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Sagt uns die Bibel, was wir schon wissen? Oder handelt sie von Geschichten, die uns nichts angehen? Die Bibel ist uns zugleich fremd und nahe — so die These der vorliegenden Arbeit. Die Metaphorik von Schriftlichkeit und Mündlichkeit spielt bei Martin Luthers Begründung der Schriftautorität und bei der Darlegung der Autorität von Schrift und Tradition auf dem Trienter Konzil eine zentrale Rolle. Die lutherische Hervorhebung der ursprünglich "mündlichen" Qualität des Evangeliums, wie es durch die Schrift vermittelt wird, dient dazu, die Schrift als zugleich nahes und fremdes Wort Gottes zu reflektieren. Als mündliches Wort bleibt die Schrift Wort Gottes, dessen Autor seinen "Text" nicht aus seiner Deutungsvollmacht entlässt – also fremdes Wort. Als mündliches Wort spricht die Schrift aber auch konkret in unsere Situation, in der Gott sich als der Immanuel, der Gott mit uns, vorstellt. Der Autor wurde mit der vorliegenden Arbeit im Jahr 2018 promoviert. [The Orality of Scripture. Reconstructing the Lutheran Principle of Scripture] Does the Bible tell us what we already know? Or is it a collection of ancient stories that are no concern to us? The Bible is strange but yet close, that is the thesis of this paper. The metaphor of both the written and the oral form played an important role for Martin Luther's explanation of the authority of Scripture as well as for the presentation of the authority of "Scripture and Tradition" at the Trient Council. The Lutheran emphasis on the "oral" quality of the Gospel, as conveyed through the Bible, serves to reflect Scripture as both a close and external Word of God. As an oral word the Scripture is a Word of God, whose author does not release his "text" from his power of interpretation – and thus remains a foreign word. As an oral word, however, Scripture also speaks concretely into the present situation, in which God reveals himself as the Immanuel, the God with us.
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Seitenzahl: 345
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Simon Kuntze
Die Mündlichkeit der Schrift
Eine Rekonstruktion des lutherischen Schriftprinzips
Simon Kuntze, Dr., Jahrgang 1975, studierte Theologie und Arabistik. Er ist Pfarrer der Friedenskirche Potsdam-Sanssouci und Stadtkirchenpfarrer und Mitglied des Theologischen Ausschusses der UEK.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2020 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: Zacharias Bähring, Leipzig
Satz: 3W+P, Rimpar
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2020
ISBN 978-3-374-06300-0
www.eva-leipzig.de
»Mit Hilfe von Sprache kann etwas gesagt werden, was noch nie gesagt worden ist.«
Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft
»Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen.«
Karl Valentin
»Wenn ihr zusammenkommt, hat jeder einen Psalm, eine Lehre, eine Offenbarung, eine Zungenrede, eine Auslegung. Alles geschehe, dass das Haus erbaut werde.«
1 Kor 14,26
Die vorliegende Untersuchung hat sich aus einer im Sommer 2000 verfassten Seminararbeit zum Disput zwischen Luther und Erasmus um die Geltung der Schrift entwickelt. Seitdem hat mich das Thema der Mündlichkeit der Schrift begleitet. Im Frühjahr 2018 habe ich mir endlich die Zeit genommen, mein Promotionsprojekt dazu während einer Studienzeit zum Abschluss zu bringen. Die Promotion wurde von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen.
Mein Dank geht an Professor Michael Weinrich, in dessen Seminaren und Vorlesungen am kleinen Institut für evangelische Theologie der FU Berlin ich überhaupt lernte, was Theologie denn ist und sein kann. Ohne ihn wäre ich heute möglicherweise Journalist oder Schauspieler. Schöne Berufe! Aber ich bin dankbar, Pfarrer und Theologe geworden zu sein.
Mit Michael Weinrich habe ich die Themenstellung zu der vorliegenden Untersuchung entwickelt, er gab mir wichtige Hinweise zur Fokussierung der Arbeit und unterstützte mich nachfragend, freundlich und bestimmt.
Ich danke der Landeskirche (EKBO) für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses zur Veröffentlichung dieser Arbeit. Weiterhin danke ich der Landeskirche und dem Kirchenkreis Potsdam, die die Studienzeit zur Fertigstellung dieser Arbeit gewährt haben. Ich danke den Kollegen und Mitarbeitern, die meine pfarramtlichen Aufgaben in der Studienzeit übernommen und mir so die Zeit und Möglichkeit gegeben haben, diese Arbeit fertigzustellen: Dr. Joachim Zehner (†), Matthias Mieke, Bernhard Fricke, Klaus Büstrin, Götz Doye, Anna Bräutigam, Mareike Knoll-Arnold, Ida Wiesigstrauch, meinem Sohn Joram Kuntze, Hendrik Stephan.
Mein Dank geht an meine Frau Dr. Lena Kuntze für die begleitende Lektüre und die Diskussionen zur frühkindlichen Sprachentwicklung und zur Bedeutung der Sprache für Eltern- und Gruppenbindung. Ich danke Andreas Oelze für die Korrekturlesung, die genaue und kritische Durchsicht der Arbeit und seine kritischen Anfragen zur Lutherrezeption. Ich danke Prof. Dr. Johann Evangelist Hafner für die Hinweise zur römisch-katholischen Lehre von Schrift und Tradition; Michael Marx, Corpus Coranicum, für die Gespräche zur Mündlichkeit des Koran; PD Dr. Andreas Stegmann für den Hinweis zum Verständnis des Luthertextes WA 10 I 1,183, 3–16; Dr. Anis Towfigh und Dr. Nadi Towfigh für das Gespräch zu Autorität und mündlicher Rede in der Gemeinschaft der Bahai und zum Stellenwert der Predigt in der Kirche; Aristippos Blanas, Gymnasium Hermannswerder, für die Sichtung der lateinischen Zitate und seine Hinweise dazu; meinen ebenfalls promovierenden Pfarrkollegen Juliane Göwecke und Jens Jacobi für die Hinweise zum Thema meiner Arbeit; Dr. Harald Haury für die Überlassung seines Manuskripts zur Bibelauslegung des Mittelalters und der Antike; meiner Tochter Lucy Kuntze für das Nachfragen nach dem Stand der Arbeit und die Geduld. Ich danke Prof. Dr. Traugott Jähnichen ganz herzlich für die freundliche Unterstützung im Promotionsverfahren.
