Die letzten Paradiese - Manfred Schmidt - E-Book

Die letzten Paradiese E-Book

Manfred Schmidt

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Beschreibung

Laubenpieper gärtnern mitten in der Stadt Berlin. In keiner vergleichbaren Stadt gibt es diese kleinen Gärten mit dieser Mischung aus Weltstadt und Provinz. Wer sind diese Menschen, die wie besessen in der Erde wühlen oder alles naturbelassen wachsen lassen? Ich gehöre seit über 45 Jahren zu dieser Art Spezies und bewirtschafte in einer Kleingartenanlage einen Garten. Ich kenne die Gartenfreunde mit ihren Macken, ihren Träume und Wünschen. Ich habe sie mit liebevollen-scharfen Blick beobachtet, zugehört und darüber diese Geschichten geschrieben. Manfred Schmidt

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Gratias tibi ago

Dietmar R.

Vorwort

‚Laubenpieper‘ gärtnern mitten in der Stadt Berlin. In keiner vergleichbaren Stadt gibt es diese kleinen Gärten mit dieser Mischung aus Weltstadt und Provinz. Wer sind diese Menschen, die wie besessen in der Erde wühlen oder alles naturbelassen wachsen lassen? Ich gehöre seit über 45 Jahren zu dieser Art Spezies und bewirtschafte in einer Kleingartenanlage einen Garten. Ich kenne die Gartenfreunde mit ihren Macken, ihren Träumen und Wünschen. Ich habe sie mit liebevoll-scharfem Blick beobachtet und darüber diese Geschichten geschrieben.-

>In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne< sagt der Poet. Tod im Paradies, Liebe, Lust und Leidenschaft. Diese sinnlichen Verführer werfen ihre Netze aus. Der laue Abendwind zaubert leise eine Melodie auf einem hölzernen Windspiel unter dem Torbogen. Der wohltemperierte Wein mundet köstlich. Der Zeremonienmeister für diese Stimmung will noch eins draufsetzen und lässt ein liebestolles Grillenmännchen mit seinen Flügeln rappeln.

Meine Seele baumelt sich lang. Entspannt lehne ich mich zurück und schließe die Augen. Ich bin allein hier in einem Kleingarten der Kolonie ‚Goldähren‘. So, als wäre es an der Zeit, dieser Glückseligkeit noch ein I- Tüpfelchen zu verpassen. Zeitgleich dieser optische und akustische Angriff auf die Sinne. Spuren der Erinnerung, fotografisch gespeichert, dieses Spiel kenne ich doch. Das Objekt der Begierde spielt das allseits bekannte Spiel von Lust und Leidenschaft. Wer ist der Verführer, wer der Verführte? Wer ist Sieger, wer Verlierer? Mein Adrenalin-Spiegel sendet Alarmsignale. Ich bin ein Mann, ein gestandenes Mannsbild, und stelle mich der Herausforderung. Ich kenne diese Situation und habe oft erleben müssen, dass es ein tragisches Ende nahm. Es wird immer einen Verlierer geben. Das macht mich einerseits traurig, doch andererseits habe ich dieses Spiel nicht begonnen. Sie nähert sich verführerisch, streckt ihre langen Beine nach vorn. Ein Anblick, bei dem mir heiß und kalt wird. Ihr schlanker Körper windet sich geschmeidig. Diese Zartheit, diese grazilen, perfekten Bewegungsabläufe fordern meine Bewunderung. Ich oute mich als gefügiges Opfer und lasse sie nicht mehr aus den Augen. Zielstrebig nähert sie sich mit einer leisen Melodie. Ich spüre meine Erregtheit, meine Pulsfrequenz steigert sich analog zum Adrenalin-Programm. Dann berührt sie mich. So sanft, so leichtfüßig, wie sie es nur kann. Es ist jetzt still geworden, keine Melodie begleitet diesen so wichtigen Moment unserer Gemeinsamkeit. Der Genuss der Berührung, der Vereinigung unserer Körper, bildet den Einstieg zur Apokalypse des Untergangs. Die Klaviatur der Grausamkeit geschieht nicht in Zeitlupe, im Gegenteil. Im Mini-Sekundentakt, nach einem Schema, einem genauen Plan, läuft ein einstudiertes Programm ab. Die Tragik des Schicksals liegt in dem Umstand, dass es für das plötzliche Ende keine kitschige, sentimentale Sterbehilfe gibt. Der Countdown läuft bereits. Im Rausch der Sinne, am Ziel ihrer Träume, schließt sie die Augen. Sie genießt die berauschende Zweisamkeit. Sie schmiegt sich an meine warme, weiche Haut und ist glücklich, mir so nah zu sein. Im Augenblick dieses Höhepunktes verdunkelt sich der Horizont. Ein scharfer Luftzug zerrt an ihrem Körper. Dann wird es still und alles ist vorbei. Der Sekundentod einer ‚Diptera-Nemtocera‘, ein zweiflügeliges Stechinsekt, auch genannt Mücke, hat der Sekundentod ereilt. Auf meinem Arm ein kleiner Blutfleck und ein winziges Etwas, ein zermalmter Körper, es juckt ein wenig. Es wird ein ‚Nachjucker‘ für die nächsten Tage.

