moskau vermissen. Er liebte die Stadt, trotz all ihrer ärgerlichen Probleme. Er liebte Russland. Aber gerade, weil er sein Land liebte, würde er es verraten.

Das Geräusch der Triebwerke veränderte sich. Das Flugzeug begann den Landeanflug. Er schaute auf seine Uhr.

Zwanzig Minuten. Vielleicht etwas mehr.

Sie fielen durch die Wolkendecke und die Landebahnen des Flughafens Orly erschienen unter ihnen. Das Flugzeug neigte sich und er konnte in der Ferne einen Blick auf Paris erhaschen. Minuten später setzte das Flugzeug auf. Das Aufheulen der Triebwerke, als der Pilot den Schub umkehrte, war ein beruhigendes Geräusch, beinahe laut genug, um die Zweifel an seinem Tun zu übertönen.

Die Schlangen an der Zoll- und Passkontrolle waren lang und langsam. Als er an der Reihe war, verglich der Beamte das Bild in dem offiziellen Reisepass des Ministeriums mit dem des Mannes, der vor ihm stand.

»Der Grund Ihres Besuchs, Monsieur?«

Jurijs Französisch war gut, ebenso wie sein Englisch. Das war einer der Gründe, weshalb er es im Ministerium so weit gebracht hatte.

»Ich bin wegen der Flugshow hier.«

»Wie lange wollen Sie bleiben?«

»Fünf Tage.«

Der Beamte stempelte den Pass ab und gab ihn zurück. »Willkommen in Frankreich.«

»Merci.«

Juri zog sein Handgepäck hinter sich her und folgte den Schildern zum Taxistand. Dann trat er in die schwüle Luft eines Pariser Sommers hinaus.

In Sicherheit, dachte er. Ich habe es geschafft.

Jemand rempelte ihn an. Er spürte einen kurzen Stich, wie von einer Mücke. Plötzlich schloss sich eine riesige Faust um seine Brust und drückte zu. Er taumelte, rang nach Luft und fiel mit dem Gesicht voran auf den Bürgersteig.

Nein.

Jemand beugte sich über ihn und sagte etwas. Das Letzte, was Juri noch wahrnahm, war der käsige, faulige Atem des Mannes.

Nein …

Und danach nichts mehr.

 

Kapitel 2

 

Nick Carter und Selena Connor saßen am Küchentisch in ihrem Loft in Washington. In der Mitte des Tisches lag ausgestreckt ein riesiger orangefarbener Kater namens Burps. Er schlief, aber seine Pfoten zuckten im Schlaf. Aus seinem offenen Maul drangen leise Schnarchgeräusche.

Selena schob sich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht und verlagerte ihre Position auf ihrem Stuhl. Sie war im siebten Monat mit Zwillingen schwanger. Es war nicht einfach, noch bequem zu sitzen.

Elizabeth Harker und ihre Stellvertreterin Stephanie Willits saßen Nick und Selena gegenüber. Stephanie hatte ihren Laptop geöffnet. Das Bild auf dem Bildschirm zeigte einen Mann, der in einem französischen Leichenschauhaus lag. Nichts auf dem Foto verriet, was für ein Mann er gewesen war.

»Wer war er?«, fragte Nick.

»Juri Kolkow«, antwortete Elizabeth, »ein Analyst, der im russischen Verteidigungsministerium arbeitete. Er war einer von Langleys Undercover-Agenten. Er ist übergelaufen und hat Informationen mitgebracht, etwas Wichtiges. Wir wissen jedoch nicht, was es war.«

»Jetzt wird er es uns nicht mehr erzählen können.«

»Nein, das wird er nicht.«

Elizabeth, die an dem großen Tisch saß, wirkte wie ein Kind. Sie war eine kleine Frau, nur etwa einen Meter fünfzig groß. Ein smaragdgrüner und goldener Salamander war an ihre schwarze Anzugjacke geheftet, das Smaragdgrün ein wenig dunkler als das Grün ihrer katzenartigen Augen.

»Was hat ihn umgebracht?«, fragte Selena.

»Gift. Sie haben bei der Autopsie eine Einstichstelle an seinem Rücken gefunden. Eine toxikologische Untersuchung fand eine dieser fiesen kleinen Verbindungen, die die Russen gern Leuten verabreichen, die sie nicht mögen.«

»Er wurde also umgebracht, damit er niemandem verrät, was er wusste?«

»Sieht ganz danach aus.«

»Wieso wurden wir dann hinzugezogen?«, fragte Nick. »Er war Langleys Agent. Die haben ihre Leute in Frankreich.«

»Der Präsident hat es uns übertragen. Ich glaube, wir sollen scheitern, damit er einen Vorwand hat, uns dichtzumachen.«

Präsident Corrigan hatte die Organisation bereits auflösen wollen, nachdem Harker die peinliche Anwesenheit eines russischen Spions im Weißen Haus aufgedeckt hatte. Doch sie besaß mächtige Freunde in Washington. Corrigan hatte sich überreden lassen, seine Entscheidung rückgängig zu machen, aber Elizabeth wusste, dass die Zeit für die Organisation abgelaufen war.

»Was hat er eigentlich gegen uns?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Elizabeth. »Wir sind nicht gerade ein politischer Aktivposten. Er kommt mir vor wie jemand, dem es mehr um den Schein als um die Substanz geht, ein weiterer Politiker, der mehr an seine Umfragewerte als an das Land denkt. Ich werde nie verstehen, warum er gewählt wurde.«

»Präsident Rice schien sich nie große Sorgen um die politischen Folgen zu machen«, sagte Selena.

