Die Liebe der Anne Elliot - Das Buch zu der Netflix Verfilmung "Überredung"! - Jane Austen - E-Book
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Die Liebe der Anne Elliot - Das Buch zu der Netflix Verfilmung "Überredung"! E-Book

Jane Austen.

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Beschreibung

Das Buch zu der Netflix Verfilmung "Überredung"!

Acht Jahren sind vergangen, seit Anne Elliot auf Anraten ihres Vaters den Heiratsantrag des jungen Heisssporns Frederick Wentworth ausschlug und sich für ein ruhiges Leben auf dem Familiengut entschied. Doch fad schmeckt der Alltag in den Kreisen des Landadels, der in leerem Standesdünkel verharrt. Als sie dem inzwischen gereiften Frederick überraschend wiederbegegnet, bahnt sich eine zarte Romanze an.

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Über das Buch

Acht Jahren sind vergangen, seit Anne Elliot auf Anraten ihres Vaters den Heiratsantrag des jungen Heisssporns Frederick Wentworth ausschlug und sich für ein ruhiges Leben auf dem Familiengut entschied. Doch fad schmeckt der Alltag in den Kreisen des Landadels, der in leerem Standesdünkel verharrt. Als sie dem inzwischen gereiften Frederick überraschend wiederbegegnet, bahnt sich eine zarte Romanze an.

Über Jane Austen

Jane Austen wurde 1775 in Steventon (Hampshire) als Tochter eines Landpfarrers geboren. Sie gilt als die herausragendste Vertreterin des englischen Gesellschaftsromans. Mit ihrem ersten großen Werk Sense and Sensibility (1811) wandte sie sich gegen die zeitgenössische empfindsame Literatur, statt dessen schilderte sie das alltägliche, scheinbar ausgeglichene Leben des Bürgertums sowie des niederen Adels. Weitere wichtige Werke von Jane Austen: Stolz und Vorurteil (1813, Dt. 1948), Emma (1818, dt. 1961) und Mansfield Park (1814, Dt. 1968).Jane Austen starb 1817 im Alter von einundvierzig Jahren an Tuberkulose. Erst nach ihrem Tod wurde sie als Schriftstellerin anerkannt.

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Jane Austen

Die Liebe der Anne Elliot

Aus dem Englischen übertragen und mit einem Nachwort von Gisela Reichel

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Fünfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Siebzehntes Kapitel

Achtzehntes Kapitel

Neunzehntes Kapitel

Zwanzigstes Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel

Nachwort

Impressum

Erstes Kapitel

Sir Walter Elliot, der Schloßherr zu Kellynch in Somersetshire, brauchte zu seiner Unterhaltung nie ein anderes Buch als den Adelskalender. Diese Lektüre bot ihm Beschäftigung für seine Mußestunden und Trost in Zeiten der Not; sie erweckte ihn zu nachdenklicher Bewunderung und Ehrfurcht vor den wenigen, die noch dem ältesten Adel entstammten; sie verwandelte jedes unangenehme Gefühl, das seine eigenen Familienangelegenheiten hervorriefen, in Mitleid und Verachtung, sobald er die nahezu endlosen Adelsverleihungen des letzten Jahrhunderts überflog; und falls wirklich einmal keine andere Seite auf ihn zu wirken vermochte, so konnte er doch seine eigene Geschichte mit stets gleich bleibender Aufmerksamkeit lesen. Jedesmal wurde in dem Lieblingsbuch folgende Seite aufgeschlagen:

ELLIOT VON KELLYNCH HALL

Walter Elliot, geboren 1. März 1760, vermählte sich am 15. Juli 1784 mit Elisabeth, Tochter des James Stevenson, Esq. von South Park in der Grafschaft Gloucester. Elisabeth starb im Jahre 1800.

Kinder dieser Ehe:

Elisabeth, geboren 1. Juni 1785

Anne, geboren 9. August 1787

ein Sohn, totgeboren 5. November 1789,

Mary, geboren 20. November 1791

So hatte der Abschnitt ursprünglich gedruckt ausgesehen. Sir Walter hatte ihn jedoch vervollständigt, indem er zur Belehrung für sich und seine Familie gewissenhaft Tag und Monat eintrug, an dem er seine Frau verloren hatte, und indem er hinter Marys Geburtsdatum einfügte: »… vermählte sich am 16. Dezember 1810 mit Charles, dem Sohn und Erben von Charles Musgrove, Esq. von Uppercross in der Grafschaft Somerset.«

Darauf folgten die üblichen Angaben über Geschichte und Aufstieg der alten, angesehenen Familie. Sie war ursprünglich in Cheshire ansässig, und im Dugdale steht, daß sie das Amt des Obersheriffs versah, dreimal hintereinander ins Parlament gewählt wurde und daß Karl II. ihre königstreue Gesinnung gleich im ersten Jahre seiner Regierung mit der Baronetswürde belohnte; dazu führte Dugdale noch all die Marys und Elisabeths an, die in die Familie heirateten. Das Ganze füllte zwei zierliche Duodezseiten, die abschlossen mit dem Wappen und der Bemerkung: »Stammsitz: Kellynch Hall in der Grafschaft Somerset.«

Darunter fand sich noch einmal Sir Walters Handschrift: »Präsumtiver Erbe: William Walter Elliot, Esq., Urenkel des zweiten Sir Walter.«

Eitelkeit war Sir Walter Elliots einzige Charaktereigenschaft: er war stolz auf sein Aussehen und stolz auf seine gesellschaftliche Stellung. In seiner Jugend war er bemerkenswert hübsch gewesen, und auch mit vierundfünfzig war er immer noch eine sehr ansehnliche Erscheinung. Kaum eine Frau machte sich mehr Gedanken um ihr Äußeres, und der Kammerdiener irgendeines neugebackenen Lords hätte sich nicht mehr auf seine gesellschaftliche Stellung einbilden können. Adelswürde und Schönheit betrachtete Sir Walter Elliot als die höchsten Gaben, und da er diese beiden in seiner Person vereinigte, so war er sich selber dauernd der Gegenstand höchster Bewunderung und Verehrung.

In einer Beziehung durfte Sir Walter wirklich stolz auf diese Gaben sein, ihnen verdankte er nämlich die Gattin, die ihn in ihrem Charakter weit übertroffen hatte. Lady Elliot war eine treffliche, verständige, liebenswürdige Frau gewesen, der man in ihrem Leben nichts weiter nachzusehen brauchte als eben die jugendliche Verblendung, die sie zur Lady Elliot gemacht hatte. Siebzehn Jahre lang hatte sie das Ansehen ihres Gatten gefördert, indem sie seine Launen entweder ertrug oder besänftigte oder verheimlichte. Und obgleich sie nicht gerade das glücklichste Geschöpf der Welt gewesen war, so hatte sie doch in ihren Pflichten, ihrem Freundeskreis und ihren Kindern den Sinn ihres Lebens gefunden, und es war ihr nicht leicht gefallen, sich von den Ihren zu trennen, als sie heimgerufen wurde. Auf der Mutter lag es wie eine schwere Last, ihre drei Töchter, von denen die beiden ältesten erst sechzehn und vierzehn Jahre alt waren, verlassen zu müssen, sie der Erziehung und Obhut eines eitlen, törichten Vaters anzuvertrauen. Sie besaß jedoch eine sehr gute Freundin, die ein feinfühliger, edler Mensch war und die sich aus lauter Zuneigung zu ihr in ihrer Nähe, im Dorf Kellynch, niedergelassen hatte. Auf den wohlwollenden Rat dieser Freundin baute Lady Elliot in erster Linie und erhoffte sich von ihm die beste Stütze für all die guten Lehren, die sie ihren Töchtern zu erteilen sich bemüht hatte.

Diese Freundin und Sir Walter heirateten einander nicht, mochten ihre beiderseitigen Bekannten es auch erwartet haben. Als seit dem Tode von Lady Elliot schon dreizehn Jahre vergangen waren, verkehrten die beiden immer noch als gute Nachbarn und Freunde miteinander, aber im übrigen blieb jeder für sich.