Tags darauf: „Was machst du da“? tönt ein Stimmchen am Gartenzaun zum Nachbargrundstück. Es ist die kleine Martha, gerade erst fünf Jahre alt geworden. „Wie du siehst, liege ich ganz entspannt im Liegestuhl und genieße die Stille“. „Wer bist du“? „Ich bin ein Nachbar von Bernd und Brigitte. Die Beiden machen gerade Urlaub in Amerika. Eigentlich sollte ihr Neffe Mario die Gartenpflege übernehmen. Leider ist er verhindert und nun kümmere ich mich in dieser Zeit um diesen Garten. Sie haben mir auch von dir erzählt“. „Wie heißt du“? „Ich heiße Heinz“ „Wo ist Amerika“? „Weit weg, am schnellsten kommt man mit dem Flugzeug nach Amerika“. „Hast du Kinder“? „Nein“ „Warum nicht“? „Ich bin nicht verheiratet“. „Mein Papa und meine Mama sind auch nicht verheiratet. Mein Papa ist viel unterwegs. Hast du eine Freundin“? „Ja, sie lebt in Amerika, sie kommt mich aber bald wieder besuchen“. „Warum hast du keinen Garten“? „Ein Garten macht viel Arbeit, ich weiß nicht, ob ich die Zeit dafür habe“. „Kommst du morgen wieder“? „Ich glaube schon“. „Tschüss“ „Tschüss, Martha“.