»Rice war ein Marine«, sagte Nick. »Er wusste, dass es nicht immer schön ist, einen Job zu erledigen oder sich dabei an die Regeln zu halten. Dieser Corrigan ist ein politisches Tier, eine Kreatur der Parteienpolitik. Ein leerer Anzug. Wir haben wahrscheinlich Glück, dass er uns noch nicht verhaften ließ.«

»Wie wollen Sie vorgehen, Elizabeth?«, fragte Stephanie.

»Lassen Sie uns Freddie auf die Sache ansetzen. Wie geht es ihm in seinem vorübergehenden Zuhause?«

Freddie war kein Mensch. Er war eine künstliche Intelligenz mit vollständigen, unabhängigen Fähigkeiten. Freddie dachte für sich selbst. Der Computer, in dem er normalerweise »lebte«, war bei einem Angriff auf die Zentrale des PROJECTsdurch eine Schattenorganisation namens Phoenix irreparabel beschädigt worden. Zurzeit befand sich Freddies Programm in einem von Langleys Crays, ein Notfall-Backup, das Stephanie als Sicherheitsmaßnahme eingerichtet hatte. Sie konnte über ihren Laptop auf ihn zugreifen.

»Ich weiß, es klingt seltsam, aber ich glaube, er ist einsam. Damals im Hauptquartier waren wir immer zusammen. Ich war immer in der Nähe. Er konnte mir bei der Arbeit zusehen und sich mit mir unterhalten. Wo er jetzt ist, ist das nicht der Fall.«

»Wie kann ein Computer einsam sein?«

Stephanie zuckte mit den Schultern. »Das ist nur mein Eindruck.«

»Aber er funktioniert noch so, wie er sollte?«

»Oh, ja, es geht ihm soweit gut. Aber je schneller wir die neuen Computer installieren, damit ich ihn transferieren kann, desto besser wird es ihm gehen. Mir auch, was das anbelangt.«

»Nächste Woche wird alles für den Rücktransport vorbereitet sein«, erklärte Elizabeth. »In der Zwischenzeit ist da unser toter Russe. Steph, setzen Sie Freddie auf ihn an. Besorgen Sie sich die Überwachungsaufnahmen aus Frankreich. Sehen Sie, ob Sie irgendetwas finden können. Mit ein bisschen Glück bekommen wir ein Foto des Attentäters.«

»Was ist mit der französischen Sicherheit?«, fragte Nick. »Haben sie schon etwas herausgefunden?«

»Nein. Und selbst wenn, werden sie es uns wahrscheinlich nicht verraten.«

Stephanie klappte ihren Laptop zu. »Wenn der Attentäter auf diesen Aufnahmen zu sehen ist, werden Freddie und ich ihn finden.«

 

Kapitel 3

 

Im Hauptquartier des russischen Auslandsgeheimdienstes blickte Generaloberst Alexei Vysotsky aus dem Fenster im vierten Stock auf einen städtischen Kiefernwald. Hinter den Bäumen erhoben sich in der dunstigen Ferne die roten Zinnen des Kremls.

In der Stadt herrschte sengende Julihitze. Die zentrale Klimaanlage des Gebäudes war wieder einmal ausgefallen, und Vysotsky hatte angeordnet, die Bürofenster zu öffnen. Ein Ventilator auf seinem Schreibtisch blies warme Luft durch den Raum. So gut das auch war, das Betrachten von Bildern von Sibirien im Winter wäre genauso effektiv gewesen.

Vysotsky griff in die unterste Schublade auf der linken Seite seines Schreibtisches und holte eine Flasche Wodka mit einem grünen Etikett und ein Wasserglas heraus. Er füllte das Glas bis zur Hälfte und trank.

Eine schwache Brise wehte in den Raum und trug den heißen, staubigen Duft der grünen Kiefern herein. Vysotsky stand auf, das Glas in der Hand, und ging zum Fenster.

Ein plötzlicher, elektrisierender Schmerz durchzuckte seinen Bauch. Er keuchte, krümmte sich und umklammerte das Glas. Dann war der Schmerz so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Er richtete sich wieder auf, rieb sich den Bauch und blickte über die Bäume.

Diese verdammten Verdauungsstörungen. Die Pillen, die ich nehme, sind einen Dreck wert.

Ich muss einen weiteren Termin bei diesem Quacksalber vereinbaren.

Der Gedanke an den Arzt ließ ihn an seine Geliebte und die anderen Pillen, die blauen, denken. Es wurde immer schwieriger, sie zu befriedigen, und die Geschenke allein genügten nicht mehr. Er war es leid, sich mit ihren ständigen Beleidigungen und ihren unverhohlenen Andeutungen, er solle sich von seiner Frau scheiden lassen, auseinanderzusetzen. Es war an der Zeit, sich von ihr zu trennen. Sie würde still und leise verschwinden, oder sie würde sich in einer sehr unangenehmen Lage wiederfinden.

Das Geräusch einer entfernten Explosion vertrieb die Gedanken an die Frau aus seinem Kopf. Die Fensterscheiben klirrten.

Was war das? Es war eine große Detonation gewesen. Irgendwo in der Stadt.

Eines der Telefone auf seinem Schreibtisch begann zu klingeln. Er nahm ab. »Vysotsky.«

»General, es gab eine Explosion vor dem zentralen Markt von Zwetnoj. Es gibt viele Verletzte.«

»Eine Bombe?«

»Ja, Genosse. Eine Autobombe.«

»In Ordnung. Schicken Sie ein Team. Und lassen Sie meinen Wagen vorfahren.«

»Sofort, General.«

Er legte den Hörer auf. Eine Autobombe also. In den letzten Monaten hatte es immer mehr terroristische Vorfälle gegeben. Der Zwetnoj-Markt war ein gehobenes Kaufhaus, das für seine Lebensmittelabteilung und eine Reihe von teuren europäischen Geschäften bekannt war. Es war ein beliebtes Touristenziel, das oft überfüllt war. Vysotsky hatte das Gefühl, dass es dieses Mal schlimm werden würde.

