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Berlin, unter den Straßen der Stadt: Drei Mäuse machen sich in den Tunneln der Linie 1 auf die Suche nach dem Schien-La, denn da, so sind sie überzeugt, werden alle Träume wahr! Ein Märchen mit Tiefgang für Erwachsene und Kinder ab 5 Jahren zum Vorlesen und U-Bahn-Fahren.
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Seitenzahl: 79
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Taube und Tiger Zwei Taschen voll Glück Luc – in den Wellen
Für Doris
Wie findet man ein Zuhause?
Die Mäuse von der Linie 1 suchen es im „Schien-La“, einem magischen Ort, an dem alle Träume wahr werden. Sie verlassen ihren Käfig in den Tunneln der Berliner U-Bahn und gehen einfach los.
Das Gefühl, zuhause zu sein stellt sich für mich ein, wenn Geschichten beginnen, sich über die Wirklichkeit zu legen. Wenn ich nur lange genug lausche, höre ich die Straßen im Flüsterton von denen erzählen, die im Verborgenen leben. Durch ihre Abenteuer erkenne ich, dass ich mein Zuhause immer bei mir habe.
Die Geschichten in der „Edition Ilsestein“ erzählen vom Aufbrechen und Ankommen. In „Taube und Tiger“ gehen ein Mönch und ein Dieb auf gefährliche Reise in den Himalaya, und hier sind Mäuse auf der Suche nach dem Glück. Was sie eint, ist der Mut, aufzubrechen, auch wenn das heißt, sich auf Ungewisses einzulassen. Ihr Mut wird belohnt: mit einem wirklichen Zuhause.
Björn Kiehne
Berlin, im Sommer ’22
Im Käfig
Per Kurzschluss auf die Flucht
Die Linie 1
Familie Zahn feiert Geburtstag (auf dem Kopf)
Monocchio
Unka
Leckkkkerschh…
Ein trauriger Vulkan
Kristallina
Der allerperfekteste Palast
Toms Witzparade
Der letzte Engel der Stadt
Angekommen
Drei Wochen später
Träume werden wahr
Was du siehst, ist vielleicht nur ein Teil der Wahrheit. Wenn zum Beispiel eine U-Bahn wie ein gelber Blitz an dir vorbeifegt und dann in der Dunkelheit eines Tunnels verschwindet, denkst du dir nichts weiter dabei. Aber was wäre, wenn sich in dem Tunnel eine andere Welt befände? Eine Welt, die so ist wie deine, aber doch ganz anders. Du bist bestimmt schon oft U-Bahn gefahren und hast sie gar nicht bemerkt, die Linie 1. In ihren Tunneln und Gängen suchen drei Mäuse das große Glück. Gleich lernst du sie kennen!
Ich hasse dieses Ding!“ Ira schnaubte wütend. „Warum muss ich den ganzen Tag in diesem behämmerten Laufrad herumrennen?“
„Weil du im Käfig bist“, fiepte Tom mit der letzten Luft, die er noch in den Lungen hatte. „K Ä F I G“, japste Bob. Und zusammen schrien sie mehr als sie sangen das Lied der Besserungsanstalt für verirrte Mäuse, aus Trotz, nicht vor Begeisterung: „K wie krüppelig, das sind wir, Ä wie äthletisch, das werden wir, F wie fortschrittlich, immerfort, I wie immer super drauf, und G wie geradlinig – danach streben wir, ja linig, schnittig, wie Papier!!!“
„…iiieeeeeeeeer“, kreischte Bob weiter, der nicht mitbekommen hatte, dass die Hymne zu Ende war. „Hör auf, Bob!“, rief Ira ihm zu. Aber Bob konnte nicht aufhören. Er pfiff und sang, brach dann zum Schrecken seiner Freunde in sich zusammen und wurde im Laufrad gedreht wie ein schlabbriges Stück Wäsche in der Waschmaschinentrommel, fiel dann von ganz oben runter und landete auf dem Boden. Ira und Tom eilten erschrocken zu ihm. Sie drehten ihn auf den Rücken und fächelten ihm Luft ins Gesicht. Gemeinsam zerrten sie seinen schweren Körper aus dem Rad und richteten ihn auf. Bob kam langsam wieder zu Atem. Benommen öffnete er seine kleinen Augen. Tom schüttelte den Kopf und sagte entschlossen: „Wir müssen hier dringend weg!“ Ira nickte fast unmerklich und Bob blinzelte mit seiner letzten Kraft zustimmend mit den Augenlidern.