Inhaltsverzeichnis

Die Kastanienklause wird ‚Zum Dudelsack‘

Hecke schneiden nur an Blatt-Tagen

Russische Rennmäuse

Schneckenalarm

Enzo der Pilzzüchter

Poesie des Augenblicks

Wahre Liebe kennt kein Hindernis

Goldgräberstimmung

Loretta das Luder

Die Schlaumeier

Die Jahreshauptversammlung

Die Prosecco-Frauen

Oben ohne und Sexy Wäsche für Landfrauen

Ohne Handy geht gar nichts

Auf Nachtstreife

Notbeatmung

Aus Kindertagen

Das Sommerfest

Feng Shui im Garten

Deutsch-Amerikanisches Volksfest Tempelhof

Opa Hannes hat Geburtstag

‚Deislers‘ Fußballhose

Sodom und Gomorrha

Ein Mäusefreier Garten

Handgreiflichkeiten

Der Frauen-Versteher

Alles Öko oder was

Lustigmacher- Kekse

Ich werde ein richtiger Laubenpieper

Rückenprobleme

Rundumversorgung

Biker aus Michigan

Erotik für Senioren per Internet

Wer hat den größten Kürbis

Veganer grillen auch

Der 100. Geburtstag

Die Kastanienklause wird „Zum Dudelsack“

Vier Wochen Urlaub liegen vor mir. Es sind die ersten schönen warmen Frühlingstage. Ich habe die Beete gepflegt, Unkraut gezupft und am Abend den ersten Muskelkater seit langer Zeit. Der große Forsythien-Strauch am Gartentor beginnt zu blühen. Mit der Gießkanne habe ich einen Gartenzwerg, der sich unter dem Strauch versteckt hat, einen Arm abgeschlagen. Ich werde ihn morgen wieder ankleben. Hoffentlich gelingt mir das. Das Wetter bleibt schön, ich sitze unter der großen Kastanie in der ‚Kastanienklause‘, dem Vereinshaus der Kolonie ‚Goldähren‘. Renate, die Pächterin, wird von allen ‚Nateken‘ genannt, und alle duzen sich hier. Es dauert nicht lange und Peter setzt sich zu mir an den Tisch. Er bewirtschaftet schon viele Jahre eine ‚Goldähre‘-Scholle. Wir begegneten uns schon öfter und jeder hatte immer einen frechen Spruch auf den Lippen.

Nach dem zweiten Bier erzählt mir Peter, wie vor einem Jahr eine Woche lang die Vereinsgaststätte einen anderen Namen trug. „An einem Mittwoch im Juli“, erzählt er, „ein heftiges Gewitter tobte sich mit allem, was dazu gehört, über dem Kleingartengelände aus. Nateken saß allein in ihrer ‚Kastanienklause‘. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein völlig durchnässter Kerl in sehr abgetragener Restkleidung suchte Schutz. >Er sprach nicht unsere Sprache<, erzählte Nateken. In Nateken wuchs das Mutter-Theresa-Syndrom, sie päppelte ihn wieder auf. Dadurch, dass sich Nateken gleich in der ersten Nacht als Wärmflasche zu dem smarten Jüngling legte, machte die Erholung gute Fortschritte. Sie nannte ihr ‚Fundstück‘ Mac. Bestimmt ein Schotte, das glaubte sie aus den ‚Seemann-Tattoos‘ auf beiden Armen zu lesen. Mac, ein rauer ‚Seemann‘ mit tätowierter Brust und strammen Muskeln, hier in unserer Kleingartenanlage, ein Novum der besonderen Art. Ihr Mac fand auch Gefallen an der reifen Nateken die mit ihren 38 Jahren älter war als Mac. Nateken schwebte nun auf Wolke Sieben. Ein großes Schild mit den Buchstaben ‚Zum Dudelsack‘ hing eines Morgens im strahlenden Sonnenschein über dem Eingang zur ‚Kastanienklause‘. Die ‚Goldähre-Laubenpieper‘ rieben sich erstaunt die Augen. Der Vorstand nahm Nateken in´s Gebet >so geht das nicht<. Die ‚Goldähre‘-Skatgruppe boykottierte den Skatabend am Freitag. Nur Törnsen, der ‚Wasserwart‘, schlurfte missgelaunt zu später Stunde in den ‚Goldähre‘- Dudelsack. Mit Freibier und sechs doppelstöckigen Klaren lockerte Nateken sein Sprachzentrum und gewann ihn als williges Medium. Nateken überlegte lange und genau. Die Buschtrommel arbeitete leise und zielgenau mit Erfolg. Am nächsten Samstagabend, die Männer sahen sich zu Hause das Sportprogramm an, herrschte reges Treiben im ‚Goldähre‘-Dudelsack. Sogar die hörbehinderte Oma Buttgereit im Rollstuhl wurde in den Gastraum geschoben. Die Landfrauen standen im Alkohol-Vernichten ihren Männern kaum nach, zumal es ja Freibier gab. Nateken ließ sich nicht lumpen und spendierte ausgiebig den >Klaren< aus großen Gläsern. Ihr Mac hatte auch schon heftig ‚einen im Tee‘. Beinahe wäre er kopfüber die kleine Bühne hinunter gepurzelt. Das lag nicht an der baulichen Substanz, eher daran, dass Mac als Hobby-Stripper noch absoluter Newcomer war. Elf alkoholbenebelte Landfrauen klatschten sich die Finger heiß, damit Mac seine Intim-Tätowierungen an´s Licht zerre. Mitten auf dem Zenit dieser wilden Orgie ging das Licht aus. Opa Rasmussen aus der verwilderten, heruntergekommenen Parzelle schräg gegenüber, hatte hinter der Gardine gelauert und wollte diesem ‚Sodom und Gomorrha‘ ein Ende bereiten. Geschickt hatte er im Strom-Verteilerkasten die Hauptsicherung gelockert. Die Folgen waren fatal und müßig, im Detail zu beschreiben. Erwähnt werden sollte aber, dass die aufgeputschte Frauen-Clique sich zu einer Polonaise mit der Oma Buttgereit gesammelt hatte, um dem halbentblößten Mac in den großen Garten zu folgen. Das Areal in und um den ‚Goldähre‘- Dudelsack wurde zwei Stunden später zum >No-Areal-Gebiet< von der Polizei erklärt. Drei Leichtverletzte konnten ambulant behandelt werden. Opa Rasmussen hatte es heftig erwischt, das hatte er sich aber selbst in seiner elektrizitätslosen dunklen Laube angetan. Mac wurde von der Polizei mitgenommen und Nateken erfuhr, dass ihr Schotte kein Schotte war, sondern ein gesuchter Kleinganove aus Eberswalde und dass sie erst einmal auf seine Dienste verzichten müsse. Das ‚Dudelsack‘-Schild verschwand in der Mülltonne und es kehrte wieder die übliche Langeweile in der ‚Goldähre‘-Kastanien-Klause ein.-

