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Rom brennt, stinkt vom Müll auf den Straßen. Immigrantenheime gehen in Flammen auf, die Stadt versinkt unregierbar im Chaos. Anstifter im Hintergrund ist Sebastiano, ein smarter junger Mann, zum Bösen erzogen von Samurai, der vom Gefängnis aus die Fäden zieht. Papst Franziskus hat das Heilige Jahr der Barmherzigkeit verkündet. Eine unheilige Allianz von korrupten Politikern, vatikanischen Würdenträgern und Unternehmern setzt alles daran, öffentliche Aufträge an sich zu reißen und den Geldstrom in die eigene Tasche fließen zu lassen. Ein junger Bischof und ein unbestechlicher Politiker stellen sich mutig dem organisierten Verbrechen entgegen.
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Seitenzahl: 357
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DIE NACHTVON ROM
Die handelnden Personen
Die aus den Palästen
Adriano Polimeni: Warten auf die Barbaren
Chiara Visone: Niemand regiert in Unschuld
Temistocle Malgradi: ein Mann für jede Jahreszeit
Martin Giardino: homo impoliticus (oder ein Bürgermeister am Rande des Vulkans)
Danilo Mariani: Rom wurde nicht an einem Tag erschaffen
Monsignor Giovanni Daré: aus den Himmelshöhen
Die aus der Zwischenwelt
Samurai: ein König im Exil
Sebastiano Laurenti: sein gebeutelter Erbe
Fabio Desideri: der Thronprätendent
Frodo: ein Kamerad für jede Jahreszeit
Spartaco Liberati: Gibt es ein Problem?
Die von der Straße
Wagner: der Trumpf im Ärmel
Familie Anacleti: nie einen längeren Schritt machen als das Bein
Der Neapolitaner, der Sizilianer, der Kalabrese: Roms cosa nostra
Der Chor
Eiskalte Albaner, stattliche Sternchen, schlaue Anwälte, ritterliche Carabinieri, unbefangene Demokraten, erregte Escort-Ladies, gewandte Geschäftemacher, Narko-Nazis, überhebliche Politiker, mannhafte Priester, Parasiten und Kaffer
GIANCARLO DE CATALDOCARLO BONINI
DIE NACHTVON ROM
THRILLER
Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl
FOLIO VERLAG WIEN • BOZEN
Die Originalausgabe ist 2015 im Verlag Giulio Einaudi editore, Turin,unter dem Titel La notte di Roma erschienen.© Giulio Einaudi editore, Torino 2015
Das Umschlagfoto stammt aus dem Film SUBURRA, nach dem gleichnamigen Roman von Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini.„Die Nacht von Rom“ ist dessen Fortsetzung. Foto von Emanuela Scarpa,© 2014 Cattleya Srl. – La Chauve Souris und mit freundlicher Genehmigung von Cattleya.
© der deutschprachigen AusgabeFOLIO Verlag Wien • Bozen 2016Alle Rechte vorbehalten
Umschlagfoto: © Emanuela Scarpa
Grafische Gestaltung: Dall’O & Freunde
ISBN 978-3-85256-700-6
www.folioverlag.com
E-Book eISBN 978-3-99037-061-2
Für Tiziana und Giulia,
die dafür gesorgt haben, dass wir uns nicht verirren.
Für Massimo, der uns einige politische Fakten erklärt
hat, die wir bislang nicht kannten.
Hinter den abgedunkelten Scheiben des schwarzen Audi A6 beobachtete Sebastiano Laurenti, wie die Stadt im Chaos versank.
Rom brannte.
Vor fünf Tagen hatte die Stadt kapituliert. Lahmgelegt von einem wilden Streik der Verkehrsbetriebe. Erstickt von nicht abtransportiertem Müll. Verpestet vom Gestank der Müllsäcke, die die wütenden Römer an den Straßenecken angezündet hatten. Die Dinge hatte ein Mädchen aus Tor Sapienza ins Rollen gebracht, sie hatte zwei Schwarze angezeigt, die sie vergewaltigt hätten. Die Bewohner der Vorstädte waren sofort auf die Barrikaden gestiegen.
Rom brannte.
Immigrantenheime waren angegriffen worden. In den Vierteln am Stadtrand machte man Jagd auf Zigeuner. Romakinder flüchteten aus den Schulen. Rund um die Sinti- und Roma-Lager waren Kontrollposten aufgestellt worden. Pogromstimmung.
Presseleute aus aller Welt stürmten nach Rom. Dieser Alptraum füllte die Zeitungsspalten. Ein Primetime-Krimi. Die Erinnerung an das Müllchaos in Neapel verblasste. In seiner Osterpredigt appellierte der Papst inständig an die Barmherzigkeit der Menschen. Und in erster Linie an ihre Menschlichkeit, sofern es überhaupt noch eine gab. Der Ministerpräsident hatte im Viminale einen permanenten Krisenstab einberufen: Katastrophenschutz, Polizei, Feuerwehr, Heer.
Doch keine Bagger, keine Truppen, kein Panzerwagen, keine Demonstration hätte den Zusammenbruch aufhalten oder gar verhindern können.
Die Stadt schien willens, sich nach außen hin abzuschotten, alles und alle in ihren Tiefen aus Groll, Hass, Elend zu verschlucken.
Horden von Hooligans sangen keine Hymnen mehr, sondern verwüsteten systematisch die Hauptstadt. Der Bahnhof Vigna Clara, der eine strategische Bedeutung für den kurz bevorstehenden Beginn des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit hatte, das Papst Franziskus einen Monat zuvor ausgerufen hatte, war gesprengt worden.
Anarchistische Schriften tauchten auf. Rache!
Niemand konnte es glauben.
Die Behörden, mit dem Bürgermeister an der Spitze, zogen von einer Polizeistation zur nächsten. Die Behörden beschwichtigten, trösteten, machten Versprechen, die sie nicht halten konnten. Die Behörden begriffen nicht. Die Vorfälle in Rom entzogen sich jeglicher Logik.
Und er war der Motor des Ganzen. Sebastiano.
Ein großgewachsener, höflicher, ernsthafter junger Mann. Rom zu zerstören, war kein Ziel, sondern ein Mittel zum Zweck.
Insgeheim hoffte er, dass es gut ausgehen würde.
Beim Anblick der Scheiterhaufen, die im Licht der untergehenden Sonne rot leuchteten, empfand er weder Freude noch Stolz. Allenfalls ein leichtes, lästiges Unbehagen.
Sebastiano liebte den Krieg nicht.
Sebastiano wollte Frieden stiften.
Er tippte eine Londoner Nummer ein.
Als er gerademal ein Jugendlicher war, hatte man ihm das Leben gestohlen. Er hatte schnell begriffen, dass es nur einen Weg gab, dieses zurückzugewinnen.
Gewalt.
Beim vierten Klingeln antwortete eine weibliche Stimme. Alex.
Die Konten waren in die neuen Turks-&-Caicos-Filialen transferiert worden. Alles war glatt gegangen. Eine Dame aus Rom hatte angerufen. Frodos plötzlicher, tragischer Tod hatte sie erschüttert.
– Und du?
– Ich habe ihr gesagt, du seist sehr wütend auf sie, Sebastiano.
