Die Melodie der Wünsche - Anne Herzel - E-Book

Die Melodie der Wünsche E-Book

Anne Herzel

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Beschreibung

EIN WUNSCH, EIN REIM UND EIN LIED, DIE WUNDER MÖGLICH MACHEN Musik, die Wunden heilt, Licht ins Dunkel bringt und ganze Flüsse umlenkt – damit ist Rizsette aufgewachsen. Als Lehrbardin befindet sie sich auf der sogenannten Bardenreise, mit dem Ziel, in den Dienst der Königin zu treten. Während eines Überfalls verliert sie ihren Lehrmeister und ihren Mitschüler; noch auf der Flucht stößt sie auf Priel, einen Fremden aus dem Reich der Schwerter, gesegnet mit uralter Magie. Eine unbekannte Melodie bindet ihn gegen seinen Willen an sie, sodass Priel gezwungen wird, Rizsette fortan zu beschützen. Widerwillig bereisen sie gemeinsam die Lande, gejagt von Gestaltwandlern und auf der Suche nach einem Lied, das Priel von seinem Bann erlöst. Doch auch aus den eigenen Reihen dringen Disharmonien heran, die alle Reiche ins Unheil stürzen wollen …

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Über die Autorin

Anne Herzel wurde 1992 im mittelfränkischen Dinkelsbühl geboren. Heute lebt sie mit ihrer Frau Lena in Leipzig. Schon während ihrer Jugend hat sie sich intensiv mit dem Schreiben beschäftigt, dies jedoch erst mit ihrem Journalismus-Studium wieder aufgegriffen. Ihre Buchideen entwickelt sie aus dem Antrieb heraus, Sichtbarkeit für Menschen aus der queeren Community zu schaffen. Insbesondere auf Twitch ist sie, gemeinsam mit ihrer Ehefrau, Teil einer aktiven Gemeinschaft, die sich für LGBTQIA+ und marginalisierte Menschen im Allgemeinen einsetzt.

WREADERS E-BOOK

Band 235

Dieser Titel ist auch als Taschenbuch erschienen

Vollständige E-Book-Ausgabe

Copyright © 2024 by Wreaders Verlag, Sassenberg

Verlagsleitung: Lena Weinert

Druck: Sowa Sp. z o.o.

Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf

Umschlaggestaltung: Jasmin Kreilmann (unter Verwendung von Motiven von depositphotos: © faestock und Freepik.de)

Lektorat: Silja Alexandra Sporbeck, Sina Kleber

Satz: Elci J. Sagittarius

Illustrationen: Anne Herzel, Jasmin Kreilmann

www.wreaders.de

Für meine Frau Lena,

die sich eine Geschichte über Barden gewünscht hat.

Kapitel 1

Rizsette

Der Klang der Leier komplimentierte den lieblichen Gesang der Nachtigallen. Sanft strich die Melodie durch das Blätterdach der dichtstehenden Bäume, begleitet vom rhythmischen Gang des Reittieres, das Rizsette durch die frühen Abendstunden trug. Vermin neben ihr, ebenfalls zu Pferd, fischte das eigene Instrument vom Rücken: Eine schlichte, aus dunklem Holz gefertigte Mandoline, deren Töne die der Leier umspielten. Federleicht nahm Vermin das Spiel auf, hatten sie dieses Lied doch hunderte Male miteinander gesungen. In stillen Nächten wie dieser, wenn sie die Tautropfen des Morgens, wie Perlen auf den Blättern, schon fast in der Luft schmecken konnten.

Rizsette öffnete die Lippen, die ersten Worte entsprangen ihrer Kehle so klar wie die allmählich hervorkriechende Kälte.

In Zeiten des Elends gebar eine Frau drei Kinder,

sie glichen einander genau.

Alleine zog sie durch die ärmliche Welt,

mit ihr die Kleinen, die am Leben sie hält.

Vermins Finger flogen über die Saiten, die Klänge brandeten kraftvoll durch den Schleier der entstehenden Finsternis.

Die Jahre vergingen und damit ihr Sein,

der Tod, unbarmherzig, er holte sie heim.

Ihre Kinder gebeutelt, von Gram und von Pein,

hielten einander, nun völlig allein.

Sie sahen ihr Gehen als größten Verrat,

doch im Antlitz der Nacht, da wurden sie stark.

Gesegnet von der Dunkelheit rein,

verschluckt ihre Trauer, wie auf Eis brach sie ein.

Herausfordernd hob Vermin eine Braue, Rizsette fuhr fort.

Das älteste Kind erhielt große Kraft.

Das Führen von Schwertern gelang ihm fabelhaft.

Meisterlich zog es die Klingen hervor,

wer auch immer es wagte, im Kampf er verlor.

Das mittlere Kind war ruhig und charmant.

Die Gestalt eines Tieres schien ihm elegant.

Strich seine Haut ab und erwarb grobe Macht,

sein Schrei durchbrach die Stille der Nacht.

Das jüngste Kind besaß ein Talent:

Eine lodernde Stimme, wie Feuer, das brennt.

Die Gabe der Wünsche, sie ward ihm vermacht.

Ein Lied auf den Lippen, das Wunder erschafft.

Gemeinsam beendeten sie des Landes Leid,

verteilten sich auf der Welt, ohne Neid.

Die Nachkommen jener, zahlreich, in Schar,

sie leben noch heute – und all das ist wahr.

Die Melodien verklangen, Rizsette beäugte Vermin, ihren einzigen Mitschüler, unter dem strengen Blick ihres Lehrmeisters, dessen tiefes Räuspern ihr stilles Kräftemessen abkürzte.

»Das Lied der Drei«, kommentierte Meister Canary, ein alter Mann jenseits der besten Jahre, über den kurzgehaltenen, grauen Bart hinweg. Nur das Gezwitscher der viel zu frühen Nachtigallen spendete Beifall. »Solltet ihr eure Stimmen nicht schonen, bis wir Magpie erreichen?«

»Natürlich, Meister Canary«, pflichtete Vermin ihm bei, auch wenn er einen verschmitzten Blick mit Rizsette austauschte. Er und seine übertriebene Ehrfurcht. Sie selbst platzte beinahe vor Spannung, ihr Ziel, die Stadt der Klänge, nach all den Jahren des Lernens zu Gesicht zu bekommen – und mit ihr ebenjene Lieder zu erlernen, die ihr bisher verboten geblieben waren.

»Wie lange wird es noch dauern, Meister?«

Canary lächelte verständnisvoll, wie immer, wenn sie ihren Enthusiasmus so deutlich zur Schau stellte.

»Wir haben noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter uns, Rizsette. Übe dich in Geduld, Kind – das wird von einer zukünftigen Hofbardin erwartet.«

Hofbardin, wiederholte sie in Gedanken, das Herz wollte ihr aus der Brust springen – denn bald durfte Rizsette sich in die Reihen derer begeben, die den Adelshäusern der Stadt der Klänge dienten. Aufgeregt zog sie ihre Flöte hervor, ihr zweitliebstes Instrument nach der Leier, mit dem Ziel, dem müden Reittier mit dem Lied der Stärkung neue Kraft einzuflößen.

»Riz, du weißt doch, dass wir unsere Magie nicht unaufgefordert einsetzen dürfen!«

Sie verharrte, noch ehe der Meister von ihrem Vorhaben Wind bekam. Das Pferd blähte unzufrieden die Nüstern, ahnte wohl, was ihm entging. Missmutig musterte Rizsette ihren Mitschüler. Natürlich weiß ich das. Bardenmagie darf nur zum Vorteil anderer genutzt werden. Fast hörte sie Canarys Stimme, eine Predigt, die er ihnen seit frühester Kindheit immer wieder gehalten hatte.

Barden dienten dem nichtmagischen Volk. Aber was machte es schon, wenn sie die eigenen Kräfte dann und wann für etwas einsetzte, das ihr selbst zugutekam? Vermin schien ihre Gedanken zu erraten, denn ein nachsichtiges Grinsen huschte über seine Züge. Er lugte zu ihrem Meister hinüber.

»Magpie liegt nahe an der Grenze. Ist das nicht riskant?«

Canary bedachte ihn aus wachsamen Augen. »Wir werden uns nur so lange wie nötig in der Stadt aufhalten. Macht euch keine Sorgen.«

Rizsettes Gesicht hellte auf. Die Grenzlande. Jene Gebiete zwischen dem Land der Klänge und den verfeindeten Ländereien im Norden und Süden: dem Reich der Schwerter und dem der Bestien. »Habt Ihr jemals einen Schwertarm oder einen Bestienwandler gesehen?«

»Natürlich, Kind. Zuletzt zu Zeiten des großen Abkommens, das ist mittlerweile mehr als fünfzig Jahre her. Damals war ich selbst noch ein junger Hüpfer wie ihr beide.« Kurz wischte Strenge über sein Antlitz, verging jedoch angesichts ihrer erschrockenen Mienen. »Kein Grund, so ängstlich dreinzuschauen. Seit dem Abkommen der Königinnen herrscht Frieden – kein Schwertarm oder Bestienwandler wird die Ländereien der Lieder betreten, darauf hat man sich geeinigt.«

Rizsette senkte das Haupt. »Und wenn sie es doch tun? Die Ressourcenknappheit trifft bestimmt nicht nur uns. Was, wenn es den Schwertarmen und Bestienwandlern ebenso ergeht und sie beschließen …?«

Die aufkommende Besorgnis warf einen Schatten über die Züge ihres Meisters. Auch er wusste von der prekären Lage dieses Reiches, denn die Ernten gingen jedes Jahr weiter zurück. Die ausgelaugten Böden versagten den Dienst, ausgehungerte Wölfe rissen ihr Vieh, einst gewaltige Flüsse versickerten im Nichts. Vielerorts hungerten die Menschen, die Dürreperiode im Westen dauerte an. Nur wenige Städte sonnten sich noch im Glanz der alten Zeit, gerade deshalb wollte Rizsette so schnell wie möglich zur Hofbardin aufsteigen. Denn das bedeutete ein Leben im Überfluss. In Canary hatten sie bescheiden gelebt, so sah man es für Lehrbarden wie sie und Vermin vor, nur geschmückt mit dem traditionellen, rotorangen Federumhang, gekrönt von der roten Bardenmütze und einer einzigen Feder, in ihrem Fall von einem gelben Vogel aus Canary.