Wenn es schlimm genug ist, könnte das die Gelegenheit sein, auf die ich gewartet habe, dachte er.

Der Einsatzbereich des SVR umfasste die gesamte Welt außerhalb der Grenzen der Föderation. Der Federal’naya Sluzhba Bezopasnosti, der FSB, war für die innere Sicherheit und die Terrorismusbekämpfung zuständig. In letzter Zeit hatte der FSB viel Mist gebaut. Sie hatten zwar ein paar niedere Agenten verhaftet, konnten aber nicht herausfinden, wer hinter den Terroranschlägen steckte.

Ihre Unfähigkeit machte Präsident Orlow unzufrieden. Es war Wahljahr und Orlow wollte eine zufriedene Wählerschaft. Auch wenn das Ergebnis der Wahl vorherbestimmt war, war es ihm wichtig, dass das Land wohlhabend und sicher erschien.

Der Zwetnoj-Markt war ein Symbol des Wohlstands, ein Zeichen dafür, wie weit das Land seit den Tagen der Sowjetunion gekommen war. Ein Angriff auf die gehobenen Geschäfte des Marktes war genau das, was Orlow nicht gebrauchen konnte.

Die Aufrechterhaltung der Macht erforderte einen starken Sicherheitsapparat. Das war in Russland schon immer so gewesen, und Vysotsky hegte keinen Zweifel daran, dass es immer so sein würde. Es war sein brennender Ehrgeiz, den KGB wiederzubeleben, eine einzige Organisation, die sich mit der gesamten Sicherheit und den Geheimdienstaufgaben im In- und Ausland befassen sollte. Vielleicht konnte er diesen Vorfall nutzen, um Orlow davon zu überzeugen, dass es an der Zeit war, das Schwert und den Schild zurückzubringen, mit sich selbst an der Spitze eines erneuerten und gefürchteten Reiches der Sicherheit.

Es hatte offensichtliche Vorteile, alle in- und ausländischen Sicherheits- und Geheimdienstbelange unter einem Dach zu vereinen. Der größte Nachteil war ein klassisches russisches Problem. Ein wiederbelebter KGB war eine potenzielle Bedrohung für jeden, der Russland regierte. Das war der eigentliche Grund, warum der alte Sicherheitsapparat nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in zwei getrennte Organisationen aufgespalten worden war. Keiner wusste das besser als Präsident Orlow, ein ehemaliger KGB-Oberst.

Wenn Vysotsky die Hintermänner des Bombenanschlags ausfindig machen und beseitigen könnte, wäre das ein wichtiger Schritt, um Orlow davon zu überzeugen, dass es Zeit für einen Wechsel war.

Ich brauche jemanden, der die Anführer der Terroristen zur Strecke bringt, jemanden effizienten.

Jemand mit Erfahrung. Jemand, den sie nicht verdächtigen würden.

Er nahm sein Telefon in die Hand.

 

Kapitel 4

 

Sechs Tage, nachdem Elizabeth Stephanie gebeten hatte, Juri Kolkow zu überprüfen, war das Team in sein neu renoviertes Hauptquartier zurückgekehrt. Nick stand mit Selena vor dem Gebäude und musterte den Eingang, der während des Angriffs zerstört worden war.

»Es sieht so aus, wie es immer ausgesehen hat«, sagte sie.

»Erstaunlich. Wenn man genau hinsieht, kann man sehen, wo sie es repariert haben. Aber wenn man nicht weiß, was passiert ist …«

Nick ließ den Satz unvollendet. Drinnen erinnerte der Geruch von frischer Farbe und Teppichboden daran, wie viel Schaden tatsächlich angerichtet worden war. Die Einschusslöcher in den Wänden waren verschwunden. Eine neue Ledercouch in Elizabeths Büro hatte die bei dem Feuergefecht zerstörte Couch ersetzt.

»Hey, Nick, du musst dir diese neue Couch ansehen. Mann, ist die gemütlich.«

Lamont Cameron hatte es sich zusammen mit Ronnie Peete auf der Couch bequem gemacht. Elizabeth saß hinter ihrem Schreibtisch. Stephanie saß an der Seite mit ihrem Laptop. Es war das erste Mal seit Wochen, dass sie alle wieder zusammengekommen waren.

Lamont war auf den Florida Keys zum Fischen und Entspannen gewesen. Er hatte eine Menge Sonne abbekommen. Die rosafarbene Narbe auf seinem braunen Gesicht kam dadurch noch mehr zur Geltung als sonst.

Ronnie war bei dem Angriff schwer verwundet worden. Als die Ärzte ihn aus dem Walter Reed entließen, war er nach Hause nach Arizona gefahren. Er hatte den letzten Monat damit verbracht, mit seinem Onkel, einem Navajo-Sänger, zu arbeiten und sich traditionellen Heilungszeremonien zu unterziehen.

Er sieht nicht gut aus, dachte Nick.

Ronnies rötliche Haut war blass. Unter seinen Augen befanden sich tiefe Schatten. Er hob seine Hand zur Begrüßung.