– Danke, Alex.
– Seba’ …
– Ja?
– Tu ihr nicht weh, ok? Ich meine, sofern es nicht unbedingt notwendig ist.
Sebastiano antwortete nicht. Darum geht es nicht, Alex. Es geht darum, wie weh sie mir getan hat.
Ein Monat davor
Heiliger Gregor, der Große
VIA SANNIO. BASILICA DI SAN GIOVANNI, 6.00 UHR
Auf dem Schild stand: „Öffentlicher Auftraggeber: Società Roma Metropolitane. Gesellschaft zur Übernahme öffentlicher Aufträge: Costruzioni s.p.a. del Consorzio Metro C. Bauarbeiten zur Errichtung der U-Bahn-Linie C. Baulos T3. Abschnitt San Giovanni – Fori Imperiali.“
Der Mann zog sich die Wollhaube über die Ohren, machte die matt glänzende Bomberjacke zu und betrachtete ungeduldig die blinkende Ampel, das einzige Licht auf der menschenleeren Piazza San Giovanni. Sein Freund neben ihm, ein Muskelprotz, der so gut wie keinen Hals besaß, schüttelte den Kopf. Er holte das Smartphone aus der Jacke und schaute auf die Uhr. 6.00. Warum tauchte der Idiot nicht auf? Wenigstens hatte es aufgehört zu regnen.
Der Vermessungstechniker Lucio Manetti kam in seinem roten Panda, doch der Motorenlärm wurde vom Quietschen einer leeren Straßenbahn übertönt. Er parkte am selben Ort wie immer. Und wie jeden Morgen vollführte er einen merkwürdigen und neurotischen Tanz um sein Auto, bevor er sich davon verabschiedete. Türen abgeschlossen? Ja. Scheinwerfer ausgeschaltet? Ja. Standlicht ausgeschaltet? Ja. Mit sanftem Druck des Zeigefingers rückte er die Brille mit den dicken Linsen auf der Nase zurecht, überprüfte die Dokumentenmappe und hängte sich den Griff des Schirms über den Unterarm. Er war spät dran. Das wusste er, dazu brauchte er nicht auf die Uhr zu sehen. Er wusste es aufgrund des blassblauen Morgengrauens über der Basilika San Giovanni und der Baustelle, die er in den vielen Jahren gelernt hatte zu hassen. Die Kuppel wurde von dem riesigen Bagger verdeckt, der vor ewigen Zeiten in einer Tiefe von dreißig Metern aufgestellt worden war. Wann? Vor Monaten? Nein, vor Jahren. Er hatte aufgehört zu zählen. Zuerst die Überreste der antiken Villa. Dann Quellen, ärger als im Karst. Dann war das Geld ausgegangen. Die Bagger standen still. Die kalabrischen und neapolitanischen Arbeiter der Subunternehmer waren verschwunden. Nur er war übriggeblieben und bewachte das Große Loch. Bauleiter auf einer gespenstischen Baustelle. Auch deshalb, dachte er, könne er sich einen schönen Kaffee gönnen, bevor er wie immer begann, nichts zu tun. Scheiß auf die Verspätung. Was waren schon fünf Minuten im Vergleich zur Ewigkeit der Unvollendeten.
Er ging in die Bar.
Fünf nach sechs sahen die beiden, die an der Absperrung lehnten, dass er auftauchte. Endlich.
Ganz ruhig, du Arschloch, wohin willst du auch gehen?
Der Bauleiter überquerte schnell die Straße und suchte in der Tasche seines Trenchcoats die Baustellenschlüssel. Er hatte heute viele Termine. Zuerst einmal musste er in der Präfektur anrufen. Er musste die Antimafia-Bescheinigungen von zwei neuen Subunternehmen erneuern. Dr. Danilo Mariani hatte darauf bestanden, sie für den Erdaushub zu beauftragen. Ja, ja, die Antimafia-Bescheinigungen. Augenauswischerei. Diesen Typen stand das Wort „Camorra“ ins Gesicht geschrieben. Aber der „Doktor“ wollte nicht auf ihn hören. Er war, ehrlich gesagt, sogar etwas unwirsch gewesen.
„Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, Herr Geometer. Ich bezahle Sie dafür, dass Sie tun, was ich sage. Ich bin der Chef. Und wenn Ihnen was nicht passt – Vermessungstechniker stehen vor meiner Tür Schlange. Nehmen Sie also den Hörer ab und verlangen Sie in der Präfektur nach Signora Giada. Sie weiß bereits, worum es geht.“
Er öffnete das Tor zur Baustelle. Er hörte sie nicht einmal kommen.
Sie stürzten sich auf ihn wie zwei tollwütige Hunde.
Der erste Schlag traf ihn an der Schläfe, die Brille flog davon.
Beim zweiten Schlag brachen seine Schneidezähne, sein Mund füllte sich mit Blut.
Der dritte traf genau seinen linken Augapfel, er zerbarst beinahe.
Der Schmerz war so heftig, dass er nicht einmal schreien konnte. Die beiden hoben ihn auf und schleppten ihn zum großen gelben Bagger in der Mitte der Baustelle.
Sie banden ihn an der Schaufel des Ungetüms fest, als wollten sie ihn kreuzigen. Erst jetzt erkannte der Vermessungstechniker Manetti mit dem unversehrten Auge die Umrisse seiner Angreifer. Sie wühlten in der Erde.
Guter Gott … nicht mit mir. Warum? Warum?
Der Stämmigere der beiden hatte ein paar Eisenstangen aufgehoben. Er hielt sie in der Rechten, als wedelte er mit einer Packung Spaghetti. Er lachte. Kam näher. Immer näher. So nahe, bis der Vermessungstechniker seinen widerlichen Nikotinatem riechen konnte. Er sprach mit leicht slawischem Akzent.
– Nun, Herr Doktor … hast du was für uns? Du weißt doch, du hässliches Arschloch, dass es unser Geld ist, oder?
Er spuckte Blut und murmelte eine Art letztes, ebenso verzweifeltes wie sinnloses Gebet.
– Bitte … bitte … Die Kasse … im Container. Aber es ist kaum was drin …
Das Ungetüm packte die Eisenstangen mit beiden Händen und führte sie auf die Höhe seiner Nase.
Erst jetzt sah der Vermessungstechniker Manetti die bläulichen Tattoos auf seinen Händen. Auf jedem Finger ein Buchstabe.
N-O-N-H-O-A-M-I-C-I – Ich habe keine Freunde.
Er lehnte den Kopf zurück und blickte nach oben. Mit dem unversehrten Auge betrachtete er den Bagger.
Die barmherzige Kuppel der Basilika.
Das blassgraue Morgengrauen.
Der Schlag traf ihn mit voller Wucht.
Er spürte die Beine nicht mehr. Aber er hörte noch die Worte des Ungeheuers.
– Mit besten Grüßen von Fabio.