„ Guten Tag, Herr Gartennachbar“, tönt eine scharfe weibliche Zunge von der Nachbarparzelle links. „Bist du der Gärtner, der jetzt drei Monate den Garten von Brigitte und Bernd pflegt“? Ich fahre erschreckt hoch, „ein Gärtner bin ich nicht und ich weiß nur von drei Wochen Urlaub“! Lange Pause. „Sicher hat dir Brigitte und Bernd gesagt, du sollst rechtzeitig die Kartoffeln anhäufeln. Warum tust du das nicht“? Ich wurde vor dieser Helma gewarnt, >bleib cool und mach was sie sagt, dann hast du Ruhe<, sagte mir Brigitte bei der Gartenschlüsselübergabe. Diese Helma weckt sofort ein Bild auf meiner Festplatte von meiner Klassenlehrerin Frl. Diehn aus den fünfziger Jahren. Fehlt nur noch das Bestrafungslineal in ihrer Hand. Damals sagte man zu unverheirateten Frauen immer Fräulein, egal wie alt sie waren. Helmas Blick bohrt Löcher. Meine Redeblockade löst sich schubweise. „Das mit den Kartoffeln krieg ich schon hin“, kommt es mir mutig über die Lippen! „Dass die Beiden aber drei Monate in den Staaten bleiben, finde ich verdammt unfair. Es war immer nur von drei Wochen die Rede“. „Haste wohl nicht richtig hingehört“, sagt Helma. Bevor sie sich vom Gartenzaun entfernt, hebt sie drohend den Zeigefinger, „und vergiss nicht, die Hecke zu schneiden. Unser Kurt, der erste Vorsitzender, hat ein besonderes Auge auf solche Amateur- Gartengestalter wie dich geworfen. Ach ja, bevor du anfängst zu schnippeln, sieh genau nach, ob da nicht ein Vogel in der Hecke brütet. Deswegen hat es schon mächtigen Ärger gegeben“. Helma winkt mich näher heran, “Ganz im Vertrauen sage ich dir jetzt was! Der Rotzlöffel von der Parzelle 81, der Enzo, hat nur Blödsinn im Kopf. Bei neuen Unterpächtern platziert er gern mal Vogelnester in die Hecken. Nur so aus Spaß, verstehst du“? „Und wo liegt das Problem“? frage ich Helma nun deutlich verärgert. „Brütet da was, darfst du nicht die Hecke schneiden, Vogelschutz, verstehst du? Schneidest du nicht, hast du Erklärungsbedarf. Jeder Kolonie-Clown spricht dich dann an, damit du endlich die Hecke schneidest“.

