Die Morde von Detroit - Loren D. Estleman - E-Book
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Die Morde von Detroit E-Book

Loren D. Estleman

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Beschreibung

Ein Privatdetektiv gefangen zwischen den Fronten von Rache und Gesetz … An einem flirrend heißen Sommertag führt ein Routinefall Privatdetektiv Amos Walker auf den Highway nach Ann Arbor. Im Visier hat er einen Trucker, dem Betrug vorgeworfen wird. Nur wenige Meilen außerhalb von Detroit wird Walker jedoch von seiner Zielperson erkannt – und muss feststellen, dass der zwielichtige Mann nicht allein unterwegs ist: Vier Lastwagen haben Walker umzingelt und drohen, den Highway in seine letzte Ruhestätte zu verwandeln… »Amos Walker ist das Musterbeispiel des Noir-Detectives.« New York Times Band 3 der Amos-Walker-Reihe, um einen abgebrühten Privatdetektiv im Detroit der 70er und 80er Jahre, die Fans von Michael Connelly und Raymond Chandler begeistern wird! Die Bände der Noir-Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden. In Band 4, »Die Straßen von Detroit«, taucht Walker in Detroits Drogenmilieu ein, um für einen bekannten Nachrichtensprecher dessen vermissten Sohn zu suchen – ein Mann, der seinen Ruf scheinbar über alles stellt...

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Seitenzahl: 393

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Über dieses Buch:

An einem flirrend heißen Sommertag führt ein Routinefall Privatdetektiv Amos Walker auf den Highway nach Ann Arbor. Im Visier hat er einen Trucker, dem Betrug vorgeworfen wird. Nur wenige Meilen außerhalb von Detroit wird Walker jedoch von seiner Zielperson erkannt – und muss feststellen, dass der zwielichtige Mann nicht allein unterwegs ist: Vier Lastwagen haben Walker umzingelt und drohen, den Highway in seine letzte Ruhestätte zu verwandeln…

Über den Autor:

Loren D. Estleman ist ein amerikanischer Krimi- und Western-Autor, der vor allem für seine fesselnde Amos-Walker-Reihe bekannt ist. Neben dem hartgesottenen Privatdetektiv Walker erlangten auch weitere seiner Figuren, wie Old West Marshal Page Murdock und Auftragskiller Peter Macklin, absoluten Kultstatus und machten den preisgekrönten Erfolgsautor weltweit bekannt.

Die Website des Autors: lorenestleman.com/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor vier Bände seiner Amos-Walker-Reihe:

»Die Schatten von Detroit«

»Die Toten von Detroit«

»Die Morde von Detroit«

»Die Straßen von Detroit«

***

eBook-Neuausgabe August 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1982 unter dem Originaltitel »The Midnight Man« bei Houghton Mifflin, Boston, Massachusetts. Die deutsche Erstausgabe erschien 1985 unter dem Titel »Mitternacht in Detroit« bei Ullstein, Frankfurt/M; Berlin

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1982 Loren Estleman

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1985 Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Hlib Shabashnyi, Jose Luis Stephens

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-296-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Loren D. Estleman

Die Morde von Detroit

Kriminalroman, Amos Walker ermittelt 3

Aus dem Amerikanischen von Sigrid Kellner

dotbooks.

Widmung

Für die Familie Estleman

Vier gegen die Welt

Now hast thou but one bare hour to live

And then thou must be damned perpetually.

Stand still, you ever moving spheres of Heaven

That time may cease and midnight never come.

Christopher MarloweDoctor Faustus

Kapitel 1

Haltet Ausschau nach uns in sternenlosen Nächten bei Neumond. Macht die Augen auf, denn wir sind nur schwer zu sehen. Wir streifen nicht in Rudeln umher wie Wölfe oder wilde Hunde, denn wir fürchten einander ebenso, wie wir das Licht fürchten. Die Schatten sind unser Zuhause und uns so vertraut, wie euch der Weg in euer Schlafzimmer oder der Lichtschalter im Bad. Haltet Ausschau nach uns, aber bleibt auf Distanz. Wir sind die Geschöpfe der Mitternacht, und die Beute, der wir auflauern, könntet ihr sein.

Es war einer jener stickigen Vormittage, die wir während der Monate Juli und August haben, wenn das warme, feuchte Handtuch, das einem über das Gesicht liegt, die Luft ist, die man atmet, und der Kopfschmerz, mit dem man aufwacht, sich nicht von dem unterscheidet, mit dem man am Abend zuvor ins Bett gegangen ist. Milch wird im Kühlschrank sauer. Türen quellen. Fliegen hängen an den Fliegengittern und japsen nach Sauerstoff. Alles, was man anfaßt, klebt, einschließlich des Telefonhörers, den man abnimmt, damit einem das Läuten nicht das empfindliche Gehirn zertrümmert.

»Ja?« Wenn jemand der Sinn nach Beredsamkeit steht, darf er mich nicht vor dem Frühstück anrufen.

Die Stimme am anderen Ende war weiblich und sehr energisch. »Amos Walker? Einen Augenblick, bitte. Ich verbinde mit Owen Mullett.« Nach einem gedämpften Klicken wurde ich mit dem Potpourri aus einem Erfolgsmusical traktiert, das ich mir während seiner Laufzeit in Detroit erspart hatte.

Meine Eier in der Küche gaben zornige Geräusche von sich. Mit einem verbitterten Gähnen nahm ich das Telefon aus dem Wohnzimmer mit und klemmte mir den Hörer unters Kinn, während ich eine grüne Pfefferschote in kleine Stückchen hackte und über die Spiegeleier in der Pfanne streute. Außer Zigaretten und Whisky sind, vermutlich aufgrund irgendwelcher Zigeunervorfahren mütterlicherseits, Gewürze mein einziges ernst zu nehmendes Laster. Ich ließ die Eier eine Weile brutzeln und stellte dann das Gas ab. Die Musik spielte noch immer. Ich machte das Radio über der Frühstücksecke an. Es war wie gewohnt auf die Station eingestellt, die nur Oldies brachte. Wegen der Telefonschnur konnte ich mich leider nicht hinsetzen, deshalb stellte ich den Teller auf die Tischkante und aß im Stehen.

Ich goß mir gerade eine zweite Tasse Kaffee ein, als die Telefonmusik abbrach. Ich stellte die Kanne aus der Hand und hielt den Telefonhörer an den Lautsprecher des Radios. Little Richard kreischte gerade »Lucille«. Ich wartete fünf Takte, knipste dann das Radio aus und nahm den Hörer wieder an mein Ohr.

Jemand trommelte gereizt auf die Gabel. »Hallo? Hallo?« Es war eine harte, ungeduldige Stimme, von der Art, die zu einem Schlüssel zur Toilette für leitende Angestellte paßt. »Verdammt noch mal, ist da jemand?«

»Hier ist Walker«, meldete ich mich. »Ich habe bis eben Ihre Musik gehört. Wie finden Sie meine?«

»Wovon reden Sie eigentlich? Ich habe keine Zeit für kindische Scherze. Zum Teufel damit. Hier ist Owen Mullett. Erinnern Sie sich an mich?«

»Das sollte ich wohl meinen, Mr. Mullett. Und selbst wenn nicht, würde ich mich zumindest an Ihr Geld erinnern.« Es bestand kein Grund, warum ich das nicht tun sollte. Bis jetzt hatte ich damit zwei Unterhaltszahlungen finanziert, meinen Cutlass überholen und mein Büro frisch tapezieren lassen, die uralten Zeitschriften in meinem Vorzimmer ausgewechselt und eine neue Beschriftung an der Eingangstür anbringen lassen.