Rizsette konnte es kaum erwarten, diese Kleidung gegen die der Hofbarden einzutauschen: Federn in herrlichem Violett.

»Es gibt nicht mehr viele Barden hierzulande. Ihr und eure Magie müsst in die Stadt der Klänge, das ist eure Berufung.« Die gebrummten Worte ihres Meisters wirkten beruhigend auf Rizsette. Nur Vermin verzog das Gesicht. Sein Pferd wieherte lautstark.

»Da, dort drüben!« Vermin deutete auf das schwache Licht eines Gasthauses, versteckt zwischen den Bäumen.

Meister Canary atmete sichtbar auf, Rizsette schob die Grübeleien beiseite. »Na endlich. Ich dachte schon, wir müssten bis in die Nacht hineinreiten. Hoffentlich servieren sie dort etwas anderes als dünnen Eintopf.«

Nicht nur zu Rizsettes Enttäuschung mussten sie sich mit altem Gemüse in wässriger Suppe zufriedengeben. Sie würgte die Mahlzeit widerwillig hinunter, in Gedanken längst bei den Delikatessen der Hauptstadt, die sie sich in den buntesten Farben ausmalte. Bald, versprach sie sich, als sie nach Einbruch der Dunkelheit in die mit Vermin geteilte Kammer einkehrte. Er saß bereits auf seinem Bett, die Mandoline auf dem Schoß, im Begriff, eine Melodie zu spielen.

»Wie war das gleich? Wir dürfen unsere Magie nicht für uns selbst einsetzen?«

Vor Schreck fuhr er hoch, Rizsette lehnte sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen. Vermin seufzte erleichtert.

»Hast du mich vielleicht erschreckt. Ich dachte schon, Canary sei mir auf die Schliche gekommen.« Mit einem Nicken deutete Vermin auf eine kleine Blessur entlang seines Unterschenkels. An einer Stelle war die Haut aufgerieben und wund, wahrscheinlich vom stundenlangen Reiten. Grinsend nahm sie die Leier zur Hand, ihre Finger streichelten die dünnen Stränge.

Von den flüchtigen Farben der Blutmalerei,

dem Stich der Sonne und Kindesgeschrei,

getragen vom Wind und hinfort in die Weite,

verbannt sei der Schmerz durch das Lied meiner Saite!

Urplötzlich ließ die Rötung nach, Vermin atmete auf. »Danke.«

»Wenn ich es tue, brechen wir wenigstens keine Regeln.«

»Ja, ja, hast schon recht.« Rücklings fiel er auf die Laken. Sein sonst so sorgsam zurückgebundenes, schwarzes Haar trug er nun offen, gefächert lag es auf dem weißen Untergrund. »Ich kann es kaum erwarten, diese Kinderlieder zu vergessen. Das Lied der Erholung kann kaum mehr, als ein paar Kratzer zu beseitigen.«

Rizsette verstand genau, wovon er sprach. Kinderlieder – eigens für Lehrbarden bestimmt – verfügten über vergleichsweise wenig Magie, ihre Auswirkungen blieben beschränkt. Rizsette sank ebenfalls auf ihr Bett, gelehnt an die Wand, mit dem Gesicht zu ihrem Kameraden. Aufmerksam musterte sie seine angenehm runden Züge. »Meister Canary mahnt uns stets zur Geduld.«

»Als ob Geduld deine Stärke wäre.« Vermin feixte sie offen an. »Unser Meister hätte uns längst in den Liedern der Hofbarden unterrichten sollen. Wir stehen so kurz davor, dem Rang des Bardenschülers zu entkommen. Was macht es da schon, uns die ein oder andere Melodie beizubringen?«

»Es ist verboten, das weißt du genauso gut wie ich.«

»Seit wann nimmst du die Regeln so genau?« Er schenkte ihr ein vielsagendes Grinsen. Rizsette mimte es, bis Vermin die Arme am Hinterkopf verschränkte. »Du fragst dich doch auch ständig, welche Lieder sich in seinem Notizbuch verbergen. Diejenigen, die er uns nicht sehen lässt.«

Rizsette legte den Kopf in den Nacken. Der alte Mann behütete das in Leder gebundene Büchlein wie einen Schatz. Allzu häufig sah man ihn mit einem Federkiel in der Hand, vertieft in unhörbare Melodien, die allein seinem Geist entsprangen.

Meisterbarden – jene Hofbarden, die sogar noch viel größere Macht als alle anderen innehielten – besaßen die Gabe der Komposition. Durch sie entstanden Lieder mit neuen Magien, selbstredend nicht für die Augen einer Lehrbardin wie Rizsette bestimmt. Der in Thrush ansässige Meisterbarde hatte in ihrem Beisein ein Lied gesungen, mit dem er Früchte an den Bäumen hatte sprießen lassen. Ein anderer Bardenmeister aus der Stadt Nightingale, die erst jüngst hinter ihnen lag, nutzte ein Flötenstück, um die Quelle eines von der Austrocknung bedrohten Flusses zu neuem Leben zu erwecken. Welche wunderbaren Werke mochte also ihr eigener Meister in seinem Buch aufbewahren? Rizsette kratzte sich an der Nase.

»Sagen wir, du erhaschst einen Blick – glaubst du wirklich, dass du die Lieder spielen könntest?«

Missmutig verzog Vermin das Gesicht. »Ich könnte es lernen.«

»Sicher? Vorher platzt dir der Kopf.« Ihr Einwurf sollte spielerisch klingen, aber Vermin antwortete mit einem Grummeln.

»An den Rückstoß habe ich gar nicht gedacht. Verflucht.«

»Weißt du noch, das eine Mal, als du dich beim Lied der Ruhe verspielt hast?«

»Du hast versprochen, das nicht mehr zu erwähnen!« Er warf sich herum und zog die Decke bis an die Brust.

Rizsette kam nicht umhin, eine jüngere Version ihres Freundes vor sich zu sehen: Vermin, unerfahren mit der Handhabung seiner Mandoline, beim Spielen des Liedes der Ruhe, das starke Müdigkeit hervorrief. Die schiefen Töne hatte sie bis heute nicht vergessen, ebenso wie die einen Tag lang andauernde Schlaflosigkeit. Patzer vergab Bardenmagie nicht.

Schon gar nicht bei einem Flächengesang. Sie selbst hatte es im Laufe der Jahre viel zu häufig erlebt: den plötzlich einsetzenden Kopfschmerz, begleitet vom gegenteiligen Effekt der angestrebten Melodie. Hauptsächlich galt der Rückstoß jedoch denjenigen, auf die die Magie gewirkt wurde. Insbesondere bei einem Zielgesang, der nur einen einzelnen Menschen betraf, konnte dies fatale Folgen haben. Im schlechtesten Fall riss zusätzlich eine der empfindlichen Saiten, eine Taste zerbrach oder das gesamte Instrument ging kaputt – eine Katastrophe für jeden Barden.

»Sag mal, Riz …«

Der Kosename aus ihrer Kindheit zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. »Glaubst du eigentlich an den Wunschbarden?«

Es wurde still im Raum. Rizsette legte den Kopf schief. »Woher kommt das denn auf einmal? Weil wir vorhin dieses alte Lied gesungen haben?«

Vermin sah sie nicht an. Mit straffgezogener Bettdecke starrte er auf das dunkle Holz über ihnen, augenscheinlich vertieft in die Musterung der Bretter. »Unsere Magie kann so vieles: Wunden versorgen, Schlaf bringen, sogar schöne Träume bescheren. Sie erleichtert die Geburt eines Kindes, holt Totgeweihte von der Schwelle des Ablebens zurück und erzeugt Licht in der tiefsten Finsternis. Ist es da so abwegig, wenn einer von uns …?«

»Wünsche erfüllen könnte? Komm schon, Vermin, selbst Bardenmagie ist nicht so mächtig. Der Barde der Wünsche ist nur eine alte Legende. Ein Märchen für Lehrbarden.«

Ihr Mitschüler blieb stocksteif liegen. Ein eigenartiger Schatten verfinsterte seine Züge. »Stell es dir nur mal vor: Ein einziger Reim und Wünsche gehen in Erfüllung. Keine Lieder, die sich auf nur eine Sache beschränken – eine Melodie für alles, was dein Herz begehrt. Was man damit anstellen könnte …«

»Ich würde mich in ein mächtiges Adelshaus wünschen.«

Vermin stockte sichtbar, doch Rizsette ließ sich davon nicht beirren: »Am besten eines mit großem Hausstand, sodass viele Feste gefeiert werden! Ich könnte sie alle mit meinem Gesang begeistern und sie würden zu meinen Liedern tanzen, Tag und Nacht!«

»Und wie hilft das anderen? Klingt sehr selbstbezogen.«

»Das kommt doch noch! Nach den Feierlichkeiten würde ich mich voll und ganz meiner Aufgabe widmen. Du weißt schon. Kranke heilen und all sowas.«

»Du bist wirklich einfach gestrickt, Riz. Ist eine sichere Anstellung in einem Adelshaus wirklich alles, was du dir wünschst?«

»Warum denn nicht? Nach den Strapazen der Bardenreise ist das in meinen Augen die einzig angemessene Belohnung.«

Die Bardenreise – eine Wanderung volljähriger Bardenschüler durch die zwölf Städte der Lande, im Zeitraum eines Jahres.