Heckenschnitt nur an Blatt-Tagen

Helmas Aufforderung, die Hecke nicht zu vergessen, hatte sich wie ein böser Stachel tief in mein Gedächtnis gebohrt. Meine allgemeine Wohlfühlstimmung sackte mit jeder Stunde immer tiefer.

So sieht also ein Gartenleben aus. Zwei Tage später werde ich Zeuge, wie das Heckenschneide-Virus brutal über die ‚Goldähren‘-Kleingärtner herfällt. Einer fängt an, dann geht es ratz-fatz. Jeder Heckenbesitzer beginnt, seine Hecke zu bearbeiten. Als Spaziergänger getarnt schreite ich mit wachem Blick die Koloniewege ab, um die variantenreichen Schnitt-Techniken zu studieren.

Ich sehe Hecken, die wie mit dem Lineal akkurat zugeschnitten wurden. Hecken, die trapezförmig nach oben weit ausladend in den Weg hineinragen. Oben abgerundet, unten schmal, oder auch umgekehrt. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Als ich glaube, reif für diese Art der künstlerischen Gestaltung zu sein, will ich loslegen. Siedend heiß fällt mir noch rechtzeitig Helmas Mahnung ein, >überzeuge dich, dass kein Vogel in der Hecke brütet<. Und richtig, ich werde fündig, ein Vogelnest befindet sich in der vierzig Meter langen Hecke. >Na warte, du Rotzlöffel, mit mir nicht<, posaunt mein Ego in Siegerlaune. Mit dem Korpus Delikti in der Tasche trabe ich zur Parzelle 81. In das leere Nest habe ich aus strategischen Gründen einen ‚Merci-Riegel‘ drapiert. Als Deeskalations-Obolus, falls es brutal oder laut werden sollte. Der Rotzlöffel sei erst am Wochenende wieder auf der Parzelle, erfahre ich vom Vater Heinz.

Am Samstag kommt es zum großen Show-down. Ich stelle den Rotzlöffel zur Rede. Enzo streitet beharrlich alles ab. „Früher waren das Kinder-Späße von mir, jetzt bin ich aus diesem Alter heraus“. Ich gebe auf und futtere den Deeskalations- Riegel selber. Ergo habe ich einem Vogelpaar das Nest unter den ‚Federn‘ weggenommen. Ich muss es ja keinem sagen. Am nächsten Tag beginne ich mit dem Heckenschnitt. Fünf Meter habe ich schon geschafft. „Hecken schneidet man an Blatt-Tagen, heute ist kein Blatt-Tag“! Vor mir hat sich Karl aufgebaut. Er hat den Spitznamen ‚Karl der Käfer‘. Sein Markenzeichen ist ein riesiger Kugelbauch, den zwei kurze Beine tragen müssen. „Was meinst du mit ‚kein Blatt-Tag“? „Nach dem Mondkalender schneidet man die Hecke bei abnehmendem Mond. Die Sträucher verlieren dann nicht so viel Substanz. Sie bluten nicht so viel“! „Wann ist denn wieder so ein Blatt-Tag“? „In neun Tagen“! Er dreht ab und murmelt noch, „alles Amateure, diese Hobby-Gärtner. Hören was von ‚Urban Gardening‘ und meinen, sie seien ein Gärtner von Prinz Charles“. Den neunten Tag habe ich total versemmelt. Am elften Tag ‚säge‘ ich die Hecke tiefer. Dann muss sie halt bluten, denke ich verärgert. Helma schluckt, macht Fotos und ein Selfie von der Hecke mit mir. „Für mein Spaßalbum“, säuselt sie hämisch. „Männer, Männer“ und dreht grinsend ab.