»Fünfhundert Dollar pro Woche, nur um gegebenenfalls zur Verfügung zu stehen, sind in der Tat schwer zu vergessen«, pflichtete Owen Mullett mir bei. »Denken Sie nicht, Transcontinental Transport verkraftet derartige Beträge leicht im derzeitigen wirtschaftlichen Klima. Wir haben Investoren, für die die bloße Vorstellung, einen Privatdetektiv zu engagieren ...«

»Was kann ich für Sie tun, Mr. Mullett?«

Er räusperte sich. Es klang wie schwere atmosphärische Störungen in der Leitung. »Haben Sie irgendwelche Einwände, zur University of Michigan zu fahren?«

»Meinen Sie, man wird mich dort nehmen?«

»Seien Sie doch einmal ernst, Walker. Im Ann Arbor-Campus wird heute nachmittag eine Ladung gebundener Zeitungen zum Aufnehmen auf Mikrofilm erwartet. Sie stammen alle aus dem vorigen Jahrhundert. Manche Sammler würden dafür ein Vermögen bezahlen und nicht allzu viele Fragen stellen, woher die Bände kommen.«

»Alle Sammler haben einen Sparren«, stellte ich fest. »Ich habe am liebsten nicht allzuviel mit ihnen zu tun, weil ein Polizist, den ich kenne, einen verhaftet hat, der die Schuhe toter Frauen sammelte.«

»Es ist der Fahrer, an dem wir interessiert sind, kein Sammler.«

»Lassen Sie mich hören, Mr. Mullett.«

Er räusperte sich wieder. Die Bedeutung einer Führungskraft läßt sich unschwer an der Häufigkeit des Räusperns messen.

»Wie Sie wissen, sind unsere Fahrzeuge in letzter Zeit Opfer von Raubüberfällen geworden«, begann er. »Sehr vielen Raubüberfällen. Bedeutend häufiger als die Fahrzeuge irgendwelcher Konkurrenzunternehmen.«

Ich aß meine Eier und lauschte seinen Worten. Im nachhinein wünschte ich, letzteres nicht getan zu haben.

Wie alles andere erfordert das Beschatten einer Person gewisse Ausrüstungsgegenstände: einen Thermosbehälter mit Eiswasser. Unverderbliche Lebensmittel. Einen batteriebetriebenen elektrischen Rasierapparat. Ein Fernglas. Taschenbücher, um die langen Stunden der Wartezeit vor Wohnhäusern und Motels zu vertreiben. Einen kompletten Satz Kleidungsstücke zum Wechseln. Dekken. Kleingeld für Parkuhren und öffentliche Fernsprecher. Ich hatte jedenfalls genug Krempel unter den Schalensitzen meines kleinen Cutlass verstaut, um einen ganzen Luftschutzbunker ausstatten zu können. Man kann nie wissen, wie lange man bei einer Aktion unterwegs ist. Einmal habe ich die Verfolgung eines Handelsvertreters, der des Diebstahls verdächtig war, an einem Donnerstagnachmittag aufgenommen und bin erst am Montag um drei Uhr früh nach Hause gekommen. Oh, und eine große, leere Kaffeebüchse.

Ich stand mit fahrbereitem Wagen in einer Ladezone gegenüber einer Tankstelle auf der Van Dyke Avenue geparkt und tat, als würde ich mit einer Sonnenbrille auf der Nase die Free Press studieren. Die Tankstelle war eine Konstruktion aus den fünfziger Jahren, weißglänzendes Email über Zementblöcken, mit altmodischen Pumpen davor. Auch sie würden bald von den modernen Zapfsäulen ersetzt werden, die die getankte Benzinmenge in Litern anzeigten und den Händlern gestatteten, mehr für weniger zu verlangen – als ob man ihnen dabei noch hätte helfen müssen. Von der Aufschrift über den großen Türen NORM’S SUPER SERVICE waren genügend Buchstaben abgefallen, um sie unverständlich zu machen.

Ein mächtiger Kenworth-Laster mit Anhänger und dem roten Emblem mit dem doppeltem T der Transcontinental Transport-Gesellschaft auf der Vorderseite war neben dem Garagentrakt abgestellt. Der Diesel lief bereits und gab runde schwarze Rauchzeichen von sich. Das Gespann wartete auf einen Typ namens Dooley Bass, dem Norm’s Super Service zur Hälfte gehörte und der gelegentlich für die Transcontinental Transport als Fahrer arbeitete. In drei Monaten war er dabei zweimal seine Ladung losgeworden, und seine Arbeitgeber begannen sich Gedanken zu machen.

Schon als er aus dem kühlen Dunkel der Garage heraustrat, in die Sonne blinzelte und sich mit einem fleischigen, sonnengebräunten Unterarm über die Stirn wischte, war mir klar, daß er keine leichte Nuß sein würde. Was in seinem grünen Arbeitshemd steckte, das unter den Achselhöhlen und vorne entlang der Knopfleiste dunkle Schweißflecken zeigte, waren Muskeln und ein harter runder Bauch. Das schmutzig-blonde Haar trug er in einer Art Ponyfrisur wie seinerzeit Chuck Connors in »Branded«. Er hatte ein breites, glattrasiertes Kinn und sehr helle blaue Augen, die auffallend gegen den Bronzeton seines Gesichtes abhoben. Außerdem war er jünger als ich, und ich hoffte, daß sich unsere Kontakte auf ein reines Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Verhältnis beschränken lassen würden.

Er ging um das Gespann herum und stieß dabei mit einem kantigen Cowboystiefel gegen jeden einzelnen der Außenreifen. Seine Muskeln ballten sich, als er nach dem Griff faßte und seine mindestens Einmeterachtzig in die Fahrerkabine schwang. Die Tür klappte zu, das Getriebe gab einen klagenden Laut von sich, als er den Gang einlegte, der Motor dröhnte lauter, und als eine Verkehrslücke es zuließ, wälzten sich zischend und stöhnend sechzehn Tonnen Stahl und Gummi auf die Van Dyke Avenue, um in nördlicher Richtung weiterzufahren.

Ich wartete erst zwei andere Fahrzeuge ab, bevor ich mich hinter ihn setzte. Die Gefahr, ihn aus den Augen zu verlieren, war bei dem Format nicht übermäßig groß.

Ich folgte ihm dem Zubringer hoch auf den Edsel Ford Freeway, der in westliche Richtung führte, und machte es mir etwas bequemer, indem ich den Achtunddreißiger samt seinem Polizeihalfter von meinem Gürtel löste und griffbereit neben mich auf den Beifahrersitz legte. Die Klimaanlage funktionierte zwei Minuten und gab dann wieder ihren Geist auf, aber die geöffneten Lüftungsklappen und das runtergekurbelte Seitenfenster ließen genügend Luft in den Wagen, um meine überhitzte Haut angenehm abzukühlen. Ich stellte das Radio an. Sarah Vaughan sang It Ain‘t No Use, einen Titel, den ich mochte. Falls der Refrain ein Omen bedeutete, schenkte ich ihm jedenfalls keine Beachtung. Ich steckte mir eine Winston an und ließ den Rauch vom Fahrtwind zum Fenster rausziehen.