Rizsette rutschte auf ihr Kissen. »Ich kann mir nichts Besseres vorstellen. Ein Leben ohne Sorgen, jeden Tag die besten Speisen, Adelige, die es als Ehre erachten, eine Hofbardin in ihrem Haus zu beherbergen – so stelle ich mir mein Leben vor. Was sollte ich mir sonst wünschen?«

»Ich würde gern die Welt bereisen. Nicht nur das Reich der Klänge. Hinter den Pfaden muss es viel mehr geben als Lieder. Fremde Horizonte, vielfarbige Wolken unter neuen Himmeln – wie könnte ein Barde nicht neugierig auf die Weite sein? Das Unbekannte jenseits der Grenzen? Ich wüsste zu gern, was mich dort erwartet.«

»Das kann ich dir sagen: Menschen, die sich in Bestien verwandeln und ein Volk voller Krieger, das nur seinem Blutdurst gehorcht. Keine Ahnung, was dich dorthin zieht – davon abgesehen, dass das natürlich für immer ein Traum bleiben wird.« Rizsette machte sich daran, die Kerze zu löschen. »In einigen Monaten erreichen wir die Stadt der Klänge. Mit dem Lied des Eintritts gewährt man uns endlich Zugang zum Königinnenhof – und dann werden wir Hofbarden. Du wirst schon sehen, das wird großartig!«

Vermin drehte ihr den Rücken zu. »Hoffentlich hast du recht.«

Ein tiefes Knarren riss Rizsette aus dem Schlaf. Murrend hob sie den Kopf und fand Vermins Bett leer vor. Auch seine Stiefel und der Federumhang fehlten, ebenso wie die Bardenmütze. Von seiner Mandoline gab es auch keine Spur.

»Vermin?«

Nur die Stille antwortete. Mit in Falten gelegter Stirn setzte Rizsette sich auf. Sie hatten Nachttöpfe, und der Morgen lag noch in weiter Ferne. Kein Grund also, das Zimmer zu verlassen. Ob es ihm nicht gut ging? Vielleicht hatte er die scheußliche Suppe schlecht vertragen.

Hilft nichts. Ich werde nach ihm sehen. Gähnend schlüpfte sie in ihre Stiefel. Für einen Moment erwog sie, die eigene Bardenkleidung zurückzulassen, entschied sich aber dagegen, es war kalt außerhalb des Raumes. Nur die Leier würde hier auf sie warten, gemeinsam mit ihrer Flöte.

Kurzum überwand sie den Abstand zur Tür und zog diese auf. Auf dem Korridor herrschte Schweigen. Kein Laut drang an ihr Ohr, schon gar nicht der von Schritten, auch wenn sie schwören konnte, am Treppenabsatz einen Schatten hinabhuschen zu sehen. Vermin?

Befremdet lief sie dem Schemen nach, bis kurz vor die Treppe. Dort lag das Zimmer ihres Meisters. Die Tür stand einen Spalt breit offen, ein dünner Strahl flackernden Kerzenlichtes trat daraus hervor. Ersann Canary etwa um diese Zeit noch neue Lieder? Oder hatte Vermin sich vielleicht sogar direkt zu ihm begeben, weil ihm das alte Gemüse vom Abendessen schwer im Magen lag? Schließlich gab es auch dafür ein Lied.

Rizsette wollte bereits mit einem Schulterzucken zu ihrem Zimmer zurückkehren, da erregte eine Stimme ihre Aufmerksamkeit. Nicht die des Meisterbarden, sondern viel tiefer, grollend auf eine Art, die ihr Gänsehaut bereitete. Das ist aber nicht Vermin.

»Verschwindet endlich!« Die Heftigkeit des Ausbruchs erschreckte Rizsette. Das war der Meister. Was ist da los?

»Nicht, bevor wir haben, weshalb wir gekommen sind, alter Barde! Wir warten schon viel zu lange darauf, es dir endlich abzunehmen!«

Rizsette horchte auf. Wer wagte es, einem Bardenmeister derart respektlos zu begegnen? Auf leisen Sohlen trat sie näher und spähte durch den Türspalt. Sie sah die Anwesenden nur undeutlich im tanzenden Flämmchen einer einzelnen Kerze: Meister Canary, ihr zugewandt, und zwei Fremde mit dem Rücken zur Tür. Einer davon durchstöberte das Reisegepäck des Barden. Überall lagen sie herum, die Habseligkeiten ihres Meisters: Kleidung, Schriftrollen, Schreibfedern.

»Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt! Ich sagte doch bereits, dass wir nur auf der Durchreise sind! Ich begleite –«

»Rede keinen Unsinn, Meisterbarde! Du weißt genau, wonach wir suchen!« Einer der Männer hob den Arm. Die fleischfarbene Haut wich dunklem Fell, gekrönt von einer scharfkantigen Kralle. Canary zuckte zurück und landete mit dem Rücken an der Wand, Rizsette wusste nicht, was sie denken sollte. Bestienwandler. Das Wort formte sich so unvermittelt in ihrem Geist, dass ihr speiübel wurde. Das konnte nicht sein, sie irrte sich. Gestaltwandler wie diese gab es nicht im Reich der Klänge! Und doch hatte sie den Beweis direkt vor Augen. Ihre Gedanken schlugen Purzelbäume.

»Bitte.« Canary hob abwehrend die Hände. »Meine Schüler und ich –«

»Ha! Um die mach dir mal keine Sorgen, darum kümmert man sich bereits!« Eiskalt lief es Rizsette den Rücken hinunter. Heißt das, die Bestienwandler sind nicht allein? Hier gibt es noch mehr von ihnen? Vermin, wo bist du? Alles in Rizsette drängte danach, etwas zu unternehmen – nur was? Sie, eine kleine Lehrbardin, stand der Gewalt eines Bestienwandlers machtlos gegenüber. Sie kannte die Geschichten von ihrer rohen Kraft, Bardenmagie hingegen sollte helfen und bereichern. Sie taugte nicht zum Kampf.

Canary drängte sich indes an die Wand, der Angreifer kam immer weiter auf ihn zu. Und dann – Rizsette hielt den Atem an – fand ihr Meister ihren Blick. Sie sah ihm an, dass er sie erkannte, denn seine Augen weiteten sich kaum merklich. Er presste den Kiefer zusammen, für eine Sekunde driftete sein Augenmerk hinüber zu einem kleinen Beutelchen, direkt neben der Tür, in ihrer Reichweite. Es musste aus einem der größeren Reisesäcke herausgefallen sein. Der Mann ihm gegenüber knackte mit den Knöcheln, der andere durchwühlte energisch die Habseligkeiten des Bardenmeisters.

»Hast du plötzlich deine Zunge verschluckt? Raus damit! Wo ist es?«

Rizsette spürte einen dicken Kloß in ihrem Hals wachsen. Meister Canary, was ist hier los? Er hielt dem Blick des Wandlers stand, diesmal war es seine Hand, die unauffällig auf das unscheinbare Beutelchen deutete. Es machte den Anschein, als wolle er ihr etwas mitteilen.

Warte, ist es das, wonach die Bestienwandler suchen? Ihr Herz hämmerte laut gegen ihren Brustkorb. Es fiel Rizsette unglaublich schwer, die Tür ein Stück weit aufzuschieben. Nach wie vor wies ihr Meister auf ebenjenes Säckchen. Eine klare Aufforderung, ein Befehl, dem sie nachkommen musste. Ihre bebenden Finger schwebten durch die Öffnung, hin zu der Schlaufe des erstaunlich leichten Beutels. Behutsam zog sie ihn zu sich heran.

»Scheiße, der Dreckssack will nicht reden. Hast du denn noch nichts gefunden?«

»Riz.«

Die Aufmerksamkeit der Bestienwandler wanderte zu Meister Canary zurück, derweil brachte Rizsette den groben Stoff samt Inhalt in ihren Besitz.

»Du musst es beschützen«, fuhr Canary fort, die Augen auf einen unbestimmten Punkt im Raum gerichtet, um keine Aufmerksamkeit auf sie zu lenken. »Mit deinem Leben, hörst du? Bring es weit weg von hier, du weißt wohin!« Ohne Vorwarnung wagte ihr Meister einen Satz nach vorn, Rizsette erstarrte vor Schreck. Der Barde machte Anstalten, den Wandler zurückstoßen zu wollen – doch die scharfe Klaue kam ihm zuvor. Sie zischte durch die Luft, fand ihr Ziel – und riss eine Kluft in Canarys Schädel.

Nein! Rizsette stolperte zurück, das Beutelchen an ihre Brust gepresst. Überlaut pulsierte es in ihren Ohren, wollte die Erkenntnis nicht zulassen, sie abstreiten. Das geschah gerade nicht wirklich.

»Scheiße, was sollte das? Wie sollen wir das Ding jetzt finden? Was, wenn er es irgendwo versteckt hat?«

»Hast du nicht gesehen, dass er mich angegriffen hat?«

Rizsette hörte ihren Wortwechsel kaum, die in ihr aufwallende Panik zerfraß jeden aufkommenden Gedanken. Ich muss hier raus, schrie es in ihr, aber nur unsäglich langsam kehrte das Gefühl in ihre Beine zurück. Ihre Finger mit dem Säckchen fühlten sich taub an. Ihr Stiefel schabte über den hölzernen Untergrund.

»Warte, hast du das gehört?«

Rizsettes Mitte verkrampfte. Die Gefahr kam näher, direkt auf sie zu, drang mit aller Gewalt in ihren Verstand – und beflügelte ihre Füße. Sie rannte los, die Tür schlug hinter ihr auf.

»Die Schülerin!«, hörte sie einen der Männer brüllen. »Verdammt, wir dürfen sie nicht davonkommen lassen!«

Hastig stürzte Rizsette die Treppe hinab, hinaus aus dem Gasthaus und hinein in die Dunkelheit der Nacht. In Windeseile erreichte sie die dichtstehenden Bäume, ihr einziger Ausweg bestand in der Flucht. Zu den Pferden würde sie es niemals rechtzeitig schaffen, ohne eingeholt zu werden. Das Entsetzen und die Gewissheit über den Verlust ihres Meisters drang wie Säure in ihren Verstand.