Am Abend muss ich meinen Frust bei ‚Nateken‘ mit einem Bier betäuben. Ich treffe auf Enzos Vater. Dass der Enzo nicht mehr die Nummer mit den Vogelnestern abzieht, glaube ich ihm. „Für mich ist mein Enzo der erste ‚Start-Up‘- Unternehmer vor Ort“, sagt Vater Heinz stolz. „Zum zwölften Geburtstag, vor zwei Jahren, wünschte sich Enzo „Meriones ungauiculatius“, mongolische Rennmäuse“, erzählt er. „Wir hatten Enzo´s Wunsch erfüllt, aber nicht weiter nachgefragt, was er mit diesen Renn-Mäusen anfangen will“. Enzo studierte das Verhalten der acht gleichgeschlechtlichen „Krieger mit Krallen“ im großen Terrarium. Nach drei Wochen intensiven Studiums war Premiere. Zwölf Kids wurden zur Wettparty eingeladen. Enzo hatte eine achtspurige Rennpiste gebastelt, geschickt präpariert und nahm die Wetteinsätze in Empfang. Am Ende gab es immer Sieger und Verlierer, wie im richtigen Leben. Enzo verstand es, geschickt die Ergebnisse nach seinen Vorstellungen zu manipulieren. Mal wurde der Vier-Stunden-Wachrhythmus der Tiere gezielt eingesetzt, die Krallen bei einem Tier besonders kurz geschnitten, oder die Laufbahn unter der dünnen Sandschicht präpariert. Intensiver Handseifenduft förderte Höchstleistungen und immer den richtigen auf das Siegertreppchen. Enzo´s Sparbuchkonto wuchs beängstigend. Eines Tages bat der Vater von Sven, eines der gebeutelten Opfer, den Vater von Enzo zu einem vertraulichen Gespräch. Die beiden Väter meinten, die Rennmaus-Wetten seien ein verbotenes ‚Glücksspiel‘ von strafunmündigen Kids und sollten nicht mehr stattfinden. So kam es auch. Enzo verhökerte die Rennmäuse im Internet. Gegen ein Aufgeld verkaufte er seine Insider-Tipps. Das ist jetzt fast zwei Jahre her. Enzo war ein pfiffiges Kerlchen und suchte sich eine neue Herausforderung. Die Eltern von seinem Freund Malte hatten keinen Kleingarten, dafür aber einen Tee-und Kräuterstand auf dem Wochenmarkt. Enzo fand schnell Gefallen an den Kräutern und surfte tagelang im Internet. Er wurde fündig und hatte einen Plan. Er half seinem Freund Malte am Stand seiner Eltern. Malte und Enzo zeigten sich sehr interessiert und staunten über die Vielfalt und Wirkung der Tees und Kräuter. Keiner ahnte, was die beiden wirklich vorhatten. Helma hatte mich vor ihm gewarnt. Ich hatte es verdrängt, vergessen, nun ist es passiert.