ROM, VIA LUDOVISI. BÜRO DER FUTURE CONSULTING Srl., 9.00 – 10.00 UHR
Sebastiano war angewidert. Der Baulöwe zog unaufhörlich den Rotz hoch und sein Schweiß tropfte auf die marmorierte Onyxplatte des Schreibtisches. Verdammtes Rauschgift. Sebastiano riss die Glastür auf, die auf die Terrasse führte. Darunter lag das elegante Ludovisi-Viertel. Rund um einen weißen Pavillon prächtig blühende Mimosen. Mit einstudierter Langsamkeit setzte er sich auf die andere Seite des großen ovalen Tisches. Er betrachtete Danilo Mariani. Dessen Hände wanderten von der Espressotasse zum iPhone. Sein wächsernes Gesicht färbte sich allmählich rot. Der Dry-Wool-Anzug konnte nicht verbergen, dass die vielen Süchte seinen Körper schlaff und weich gemacht hatten. Das aufgedunsene Gesicht wurde von vorzeitig ergrauten Haaren umrahmt, er war zwar erst vierzig, wirkte aber um mindestens zehn Jahre älter. Das also war der Erbe einer der größten römischen Baumeisterdynastien. Ein Wrack. Vor drei Stunden hatte man seinen Bauleiter in San Giovanni umgebracht.
Sebastiano wollte verstehen warum.
– Sebastia’, ich …
Er konnte es gar nicht erwarten. Mit einer genervten Geste erlaubte ihm Sebastiano, seine Version der Dinge zu erzählen.
– Der Deutsche, dieser Hurensohn, ist daran schuld …
Der junge Mariani war Teil eines Kartells, das 2006 den Zuschlag für einen drei Milliarden schweren Auftrag, den Bau der U-Bahn-Linie C, erhalten hatte. Das größte städtebauliche Projekt des zweiten Jahrtausends. Laut Infrastrukturgesetz war er Generalunternehmer. Er musste den Bau „schlüsselfertig“ übergeben. Zum Totlachen! In den letzten neun Jahren war das Projekt immer kleiner geworden, die Haltestellen waren von vierzig auf zwanzig geschrumpft und die Kosten explodiert. Von drei Milliarden bis zur Unendlichkeit und noch weiter. Wie in dem Film, in dem Spielsachen eine Seele besitzen. Und war die U-Bahn nicht auch ein großes Spielzeug? Alle wussten, wie es funktionierte. Er hieß nicht zufällig Mariani: Man bekam den Zuschlag ohne die geringste Vorfinanzierung, mit der die Baustellen den Betrieb hätten aufnehmen können. Und gleich nach dem Zuschlag sorgte man mit einem schönen Schlichtungsverfahren für Wirbel. Man stritt sich mit den Arschlöchern von der Kommune über den Wortlaut des Vertrags. Damit es noch vor Baubeginn Vertragsänderungen gab. Der Untergrund dieser verdammten Stadt war nämlich hart wie Stein und vielleicht stieß man auf Dinge von archäologischem Wert. Mit einem Wort, man erklärte ihnen, dass sie mehr Geld rausrücken mussten. Und man forderte, forderte, forderte. Sie gaben es ja sowieso. Denn solange man nicht kassierte, rührte man keinen Finger. Die Römer fluchten und das Große Loch füllte sich nie.
So hatte es immer funktioniert. Bis dieser Idiot von neuem Bürgermeister gekommen war. Martin Giardino, auch „der Deutsche“ genannt.
„Ich lasse mich nicht erpressen“, hatte er verkündet.
Fürs Erste hatte er die Finanzierung für den Baufortschritt eingefroren. Mit zusammengebissenen Zähnen hatte man ein tödliches Abkommen getroffen. In Wirklichkeit hatte man Mariani mit ein paar kleinen Scheinen abgespeist und weggeschickt. Doch der Deutsche zahlte nicht, das verdammte Arschloch.
– Der Deutsche hat nichts mehr damit zu tun. Das ist jetzt Regierungssache.
– Auch egal. Ich steh jedenfalls in der Kreide.
– Wie viel?
– Eine Kleinigkeit. Fünfhundert, flüsterte Mariani.
Sebastiano erstarrte. Dann skandierte er:
– Fünf. Hundert. Tausend. Euro. Bravo!
Danilo gab einen Schwall Rechtfertigungen von sich. Abgehackte Sätze, Schaum in den Mundwinkeln, Schweißausbrüche, endloses Selbstmitleid.
– Alle wollen immer nur Geld: die Subunternehmer, die Arbeiter, die Lieferanten. Die Steuererhöhung, verdammt noch mal, bringt uns um … Ich war kurz mal nicht liquid, verstehst du, so was kommt vor …
– Ich würde sagen, du warst kurz mal verschnupft, flüsterte Sebastiano eiskalt. Und zog provokant den Rotz hoch.
Mariani zuckte mit den Achseln.
– Schon gut, hin und wieder ziehe ich ’ne kleine Straße, aber was soll’s, das machen doch alle, Sebastia’, du wirst mir doch nicht sagen, dass du …
– Nein, ich nicht, Danilo. Ich nicht.
Ach, das Koks! Die Königin der Nacht, mit den vielen Weibern im Gefolge! Das ewige altrömische Bacchanal in der auf immer verlorenen Suburra. Die kapitolinische Trias: Koks–Weiber–Spiel … – parappappà … – darauf könnte man einen Schlagertext dichten, die Hymne der Hauptstadt Rom … ein ewiges Klischee. Als Samurai Sebastiano zu seinem Statthalter bestimmt hatte, hatte er klipp und klar gesagt: Die anderen sollen ihren Lastern frönen, wir üben Kontrolle aus. Das Laster führt zum Kontrollverlust, und sofern du jemals eine Ahnung hattest, was der Unterschied zwischen Mensch und Übermensch ist – das Laster ist die Trennlinie zwischen beiden. Im Übrigen hatte er nicht lange darauf bestehen müssen. Sebastiano hatte immer schon ein Gefühl für Grenzen gehabt. Sein Vater hatte es ihm eingeimpft. Sein armer, ehrlicher Vater, der an Ehrlichkeit gestorben war.
– Sebastia’, hörst du mir zu?
– Du hast mir noch immer nicht erklärt, warum dein Bauleiter umgebracht worden ist. Vor allem nicht, von wem. Denn du, Danilo, und nur du, kannst es mir sagen. Du weißt sehr gut: Wer Hand an diese Baustelle legt, legt Hand an dich, und Hand an dich zu legen bedeutet, Hand an mich zu legen, und Hand an mich zu legen, bedeutet, Hand an Samurai zu legen. Also …
– Fabio Desideri, flüsterte Danilo. Er steckte die Hand in die Tasche und holte eine silberne Blisterpackung heraus.
– Nicht in meinem Haus, sagte Sebastiano eiskalt.
– Na komm schon, eine kleine Nase … die brauch ich jetzt …
– Erzähl zuerst fertig.
– Hast du noch immer nicht begriffen? Ich brauchte Bargeld, bin zu Fabietto gegangen, ich habe gehofft, ich könnte es ihm rechtzeitig zurückgeben, hab es aber nicht geschafft, und der Trottel ist durchgedreht.
– Und warum bist du nicht zu mir gekommen, du Idiot? –
Wegen dem bisschen Geld wollte ich dir keine Probleme machen, du hast ja genug um die Ohren … und außerdem, für Fabio sind wir zuständig, nicht wahr? Zumindest hab ich das gedacht … darf ich jetzt?, flehte er und ließ die Blisterpackung aufspringen.