Canary ist tot, dachte sie wieder und wieder, während sie in das dichte Geäst des finsteren Waldes eintauchte, vorbei an Sträuchern, die an ihrer Kleidung hängenblieben. Vermin, ich brauche dich! Wo bist du nur?! Rizsette stolperte weiter – und prallte frontal mit einer aus dem Nichts auftauchenden Gestalt zusammen.

Mit einem Keuchen wurde sie zurückgeworfen, das Beutelchen rutschte ihr aus der Hand und der Inhalt purzelte heraus. Etwas Quadratisches kam zum Vorschein, das hart auf dem Erdboden aufschlug – und die Luft unerwartet mit einer Melodie erfüllte. Sachte drang das Lied an ihr Ohr und nahm sie gefangen. Es konnte nicht länger als einen Herzschlag andauern, doch die sie plötzlich durchströmende Hitze raubte Rizsette den Atem. Sie glaubte, die in ihr entstehenden Flammen wollten sie verschlingen, sie gierig bis auf die Knochen abnagen, bis nichts mehr von ihr übrigblieb – dann verschwand die Wärme und ihr wurde eiskalt.

»He, pass gefälligst auf, wo du hinläufst!«

Angstvoll flog ihr Blick hinauf zu der unbekannten Gestalt. Fransiges, helles Haar in einem finsteren Gesicht, ein fellbesetzter Kragen, Waffen an der Hüfte. Gehörte er zu den Häschern? Nein, Bestienwandler benötigten keine Schwerter. Ein Fremder also, der mit Klingen umgehen konnte? Vielleicht sogar ein Gesandter der Krone? Hastig sprang Rizsette hoch und umschlang seine Hand, begleitet von der Melodie. »Ich bitte dich, beschütz mich!«

Kapitel 2

Priel

Argwöhnisch betrachtete Priel die schwarzhaarige Frau, die ihn vom Boden aus anstarrte. Panisch sah sie aus, während der Gegenstand, den sie beim Zusammenstoß fallengelassen hatte – eine Spieluhr – irgendein übertrieben süßes Liedchen trällerte. Laut hallte es im nächtlichen Wald wider, alles daran störte Priels empfindliches Gehör. Eigentlich hatte er längst einen Lagerplatz finden wollen: Einen ruhigen Ort, umgeben von Bäumen, nur die Geräusche der Tiere und das Prasseln des Feuers um sich herum. Jetzt musste er sich jedoch mit diesem Ärgernis herumschlagen, denn das nervtötende Lied riss nicht ab. Mit aufwallendem Ärger erwog er, das verdammte Spielzeug unter seinem Stiefel zu zertrümmern und danach wortlos zu verschwinden. Leider kam er nicht dazu. Die Bardin – er erkannte das hässliche Federkleid auf Anhieb, auch wenn er davon bisher nur gehört, es jedoch nie gesehen hatte – sprang auf die Beine und packte eine seiner Hände.

»Ich bitte dich, beschütz mich!«, rief sie, begleitet von der störenden Musik.

Priel schüttelte sie ab. »Was glaubst du eig–« Er stockte mitten im Satz. Ein fremdes, intensives Gefühl übernahm die Oberhand. Für einen Moment fehlten ihm die Worte, der Ärger verflog und wich dem unbändigen Drang, die unbekannte Frau hinter sich zu ziehen. Blinzelnd starrte er sie an. »Was hast du …?«

»Da ist sie!«

Priel reagierte völlig instinktiv: Mit einer Hand zog er eines seiner Schwerter, die Bardin suchte freiwillig Schutz in seinem Rücken, die Spieluhr dudelte munter weiter. Die knackenden Zweige offenbarten erst eine, dann eine zweite Gestalt: Tierwesen, verwandelte Menschen. Bestienwandler. Nur ein schmales Lächeln kräuselte Priels Lippen. Na, wenn das mal nicht interessant wird.

»Da ist ja noch einer«, raunte der Erste, im Körper eines riesigen, dunkelbraunen Bären. Der Zweite, eine galante Raubkatze mit gelbgeschlitzten Augen, funkelte Priel böse an.

»Mit dir haben wir nichts zu schaffen, Fremder. Geh beiseite, dann geschieht dir nichts.«

Priel leckte sich über die Lippen. »Ich kann es nicht ab, wenn man mir Befehle erteilt.« Er stieß sich vom Boden ab, die zweite Klinge zog er mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, sodass beide Schwerter das durch die Blätterdächer fallende Mondlicht reflektierten. Grollend holte der Bär aus, die messerscharfe Pranke fegte durch die Luft. Priel sprang beiseite, der Lufthauch wischte gefährlich nah an ihm vorüber, dann vollführte er einen geraden Stich – und durchbohrte die Schulter der Bestie. Ein donnerndes Knurren, gefolgt von warmer, dampfender Flüssigkeit, die Priels eigenes Blut in Wallung brachte. Es sang ein Lied in seinen Adern, vibrierte in seiner Kehle und weckte die Mordlust. Er riss die Waffe zurück und der Bär öffnete den pechschwarzen Schlund, wollte sein Bein zu fassen bekommen, doch stattdessen trieb Priel eine der Schneiden tief in seinen Kiefer. Getroffen schrie das Tier auf, ein dicker Blutschwall ergoss sich in die kühle Nachtluft. Wankend verfiel der Bär in Raserei, denn er begab sich trotz der Verletzungen auf die Hinterläufe. Priel nahm zunächst Abstand.

Die massiven Pranken des Bären stellten die größte Gefahr dar, todbringend aufgrund ihrer schieren Durchschlagskraft. Die Bestie stampfte auf Priel zu, der Hieb kam und zielte auf seinen Schädel. Flink tauchte Priel unter den Armen des Tiers hinweg, nur um beide Schwerter in die Seiten des Raubtiers zu schlagen. Der Wandler brummte schwer, ein rumorendes Geräusch tief aus seinem Hals, dann geriet er ins Schleudern. Priel sprang beiseite, der Bär kippte vornüber und landete im Staub. Als aller Glanz aus seinen Augen verschwand, schlug die Blutlust Wellen in Priels Geist. Sie zauberte ein Grinsen auf sein Gesicht, das die fauchende Großkatze zurückweichen ließ.

»Du bist kein normaler Mensch!« Er war vorsichtiger als der Bär, trotz der tierischen Gestalt.

Priel wischte mit dem Ärmel etwas Blut von seiner Wange. Der tote Wandler blieb reglos liegen, er maß ihm keinerlei Bedeutung mehr bei. »Na komm, Kätzchen, ich bin noch lange nicht fertig!«

Die Bestie wich zurück. Ein neues Fauchen entkam ihrer Kehle, kurz fixierte er den toten Kameraden zu Priels Füßen, dann preschte er in die dichten Blätter hinein. Mit großen Sprüngen fegte er davon, weg von ihm und der zitternden Bardin, die er schon fast vergessen hatte.

»Ich …« Die Federträgerin suchte offensichtlich nach Worten. »Ich bin dir zu Dank verpflichtet, Gesandter. Das war Rettung in letzter …«

Er kickte die nervtötende Spieluhr in ihre Arme. Perplex fing sie sie auf, der Deckel klappte zu und Stille kehrte ein.

»Was hast du mit mir gemacht?«

Die Bardin blinzelte verständnislos. Hm. Vielleicht ein paar Jahre jünger als er selbst. Sandfarbene Haut, blaue Augen, feine Züge. Nicht ganz schulterlanges Haar. Alberne Kleidung voller Federn. »Tu nicht so einfältig. Ich habe dich nicht freiwillig verteidigt. War das Bardenmagie? Glaubst du, du könntest jeden nach Belieben manipulieren, nur weil du ein Liedchen trällerst? Ich bin bestimmt kein …«

»Jetzt halt mal die Luft an!«

Sie kam auf die Beine, zittrig, doch mit selbstbewusst vorgerecktem Kinn. »Ich habe gar nichts getan. Bardenmagie funktioniert so nicht. Oder siehst du hier irgendwo ein Instrument?« Sie maßen einander mit Blicken, sie herausfordernd, Priel entsetzlich reizbar. In der Zwischenzeit – es erregte ihrer beider Aufmerksamkeit – kam Bewegung in den toten Körper des Bärs. Er schrumpfte, das Fell ging zurück und gab den Menschen dahinter preis.

»Tsk«, machte Priel, ein abgehacktes Geräusch, das von Ablehnung sprach. Er verstaute seine Waffen. »Wie auch immer. An dieser Stelle trennen sich unsere Wege.« Er drehte ihr den Rücken zu und stiefelte davon, hinein in den ansonsten stillen Wald, doch nur ein paar Sekunden später folgten ihm knackende Schritte.

»Warte!«

Priel dachte nicht daran. Er setzte seinen Weg fort, bis sie ihn ein zweites Mal an der Hand packte. Er riss sich los, das Schwert erneut im Anschlag. »Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt, Bardin? Mach den Abflug. Oder willst du ebenfalls den Kuss meines Metalls schmecken?«

»Metall?« Deutliche Verunsicherung trübte die bis eben so sichere Miene. »Du bist doch ein Gesandter, nicht wahr? Ich brauche deine Hilfe! Mein Meister und Mitschüler, sie sind noch in der Taverne! Vielleicht hat wenigstens Vermin …«

»Mir doch scheißegal. Und ich bin kein Gesandter, wen auch immer du damit meinst.« Die heftigen Worte trafen die Bardin unvorbereitet, immerhin zuckte sie zurück. Wieder machte Priel kehrt, der leise Geruch von Verbranntem drang ohne jede Ankündigung an seine Nase. Er zog die Stirn kraus. Feuer. Die ferne Erinnerung an ausgebrannte Bergwerke schob sich vor sein innerstes Auge. Das hat mir gerade noch gefehlt. Priel entdeckte das Leuchten durch die dichten Äste hinweg. Was auch immer da vor ihm lag, es stand lichterloh in Flammen. Er musste hier weg, schleunigst. Falls die Hitze übersprang, würde sie nicht vor dem Wald haltmachen.

