Rückkehr nach Spaghettien - Björn Kiehne - E-Book

Rückkehr nach Spaghettien E-Book

Björn Kiehne

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Beschreibung

Spaghetti kochen ist einfach: Wasser erhitzen, Spaghetti hinzufügen, warten, abgießen, fertig. Ähnlich einfach ist Meditieren. Man braucht nur seinen Atem und etwas Aufmerksamkeit. Wozu? Alles ändert sich, das Wetter, die Menschen um uns herum und wir selbst. Anstatt sich darüber zu ärgern, ist es besser, aufmerksam zu beobachten, was in uns passiert, und dabei zu lernen. Das mach das Leben einfacher. Die Geschichten in "Rückkehr nach Spaghettien" zeigen, wie man im Auf und Ab des Lebens einen klaren Kopf und ein leichtes Herz bewahrt. Sie laden zu Achtsamkeit, Verständnis und Gelassenheit ein, Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

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Erschienen sind bisher

Zwei Taschen voll Glück Luc – In den Wellen Taube und Tiger Die Mäuse von der Linie 1 Madame, Antoiin und die Liebe zu den Sternen

Für Flo

Vorwort

Alles ändert sich – das Wetter, Menschen, wir selbst. Anstatt sich zu ärgern ist es besser, aufmerksam zu beobachten, was in und außerhalb von uns passiert, wenn sie sich ändern und dabei zu lernen. Das macht das Leben einfacher.

Spaghetti kochen ist auch einfach: Wasser erhitzen, Spaghetti hinzufügen, warten, abgießen, fertig. Ähnlich einfach ist Meditieren: Man braucht nur seinen Atem und etwas Aufmerksamkeit.

Die Geschichten in „Rückkehr nach Spaghettien“ zeigen, wie man in Lebenshöhen und -tiefen einen klaren Kopf und ein leichtes Herz bewahrt. Sie laden zu Achtsamkeit, Verständnis und Gelassenheit ein – Kinder und Erwachsene gleichermaßen.

Viel Spaß beim Lesen!

Björn Kiehne

Berlin, im Sommer 2023

Inhalt

Du bist nicht allein

Superkraft

Der Tag, an dem ich nicht mehr durch die Tür kam

Etwas wird passieren (oder auch nicht)

Der schönste Urlaub, der nie stattfand

Eine Drohne für Tom

Rückkehr nach Spaghettien

Glücklich

Follow me

Prinz auf der Erbse, oder Das beste Sitzkissen der Welt

Meine Nummer? 1141161141!

Rumsitzen, aber richtig

Der Ärgerwecker

Medaillenregen

Bibi mit dem bösen Blick

Der Tag, an dem ich die Welt veränderte (und es fast nicht bemerkte)

Es reicht nicht

Tina tut was

Wasserfarben

Du bist nicht allein

Ich weiß, das ist ein kitschiger Titel für eine Geschichte. Wie aus einer schlechten Serie, die man nur anguckt, weil man nichts Anderes zu tun hat. Oder ein Lied, bei dem man hofft, es würde in einer Fremdsprache gesungen werden, die man nicht versteht. Es sind nur vier Wörter, aber für mich versteckt sich dahinter etwas, was ich selbst erlebt habe.

Es war auf einer Schulwanderung im Harz. Wir sollten von Ilsenburg an den Ilsefällen vorbei zum Brocken wandern. Das ist der höchste Berg in Norddeutschland. Wo ich geboren wurde, würde man darüber lachen, denn dieses Dorf liegt in den Vorbergen des Himalayas, etwa dort, wo der Ganges durch das Gebirge in die Ebene tritt. Die Eisriesen, die über fünftausend Meter hohen Berge, kann man an Tagen mit guter Sicht von dort aus sehen: eine Reihe von Heiligen in weißen Gewändern und mit langen Schneebärten, die nebeneinanderstehen und auf dich warten. „Komm“, flüstern sie, „setz dich zwischen uns in eines der stillen Täler und erkenne dich selbst!“ Der Spruch kam von meinem Großvater, der ihn gern sagte, während er auf der Terrasse aus Schieferplatten vor unserem kleinen Haus saß, Chai trank und das Gebirge betrachtete. Dagegen ist der Harz nicht mehr als ein Mooskissen: klein und puschelig, ohne Ecken und Kanten, ohne Eis und Schnee, was aber nicht heißt, dass man sich in ihm nicht verlaufen kann, denn genau das ist mir passiert.