Da ich mich meinem Klienten gegenüber verpflichtet fühlte, hatte ich mir für den Piepser, den ich in der Brusttasche meines Hemdes bei mir trug, einen frischen Satz Batterien besorgt. Bis jetzt hatte er jedoch noch nicht einmal Laut gegeben. Nicht, daß ich es anders erwartet hätte. Abgesehen von der Transport-Firma war der einzige Kunde, den ich im Laufe eines Monats gehabt hatte, ein Junge gewesen, der mir anderthalb Dollar gezahlt hatte, um nach seinem Hund zu suchen. Übrigens habe ich ihn noch immer nicht gefunden.

Es gab schlimmere Aufträge als den, dem ich gerade nachkam, und die meisten hatte ich bereits hinter mir. Gerüchteweise war mir zugetragen worden, daß zwischen hier und Ann Arbor Bäume und Gras wuchsen und die Studentinnen an schönen Tagen wie heute auf dem Campusgelände nicht viel von Textilien hielten. In Detroit trugen sie Kettenhemden und in der Handtasche einen Schlagstock.

Bis wir das Stadtgebiet verlassen hatten, hielten wir uns in etwa an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Danach ließ Dooley jedoch die Hemmungen fallen und trat mächtig aufs Gas. Der Laster vor mir zischte davon wie ein Erdkuckuck, der sich vor einem Kojoten in Sicherheit bringt. Die Italiener können angeben soviel sie wollen, aber ohne Flügel läßt sich ein vollbeladenes Anhänger-Gespann nicht einholen, wenn der Fahrer richtig auf die Tube drückt. Ich versuchte es eine Zeitlang und fiel dann zurück, als die frisch überholte Cadillac-Maschine unter meiner Motorhaube zu flattern begann.

Ich fragte mich, ob er mich tatsächlich geschafft hatte. Für alle Fälle wartete ich, bis er in einem Verkehrsstau in der Nähe des Metropolitan Airport steckenblieb, und fuhr auf der Schnellspur an ihm vorbei. Nachdem ich ihn eine halbe Meile im Rückspiegel behalten hatte, riskierte ich es, mich hinter einem langsam fahrenden Kombi mit Jugendlichen festklemmen zu lassen. Inzwischen hatte er jedoch wieder freie Fahrt, und das Donnergetöse seiner Maschine übertönte das Radio, als er rechts an mir vorbeizischte. Ich wartete auf eine Lücke und ordnete mich wieder hinter ihm ein.

Die Bremslichter der Wagen, die uns voneinander trennten, leuchteten in unregelmäßigen Abständen auf. Er hatte plötzlich das Tempo vermindert. Auch ich mußte mehrmals kurz hintereinander auf die Bremse treten, um nicht auf meinen Vordermann aufzufahren. Die anderen Fahrzeuge begannen den Laster zu überholen. Wenn ich nicht auffallen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als ebenfalls noch einmal an ihm vorbeizuziehen. Ich wechselte auf die Außenspur hinüber. Abrupt ging auch der Laster nach links. Ich riß das Lenkrad nach rechts, um eine Kollision mit seiner Stoßstange zu vermeiden und hielt mich dann auf gleicher Höhe mit seinen Hinterreifen.

Etwas Großes tauchte in meinem Rückspiegel auf. Doch bevor ich noch reagieren konnte, hatte sich bereits ein rußgeschwärzter Tanker mit der Aufschrift EXPLOSIVE CHEMIKALIEN rechts neben mich gesetzt. Als ich den Kopf hob, sah ich in das glänzende schwarze Gesicht des Fahrers, der durch das offene Seitenfenster hämisch zu mir herabgrinste. Ich war fachmännisch eingeklemmt. Vor uns befand sich noch ein dritter Laster. Als ich nach links hinauf zu Dooley blickte, hatte sich der auf der Beifahrerseite so weit es möglich war, ohne das Lenkrad loszulassen, aus seiner Fahrerkabine gelehnt. In seiner sehnigen Rechten zischte und knisterte ein langer roter Zylinder. Eine Signalrakete.

Ich schaffte es gerade noch, mein Seitenfenster hochzukurbeln, bevor er das Ding fliegen ließ und die Rakete funkensprühend gegen die Scheibe prallte. Obwohl ich sofort auf die Bremse trat, fuhr mir ein ohrenbetäubendes Bellen durch Mark und Pfennig. Hinter mir kam in schneller Fahrt ein vierter Laster mit grinsendem silbernen Kühlergrill heran. Seine Hupe ließ den Asphaltbelag der Straße erbeben. Jetzt wußte ich, wie sich eine Walnuß fühlte.

Ich hatte einmal an einer roten Ampel hinter einem großen Mercury gestanden, als ein Lastzug an dessen linker Seite unzulässigerweise nach rechts abgebogen war und dabei mit einem Satz seiner Räder die Motorhaube des Mercury überrollt und dabei fast in zwei Hälften geschnitten hatte. Der Fahrer des Lastzuges war unbeirrt weitergefahren. Er hatte den Wagen nicht einmal bemerkt. Ich hatte es jetzt mit vier von der Sorte zu tun, und mein Wagen wog kaum die Hälfte der demolierten Limousine. Meine Fingernägel gruben Löcher ins Lenkrad.

Und dann war ich plötzlich frei.

Es war, als habe ich auf einmal bemerkt, nur einen Alptraum zu haben und mit äußerster Willensanstrengung eine Änderung der Situation herbeigeführt. Ich befand mich ganz allein auf freier Strecke, während vor mir alle vier Lastzüge in der Ferne verschwanden, als habe jemand unvermittelt eine Feder losgelassen, von der sie zuvor zurückgehalten worden waren.

Hinter mir hupte ein Auto. Ich warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, daß der Fahrer eines blauen Datsun seine Scheinwerfer auf und ab blendete und mir mit dem linken Zeigefinger bedeutete, auf den Seitenstreifen zu fahren. Seine Gesichtszüge konnte ich nicht erkennen.

Allmählich langte es mir für einen Tag. Ich wechselte hinüber nach rechts, ließ den Wagen ausrollen und zog den Smith & Wesson aus seinem Halfter, noch bevor der Cutlass zum Halten gekommen war. Ich ließ die Fahrertür offen und wartete auf der anderen Seite des Wagens, den Revolver mit beiden Händen gefaßt und die Arme auf dem Vinyldach ausgestreckt, als der Datsun herankam. Ein grüner Chevette verlangsamte beim Vorbeifahren das Tempo, beschleunigte jedoch, als der Fahrer den Revolver erkannte.

Der Mann hinter dem Lenkrad des kompakten Japaners machte keine Anstalten auszusteigen. Ich knallte ihm eine Patrone in das Pflaster vor seiner Vorderachse. Kiesel und Asphaltsplitter prasselten gegen die Unterseite des Kotflügels.

»Aussteigen und Hände hoch!« befahl ich. Ein paar meiner wirkungsvollsten Nummern stammen aus Western-Filmen.

Er schob sich aus dem Wagen, beide Hände in Schulterhöhe, um sich dann zu seiner vollen Größe von ein Meter achtzig aufzurichten und mich seine blaue Sommeruniform mit Sergeantenstreifen sehen zu lassen. Die Sonne spiegelte sich in seinem Polizeiabzeichen.

Mir krampfte sich der Magen zusammen. »Bitte sagen Sie mir, daß Sie unterwegs zu einem Kostümfest sind«, bat ich.

»Heute scheint nicht gerade Ihr Glückstag zu sein, Freundchen.« Er hätte genausogut mit einem Verkehrssünder sprechen können. Er war stabil gebaut, wenn auch nicht so ein Muskelpaket wie Dooley Bass, aber dafür hatte er auch nicht so eine Wampe. Sein zerzaustes schwarzes Haar war grau meliert.