– Draußen.
– Sebasti’ …
– Draußen.
Sebastiano fürchtete, der andere könne zu heulen beginnen. Dann hätte er sich allerdings nicht mehr beherrschen können. Doch Danilo hatte verstanden. Er steckte die Blisterpackung ein und zog sich zurück, mit ihm verschwand auch der säuerliche Schweißgeruch.
ROM, GIANICOLO, FABIO DESIDERIS VILLA. 10.30 UHR
Der Audi A6 hielt vor einem großen Tor. Sebastiano machte seinem Chauffeur Furio ein Zeichen. Er stieg aus und ging zur Portierloge, in der ein untersetzter Typ saß. Unter seiner weiten Jacke versteckte er auf jeden Fall eine geladene Halbautomatische.
– Ich bin Sebastiano Laurenti. Ich muss mit Fabio reden.
– Ich habe Sie erkannt. Erinnern Sie sich nicht an mich?
Sebastiano musterte den Mann. Ungefähr vierzig, korpulent, großer schwarzer Schnurrbart. Eine vage Erinnerung blitzte auf.
– Bogdan?
Der Schnurrbärtige grinste zufrieden.
– Gratuliere zu Ihrem Gedächtnis. Ich begleite Sie.
– Ich kenne den Weg. Danke.
– Wie Sie möchten.
Das Tor knirschte in den Angeln, Sebastiano stieg wieder ein, der Audi fuhr über die asphaltierte, von hohen Pinien gesäumte Allee. Bogdan Adir oder so ähnlich. Ja, jetzt erinnerte er sich. Ein Albaner aus Fier. Primitiv und gewalttätig, ein Anhänger des „Kanun“, der Bibel der Ziegenhirten mit Krummsäbel.
Fabio Desideri beschäftigte einen Trupp Albaner als Aufpasser für seine Lokale, und um sich hin wieder für erlittenes Unrecht zu rächen. Wahrscheinlich hatte ein Bruder oder ein Vetter Bogdans den armen Vermessungstechniker so zugerichtet. Einige Jahre zuvor hatte Bogdan den Schlauen gespielt und sich ein kleine Menge Koks unter den Nagel gerissen. Er hatte versucht, sie in Eigenregie zu verkaufen. Samurai hatte davon erfahren. Er hatte Sebastiano gebeten, ihn zu decken. Jetzt schuldete ihm Bogdan einen Gefallen.
Sie gelangten auf den großen Platz vor dem Herrenhaus. Eine Villa aus dem späten 19. Jahrhundert. Fabio Desideri hatte sie zu einem Spottpreis von dem Erben einer gelangweilten, giftigen, alten englischen Jungfer gekauft, einem Morphinisten. Er stieg die von eleganten Blumentöpfen gesäumte Treppe hoch.
Warum hatte Fabio die Regeln gebrochen? Bis jetzt war er Samurai gegenüber loyal gewesen.
Er verstand es nicht und das machte ihn nervös.
Wie er, Sebastiano, stammte auch Fabio Desideri nicht aus dem Milieu. Er rühmte sich seiner amerikanischen Erziehung, tatsächlich hatte er ein paar Jahre lang eine zweisprachige Schule besucht und ein Abschlusszeugnis erhalten, das vorgab, das Diplom eines amerikanischen Colleges zu sein. Seine Eltern waren anständige Leute gewesen, Kleinbürger, wie man früher gesagt hätte, wahrscheinlich wussten sie nichts von den Aktivitäten ihres Sohnes. Aber mehr Gemeinsamkeiten gab es nicht zwischen ihm und Fabietto, wie er im Milieu genannt wurde. Fabietto hatte sich freiwillig für eine kriminelle Karriere entschieden. Und hatte von Anfang an sein Talent unter Beweis gestellt. Zuerst hatte er im Auftrag Samurais Koks bei VIP-Events und in sogenannten Prominenten-Salons verkauft. In wenigen Jahren war er zum Spitzendealer der römischen Parvenüs geworden, die sich im Zentrum Roms herumtrieben. Wegen einer Rauferei war er einmal kurz im Regina Coeli gelandet. Er hatte nicht gesungen und war aus dieser Schule mit Auszeichnung entlassen worden. Im Laufe der Zeit hatte er seine Aktivitäten ausgeweitet. Er besaß jetzt eine Reihe kleiner Lokale an strategischen Punkten des römischen Nachtlebens – Prati, Trastevere, Testaccio, Ostiense, Ponte Milvio, Parioli, Flaminio – und hatte das Dealen aufgegeben. Er beschränkte sich darauf, wenigen ausgewählten Kunden große Mengen zu verkaufen, als „Läufer“ benutzte er Albaner und andere Vertrauensleute. Sie waren eher Experten beim Sniefen als beim Personenschutz, und beim Dealen verdienten sie sich hin und wieder eine Gratisstraße. Wenn jemand auf die brillante Idee gekommen wäre, eine Razzia in Fabios Villa oder in seinen Lokalen zu machen, hätte er nur schöne Vasen, signierte Ölgemälde, registrierte alte Waffen und Tabak gefunden. Sebastiano erinnerte sich an aufregende Feten mit Models, Geldsäcken, TV-Stars und Fußballern und an Samurais argwöhnisches Urteil:
„Er wirkt lässig, ist aber bösartig.“
Fabio Desideri war um die vierzig, groß, blond, sein Körper zeugte von regelmäßigen Besuchen im Fitnessstudio und konsequenter Anwendung der Sears-Diät. Er trug einen weichen hellblauen Kaschmirpullover über einem cremefarbenen Polo-Shirt, eine gleichfarbige Hose, Rauledermokassins ohne Socken. Ein gutaussehender, weltgewandter Mann mit besten Kontakten, vital und humorvoll. Smart, wie er selbst gesagt hätte. Er beherrschte aber auch die grausame Sprache der Straße und bei Bedarf gab er sich als jovialer Kumpel. Ein Beweis dafür war sein kräftiger Händedruck. Fabio führte den Besucher ins Wohnzimmer, die Einrichtung, in zarten Farben gehalten, war das Werk teurer Innenarchitekten. Chapeau. Als sie eintraten, erhoben sich zwei sehr hübsche Mädchen vom Sofa.
– Cheryl, Fionnula, das ist Sebastiano. Einer der Bosse Roms.
Cheryl war ein schwarzes Model, einsfünfundachtzig groß, Gazellenkörper, lange, dünne Arme, fleischige Lippen und leerer Blick. Sie war wegen einer privaten Modeschau für einen russischen Milliardär nach Rom gekommen. Fionnula war rothaarig und hatte schneeweiße, fast durchsichtige Haut, einen geilen Blick und perfekte Brüste, die unter der Seidenbluse wippten. Sie trug keinen BH. Sie sang in einer ziemlich bekannten Popband, und nach der Modeschau würde sie in einem von Fabios Lokalen vor einer kleinen Schar Auserwählter auftreten.
Sebastiano grüßte die Mädchen höflich, aber kühl, nach ein paar Höflichkeitsfloskeln ließen die beiden sie allein.
– Was darf ich dir anbieten, Sebastiano?
– Danke, nichts. Ich bin gekommen, um mich mit dir zu unterhalten.