Ich war einfach genervt von dem Gequassel, Rumgeschubse und ganz bestimmt von dem Lied, das unser Lehrer uns singen lassen wollte. Hatte der noch nicht verstanden, dass Musik etwas ist, das aus Kopfhörern kommt? Er wollte tatsächlich, dass wir einen Kanon anstimmten. Dreistimmig. Meine Einteilung für die einzelnen Gruppen wäre gewesen: Dumm, dümmer, am dümmsten. Irgendwie hatte ich die Nase voll von meinen Mitschülerinnen und Mitschülern. Versteht mich nicht falsch, wir waren ein buntes Grüppchen. Alle kamen von irgendwo anders her. Ein bisschen deutsches Biofleisch, aber sonst die ganze Palette. Hätte man uns gelassen, hätten wir 15 verschiedene Restaurants aufmachen können, jedes mit einer anderen landestypischen Küche. Den bekloppten Kanon hätten wir auch in genauso vielen unterschiedlichen Sprachen singen können: von Arabisch über Hindi bis Suaheli. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es darum, dass ich nicht dabei sein wollte. Ich wollte nicht wandern und auch nicht singen, egal in welcher Sprache. Singen? Geht’s noch?

Also setzte ich mich ab. Ein paar Schritte nur, aber das reichte, um meine Lebenslinie aus der Gruppe heraus in die Wildnis zu führen. Wusstet ihr, dass es in den Wäldern Luchse gab, große Wildkatzen, die einsam jagen, und auch vereinzelt Wölfe? Ich hatte es vergessen, aber jetzt fiel es mir wieder ein, als ich gerade im Gebüsch stand und nicht mehr wusste, wo hinten und vorne war. Wo war ich? Es war still hier, das war gut. Ich war allein hier, das war weniger gut. Ich sah mich um. Grün überall. Ein undurchdringlicher Dschungel. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch nicht verzweifelt. Ich hatte noch eine vage Idee, aus welcher Richtung ich gekommen war. Irgendwie würde ich zur Straße zurückfinden und mich einreihen in die Menge glücklich singender Kinder. Das erschien mir jetzt gar nicht mehr so schrecklich. Die Gesellschaft von Bäumen, Sträuchern und Farnen hatte ihre Grenze. Sie sagten nichts, immerhin sangen sie auch nicht. Ich stolperte weiter durch das Gestrüpp. Stolpern ist das richtige Wort, denn es fiel mir schwer, einen Pfad unter meinen Füßen auszumachen. Vielleicht hoppelten hier manchmal ein paar Hasen lang, aber Menschen sicher nicht. Vielleicht auch hungrige Luchse, dachte ich dann, oder noch hungrigere Wölfe. Mich durchzuckte Angst. Auf einmal hörte ich ein Jaulen, dann ein Kratzen, dann ein Rascheln, das sich in meine Richtung bewegte. Es gab keinen Zweifel, irgendwas kam näher. Es war nur die Frage, was es war, was mich in Stücke reißen würde. Ich spürte schon die spitzen Zähne in meinen Waden. Ich begann ein bisschen vor mich hinzuweinen, nicht sehr heldenhaft, aber meine Situation war aussichtslos. Ich würde hier sterben. In diesem Dickicht aus dummen Pflanzen.

Ich stand still, ich sah mich um, ich spürte die Farnwedel an meiner Hose. Ein Wind kam auf, der die Äste über mir zittern ließ. Was sollte ich tun? Ich konnte hier nicht stehenbleiben und zu einem Baum werden. Also erinnerte ich mich daran, was ich kann. Ich konnte zum Beispiel ruhig bleiben, das hatte ich beim Meditieren gelernt, und ich konnte geduldig sein, das hatte ich auch trainiert. Ich hatte Ausdauer, konnte meine Kraft einsetzen, war ziemlich wach und verstand, dass das hier nicht ewig dauern konnte. Ich war nicht allein: Selbstvertrauen, Kraft, Wachheit, Scharfsinn und Fokus hatte ich bei mir. Und die nutzte ich jetzt, um mich durch das Dickicht zu schlagen. Und zwar machte ich das so: Ich lauschte in mich hinein. Da war Angst, dann beobachtete ich den Atem und wurde etwas ruhiger. In dieser Ruhe konnte ich ein Geräusch wahrnehmen. Es war ein beständiges Summen, oder eher Klackern, nein, ein Rauschen. Es war das Geräusch von kleinen Schieferstückchen, die aneinanderschlugen und langsam ins Tal trieben. Ich folgte dem Rauschen und fand den Bach, fand sein Bett zwischen mächtigen Felsen und folgte seinem Lauf. Irgendwann würde er in einen größeren Wasserlauf münden, und dort würde ich auch eine Straße finden, und die würde mich zu einem Haus bringen. Mit neuem Mut schritt ich voran und siehe da: Leuchtend wie Kristall stürzte sich der Bach vor mir eine Felswand hinunter, zerschellte in tausende strahlender Wassersplitter, sammelte sich neu und mündete dann nach einigen Metern in die Ilse, die fröhlich und gleichmütig ins Tal floss. Kein Stein, keine Wurzel, keine Felswand hielt sie auf. So wollte ich von da an auch leben, wie Wasser sein, das alle Hindernisse überwindet, voran fließend über Sand und Stein. Ich war nicht allein und war es nicht gewesen, und von da wusste ich, dass Selbstvertrauen, Kraft, Wachheit, Scharfsinn und Fokus immer bei mir waren. Ein Lied kroch in mir hoch und ließ sich nicht zurückdrängen. Es war eine Melodie der Erleichterung und meine Stimme mischte sich mit denen meiner Freunde, die in einer bunten Schlange nur zwanzig Meter vor mir den Berg hinaufstiegen.