Daß Lady Russell, die gesetzten Alters und Charakters und außerdem sehr gut versorgt war, nicht an eine zweite Ehe dachte, bedarf keiner Rechtfertigung vor den Leuten, die sich in ihrem Unverstand sowieso eher mißfällig über eine Frau äußern, wenn sie wieder heiratet, als wenn sie Witwe bleibt. Aber daß Sir Walter allein blieb, bedarf der Erklärung. Es muß also gesagt werden, daß er, nachdem er bei einigen höchst unvernünftigen Werbungen im stillen seine Enttäuschungen erlebt hatte, sich damit tröstete, als guter Vater um seiner lieben Töchter willen unverheiratet zu bleiben. Für die eine Tochter, die älteste, hätte er wirklich auf alles verzichtet, doch wurde er hierin kaum auf die Probe gestellt. ›Elisabeth hatte mit sechzehn Jahren die Stelle und die Rechte ihrer Mutter eingenommen, soweit dies überhaupt möglich war. Sehr hübsch und ihrem Vater sehr ähnlich, hatte sie immer großen Einfluß auf ihn gehabt, und die beiden waren recht gut miteinander ausgekommen. Seine zwei anderen Töchter schätzte Sir Walter viel weniger. Es schien nur so, als ob Mary ein bißchen mehr Bedeutung für ihn gewonnen hätte, indem sie Mrs. Charles Musgrove geworden war; Anne jedoch, die wegen ihrer vornehmen Gesinnung und ihres freundlichen Wesens von jedem wirklich verständnisvollen Menschen sicher hochgeschätzt worden wäre, galt bei Vater und Schwester nichts. Ihr Wort hatte kein Gewicht; sie mußte sich immer fügen und nachgeben; sie war eben nur Anne.

Für Lady Russell allerdings war sie das am meisten geliebte und geschätzte Patenkind und die beste Freundin. Lady Russell liebte alle drei Töchter ihrer verstorbenen Freundin, aber nur in Anne vermochte sie Lady Elliot wieder leibhaftig vor sich zu sehen.

Noch vor einigen Jahren war Anne Elliot ein sehr hübsches Mädchen gewesen, doch sie hatte ihr blühendes jugendliches Aussehen bald verloren. Da sie mit ihren feinen Gesichtszügen und ihren sanften dunklen Augen ihrem Vater durchaus nicht ähnelte, hatte dieser nie viel an ihr zu bewundern gefunden und konnte sich jetzt, da sie blaß und schmal geworden war, erst recht nicht für sie begeistern. Die schwache Hoffnung, ihren Namen je auf irgendeiner anderen Seite seines Lieblingsbuches zu lesen, hatte er ganz verloren. Elisabeth war die einzige, die es zu einer standesgemäßen Verbindung bringen konnte; denn Mary hatte nur einen Landjunker geheiratet, dessen Familie zwar alteingesessen und angesehen und sehr vermögend war, dem aber durch diese Ehe auch alle Ehre zugefallen war, die Mary zu vergeben hatte. Also mußte sich Elisabeth eines Tages angemessen vermählen.

Manchmal ist eine Frau mit neunundzwanzig Jahren hübscher als mit neunzehn, wie sie überhaupt in diesen Jahren kaum etwas von ihren Reizen verliert, wenn sie nicht krank wird oder Kummer hat. Elisabeth war die ganzen dreizehn Jahre hindurch dieselbe hübsche Miss Elliot geblieben. So mochte es mindestens bis zu einem gewissen Grade verzeihlich sein, wenn Sir Walter ihr Alter vergaß und sich einbildete, er und Elisabeth genössen ewige Jugend, während alle anderen aus seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft älter wurden und ihr gutes Aussehen verloren. Denn schon seit langem ärgerte er sich darüber, daß Anne so hager und Mary so plump wurde und sich die Krähenfüße an Lady Russells Schläfen immer deutlicher ausprägten.

Elisabeth war nicht ganz so selbstzufrieden wie ihr Vater. Schon dreizehn Jahre lang leitete sie den Haushalt von Kellynch Hall und hatte ihre Anordnungen immer mit solcher Entschiedenheit und Sicherheit erteilt, daß keinem je der Gedanke gekommen war, sie wäre zu jung. Seit dreizehn Jahren war sie die Dame des Hauses, die daheim den Ton angab, die als erste zum Wagen schritt, wenn man ausfuhr, und die überall, wo man Besuche machte, unmittelbar hinter Lady Russell erschien. Dreizehn Winter hindurch hatte sie jeden Ball eröffnet, der sich im engen Kreis ihrer Nachbarschaft bot, und dreizehnmal war sie im Frühjahr mit ihrem Vater nach London gefahren, um einige Wochen lang die große Welt zu genießen. Wenn sie das alles überdachte und sich ins Bewußtsein rief, daß sie neunundzwanzig war, dann kamen ihr Befürchtungen. Zwar war sie vollkommen überzeugt davon, daß sie noch genauso hübsch war wie eh und je, doch sie fühlte, daß sie sich den gefährlichen Jahren näherte, und sie wäre froh gewesen, wenn sie die Gewißheit gehabt hätte, daß innerhalb der nächsten ein oder zwei Jahre ein Mann adligen Geblüts um sie werben würde. Dann hätte sie das Buch der Bücher wieder mit derselben Freude zur Hand nehmen können wie in ihrer frühesten Jugend. Jetzt aber verabscheute sie es. Denn es hielt ihr immer nur ihr Geburtsdatum vor und zeigte kein anderes Hochzeitsdatum als das ihrer jüngsten Schwester. Und wenn ihr Vater das Buch in ihrer Nähe aufgeschlagen auf dem Tisch liegengelassen hatte, so hatte sie es schon mehr als einmal abgewandten Blickes zugeklappt und weggeschoben.

Das Buch hatte ihr überdies eine Enttäuschung bereitet, und zwar ausgerechnet mit der Geschichte ihrer eigenen Familie, mit dem präsumtiven Erben, eben jenem William Walter, Esq., dessen Rechte ihr Vater so edelmütig vertreten hatte.

Sie hatte ihn schon als ganz kleines Mädchen heiraten wollen, nachdem sie kaum erfahren hatte, daß er der künftige Baronet sein würde, falls sie keinen Bruder bekäme, und ihr Vater war immer derselben Meinung gewesen. In seiner Kindheit hatte die Familie den Erben nicht kennengelernt; aber bald nach dem Tode von Lady Elliot hatte Sir Walter seine Bekanntschaft gesucht und sich auch nicht dadurch abstoßen lassen, daß er wenig Gegenliebe fand, sondern dies als bescheidene Zurückhaltung der Jugend entschuldigt. Und als Elisabeth jugendlich aufzublühen begann, wurde während eines Frühjahrsaufenthalts in London die Begegnung mit Mr. Elliot erzwungen.

Er war damals noch ein sehr junger Mann, der eben das Studium der Rechte aufgenommen hatte. Elisabeth fand ihn äußerst liebenswürdig, und damit erhielten alle Pläne, die zu seinen Gunsten geschmiedet worden waren, ihre Bestätigung. Man lud ihn nach Kellynch Hall ein, man sprach von ihm und erwartete ihn das ganze Jahr hindurch. Aber er kam nicht. Im folgenden Frühjahr traf man ihn wieder in der Stadt, fand ihn ebenso liebenswürdig, ermutigte ihn abermals, lud ihn ein und erwartete ihn. Doch er kam wieder nicht. Und als nächstes traf die Nachricht ein, daß er geheiratet hatte. Anstatt sein Glück dort zu suchen, wo es ihm als dem Erben des Hauses Elliot vorgezeichnet war, hatte er sich sein Auskommen gesichert, indem er sich mit einer reichen Frau niederen Standes vermählte.

Dies nahm Sir Walter übel auf. Seiner Meinung nach hätte er als Oberhaupt der Familie gefragt werden müssen, zumal nachdem er sich so öffentlich zu dem jungen Mann bekannt hatte; denn er war bestimmt mit ihm zusammen gesehen worden, und zwar in den Räumen von Tattersall einmal und zweimal in der Vorhalle des Unterhauses. Er sprach seine Mißbilligung über die Ehe aus, was aber allem Anschein nach kaum beachtet wurde. Mr. Elliot dachte nicht daran, sich zu entschuldigen, und machte sich kaum Sorgen darum, ob die Familie ihn weiterhin beachtete; Sir Walter aber fand ihn dessen unwert; und so war jegliche Verbindung abgerissen.