Ich stotterte, was man in einer solchen Situation so herausbringt, legte den Revolver auf das Wagendach und trat zurück, um meine eigenen Hände zu heben.

Er machte eine knappe Bewegung mit dem Unterarm. »Rüber auf diese Seite.«

Ich ging um den Cutlass herum und nahm die übliche Position ein – mit dem Rücken zu ihm, Arme und Beine gespreizt, die Hände gegen das Dach gestützt. Mehrere vorbeifahrende Wagen bremsten ab, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen. Zu Hause würden sie einiges zu erzählen haben.

»Privatdetektiv, wie?« Er teilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem Inhalt meiner Brieftasche und mir. Mein Achtunddreißiger steckte in seinem Gürtel, und seine Hände hatten mich überall abgetastet, wo ich eine zweite Waffe hätte versteckt haben können. »Ich bin auf dem Heimweg. Während der Fahrt hörte ich über Funk mit, wie sich diese Trucker über einen möglichen Raubüberfall verständigten, und dachte, da guckst du doch mal nach, was los ist. Als ich dann kräftig auf die Hupe drückte, brausten die vier plötzlich ab, als sei der Teufel hinter ihnen her. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, mich über den Rest aufzuklären.«

Ich hatte die Freundlichkeit. Als ich geendet hatte, gab er ein respektloses Schnalzen von sich.

»Wie lange sind Sie schon in dem Beruf?«

»Seit etwa zwei Jahren vor meiner Geburt.« Ich wandte mich zu ihm um. Seinen Revolver hatte er schon wieder in das Halfter geschoben.

»Dann sollten Sie eigentlich wissen, daß man so einen Laster höchstens zu zweit verfolgt. Wenn diese Burschen Sie richtig in die Mangel nehmen, sind Sie bloß noch Hackfleisch.«

»Ich arbeite immer allein.«

»So werden Sie dann auch beerdigt.«

»Werden Sie mich festnehmen?«

»Das könnte ich.«

Wir beobachteten uns gegenseitig. Ein leerer Abschlepper fegte an uns vorbei, daß unsere Kleider und Haare flatterten. Er gab mir meine Brieftasche und meinen Revolver zurück.

»Die Lizenz ist in Ordnung. Es besteht also kein Grund, eine Meldung zu machen. Im übrigen bekomme ich die Frequenz des Präsidiums nicht auf mein Gerät, und ich habe wenig Lust, noch mal zum Revier zurückzufahren. Ihr Führerschein muß im nächsten Monat erneuert werden. Ansonsten alles Gute zum Geburtstag.«

»Fragen Sie mich gar nicht, ob ich eine Anzeige erstatten will?«

»Weswegen? Verunreinigung der Straße? Das soll wohl ein Witz sein.«

»Ja. Besten Dank, daß Sie so fabelhaft reagiert haben, Sergeant. Eine Menge dienstfreier Polizisten hätten ihre Aufmerksamkeit auf ganz was anderes gerichtet. Ich stehe in Ihrer Schuld.«

Sein Gesicht war zum Grinsen geschaffen – kantig, faltig, mit müden Augen und einem breiten, humorvollen Mund. »Die beste Art, sie zurückzuzahlen wäre, wenn weder Sie noch dieses Vehikel mir noch einmal vor Augen kämen.«

Ich fingerte eine meiner Geschäftskarten heraus. »Falls Sie mal einen Detektiv brauchen sollten.«

Er warf einen Blick darauf, ließ die Karte in seiner Hemdtasche verschwinden und verabschiedete sich dann mit einem knappen Kopfnicken.

»Ich hätte noch gern Ihren Namen gewußt«, rief ich ihm nach, als er in seinen Datsun stieg.

Er legte den Sicherheitsgurt an. »Van Sturtevant. Van ist mein Vorname, kein Bestandteil des Nachnamens.« Er ließ die Tür mit einem satten Klacken zuschnappen.

Ich steckte mir eine frische Zigarette an und hob eine Hand, während er sich in den Verkehr einfädelte.

POLIZEI-SERGEANT ÜBERLEBT DREIFACHEN MORDANSCHLAG lautete am nächsten Morgen die Schlagzeile der Free Press.

Kapitel 2

An diesem Vormittag vermißte ich meine Klimaanlage. Die Luft im Wagen flimmerte vor Hitze, und der Sitz verbrannte mir durch die Hose die Oberschenkel. Auf dem staubigen Armaturenbrett unter der Windschutzscheibe hatten sich braune Häufchen toter kleiner Fliegen angesammelt. Während der Fahrt zum Büro nahm ich mir vor, den Wagen innen einmal gründlich sauberzumachen. Dieser gute Vorsatz war jedoch schon wieder vergessen, bis ich endlich einen Parkplatz gefunden hatte.

Meine Zeitung war an diesem Morgen nicht geliefert worden, und ich stellte zu spät das Autoradio an, um noch die Lokalnachrichten mitzukriegen. Deshalb kaufte ich mir an dem Zeitungsstand gegenüber von meinem Bürogebäude ein Morgenblatt. Die Überschrift fiel mir sofort in die Augen. Heutzutage benutzen sie Schrifttypen von solcher Größe nur für Kapitalverbrechen und den grotesken nuklearen Holocaust.

In den frühen Morgenstunden wurden im Nordwesten der Stadt offenbar bei einem Angriff aus dem Hinterhalt ein Detroiter Polizeibeamter lebensgefährlich verletzt und zwei weitere getötet. Auch einer der vier Tatverdächtigen kam dabei ums Leben.

In Zusammenhang mit diesem Verbrechen gesucht werden Alonzo Smith, 24, Luke David Turkel, 22, und Willie Lee Gross, 19. Zur Zeit des Feuerüberfalls wurde nach den drei Männern gefahndet, um sie bei der Untersuchung eines Falles von Brandstiftung zu verhören. Ein vierter Verdächtiger, Roscoe LaRue, 19, wurde bei der Erwiderung des Feuers verletzt. Im Detroiter Receiving Hospital konnte bei seiner Einlieferung um drei Uhr sechzehn nur noch sein Tod festgestellt werden.

Nach Angabe der Polizei stiegen Sergeant Edward F. Maxson, 38, und Streifenpolizist William Flynn, 22, vor einem Haus das Gross’ Vater gehört, in der Nähe des Mt.-Hazel-Friedhofs aus ihrem Streifenwagen, als Maxson von einem Schuß aus einem der oberen Fenster auf der Stelle getötet wurde. Ein zweiter Schuß verfehlte Flynn, der das Feuer erwiderte und über Funk Hilfe anforderte.

Der Funkspruch wurde von Sergeant Van Sturtevant, 43, aufgefangen, der ohne Partner auf Streifenfahrt unterwegs war. Laut Polizeibericht sah Sturtevant den verdächtigen LaRue einen kleinen Weg hinter dem Haus hinunter entfliehen, rief ihm nach stehenzubleiben und schoß, als LaRue nicht reagierte. Danach wurde Sturtevant in den Rücken und Flynn tödlich getroffen, als zwei Personen vom Friedhof aus zu schießen begannen. Der Sergeant, der seit achtzehn Jahren im Polizeidienst steht, befindet sich nach Angaben der Ärzte des Receiving Hospitals in kritischem Zustand.

Eine der umfangreichsten Fahndungsaktionen in der Geschichte Detroits wurde eingeleitet ...