– Ich weiß, ich weiß, aber zuerst … muss ich dich um einen Rat bitten, Sebastia’.
– Einen Rat?
– Es geht um die beiden, die Rothaarige und die Schwarze. Welche gefällt dir besser?
Sebastiano unterdrückte den Wunsch, ihn zum Teufel zu schicken. Aber so war Fabio nun mal. Man musste auf ihn eingehen. Der Hausherr nahm auf einer mit Pferdefell bezogenen Chaiselongue Platz und erzählte in frivolem Tonfall von seinen Zweifeln, die eines Hamlet würdig gewesen wären. Die Schwarze sei zwar eindeutig schöner, doch aufgrund seiner reichhaltigen Erfahrung misstraue er Models: Die seien zuweilen richtiggehend frigid. Also doch lieber die Rothaarige, doch auch hier gebe es Gegenanzeigen. Fionnula hatte, wie übrigens alle ihresgleichen, eine Vorliebe für alkoholische Getränke. Und die Performance betrunkener Frauen war mitunter erbärmlich.
– Sicher, ich könnte auch einen Dreier vorschlagen, aber keine Ahnung, wie sie darauf reagieren. Wenn sie dann sauer sind, schau ich durch die Finger. Was meinst du, Sebastia’?
Es reichte ihm. Mit entschiedener Geste stoppte er Fabios Redefluss und wiederholte, er sei aus einem bestimmten Grund hier: Danilo Mariani.
– Entspann dich, Sebastia’, du denkst immer nur an die Arbeit. –
War so viel Gewalt notwendig? Du hättest vorher zu mir kommen müssen.
Fabios Stimme wurde, sofern das möglich war, noch freundlicher.
– Ja, stimmt, hätte ich können. Aber ich habe mir gesagt: Du musst eine eindeutige Botschaft senden, Fabio. Unser Freund Danilo hat mich monatelang verarscht. Am Telefon ließ er sich verleugnen, von Zurückzahlen keine Rede, du hast ja keine Ahnung, was für Ausreden er sich hat einfallen lassen, und zu allem Überdruss hat er mich schließlich noch mal angepumpt! Ich will damit sagen: Was zu viel ist, ist zu viel, oder? Ich bin kein Freund von Gewalt, Sebastia’, aber manchmal ist sie unvermeidbar. Du kannst nicht verlangen, dass man von mir sagt, ich sei einer, der den anderen die Schulden erlässt.
Fabio gab alles zu. Als handelte es sich um etwas ganz Selbstverständliches. Um etwas Selbstverständliches und Unvermeidbares. Er sprach ganz beiläufig darüber, als wäre er im Recht. Sebastiano wurde immer nervöser.
Danilo war nur ein Vorwand. Die Botschaft galt ihm und Samurai.
Das Arschloch hatte gesagt: „hätte ich können“ und nicht: „hätte ich müssen.“
Die beiden Männer musterten sich eine Zeitlang, dann sagte Sebastiano, er würde sich selbst um die Schulden kümmern.
– Fabio, du wirst dein Geld bekommen. Fünfhundert, wenn ich nicht irre …
Fabio lächelte, als würde ihm eine große Last von der Seele genommen.
– Es besteht kein Grund zur Eile, mein Freund.
– Ich kümmere mich persönlich darum. Sagen wir … in einer Woche?
– Aber ich bitte dich, lass dir Zeit! So lange, wie du willst!
Sebastiano sprang auf und hielt ihm die Hand hin.
– Abgemacht.
Er nahm Sebastianos Hand und drückte sie fest.
– Magst du heute Abend zur Party kommen? Wird ein Mordsspaß.
– Ein anderes Mal, Fabio.
– Sebastiano Laurenti, der unermüdliche Friedensstifter. Grüß Samurai von mir.
Fabio Desideri begleitete Sebastiano zur Tür, dann ging er ins Wohnzimmer zurück. Er zündete sich eine Cohiba an, schenkte sich einen Fingerbreit eiskalten Weißwein ein und wartete ein paar Minuten, bis er völlig ruhig war. Ruhig und energiegeladen. In Anwesenheit von Samurais Strohmann hatte er große Selbstsicherheit an den Tag gelegt, doch in Wirklichkeit hatte er Angst vor der Begegnung gehabt. Das kam selten vor. Seit einiger Zeit hegte er ein ehrgeiziges Projekt. Mehr oder weniger seit dem Zeitpunkt, als sich der Deutsche im Kapitol eingenistet hatte und die großen Manöver begonnen hatten, um die alten Abkommen neu auszuhandeln. Er war schon mehrmals drauf und dran gewesen zuzuschlagen. Nur aus einem einzigen Grund hatte er gezögert. Der Schritt war nämlich endgültig und bedeutete womöglich auch sein Ende. Doch man konnte nicht ewig zuwarten, sonst hätte sich der magische Augenblick in Nichts aufgelöst, und das in Jahren mühsam aufgebaute Gebäude brach erbärmlich zusammen. Danilo Mariani hatte ihm eine kostbare Gelegenheit geboten und er hatte sie beim Schopf gepackt. Er wollte nicht länger zuwarten, er wollte nicht länger Fabietto sein. Die Umstände waren günstig. Die Alte Garde war infolge von Verhaftungen dezimiert und Samurai saß im Gefängnis, einem talentierten Jungen wie ihm stand in diesem Augenblick die Welt offen. Je länger Samurai in verschärfter Haft saß, desto weniger Kontrolle hatte er über die Stadt: ein König im Exil kann nicht ewig König bleiben. Entweder kehrt er aus dem Exil zurück oder der König stirbt, und in diesem Fall: Es lebe der König!
Der neue.
Sebastiano war natürlich ein Unsicherheitsfaktor. Deshalb hatte er Angst vor der Begegnung gehabt. Doch es hatte sich herausgestellt, dass von ihm keine Gefahr ausging. Angesichts seiner lockeren, freundschaftlichen Art hatte er den Schwanz eingezogen, und da war Fabio klar geworden, dass Samurais designierter Erbe im Grunde ein Pappkamerad war. Was auch immer er befürchtet hatte – Wortgefechte bis hin zu unmittelbaren Vergeltungsmaßnahmen – war nicht eingetreten. Wenn anstelle des jungen Mannes Samurai gekommen wäre … Nun, da hätte es dieses Treffen gar nicht gegeben. Dann hätte Fabio es bitter bereut, aufbegehrt zu haben. Doch Sebastiano hatte die Stirn gerunzelt und letztendlich klein beigegeben. Keine Eier, wie seine albanesischen Freunde gesagt hätten. Sebastiano war nicht Samurai und würde es auch niemals werden. Deshalb würde er, Fabio, nicht nur beliebt, sondern unersetzlich und respektiert sein. Man würde ihn fürchten. Fürchten und verehren. Eine Alternative gab es nicht.
Entweder spielte Sebastiano mit oder man musste ihn beseitigen.
Fabietto ist tot, es lebe Fabione.