Noch nach Jahren konnte sich Elisabeth nur voller Zorn an diese mißliche Geschichte mit Mr. Elliot erinnern. Sie hatte ihn nicht nur um seiner selbst willen geliebt, sondern vor allem deshalb, weil er ihres Vaters Erbe war und weil ihr ausgeprägter Familienstolz in keinem andern als in ihm den passenden Ehegatten für Sir Walter Elliots älteste Tochter zu erblicken vermochte. In dem ganzen Buch fand sich von A bis Z kein Baronet, den ihre Gefühle so bereitwillig als ihresgleichen anerkannt hätten. Dennoch hielt sie ihn jetzt, im Sommer 1814, da sie um seiner Frau willen den Trauerflor trug, nicht für würdig, daß sie ihre Gedanken ein zweites Mal auf ihn gerichtet hätte. Er hatte sich zu ungehörig betragen. Über die Schande seiner ersten Ehe hätte man sich vielleicht hinwegsetzen können, zumal diese Ehe, soviel man wußte, kinderlos geblieben war. Aber er hatte sich noch schwerer vergangen. Wie es in solchen Fällen üblich ist, hatten sich gute Freunde eingemischt und der Familie hinterbracht, was für abfällige Äußerungen er über alle gemacht hatte, wie verächtlich er über seine eigene Sippe dachte und wie wenig er die Ehren schätzte, die ihm dereinst zufallen sollten. Dies alles konnte man nicht vergeben.

Solche Gefühle und Gedanken also beschäftigten und erregten Elisabeth Elliot und brachten Abwechslung in die Eintönigkeit und Nichtigkeit ihres vornehmen, glücklichen Lebens, das in seinem stets gleichbleibenden ländlichen Kreis keine besonderen Ereignisse bot und dessen Leere nicht durch nützliche Tätigkeit ausgefüllt wurde, weil man dies weder gelernt hatte, noch gewohnt war.

Jetzt aber trat eine neue Beunruhigung hinzu. Der Vater geriet in Geldschwierigkeiten. Wenn er jetzt den Adelskalender zur Hand nahm, so wußte Elisabeth, daß er es deshalb tat, um nicht an die lästigen Rechnungen der Geschäftsleute und an die unwillkommenen Andeutungen seines Verwalters Mr. Shepherd denken zu müssen. Kellynch war zwar ein schönes Anwesen, warf aber doch nicht genügend ab, um die Ausgaben zu decken, die Sir Walter als Schloßherr für notwendig hielt. Solange Lady Elliot lebte, hatten Mäßigkeit und Sparsamkeit geherrscht und Sir Walter in den Grenzen seines Einkommens gehalten; aber diese Gesinnung war mit Lady Elliot gestorben, und von da an hatte Sir Walter beständig über seine Verhältnisse gelebt. Er hatte keine Möglichkeit gesehen, zu sparen; er hatte immer nur das getan, wozu er sich als Sir Walter unweigerlich gedrungen fühlte; er betrachtete sich selbst als untadelig, aber er verstrickte sich immer tiefer in Schulden und bekam dies so oft zu hören, daß er schließlich den vergeblichen Versuch aufgab, es noch länger oder doch wenigstens teilweise vor seiner Tochter zu verbergen. Während des letzten Frühjahrs in der Stadt hatte er ihr einige Andeutungen gemacht und sie sogar gefragt, ob man irgendwie sparen könnte, ob es ihr möglich erschiene, daß die Familie sich in irgendeiner Beziehung Einschränkungen auferlegte. Und Elisabeth – soviel muß man ihr lassen – hatte sich auf den heftigen Schrecken hin ernstliche Gedanken gemacht, was man tun könnte, und hatte schließlich die beiden Sparmaßnahmen vorgeschlagen, daß man erstens einige unnötige Spenden nicht mehr gab und zweitens auf neue Salonmöbel verzichtete; dazu kam ihr später noch der glückliche Gedanke, Anne diesmal kein Geschenk mitzubringen, wie es sonst jedes Jahr üblich gewesen war. Aber mochten diese Maßnahmen an sich auch gut sein, so waren sie doch unzulänglich. Und Sir Walter fühlte sich wenig später gezwungen, seiner Tochter einzugestehen, wie groß das Übel in Wirklichkeit war. Elisabeth aber wußte keine durchgreifenderen Maßnahmen vorzuschlagen. Genauso wie ihr Vater fühlte sie sich unglücklich über die ihr widerfahrene schlechte Behandlung, und keiner von beiden vermochte einen Weg zu finden, wie sie ihre Ausgaben hätten verringern können, ohne sich etwas von ihrer Würde zu vergeben oder in unerträglicher Weise auf eine Bequemlichkeit verzichten zu müssen.

Sir Walter konnte nur über einen kleinen Teil seines Grundstücks verfügen; aber seine Einstellung wäre auch dann nicht anders gewesen, wenn er über alles hätte verfügen können. Er hatte sich bereit gefunden, das Grundstück soweit wie möglich mit Hypotheken zu belasten, aber er würde sich niemals dazu herablassen, etwas zu verkaufen. Nein, mit dieser Schmach würde er seinen Namen nicht beflecken. Das Besitztum Kellynch sollte so vollständig und ungeteilt weitervererbt werden, wie er es erhalten hatte.

Um sich Rat zu holen, besuchten Vater und Tochter die beiden Freunde, denen sie vertrauten: Mr. Shepherd, der im benachbarten Marktstädtchen wohnte, und Lady Russell. Vielleicht könnte einer von diesen beiden etwas ausfindig machen, was ihren Schwierigkeiten abhalf, ohne ihre Gefühle und ihr Ansehen zu verletzen.

Zweites Kapitel

Mr. Shepherd war ein höflicher, vorsichtiger Rechtsanwalt, der wohl Einfluß und ein eigenes Urteil über Sir Walter besitzen mochte, dem es aber lieber war, wenn der unangenehme Vorschlag von jemand andrem gemacht wurde. Also enthielt er sich jeglicher Äußerung und erlaubte sich nur eine Empfehlung und Weiterleitung an Lady Russell, die ja ein ganz ausgezeichnetes Urteilsvermögen besitze und die sicher genau die strengen Maßnahmen vorschlagen werde, die Mr. Shepherd durchgeführt zu sehen wünschte.

Lady Russell unterzog die Angelegenheit der eifrigsten, ernsthaftesten Erwägung. Da aber zwei wichtige Grundsätze einander widerstritten, fiel es ihr gar nicht leicht, zu einem Entschluß zu gelangen. Einerseits war sie ein Mensch von strenger Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit; sie war wohlwollend, mildtätig, gütig und zu wahrer Liebe fähig; ihr Benehmen war gänzlich tadellos, und ihre Lebensweise galt als Musterbeispiel guter Erziehung; sie verfügte über einen gebildeten Geist und dachte im Grunde genommen vernünftig und folgerichtig. Andrerseits aber hatte sie Vorurteile in bezug auf die Herkunft der Menschen; sie schätzte Rang und Stand so hoch ein, daß sie die Fehler von Standespersonen leicht übersah. Ihr Mann hatte zwar nur die Würde eines Ritters bekleidet, doch eben deshalb erwies sie dem Baronet alle ihm zustehende Ehre und war der Auffassung, daß Sir Walter schon seines Standes wegen in der jetzigen Notlage allen Anspruch auf ihr tiefstes Mitgefühl und die größte Rücksichtnahme hatte, ganz abgesehen davon, daß er ihr guter alter Bekannter, ihr freundlicher, gefälliger Nachbar und Grundherr, der Gatte ihrer besten Freundin und der Vater von Anne und deren Schwestern war.

Daß die Familie sich einschränken mußte, stand außer Zweifel. Doch Lady Russell war sehr ernstlich darauf bedacht, daß Sir Walter und Elisabeth nicht allzusehr darunter leiden sollten. Sie stellte genaue Berechnungen auf und entwarf Pläne für Einsparungen, und sie tat etwas, woran sonst niemand dachte: sie fragte Anne um Rat, von der die andern anscheinend annahmen, daß die Sache sie nicht berührte. Ja, Lady Russell ließ sich sogar bis zu einem gewissen Grade von Anne beeinflussen, während sie den Plan ausarbeitete, der schließlich Sir Walter vorgelegt wurde.