»Das Gasthaus«, kam es urplötzlich von der Bardin. »Nein … Vermin …«

Ohne der Nervensäge auch nur einen einzigen Blick zuzuwerfen, stürmte Priel an ihr vorüber, in die entgegengesetzte Richtung. Er spürte das Starren der Federträgerin in seinem Nacken.

»Warte doch!«

Wieder dieser vehemente Griff um sein Handgelenk. Flüchtig erwog er, sie ebenfalls umzulegen. Abrupt entriss Priel ihr seinen Arm. »Wenn du nicht verbrennen willst, nimm die Beine in die Hand. Hier steht bald alles in Flammen.« Er rauschte davon, ins Dunkel des Dickichts, für eine Weile hörte er nur das Knacken des Geästs und den Lufthauch des Windes. Leider auch Schritte, die seinen folgten. Priel biss die Zähne aufeinander. Ohne Vorwarnung wirbelte er herum, fixiert auf das Gesicht der rastlosen Bardin. Das Mondlicht verlieh ihren blauen Augen einen qualvollen Glanz, der von Entsetzen sprach.

»Was glaubst du eigentlich, was du da tust?«

»Ich folge dir«, sagte sie, als läge es nicht auf der Hand.

Priel verschränkte die Arme vor der Brust. »Das sehe ich. Ich habe dir gesagt, dass du verschwinden sollst!«

»Ich weiß nicht, wo ich hingehen soll!«

»Irgendwohin. Nur nicht hier entlang.«

»Aber –«

»Sehe ich so aus, als würde es mich kümmern …!« Ein neuer Lufthauch trug den Geruch des Feuers zu ihm heran. Priel verzog das Gesicht. Um sie herum erschien alles ruhig, aber das musste nichts heißen. Flammen konnte man kaum davonlaufen, nur genug Abstand würde ihn retten, bevor die Glut übersprang – auch wenn das bedeutete, diesen unliebsamen Klotz am Bein zu haben. Er hatte keine Zeit für Diskussionen. »Tsk. Na schön. Aber komm mir nicht in die Quere.« Schnell ging er weiter, hinter ihm die stolpernden Schritte der Bardin.

»Was machen Bestienwandler im Reich der Klänge? Ich verstehe das nicht.«

Priel gab nichts auf ihr Gemurmel. Die Waffen an seiner Hüfte wurden aufgrund des strammen Gangs hin- und hergeworfen. Er würde sie bald vom Blut des zurückliegenden Kampfes reinigen müssen, sonst litt das Material.

»Sind deine Schwerter wirklich aus Metall?«

Priel horchte auf.

»Ich habe noch nie jemanden getroffen, der Metall besitzt, schon gar nicht in Waffenform. Oder der annähernd so gut mit Klingenwaffen umgehen konnte, wenn er nicht gerade zu den Gesandten gehört.« Sie verstummte, leider nicht lange genug, denn Priel hörte das Stocken, noch bevor sie erneut zu sprechen ansetzte: »Ist es möglich, dass du aus dem Reich der Schwerter …?«

Er verharrte unvermittelt, mit dem Rücken zu ihr. »Und wenn es so ist?« Seine Finger umspielten das Heft der rechten Waffe.

Diesmal dauerte ihr Zögern an. »Dann hast du mir immer noch das Leben gerettet.«

Priel spähte über die Schulter zu ihr zurück. Die Engstirnigkeit stand dieser Frau ins Gesicht geschrieben, gleichzeitig presste sie dieses kleine Leinenbeutelchen mit der Spieluhr so heftig gegen die Brust, dass es wehtun musste. »Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.«

Priel rollte mit den Augen, der Griff um sein Schwert verlor sich. Die Erzählungen über Barden stimmten offenbar. Derlei Rechtschaffenheit war ihm völlig fremd.

Kopfschüttelnd wandte er sich ab und Stille kehrte ein, nur unterbrochen von der gleichmäßigen Geräuschkulisse der Nacht.

»Wohin gehen wir?«, fragte die Bardin viel zu früh, eine Störung in der Idylle.

Wenn ich das wüsste.

»Ich gehe nirgendwohin. Zumindest habe ich kein bestimmtes Ziel. Weg vom Feuer, keine Ahnung. Vielleicht finde ich einen Fluss, dessen Verlauf ich folgen kann. Es gibt immer Dörfer entlang von Wasserläufen.«

»Gut. Dann begleite ich dich.«

Er wollte zähneknirschend ablehnen, schluckte die Widerworte jedoch hinunter. Die werde ich vorerst nicht los. »Nur bis zum nächsten Dorf. Danach bist du auf dich selbst gestellt.«

»Einverstanden. Wie ist dein Name?«

Priel stieß langgezogen die Luft aus den Lungen. »Das geht dich nichts an.«

»Ich bin Rizsette.« Er hörte das Rascheln von Stoff, irritiert blickte er wiederum über die Schulter zu ihr zurück. Die Bardin deutete eine Verbeugung an: Den Oberkörper nach vorn gebeugt, die Arme bauschten den Federumhang auf, ein Bein winkelte sie leicht an. Sah aus wie ein sich aufplusternder Vogel. »Rizsette von Canary, Bardenschülerin und Untergebene der Krone –«

»Interessiert mich einen feuchten Vogelschiss.«

Sofort stemmte die fremde Frau die Hände in die Seiten. »Du hast auch wirklich gar kein Benehmen! Ob nun aus dem Reich der Schwerter oder nicht, du scheinst überhaupt nicht zu wissen, dass man einer baldigen Hofbardin mit Respekt begegnet!«

Priel schürzte die Lippen. »Hofbardin? Meintest du nicht eben noch, du seist eine Bardenschülerin?« Rizsette, oder wie auch immer sie hieß, biss sich auf die Unterlippe.

»Das stimmt, aber –«

»Also kannst du noch nichts.«

»Sobald ich die Stadt der Klänge –«

»Die ist glücklicherweise ewig weit von uns entfernt. Also?«

Die Bardin schwieg, Priel lachte freudlos auf. »Eine ziemlich nutzlose Bardin, wie mir scheint. Kein Wunder, dass du dich nicht allein verteidigen konntest. Was wollten die Bestienwandler eigentlich von dir?« Das Schweigen hielt an, Rizsette senkte unschlüssig die Brauen.

»Ich weiß es nicht.«

Priel zuckte mit den Schultern. »Mir eigentlich auch egal. Mach, was du willst, aber geh mir nicht auf die Eier. Ich habe deinetwegen schon genug Zeit verloren.«

In der folgenden Stunde wechselten sie kein Wort. Die Bardin – Rizsette – brütete still vor sich hin, Priel ignorierte ihre Anwesenheit völlig. Erst das Plätschern von Wasser erregte seine Aufmerksamkeit, denn sie erreichten ein rauschendes Flussbett. Kurz darauf, der Geruch der Flammen hing schon längst nicht mehr in der kühlen Luft, kam ein Dorf in Sicht.

»Bei der Königin, endlich!« Rizsette, offenbar deutlich abgekämpft, rieb sich die Oberarme. Kein Wunder, schließlich kroch auch Priel die Kälte unter das viel zu leichte Hemd. Er würde sich etwas Wärmeres besorgen müssen, sobald sich die Möglichkeit ergab. Mehr hatte er in der Eile seiner Flucht – sie lag erst eine Woche zurück – nicht mitnehmen können.

»Suchen wir uns eine Taverne?«

Priel zog eine Braue in die Höhe. »Dafür fehlt mir das Geld.« Ohnehin wusste er nicht, welche Währung in diesem Land genutzt wurde. Die paar Gulden aus dem Reich der Schwerter brachten ihn hier nicht weit.

Rizsette kramte in den Taschen ihres Umhangs und zog eine Börse hervor, das Klimpern sprach von Münzen. »Ich denke, ich habe genug, um uns beide –«

»Ich sagte, dass ich dich bis zum nächsten Dorf dulde, nicht, dass ich vorhabe, mich noch viel länger mit dir zu befassen. Hals- und Klingenbruch, Bardin.« Erhobenen Hauptes stolzierte er davon, diesmal hielt Rizsette ihn nicht zurück. Er wollte sie binnen kürzester Zeit vergessen – bei den schärfsten Schwertern der Welt, einer Federträgerin würde er gewiss nicht das Händchen halten. Dennoch tat sich mit jedem Schritt ein Stück weit eine Leere in ihm auf. Ein drängendes Gefühl hinter dem Brustbein, wie ein Reißen, dem er sich kaum entziehen konnte. Priel schob es grob von sich weg.

Angekommen im Wald seufzte er tief. Das lief ganz und gar nicht wie geplant – denn obwohl er der Bardin großspurig den Rücken gekehrt hatte, fehlte ihm die Perspektive.

Ich kehre nach Tageseinbruch in das Dorf zurück. Irgendjemand wird schon eine Karte für mich haben. Notfalls stehle ich sie. Und dann erfülle ich dir deinen letzten Wunsch, alter Kauz. Es dauerte nicht lange, bis er ein prasselndes Lagerfeuer errichtet hatte. Es wärmte seine kalten Glieder. Dieses Land ist wirklich völlig anders als meine Heimat.

Sein Blick flog hinauf, durch das Blätterdach, hinter dem sich die Sterne versteckten. Immerhin der Himmel sah gleich aus. Ein schwacher Trost in dieser misslichen Lage. Noch immer fraß sich das Gefühl der Zerrissenheit durch seine Brust, eine eigenartige Empfindung, die er nicht abschütteln konnte – wie ein Drang, der Priel von hier wegtragen wollte.