Heiliger Arrigus
ROM, PETERSDOM, 6.00 Uhr
Einen Augenblick lang betrachtete Sebastiano Laurenti die Umrisse der Engelsburg. Die hypnotisierende Bewegung des Scheibenwischers und die Wärme im Inneren des Autos begünstigten nicht gerade das Wachwerden. Das Gebäude wirkte unheimlich an dem zuerst tintenschwarzen und dann dunkelgrauen Morgen, außerdem war es regnerisch und windig. Das Thermometer zeigte sechs Grad an. Zu kalt. Dieses Jahr wollte der Winter kein Ende nehmen. Zu warm, um auf einen unzeitgemäßen Schneefall zu hoffen, über den er sich gefreut hätte wie der kleine Junge, der zu früh ein Mann hatte werden müssen. Die Erinnerung an seinen lächelnden und stolzen Vater blitzte auf, im Park der Engelsburg, wo er ihm beigebracht hatte, auf dem Fahrrad ohne Stützräder zu fahren. Sein erster Triumph. Als er den Mantelkragen aufstellte, stieg ihm einen Augenblick lang der Zedernduft des Rasierwassers in die Nase, mit dem er sich vor einer Stunde das Gesicht eingerieben hatte, nachdem er sich unendlich lange rasiert hatte. Er wurde kurz von Melancholie übermannt und sagte dem Chauffeur, er solle sich in die Schlange der SUVs und der blauen Autos einordnen, die im Schritttempo über die Via della Conciliazione fuhren.
Die Prozession erinnerte an ein Begräbnis. Dieselbe Farbe und dieselbe Feierlichkeit. Kalte Halogenlampen beleuchteten Berninis Kolonnaden. Der Petersdom ragte auf fast unwirkliche Weise empor. Aber nein, es war kein Begräbnis. Die Wahl von Papst Franziskus jährte sich zum zweiten und das Ende des 2. Vatikanischen Konzils zum fünfzigsten Mal. So stand es zumindest auf der Einladung aus Pergament: Der Pontifex würde an diesem Vormittag eine außerordentliche Messe lesen. Sie war ihm zwei Tage zuvor persönlich zugestellt worden. Ihm und einer handverlesenen Schar von purpurroten Würdenträgern, die jetzt wie er am Tor des Hauptschiffs leicht in die Knie gingen und sich bekreuzigten.
Er betrachtete die prächtigen Korkenziehersäulen, die den Bronzebaldachin trugen, den von Papst Urban VIII. Barberini in Auftrag gegebenen Barockaltar. Noch einmal blitzte die Erinnerung an seinen Vater auf, der ihm, als er als Kind das architektonische Wunder bestaunt hatte, ins Ohr geflüstert hatte: Dafür haben sie die Bronzestatuen im Pantheon geplündert. Merk dir eines, mein Sohn: Quod non fecerunt barbari, fecerunt Barberini.
Was die Barbaren nicht geschafft haben, haben die Barberini vollbracht. Diesmal musste er bei der Erinnerung an seinen Vater lächeln.
Die Barbaren und die Päpste. Rom. Gestern. Heute. In alle Ewigkeit.
Instinktiv wanderte sein Blick von oben nach unten. In der kleinen Menge, die in den Bänken in der Mitte vor dem Altar Platz nahm, erkannte er den Bürgermeister Martin Giardino und seinen Vize Temistocle Malgradi. Malgradi war Samurais Mann im Kapitol. Ein Arzt im Dienste der Politik. Der „Tarzan“ der Zweiten Republik. Von der klerikalen Rechten zum Governo dei Migliori, der Regierung der Besten, bis zum neuen Partito Democratico, jener Partei, die Alteisen verschrottete. Seine Klinik an der Flaminia, einst Treffpunkt für hochkarätige Kriminelle und Schauplatz enthemmter Orgien, hatte er in La Casa di Vicky umbenannt. Vicky war eine slawische Hure gewesen, die in den Armen seines Bruders Pericle an einer Überdosis gestorben war. Pericle Malgradi, die große Enttäuschung. La Casa di Vicky war jetzt ein Diagnosezentrum für Immigrantinnen. Theoretisch konnten sie sich hier gratis untersuchen lassen. In Wirklichkeit bezahlte die Kommune. Mit Mildtätigkeit konnte man mittlerweile mehr Geld machen als mit Rauschgift. Er hatte eine schöne Stiftung – mit dem Hashtag #Cosapuoifaretu – gegründet und mühelos Karriere beim flexiblen römischen Partito Democratico gemacht. Wenn es um eine Abreibung ging, kümmerten sich die anderen darum. Sebastiano und Samurai. Er träumte davon, Bürgermeister zu werden. Samurai hatte ihn zurückgepfiffen: Übertreib mal nicht. Deck lieber Martin Giardino. Den Marsmenschen aus Bruneck, der den Raccordo anulare mit den Aurelianischen Mauern und Tor di Nona mit dem Ponte di Nona verwechselte und dem Rom sofort einen Namen verpasst hatte, den er verdiente: „Der Deutsche.“ Ein anständiger Mensch, wohlgemerkt. Ehrlich wie ein Franziskaner. Ein Ausbund an Umweltbewusstsein. Politisch überkorrekt. Ein Ausbund der schlimmsten Laster der Linken. Alle hatten ihn gewählt, und als großer Narzisst hielt er das Ergebnis für sein Verdienst. Temicstocle war sein Schatten, sein Wächter, sein Mentor.
Giardino hatte in der Bank Platz genommen und unterhielt sich angeregt mit Malgradi. Dieser hatte Sebastiano zugezwinkert, der näherte sich und grüßte ihn.
– Um Himmels willen, der Deutsche ist vielleicht eine Nervensäge … heute ist er unerträglich …
Er hielt sich die Hand vor den Mund, da er einen sauer riechenden Rülpser nicht unterdrücken konnte.
– Warum sind Sie so aufgeregt?
– Der Bürgermeister sagt, dass …
Er rülpste noch einmal. Diesmal übertönte der säuerliche Geruch sogar die Zedernwolke, die Sebastianos Gesicht umgab.
– Temistocle, reiß dich zusammen, wir sind im Petersdom!
– Entschuldige, die frittierten Meeresfrüchte sind schuld, die wir bei der Feier im Club gegessen haben.
– In welchem Club?
– Gestern habe ich den Club des PD in Parioli eröffnet. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele Weiber da waren. Man merkt, wir sind jetzt eine Regierungspartei.
– Darf ich endlich erfahren, was der Bürgermeister sagt?
– Er sagt, er habe Neuigkeiten erfahren.
– Welche?
– Der Papst will offenbar eine Ankündigung machen.
– Tritt auch er ab?
– Zu schön, um wahr zu sein … dann wären wir den Tupamaro los.
– Die Tupamaros stammen aus Uruguay. Der Papst ist aus Argentinien.
– Egal, Kommunist ist Kommunist.
– Temistocle, du siehst überall Kommunisten.
– Deshalb bin ich dem PD beigetreten. Komm, lass uns hören, was passiert …
Sebastiano nickte. Aus dem Augenwinkel sah er, dass ein Nachzügler in Richtung der vorderen Kirchenbänke eilte. Es war Jabba, buckelig wie ein Leichenträger, das ehemalige Mädchen für alles und Schatzmeister der alten Regierungspartei und des ehemaligen Bürgermeisters, er schwitzte vor Devotion. Genau, die Rechten waren ja an Bord geblieben. Niemand hatte geglaubt, auf sie verzichten zu können. Schon gar nicht er und Samurai. Und zwar nicht wegen der Idee. Die Idee war gestorben, das war Quatsch aus dem letzten Jahrhundert. Es war eine ganz einfache Angelegenheit. Zu viele Mäuler mussten noch gestopft werden. Das Risiko, bedrängt zu werden, war zu hoch. Um Geschäfte zu machen, mussten alle am Tisch Platz haben. Wie hieß es doch so schön: eine Hand wäscht die andere und zwei Hände waschen das Gesicht.