»Wenn wir deinen Vater zu all dem überreden könnten«, sagte Lady Russell, indem sie ihre Aufzeichnungen überblickte, »dann wäre viel erreicht. Wenn er diese Vorschläge annimmt, ist er in sieben Jahren schuldenfrei. Hoffentlich gelingt es uns, ihn und Elisabeth davon zu überzeugen, daß der Wert von Kellynch Hall durch diese Einschränkungen nicht gemindert wird und daß Sir Walter Elliot in den Augen verständiger Leute nichts von seiner wahren Würde einbüßen wird, wenn er als Mann von Grundsätzen handelt. Tut er denn etwas andres, als was viele unserer vornehmsten Familien getan haben oder tun sollten? Nein, es geschieht nichts Außergewöhnliches. Und oft ist es doch gerade das Außergewöhnliche, worunter wir am meisten leiden, so wie es auch unserm Benehmen immer am meisten schadet. Ich habe große Hoffnung, daß wir unsern Standpunkt durchsetzen werden. Wir müssen entschlossen darauf beharren; denn es ist schließlich doch so, daß der, der Schulden gemacht hat, sie auch bezahlen muß. Und wenn man auch auf die Gefühle eines Gentleman und eines Familienoberhauptes, wie es dein Vater ist, sehr viel Rücksicht nehmen muß, so muß man doch noch viel mehr darauf bedacht sein, den guten Ruf eines Menschen zu wahren.«

Anne wünschte, daß ihr Vater nach diesem Grundsatz verführe und daß seine Freunde ihn dazu drängen sollten. Sie hielt es für eine unerläßliche Pflicht, die Ansprüche der Gläubiger mit Hilfe strengster Einsparungen so schnell wie nur irgend möglich zu befriedigen. Jedes andere Verhalten hielt sie für würdelos. Sie wünschte, daß ihrem Vater diese Pflicht vor Augen geführt und daß er sie anerkennen würde.

Sie schätzte Lady Russells Einfluß auf ihren Vater sehr hoch ein, und was den strengen Verzicht anbetraf, den ihr Gewissen forderte, so war sie der Meinung, daß sich ihr Vater und Elisabeth gewiß schwer dazu bringen lassen würden, daß es aber kaum einen Unterschied machen würde, ob man sie zu einer völligen oder nur zu einer halben Veränderung zu überreden versuchte. Soweit Anne die beiden kannte, neigte sie zu der Ansicht, daß ihnen der Verzicht auf ein Paar Pferde kaum weniger schmerzlich wäre als der Verzicht auf beide Paare. So ging sie die ganze Liste von Lady Russells Einsparungen durch, die ihr zu gering erschienen.

Es ist belanglos, wie Annes strenge Forderungen aufgenommen worden wären; denn schon Lady Russell hatte mit ihren Vorschlägen nicht den geringsten Erfolg. Sie waren unannehmbar und unerträglich.

»Was! Alle Freuden des Lebens sollen mir genommen werden? Reisen, London, Pferde, Tischgesellschaften überall Abstriche und Einschränkungen! Ich soll nicht einmal mehr so leben können, wie es sich für jeden gewöhnlichen Menschen schickt? Nein, lieber würde ich sofort aus Schloß Kellynch ausziehen als unter solchen entwürdigenden Bedingungen weiter darin wohnen.«

»Aus Schloß Kellynch ausziehen!« Diese Bemerkung wurde sofort von Mr. Shepherd aufgegriffen, für den es auch von Vorteil war, wenn Sir Walter sich wirklich einschränkte, und für den völlig feststand, daß dies ohne Änderung des Wohnsitzes nicht zu erreichen war.

»Da der Gedanke eben von demjenigen selbst ausgesprochen worden ist, der zu entscheiden hat«, sagte Mr. Shepherd, »so trage ich keine Bedenken, zuzugeben, daß ich völlig derselben Ansicht bin. Ich glaube nicht, daß Sir Walter in einem Hause, dessen altes Ansehen und dessen gastlicher Ruf doch gewahrt werden müßten, seine Lebensweise wesentlich ändern könnte. An jedem anderen Ort könnte er nach seinem Gutdünken verfahren, und man würde seine Lebensweise als Beispiel achten, ganz gleich, wie er seinen Haushalt einzurichten gedenkt.«

Sir Walter plante also, Schloß Kellynch zu verlassen. Und schon nach wenigen Tagen voller Zweifel und Unentschlossenheit war die schwerwiegende Frage entschieden, wohin er sich wenden sollte, und die ersten Anzeichen der bedeutsamen Veränderung ließen sich erkennen.

Dreierlei hatte zur Wahl gestanden: London, Bath oder ein anderes Haus in der eigenen Nachbarschaft. Anne hatte sehnlichst das letzte gewünscht, um weiterhin Lady Russells Gesellschaft genießen, in Marys Nähe sein und ab und zu durch die Wiesen und Wälder von Kellynch streifen zu können. Aber auch diesmal entging sie ihrem Schicksal nicht, das ihr gerade das Gegenteil von dem bot, worauf sie ihren Sinn gerichtet hatte. Sie liebte Bath gar nicht und glaubte nicht, daß es ihr zusagen würde; Bath aber sollte ihre Heimat werden.

Sir Walter hatte zuerst mehr an London gedacht. Aber Mr. Shepherd hatte es ihm aus dem Empfinden heraus, daß ihm in London nicht zu trauen wäre, mit Geschick ausgeredet und Bath den Vorzug gegeben. Bath war der weitaus geeignetere Ort für einen Menschen in Sir Walters Lage, dort konnte er bei verhältnismäßig geringen Ausgaben eine große Rolle spielen. Natürlich hatte Mr. Shepherd mit Nachdruck auf zwei wichtige Vorteile hingewiesen, die Bath vor London bot: es lag nur fünfzig Meilen von Kellynch entfernt, und Lady Russell verbrachte jeden Winter eine Zeitlang dort. Für Lady Russell, die bei dem geplanten Wechsel von Anfang an Bath im Auge gehabt hatte, bedeutete es die größte Genugtuung, als Sir Walter und Elisabeth zu der Überzeugung gebracht wurden, daß sie weder an Ansehen noch an Vergnügungen einbüßten, wenn sie dorthin zögen.

Lady Russell sah sich gezwungen, den ihr bekannten Wünschen ihrer lieben Anne zu widersprechen. Man würde von Sir Walter zu viel verlangen, wenn er sich zu einem kleinen Haus in der eigenen Nachbarschaft herablassen sollte. Anne selbst würde die Demütigung schwerer empfinden, als sie voraussah, und Sir Walter würde ganz schrecklich darunter leiden. Annes Abneigung gegen Bath hielt Lady Russell für ein falsches Vorurteil, das sich dadurch erklärte, daß sie nach dem Tode ihrer Mutter drei Jahre lang dort in der Schule gewesen war und daß sie sich gerade während des einen einzigen Winters, den sie später mit Lady Russell dort verbrachte, nicht in bester Stimmung befunden hatte.

Mit einem Wort, Lady Russell liebte Bath und war durchaus der Meinung, daß es der ganzen Familie zusagen müßte. Auch wegen der Gesundheit ihrer jungen Freundin hatte sie keine Bedenken, denn man konnte jeder Gefahr aus dem Wege gehen, indem Anne die Sommermonate immer bei ihr in Kellynch Lodge verbrachte. Die geplante Veränderung würde Anne bestimmt an Leib und Seele guttun. Anne war zu wenig von zu Hause fortgekommen und hatte zu wenig gesehen. Ihre gedrückte Stimmung würde sich in einer größeren Gesellschaft heben. Lady Russell wünschte, daß Anne mehr unter Menschen kam.

Ein anderes Haus in derselben Gegend war für Sir Walter auch deshalb nicht wünschenswert, weil eine Absicht dagegen sprach, die einen wesentlichen Bestandteil des ganzen Planes ausmachte und die ihm glücklicherweise von Anfang an als unabänderlich dargelegt worden war. Sir Walter mußte sein Haus nicht nur verlassen, sondern es in andere Hände geben. Dies bedeutete eine seelische Anfechtung, die selbst stärkere Charaktere als Sir Walter nicht zu ertragen vermocht hätten. Schloß Kellynch mußte vermietet werden. Das war allerdings ein Geheimnis, das von der Familie streng gehütet werden sollte.

Es wäre eine unerträgliche Demütigung für Sir Walter gewesen, wenn die Leute von ihm gewußt hätten, daß er seinen Stammsitz zu verpachten beabsichtigte. Mr. Shepherd hatte ein einziges Mal das Wort »annoncieren« fallen lassen, hütete sich aber, es ein zweites Mal zu tun. Sir Walter lehnte es ab, das Schloß irgendwie anzubieten, er untersagte es, auch nur die leiseste Andeutung über seine Absicht zu machen. Er würde sein Haus überhaupt nur dann verpachten, wenn ihn ein völlig untadeliger Bewerber aus freien Stücken darum bäte und seine Bedingungen als große Gunst annähme.