Potsdam, im Juni 2019
Simon Kuntze
Cover
Titel
Über den Autor
Impressum
Danksagung
Einleitung
1.Medialität und Autorität. Die Fragestellung
2.Lesen, Hören, Verstehen. Die Diskussion um die Autorität der Schrift
2.1Autorität
2.2Textkrisen
2.3Mündlichkeit der Tradition und Mündlichkeit der Schrift
2.4Mündlichkeit als Fremdheit und Nähe. Die Diskussion in der evangelischen Theologie des 20. Jahrhunderts
2.4.1hic et nunc – tua res agitur. Karl Barth und Rudolf Bultmann
2.4.2Der gesprochene Mensch und die gehörte Schrift. Ernst Fuchs und Gerhard Ebeling
2.4.3Fremdheit und Nähe. Werner Kelber und Walter Mostert
2.4.4Die neue Welt der Schrift. Die aktuelle Diskussion um Mündlichkeit und Schriftlichkeit
3.Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Biblische Aspekte
3.1Schreiben im Sand
3.2Ich bin, der ich bin
3.3Stab und Mund
3.4Tora und Lied
3.5Das gesprochene und das geschriebene Wort Gottes
4.Gewissheit des Glaubens und Klarheit der Schrift
4.1Das Geheimnis des Glaubens und die Dunkelheit der Schrift nach Basilius von Caesarea
4.1.1Der Streit um den Geist
4.1.2Kerygma und Dogma
4.2Assertio und Geheimnis: Der Streit zwischen Luther und Erasmus
5.Die Mündlichkeit des Evangeliums bei Luther
5.1Christus hat nicht geschrieben, sondern gesprochen
5.2»Bei dem Gesang kennt man den Vogel.« Die Selbstexplizierung mündlicher Rede
5.2.1Alterität und Selbstmitteilung
5.3Der Sprecher und sein Spruch. Synekdoche und Christologie
5.4»Nicht auf Papier geschrieben, sondern in die Welt gerufen«. Die größtmögliche Öffentlichkeit der mündlichen Verkündigung
5.5Das mündliche Evangelium dringt ins Herz
5.6Die vorausweisende Schrift und die verkündigende Stimme
5.7Schrift, Stimme, Geist
5.7.1Tote Schrift und lebendige Stimme
Exkurs I: Geschriebene und gesprochene Sprache
5.7.2Zerteilte und richtende Schrift
5.7.3»Der Buchstabe tötet zum Leben«. Die Herrlichkeit der Dienste
Exkurs II: Gottes Schreiber und Sprecher. Die Inspiration der Schrift bei Martin Luther und in der lutherischen Orthodoxie
5.8Gott ist reich in seiner Gnade durchs mündliche Wort
5.9Die mündliche Predigt wirkt den Glauben
5.9.1Fides ex auditu – Die mündliche Predigt
5.9.2Wer glaubt unserem Predigen? Eifersucht und Vertrauen
6.»Wer schafft uns Gewissheit?« Die Motivation der römisch-katholischen und der evangelischen Lehre von der Schrift
7.Fremde Rede von unserem Leben. Zum Schluss
Bibliographie
Quellen
Sekundärliteratur
Personenregister
Sachregister
Bibelstellenregister
Altes Testament
Neues Testament
Weitere Bücher
Endnoten
Verschiedene Religionen haben ihre heiligen, kanonischen oder klassischen Texte. Gewinnt die Form eines heiligen Textes eine kanonische Verbindlichkeit, so dass von dieser Schrift nichts entfernt und nichts hinzugetan werden darf (Dtn 4,2; 13,1; Mt 5,17–19),1 stellt sich die Frage rechter Auslegung in einem sich wandelnden Kontext. Denn die kanonisierte Normativität dieser Primärtexte für die jeweilige Glaubensgemeinschaft ist aufrichtendes Rückgrat und drückendes Kreuz zugleich. Es braucht den Kanon zur Orientierung. Aber wie werden bei einem fixierten Textbestand Lesefrucht und Lebenspraxis so vermittelt, dass die sich wandelnde Lebensform als eine der Überlieferung gegenüber treue hervortritt? Die Gebote und die durch die Schriften vermittelte Verheißung und Hoffnung bedürfen offensichtlich der Auslegung in der sich verändernden Lebenssituation.
So steht in Glaubensgemeinschaften, die eine Offenbarungsschrift zur Grundlage haben, das durch sie Gebotene nicht in absoluter gleichbleibender Geltung. Die neutestamentliche Weisung, kein Blut zu essen (Apg 15,29),2 wurde in der Kirche nicht tradiert. Auf dem Konzil von Florenz 1441/1442 wird dies damit begründet, dass zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Verbot die Funktion hatte, Juden und Heiden einen gemeinsamen Gottesdienst zu ermöglichen; als aber die »Ursache für jenes Verbot der Apostel aufhörte, da hörte auch die Wirkung auf«3. Das Gebot der Leviratsehe (Dtn 25,5–10) wurde im Judentum zunächst eingeschränkt, und schließlich abrogiert4. Im Islam wiederum sind zentrale Weisungen wie das fünfmalige Beten am Tag nicht eindeutig koranisch begründet, sondern entwickelten sich aus der Exegese und Tradition.5
Die Frage nach der lebensbezogenen Bedeutung und gleichzeitigen Bewahrung der kanonisierten Schrift motiviert im rabbinischen Judentum die Entstehung der Tradition von mündlicher und schriftlicher Tora, im Islam die Entwicklung einer Hadith-Literatur; sie führt im Christentum zur Entwicklung der Lehre von der sich selbst interpretierenden Schrift in den Kirchen der Reformation und in der römisch-katholischen Kirche zur tridentinischen Bestimmung über die Heilige Schrift und die nichtgeschriebenen Überlieferungen6.
Im Islam hat die »Mündlichkeit des Koran« eine weitere Bedeutung und Konnotation, die dem Judentum und dem Christentum in dieser ausgeprägten Form fremd ist: die Offenbarung an Muhammad erfolgte als Vermittlung eines mündlichen Textes7, der wiederum auf Rezitation drängt. Die »wohlverwahrte Schrift« der Offenbarung findet sich in ihrer Urform einzig bei Gott.8 Der mushaf, d. h. der Kodex als Koran in uns vorliegender Buchform, ist wiederum genau genommen einzig die materiell graphische Aufzeichnung des quran, also der klanglichen Rezitation. Diese Klangwerdung, die Rezitation des Koran, ist also der Offenbarung an Muhammad letztlich näher als das geschrieben vorliegende Buch. Insofern überrascht es nicht, dass der kunstvoll rezitierte Koran im Alltag der Muslime eine herausragende Rolle spielt und im 20. Jahrhundert neben der schriftlichen Kairiner Koranausgabe die Aufnahme und Verbreitung einer offiziellen Rezitation der verschiedenen »Lesarten« verwirklicht wurde. Begründet wurde dieses aufwendige Projekt damit, dass der Vortrag und die mündliche Überlieferung für die Muslime immer Vorrang vor dem geschriebenen Text gehabt habe.9
Im christlichen und jüdischen Kontext hat die Rede von der »Mündlichkeit« und der »Schriftlichkeit« der Offenbarung anders als im Islam nicht allein und noch nicht einmal vordergründig die mediale Verwirklichung der Offenbarung Gottes im Blick, sondern die Frage nach der Autorität der Offenbarung Gottes, der Auslegung dieser Offenbarung, und der diese Auslegung verantwortenden Glaubensgemeinschaft oder besonders berufener Autoritäten.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der »evangelischen Lösung« dieser Problematik, dem so genannten Schriftprinzip, dessen Ende und Krise bereits wiederholt verkündet oder angekündigt wurde.10 Das Schriftprinzip teilt – so scheint es – das Schicksal seines Bezugspunktes; es wird vor die gleiche Frage gestellt, wie die Schriften der Bibel selbst: hat es noch Gültigkeit?