Die Orgelpfeifen gaben tiefe Töne von sich und übertönten das Stimmengewirr. Weihrauchschwaden und der Chor kündigten den Papst an.
Im Namen des Vaters
und des Sohnes und
des Heiligen Geistes.
Im feierlichen Glanz der liturgischen Paramente berührte Papst Franziskus einen Augenblick lang das Pallium aus schneeweißer Wolle, das er um den Hals trug. Das Schaf auf den Schultern des Seelenhirten. Dann bekreuzigte er sich und öffnete die Heilige Schrift:
– Aus dem Evangelium nach Lukas … „Nach dieser Rede lud ein Pharisäer Jesus zum Essen ein. Jesus ging zu ihm und setzte sich zu Tisch …“
Sebastiano lauschte ruhig den Worten des Papstes. Doch als dieser von Nächstenliebe sprach, klammerte er sich an der Kirchenbank fest, bis seine Knöchel weiß wurden.
– Vergib deinen Schuldigern. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und du wirst geliebt werden.
Seinem Vater, dem Schuldiger, war nicht vergeben worden. Und um was für eine Nächstenliebe, um was für ein Erbarmen ging es überhaupt? Bist du barmherzig gegenüber jenen, die du fürchtest? Das war das Gesetz der Männer, die er im Lauf der Zeit kennengelernt hatte. Und wenn die Menschen Söhne Gottes waren, war das wohl auch das Gesetz Gottes.
Franziskus kniete vor der Heiligen Schrift nieder. Er küsste sie mit geschlossenen Lippen. Dann forderte er die Gläubigen auf, sich zu setzen. Er ging zum Mikrofon auf dem Altar.
– Auch in diesem Jahr haben wir uns an der Vigil zum vierten Fastensonntag versammelt, um die Bußliturgie zu feiern. Unsere Sünden bekennen zu können, ist eine Gabe Gottes, ein Geschenk, …
Sebastians Smartphone vibrierte. Eine SMS von Danilo Mariani. Zuerst vermasselte er alles und dann hatte er auch noch Lust zu witzeln.
„Pah, die Sünden bekennen, eine Gabe Gottes! So ein Trottel! Wer würde je ohne Strafverteidiger gehen! Es lebe die Schutzheilige der Leugner!“
Sebastiano drehte sich um und hielt nach Danilo Ausschau. Er saß ganz hinten im Kirchenschiff, neben dem Säulengang. Unweit entfernt von Monsignore Mariano Tempesta.
Merkwürdig, dachte er. Warum hielt sich der Bischof so abseits?
Franziskus sprach, mit leicht ausgebreiteten Armen, als wolle er seine Zuhörer an sich drücken, und erklärte die Bedeutung des Gleichnisses von den Pharisäern und der Hure.
Was hätte er wohl gedacht, wenn er gewusst hätte, dass seine Schäfchen auf seine Worte pfiffen? Die Schäfchen machten sich in dem feierlichen Augenblick einen Mordsspaß.
Noch ein Vibrieren. Noch eine SMS. Malgradi.
„Mit Liebe kann ich leben. Mit Gericht aber nicht. Hör dir den Tupamaro an.“
Jabba war aus seinem Dämmerschlaf aufgewacht. Er schrieb Malgradi eine SMS.
„Die Sünderin und der Herr. Wenn ich an deinen Bruder, den geilen Bock, denke, muss ich lachen. Haha!“
Malgradi entdeckte Jabbas SMS, lächelte süffisant und beschloss, Sebastiano zu schreiben.
„He, Sebastia’ auf wessen Seite steht du? Auf der des reichen Pharisäers oder der der Hure?“
Sebastiano machte das Mobiltelefon aus. Malgradi und seine Meute: Gesindel, aber ein notwendiges.
Franziskus machte eine lange Pause. Sebastiano begriff.
Vielleicht erfahren wir jetzt, Eure Heiligkeit, warum wir so früh aufstehen mussten.
– Liebe Brüder und Schwestern, ich habe oft darüber nachgedacht, wie die Kirche ihre Sendung, Zeugin der Barmherzigkeit zu sein, deutlicher machen könnte. Es ist ein Weg, der mit einer geistlichen Umkehr beginnt; und diesen Weg müssen wir gehen. Darum habe ich entschieden, ein außerordentliches Jubiläum auszurufen, in dessen Zentrum die Barmherzigkeit Gottes steht. Es wird ein Heiliges Jahrder Barmherzigkeit sein. Wir wollen es im Licht des Herrenwortes leben: „Seid barmherzig wie der himmlische Vater!“ (vgl. Lk 6,36). Und das gilt besonders für die Beichtväter! Ganz viel Barmherzigkeit! Dieses Heilige Jahr wird am kommenden Hochfest der Unbefleckten Empfängnis beginnen und am 20. November 2016, dem Christkönigssonntag enden, wenn wir Christus als den König des Universums feiern und als das lebendige Gesicht der Barmherzigkeit des Vaters. Ich vertraue die Organisation dieses Jubiläums dem Päpstlichen Rat für die Förderung der Neuevangelisierung an, damit er es gestalten kann als eine neue Etappe des Weges der Kirche in ihrer Sendung, das Evangelium der Barmherzigkeit zu allen Menschen zu bringen.
Der Bürgermeister zappelte aufgeregt. Malgradi, der Trottel, war endlich ernst geworden. Und Jabba war endgültig aufgewacht.
Gut, sagte sich Sebastiano insgeheim. Sehr gut.
Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit.
Unser Heiliges Jahr.
Päpstlicher Rat für die Förderung der Neuevangelisierung. Sebastiano runzelte die Stirn.
Und Tempesta?
Amen.
Auf Franziskus’ feierlichen Segen folgte der liturgische Entlassungsgruß.
Die Messe ist beendet. Gehet hin in Frieden.
Der Bürgermeister stürzte zu Malgradi.
– Los, Temistocle. Los! Wir müssen augenblicklich zwei Zeilen für die Agenturen formulieren. Ich möchte die Stadt mit dieser Nachricht aufwecken!
Malgradi schüttelte den Kopf und zeigte ihm mit einem sarkastischen Lächeln das Smartphone.
– Was ist? Was soll ich mir anschauen?
– Twitter, Bürgermeister. Twitter.
– Ja, und?
– Der Papst. Papst Franziskus, @Pontifex_it. Er hat die Nachricht schon vor zwanzig Minuten getwittert.
– Er hat doch die Messe gelesen …
– Ich würde ein schönes Selfie hier in der Basilika machen und es posten, sagte sein Vize sarkastisch.
Malgradi warf Sebastiano einen spöttischen Blick zu, der ging weg, ohne zu grüßen. Er war noch immer konsterniert wegen dieser respektlosen SMS, und vor allem hatte er Wichtigeres zu tun. Auf der Stelle.