»Setzen Sie sich«, sagte Elizabeth. »Wir haben eine Menge zu besprechen. Stephanie hat den Attentäter identifiziert, der Kolkow ausgeschaltet hat.«

»Ich habe mir die Videoaufzeichnungen des Flughafens angesehen«, erklärte Stephanie. »Kolkow wurde inmitten einer Menschenmenge auf dem Weg zu den Taxis getötet. Ich zeige euch, was ich gefunden habe.«

Vor dem Angriff auf das Hauptquartier hatte es einen großen Monitor gegeben, der an der Wand hinter Elizabeths Schreibtisch angebracht war. Dieser war bei dem Feuergefecht zerstört und ersetzt worden. Jetzt gab es einen weiteren Monitor, der gegenüber dem Schreibtisch unter einer Reihe von Uhren angebracht war, auf denen die Zeitzonen der Welt angezeigt wurden. Stephanie tippte auf eine Taste ihres Laptops und beide Monitore leuchteten auf. Sie zeigten ein Standbild des überfüllten Taxistandes in Paris, wo Kolkow zusammengebrochen war.

»Hier könnt ihr Kolkow sehen, wie er aus dem Hauptterminal kommt.« Stephanie bewegte ihre Maus, bis der Pfeil auf einem unauffälligen Mann zum Stehen kam, der durch die Türen trat und sein Handgepäck hinter sich herzog.

»Ich werde es in Zeitlupe ablaufen lassen.«

Das Bild auf dem Monitor erwachte zum Leben. Sie sahen, wie Kolkow sich durch die Menge in Richtung der Taxis bewegte. Überall um ihn herum waren Menschen. Plötzlich brach er auf dem Bürgersteig zusammen. Stephanie hielt die Aufnahme an.

»Das ist der Moment des Anschlags«, sagte sie. »Bei dem Gift handelte es sich um ein schnell wirkendes Nervengift.«

»Ich kann immer noch nicht erkennen, wer es war«, sagte Selena.

»Schaut es euch noch mal an.«

Die Aufzeichnung spulte zurück und begann dann wieder von vorne, diesmal in Superzeitlupe.

»Achtet auf die Frau rechts von Kolkow, die mit dem Hut.«

Die Aufnahme schlich vorwärts. Mehrere Leute drängelten sich um den Russen, darunter eine Frau mit einem großen Hut. Sie beobachteten, wie sie gegen Kolkow stieß und an ihm vorbeiging. Sekunden später kippte er nach vorne auf den Bürgersteig.

»Hier ist die Aufnahme von einer anderen Kamera, die in Richtung Kolkow gerichtet ist.«

Wieder sahen sie, wie der Russe das Hauptterminal verließ und sich durch die Menge zu den Taxis drängte. Die Frau mit dem Hut tauchte hinter ihm auf, wie eine weitere Person in der Menge. Sie hielt den Kopf gesenkt. Der Hut verdeckte den größten Teil ihres Gesichts.

»Sie wusste von den Kameras«, sagte Nick.

»Klar«, antwortete Lamont. »Die Russen setzen keine Amateure ein.«

Sie sahen, wie sie gegen Kolkow stieß und sich entfernte. Dabei erhaschten sie einen flüchtigen Blick auf ihr Gesicht.

Selena schnappte nach Luft. »Valentina.« Selenas Halbschwester.

Selenas Vater war Agent der CIA gewesen, der während des Kalten Krieges in Westdeutschland stationiert war. Eine KGB-Agentin war beauftragt worden, ihn zu verführen, aber zwischen den beiden Spionen war mehr entstanden. Valentina Antipova war das Ergebnis dieser verbotenen Verbindung.

Ihr Vater war mit einem Verweis in die Staaten zurückgeschickt worden. Ihre Mutter war nach Sowjetrussland zurückgekehrt. Es war ihr gelungen, das Kind zu behalten und beim KGB zu bleiben. Valentina war von einer Reihe von KGB-Aufpassern aufgezogen und zu einer der erfolgreichsten Attentäterinnen ausgebildet worden. Nach dem Zerfall der Sowjetunion setzte sie ihre Ausbildung unter der Leitung ihres Mentors, General Vysotsky, fort.

»Sie war nicht im Flugzeug«, sagte Steph. »Sie hat im Terminal auf ihn gewartet.«

Das Bild auf den Monitoren wechselte zu einer Aufnahme von Passagieren, die sich im Terminal in der Nähe des Ausgangs zu den Taxis tummelten. Stephanie fixierte die Aufnahme auf die Frau mit dem Hut, die ein paar Schritte hinter Kolkow auf die Ausgangstüren zuging. Es bestand kein Zweifel, dass es sich um Valentina handelte.

»Verdammt«, entfuhr es Selena.

»Das ist nun mal ihr Job«, sagte Nick.

»Aber das macht es nicht besser, oder? Sie ist immerhin noch meine Schwester.«

»Ich mag sie irgendwie«, sagte Lamont. »Sie hat uns in Ägypten den Arsch gerettet. Und sie ist verdammt heiß.«

Nick sah ihn an und schüttelte den Kopf. Lamont zuckte mit den Schultern. »Was?«

»Ihre Schwester ist ein komplizierter Mensch«, sagte Elizabeth. »Selena, Sie müssen Ihre Gefühle für sie aus dem Spiel lassen. Schaffen Sie das?«

»Ich habe es schon einmal getan. Ich kann es wieder tun.«

»In Ordnung. Nun, Kolkow hatte Handgepäck bei sich. Der französische Sicherheitsdienst hat es. Wir müssen herausfinden, was sich darin befand.« Elizabeth blickte auf Selenas geschwollenen Bauch. »Schaffen Sie einen Flug nach Paris?«

»Ja.«

»Gut. Ich möchte, dass Sie und Nick dorthin fliegen und mit einem Kontakt sprechen, den ich bei der DGSE habe. Ich würde Nick allein schicken, aber er spricht kein Französisch, Sie hingegen schon. Ich möchte, dass Sie beide das Handgepäck untersuchen und herausfinden, ob etwas darin versteckt ist.«

»Werden die Franzosen es nicht auseinandergenommen haben?«, fragte Nick.