Nun ist das Schriftprinzip nicht der Boden, auf dem die evangelische Kirche steht. Es benennt vielmehr den Entdeckungshorizont, der den Reformatoren angemessen die Geltung der Bibel selbst ins Licht zu stellen schien. Wenn wir deshalb heute auf andere Art und Weise als die ersten Reformatoren die biblische Grundlegung der Kirche begrifflich fassen, katapultiert uns dies nicht notwendig in den Orbit freier Geistschwärmerei, noch unterliegen wir automatisch der Zentripetalkraft einer gleichsam nach innen weisenden kirchlich gebundenen Schriftautorität.
Wer zu allen Zeiten das Gleiche sagt, sagt jedenfalls nicht notwendig dasselbe. Die Parole sola scriptura reicht nicht aus, um die rechte »Evangelizität« der Kirche zu begründen. Die Frage, die bereits Kanonisten und Theologen des 12. Jahrhunderts wie Robert von Melun (gest. 1167) und Praepositinus von Cremona (1130–1210) beschäftigte,11 ist damit ja nicht beantwortet: wie gehen wir mit den widerstreitenden Auslegungen der Schrift und dem Wandel der Zeiten um, der uns vor Fragen stellt, die mit Verweis auf die allein gültige Bibel nicht beantwortet sind. Die Aufgabe, den Grund des Glaubens und unseren Bezug dazu zu fassen, ist deshalb eine bleibende.
Das sola scriptura und das tridentinische in libris scriptis et sine scripto traditionibus geben uns nicht in erster Linie Antwort auf die Frage nach der Anzahl der Autoritäten, sondern stellen dar, wie in der Kirche der Umgang mit den biblischen Schriften und den tradierten Bekenntnissen und Lehrmeinungen sinnvoll ausgerichtet wird.
Der paradox erscheinende Titel dieser Arbeit verweist auf die in diesem Zusammenhang von Martin Luther hervorgehobene »mündliche« Qualität des Evangeliums, das uns jedoch nur in »der Schrift«, also in der durch die Kirche rezipierten Bibel begegnet.12 Der Titel bringt also ein Moment der Schriftautorität zur Geltung, das Martin Luther im Blick auf die Wirkung des Evangeliums Jesu Christi betonte. Er schrieb von der »Mündlichkeit des Evangeliums« und nicht paradoxal von der »Mündlichkeit der Schrift«. Jedoch hat diese etwas verkürzte Formel, die Luthers Betonung der Mündlichkeit des Evangeliums und der Autorität der Schrift zusammen denkt, auch im Blick auf Martin Luthers Ausführungen ihre Berechtigung. Er illustrierte in der Vorrede auf das Neue Testament mit Bedacht die Mündlichkeit des Evangeliums mittels der alttestamentlichen Erzählung vom Sieg Davids über Goliath.13 Denn für Luther vermitteln »Mose und die Propheten«, also die Schriften des Alten Testaments, genauso Evangelium wie das, was hernach die Apostel verkündigt haben.14
»Allein die Schrift«; »Die Heilige Schrift legt sich selber aus«; die »Mündlichkeit der Schrift«: Keine dieser Formeln umschreibt an sich die evangelische Argumentation zur Autorität der Bibel vollständig. Alle diese Formeln bringen perspektivisch nur bestimmte Momente zur Sprache, und blenden dabei andere aus. Sie bieten so, als griffige Formeln, Raum für weitere Auseinandersetzungen, aber auch für oberflächliche Verkürzungen und für Missverständnisse. Allerdings geben sie auch die Möglichkeit, im Diskurs bestimmte Aspekte angemessen zur Geltung zu bringen und letztlich dazu beizutragen, die Autorität der Bibel für den Moment genauer zu erfassen.
Die vorliegende Arbeit thematisiert zum einen die Mündlichkeit der Schrift. Ziel ist aber nicht allein, in der Nachfolge Emanuel Hirschs,15 Paul Schempps,16 Gerhard Ebelings,17 Karl Heinz zur Mühlens,18 Albrecht Beutels19 und anderer noch ein Mal darauf hinzuweisen, dass nach evangelischem Verständnis die Bibel erst in der mündlichen Verkündigung zu ihrem Ziel kommt; bzw. dem Evangelium eine wesenhafte Mündlichkeit eigne, die für die Selbstauslegungskraft der Schrift zentrale hermeneutische Bedeutung habe.
Der Titel verweist zwar auf diesen durch die Genannten angemessen zur Sprache gebrachten Sachverhalt und setzt ihn voraus. Es ist aber ebenso betont die Mündlichkeit der Schrift, also die graphische Medialität der das Evangelium vermittelnden Bibel, Thema dieser Arbeit. Es geht deshalb neben dem Zusammenspiel von Schrift und Verkündigung auch um eine Qualität der Bibel, die sich als zugleich nahes und fremdes, als schon bekanntes und noch zu hörendes Wort zur Sprache bringt, eben indem wir bei ihr eine konzeptionelle und »geistliche« Mündlichkeit voraussetzen und erfahren, die jedoch wiederum an der graphisch tradierten und vorliegenden Bibel hängt.
Die Formel von der »Mündlichkeit der Schrift« ist linguistisch betrachtet nun nicht so paradox, wie es zunächst den Anschein hat. Wilhelm von Humboldt unterschied zwischen der Sprache als ergon, also als fertigem »Werk«, und als energeia, als im Dialog sich entwickelndes Wirken; Douglas Biber differenzierte zwischen interaktivem und ediertem »Text«;20 Peter Koch und Wulf Oesterreicher21 haben nachvollziehbar die Unterscheidung eingeführt zwischen graphisch und phonisch realisierter Medialität einerseits, und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit andererseits. Durch diese Unterscheidungen kann sinnvoll dargestellt werden, wie sich auch im Bereich phonischer Medialität eine konzeptionelle Schriftlichkeit realisiert (etwa im gesprochenen Vortrag oder in der Beschwörungsformel eines Rituals); bzw. konzeptionelle Mündlichkeit im Bereich graphischer Medialität (im Brief; als abgedrucktes Interview). Hartmut Günther schlägt vor, im medialen Sinn die Dimensionen phonisch und graphisch, im konzeptionellen Sinn mündlich und schriftlich zu gebrauchen.22
Es ist von daher deutlich, dass Luthers Bezugnahme auf die »Mündlichkeit des Evangeliums« durch die medial dichotomische Unterscheidung phonisch – graphisch nicht begrifflich zu erfassen ist (wenn auch Luther auf den Idealfall eines tatsächlich nur gesprochenen Evangeliums rekurriert):23 für Luther hat das graphisch vorliegende Evangelium im Neuen und Alten Testament eine offensichtlichkonzeptionelle mündliche Qualität.24 Dabei ist zu bedenken, dass Martin Luther in einer Zeit und in einem Land lebte, das dialektal stärker zerklüftet war als heute, und in einer insofern bilingualen oder diglossischen Situation, als die Schriftsprache in der Regel das Lateinische, bzw. eine sich entwickelnde deutsche Schriftsprache, die gesprochene Sprache jedoch der jeweilige lokale oder regionale Dialekt war:25 Mündlichkeit und Schriftlichkeit waren also stärker differenziert und jeweils für sich als eigenständige Sprachform organisiert.