Tempesta wartete ganz hinten im Hauptschiff auf ihn. Sebastiano trat auf ihn zu und tat, als wolle er ihm die Hand küssen. Der Monsignore verzichtete auf die Höflichkeitsfloskeln. Sie waren nicht notwendig. Das wussten beide.
– Man hat mich abserviert, Sebastiano. Der Papst hat mir gestern Abend mitgeteilt, dass ich am Montag in einem Flugzeug nach Washington sitze. Er schickt mich als Apostolischen Nuntius in die USA. Wie Napoleon auf St. Helena. Vergesst also das Heilige Jahr 2000. Das ist ein anderes Spiel. Das ist ein anderer Papst.
– Das soll wohl ein Scherz sein, oder? Du weißt doch, wenn wir die Kardinäle des Päpstlichen Rats für das Heilige Jahr nicht kontrollieren, sind wir chancenlos. Nicht einmal eine Parkbank können wir dann aufstellen. Weißt du wenigstens, wer an deine Stelle tritt?
Der Monsignore faltete die Hände wie zum Gebet und führte sie an die Lippen.
– Was Schlimmeres hätte euch nicht passieren können.
– Wer?
– Offiziell werde ich keinen Nachfolger haben. Offiziell. Doch aus verlässlicher, sagen wir ruhig, privater Quelle habe ich erfahren, dass Monsignor Giovanni Daré mein Schattennachfolger sein wird.
– Der jüngste Bischof von Rom? Der, den er vor ein paar Monaten ernannt hat und der in San Giovanni in Laterano die Messe hält?
– Genau. Ein Kommunist.
Schon wieder einer, der überall Kommunisten sieht, dachte Sebastiano. Als ob es noch welche gäbe … Seufzend sprach Tempesta weiter.
– Schuld daran ist die Kirche, Sebastiano. Wir sind zu tolerant geworden. Auf Daré braucht ihr jedoch keine Zeit und Mühe verschwenden. Er ist ein Hardliner. Besser gesagt: ein richtiger Konvertit. Das sind die Schlimmsten. Er hat die Priesterweihe erst spät erhalten. Er wird immer wieder für missions impossible eingesetzt, sie lassen ihn aufräumen, die Moral wiederherstellen und Ähnliches … Er ist ein Herz und eine Seele mit der Gemeinschaft Sant’Egidio.
– Besorgniserregend.
– Das kannst du laut sagen. Franziskus hat ihn aus der Vorstadt-Diözese befreit, in die ihn Papst Benedikt verbannt hatte. Er verdankt ihm alles. Und leider verstehen sich die beiden prächtig. Sie duzen sich. Warum glaubst du, schicken sie mich über den Atlantik? Noch dazu als Botschafter des Papstes, sodass ich mich nicht einmal beschweren kann.
– Ich dachte nicht, dass der Südamerikaner so unbarmherzig ist.
– Wenn es um die Umgestaltung der Kurie geht, kennt er keine Gnade. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich habe mir sogar schon überlegt, Schluss zu machen.
– Wenn du damit die göttliche Mission meinst, glaube ich dir vielleicht. Aber nicht mit dem Leben. Das kann ich mir nicht vorstellen.
Tempesta holte aus dem Inneren seines Talars ein Samtsäckchen mit einem länglichen Gegenstand hervor.
– Als ich gestern aufgeräumt habe, habe ich das hier gefunden. Ich möchte es dir schenken. Vielleicht kannst du es früher oder später brauchen. Und außerdem feiern wir das Jahr der Barmherzigkeit.
Sebastiano löste die Kordel, mit der das Säckchen verschlossen war. Er schaute hinein. Ein wunderschönes Silberstilett mit Intarsien am Griff.
Tempesta lächelte.
– Früher nannte man so etwas Misericordia, Gnadengeber. Man benutzte es, um Schwerstverletzten auf den Schlachtfeldern den Gnadenstoß zu geben. Denen, die nicht mehr transportfähig waren. Um sich der Versehrten zu entledigen. Natürlich erst, nachdem der Bischof den Befehl dazu gegeben hatte. Und damit der Tod im Namen des Herrn erfolgte. Damit er … barmherzig war. Ein einziger Stich. Amen.
BÜRO DES VIKARIATS, ROM, 18 UHR
Pater Giovanni Daré hatte Angst.
Papst Franziskus hatte ihn zum Alleinverantwortlichen für das Heilige Jahr ernannt.
Giovanni hatte Einwände erhoben, argumentiert, sich zu entziehen versucht …
„Warum ausgerechnet ich?“
„Weil man den richtigen Hirten braucht, um die Herde zu bewachen, hermano. Einen, der weiß, wie man die Wölfe fernhält.“
Natürlich hatte er gehorcht.
Aber er schreckte zurück.
Papst Franziskus hatte ihm den Besuch eines jungen Bruders angekündigt. Ein junger Priester um die dreißig, stellte sich vor. Don Paolo. Wächserner Blick, merkwürdig gerötetes Gesicht, klein, zerbrechlich. Weich wie ein Mädchen, so schätzte ihn Monsignor Daré ein, der über gewisse Gerüchte bestens informiert war. Das musste man sein, wenn man in bestimmten Palästen arbeitete. Als er ihm auf der Schwelle des Vikariats entgegentrat, staunte er über seine unbestreitbare Schönheit.
– Ich habe die Minuten gezählt, Eminenz …
– Bitte nicht so förmlich. Don Giovanni reicht völlig. Folgen Sie mir.
Sie gingen einen geräumigen Korridor entlang. Der Junge trottete neben ihm her. Er verströmte zarten Blütenduft.
– Seine Heiligkeit hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern. So wie es aussieht, soll ich Sie … beschützen. Keine Ahnung wovor, aber das werden Sie mir sagen.
– Exzellenz.
– Don Giovanni.
– Don Giovanni, ich muss beichten.
Im Vorzimmer saß Sebastiano Laurenti. Er war ein paar Minuten zu früh gekommen. Das Heilige Jahr war erst vor wenigen Stunden angekündigt worden und schon ging es in Rom drunter und drüber. Der Typ hatte sofort einen Termin bekommen, daraus schloss Giovanni, dass es sich um eine wichtige Persönlichkeit handelte. Jedenfalls hatte er gute Beziehungen. Wir werden sehen, sagte er zu sich, während Laurenti, ein junger, schlanker Mann, der sich in seinem maßgeschneiderten Anzug sehr wohl zu fühlen schien, aufsprang und sich anschickte, sich hinzuknien und ihm die Hand zu küssen. Genervt ergriff Giovanni die Rechte des jungen Mannes und drückte sie fest. Der junge Laurenti erwiderte lächelnd den Druck. Immerhin war er lernwillig.
Der Bischof öffnete die Tür zu seinem Büro weit und hieß ihn vorauszugehen.
– Wir sehen uns später, sagte er und drehte sich zu Don Paolo um, um sich zu verabschieden.
Der junge Priester stand bleich mitten im Vorzimmer, trat von einem Bein auf das andere, mit verstörtem Gesichtsausdruck.
– Haben Sie verstanden? Warten Sie hier auf mich.