In diesem Stil ging es weiter, in vorsichtigen Formulierungen, um keine Gesetze zum Schutz der Persönlichkeit zu verletzen, und abschnittweise über etliche Seiten fortgesetzt, so daß ich die Zeitung, um zu Ende zu lesen, mit hinauf ins Büro nehmen mußte, sonst hätte ich womöglich noch eine Strafe wegen Landstreicherei riskiert. Als ich fertig war, sah es bei mir aus wie in Que Noc, nachdem erst Charlies Propagandamaschine und dann auch noch unsere darüber hinweggeflogen waren und sich ihrer Flugblätter entledigt hatten. Ich räumte gerade auf, als das Telefon läutete.

Es war die energische Stimme aus der Telefonvermittlung, die mich aufforderte zu warten, bis sie mich mit Owen Mullett verbunden habe. Ich legte den Hörer fast behutsam auf.

Eine halbe Minute später klingelte es wieder. Ich legte erst die auseinandergerupfte Zeitung zusammen, genehmigte mir einen Schluck aus der Büroflasche und meldete mich dann.

»Ist Ihnen klar, wieviel Arbeit ich in der Zeit erledigen könnte, die es mich kostet, Sie wieder an die Strippe zu kriegen?«

»Nein«, sagte ich. »Wieviel, Mr. Mullett?«

»Wieviel was?«

»Wieviel Arbeit würden Sie in der Zeit erledigen können, die es Sie kostet, mich wieder an die Strippe zu kriegen?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte er verwirrt. »Eine Menge.«

»Rechnen Sie es aus, und rufen Sie mich zurück.« Ich unterbrach die Verbindung.

Ich zog eine Zigarette aus dem Päckchen, steckte sie mir an, schüttelte das Streichholz aus und warf es dann in Richtung des Souvernir-Aschenbechers auf meinem Schreibtisch. Diesmal hob ich nach dem dritten Läuten den Hörer ab.

»Was haben Sie denn mit mir für einen verdammten Quatsch vor, Walker?«

»Ihr Ton ist beleidigend, Mr. Mullett. Auf Wiederhören, Mr. Mullett.«

»Nein! Warten Sie! Legen Sie nicht ...«

Der Abwechslung halber meldete ich mich das nächste Mal gleich beim ersten Ton. »Mir gefällt auch ihr musikalischer Geschmack nicht.«

»Legen Sie nicht wieder auf!« flehte er. »Walker?«

»Am Apparat.«

»Hören Sie, ich weiß zwar nicht, was Ihnen für eine Laus über die Leber gelaufen ist, aber meinen Sie nicht, ich hätte ein Anrecht auf den Bericht, für den ich Sie bezahlt habe?«

Ich atmete ein paarmal tief durch. »Sie haben recht, Mr. Mullett. Bleiben Sie am Apparat.« Ich legte den Hörer auf meinen Tischkalender und umkreiste mit zunehmendem Tempo dreimal den Schreibtisch. Dann absolvierte ich sechzig Liegestütze, boxte mit meinem Schatten und trug einen technischen Sieg davon, baute mich vor dem originalen Casablanca-Poster in seinem nachgemachten Holzrahmen auf und bedachte Bogart mit einem Grinsen. Selbst auf einem vierzig Jahre alten, schlecht gemalten Reklameporträt konnte er immer noch besser grinsen als ich.

Nachdem ich mich auf diese Weise abreagiert hatte, kehrte ich zum Schreibtisch zurück, setzte mich, nahm den Hörer auf und berichtete mein Abenteuer vom Vortag, wobei ich allerdings Van Sturtevants Namen wegließ. Dafür hatte Mullett nicht gezahlt.

»Hm«, sagte er. »Hm. Glauben Sie, Dooley Bass würde Sie wiedererkennen?«

»Nur meinen Wagen.«

»Was ist mit den anderen Fahrern?«

»Ich weiß nicht. Meiner Meinung nach spielen sie aber keine Rolle. So wie ich die Sache sehe, wollten sie nur einem Kollegen helfen. Er hatte über Funk durchgegeben, daß er verfolgt wird. Wenn sie mit Dooley Bass unter einer Decke stecken, hätte es schon ein unwahrscheinlicher Zufall sein müssen, daß sie sich ausgerechnet alle in der Nähe befanden, als sie gebraucht wurden. Es sei denn, die ganze Sache ist viel größer aufgezogen, als Sie denken. In dem Fall würde ich an Ihrer Stelle das Wirtschaftsministerium einschalten.«

Er räusperte sich. Einmal mehr. »Arbeiten Sie weiter für uns, Walker?«

»Das hängt von Ihnen ab, Mr. Mullett. Gestern habe ich mich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Nächstes Mal hoffe ich besser auf Draht zu sein.«

»Machen Sie sich weiter keine Gedanken deswegen«, meinte er großmütig. Mochte er großmütig sein. Die Leute hören, was sie hören wollen. Und falls er meine Worte als Entschuldigung verstanden hatte, war es nicht meine Aufgabe, ihn anders zu belehren. »Ich habe schon mit sämtlichen Mietwagenzentralen in dieser Gegend zu tun gehabt«, fuhr er fort. »Nennen Sie einfach meinen Namen, und suchen Sie sich etwas Geeignetes aus. Ich meine ein unauffälliges Fahrzeug.«

Das ließ den roten Jaguar mit Leopardenfellsitzen ausscheiden, auf den ich bereits ein Auge geworfen hatte. »Wieder Dooley Bass?«

»Ja. Er muß Samstag eine Ladung Werkzeugmaschinen nach Monroe bringen. Über die Einzelheiten gebe ich Ihnen noch Bescheid. Die Zeitungen sind übrigens in Ann Arbor angekommen. Wir werden ihm aber auf den Fersen bleiben, bis er uns wieder zu bestehlen versucht.«

Ich fragte mich, ob Mullett selbst mitzufahren gedachte. »Bass wird aber jetzt gewarnt sein«, gab ich zu bedenken. »Sollten wir ihn nicht erst wieder in Sicherheit wiegen?«

»Ich bezahle nicht dafür, Bass in Sicherheit zu wiegen. Vertrauen Sie mir. Dieser Kerl hat selbstmörderischen Mumm. Er wird zu Fall kommen.« Diesmal legte Owen Mullett als erster auf.

Ich stellte das Radio an. Über die Schießerei gab es nichts Neues. Außer, daß es jetzt angeblich der zweiundzwanzigjährige Streifenpolizist war, der den flüchtenden LaRue angeschossen hatte. Sie schlachteten offenbar noch immer den ersten Polizeibericht aus, der inzwischen schon ein paar Stunden alt war. Ein Neuling im Polizeidienst pflegt im allgemeinen nicht allzuviel zu treffen, wenn ihm das Blei um die Ohren fliegt. Es ist schon schwer genug, wenn niemand zurückschießt. Ich schaltete wieder ab und zog das Telefonbuch aus der Schublade.

»Detroit Receiving.« Es war eine Frauenstimme.

»Hier spricht Alex Wainwright von den News«, meldete ich mich. »Ich möchte gern etwas über Sergeant Sturtevants Befinden erfahren.«

»Einen Augenblick, Sir.«

Eine andere Stimme klang aus der Leitung. »Hallo? Wer ist dort?«

Das war weder eine Krankenschwester noch ein Arzt. Das war Lieutenant John Alderdyce, Kindheitsfreund, Erwachsenen-Nemesis und angesehener Beamter vom Morddezernat. Ich nahm zu meiner Sessue-Hayakawa-Nummer Zuflucht.