Die Rede von der mündlichen Qualität der Schrift, wie sie in dieser Arbeit Thema ist, hat ihren Ort im konfessionell evangelischen Argumentationszusammenhang. Die »Mündlichkeit der Schrift« bringt sogar – so meine ich – den konfessionellen Unterschied zwischen der tridentinischen und der lutherischen Lösung prägnant zum Ausdruck. Es wird deutlich, dass das evangelische Schriftprinzip die »mündliche Tradition« gleichsam in der Schrift wirksam weiß, während die tridentinische Lehre die »mündliche, nicht-geschriebene Tradition« der Kirche zuordnet.
Diese Beobachtung orientiert aber auch das evangelische Schriftprinzip auf eine Art und Weise, die uns aus der nicht zureichenden Frage »eine oder zwei glaubensbegründende Autoritäten« herausholt. Sie rückt in den Fokus, dass die Schrift ein Medium ist, das zwischen zu verstehender Offenbarung und glaubensbegründetem Verstehen vermittelt.26 Die Wirksamkeit oder Mechanik dieser Vermittlung vor Augen zu führen, ist die Aufgabe dieser Darstellung zur Mündlichkeit der Schrift.
Die vorliegende Arbeit beantwortet also nicht, welche Texte der Bibel einst mündlich verfasst worden sind oder welche verschiedenen Anteile konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit den verschiedenen biblischen Texten an sich zukommt. Im Vordergrund steht nicht die Produktion, sondern die Rezeption der Schrift insgesamt: es geht um die Frage, welche Konsequenzen es hat, das Lesen und »Hören« der Schrift als mündlichen oder schriftsprachlichen Vorgang zu begreifen.
Es wäre reizvoll, in diesem Zusammenhang die medialen Entwicklungen der letzten 50 Jahre zu reflektieren und die Bedeutung der »neuen Oralität«, die ja mittlerweile dank der sozialen Medien durch eine »sekundäre Skripturalität« ergänzt wurde,27 für die Geltung des Schriftprinzips darzustellen; diese Entwicklung wird zwar bei der Darstellung zur Textautorität und zur Krise der Schriftautorität (Abschnitt 2.2 Textkrisen) mitbedacht, liegt aber nicht im Fokus dieser Arbeit und in der Kompetenz des Autors. Die Aufgabe, die sich damit stellt, bedürfte einer gesonderten Anstrengung und einer medientheoretisch fundierten Sichtung der gegenwärtigen Situation und der damit für die Theologie einhergehenden Problemstellungen.
Im ersten Teil dieser Arbeit (Medialität und Autorität) wird die Fragestellung vorgestellt. Die Voraussetzung, dass die Schrift nicht »im eigenen Geist« ausgelegt werden darf, sondern im Geist dessen, der die Schrift verfasst hat, ist der Grundsatz, den die reformatorischen wie auch die kurialen und tridentinischen Theologen anerkennen und von dem aus sie argumentieren. Diese Bestimmung wird jedoch gegensätzlich entfaltet: die Reformatoren weisen der Schrift selbst die Auslegungskraft und Mündlichkeit zu, aus der die Kirche lebt; die tridentinische Schriftlehre hingegen stellt den biblischen Schriften als geschriebener Tradition die ungeschriebene Tradition der Lehrer und die kirchliche Lehre zur Seite. Bei der Bestimmung der Schriftautorität spielt also hier wie dort die Metaphorik von Schriftlichkeit und Mündlichkeit eine zentrale Rolle. Der zweite Teil (Lesen, Hören, Verstehen) entfaltet den Stand der Forschung und Diskussion zur Autorität der Schrift in der Kirche. Die Auseinandersetzung wurde bereits vor der Reformation geführt, und kam nach den kontroversen Festlegungen der reformatorischen Kirchen und des tridentinischen Konzils zu Schrift und Tradition und zum Schriftprinzip nicht zum Abschluss. Welche Problematik also motivierte die gegensätzlichen Bestimmungen? Welche neuen Fragen wurden durch die hier wie dort entwickelten Lösungen aufgeworfen? Zentral geht es dabei um die Frage, ob bei der Vermittlung des Wortes Gottes der dieses Wort vermittelnde Text oder der dieses Wort vernehmende Mensch das unsichere und also zu sichernde Moment ist. Der dritte Teil (Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Biblische Aspekte) befasst sich damit, wie in den biblischen Schriften selbst das Phänomen mündlicher und schriftlicher Überlieferung dargestellt wird. Biblische Texte reflektieren ihre Gültigkeit und ihren Gebrauch durch Erzählungen von geschichtlichen Übergängen, und durch gesetzliche Formeln, die den jeweils gegenwärtigen Stand der Überlieferung als dauernd gültig kanonisieren. Für die vorliegende Arbeit interessiert, welche Funktion dabei die der Überlieferung zugeschriebene Medialität hat.
Im vierten Teil (Gewissheit des Glaubens und Klarheit der Schrift) wird dogmengeschichtlich der Gegensatz zwischen der lutherischen Bestimmung von der Mündlichkeit der Schrift und der tridentinischen Bestimmung von der Mündlichkeit der Tradition ausgeführt. Es wird zu zeigen sein, dass diese thesenhaft vorgenommene Gegenüberstellung die verschiedenen Aspekte der Schriftautorität in der konfessionellen Auseinandersetzung angemessen zur Geltung bringt. Im fünften Teil (Die Mündlichkeit des Evangeliums bei Luther) werden die Implikationen der lutherischen Rede von der Mündlichkeit des Evangeliums für die öffentliche Wirksamkeit des Evangeliums, den durch die Verkündigung gewirkten christlichen Glauben, und das Verhältnis des spiritus proprius und des spiritus Dei beim Verstehen und Auslegen der Schrift entfaltet. Dieser Abschnitt zeigt also, in welchem Zusammenhang Martin Luther der Schrift spezifische mündliche und schriftliche Qualitäten zuwies.
Der sechste Teil (»Wer schafft uns Gewissheit?«) reflektiert, was die tridentinische Zuordnung geschriebener und nicht-geschriebener Tradition und die evangelische Argumentation zur Schriftautorität motiviert, und wie die Selbstkundgabe Gottes gemeinschaftlich im Raum der Kirche realisiert wird.