Kapitel 3

Rizsette

Das Klopfen ihres Herzens übertönte alles. Es stürzte wie Fluten auf sie ein, nicht vergessen, nur für eine Weile verdrängt, denn jetzt, nach dem Weggang des eigenartigen Fremden, kam die Erinnerung zu ihr zurück: Der brutale Mord an ihrem Meister, ebenso wie das Verschwinden Vermins. Die leise Hoffnung, dass er vielleicht hatte fliehen können, brannte sich in ihr Herz. Rizsette wollte daran glauben, dass er irgendwo da draußen auf sie wartete. Hoffentlich unversehrt. Und jetzt, nach einem schier endlosen Marsch durch dichtes Gestrüpp, stand sie allein am Rande eines Dorfes. Nur das Beutelchen ihres Meisters bei sich, ohne ein einziges ihrer Instrumente, die längst zu Staub zerfallen sein mussten. Rizsette schluckte. Sie wollte weinen, doch die Tränen kamen nicht.

Ich stehe unter Schock, dachte sie bei sich. Mit klammem Gefühl wandte sie sich vom Waldrand ab, hin zu den Häusern. Sie entdeckte eine Taverne ganz in ihrer Nähe, wohl der sicherste Ort für den Augenblick. Ihre Beine gehorchten ihr nur beschwerlich, jeder Atemzug erlaubte dem Erlebten, etwas mehr in ihren Verstand einzusickern. Ein wahr gewordener Alptraum. Noch vor kurzem hatte sie geflüsterte Worte mit Vermin ausgetauscht, nur um jetzt am Rande des Nichts zu stehen.

Ein alter Mann wachte über das Gasthaus. Zwar beäugte er ihre geschundene Gestalt, stellte jedoch keine Fragen. Traumwandlerisch schloss sie wenig später eine schwere Holztür hinter sich, vor ihr ein unendlich stilles Zimmer. Erst hier, umgeben von Dunkelheit, die jeden Winkel ihres Seins eroberte, stürzte Rizsette auf die Knie. Der Schrei entkam ihrer Kehle, noch ehe sie überhaupt realisierte, dass er zu ihr gehörte. Sie schlug die Hände vor den Mund, Tränen schossen ihr unkontrolliert in die Augen, das wild schlagende Herz wollte ihr aus der Brust springen. Wimmernd fiel sie zur Seite um, der Schmerz brandete in Wellen durch ihren Körper.

Das ist wirklich passiert. Ich habe Meister Canary sterben sehen. Durch die Hand eines Bestienwandlers. Wieso passiert das alles? Die Jahre in ihrer Heimat spielten sich vor ihrem inneren Auge ab, Momente erfüllt von Musik und Glück. Ihre ersten zaghaften Spielversuche, Canarys Ermunterungen, seine Geduld – und sein Stolz, wann immer sie ein fehlerfreies Stück spielte. Vermin hatte sie stets begleitet. Ihr beigestanden, ihr gut zugeredet, die ein oder andere Schandtat für sie übernommen. Insgeheim hatte sie geahnt, dass Canary jeden ihrer Täuschungsversuche mit Nachsicht übersah. Doch jetzt gab es ihn nicht mehr. Ihren gutmütigen Meister, der sie aufgezogen und ihr die fehlende Familie ersetzt hatte.

Es dauerte lange, bis sie glaubte, ihre tauben Glieder auch nur ein wenig bewegen zu können. Für den Moment versiegten die Tränen, eine kurze Verschnaufpause, die sie nutzte, um sich zum Bett zu schieben. Was suchen Bestienwandler im Reich der Klänge? Sie dürften nicht hier sein, weder Wandler noch Schwertarm. Und doch konnte sie ihre Anwesenheit nicht verleugnen. Sie, die anderen Menschen jenseits der Grenzen, über die sie praktisch nichts wusste. Der Fremde gab ihr Rätsel auf, doch immerhin hatte er ihr geholfen. Anders als die Wandler, die ein völlig anderes Ziel zu verfolgen schienen. Leise hörte sie Canarys Worte in ihrem Kopf, wie ein Lied, das sich in ihrem Gedächtnis eingebrannt hatte. Riz, du musst es beschützen. Mit deinem Leben, hörst du? Bring es weit weg von hier, du weißt wohin!

»Die Stadt der Klänge«, hauchte sie, bevor sie das Beutelchen ins Auge fasste, vergessen in einer Ecke des Raumes. Zittrig kam sie hoch, die Tränen auf ihren Wangen noch nicht getrocknet. Das handtellergroße Objekt, eine Spieluhr, die bereits im Wald zu spielen begonnen hatte, fiel ihr zuerst in die Hände.

Sie sah hübsch aus: ein dunkles Kästchen aus Holz, verziert mit goldfarbenen Ornamenten. Beim Öffnen kam eine winzige Figur zum Vorschein, ein Barde mit der auffälligen Mütze und dem federbesetzten Umhang in strahlendem Weiß, durchsetzt mit einigen wenigen, andersfarbigen Federn. Umhänge dieser Farbe trugen nur Meisterbarden. Die Figur sah aus, als würde sie singen, während die eigentümliche Melodie den Raum erfüllte. Sie schenkte Rizsette Ruhe, erlaubte ihr, zum ersten Mal seit ihrem Zusammenbruch richtig durchzuatmen. Im Klang der Töne holte sie den restlichen Inhalt des Beutels hervor: ein dünnes Säckchen voller Noten, der Währung dieses Landes, mehr als sie selbst in ihrer Börse mit sich herumtrug, sowie Canarys winziges in Leder gebundenes Buch. Ihr Puls beschleunigte.

Das Büchlein ihres Meisters. Niemals wieder würde er eine seiner Kompositionen darin verewigen. Starr verharrte sie, versunken in den Anblick der Liedersammlung, zu ergriffen, um es aufzuschlagen. Sie stupste mit den Fingerspitzen gegen die Spieluhr. Das ist nur ein Spielzeug, vielleicht aus Kindertagen. Dazu ein paar Noten und sein Buch. Was genau wollten die Bestienwandler von ihm?

Egal wie sehr sie versuchte, dieses Rätsel zu lösen – der Knoten in ihrem Kopf blieb.

Als Rizsette erwachte, stand die Sonne wieder tief. Sie musste lange Zeit geschlafen haben, dennoch schmerzte ihr Körper noch immer von den Strapazen der Nacht. Wahrscheinlich war es längst Nachmittag.

All das war wirklich passiert. Sie hatte für unendliche Stunden geweint, um ihren Meister, um Vermin und die vielen gemeinsamen Jahre, so anhaltend, dass sie irgendwann darüber eingeschlafen sein musste. Das Erwachen selbst brachte keine Erlösung. Ihr Kopf pochte, die Augen taten ihr weh, nichts tröstete sie über die Schrecken der wohl grausamsten Stunden ihres Lebens hinweg. Es kostete sie Mühe, das Bett zu verlassen.

Mit einem tiefen Atemzug verstaute Rizsette ihren überschaubaren Besitz und ergriff die für die Nacht abgelegte Kleidung. Nur langsam kehrte der Starrsinn zu ihr zurück.

Ich gebe nicht auf. Das flaue Gefühl in ihrer Magengegend wollte sie vom Gegenteil überzeugen, aber Rizsette kämpfte dagegen an. Ich werde meinen Weg fortsetzen, bis nach Magpie. Dort wende ich mich an den Bardenmeister – und dann wird alles gut. Canary hätte es so gewollt. Und Vermin … Die Hoffnung ergriff sie ganz, ein loderndes Licht in der Finsternis. Womöglich – Rizsettes Herz machte einen Sprung – sah sie ihn schon bald wieder, denn auch er würde mit Sicherheit diese Richtung einschlagen. Deshalb traf sie ein stilles Abkommen mit sich selbst: Sie würde nicht aufgeben. Wenn Canary sie in all den Jahren eines gelehrt hatte, dann Durchsetzungsvermögen. Sie wollte eine Hofbardin werden, eine Dienerin der Krone. Sie musste das Haupt oben halten und aufrecht voranschreiten – egal wie sehr sie der Verlust ihres Meisters schmerzte. Nur des Nachts, sobald es leise um sie herum wurde, würde sie sich das Trauern gestatten – ein Zugeständnis an das Loch in ihrem Inneren. Doch am Tage, im Licht der Sonne, würde Rizsette stark sein. Und hoffen.

Der feine Stoff raschelte, während sie in ihr Hemd schlüpfte. Rizsette wollte es über ihre Mitte fallen lassen, stoppte aber noch in der Bewegung. Um ihren Nabel herum entdeckte sie ihr Muttermal: Eine gewirbelte Zeichnung, die sie schon immer besessen hatte. Die Berührung des Stoffes schmerzte ein klein wenig, als sei die Stelle übermäßig empfindlich. Vorsichtig strich sie mit den Fingern über die weiche Haut, trotz allem wirkte sie normal. Schulterzuckend warf sie sich den Federumhang über.

Ich brauche ein Pferd, ging es ihr beim Verlassen der Taverne durch den Kopf. Und dann reite ich nach Magpie. Die Münzen des Meisters werden mir dabei helfen. Hoffentlich reichen sie. Barden erwarben sich das notwendige Reisegeld traditionell auf den Straßen. Rizsettes Instrumente existierten nicht mehr, verschlungen von den gierigen Flammen. Sie würde schnell Ersatz finden müssen; Gesang allein spielte keine Münzen in die Kasse. Einen Gaul gab die Summe her, sicherlich auch eine einfache Laute, die sie in Magpie erstehen konnte. Falls sie mehr benötigte, konnte ihr der dort lebende Bardenmeister helfen. Bis dahin musste sie durchhalten.