Keiner der drei erinnerte sich daran, wie sie in den Käfig gekommen waren. Irgendetwas musste verdammt schiefgelaufen sein. Zu laut singen und tanzen? Fluchen? Zu viele Fragen stellen? Aber waren das schon Gründe, um in diese Anstalt zu kommen? Diese bestand aus etwa einhundert Hamsterkäfigen, die an die Decke des dunklen U-Bahntunnels geschraubt waren. In jedem gab es drei Mäuse, ein Laufrad, stinkende Holzwolle zum Schlafen, einen Topf mit abgestandenem Wasser, der von außen durch eine Pipeline gespeist wurde, und … kein Und. Das war alles. Die Insassen wurden morgens um vier durch ein lautes Tuten geweckt und mussten dann bis neun Uhr abends das Laufrad bewegen. Das wiederum bewegte Zahnräder und andere Mechanismen in einem Dynamo, der surrend am äußeren Käfiggestänge hing. Ira fragte mindestens fünfzig Mal am Tag: „Warum sind wir hier? Wofür ist dieser Dynamo da? Warum muss ich hier den ganzen Tag im Hamsterrad laufen?“ Sie ertrug die Situation, in der sie feststeckten, nicht mehr. Wenn sie sah, wie es ihren Freunden ging, dann konnte sie nicht anders, als sich zu fragen, wo sich eigentlich das Glück versteckte, das doch auch ihnen zustand. Hier konnte es nicht sein. Durch das viele Fragen wurde sie langsamer, was dazu führte, dass die drei aus dem Lauftakt kamen. Sie stolperten und drehten sich mit dem Rad eine Runde kopfüber. Sobald aber das Rad stockte, kam ein warnendes Tröten aus der Dunkelheit des Tunnels, in der auch die geheimnisvollen Stromkabel verschwanden. Dann rappelten sie sich mühsam auf und Tom zischte Ira an: „Musst du immer so viel fragen? Meine Güte! Wir sind hier, reicht das nicht? Eins weiß ich ganz genau: Wenn wir jetzt nicht weitermachen, dann kriegen wir keine Körner. Und das wäre die bitterste Antwort auf deine Fragerei!“
„Aber warum?“, fragte Ira kläglich. „Darum!“, sagte Tom knapp und schubste sie auf ihre kleinen Füße.
Nachdem Bob sich auch am Abend nicht von seinem Sturz erholt hatte und erschöpft und laut atmend in der stickigen Holzwolle lag, war Tom versöhnlicher gestimmt. Er legte den Arm um Ira und flüsterte: „Du hast Recht. Wozu das alles? Noch ein paar Wochen und man kann uns alle nur noch zu Mäuseburgern verarbeiten. Wir müssen hier raus. Dieser Ort ist sogar zum Träumen zu dunkel. Und wir haben doch Träume, oder?“ Ira nickte. Die hatten sie. Ira wollte endlich jemanden treffen, der ihr ihre ganzen Fragen beantworten konnte. Und sie hatte wirklich viele! Ira war dünn und leicht, was man aber nicht als Schwäche missverstehen sollte. Besonders wenn sie etwas wissen wollte, tat sie alles, um es herauszufinden. Wäre es in der Linie 1 nicht so dunkel gewesen, man hätte ihre immer wachen blauen Augen sehen können.