Wie schnell findet der Mensch Begründungen, wenn er etwas gutheißen will, was ihm gefällt! Lady Russell war sogleich aus einem anderen wichtigen Grund sehr froh darüber, daß Sir Walter mit seiner Familie aus der Gegend wegzog. Elisabeth hatte vor kurzem eine Freundschaft angeknüpft, von der Lady Russell wünschte, daß sie sich wieder löste. Elisabeth verkehrte mit einer Tochter von Mr. Shepherd, die nach unglücklicher Ehe in ihr Vaterhaus zurückgekehrt war und, damit nicht genug, auch noch zwei Kinder mitgebracht hatte. Sie war eine kluge junge Frau, die wußte, wie man sich beliebt machte, wie man sich zumindest auf Schloß Kellynch beliebt machte. Und sie hatte es verstanden, auf Miss Elliot einen so angenehmen Eindruck zu machen, daß sie schon mehr als einmal bei ihr gewesen war, obgleich Lady Russell, die diese Freundschaft für ganz unpassend hielt, soviel wie nur irgend möglich zu Vorsicht und Zurückhaltung gemahnt hatte.

Lady Russell besaß freilich wenig Einfluß auf Elisabeth, und daß sie Elisabeth liebhatte, war offenbar weit mehr ihrem guten Willen als Elisabeths Verdienst zuzuschreiben. Noch nie war ihr von Elisabeths Seite mehr als bloß äußerliche Höflichkeit zuteil geworden, noch nie eine Gefälligkeit, die über das übliche Maß hinausging; noch nie war es ihr gelungen, irgend etwas durchzusetzen, was gegen Elisabeths vorgefaßte Meinung verstieß. Mehrmals hatte sie sich sehr ernstlich darum bemüht, daß Anne an der Reise nach London teilnehmen sollte; denn sie empfand schmerzlich, wie ungerecht und selbstsüchtig die Regelung war, die Anne von der Reise ausschloß. Auch bei so manchem geringeren Anlaß hatte sie versucht, mit ihrem besseren Urteil und ihrer Erfahrung bestimmend auf Elisabeth einzuwirken. Aber immer vergeblich. Elisabeth zog es vor, ihren eigenen Weg zu gehen, und hatte ihn noch nie in so entschiedenem Widerspruch gegen Lady Russell beschritten wie bei der Wahl von Mrs. Clay. Sie verschmähte die Gesellschaft ihrer so liebenswürdigen Schwester, um ihre Zuneigung und ihr Vertrauen einer Person zu schenken, der sie nur mit zurückhaltender Höflichkeit hätte begegnen sollen.

Nach Lady Russells Urteil war Mrs. Clay ihrer gesellschaftlichen Stellung nach durchaus keine ebenbürtige Bekanntschaft, und ihrem Charakter nach hielt Lady Russell sie für geradezu gefährlich. Deshalb war es eine Angelegenheit von höchster Wichtigkeit, daß Miss Elliot durch einen Wohnungswechsel von Mrs. Clay getrennt wurde und in einen Kreis kam, wo sie sich passendere Freundschaften auswählen konnte.

Drittes Kapitel

»Erlauben Sie mir, bitte, eine Bemerkung, Sir Walter«, begann Mr. Shepherd eines Morgens auf Schloß Kellynch, während er die Zeitung aus der Hand legte. »Die jetzige Lage ist sehr günstig für uns. Der Abschluß dieses Friedensvertrages wird alle unsere reichen Marineoffiziere an Land bringen. Sie alle werden ein Zuhause brauchen. Der Zeitpunkt ist so geeignet wie kein andrer, Sir Walter, um uns eine Auswahl von Pächtern, und zwar sehr zahlungsfähigen Pächtern, zu bieten. Während des Krieges ist so manches große Vermögen zusammengebracht worden. Wenn uns nun ein reicher Admiral begegnete, Sir Walter …«

»Dann könnte er sich sehr glücklich preisen, Shepherd«, erwiderte Sir Walter. »Mehr habe ich nicht dazu zu bemerken. Schloß Kellynch wäre in der Tat ein guter Fang für ihn, es wäre die allergrößte Prise, die er je aufgebrächt hat. Stimmt’s, Shepherd?«

Mr. Shepherd lachte gezwungenermaßen über diesen Witz.

»Ich wage die Bemerkung, Sir Walter, daß mit den Herren von der Marine geschäftlich gut zu verhandeln ist. Ich habe ein bißchen Erfahrung, wie sie sich geschäftlich verhalten, und ich wage, offen zu sagen, daß sie sehr großzügig sind und wahrscheinlich die angenehmsten Pächter abgeben würden, die man sich nur wünschen kann. Deshalb, Sir Walter, möchte ich mir die Freiheit nehmen, folgendes anzuraten. Man muß doch die Möglichkeit ins Auge fassen, daß sich Gerüchte über Ihre Absicht verbreiten; denn es ist bekanntlich sehr schwer, daß einer auf dieser Welt sein Tun und Vorhaben vor der neugierigen Beobachtung durch die andern verbirgt. Und Würde hat ihre Bürde. Ich, John Shepherd, kann meine Familienangelegenheiten verheimlichen, wie es mir beliebt; denn mich zu beobachten hält niemand der Mühe wert. Aber auf Sir Walter sind Blicke gerichtet, denen wahrscheinlich sehr schwer zu entgehen ist. Und daher erlaube ich mir, zu sagen, daß ich nicht allzusehr überrascht wäre, wenn sich trotz all unserer Vorsicht Gerüchte über den Sachverhalt verbreiten würden. Es ist also anzunehmen, daß Anfragen kommen, und dazu wollte ich bemerken, daß meiner Meinung nach jeder unserer wohlhabenden Marineoffiziere besonderer Berücksichtigung wert wäre, und ich gestatte mir hinzuzufügen, daß ich jederzeit binnen zwei Stunden hier sein könnte, um Ihnen die Mühe der Verhandlung abzunehmen.«

Sir Walter nickte nur. Aber kurz darauf erhob er sich, schritt im Zimmer auf und ab und bemerkte bissig:

»Wahrscheinlich geriete fast jeder der Herren von der Marine in einem solchen Hause in Verwirrung.«

»Zweifellos würde er sich alles genau ansehen und feststellen, daß er großes Glück gehabt hat«, sagte Mrs. Clay, die auch zugegen war; denn ihr Vater hatte sie in seinem Wagen mitgebracht, weil eine Fahrt nach Kellynch Hall sich stets außerordentlich günstig auf ihre Gesundheit auswirkte. »Ich stimme vollkommen mit meinem Vater darin überein, daß ein Seemann ein sehr angenehmer Pächter sein könnte. Ich habe ziemlich viele Herren dieses Standes kennengelernt und weiß, daß sie nicht nur großzügig, sondern auch in jeder Weise ordentlich und sorgfältig sind. Wenn Sie etwa Ihre wertvollen Bilder hier lassen wollen, Sir Walter, dann wären diese vollkommen sicher. Alles im und außerm Hause würde in beste Obhut genommen werden. Gärten und Buschwerk würden beinahe ebensogut in Ordnung gehalten werden wie jetzt. Und Sie, Miss Elliot, brauchten sich nicht um Ihre hübschen Blumengärten zu sorgen.«

»Zu dem allem wäre zu sagen«, erwiderte Sir Walter kühl, »daß ich mich noch nicht veranlaßt sehe, mein Haus zu vermieten. Und noch viel weniger habe ich meine Entschlüsse darüber gefaßt, welche Rechte damit verbunden sein sollen. Ich bin nicht sonderlich geneigt, einem Mieter Vergünstigungen einzuräumen. Der Park würde ihm selbstverständlich offenstehen, so daß er sich mit einigen Marineoffizieren oder anderen Leuten von Rang darin ergehen könnte. Aber was für Vorbehalte ich hinsichtlich der Benutzung der Gartenanlagen machen würde, steht auf einem anderen Blatt. Die Vorstellung, daß meine Buschgärten immer zugänglich sein sollen, widerstrebt mir, und Miss Elliot würde ich empfehlen, in bezug auf ihre Blumengärten auf der Hut zu sein. Ich versichere Ihnen, daß ich sehr wenig geneigt bin, einem Mieter von Schloß Kellynch irgendeine besondere Vergünstigung zu gewähren, ganz gleich, ob er nun Soldat oder Seemann ist.«

Nach kurzem Schweigen erkühnte sich Mr. Shepherd zu den Worten:

»In bezug auf all dies bestehen herkömmliche Gewohnheiten, die das Verhältnis zwischen Besitzer und Mieter eindeutig und klar regeln. Ihre Angelegenheit, Sir Walter, ist in durchaus sicheren Händen. Verlassen Sie sich auf mich. Ich werde dafür sorgen, daß kein Mieter mehr als die ihm zustehenden Rechte erhält. Ich wage zu behaupten, daß John Shepherd doppelt so streng über Sir Walter Elliots Besitz wachen wird, als er selber es tun könnte.«

Hier mischte sich Anne ein:

»Meiner Meinung nach haben die Seeleute, die so viel für uns getan haben, genauso wie alle anderen Menschen Anspruch auf alle Bequemlichkeiten und Vorteile, die ein Haus zu bieten vermag. Die Seeleute erkämpfen sich ihr Glück schwer genug. Das müssen wir doch alle zugestehen.«

»Sehr richtig, sehr richtig. Was Miss Anne sagt, ist sehr richtig«, bestätigte Mr. Shepherd.