Rizsette fand einen Pferdehändler, der ihr ein altersschwaches Reittier überließ. Kein besonders gutes Geschäft, doch unabdinglich. Zu Fuß war die Reise mühselig und kaum zu bewältigen. Die Mähre schnaubte aufmerksam, als Rizsette ihr das abgetragene, vom Händler überlassene Sattelzeug überwarf. Schwerfällig kam sie in Bewegung, trotz des wenigen Gepäcks. Rizsette tätschelte ihr die Flanke.

»Ich werde dich gut behandeln«, versprach sie dem Tier mit der dunkelbraunen Mähne, das langsam über den steinigen Pfad trottete, weg aus dem Dorf. Die Geräusche der Dörfler blieben hinter ihnen zurück, bald schon kehrte die gewohnte Stille ein, durchzogen vom Flöten des Windes und dem vielstimmigen Rascheln der Bäume. In Kürze würden sie die Wälder verlassen, schließlich lag Magpie in den Grenzlanden. Ein einstiger Kontrollposten zu Zeiten der Unruhen, lange bevor das Abkommen der Königinnen den Ländern Frieden beschert hatte. Heute gehörte es, wie jede der zwölf Städte des Reichs der Klänge, zu den angesteuerten Etappen aller Lehrbarden. Für einen Moment kamen ihr die grünen Augen des Fremden in den Sinn und Rizsette schauderte.

Er hatte gut ausgesehen für einen unbarmherzigen Schlächter – trotzdem sah sie in ihm nur einen anmaßenden Rüpel. Gleich zwei Waffen aus Metall? Rizsette schüttelte sich. Sicher bestanden sie aus mit Magie geschärftem und gehärtetem Holz, wie alle Klingen hierzulande. Bestimmt hatte sich der Kerl nur aufgespielt. In der Finsternis war es ohnehin kaum möglich, seine Waffen allzu genau in Augenschein zu nehmen. Und wiedersehen würde sie ihn ohnehin nicht.

Es raschelte im umstehenden Gebüsch. Rizsette legte den Kopf zur Seite und spähte in die dichten Zweige hinein, auf der Suche nach einem Kaninchen, oder vielleicht einem Eichhörnchen – und begegnete großen, hellen Iriden. Ein spitzer Schrei entfuhr ihrer Kehle, eine aufragende Gestalt sprang aus den Büschen hervor, gleichzeitig teilte eine zweite Peron das Geäst gegenüber. Leuchtendes Blitzen, ausgehend von gezogenen Schwertern, machte nicht nur die Stute nervös. Das Tier wieherte aufgeregt und stolperte ein paar Schritte rückwärts, getrieben von den messerscharfen Klingenwaffen der beiden Angreifer. Rizsette sah warme, braune Haut und hochgebundenes, dunkelbraunes Haar, schwarze Kleidung, schwere Muskelstränge – und ein doppeltes Grinsen.

»Steig ab und gib uns alles, was du besitzt!«, forderten zwei Stimmen wie aus einem Munde, eine hell und herb, die andere tief und basslastig. Ein Mann und eine Frau. Rizsette erstarrte.

»Hast du nicht gehört? Mach gefälligst, was wir sagen, wenn dir dein Leben lieb ist!« Dies kam von der linken Gestalt, einem bewaffneten Banditen.

Räuber, überfiel es Rizsette ebenso heftig wie der eigentliche Hinterhalt. »W-Wartet! Ich bin eine Lehrbardin! Ist euch bewusst, welches Verbrechens ihr euch schuldig macht, wenn ihr mich –«

»Schwing dich von deinem Gaul, Kleine, oder du machst Bekanntschaft mit meinem Schwert!« Die Räuberin vollführte einen Satz nach vorn, Rizsettes Finger krallten sich mit aller Gewalt in die Zügel.

»Lasst mich sofort gehen! Ich befinde mich auf der Bardenreise! Wenn ich euretwegen vom Weg abkomme, wird die Krone –«

»Oh, die Krone!«, höhnte der Mann mit gebleckten, weißen Zähnen. »Ich frage mich, wie dich die Krone identifizieren will, nachdem deine Gebeine eine Zeitlang in den Wäldern verrotten durften.«

Ein leiser Anflug von Beklemmung mischte sich unter Rizsettes Entsetzen. Die Bilder der vergangenen Nacht kehrten zu ihr zurück: Der brutale Tod ihres Lehrmeisters und der Verlust Vermins. Passiert das gerade wirklich schon wieder? Ihre sorgsam errichtete Hoffnung zerbrach wie dünnes Glas. Rizsette kämpfte mit den Tränen, während ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken kroch.

Sie musterte die erhobenen Schwerter. Holz reflektierte das Licht nicht auf diese Weise. Diese Klingen stammten nicht aus ihrer Heimat. Vorsichtig wollte sie absteigen, offensichtlich zu langsam für den Geschmack der Räuberin. Sie drehte die Waffe in der Hand und holte aus. Das Pferd scheute, konnte aber nicht mehr ausweichen. Die Schneide bohrte sich in seine Kehle, das Wiehern erstarb und die Mähre brach unter Rizsette zusammen. Mit einem Ruck wurde sie abgeworfen und landete im Staub, ihr Blick jagte herum, erkannte das auf sie zukommende Schwert mit dem Versprechen eines ebenso blutigen Schicksals – und erfasste wie aus dem Nichts ein zweites. Ein seltsamer Laut entstand, als die Klingen kollidierten, es schleuderte die Schwerter auseinander, nahm den drohenden Tod von ihr und brachte Rizsette dazu, die Augen weit aufzureißen.

Die Frau stolperte zurück und entging nur so dem Hieb der unbekannten Waffe, an dessen Ende sie … den blondhaarigen Fremden entdeckte. Sie brachte keinen einzigen Ton zustande, indes polterte die Banditin zurück. Sie gewann Abstand, fassungslos starrte sie den neuen Kontrahenten an, der männliche Bandit zögerte jedoch nicht. Mit einem mörderischen Schrei warf er sich auf ihren Retter, ein Kampf sondergleichen entbrannte: Rizsette hatte so etwas noch nie gesehen.

Mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit knallten die Waffen aneinander, sie sangen ein Lied unvorstellbarer Schönheit, selten gehört im Reich der Klänge. Mit jedem Schlag wurde Rizsette mehr und mehr bewusst, was sie da eigentlich hörte: Metall. Der Fremde hatte doch nicht gelogen, mehr noch, all diese Waffen stammen aus einem Land jenseits der Grenzen. Die Kämpfer umtanzten einander mit solcher Ausdauer, dass Rizsette der Schweiß ausbrach. Ein Schlag, ein Sprung, ein kehliges Knurren, sie trieben auseinander und prallten zusammen wie rivalisierende Stare: ein hektischer Tanz, bei dem es nur einen Sieger geben würde. In all der Zeit rührte sich die Frau nicht mehr. Sie wartete ab, Rizsette verstand gar nichts mehr.

Schließlich, es ging so schnell, dass ihre Augen kaum folgen konnten, schlug der Fremde dem Räuber das Schwert aus den Fingern. In hohem Bogen flog es davon, gleichzeitig trieb er dem Banditen den Schwertknauf gegen die Brust. Er taumelte davon und stieß mit dem Rücken an einen nahen Baumstamm, seine Augen blitzten ärgerlich, er schnaufte. »Scheiße, Priel. Mach mal halblang!«

Der Fremde verharrte. In aller Seelenruhe verstaute er das Schwert, näherte sich seinem Kontrahenten – und streckte auffordernd den Arm aus. Rizsette glaubte, die Augen würden ihr aus den Höhlen fallen.

»Du hast uns einiges zu erklären«, murrte die Räuberin, die Klinge lag längst nicht mehr in ihrer Hand, stattdessen hielt sie die Arme verschränkt. Rizsette blieb verdattert im Staub sitzen.

»Das kannst du laut sagen, Reya«, pflichtete ihr der Mann bei, er packte die dargebotene Hand und ließ sich von dem Fremden aufhelfen. Vorwurfsvoll rieb er sich die offensichtlich schmerzende Stelle an der Brust. »Warum, bei den schärfsten Schwertern der Welt, verteidigst du eine Federträgerin?«

»Das wüsste ich auch gern«, antwortete der Blonde unzufrieden. Dennoch musste Rizsette dabei zusehen, wie er dem Banditen von der einen auf die andere Sekunde ein Grinsen präsentierte – und erst den Mann, dann die Frau stürmisch umarmte. »Ihr habt es tatsächlich geschafft, mir zu folgen.«

»Was blieb uns anderes übrig?«, meldete sich die Banditin – Reya – zu Wort. »Zuhause hat man uns gejagt wie Vieh. Wir sind die letzten, die noch übrig sind, Priel.«

Priel, gab Rizsette dem einstigen Fremden im Geiste einen Namen, jetzt, da sich dieser bestätigte. Er schien sie für den Moment zu ignorieren, die Freude über das Wiedersehen überwog.

»Daran lässt sich wohl nichts mehr ändern. Wenigstens ihr beide habt überlebt.«

Der ihm gegenüberstehende Mann stemmte locker eine Hand in die Seite. »Es wäre gelogen, wenn wir behaupten würden, nicht nach dir gesucht zu haben – obwohl weder Reya noch ich damit gerechnet haben, dich als Beschützer einer Federträgerin zu sehen. Wie ist das denn passiert? Verdingst du dich jetzt als Leibwächter?« Nun richteten sich aller Augen auf sie. Rizsette hatte sich nicht bewegt.