»Ich bin sicher, dass sie es durchgesehen haben. Aber sie wissen nicht, dass Kolkow mit Langley zusammengearbeitet hat und sie wissen nicht, dass er überlaufen wollte. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Mord ein Rätsel für sie.«

»Wann starten wir?«, fragte Selena.

 

Kapitel 5

 

Valentina Antipova betrat das Büro von General Vysotsky und blieb vor seinem Schreibtisch stehen.

Wie immer war Alexej von Valentinas wilder Schönheit beeindruckt. Sie bewegte sich mit der unbewussten Anmut eines gefährlichen Tieres, als ob sich die Luft vor ihr einfach teilen würde. Sie trug zwar eine Uniform, doch diese konnte ihre natürlichen und verführerischen Attribute nicht verbergen. Zwei goldene Sterne und doppelte rote Streifen auf ihren Schulterklappen wiesen auf ihren Rang als Oberstleutnant hin. Ihr dunkelbraunes Haar war den Vorschriften entsprechend am Hinterkopf zusammengebunden.

Ihre Augen vermittelten den Eindruck eines Alpha-Raubtiers. Sie waren von einem durchdringenden Grün. Ihre Wangenknochen waren hoch und nicht ganz symmetrisch, ihre Lippen voll und rot.

Valentina zog die Blicke von Männern und Frauen auf sich, wohin sie auch ging – bis zu dem Moment, wenn sie die Blicke erwiderte. Ihre Augen hatten etwas an sich, das selbst den leidenschaftlichsten potenziellen Verehrer abschrecken konnte.

Einer dieser Verehrer ließ sich jedoch nicht so leicht abwimmeln oder abweisen. Valentina war die gelegentliche Bettgenossin von Wladimir Orlow.

»Setz dich, Valentina, setz dich.«

»Ja, Genosse.«

Valentina setzte sich auf einen Stuhl in der Nähe des Schreibtischs.

»Es gibt keinen Grund, so förmlich zu sein. Hier gibt es nur dich und mich. Nach all den gemeinsamen Jahren können wir uns doch entspannen, oder?«

Er will etwas. Er weiß verdammt gut, dass ich mich in seiner Nähe nie entspannen kann.

Vysotsky öffnete seine Schreibtischschublade und nahm die Wodkaflasche und zwei kleine Gläser heraus.

»Du wirst mit mir trinken.«

Vysotsky schenkte ein und reichte ihr ein Glas.

»Ein Toast. Auf den Erfolg deiner Mission und deine erfolgreiche Rückkehr. Nastrowje.«

»Nastrowje.«

Sie erhoben ihre Gläser und kippten den Alkohol hinunter. Vysotsky füllte sein Glas nach und hielt die Flasche hoch. »Noch einen?«

»Warum nicht?«

Sie nippten an ihrem Wodka.

»Du hattest keine Probleme in Frankreich?«

»Nein. Ich war verschwunden, bevor jemand bemerkte, was passiert war.«

»Kolkow war ein Verräter. Er wollte überlaufen, deshalb schickte ich dich. Er hat Informationen an die Amerikaner weitergegeben.«

»Welche Art von Informationen?«

»Die Art, von der weder du noch ich etwas wissen sollten.«

Valentina zuckte mit den Schultern. »Er war ein Verräter. Das ist alles, was zählt.«

»Ich habe einen weiteren Auftrag für dich. Präsident Orlow ist sehr verärgert über den Bombenanschlag auf dem Markt. Die Gruppe, die dahintersteckt, wird von einem Mann angeführt, der nur unter seinem Decknamen bekannt ist.«

»Und wie lautet er?«

»Man nennt ihn die Spinne.«

»Terroristen sind solche Kindsköpfe. Diese Comicbuch-Namen geben ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.«

»Trotzdem ist er angemessen beängstigend, findest du nicht? Das Bild eines Superhirns, das in der Mitte seines terroristischen Netzes sitzt, bereit zuzuschlagen.«

»Wenn er eine Spinne ist, brauchen wir einen Kammerjäger.«

»Da kommst du ins Spiel, meine Liebe.«

»Du willst, dass ich ihn töte.«

»Mir wäre es lieber, er würde gefangen genommen, damit wir ihn verhören können.«

»Das wird vielleicht nicht möglich sein.«

»Ich weiß. Ich bitte dich nur, daran zu denken, dass wir gerne mit ihm reden würden.«

»Wie soll ich ihn finden?«

»Das ist der schwierige Teil deiner Aufgabe. Aber ich habe volles Vertrauen in dich, Valentina.«

»Hast du etwas, womit ich anfangen kann? Einen Ort vielleicht?«

»Orlow befahl Woroschenko, Informationen mit mir zu teilen. Er war nicht glücklich darüber, aber er hatte keine andere Wahl.«

Kiril Woroschenko war der Direktor des FSB.

»Sie haben vor einem Monat jemanden festgenommen, ein Mitglied des Netzwerks auf niedriger Ebene. Durch ihn wissen wir von diesem Mann. Der Verhaftete stammte aus Kapotnja. Du kannst mit deinen Nachforschungen dort beginnen.«

Kapotnja galt als eines der schlimmsten Viertel Moskaus, eine Brutstätte krimineller Aktivitäten im Südosten der Stadt. Berühmt wurde es vor allem durch eine riesige Ölverarbeitungsanlage, die die Gegend in unangenehme und gefährliche Dämpfe tauchte. Sie war auch bei den zahlreichen Obdachlosen in Moskau sehr beliebt. Von der zentralen Anlage gingen kilometerlange, riesige Rohre ab, die Gas und Öl in einem gigantischen Spinnennetz transportierten. Die Rohre konnten Temperaturen von Hunderten von Grad erreichen und boten in den bitteren Moskauer Wintern eine Art Schutz und Wärme. Im Sommer dienten sie als Versteck.