Superkraft

Es war peinlich. Ich war an der Reihe, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tonio, dessen Großeltern aus Italien kamen, konnte Spaghetti, Pizza, Calzone und alle anderen Gerichte rückwärts sagen, und das so schnell, dass man mit dem Mitschreiben gar nicht nachkam. Jahed konnte mindestens zehn Meter auf den Händen gehen und dabei die besten Dialoge aus Star Wars rezitieren. Emre war der Krasseste, der konnte wirklich unsere Gedanken erraten. Die drei waren meine besten Freunde, Bros forever. Aber jetzt starrten sie mich an, als wären sie Mitglieder einer gnadenlosen Prüfungskommission. Ich war wahnsinnig nervös und durchsuchte meine Erinnerungen nach etwas, was ich richtig gut konnte. Aber mir fiel nichts ein. Außer vielleicht, dass ich eine merkwürdige Lache hatte. Tonio sagte, dass die sich anhörte, als schlugen Spaghettitöpfe aneinander. Jahed sagte, dass sie für ihn klang, als krachten in einem Paralleluniversum zwei Sterne aufeinander, und Emre sagte nur geheimnisvoll: „Sie sagt viel über dich aus.“ Dabei beließ er es, und das machte mich immer ganz fassungslos. Ich hätte gern gewusst, was genau meine Art zu lachen über mich aussagte, aber keine Chance, er lächelte nur wie irgendein Zauberer. Aber mit meiner Lache verfügte ich ohnehin nicht über die Form von Superkraft, die wir für die von uns geplante Eroberung brauchten.

Wir wollten eine einsame Insel erkunden, die noch niemand je zuvor betreten hatte. Zumindest niemand von uns. Sie lag in der Mitte eines Kiessees und war dicht mit Weiden bewachsen. Vom Ufer sah die Insel sehr geheimnisvoll aus, und wir stellten uns vor, dass es dort so etwas wie eine vergessene Welt gab. „Vielleicht Dinosaurier“, flüsterte Tonio. „Oder ein interstellares Tor“, sagte Jahed fast flüsternd. Beides fand ich eher etwas beängstigend. Ich wollte mit meinen zehn Jahren nicht von einem Dinosaurier verschluckt werden oder durch ein Wurmloch in eine andere Galaxie fallen. Also sagte ich gar nichts und hoffte auf ein paar langweilige Bäume und Tiere, die nicht allzu hungrig waren.

Das Floß war schnell gebaut. Tonio hatte zwei alte Paletten aus dem Lager seines Vaters geholt, die wir mit Seilen aneinanderbanden, und Emre hatte verschließbare Plastikeimer gesammelt, die wir nun in Plastiktüten zusammenfassten und die dem Holz und uns Auftrieb geben sollten. In einer Tüte, die wir oben zumachten, konnten sie das Floß über Wasser halten.

Es war ein strahlend heller Tag und obwohl mir bis jetzt keine Superkraft eingefallen war, hatte niemand etwas dagegen, dass ich mitkam. Das war meine heimliche Sorge gewesen und deshalb hatte ich diese Nacht sehr schlecht geschlafen. Immer wieder träumte ich davon, wie das Floß mit den Dreien ohne mich losfuhr. Es fühlt sich weder im Traum noch im echten Leben gut an, zurückgelassen zu werden, doch jetzt stand ich auf eben diesem Stück Holz und näherte mich mit meinen drei Freunden der Insel. Sie sah aus wie ein verwunschenes Eiland in einem einsamen Meer. Ein Stück wildes Abenteuer in den Wellen. Als wir an einem kleinen Sandstrand anlegten, schrien Emre … und Tonio … und Jahed vor Begeisterung und Eroberungswillen. Ich aber blieb still. Irgendwie ging mir nicht aus dem Kopf, dass ich eigentlich nichts richtig Spannendes beitragen konnte, außer, dass ich eben dabei war. Ich war nervös.

Wir machten das Floß fest und durchstreiften den dichten Wald. Der war so wild, dass jeder Schritt ein Wagnis darstellte. Aber nach schmerzhaften Kratzern und Asthieben fanden wir uns auf einer kleinen Lichtung wieder. Ein wunderbarer Ort für ein Picknick. Tonio, unser Küchenchef, packte den Proviant aus und schon lagen wir schmatzend auf der Decke.

„Iih, was war das?“, schrie Emre auf einmal. In meinem Halbschlaf schossen mir sofort die Dinosaurier durch den Kopf, die hier lebten und sehr hungrig waren. Vielleicht war ihm eine Schwanzspitze über