Manche Aspekte berührt diese Arbeit nicht, sondern setzt sie voraus, ohne sie noch ein Mal begründen zu können. In dieser Arbeit nehme ich keine Fundierung biblischer Autorität vor, sondern begreife diese Autorität als gegeben, um ihre Wirksamkeit zu umschreiben. Die Bestimmungen zur Oralität z. B. bei Walter Ong,28 Peter Koch und Wulf Oesterreicher,29 oder zur Textualität bei Eugenio Coseriu30 oder Konrad Ehlich31 fließen in die Argumentation dieser Arbeit mit ein, allerdings nicht mit dem Ziel, eine abstrakte, also von der Fragestellung biblischer Autorität gelöste Theorie zu Oralität und Skripturalität zu entwickeln. Und schließlich ist diese Arbeit zwar mit einem gewissen ökumenischen Horizont, aber doch mit einer evangelischen Grundlegung und Ausrichtung geschrieben. Es handelt sich bei dieser Arbeit auch da, wo Erfahrungen und Erkenntnisse römisch-katholischer Theologie aufgenommen sind, nicht um eine nüchterne konfessionsvergleichende Studie, sondern um eine Arbeit, die sich der Begründung und Diskussion nachvollziehbarer Dogmatik im Raum der evangelischen Kirche verpflichtet weiß. Da sich das reformatorische Schriftprinzip in der Auseinandersetzung mit und im Raum der römisch-katholischen Kirche entwickelte, ist der Seitenblick auf die Kontur der tridentinischen Lehre von Schrift und Tradition notwendig. Eine Auseinandersetzung mit der Geltung von Schrift und Tradition in den orthodoxen Kirchen und den Freikirchen ist jedoch nicht Inhalt dieser Studie.
Die frühneuhochdeutschen Texte Martin Luthers sind in geläufiges Schriftdeutsch übertragen.
»Die Schrift darf nicht im eigenen Geist oder durch eigene Klugheit ausgelegt werden.«32 Dieser hermeneutische Grundsatz gilt in der katholischen wie auch in der evangelischen Kirche. Was das bedeutet, und wie dieses Prinzip anzuwenden ist, darüber besteht kein Konsens. Martin Luther begründet damit die alleinige Geltung der Schrift. Auf dem Konzil von Trient wird so jedoch auf die notwendige Bedeutung der Kirche für die rechte Auslegung der Schrift verwiesen. Umstritten ist zwischen der sich entwickelnden katholischen und evangelischen Konfession: wie werden der tradierte Text und die sich durch Zeiten und Leser beeinflusste Lektüre in einer Weise aufeinander bezogen, dass die Legitimität der Auslegung wie die Geltung des biblischen Textes gewahrt bleiben? Die konfessionellen »Lösungen« selbst werfen jedoch wiederum neue Fragen auf. Auf der einen Seite die Frage nach der Instanz, die die Selbstauslegungskraft der Schrift wahrnimmt und feststellt, auf der anderen Seite nach der Fehlbarkeit oder Unfehlbarkeit einer Institution, die sich als corpus permixtum begreift und doch für sich in Anspruch nimmt, die Schrift in rechter Weise zu verstehen und ihren Gehalt zu bewahren.
In Abwandlung einer These Ludwig Wittgensteins können wir sagen: »Die stillschweigenden Abmachungen zur Geltung und zum Verständnis biblischer Rede sind enorm kompliziert«.33 Es scheint so zu sein, dass wir uns mit unseren Erklärungen zur biblischen Schriftautorität so vor diese Schrift selbst bringen, dass das Verständnis der unausgesprochen wirksamen Abmachungen zu Auslegung und Wirksamkeit der Schrift teils eher verdunkelt als erhellt werden.34 Auch besteht die Gefahr, bei der Darstellung des Schriftprinzips zu begründen, was nicht zu begründen ist, sondern selbst dazu da ist, unserem Reden von Gott und uns einen Grund zu geben.
Dennoch kommen wir nicht umhin, nach der Art dieser Geltung zu fragen, wenn wir nicht einer unverstandenen und also willkürlichen Autorität folgen wollen. Denn wenn wir nicht wissen, auf welche Weise der Bibel Autorität zukommt, wie wollen wir ihr dann verstehend nachdenken und folgen?
Dabei kann die Frage nach der Geltung der Schrift so beantwortet werden, dass entweder gleichsam der Schriftbestand durch einen externen Faktor gesichert wird (durch die mündliche Tradition, die Autorität einer Institution oder einer Person) und ein entsprechendes Zusammenspiel dieser beiden Größen entsteht; oder aber die Autorität der Schrift wird so beschrieben, dass sie die sich auf diese Schrift beziehende Glaubensgemeinschaft sichert und begründet, ohne dass diese Schrift selbst einer weiteren Begründung oder Sicherung bedarf.
Im westlichen Christentum werden diese Ansätze auf der einen Seite durch die auf dem Konzil zu Trient formulierte Lehre von Schrift und Tradition entwickelt; auf der anderen Seite durch das so genannte Schriftprinzip, wie es die Reformatoren entwickelten.35
Dabei hat hier wie dort die Metaphorik mündlicher und schriftlicher Medialität eine normierende Funktion. Während Trient »geschriebene Bücher« und »ungeschriebene Traditionen« nebeneinander stellt als zwei sich bedingende Autoritäten,36 spricht Luther von der Mündlichkeit, die dem Schrift gewordenen Evangelium eigen ist.37 Worin bestand aber die Notwendigkeit, die Autorität der Schrift so oder so zu fassen?
Am Anfang der Auseinandersetzung um die Geltung der Bibel in der Zeit der Reformation steht die Frage, wie wir Gewissheit über den Grund des christlichen Glaubens erlangen. Luther selbst akzeptiert dabei das »von allen mündlich und schriftlich gebrauchte, aber nur von wenigen verstandene« Argument aus den Kanones der Päpste, dass die Schrift nicht nach eigenem Geist auszulegen sei.38 Er wirft jedoch seinen Gegnern vor, dass sie selbst diese Grundlage verlassen haben; schließlich haben sie »die Heiligen Schriften beiseite gelegt« und sich »allein in die Kommentare der Menschen versenkt, nicht indem sie dasjenige suchen, was die Heiligen Schriften meinen, so weit, dass sie einem einzigen Menschen, dem römischen Papst, der nur von den ungelehrtesten Sophisten umgeben ist, allein das Recht zuzugestehen, die Heiligen Schriften auszulegen«.39
Unabhängig von der Frage des historischen Abstands zwischen der biblischen Schrift und dem Ausleger ist damit die grundsätzliche Spannung zwischen Sache, Autor und Leser eines Textes benannt. Wie findet der Textsinn Eingang in den sensus proprius des Menschen?40 Welches Kriterium ist gegeben, um diese Verstehensleistung zu unterscheiden von der gegenläufigen: dass unser sensus proprius zum Sinn des Textes erklärt wird?