»Ich würde diese Person gern befragen«, sagte Valentina.

»Ich fürchte, das ist unmöglich. Er scheint ein schwaches Herz gehabt zu haben. Woroschenkos Schergen waren bei ihrem Verhör übermäßig enthusiastisch.«

»Kapotnja deckt ein weites Gebiet ab«, sagte Valentina.

Vysotsky öffnete eine Schublade, nahm einen roten Ordner heraus und schob ihn über den Schreibtisch.

»Das ist alles, was wir haben. Er wohnte in einem Wohnblock in der Nähe der Ölverarbeitungsanlage. Es gibt dort viele Gopniki, die Bedingungen sind nicht die besten.«

Die Gopniki waren eine Subkultur von Kleinkriminellen, gefährliche Jugendliche, die sich in Gruppen zusammenfanden und über jeden herfielen, der das Pech hatte, ihnen über den Weg zu laufen.

Valentina lachte. »So kann man es auch ausdrücken.«

»Du musst auf dich aufpassen. In Kapotnja haben die Kriminellen das Sagen. Sexsklaven, Ausbeutung von Migranten, Prostitution, Drogen, was auch immer.«

Valentina öffnete die Mappe. Darin befand sich das Bild eines dunkeläugigen, dunkelhaarigen Mannes. Eines seiner Augen war blau angelaufen und sein Gesicht war zerschrammt. Er sah vage asiatisch aus. Sie las den Namen unter dem Bild.

»Faraz Abdulov. Ein Tadschike?«

»Ein Einwanderer. Er war seit siebzehn Monaten hier.«

»Ich wusste nichts von einer tadschikischen Terrororganisation.«

»Von denen gibt es mehrere, die meist gegen ihre korrupte Regierung sind. Zwei oder drei wollen ein islamisches Kalifat in Zentralasien errichten. Viele Tadschiken haben sich der Isis angeschlossen. Jetzt, da die Isis entschärft wurde, kommen die noch lebenden tadschikischen Freiwilligen nach Hause. Natürlich gibt es für diese Ideologie keine echte Niederlage. Alles geht weiter wie bisher und wartet auf die nächste Gelegenheit, um zuzuschlagen. Möglicherweise war es eine übriggebliebene Splittergruppe der Isis, die die Bombe gezündet hat, aber wir müssen ganz sicher sein. Wer auch immer sie sind, sie müssen eliminiert werden.«

»Welchen Vorteil hätte eine tadschikische Gruppe von einem Angriff auf uns?«

»Abgesehen davon, dass sie die Lorbeeren für einen Angriff gegen die Ungläubigen einheimsen, keinen. Im Gegenteil, es könnte Auswirkungen haben. Das Land braucht unseren guten Willen.«

»Vielleicht handelt es sich nicht um eine tadschikische Gruppe.«

»Vielleicht nicht. Es ist Teil deines Auftrags, das herauszufinden.«

»Ich werde Ressourcen brauchen.«

»Du kannst alles haben, was du brauchst.«

»Und wenn ich diesen Mann finde? Diese Spinne?«

»Wenn du ihn nicht gefangen nehmen kannst, dann töte ihn.«

 

Kapitel 6

 

Es war ein wunderschöner Morgen in Washington, D.C., ein perfekter Tag zum Golfen. Vizepräsident Ethan Reynolds blickte auf die Fahne am achtzehnten Loch. Sein Ball lag dreißig Meter entfernt, am Rande des Grüns. Er wandte sich an seinen Caddy.

»Was meinst du, John?«

»Ein Neunereisen, Sir. Sie schauen den Hügel hinauf auf das Grün. Mit dem Neuner können Sie ihn auf das Grün schlagen und er rollt direkt zum Pin.«

»Hmm.«

In der Nähe stand Reynolds Golfpartner für diesen Tag, der Senator von New York, Howard Palmer. Er war zweiundsechzig Jahre alt und hatte das Aussehen eines wohlgenährten Mitglieds der amerikanischen Oberschicht, eines Mannes, der zu Reichtum und Macht geboren und erzogen worden war. Es brauchte mehr als Geld und einen guten Schneider, um dieses Aussehen zu erreichen.

»Ich würde die Acht nehmen, Ethan.«

»Hmm«, sagte Reynolds wieder. »John, ich nehme die Neun.«

»Ein Hunderter, dass er an der Fahne vorbeirollt«, schlug Palmer vor.

»Abgemacht.«

Reynolds visierte den Ball an, richtete sich auf und schwang den Schläger. Der Ball stieg aus dem Gras auf, fiel auf das Grün, rollte und kam kurz vor dem Fähnchen zum Stehen.

»Guter Schlag, Sir«, sagte der Caddy.

Palmer holte einen Hundert-Dollar-Schein aus seiner Tasche und überreichte ihn. Die beiden Männer gingen auf das Grün und beendeten das Spiel. Auf dem Rückweg zum Clubhaus ließen sie die Caddies vorgehen. Als Palmer sicher war, dass sie außer Hörweite waren, wandte er sich an den Vizepräsidenten.