Und seine Tochter pflichtete ihm bei:

»Oh, gewiß!«

Sir Walter aber bemerkte kurz darauf:

»Die Marine hat zwar ihren Nutzen; aber wenn einer meiner Freunde ihr angehörte, so täte er mir leid.«

»Was Sie nicht sagen!« wurde ihm erwidert, und erstaunte Blicke trafen ihn.

»Ja, die Marine mißfällt mir in zweierlei Hinsicht, aus zwei gewichtigen Gründen habe ich Bedenken gegen sie. Erstens stellt sie das Mittel dar, Personen unbekannter Herkunft zu unangemessener Würde zu erheben und sie zu Ehren zu bringen, von denen sich ihre Väter und Großväter niemals hätten träumen lassen; zweitens raubt sie dem Menschen seine Jugend und Manneskraft auf gräßlichste Weise, der Seemann altert eher als jeder andere Mensch. Das habe ich von jeher beobachtet. Nirgends als in der Marine läuft der Mensch so sehr Gefahr, durch den Aufstieg eines anderen beleidigt zu werden, dessen Vater seinem Vater wahrscheinlich keines Wortes wert gewesen wäre; und nirgends droht ihm so sehr das Schicksal, vorzeitig selbst zum Gegenstand des Abscheus zu werden. Vergangenes Frühjahr in der Stadt begegnete ich eines Tages zwei Männern, die treffende Beispiele für das eben Gesagte abgeben. Ich mußte nämlich Lord St. Ives und einem gewissen Admiral Baldwin Platz machen. Von Lord St. Ives wissen wir alle, daß sein Vater ein bettelarmer Landpfarrer war. Und Admiral Baldwin ist die erbärmlichste Gestalt, die man sich überhaupt vorstellen kann: ein Gesicht so dunkel wie Mahagoni, völlig verwittert und zerfurcht, lauter Runzeln und Falten, spärliches graues Haar an den Seiten und auf dem Scheitel nichts als ein Puderklecks.

›Um Himmels willen! Wer ist dieser alte Kerl?‹ fragte ich einen meiner Freunde, der in der Nähe stand. Es war Sir Basil Morley.

›Dieser alte Kerl!‹ entrüstete sich Sir Basil. ›Das ist Admiral Baldwin. Wie alt schätzen Sie ihn?‹

›Sechzig‹, sagte ich, ›oder vielleicht auch zweiundsechzig.‹

›Vierzig‹, entgegnete Sir Basil, ›genau vierzig.‹

Man male sich mein Entsetzen aus. Ich werde Admiral Baldwin nicht so leicht vergessen. Er ist mir das bejammernswerteste Beispiel dafür, was das Leben zur See anrichten kann. Aber ich weiß, daß es allen andern mehr oder weniger genauso ergeht, sie alle werden so lange herumgestoßen und jedem Klima und Wetter ausgesetzt, bis sie sich nicht mehr sehen lassen können. Es ist bedauerlich, daß man sie nicht totschlägt, bevor sie so alt werden wie Admiral Baldwin.«

»Nein, Sir Walter«, rief Mrs. Clay, »Sie sind wirklich zu hart. Haben Sie ein bißchen Mitleid mit den armen Menschen! Wir sind nicht alle zur Schönheit geboren. Gewiß macht das Meer niemanden schöner, und Seeleute altern frühzeitig. Ich habe oft beobachtet, wie schnell sie ihr jugendliches Aussehen verlieren. Aber geht es den Menschen in anderen, ja vielleicht in den meisten Berufen nicht ebenso? Die Soldaten im aktiven Dienst sind keineswegs besser dran als die Seeleute. Und selbst in den Berufen, die weniger anstrengend sind, gibt es so viel geistige und oft auch körperliche Mühe und Arbeit, daß der Mensch bald älter aussieht, als er in Wirklichkeit ist. Der Rechtsgelehrte wälzt sorgenvoll seine Bücher; der Arzt muß Tag und Nacht bereit sein und bei jedem Wetter ausgehen; und selbst der Pfarrer …« Mrs. Clay hielt einen Augenblick inne und überlegte, was in bezug auf den Pfarrer zu sagen wäre. »Sehen Sie, selbst der Pfarrer ist verpflichtet, Kranke zu besuchen und seine Gesundheit und sein gutes Aussehen all den schädlichen Einflüssen eines Krankenzimmers auszusetzen. Und doch ist jeder Beruf auf seine Art notwendig und ehrenvoll. Aber nur diejenigen, die keinen Beruf auszuüben brauchen, die sich ihr Geld nicht durch Arbeit verdienen müssen, sondern von ihrem Vermögen leben können, die auf dem Land ein geregeltes Leben führen, sich ihre Zeit nach ihrem Belieben einteilen und sich ihren persönlichen Beschäftigungen hingeben können, nur diejenigen, sage ich, haben das Glück, sich ihre Gesundheit und ihr gutes Aussehen auch noch dann erhalten zu können, wenn sie nicht mehr ganz jung sind. Alle anderen büßen bald etwas von ihrer Schönheit ein.«

Allem Anschein nach war Mr. Shepherd von einer Vorahnung erfüllt gewesen, als er sich eifrig bemühte, Sir Walters Gunst für einen Marineoffizier zu gewinnen. Die allererste Anfrage wegen des Hauses kam nämlich von einem gewissen Admiral Croft, den Mr. Shepherd kurz danach kennenlernte, als er der vierteljährlichen Gerichtssitzung in Taunton beiwohnte, und zwar hatte ihn ein Londoner Freund in einem Brief auf den General hingewiesen. Mr. Shepherd beeilte sich, in Kellynch zu berichten, daß Admiral Croft aus der Grafschaft Somerset stamme, daß er ein hübsches Vermögen erworben habe und sich in seiner Heimat niederzulassen wünsche, daß er nach Taunton gekommen wäre, um sich einige in unmittelbarer Nähe angebotene Wohnungen anzusehen, die ihm jedoch nicht zugesagt hätten, daß er zufällig erfahren habe … Hier flocht Mr. Shepherd die Bemerkung ein, wie zutreffend doch seine Voraussage gewesen sei, daß Sir Walters Angelegenheiten nicht verborgen gehalten werden könnten. Admiral Croft habe also zufällig gehört, daß die Möglichkeit bestehe, Schloß Kellynch zu mieten, und nachdem er erfahren habe, in welcher Beziehung Mr. Shepherd zu dem Besitzer stehe, habe er sich mit Mr. Shepherd bekannt gemacht, um sich genauer zu erkundigen, und im Verlaufe einer ziemlich langen Besprechung habe er eine so lebhafte Vorliebe für Kellynch bekundet, wie sie jemand, der den Ort nur durch die Beschreibung kennt, überhaupt empfinden kann, und mit seinem rückhaltlosen Bericht über sich selbst habe er Mr. Shepherd den sicheren Beweis erbracht, daß er ein durchaus zahlungsfähiger, geeigneter Mieter wäre.

»Und wer ist dieser Admiral Croft?« forschte Sir Walter kühl und mißtrauisch.

Mr. Shepherd antwortete, daß er aus guter Familie stamme, und nannte dazu den Ort.

Eine Weile herrschte Schweigen.

Dann fügte Anne hinzu:

»Er ist Konteradmiral des Weißen Geschwaders. Er hat bei Trafalgar mitgekämpft und ist danach in Ostindien gewesen, wo er wohl einige Jahre lang stationiert war.«

»Dann halte ich es für ausgemacht«, bemerkte Sir Walter, »daß sein Gesicht ungefähr so orangengelb aussieht wie die Ärmelaufschläge und Kragen meiner Dienstboten.«

Mr. Shepherd beeilte sich, ihm zu versichern, Admiral Croft sei ein durchaus gesunder, kräftiger Mensch, er sehe gut aus, sei freilich ein bißchen vom Wetter gebräunt, aber doch nicht allzu sehr, und er sei der vollendete Gentleman in seinem ganzen Denken und Verhalten. Beim Abschluß des Mietvertrages sei nicht die geringste Schwierigkeit von ihm zu befürchten, er wünsche sich nur ein behagliches Heim, in das er sobald wie möglich einziehen könne, und er sei bereit, entsprechend zu zahlen, er wisse wohl, wie hoch die Miete für ein vollständig möbliertes Haus dieser Art liege, er wäre nicht überrascht gewesen, wenn Sir Walter mehr verlangt hätte, er habe sich auch nach den Ländereien erkundigt, er würde sich freuen, wenn ihm das Jagdrecht zugestanden würde, wolle aber keinen strittigen Punkt daraus machen, er habe erzählt, daß er manchmal mit dem Gewehr ausgehe, doch ohne je einen Schuß abzugeben. Er sei also in jeder Beziehung der vollendete Gentleman.