Tom wollte endlich zu einer richtig netten Familie gehören. Er erzählte allen, dass man ihn „gefunden“ hatte und dass es ein Versehen war, dass irgendwo jemand ihn vermisste. Eigentlich war er ein cooler Typ – mit Cowboymütze, die er nie absetzte, nicht einmal zum Schlafen. Aber wenn er von seiner unsichtbaren Familie sprach, die sich nach ihm sehnte, füllten sich seine Augen mit Wasser.
Und Bob, was wollte er? Das wussten die beiden anderen nicht so genau. Vielleicht wusste er es selbst nicht. Aber sie sahen ihn manchmal nachts durch den Käfig tanzen. Jedoch nur, wenn er dachte, dass sie schon schliefen.
„Schien-La …“, seufzte Bob aus seiner Höhle in der Holzwolle. „Was?“, fragten Ira und Tom gleichzeitig. „Schieeeen-La!“, rief er etwas lauter. Alles an Bob war rund: die braunen Augen, die Ohren, die kleine Nase, und auch sein Bauch. „Im Schien-La, da werden alle Träume waaaahr!“, sang er nun.
Sie hatten alle schon vom Schien-La gehört. Das war ein Ort im Tunnelnetz der Linie 1 – versteckt und unauffindbar. Er verbarg sich, so flüsterte man, hinter einer Wand aus Nebel. Durchtrat man sie, fand man sich in einem Land wieder, in dem alle Wünsche wahr wurden. Es gab keine Maus in den Tunneln unterhalb Berlins, die sich nicht einem zerrenden Gefühl im Herzen nach diesem Ort sehnte.
Ira nahm den Seufzer des erschöpften Bob auf und dachte, wenn da alle Wünsche wahr werden, dann muss es der Ort sein, an dem sich das Glück versteckte. Und dann sprach sie einen Satz aus, einen ungeheuerlichen, einen, der ihr Leben verändern würde: „Ins Schien-La, da müssen wir hin, na klar!
Du darfst einfach nicht zu fest zubeißen!“
„Aber dann geht es nicht kaputt!“
„Aber wenn du zu fest zubeißt, dann gehst du kaputt. Schon mal was von Strom gehört?!“ Ira sah Bob anklagend an. „Strom, wieso?“
„Vielleicht solltest du doch manchmal eine Frage stellen …“, murmelte sie. „Beruhigt euch, Mäuse!“, flüsterte Tom beschwichtigend. Er hatte seine Hände auf seinem Bauch abgelegt und drehte die Daumen in atemberaubender Geschwindigkeit. „Ich würde vorschlagen, wir knabbern es an, aber nicht durch.“ Ira und Bob sahen ihn an. „Und was soll das bringen?“ Tom schwieg einen gewichtigen Augenblick und erklärte dann: „Wir knabbern so lange, bis das Gummi ganz dünn ist. Dann nehmen wir eine Scherbe von dem kaputten Napf. Damit sägen wir das letzte Bisschen weg. Und dann schütten wir Wasser drüber und dann BUMM!“ Die anderen nickten zustimmend und riefen: „Das müsste reichen!“
„Und du knabberst!“, bestimmte Tom, der dazu neigte, immer alles bestimmen zu wollen. „Warum ich?“, fragte Bob. Tom tätschelte ihm seinen dicken Bauch: „Weil du den größten Hunger hast.“
„Ja, aber doch nicht auf Gummi!“, widersprach Bob. „Knabbern ist Knabbern“, antwortete Tom bestimmt. Das ließ keinen Widerspruch zu, denn Tom war stark. Er wollte es zumindest sein. Wenn die anderen erschöpft aus dem Rad kamen, trainierte er noch seine Oberarme. Ira fragte: „Warum mögen wir bestimmte Dinge und andere nicht? Ist man glücklich, wenn man nur noch Sachen erlebt, die einem gefallen?“ Die beiden anderen verdrehten die Augen, und Bob wusste, das Kabel war sein Job. Er musste ran.