»Alles ist bereit. Wenn Corrigan nächste Woche in Atlanta seine Rede hält, kann es losgehen.«

»Sind Sie sicher, dass nichts schiefgehen wird?«

»Nichts ist jemals sicher. Aber eine bessere Chance werden wir nie bekommen.«

»Was, wenn sie es zu uns zurückverfolgen?«

»Sagen Sie mir nicht, dass Sie in diesem Stadium des Spiels kalte Füße bekommen, Ethan. Das wird auf keinen Fall zu uns zurückverfolgt werden. Entspannen Sie sich einfach. In einer weiteren Woche sind Sie Präsident.«

»Was ist mit dem Schützen?«

»Er wird niemandem etwas verraten. Er wird bei dem Versuch, sich zu verstecken, erwischt und getötet werden. Der eigentliche Schütze wird dann schon lange weg sein. Das ist nicht das erste Mal, dass wir so etwas machen.«

»Davon will ich nichts wissen.«

»Nein, das wollen Sie nicht.«

»Wilson drüben im Hoover-Gebäude wird keinen Ärger machen. Aber was ist mit Hood?«

»Langley wird viel zu tun haben. Der Mann, den sie als Schütze identifizieren, wird sich als russischer Einwanderer herausstellen. Hood wird buchstäblich einem Ablenkungsmanöver hinterherlaufen. Er wird damit beschäftigt sein, herauszufinden, ob Moskau hinter dem Attentat steckt. Die Presse wird es gierig aufgreifen. Sie können davon ausgehen, dass Ihre erste Woche im Amt von einer diplomatischen Krise mit der Föderation geprägt sein wird. Bis dahin sollten Sie lieber noch etwas Schlaf nachholen.«

Reynolds lachte. »Das ist das Letzte, worüber ich mir Sorgen mache.«

Palmer klopfte dem Vizepräsidenten auf die Schulter. »Das ist die richtige Einstellung.«

Die beiden Männer machten sich auf den Weg zum Clubhaus. Während sie gingen, blickte Palmer in den klaren, blauen Himmel.

Das Leben ist schön, dachte er.

Ja, es war ein schöner Tag in der Hauptstadt des Landes.

 

Kapitel 7

 

Nick und Selena wurden am Flughafen von Elizabeths Kontaktperson bei der DGSE, dem französischen Pendant der CIA, abgeholt. Paul Bernard sah nicht wie ein Spion aus, aber das galt für die meisten Spione. Denn das war das ganze Geheimnis der Spionage: Wenn man wie ein Spion aussah, war man nicht besonders gut im Spionieren.

Bernard war ein paar Zentimeter kleiner als Nick. Sein Haar war hellbraun, oben schütter und gerade nach hinten gekämmt. Es war schwer zu sagen, welche Farbe seine Augen hatten, vielleicht haselnussbraun, vielleicht dunkelbraun. Seine Ohren lagen eng an seinem Kopf an, seine Augenbrauen waren fast nicht vorhanden. Seine Nase war klein und schien in seinem Gesicht zu verschwinden, wenn man ihn ansah. Seine Lippen waren weder dünn noch dick. Er trug eine unförmige graue Anzugjacke und eine schwarze Hose. Zwei Minuten, nachdem er ihm begegnet war, fiel es Nick bereits schwer, sich zu erinnern, wie er aussah.

»Willkommen in Frankreich«, sagte Bernard. Sein Englisch war präzise. Sie gaben sich die Hand.

»Ich habe ein Auto, das auf mich wartet. Haben Sie Gepäck dabei?«

»Nein«, antwortete Selena. »Wir fliegen heute Abend zurück.«

»Ohne Paris zu sehen?«

»Wir waren beide schon einmal hier, Monsieur Bernard.«

»Ja«, sagte Bernard, »ich weiß. Ihre Akten sind eine interessante Lektüre.«

»Das nehme ich als Kompliment«, sagte Nick.

Bernard gestikulierte mit seiner Hand. »Wenn Sie mir bitte folgen würden?«

Er führte sie zum Eingang des Terminals, wo ein grauer Citroen-Geländewagen mit Fahrer auf sie wartete. Bernard betrachtete Selenas schwangere Gestalt.

»Möchten Sie vielleicht vorne sitzen?«

»Nein, das ist in Ordnung. Ich werde hinten bei Nick sitzen.«

»Wie Sie wollen.«

Bernard hielt eine der Türen für Selena auf. Nick stieg auf der anderen Seite ein. Der französische Agent griff in seine Jacke und nahm zwei Plastikkärtchen mit Klammern heraus, mit der Aufschrift VISITEUR in großen blauen Buchstaben.

»Heften Sie sich die bitte an. Sie werden sie brauchen, wenn wir ankommen.«

Der Hauptsitz der DGSE befand sich im 20. Arrondissement, am rechten Ufer der Seine. Es war ein großes weißes Bürogebäude in Form eines quadratischen U. Sie hielten an einer Sicherheitskontrolle an, wiesen sich aus und fuhren in eine Tiefgarage. Der Fahrer ließ sie an einem Aufzug aussteigen. Während der ganzen Fahrt hatte er kein Wort gesagt. Nick sah zu, wie er wegfuhr.

»Er ist sehr gesprächig, nicht wahr?«, sagte Nick zu Bernard.

»Pardon?«

»Ihr Fahrer. Er redet nicht viel.«

Ein Zucken von Bernards Lippen hätte ein Lächeln sein können. »Es ist nicht seine Aufgabe, zu reden.«

Sie warteten auf den Aufzug.

»Wieso Ihr Interesse an diesem Koffer, wenn ich fragen darf? Wir haben bereits eine Bestandsaufnahme und Fotos an Ihre CIA geschickt.«

»Der Russe, Kolkow«, begann Selena.

»Ja?«

»Er war eine gelegentliche Informationsquelle für Langley. Ich bin sicher, Sie waren sehr gründlich. Es ist nur eine Formalität. Wir wurden gebeten, eine Untersuchung vor Ort vorzunehmen.«

»Ah, eine Informationsquelle. Das haben wir vermutet. Aber Sie sind nicht von der CIA. Warum sind Sie hier, und nicht einer von Hoods Leuten?«

Nick hielt den Mund.