Mr. Shepherd bot weiterhin seine Beredsamkeit auf, um die Familienverhältnisse des Admirals zu schildern, die ihn als Mieter besonders angenehm machten. Er sei verheiratet, habe aber keine Kinder. Besser könne man es sich gar nicht wünschen. Wo eine Hausfrau fehle, sei ein Haus niemals in guter Pflege, bemerkte Mr. Shepherd. Er wisse nicht, wo die Möbel in größerer Gefahr seien, beschädigt zu werden, ob in einem frauenlosen Haushalt oder in einem Haushalt mit vielen Kindern. Eine Hausfrau, die keine Kinder hat, lasse den Möbeln die allerbeste Pflege von der Welt angedeihen. Mr. Shepherd hatte Mrs. Croft auch schon kennengelernt, sie hatte den Admiral nach Taunton begleitet und war fast die ganze Zeit bei der Besprechung zugegen gewesen.

»Und sie scheint mir eine sehr redegewandte, gebildete, kluge Frau zu sein«, fuhr Mr. Shepherd fort. »Sie stellte mehr Fragen nach dem Haus und den Bedingungen und den Kosten als der Admiral selbst. Wahrscheinlich hat sie mehr geschäftliche Erfahrungen als er. Überdies, Sir Walter, habe ich festgestellt, daß nicht nur er, sondern auch sie Beziehungen zu unserer Gegend hat. Sie ist nämlich die Schwester eines Gentleman, der einmal hier bei uns wohnte. Das hat sie mir selber erzählt. Sie ist die Schwester eines Gentleman, der vor einigen Jahren in Monkford wohnte. Mein Gott! Wie hieß er nur? Im Augenblick ist mir sein Name entfallen, obgleich ich ihn erst kürzlich gehört habe. Penelope, meine Liebe, kannst du mir zu dem Namen des Gentleman verhelfen, der in Monkford gewohnt hat und Mrs. Crafts Bruder ist?«

Jedoch Mrs. Clay unterhielt sich so angeregt mit Miss Elliot, daß sie die Frage gar nicht hörte.

»Ich habe keine Vorstellung, wen Sie meinen können, Shepherd. Ich kann mich nicht erinnern, daß seit der Zeit des alten Gouverneurs Trent je ein Gentleman in Monkford ansässig gewesen wäre.«

»Mein Gott! Das ist doch zu dumm! Nächstens werde ich noch meinen eigenen Namen vergessen. Der Name ist mir so völlig vertraut, vom Ansehen kannte ich den Gentleman ganz genau, denn ich habe ihn hundertmal gesehen. Ich erinnere mich, daß er einmal zu mir kam, um mich wegen eines Vergehens eines seiner Nachbarn zu konsultieren. Der Knecht des Bauern war in seinen Obstgarten eingedrungen, hatte den Zaun niedergerissen und Äpfel gestohlen und war dabei ertappt worden. Meinem Ratschlag zuwider wurde dann doch nur ein freundschaftlicher Vergleich von ihm verlangt. Ach, es ist wirklich zu dumm!«

Mr. Shepherd dachte wieder einen Augenblick nach.

»Meinen Sie vielleicht Mr. Wentworth?« fragte Anne.

Mr. Shepherd wußte sich vor Dankbarkeit kaum zu lassen:

»Wentworth! Ja, so hieß er. Ich meine Mr. Wentworth. Wissen Sie, Sir Walter, er hatte vor einiger Zeit zwei oder drei Jahre lang das Pfarramt zu Monkford inne. Er kam wohl ungefähr im Jahre 1805 dorthin. Sie erinnern sich bestimmt an ihn.«

»An Wentworth? Gewiß! Mr. Wentworth war Hilfsgeistlicher in Monkford. Sie haben mich durch die Bezeichnung ›Gentleman‹ irregeführt. Ich dachte, Sie sprächen von einem Menschen von Vermögen. Mr. Wentworth war gänzlich unbedeutend, wie ich mich erinnere; er besaß keinerlei Verwandtschaft, er hatte mit der Familie Strafford nichts zu tun. Man kann sich nur wundern, wie auf solche Weise die Namen vieler unserer Adelsfamilien heruntergezogen werden.«

Die Verwandtschaft mit Wentworth vermochte also bei Sir Walter nichts für das Ehepaar Croft auszurichten. Deshalb sprach Mr. Shepherd nicht weiter davon, sondern machte sich mit allem Eifer wieder daran, die Gegebenheiten zu schildern, die unbestreitbar zugunsten von Admiral und Mrs. Croft sprachen: ihr Alter, ihre Kinderlosigkeit, ihr Vermögen, die hohe Vorstellung, die sie sich von Schloß Kellynch gebildet hatten, und ihr außerordentliches Bemühen um die Gunst, das Schloß mieten zu können. Mr. Shepherd stellte es so dar, als ob die beiden sich kein höheres Glück wünschten, als Sir Walter Elliots Mieter zu werden. Damit hätten sie bestimmt einen ganz besonderen Geschmack bewiesen, wenn sie Sir Walters Gedanken über die Pflichten eines Mieters hätten erraten können.

Jedenfalls erreichte Mr. Shepherd, was er wollte. Obgleich Sir Walter nicht anders konnte, als daß er jeden Bewerber mißtrauisch betrachtete und meinte, daß dieser selbst beim höchsten Mietpreis noch viel zu gut wegkäme, so ließ er sich doch dazu überreden, Mr. Shepherd die Vollmacht zu erteilen, daß er mit Admiral Croft, der sich noch in Taunton aufhielt, verhandelte und einen Tag für die Besichtigung des Hauses vereinbarte.

Sir Walter war nicht sonderlich klug, besaß aber doch genügend Lebenserfahrung, um zu spüren, daß kaum noch ein Bewerber kommen konnte, der in allem Wesentlichen so untadelig zu sein versprach wie Admiral Croft. Soweit also reichte Sir Walters Verstand. Und seine Eitelkeit fand noch ein wenig zusätzliche Beruhigung in der gesellschaftlichen Stellung des Admirals, die gerade bedeutend genug und doch nicht allzu bedeutend war. Wenn Sir Walter erzählte, er habe sein Haus an Admiral Croft vermietet, so würde das überaus gut klingen, viel besser, als wenn er es nur an einen Mr. X vermietet hätte. Wenn man von einem Mr. X spricht, muß man immer ein paar Worte der Erklärung hinzufügen, es sei denn, es handele sich um einen von den vielleicht halben Dutzend Männern der Nation, bei denen das nicht nötig ist.

Der Titel »Admiral« aber spricht immer für sich, und dennoch kann er dem Adelstitel »Baronet« niemals Abbruch tun. Ob Sir Walter Elliot nun geschäftlich oder freundschaftlich mit Admiral Croft verkehrte, so würde er doch immer den Vorrang haben.

Allerdings mußte erst noch Elisabeth gefragt werden. Sie aber verspürte größtes Verlangen nach einem Wohnungswechsel und war glücklich, daß sich ein Mieter gefunden hatte und die Sache betrieben wurde. Also sagte sie kein Wort dagegen.

Mr. Shepherd erhielt unbeschränkte Vollmacht.

Kaum, daß diese ausgesprochen war, verließ Anne, die während der ganzen Besprechung sehr aufmerksam zugehört hatte, das Zimmer, um ihre glühenden Wangen an der frischen Luft zu kühlen. Und während sie an einem Wäldchen entlangging, das sie besonders liebte, sagte sie mit leichtem Seufzen:

»Nur noch ein paar Monate, und dann wird er vielleicht hier wandeln.«

Viertes Kapitel

Wenn die Vermutung auch naheliegt, so war »er« doch nicht Mr. Wentworth, der frühere Hilfsgeistliche von Monkford, sondern Captain Frederick Wentworth, dessen Bruder, der nach dem Gefecht von St. Domingo zum Kommandeur befördert, aber nicht sogleich eingesetzt worden und deshalb im Sommer 1806 nach Somersetshire gekommen war, wo er, da die Eltern nicht mehr lebten, für ein halbes Jahr in Monkford ein Zuhause gefunden hatte. Er war damals ein bemerkenswert schöner junger Mann mit regem Verstand und feurigem Geist, und Anne war ein überaus hübsches, dabei freundliches und bescheidenes Mädchen, das Geschmack und Gefühl besaß. Es hätte wohl schon genügt, wenn beide nur halb so anziehend gewesen wären; denn er hatte nichts zu tun, und sie kannte kaum jemanden, den sie lieben konnte.