»Hallo? Hallo? Dolt Fujiyama Lestaulant?«

Es folgte eine Pause. »Nein. Wer spricht dort?«

»Ah, Velzeihung! Lestaulant angelufen. Falsche Numbel. Wiedelsehen.«

»Warten Sie einen Moment. Wer ...«

Ich musterte stirnrunzelnd den Hörer auf der Gabel. Die Polizeiroutine erforderte vermutlich die Anwesenheit eines Beamten im Krankenhaus. Die Tatsache, daß er vom Morddezernat war, mußte nicht das Schlimmste bedeuten.

Trotzdem bedauerte ich, angerufen zu haben.

Als ich den Wagen erreichte, klebte mir bereits das Hemd auf dem Rücken, und als ich auf den Parkplatz des Krankenhauses fuhr, schimmerte das Hauptgebäude wie das versunkene Schloß von Atlantis hinter den aufsteigenden Hitzewellen. Das Pflaster unter meinen Füßen fühlte sich weich an, und in der Luft hing der süßliche Geruch von schmelzendem Teer. Ich rang nach Atem, als ich aus der Backofenhitze in die kühle, gedämpfte Atmosphäre der zentralen Eingangshalle trat.

Es war dies mein erster Besuch in den neuen Räumlichkeiten des Hospitals. Kurz vor dem Umzug war ich mit einer zersplitterten Rippe, die von einer Schußverletzung stammte, noch in das alte Gebäude gekarrt worden.

An der Rezeption dirigierte mich eine frisch geschrubbt aussehende, etwa vierzigjährige Krankenschwester mit der beanspruchten Miene eines Kompaniechefs im Bombenhagel zur Poliklinik und strich meine Existenz dann sofort wieder aus ihrem Gedächtnis. Zumindest hielt ich sie für eine Krankenschwester. Sie trug einen rosa Hosenanzug und keine Kopfbedeckung. Heutzutage bevorzugt die ganze Welt den Freizeit-Look.

Hieronymus Bosch hätte sich von dieser Poliklinik inspirieren lassen können. Ein alter Mann in einem zerbeulten Filzhut und einer zotteligen langen Wolljacke – trotz der Hitze – hockte auf einer Polsterbank und schaukelte sich laut stöhnend vor und zurück, wobei er ein offenkundig gebrochenes Handgelenk mit dem gesunden Arm an den Körper gedrückt hielt, während eine untersetzte Frau in mittleren Jahren neben ihm den Arm um seine knochigen Schultern gelegt hatte und ihn zu trösten versuchte. Am anderen Ende der Bank kauerte ein kleiner Junge von etwa zehn Jahren, vor dem Auge ein blutiges Taschentuch, neben einer zu stark geschminkten Frau, die mit verzerrtem Gesicht auf ihn einschimpfte. Neben dem breiten Eingang stand so etwas ähnliches wie eine Lernschwester in einer gelben Bluse und Designer-Jeans. Sie hielt einen Schreibblock in der Hand und befragte eine junge Frau, die unter einer dünnen Decke auf einer Tragbahre schlotterte, ob sie schon einmal mit dem Blauen Kreuz Verbindung aufgenommen habe. Männer in weißen Kitteln und Frauen in Hosen eilten mit wichtigen Mienen durch die Schwingtüren herein und hinaus. In Restaurants hätte ein solcher Betrieb herrschen müssen.

»Ich habe mich schon gefragt, wann du auftauchen würdest.«

Ich widerstand dem Impuls, beim Klang der Stimme hinter mir die Schultern hochzuziehen, und wandte mich um. John Alderdyce – schwarz, mit beginnender Glatze und wie üblich in einem Gabardine–Anzug und einem grauen, am Hals offenen seidenen Sporthemd makellos gekleidet – war auf lautlosen Gummisohlen durch die Tür hereingekommen, die auch ich benützt hatte. Das Weiße seiner Augen glitzerte argwöhnisch unter schweren blauschwarzen Brauen. Er wischte sich die Handflächen mit einer jener Papierservietten ab, die man in Krankenhäusern kriegt.

»War ich so schlecht?« Ich machte Anstalten, mir eine Zigarette zwischen die Lippen zu schieben, steckte sie dann jedoch wieder in das Päckchen zurück, da mir die Lernschwester einen strafenden Blick zuwarf.

»Deinen japanischen Akzent kenne ich mittlerweile«, versetzte John. »Komm mit.« Er machte kehrt und ging mir voran einen schmalen Flur entlang in einen kleinen Warteraum mit pastellfarbenen Wänden und gerahmtem Obst. Wir hatten zwei kurze Sofas und eine häßliche Grünpflanze auf einem Ständer aus künstlichem Holz ganz für uns allein. Aschenbecher gab es nicht. So spart man heutzutage die Schilder RAUCHEN VERBOTEN. Keiner von uns setzte sich.

»Wie geht es Sturtevant?« wollte ich wissen.

Alderdyce sah ernst aus, was nichts bedeutete. Das war bei ihm der Normalzustand. »Er ist noch immer im Operationssaal. Die Ärzte sagen, die Kugel drückt auf das Rückenmark, und sie wissen nicht, wieviel Schaden sie angerichtet hat, bevor das Ding raus ist.«

»Ich habe gehört, sein Zustand sei kritisch.«

»Das stimmt. Der beste Neurochirurg, den sie hier haben, arbeitet jetzt schon seit vier Stunden an ihm.« Er schwieg einen Augenblick. »Selbst wenn die Operation erfolgreich ist, muß man zu neunzig Prozent damit rechnen, daß er nicht mehr laufen kann.«

Ich blieb stumm.

»Warum hast du vorhin am Telefon nicht gesagt, daß du es bist?« fragte er.

Ich zuckte die Achseln. »Ich wollte nicht, daß du denkst, ich will mich in deinen Fall mischen. Strafpredigten brauche ich nicht.«

»Nein? Ich hatte gerade daran gedacht, mich mit dir in Verbindung zu setzen, als du im Krankenhaus anriefst.« Er zog ein kleines Kärtchen aus einer Innentasche und hielt es mir entgegen. Es war eine meiner Geschäftskarten. »Bei uns wird nach modernen Methoden gearbeitet, Walker. Wenn jemand eine Kugel einfängt und wir nach Antworten suchen, schicken wir natürlich das Hemd zu Tests ins Labor. Die Taschen werden zuerst überprüft.«

»Das war eine persönliche Angelegenheit«, erklärte ich. »Sie hatte mit der Schießerei nichts zu tun.«

»Trage bitte der Neugier eines Kriminalbeamten Rechnung.«

Ich gab ihm eine komprimierte Fassung des Vorfalls auf dem Edsel Ford Freeway. »Ich hoffe mit Sicherheit darauf zählen zu können, daß du keinen offiziellen Gebrauch davon machst«, fügte ich hinzu. »Sturtevant hat wahrscheinlich keinen Bericht geschrieben, und eine Kugel im Rücken reicht, auch ohne daß noch irgendwelche Vorgesetzten darauf rumspringen.«

Er nickte geistesabwesend und hatte dabei einen Gesichtsausdruck, als brauche er dringend eine Zigarette. Wie üblich. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo er nicht versucht hätte, von den Glimmstengeln loszukommen. »Ich werde Sturtevant danach fragen, falls er durchkommt. Ich hoffe für dich, daß er deine Geschichte bestätigt.«

»Ich auch. Du bist häßlich, wenn du wütend bist.«

»Das sagt meine Frau auch immer. Aber wir haben drei Kinder. Deshalb kann ich ihr keinen rechten Glauben schenken.«