»Du irrst dich, Echo«, entgegnete Priel, mit einem Mal eiskalt, trotz der feinen Gesichtszüge. Im Tageslicht sah er wesentlich freundlicher aus: Eine gerade Nase, hohe Wangenknochen, schönes, golddurchwobenes Haar, wache, hellgrüne Augen – nur der strenge Zug wollte nicht recht dazu passen. »Ich bin ganz bestimmt nicht ihr Leibwächter.«

»Warum hast du sie dann verteidigt? Wir waren gerade dabei, unsere Börsen mit ihrem Geld zu füllen. Unser eigenes ist hier nichts wert …«

»Ich habe keine verdammte Ahnung.« Ohne Ankündigung kam er auf Rizsette zu. Grob zog er sie auf die Beine, um sie einen Herzschlag später mit dem Rücken gegen einen nahen Baum zu werfen. Sie ächzte vor Schmerz, er hielt sie an der Schulter fest. »Ich frage dich erneut und du gibst mir diesmal besser eine Antwort: Was hast du mit mir angestellt, Bardin?«

Rizsette biss die Zähne aufeinander. »Das habe ich dir schon gesagt. Ich habe gar nichts getan.«

Ein dunkler Schatten fegte über sein Gesicht und hinterließ vollkommene Härte. »Warum musste ich dir dann zur Hilfe kommen, verflucht?«

»Du musst … Was?«

Das Widerstreben in seinen Augen strotzte jeder Beschreibung. »Alles in mir«, erläuterte Priel aufbegehrend, »zwingt mich dazu, dich zu beschützen. Ich hatte so ein Gefühl, dass du dich in Gefahr begeben würdest – und ich konnte nicht anders, als dir zu folgen. Das kann nur die Schuld eines deiner lächerlichen Bardenlieder sein.«

Seine Worte schlugen Wellen in ihren Gedanken. Er muss mich beschützen? Warum? »Es gibt kein Lied, das so etwas kann.«

»Klingt nach einem Bann«, rief der Räuber dazwischen. Priel hatte ihn Echo genannt. »Hat der alte Kauz sowas nicht mal erwähnt?« Priel beäugte Echo von der Seite her, dann fasste er erneut Rizsette ins Auge.

»Ein Bann? Was weißt du darüber, Bardin?«

»Rizsette«, korrigierte sie spitz.

»Gesundheit«, gab er emotionslos zurück, sie stockte. Entschieden drückte sie ihn von sich weg, um Abstand zu gewinnen.

»Mach dich nicht über meinen Namen lustig. Es ist eine Ehre, einen Bardennamen verliehen zu –«

»Was auch immer. Was ist nun mit dem Bann?«

Für einen Moment erwog sie, ihn erneut zurechtzuweisen. Doch ihr Bauchgefühl verriet ihr, dass sie damit nichts gewann. Sie gab ihren Widerstand auf – wenn auch nur für den Augenblick.

»Bann ist eine alte Bezeichnung für die Komposition eines Meisterbarden. Ich habe aber noch nie von einer gehört, die –«

»Komposition? Was soll das sein?«

»Ein Lied, ersonnen von einem Meisterbarden, das andere Barden nicht beherrschen. Manche von uns können ganz eigene Melodien kreieren –«

»Das denkst du dir doch gerade alles aus«, presste Priel zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Rizsette hielt seinem Blick stand. »Ich bin Bardin, keine Lügnerin. Warum sollte ich dich beschwindeln?«

»Wer, wenn nicht du, hat mich dann verzaubert? Da war niemand außer dir.«

Darauf fiel Rizsette nichts ein. Eine Komposition, so wusste sie, gehörte zur höchsten Magie. Nur ein Meisterbarde konnte ein solch mächtiges Lied ersinnen – es zu erlernen und zu singen verlangte größte Konzentration, wochenlange Übung und eisernen Willen. Sie dachte an Canary zurück, ihren toten Meister, einen der zwölf Bardenmeister außerhalb der Stadt der Klänge. Womöglich hatte er, im Moment seines Todes …? Rizsette runzelte die Stirn. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ein Instrument gesehen oder ein Lied gehört zu haben.

»Vielleicht war es mein Meister. Er muss gewollt haben, dass man mich beschützt. Er sagte etwas in der Art. Eventuell …«

»Dein Meister also. Und wo finden wir diesen Kerl?«

Rizsette schluckte schwer. »Er lebt nicht mehr.«

Priel entfuhr ein aufgebrachter Laut. »Verdammte Scheiße. Na schön. Wie löst man einen Bann sonst?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher. Wenn überhaupt kann nur ein Meisterbarde die Komposition eines anderen lösen. Zumindest vermute ich das.« Sie starrten einander an.

»Und wo finde ich einen verdammten Meisterbarden?«

Rizsette verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. »In den Städten, zumindest dann, wenn sie nicht gerade mit ihren Schülern auf Reisen sind. Und natürlich in der Stadt der Klänge.« Es galt als Ehre, dem Schutz einer der zwölf Städte zu dienen, auserkoren von der Königin selbst. Die übrigen Bardenmeister lebten im Königinnenhof, wenngleich sie alle im Dienste der Krone standen. Priel wischte sich mit der flachen Hand über das Gesicht.

»Du willst mir gerade nicht ernsthaft sagen, dass ich in eine der verdammten Städte muss, um dich loszuwerden.«

»Doch, genau das hat sie eben gesagt«, warf Reya ein. Auch diese bedachte sie skeptisch, obwohl der Anflug eines Grinsens ihre Lippen nach oben bog. »Mist, Priel – was hast du dir da nur wieder eingebrockt?« Sie lachte lauthals los, Echo fiel in das Gelächter mit ein.

»Sieht dir verdammt ähnlich. Du hast die Scheiße schon immer angezogen wie –«

»Schnauze!« Priel fuhr herum und zückte sein Schwert, Rizsette wurde mit einem Mal völlig anders.

»Oha.« Echo holte die eigene Waffe hervor. »Willst du es auskämpfen?«

»Worauf du wetten kannst.«

Rizsette wusste nicht, wo ihr der Kopf stand. Ihre Beine setzten sich fast ohne ihr Zutun in Bewegung. Grob ging sie dazwischen, obwohl ihr die erhobenen Klingen keineswegs behagten. »Hört auf damit! Was seid ihr, streitsüchtige Kinder? Klärt das mit Worten!«

»Worte? Vielleicht sogar ein Liedchen?«, schlug Reya neben ihr vor. »So sprechen wirklich nur Federträger.« Ohne Vorwarnung bugsierte sie Rizsette aus dem Weg, die beiden Streithähne warteten nicht ab, ehe ihre Waffen einander in einem metallenen Kuss begegneten.

Rizsette zuckte befremdet zurück. »Was soll das? Stopp!«

»Lass sie. Oder willst du riskieren, dass man dir versehentlich die Flügel stutzt?« Reya lachte auf. »So klärt man die Dinge bei uns. Keine Bange, es ist gleich vorbei.«

Bei uns. Rizsette vermutete zusehends stärker, dass alle der Fremden aus dem Reich der Schwerter stammten – was ging hier nur vor sich?

»Aber was, wenn sie sich verletzen?«

»Das ist das Ziel. Wer den ersten Treffer landet, gewinnt. Pass auf.« Als habe sie es beschworen, riss Priels Klinge eine Schramme in Echos Unterarm. Dieser sprang fluchend zurück, die groben Schimpfworte trieben Rizsette die Schamesröte auf die Wangen.

»So ein Dreck! Na schön, Priel. Ich halte die Klappe.«

»Geht doch.« Er wischte die Klinge am Gras sauber. Rizsette beobachtete indes mit geweiteten Augen das dünne, blutige Rinnsal an Echos unbedecktem Unterarm.

Reya streckte sich. »Da das jetzt geklärt ist, was soll mit der kleinen Bardin geschehen?«

»Kleine Bardin?«, wiederholte Rizsette. Sie baute sich vor Reya auf, denn sie überragte die Fremde um einen halben Kopf. »Mein Name ist Rizsette von Canary, Bardenschülerin, Untergebene der Krone und Dienerin des Reiches der Klänge. Behandle mich gefälligst mit Respekt.«

»Schon wieder diese Leier«, murrte Priel herablassend, Rizsette hatte nicht schlecht Lust, ihm ein paar deftige Widerworte zu geben. Im Gegensatz zu den beiden anderen war er einige Handbreit größer als sie – und das, obwohl Rizsette nie als sonderlich klein gegolten hatte. Sie straffte den Rücken, was sie fast auf seine Höhe brachte.

»Ich befinde mich mitten auf der Bardenreise – einer Prüfung, der sich jeder Lehrbarde zu unterziehen hat. Ich handle im Auftrag der Königin.«

»Wir könnten sie fesseln und in eine der großen Städte schleppen, bis wir einen Meisterbarden finden«, schlug Echo vor, als sei sie gar nicht da. »Wenn sie sich wehrt, stopfen wir ihr den Schnabel.«

»Keine schlechte Idee«, gab Priel zum Besten, Rizsette machte einen Schritt von ihnen weg.

»Jetzt … wartet doch mal. Es ist nicht sicher, ob sich Meisterbarden in den Städten aufhalten. Und wenn ihr Zugang zum Königinnenhof wollt, um die dortigen Meister um Hilfe zu bitten, braucht ihr mein Lied.« Alle drei neigten sie die Köpfe, das Unverständnis brannte sich auf ihren Zügen ein, sodass Rizsette einfach fortfuhr: »Meisterbarden haben in der Regel Schüler. Alle paar Jahre erlässt die Krone den Ruf der Federn – den Beginn der Bardenreise. Die Meister mit volljährigen Schülern ziehen los, um die Städte des Reiches zu bereisen. Am Ende ziehen die Lehrbarden in die Stadt der Klänge ein, um dort zum Hofbarden ernannt zu werden. Es gibt nur eine Möglichkeit, den Königinnenhof und damit die Residenz der Meisterbarden zu betreten – durch das Lied des Eintritts. Und das lernt man nur, wenn man wie verlangt alle zwölf Städte besucht.« Die sich ausbreitende Stille hallte nach.

»Klingt echt kompliziert«, sagten Echo und Reya gleichzeitig.