Da sie beide jedoch so überreich mit guten Gaben gesegnet waren, konnte es gar nicht ausbleiben, daß sie einander fanden. Sie lernten sich immer besser kennen und entbrannten bald in heißer Liebe zueinander. Es wäre schwer zu entscheiden, wer von beiden die höchste Verehrung empfand oder wer sich am glücklichsten fühlte, ob sie es war, die seine Liebeserklärungen empfing, oder ob er es war, der seine Erklärungen angenommen sah.

Kurze Zeit schwelgten sie in höchstem Glück. Aber dies währte eben nur kurze Zeit. Denn bald stellten sich Kummer und Leid ein. Als Sir Walter um die Hand seiner Tochter gebeten wurde, verweigerte er zwar seine Zustimmung nicht geradezu und behauptete auch nicht, daß er niemals einwilligen würde, er ließ aber seine ganze Abneigung spüren, indem er sich höchst erstaunt stellte, unnahbar kalt blieb, sich in Stillschweigen hüllte und auf diese Weise deutlich zu verstehen gab, daß er nichts für seine Tochter zu tun gedachte. Er hielt die Verbindung für gänzlich unter seiner Würde. Und obgleich Lady Russells Stolz sich nicht so weit vermaß und nicht ganz so unverzeihlich war, so hielt sie doch ihrerseits die Verbindung für höchst unglücklich.

Anne Elliot konnte auf Grund ihrer Herkunft, ihrer Schönheit und ihres Wesens hohe Ansprüche stellen. Sollte sie sich schon mit neunzehn Jahren an einen jungen Mann binden, der nichts zu seiner Empfehlung vorweisen konnte außer sich selbst, der keine anderen Aussichten auf Reichtum hatte außer denen, die das wechselvolle Geschick in seinem Beruf bot, der nicht einmal Verwandte besaß, die wenigstens seinen künftigen Aufstieg in diesem Beruf sicherten? Nein, mit einer solchen Verlobung würde Anne sich wahrhaftig wegwerfen, und deswegen machte sich Lady Russell kummervolle Gedanken. Anne Elliot war noch so jung und kaum bekannt. Sollte sie ein Fremder ohne Herkunft und Vermögen an sich reißen oder vielmehr zu sich herabziehen in einen Zustand angstvoller Abhängigkeit, der Jugend und Schönheit zerstörte? Nein, das durfte nicht sein, wenn es sich nur irgendwie verhindern ließ durch eine aufrichtige freundschaftliche Aussprache, durch ernsthafte Vorstellungen von seiten Lady Russells, der mütterliche Rechte zustanden und die Anne beinahe so sehr liebte, als wäre sie ihr eigenes Kind. Captain Wentworth besaß nichts. Er war zwar in seinem Beruf erfolgreich gewesen, hatte aber großzügig ausgegeben, was ihm zugefallen war, anstatt etwas anzulegen. Er vertraute jedoch darauf, daß er bald reich sein würde. Voller Lebenskraft und Tatendrang, war er davon überzeugt, daß er bald ein Schiff befehligen und auf einen Posten kommen würde, wo er zu allem gelangen konnte, was er brauchte. Er hatte immer Erfolg gehabt und war überzeugt, daß dies auch weiterhin so bleiben würde. Dieses Selbstvertrauen genügte für Anne; denn es wirkte begeisternd durch seine Wärme und bezaubernd durch seinen Humor. Lady Russell jedoch betrachtete es mit ganz anderen Augen. Captain Wentworth’ lebhaftes Temperament und furchtloser Mut konnten das Übel nur verschlimmern, ja, sie machten es geradezu gefährlich. Captain Wentworth sprühte nicht nur vor Geist, sondern er war auch eigensinnig. Lady Russell hatte wenig Sinn für Humor, und sie verabscheute alles, was nach Unklugheit aussah. Also mißbilligte sie die Verbindung in jeder Hinsicht.

Gegen einen solchen Widerstand vermochte Anne nicht anzukämpfen. Trotz ihrer Jugend und ihrer Sanftmut wäre es vielleicht möglich gewesen, daß sie sich dem Groll ihres Vaters widersetzt hätte, auch wenn ihre Schwester ihn weder durch ein freundliches Wort noch durch einen Blick besänftigte. Aber wenn Lady Russell, der Anne immer Verehrung und Vertrauen entgegengebracht hatte, sie so standhaft und liebevoll ermahnte, so konnte dies auf die Dauer nicht überhört werden. Anne ließ sich überreden, die Verlobung für einen Fehler zu halten, für einen unbesonnenen Schritt, der zu keinem guten Ende führen konnte. Aber als sie die Verbindung löste, dachte sie nicht nur an sich selbst. Wenn sie sich nicht eingeredet hätte, daß es mehr zu seinem als zu ihrem Vorteil geschähe, so hätte sie wohl kaum von ihm gelassen. Die Überzeugung, um seinetwillen besonnen und selbstlos zu sein, bot ihr den stärksten Trost in dem Leid der Trennung, die endgültig sein sollte. Und sie brauchte viel Trost, denn sie mußte auch noch den Schmerz ertragen, daß er uneinsichtig auf seinem Standpunkt beharrte und den erzwungenen Verzicht als Grausamkeit empfand. Schließlich hatte er aus diesem Grunde das Land verlassen.

Nur wenige Monate waren zwischen Beginn und Ende der Bekanntschaft verstrichen, Annes Leid jedoch endete nicht in wenigen Monaten. Lange Zeit trübten Sehnsucht und Reue ihr alle Freuden der Jugend, und die Folge davon war, daß sie frühzeitig ihr blühendes Aussehen und ihren fröhlichen Mut verlor.

Inzwischen waren seit dem traurigen Ende dieser kleinen Geschichte mehr als sieben Jahre vergangen, und die Zeit hatte viel gelindert, ja, sie hatte vielleicht auf seiner Seite fast alle Zuneigung ausgelöscht. Anne jedoch war zu sehr auf die Wirkung der Zeit allein angewiesen gewesen. Sie hatte keine andere Abhilfe erfahren. Abgesehen von einer Reise nach Bath, die man bald nach dem Bruch unternahm, hatte es keinen Ortswechsel gegeben, und die Gesellschaft, in der man verkehrte, hatte sich weder verändert noch erweitert. Im Kreis von Kellynch war nie jemand erschienen, der einem Vergleich mit Frederick Wentworth standgehalten hätte, wie er in ihrer Erinnerung lebte. Ihr feines Empfinden und ihr wählerischer Geschmack hatten keine zweite Liebe zu finden vermocht, die in ihrem Alter das einzig gegebene und beste Heilmittel gewesen wäre. Als sie zweiundzwanzig Jahre war, hatte der junge Mann um sie geworben, der nicht lange danach bei ihrer Schwester Gehör fand. Lady Russell hatte Annes Ablehnung beklagt, denn Charles Musgrove war der älteste Sohn des Mannes, den sein Besitz und Ansehen in jener Gegend zum nächstfolgenden nach Sir Walter machten. Charles Musgrove stand in gutem Ruf und war eine angenehme Erscheinung. Als Anne neunzehn war, hätte Lady Russell gewiß gern mehr für sie verlangt, drei Jahre später jedoch hätte sie sich gefreut, wenn Anne auf so ehrenvolle Weise aus dem Vaterhaus weggeführt worden wäre, wo Parteilichkeit und Ungerechtigkeit herrschten, und wenn sie dadurch für immer in ihrer Nähe ansässig geworden wäre. Anne aber hatte in diesem Falle keinen Rat angenommen. Und wenn auch Lady Russell, wie immer, von ihrer eigenen Klugheit überzeugt war und das Vergangene nicht ungeschehen zu machen wünschte, so geriet sie doch nun in Unruhe, ja beinahe in Verzweiflung, ob je ein Mann von Charakter und Vermögen um Anne werben und sie in den Stand führen würde, für den sie mit ihrer Warmherzigkeit und Häuslichkeit besonders geeignet war.