»Es ist ein Gefallen«, antwortete Selena.

»Ein Gefallen?«

»Ja. Das ist eine Sache zwischen unserer Direktorin Harker und DCI Hood.«

»Ah«, sagte Bernard wieder. »Nun, es ist ein weiter Weg, um sich die Unterwäsche von jemandem anzusehen.«

Die Fahrstuhltür öffnete sich. Sie stiegen ein und fuhren hinauf in den fünften Stock. Ein langer, glänzender Korridor führte von dem Aufzug weg, gesäumt von geschlossenen Türen auf beiden Seiten. Die einzigen Geräusche waren ihre Schritte in dem leeren Flur, aber Nick konnte spüren, dass hinter diesen Türen eine Menge los war.

Etwa auf halber Strecke des Korridors hielt Bernard inne, zog eine Schlüsselkarte hervor und schob sie durch einen Scanner. Das Schloss leuchtete grün auf, und er stieß die Tür auf. Sie traten in ein Büro, das auf den von Bäumen gesäumten Boulevard vor dem Gebäude hinausblickte.

Kolkows Koffer lag geöffnet auf einem Tisch in der Mitte des Raumes. Der Inhalt war in ordentlichen Reihen auf dem Tisch ausgebreitet worden. Nick bemerkte eine Sicherheitskamera in der Ecke des Raumes, die sie beobachtete.

»Wir dachten, es wäre einfacher für Sie, alles zu prüfen, wenn wir es für Sie ausbreiten.«

Nachdem du dich vergewissert hast, dass es nichts mehr zu finden gibt, dachte Nick.

»Ist das alles?«, fragte Selena.

»Aber natürlich. Ich lasse Sie hier, damit Sie seine Sachen untersuchen können. Lassen Sie sich Zeit. Ich bin gleich wieder da.«

Bernard lächelte und verließ den Raum. Die Tür klappte hinter ihm zu.

»Nett von ihnen, alles für uns herauszunehmen«, sagte Nick.

Er drehte sich mit dem Rücken zur Kamera und sah Selena mit erhobener Augenbraue an.

Das Zimmer ist verwanzt, murmelte er.

»Ja«, sagte Selena. »Lass uns anfangen zu suchen, aber es sieht nicht sehr vielversprechend aus.«

Kolkows Habseligkeiten verrieten ihnen viel über ihn. Weniger das, was da war, sondern vielmehr das, was fehlte. In der Kleidung befand sich nichts von besonders hohem Wert. Ein paar Unterhosen, ein paar Socken, T-Shirts, einige Toilettenartikel, eine CD mit klassischer Musik in einer Hülle, ein tragbarer CD-Player mit Kopfhörern, zwei Freizeithemden, ein weißes Hemd, ein Paar Hausschuhe, eine schwarze Hose und ein dünner Bademantel.

»Nicht viel, um zu zeigen, wer er war«, sagte Nick.

»Es ist ungefähr das, was man erwarten würde«, sagte Selena. »Der Mann war nur ein Bürokrat der mittleren Ebene.«

»Alles ist brauchbar, aber nichts sticht heraus.«

Selena nahm den CD-Player und die CD in die Hand.

»Die sieht man nicht mehr oft. Mittlerweile hört jeder mit seinem Handy Musik.« Sie sah sich die Scheibe an. »Er mochte klassische Musik. Das ist eine Aufnahme von Tschaikowskis Schwanensee. Das ist eines meiner Lieblingsstücke.«

Sie steckte die Kopfhörer ein, setzte sie auf, legte die CD ein und schaltete den Player ein. Als die Einleitung begann, summte sie mit.

In einem anderen Raum am Ende des Flurs beobachteten Bernard und ein weiterer Mann Nick und Selena auf einem Monitor.

»Was glauben Sie, wonach sie suchen?«

Bernard zuckte mit den Schultern. »Ihre Vermutung ist so gut wie meine.«

»Sie müssen glauben, dass etwas im Gepäck versteckt ist. Warum sollten sie zwei wichtige Agenten herschicken, wenn es nichts zu finden gibt?«

»Ein russischer Bürokrat wird ermordet. Er ist ein Informant für die CIA. Vielleicht hat er etwas mitgenommen, vielleicht in seinem Gepäck versteckt. Es sind Amerikaner. Ein sehr naives und arrogantes Volk, selbst ihre Spione. Sie würden von unserer Inkompetenz ausgehen. Ich glaube, sie mussten sich einfach selbst davon überzeugen.«

Nick begann, das Handgepäck zu untersuchen. Die Leute waren schon lange dafür bekannt, dass sie Dinge im Futter von Koffern versteckten. Die Techniker der DGSE hatten das Innenfutter sorgfältig aufgeschlitzt, sodass man das Innere leicht untersuchen konnte. Die Nähte waren geöffnet und das Innere überprüft worden. Der kleine Koffer war nicht mehr zu viel zu gebrauchen.

Es gab nichts zu finden.

Er drehte sich wieder zu Selena um. Sie schaute aus dem Fenster, das Gesicht von der Kamera abgewandt, und hörte sich die Aufnahme an. Sie hatte einen merkwürdigen Ausdruck im Gesicht. Sie stoppte die Wiedergabe und nahm die Kopfhörer aus ihren Ohren.

»Hast du deine musikalische Pause genossen?«, fragte Nick. Er war müde und gereizt. Das sah man ihm an.

»Ich hatte nicht erwartet, Schwanensee hier zu finden.« Sie hielt den Player hoch. »Es ist keine sehr gute Aufnahme. Es braucht mehr als Begeisterung, um Tschaikowsky zu spielen.«

Sie drehte sich um und stellte den CD-Player auf den Tisch.