Eine Tomatenliebe geht zu Ende

Ich puzzle gerade das Grünzeug vor der Hecke am Hauptweg weg, da steht er vor mir. Edwin, manche sagen auch ‚Fischkopp‘ zu ihm. Er ist schon lange Pensionär und leidet unter krankhaftem Kontrollzwang. Er gilt als harter Hund, Kompromisse geht er nicht ein. Wenn jemand in der Mittagszeit den Rasensprenger anstellt, dröhnt seine Stimme warnend durch die Kolonie. Wasserverschwender, Umweltrowdy. Ganz schlimm wird es, wenn er mit seinem Gartennachbarn, dem ‚Humpel-Kumpel‘ unterwegs ist. Der war schon immer so, sagen die, die ihn schon lange kennen. Jeder neue Gartenfreund muss sich die Geschichte von seinem Großvater anhören. Er wiederholt sie auf Wunsch gern jedem, der es hören will. Sein Großvater aus Ostpreußen starb an der ‚Haff-Krankheit‘. Diese, so sagte er, trat erstmal 1924 bei vielen Menschen in Ostpreußen am „Frischen Haff“ auf, daher der Name. Krankheitsursache war stets der Genuss von Fischen, die in einem harten Winter lange unter einer Eisdecke lebten. Als Edwin als Kind diese Geschichte hörte, weigerte er sich, Fisch zu essen. Er verzichtet auch heute noch kategorisch auf Fischprodukte. Vor drei Jahren, erzählt Edwin, wäre er beinahe elendig krepiert. Seine Nachbarin, die Rosi, hatte immer die größten und schmackhaftesten Tomaten im Garten. Wenn sie reif waren, beglückte sie Edwin gern mit diesen tollen Früchten. Es war eine glückliche ‚Tomatenliebe’ zwischen ihnen. An einem Freitag brach für Edwin eine Welt zusammen. Er traute seinen Augen nicht, was er da sehen musste. Seine Tomaten-Rosi vergrub gerade Fischköpfe rings um die Tomatenpflanzen. Edwin rang nach Luft und dann nach Worten. Rosi erklärte unbekümmert, dass Fischköpfe für Tomaten einen hervorragenden Dünger abgeben. Als Rosi erzählte, dass sie das schon immer so mache, drehte sich Edwin angewidert weg und musste sich übergeben. Seitdem sprechen sie kaum noch miteinander.

Früher war alles besser. Die Sommer länger, die Luft sauberer und Kleingärtner waren noch richtige Kleingärtner, erklärt mir Edwin. Da wurde noch richtig im Garten gegärtnert. Es wurde nur Essbares im Garten angebaut und jeder zeigte stolz den großen Kürbis, die Super-Gurken und jeder hatte natürlich auch die größten Kartoffeln. Heute ist der Verein, seiner Meinung nach, zu einer ‚Gurkentruppe‘ mutiert, nach dem Motto: nur naturbelassener Wildwuchs ist ehrliche Natur. Für Edwin sind diese Gartenfreunde die reinsten Kulturbanausen und Öko-Fuzzis, denen man keinen Kleingarten anvertrauen sollte. Wer von den Öko-Amateuren weiß schon, dass das Erbgut der Gurke als siebente Pflanze entschlüsselt wurde und dass die Zuckermelone auch zur Gattung der Gurken gehört.

Wenn dem Edwin ein Schnäpschen über den Gartenzaun angeboten wird, macht er auch Weltpolitik und weiß alles, was uns noch blüht. >Früher gab es noch richtige Politiker, heute nur noch Amateure. So wie unsere ‚Goldähren‘ -Öko-Fuzzis. Und wenn wir gefeiert haben, dann wurde geschwoft bis zum Abwinken mit Keilerei und Tanzvergnügen<.

Schneckenalarm

Ein heftiges Gewitter tobte mächtig am schwarzen Himmel. Ich überlebte dieses Szenario in dem kleinen Häuschen von Bernd und Brigitte, bis die Sonne sich hinter den nun heller werdenden Wolken hervortraute. Die Natur atmete tief durch, die Erde sog gierig das lebensnotwendige Wasser auf. Ich war nicht allein im Garten. Große, kleine braune, graue, schleimige ‚Schleimkriecher‘ waren auf Beutezug. Schon als Kind habe ich mich vor diesen Schleimern geekelt. Was tun, wohin mit diesen ‚Schleimmonstern‘? Handlungsbedarf war erforderlich. Was einen Kleingarten von der freien Natur unterscheidet, ist auch die Tatsache, dass der Mensch nun in den natürlichen Kreislauf eingreift. Selten, um zu überleben, meist aus Profitgründen, weil er keine Mitesser duldet.