»Was hast du über diese Schützen herausgekriegt?«

Die Falten in seinem Gesicht vertieften sich. »Alles, außer wo sie sich im Augenblick befinden. Die übliche Geschichte: Im Getto geboren von Eltern, die Alkoholiker sind. Mit neun Jahren Reifen aufgeschlitzt, mit vierzehn rein und raus aus der Jugendstrafanstalt. Alonzo Smith ist eine Art Ausnahme. Er war ein nichtsnutziger Lümmel wie die anderen, aber als er achtzehn wurde, ging er für drei Jahre zur Marine. Die meisten von den Kerlen lassen sich ja nicht einmal zur Ableistung des Militärdienstes registrieren, wenn sie dazu aufgefordert werden.«

»Wie sieht es mit seiner Führung aus?«

»Nicht so schlecht, wie man meinen möchte. Ein paar kleinere Disziplinarstrafen, und einmal mußte er wegen Insubordination für eine Woche in den Bau, aber im großen und ganzen scheint er sich der militärischen Disziplin unterworfen zu haben. Das könnte auch der Grund sein, warum er so versessen darauf war, sich dieser Neo-Black-Panther-Gruppe anzuschließen, zu der er und die anderen gehörten.«

»Nur die vier?«

Er schüttelte den Kopf. »Es sind leider noch mehr. Alles Arschlöcher. Sie waren schon so oft im Knast, daß ihre Finger permanent mit Stempelfarbe eingefärbt sind. Wir kreisen sie jetzt ein. Einer von ihnen weiß bestimmt etwas.«

»Die werden sich gar nicht bremsen können auszupacken.«

»Smith hat eine Freundin. Die werden wir in die Mangel nehmen.« Er warf einen schnellen Blick zum Eingang und sah mich dann an. Seine Augen waren tiefliegend und sehr leuchtend. »Smith, Turkel, Gross. Ich habe das noch nie jemand erzählt, aber wenn ich mit der Untersuchung eines Falles beginne, schreibe ich mir immer die Namen der Tatverdächtigen auf einen Zettel und klebe ihn mit Tesafilm an den Badezimmerspiegel. Auf diese Weise sehe ich die Namen jeden Morgen beim Rasieren und hämmere mir ein, den ganzen Tag an nichts anderes zu denken. Aber weißt du was? Diesmal werde ich das nicht zu tun brauchen. Smith, Turkel, Gross. Nein, bestimmt nicht. Diesmal vergesse ich auch so nicht, an sie zu denken.«

»Wie gut kanntest du Sturtevant und die anderen?«

»Gar nicht. Ich habe nie mit einem von ihnen zu tun gehabt. Sturtevant wurde in den Operationssaal gerollt, bevor ich ihm eine Frage stellen konnte. Aber ich vergesse trotzdem nicht. Vielleicht sind die Namen besonders einprägsam: Smith, Turkel, Gross.«

»Es sind nicht nur die Namen.«

Er zuckte die Achseln. Ich holte mein zerdrücktes Päckchen Winston heraus und bot ihm eine an. Er nahm Sie. Ich bediente mich selbst und gab uns beiden Feuer. Das Streichholz ließ ich in dem Topf der Grünpflanze verschwinden.

Alderdyce sog den Rauch so tief ein, daß nur wenig wieder herauskam. »Worin besteht dein Interesse an der Sache?« Seine Augen prüften mich wie die Finger eines Arztes.

»Wie schon gesagt, es ist rein persönlich.«

»Weil er dir etwas Gutes getan hat?« Er machte eine skeptische Miene.

»Nicht nur das. Obwohl das allein schon sehr viel wäre. Ich bin an meinen Hals gewöhnt und deshalb geneigt, jedem, der ihn rettet, sehr viel Wohlwollen entgegenzubringen.« Ich schnippte etwas nicht vorhandene Asche in den Blumentopf. »Als ich die Hälfte der Grundausbildung hinter mir hatte, erlebte ich mit, wie ein Feldwebel von einer Granate in Stücke gerissen wurde, die ein Spaßvogel an seiner Feldkiste angebracht hatte. In der ersten Sekunde war er noch da, und in der zweiten war er nur noch eine blutige Masse in einer zerfetzten Uniform. Ich kannte ihn gar nicht, aber ich brauchte eine Weile, um darüber hinwegzukommen. Als ich las, was heute früh passiert ist, mußte ich sofort an ihn denken. Du hast Sturtevant nie kennengelernt. Ich bin ihm nur einmal begegnet. Ergibt dies einen Sinn?«

Er sah mich merkwürdig an. »Misch dich nicht ein, Walker.«

»Wer? Ich?« Meine Arglosigkeit war nicht ganz überzeugend.

»Wir reden nicht zum erstenmal über deine Arbeit und meine Arbeit, und ob du dich in polizeiliche Ermittlungen einschalten solltest oder nicht. Diesmal meine ich es wirklich ernst. Es wird nicht ohne Tote abgehen. Sieh zu, daß du nicht einer von diesen Toten bist.«

Er drückte seinen Zigarettenstummel in der feuchten schwarzen Erde im Blumentopf aus und sah mich dann wieder an. Ich rauchte schweigend.

»Nun sag es schon«, forderte er mich auf.

»Ich bin nur dankbar.«

»Wofür?«

»Daß mein Name nicht an deinem Badezimmerspiegel klebt.«

Er ging hinaus. Ich rauchte meine Zigarette zu Ende und verließ den Raum eine Minute später. Eine kleine, schlanke Blondine stand auf dem Flur und schluchzte unterdrückt in ein derbes Taschentuch. Sie trug ein enges schwarzes Kleid, als befände sie sich bereits in Trauer, und ihre Haare sahen aus, als habe sie sich in großer Eile schon vor Stunden gekämmt und seither nicht mehr in den Spiegel gesehen.

»Mrs. Sturtevant?« fragte ich behutsam.

Sie hob ein vom Weinen verschwollenes Gesicht. »J ... Ja?« Ihre Augen blieben an einem Punkt in halber Höhe zwischen uns haften.

Ich schrieb etwas auf die Karte, die Alderdyce mir zurückgegeben hatte, drückte sie ihr in die Hand und entfernte mich, nachdem ich noch ein paar unzureichende Floskeln gemurmelt hatte. Am Ende des Flurs drehte ich mich noch einmal um und sah, wie sie lautlos die Worte nachformte, die ich auf die Karte gekritzelt hatte: »Ohne Honorar.«

Das war mein zweiter Fehler.

Kapitel 3

Als ich in die Halle kam, stauchte gerade ein hochgewachsener alter Mann in grünem Chirurgenkittel vor einem Dutzend Krankenschwestern, Patienten und Besuchern in vernehmlichem, grobem Flüsterton einen jungen Pfleger zusammen. Der Alte hatte einen kleinen, runden Kopf mit einem wilden Büschel schneeweißer Haare auf einem langen, dürren, faltigen Hals montiert und unterstrich jede seiner Verwünschungen mit einem Abwärtsschlag seines dünnen, rechten Armes, wie Hitler, der Beethoven dirigiert. Der Pfleger ließ das Donnerwetter ohne aufzumucken über sich ergehen. Als der alte Mann fertig war, umklammerte der Pfleger den Griff seiner leeren, fahrbaren Krankenbahre so fest, daß seine Fingerknöchel weiß hervortraten und entfernte sich eilig in Richtung der Aufzüge. Eine verlegene Stille wurde schnell von den üblichen Geräuschen in einer Eingangshalle aufgeschluckt.

»Er muß ja etwas Schreckliches ausgefressen haben, um so eine Schimpfkanonade zu verdienen«, sagte ich, als ich mich dem Alten näherte.