Luther löst diese Problematik, indem er voraussetzt, dass die Schrift per ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres sei.41 Diese Voraussetzung ist nicht aus der Erfahrung gewonnen, sondern aus der biblischen Schrift selbst, in der geschrieben steht, dass »der Eingang deiner Worte erleuchtet und gibt Erkenntnis den Kleinen«. Die Worte der Schrift sind die Worte Gottes und als solche das »erste Prinzip«, von dem aus alle anderen Worte zu beurteilen sind.42 Wenn dem so ist, wird die Frage jedoch umso dringlicher, wie der sich selbst interpretierende Textsinn zum Sinn des Lesers wird, und auf welche Weise beurteilt werden kann, dass dies der Fall ist. Luther hält es dabei nicht für einen dem Dogma von der sich selbst interpretierenden Schrift widersprechenden Unfall, dass der Textsinn sich dem Leser nicht zwangsläufig imponiert. Die Heilige Schrift biete den Hoffärtigen und Gottlosen »immer Gelegenheit zu größerer Blindheit.«43 Den Anderen jedoch, die nicht mit sich, sondern mit dem Wort Gottes anfangen, verleiht der Geist Erleuchtung, indem er »unseren Geist austreibt«. Es ist also der Geist, der sua sponte komme und dieses Geschehen an jenen wirke, die »sich mühen um die Worte Gottes.«44
Diese Bewegung vom geistgewirkten Wort, das uns in der Schrift überliefert ist, und sich durch eben diesen Geist dem Leser als fremdes Wort vermittelt, indem es den spiritus proprius austreibt, ist nicht umkehrbar: Sint ergo Christianorum prima principia, non nisi verba divina, omnium autem hominum verba, conclusiones hinc eductae et rursus illuc educendae.45
Um diese geistliche Bewegung in Gang setzen zu können, bedarf es eines gesetzten Ausgangspunktes. Insofern hat die Schriftlichkeit und gewisse Umgrenztheit des Kanons theologisches Gewicht. Wäre der Kirche das göttliche Wort als allein mündliches (und durch sie weiter vermitteltes, dann aber auch nicht mehr jenseits der Kirche definiertes) gegeben, stünde sie in der Gefahr, nur noch mit sich im Gespräch zu sein.46 In seiner Erklärung zur Mündlichkeit des Evangeliums weist Luther ja zugleich dem Alten Testament eine bedeutungsvolle Schriftlichkeit zu, die die Kirche davor bewahren könne, sich den päpstlichen Dekretalen hinzugeben. Das Evangelium weist die Christen eben in die »Schrift« (also in diesem Zusammenhang in das Alte Testament im Gesamtzusammenhang der beiden Testamente), nicht in die menschliche Lehre, wie sie von Theologen oder dem kirchlichen Lehramt verkündet wird.47
Sache, Autor und Leser der Bibel bleiben so aufeinander verwiesen: der Text wird nicht Sache des Lesers oder einer auslegenden Institution; der Autor bleibt im Geschehen und bewahrt den Text davor, einzig »Schriftwort« zu sein, dessen Urheber uns nichts mehr angeht.
Denn »am Lichte« ist nach Luther durch die Bibel nicht eine Sache, die mehr oder weniger verständlich ist, sondern die jetzt noch gültige und wirksame Tatsache, dass Christus Gottes Sohn ist, der für uns gelitten hat und herrschen wird in Ewigkeit.48 Dieses Thema und dieser Inhalt geben vor, dass Leser, Autor und Sache der Schrift in einer Beziehung stehen, die die Existenz von Leser und Sache der Schrift vermitteln: der Leser versteht den Text, kein anderer für ihn. Er versteht ihn, insofern er wahrnimmt, dass der »Christus für uns« Inhalt der Bibel ist. Die Lektüre vermittelt ihm dies unabhängig von seiner Zustimmung oder Glaubenserfahrung. Jedem liegt dieser Inhalt der Schrift klar vor Augen. Sofern der Leser dieses Geschehen auf sich bezieht, wird ihm die Schrift durch den Geist Gottes auch »innerlich klar« – er weiß nicht allein, dass dieser Christus für uns gestorben ist, sondern erfährt dies an seiner eigenen Person. Darauf – also auf den Glauben des Lesers – zielt die Schrift. Der Autor der Schrift bleibt insofern »lebendig« – also aktueller Bezugspunkt für den Lesenden –, als der Leser durch den Bezug zur Sache in Gottes Wirkungsbereich hineingenommen wird.
Die protestantische Lösung dringt also darauf, dass nicht die Kirche zum sanktionierten Träger der rechten Auslegung werde, sondern allein Gott die »sanktionierende« und rechtfertigende Größe gegenüber dem einzelnen Menschen bleibe; die katholische Lösung hingegen läuft darauf hinaus, dass eine sanktionierte Gestalt von Kirche sichtbar wird, die dann den sensus Dei gegenüber ihren Gliedern vermittelt. Die evangelische Rede von der »Mündlichkeit der Schrift« setzt also voraus, dass der Autor der Schrift – Gottes Geist – bei der Lektüre der Bibel mitredet, bzw. die Lebendigkeit Gottes bei der Auslegung der Schrift methodisch zu bedenken ist.
Der in der Zeit der Reformation um die Geltung der Schrift ausgebrochene Konflikt hat die Erfahrung zur Grundlage, dass die biblische Autorität sich nicht widerspruchslos durchsetzt, und da, wo sie sich als Autorität imponiert, nicht von allen in gleicher Weise verstanden wird.49
Bereits Vinzenz von Lérins stellt in seinem Commonitorium (434 n. Chr.) fest, dass aus der Schriftlektüre verschiedene Auslegungen und auch Häresien erwachsen. Es bedürfe deshalb der ordnenden Autorität der Kirche und Tradition.50 Die Problematik konkurrierender Schriftauslegung wurde also schon in der frühen Kirche wahrgenommen.
Das Bewusstsein einer Distanz zwischen biblischem Text und kirchlicher Überlieferung bzw. biblischer Auslegung gewann aber mit der stärkeren Distribution zeitgenössischer Bücher im späten Mittelalter,51 der größeren Verbreitung der Vulgata und volkssprachlicher Bibelausgaben im 15. Jahrhundert sowie mit der Emanzipation theologischer Disputationen von der biblisch begründeten lectio divina an Aktualität. Das scholastische Denken war durch die Möglichkeiten textlicher Gestaltung beeinflusst, wie es auch auf die graphische Anordnung des Buches Einfluss nahm: durch die schriftliche Ordnung der Theologie kam es zu einer stärkeren Wahrnehmung von Inkonsistenzen der Tradition, was eine nach Möglichkeit widerspruchsfreie Darstellung motivierte, die wiederum eine graphische Anordnung nahe legte, die diese Konsistenz auch nachvollziehbar machte.52 Dieses Streben nach in sich stimmiger Darstellung führte zur Sammlung und Konzentration des »Glaubenswissens«. Es führte aber auch zu einer Distanzierung zwischen »Text« und »Kommentar«, zwischen »Bibel« und »Theologie«; also zwischen der glaubensbegründenden, Widersprüchliches einbindenden Narration und der auf Konsistenz drängenden, dabei Unterschiede einführenden Abstraktion.