Wie entledige ich mich dieser kleinen Monster? Ich kenne Witze über die humane Art der Schneckenentsorgung. Die einfachste Art ist die Weitwurftechnik hinüber in den Nachbargarten. Mindestens 20 Meter weit, die Biester finden sonst den Weg zurück. Gib deinem Affen Zucker, spendiere deinen Schnecken einen Freiflug, tönt ein verstecktes Stimmchen in meiner Brust. Ich ertappe mich wie ich einen Kontroll-Rundblick zu den Nachbargärten absolviere. Halt, die Fairness siegt! Das willst du doch gar nicht, oder? Ich suche mir ein großes Glas und sammle die Schleimer ein. Morgen werde ich die ‚Goldähren‘-Profis fragen, wie sie dieses Problem managen. Zum Schluss will ich mir einen Spaß gönnen und eine fette Schnecke rüber in den Nachbargarten werfen. Ich gebe ihr noch den guten Rat mit auf den Weg, sich ja nicht hier wieder blicken zu lassen. Ihr Flug endet sehr schnell im tiefhängenden Ast des Apfelbaumes gleich neben mir. Ein Stimmchen in mir flüstert, >nicht mal das kannst du richtig<!

Am nächsten Tag bekomme ich sagenhafte Tipps zur Schneckenentsorgung. Vor Ort zerteilen (durchschneiden) wird sehr oft genannt. Alle Gartenfreunde, die ich befrage, geben bereitwillig Auskunft. Oft wird ein Mittel gestreut, das als ‚Fraßhemmer‘ wirken soll. Die Schnecken ziehen sich zurück und sterben nach einigen Tagen. Ein anderes Mittel schädigt die Schleimhäute der Schnecken. Die ausschleimenden Schnecken liegen dann verstreut im Garten herum. Ein Mittel schockiert mich ganz besonders. Es verwendet ein Nervengift mit hoher Toxizität. Wer Haustiere hat, sollte im Garten solche Mittel nicht verwenden. Ich bin überrascht, dass all diese Mittel frei verkäuflich sind. Da kommt mir dieser Lauser, der die Schnecken per Flugreise zum Nachbarn befördert, eher wie ein Robin Hood vor. Ich werde mal Helma fragen, was sie mir empfiehlt.

Enzo der Pilzzüchter

In der ‚Kastanienklause‘ baggert mich Herbert an. Schnorrer-Herbie hat eine verdammt wichtige Story auf der Pfanne. „Du musst mir helfen, ich werde bedroht“, jammert er in gekonnter Schnorrer-Manier. Nach dem zweiten Bier kommt er endlich zur Sache. „Der Enzo hat sich vier Strohballen für eine Pilzzucht anliefern lassen. Einen Strohballen hat er provozierend auf der Veranda vor dem Laubeneingang positioniert. Hier, ich zeige dir Fotos. Aber wo sind die anderen drei“? „Wie funktioniert das mit der Pilzzucht“, frage ich Herbie? „Du nimmst einen Strohballen – idealerweise Weizenstroh – und weichst ihn ca. 48 Stunden lang ein. Nach den ersten 24 Stunden musst du das Wasser wechseln. Danach den Ballen einen Tag abtropfen lassen. Aus den geimpften Ballen kommen dann irgendwann die Pilze. So einfach ist das! Aber jetzt kommt der nächste dicke Hund“, flüstert mir Schnorrer-Herbie ins Ohr. „der Enzo ist ein ausgekochter Dealer, verstehst du? Lass mal noch ein Bierchen rüberwachsen und du fällst aus den Socken. Der Enzo verhökert mit seinem Freund Malte Tees. Maltes Eltern haben auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus einen Stand. Ihr Garten ist mit vielen verschiedenen Tee-Pflanzen bestückt. Auf dem Markt bieten die Jungunternehmer dort nicht die üblichen 08/15-Beutel-Mischungen zum Kauf an. Sie haben etwas