Er wandte mir das Gesicht zu und musterte mich mit scharfen, alten Augen, die mit einem Blick wogen, analysierten, etikettierten und katalogierten, von oben bis unten. Rote, runde Flecken von der Größe einer Geldmünze glühten auf seinen ansonsten eher fahlen Wangen. »Er hängt ständig im Schwesternzimmer herum, wenn er eigentlich arbeiten sollte. Dies hier ist ein Krankenhaus, kein Treffpunkt für einsame Herzen. Und wer sind Sie?« Seine Stimme hatte einen eisernen Kern.

»Mein Name ist Walker. Ich untersuche den Fall Sturtevant. Sind Sie der Chirurg, der ihn operiert hat?«

Sein pergamentenes Gesicht verzog sich mißbilligend. »Eben habe ich gerade mit Ihrem Lieutenant Alderdyce gesprochen. Wenn bei uns so gearbeitet würde wie in Ihrem Polizeipräsidium, würden wir denselben Blinddarm dreimal herauszunehmen versuchen. Reden Sie irgendwann auch einmal untereinander?« Er setzte sich mit langen, ausholenden Schritten in Bewegung, so daß ich in Trab verfallen mußte, um ihn einzuholen.

»Ich gehöre nicht zu Alderdyces Mannschaft«, bekannte ich wahrheitsgemäß. »Wie ist die Operation verlaufen?«

»Die Operation ist gelungen. Der Patient wird nie wieder laufen, das ist alles.« Er spie die Worte förmlich heraus. »Und ich wünschte, das wäre das Schlimmste daran.«

»Was ist das Schlimmste?« Die Stimme blieb mir fast im Halse stecken.

Er warf den Operationskittel ab, stopfte ihn mit Hilfe einer kurzbeinigen Frau mit Hängebacken und einem schwarzen Haarnetz in einen Schmutzwäschebehälter auf Rädern, bedachte sie mit ein paar freundlichen Worten und ging dann, von mir gefolgt, durch eine Tür mit der Aufschrift NUR FÜR PERSONAL. Die Blicke der Frau hingen anbetend an seinem langen, dürren Rücken. Er schien der Robert Redford der Gummistrumpf-Träger zu sein

Der Aufenthaltsraum des Chirurgen besaß mehr Persönlichkeit als das Wartezimmer und keinen kulinarischen Wandschmuck. Ein bedeutungsvoller Blick wurde zwischen dem Chirurgen und einem bärtigen jungen Mann gewechselt, der mit einem unförmigen weißen Kittel bekleidet auf einem Kunstledersofa saß. Der Bärtige legte seine medizinische Fachzeitschrift aus der Hand und verschwand.

Der Alte goß sich aus einer Glaskanne Kaffee ein. »Streng vertraulich?« Er bot auch mir Kaffee in einem Pappbecher an, der in einem Plastik-Klapparatismus mit Henkel steckte. Den Kaffee lehnte ich dankend ab, bedeutete dem Chirurgen jedoch, daß ich mit der vertraulichen Behandlung seiner Auskünfte einverstanden sei. Er trank in kleinen Schlucken. Seine Brust und sein Bauch formten unter dem schweißgetränkten T-Shirt einen perfekten Zylinder.

»Wenn Sie etwas davon verlauten lassen, werde ich leugnen, überhaupt mit Ihnen geredet zu haben«, erklärte er mit einem Blick, der mich förmlich aufspießte. »Unter uns gesagt, hätte die Operation überhaupt nicht gemacht werden dürfen. Sturtevants Blutdruck ist so hoch, daß man Mathematik studiert haben müßte, um ihn messen zu können. Allein die Narkose hätte einen Schlaganfall bewirken können.«

»Wessen Entscheidung war es, zu operieren?«

»Meine.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Ich glaube, ich trinke doch einen Schluck Kaffee.«

»Bedienen Sie sich.«

Ich goß dampfende gelbe Flüssigkeit in einen Pappbecher samt Halteapparat. »Und warum haben Sie sich zur Operation entschlossen?«

»Ich habe wohl auf eine Art Gottesurteil gehofft.« Er lehnte sich mit dem Steißbein gegen einen Tisch, auf dem sich Papiere und zerknitterte braune Umschläge stapelten. »Die Kugel steckte auf so gefährliche Weise im Faserknorpel zwischen dem dritten und vierten Lendenwirbel, daß schon eine Verlagerung vom Bruchteil eines Millimeters eine Lähmung oder gar den Tod hätte verursachen können. Natürlich hätten wir abwarten und erst einmal versuchen können, seinen Blutdruck herunterzubringen, aber dazu war das Risiko zu groß. Ein einfaches Husten hätte ihn umbringen können. Ich habe seine Chancen zu überleben mit einer Operation größer eingeschätzt als ohne. Mrs. Sturtevant erklärte sich einverstanden, als ich ihr die Situation erläuterte.«

»Aber er ist jetzt doch gelähmt.«

Er verzog das Gesicht und stellte seinen Becher auf einem freien Fleckchen des Tisches ab. Es konnte der Kaffee sein, weswegen er die Grimasse gezogen hatte. »Es waren zu viele Nerven und zuviel Zellgewebe zerstört. Mich macht vor allem besorgt, was passiert, wenn er eine Reihe leichter Schlaganfälle bekommt, was im Augenblick nicht auszuschließen ist. Ohne die Gefahr, daß er wieder zu bluten anfängt, können wir keine Antigerinnungsmittel verabreichen, um sie zu verhindern. Er hat schon zu viel Blut verloren. Einen Anfall könnte er wahrscheinlich aushalten. Sollten mehr folgen, müßte man mit einer Lähmung des Gehirns oder dem Tod rechnen.«

Ich horchte einen Augenblick auf das Summen der Klimaanlage. »Weiß seine Frau Bescheid?«

»Ich habe es ihr etwas verbrämt beigebracht. Alles andere könnte zu einer Klage wegen eines ärztlichen Kunstfehlers führen.« Er beobachtete mich mit harten gelben Augen von der Farbe des Kaffees. »Das ist der Hauptunterschied zwischen der Medizin und der Juristerei, Mr. Walker, Jura ist eine exakte Wissenschaft.«

Ich trank aus und warf den Becher in den Papierkorb. »Sie waren sehr offen und hilfsbereit, Dr ...?«

»Praetorius.« Er richtete sich auf und drückte mir mit seinen Chirurgenfingern die Hand. »Alvin Praetorius.«

Ich bedachte ihn mit einem Grinsen, nach dem mir eigentlich gar nicht zumute war. »Praetorius? War das nicht der Name des besessenen Arztes in ›Frankensteins Braut‹?«

»Keine Ahnung«, versetzte er kühl. »Ich sehe mir keine Kinderfilme an.«

Die abgestandene, feucht-heiße Luft auf dem Parkplatz schlug mir wie eine Faust ins Gesicht. Aber das war mir alles immer noch lieber als die bedrückend sterile Atmosphäre im Krankenhaus. Hier draußen konnte man erwürgt werden, erschlagen, erschossen und vergiftet, aufgeschlitzt und in Einzelteile zerstückelt per Post im ganzen Land verschickt. Aber wenn es zum Sterben kam, schloß einen wenigstens niemand an jede Menge Schläuche an oder säbelte an einem herum unter der zweifelhaften Voraussetzung, daß selbst ein Leben ohne Gehirnfunktionen immer noch besser war als gar keins.

Ich liebe Horrorfilme. In denen wird der irre Arzt immer noch vom Schicksal ereilt, bevor er zu weit geht.