Die Verbreitung der Schrift im Hochmittelalter verstärkte also auch in gewisser Weise die Unsicherheit in Bezug auf den durch Schriftliches und eben auch den durch »die Schrift« vermittelten Sinn.53
In der westlichen Kirche wurde versucht, zur Begrenzung widersprüchlicher Lesarten die Bibellektüre durch Laien einzuschränken und volkssprachliche Übersetzungen zu zensieren.54 Eine Oxforder Synode untersagte 1408 die eigenmächtige Übersetzung der Bibel in die Volkssprachen. Berthold von Mainz erließ 1485 ein Edikt, das deutsche Bibelübersetzungen einer strengen Zensur unterwarf. Eine anonyme »Heilsame Belehrung« begründete das Verbot einer allgemeinen Bibellektüre biblisch: Mal 2,7 – »des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren« – gebiete es, die Lehre einzig vom Priester vermittelt zu empfangen. Das »Weihegärtlein für alle frommen Christenmenschen« von 1509 empfahl vor der heimischen Bibellektüre die Anrufung des Heiligen Geistes, Reue über die eigenen Sünden und Verlass auf die »Kirche«, die alles recht auslegt und allein die Macht der Auslegung hat.55 Auf dem 5. Laterankonzil wurde 1515 die Anordnung erlassen, dass nicht allein die Bibel, sondern jedes Buch vor seiner Herausgabe durch den jeweils zuständigen Bischof oder einen von ihm beauftragten Sachverständigen zu prüfen sei – was, so Heinrich Karpp,56 faktisch einem Bibelverbot gleich kam, da diese Zensur nicht durch positive Maßnahmen ergänzt wurde. Auf dem Florentiner Provinzialkonzil wurde dann 1517 bestimmt, dass die Bibel nicht anders auszulegen sei, als die heiligen Lehrer der Kirche es bisher getan hätten.57
In der katholischen Kirche blieb bis zur Reformation die Frage unbeantwortet, wie sich die Schriftautorität entfaltet und wie sie sich gegenüber dem Lehramt der Kirche oder einem vorausgesetzten katholischen Lehrkonsens verhält. Tendenziell wurde zwar dem kirchlichen Lehramt eine Autorität neben der Schrift zugewiesen, um so eine eindeutige Klärung strittiger Fragen möglich zu machen,58 aber eine Entscheidung über Geltung und Reichweite kirchlicher und biblischer Autorität sollte damit nicht grundsätzlich getroffen werden. Das Decretum Gratiani (1140) setzte den Maßstab der Diskussionen im Spätmittelalter, indem es bereits sowohl die dem Lehramt überlegene Autorität der Schrift vertrat, wie auch eine päpstliche Autorität, die in Glaubensdingen zur letztgültigen Entscheidung berufen war.59
Unvermittelt und teilweise schiedlich-friedlich bestanden so in der spätmittelalterlichen Kirche tendenziell gegensätzliche Vorstellungen zur Schriftautorität nebeneinander. Robert von Melun (gest. 1167) formuliert in seinem Prolog zu den Sentenzen (um 1160) ein Schriftprinzip, wie es auch die Reformatoren hätten anerkennen können: »Daraus folgt, dass nicht die Anerkennung (durch die Kirchenlehrer) der Grund ihrer (der biblischen Schriften) Autorität ist, sondern die Autorität ist die Grundlage der Anerkennung.«60
Petrus Waldes (gest. vor 1218), John Wyclif (ca. 1330–1384), Jan Hus (ca. 1370–1415) und ihre Anhänger vertraten ein Schriftprinzip, dessen kritisches Moment die Autorität der kirchlichen Hierarchie punktuell in Frage stellte.61 Mit Berufung auf die Schrift predigte Jan Hus 1412/13 in der Prager Bethlehemskirche gegen den Papst und den Ablasshandel. Hus erklärte zwar, dass er explicite und implicite an den Aussprüchen der allgemeinen Konzilien und der Kirchenlehrer festhalte. Dennoch wurde ihm und anderen Klerikern, die sich für ihre Position auf die Geltung der Schrift beriefen – wie später auch Martin Luther – vorgeworfen, die Bibel nach »ihrem eigenen Kopf auszulegen« und der in der Kirche vermittelten rechten Auslegung also untreu zu sein.62
Wilhelm von Ockham (ca. 1285–1349), und der Kanonist Nicolaus de Tudeschis Panormitanus (gest. 1445) ordneten die Schrift einer vorausgesetzten mündlichen Tradition und kirchlicher Autorität vor. Der Panormitanus verneint die Unfehlbarkeit von Papst und Konzil und will das letzte Wort in Glaubensfragen der besseren Schrifteinsicht vorbehaltenwissen.63 Martin Luther wird sich später in seinen Auseinandersetzungen mit Silvester Prierias, Thomas Cajetan und Johannes Eck auf ihn berufen. Aegidius Romanus (gest. 1316), Guido Terrena (gest. 1342), und später Nikolaus von Kues (1401–1464) betonten die der Schrift vorauslaufende Autorität der Kirche,64 Heinrich Totting von Oyta (ca. 1330–1397) benennt als Fundament des Glaubens neben der Schrift die Worte der Apostel, die nicht in der Schrift enthalten seien.65 Bonaventura (1221–1274) und Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) betonten den prinzipiellen Vorrang der Schrift und der aus ihr fließenden Lehre, verbanden diese Vorrangstellung jedoch mit der kirchlichen Autorität, insofern diese wiederum durch ihre Anerkennung die biblische Autorität begründe.66 Alfonsus Tostatus (gest. 1455) entwickelt ein recht radikales »Kirchenprinzip«: er definiert die Kirche als den sicheren Glaubensgrund, von dem aus auch die Schrift und ihre Autorität begründet sei, während die Kirche selbst einer solchen weiteren Begründung nicht bedarf – werde also die Autorität der Kirche in Zweifel gezogen, so gehe mit ihr die Gewissheit der Schriften und der Glaube selbst unter.67 In den Auseinandersetzungen um Papst- und Konzilsautorität auf dem Basler Konzil 1431/9 blieb die Frage, wo denn nun genau die gewisse glaubensbegründende und zweifellos wirksame Unfehlbarkeit der Kirche zu verorten sei, unbeantwortet.68
Bis in die Zeit der Reformation war die occamistische und panormitanische Position, dass die bessere Schrifteinsicht einer Einzelnen über den Entscheidungen der Generalkonzilien und des Papstes stehe, im Raum der römisch-katholischen Kirche vertretbar; und noch auf dem tridentinischen Konzil trafen Vertreter eines »katholischen Schriftprinzips« und einer sich dann letztlich durchsetzenden »Zwei-Quellen-Theorie« aufeinander.69
Wenn auch unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Frage der Zuordnung von Schrift und Tradition vertreten wurden, so war man sich doch in der römisch-katholischen Kirche einig, dass sowohl dem biblischen Wort wie auch dem »kirchlichen Lehrwort« auf je eigene Weise göttliche Autorität zukomme.70
Neben der Zuordnung biblischer und kirchlicher Autorität blieb in der Spätscholastik auch die Frage der eindeutigen Repräsentation kirchlicher Autorität ungeklärt. Allgemein galt der Glaube der Gesamtheit der Gläubigen als unfehlbar. Fraglich war jedoch, durch wen dieser Glaube in rechter Weise vertreten wurde: durch den Papst, das Kardinalskollegium oder durch ein allgemeines Konzil? Der Kurialist Hermann von Schildesche (ca. 1290–1357) bekannte, dass diese Frage über seine Kräfte gehe.71 Zudem wurde als Grenzfall des Glaubenssatzes, dass die Kirche niemals in allen ihren Teilen irren könne, auch von Vertretern einer päpstlichen Jurisdiktionsgewalt vorausgesetzt, dass den Glauben der »Gesamtkirche« theoretisch auch ein Einzelner im Widerspruch zu der abgefallenen Mehrheit vertreten könne;72 der rechte Glaube sich also eben dort manifestiere, wo die Mehrheit der Kirche die Häresie vermutet. Wenn also auch dem Papst oder dem Generalkonzil eine bestimmte Jurisdiktionsgewalt zugewiesen wurde, galten diese Institutionen und ihre Entscheidungen doch nicht als unfehlbar.73
Diese Grenzpositionen zur kirchlichen Autorität standen sich auch in den Auseinandersetzungen der frühen Reformationszeit gegenüber: Der Dominikanergeneral Thomas de Vio Cajetan (1469–1534), der im Oktober 1518 Martin Luther verhörte, vertrat die Ansicht, dass der Papst über Schrift, Konzil und Kirche stehe.74 Diese Lehrmeinung begründete der Dominikanertheologe und Hauptinquisitor Silvester Prierias (1456–1523), der damit die Argumentation im Konflikt zwischen Luther und der Kirche um die Autorität von Schrift, Tradition, Kirche und Papst vorgab. Nach Prierias’ De potestate papae dialogus ist die Gesamtkirche ihrem Wesen nach (essentialiter) die Versammlung der Glaubenden zum Gottesdienst. Die Gesamtkirche ist aber ihrer Kraft nach (virtualiter) in der römischen Kirche als dem Haupt aller Kirchen und im Papst als dem Haupt der römischen Kirche vertreten. Da die Gesamtkirche nicht irren kann, wenn sie über den Glauben oder über die Sitten entscheidet, so kann auch nicht die Repräsentanz der Kirche, also »ein wahres Konzil« fehlgehen, wenn es tut, was in seinen Kräften steht. Zumindest dann nicht, wenn der Papst die Entscheidung des Konzils mitträgt. Wer sich deshalb nicht an die Lehre der römischen Kirche und des Papstes hält als unfehlbare Glaubensregel, der ist ein Häretiker.75 Ein anderer Kontrahent Luthers, Hieronymus Emser, wiederum betont stärker die Schlüsselgewalt, die nicht dem Papst, sondern der ganzen Kirche übergeben sei.
Er weist dem Bischof der römischen Kirche jedoch innerhalb der Gesamtkirche eine Schiedsrichterfunktion in Streitfällen zu.76
Martin Luther drängte also in einer theologisch ungeklärten Situation auf die Beantwortung der Frage, durch welche Autorität der Glaube sein sicheres Fundament gewinne. Luther vertrat dazu eine inhaltlich begründete Autorität der Bibel, die jeder kirchlichen und menschlichen Autorität gegenüberstehe: weil und sofern die Bibel von Christus Zeugnis gibt, ist sie Heilige Schrift, die über Gott und über das Leben des Menschen vor Gott in rechter Weise Auskunft gibt.77 Da jedoch der Mensch von sich aus ein Wesen bleibt, das dem Zuspruch der Bibel widerspricht, kann sich diese Autorität der Schrift nicht gleichsam in den Menschen hineinverwandeln; oder der Geist der Schrift zum Geist des Menschen werden. Wenn nun die Schrift – wie jedes andere Werk auch – angemessen einzig in dem Geist ausgelegt wird, in dem sie auch verfasst sei, dann gilt exklusiv: sie muss im und durch den Geist Gottes ausgelegt werden, der sich allein durch die Heilige Schrift vermittelt. Wir können nicht voraussetzen, dass dieser Geist auch noch durch irgendeine Institution oder eine einzelne Person repräsentiert wird oder irgendeiner Gott selbst besser verstehe als dieser sich selbst.78
Da das Evangelium jedoch nicht allein Auskunft gibt über den sich ewig gleich bleibenden Gott, sondern auch über den Menschen vor Gott im Wandel der Zeit, sagt die das Evangelium bezeugende Schrift zu jeder Zeit das Ihre und jedem Leser das Seine. Die Schrift ist also nicht allein nach dem zu befragen, was Gott spricht, sondern auch danach, zu wem er dies sagt.79
Die Auslegung der Schrift bleibt also eine dauernde Aufgabe, da sie stets in die neue Situation hinein auszulegen ist, und weil sie sich gegenüber dem spiritus proprius des Menschen durchsetzen muss. Die Selbstauslegungskraft der Schrift beschreibt deshalb keinen Mechanismus zur Entlastung menschlicher Exegeten, sondern sie benennt den Punkt, von dem aus sich der Geist des Autors dieser
Schrift – der Geist Gottes – dem Menschen mitteilt und der Leser über sich selbst vor Gott Klarheit erlangt.80
Es ist paradox: die protestantische Schriftlehre setzt voraus, dass es eine benennbare oder aufzeigbare Kirche (oder eine Personengruppe innerhalb der Kirche), die sich der Schrift unbedingt beugt, nicht gab, noch gibt, noch geben wird.81 Sie kann dies – dass sie selber der Schrift und der darin bezeugten Offenbarung Gottes in Christus gehorsame Kirche ist – also auch nicht von sich selbst behaupten. Sie kann sich nur als Versammlung fehlbarer Menschen verstehen, die der Autorität des Evangeliums widerstreiten und deshalb auf die in Christus realisierte Gnade angewiesen sind. Dass alle Menschen Lügner sind, »damit Du, Gott, recht behältst in deinen Worten« (Röm. 3,4), gilt nach evangelischem Verständnis in der römisch-katholischen wie auch in der evangelischen Kirche.82 Eine evangelische Kirche, die auf eine sich selbst auslegende Schrift verweist, wird also zum Selbstwiderspruch genötigt, wo sie lehrhaft einen Ort jenseits der das Evangelium bezeugenden Schrift benennen soll, von dem aus dies heute gesagt werden kann.83
Anders als die römisch-katholische Kirche kommt deshalb eine evangelische Kirche, die nicht auf sich selbst als Auslegungskriterium verweist, sondern allein auf ein außerhalb ihrer selbst sich bewahrheitendes und durchsetzendes Evangelium, nicht zur Ruhe. Als die Gemeinschaft der »heiligen Gläubigen, die ihres Hirten Stimme hören«84 ist die evangelische Kirche bleibend auf den verwiesen, der zu ihr spricht. Er versetzt die Kirche in eine Bewegung, die nicht durch einen ekklesiologischen Fixpunkt stillgestellt werden kann. Dies soll jedoch – so