Die Nacht von Santa Rita - Werner Legère - E-Book

Die Nacht von Santa Rita E-Book

Werner Legère

4,4

Beschreibung

Als erste Originalausgabe in der Edition Ustad erschien Legères mitreissender historischer Indianerroman über den Freiheiskampf der Mimbreno-Apatschen. Legère bietet Action und Spannung nonstop, aber nie auf Kosten historischer Authentizität. Die dichte Verwebung geschichtlicher Fakten und abenteuerlich-romantischer Phantasie sucht ihresgleichen. Werner Legère gab dem deutschsprachigen Abenteuerroman seit den 50er Jahren wichtige neue Impulse. Spannende und exotische Erzählungen, zu denen ihn sein berühmter Kollege und Landsmann Karl May inspirierte, haben ihm eine grosse, treue Leserschaft eingetragen. Nur noch als E-Book erhältlich.

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DIE NACHT

VON

SANTA RITA

ROMAN

VON

WERNER LEGÈRE

Herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid

© 1997 Karl-May-Verlag

Der vorliegende Roman spielt Mitte des 19. Jahrhunderts.

1. Zwischenfall in Janos

„Caramba! Dir zahl ich’s heim!“ Zugleich mit der gezischten Drohung zuckt die Rechte des Gitarrenspielers hoch und schlägt zu.

Am Tisch fahren die beiden vor sich hindösenden Burschen zusammen, richten sich auf und beobachten, wie ihr Freund Luciano Rodil ein zerquetschtes Insekt, dessen blutsaugender Stich das einschläfernde Geklimper unterbrochen hat, von der Hand wischt. Sie grinsen, werden aber erst richtig munter durch ein Gepolter nebenan. Dem dort eingenickten Fremden ist der Kopf aus den stützenden Fäusten gerutscht und hart auf die Bohlenplatte geschlagen.

„Hell and damnation!“, flucht er und reibt sich die geprellte Stirn und die leicht vorstehenden katzengrünen Augen. Gähnend zieht er den Becher heran. „Leer! Hm.“ Er lacht. „Verdammte Hitze! Und das Ende – Ende Ap–April. Nette Aus–Aus–sichten! Mist, ver–verdammter! Hee, hee Wirt! Gießt noch einen Mez–Mezcal ein, da’s bei Euch neunmal keinen an–anständigen Whiskey gibt!“

Oswaldo Ponte, Händler und Kneipenwirt in Janos in der mexikanischen Provinz Chihuahua, brummelt etwas, das wie „Paciencia“ klingt.

„Pa–Paci–encia? Ge–Geduld?“ Der Betrunkene kratzt sich den verwilderten Bart. „Geduld? Soll das heißen...? Damn’d! Ich kann zahlen! Euren ganzen Trödel da be–bezahlen!“

Schwankend dreht er sich auf seinem Hocker um und blickt zum Verkaufstisch. Plötzlich weiten sich seine Augen, schließen sich, öffnen sich wieder. Er schüttelt sich, streicht sich über die Stirn. Doch das Bild, das er auslöschen will, bleibt, wird aber von einem anderen überdeckt: vom Anblick eines Lagers mit einem verkohlten Zelt, vier ermordeten und skalpierten Pima-Indianern, ihrem grässlich verstümmelten, aber noch lebenden Häuptling, der ihn, den Goldsucher James Johnson, mit verlöschender Stimme bittet, die Untat an den Feinden seines Stammes, den Apatschen zu rächen. Er wusste Besseres zu tun, als dem Sterbenden ein solch wahnwitziges Versprechen zu geben: nämlich das unter dem fragwürdigen Schutz der Pimas gesammelte Gold aus der Asche zu klauben und sich davonzumachen. Es war eine vergebliche Mühe gewesen. Die Apatschen hatten ihn, den Weißen, beraubt, den Ledersack mit der Ausbeute langer Wochen Arbeit entführt. Geblieben war ihm nur ein Beutelchen Goldkörner, das er gerade bei sich hatte. Und dort steht ein Apatsche! Ein Mimbreño!

„Ge–duld?“, faucht er wie ein beim Fressen gestörter Puma. „Ich soll mich wegen – wegen einer Rothaut gedulden? Hell and damnation! Gilt hier ein Roter mehr als ein Caballero? Hee!“

„So schweigt doch, Señor!“, bittet Ponte, aber mit einem Unterton von Warnung, und schielt zu dem Indianer, der mit den Fransen einer bunten Baumwolldecke spielt. Sein jugendlicher Begleiter, ein Junge von vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahren, prüft die Festigkeit eines Riemens.

„Seid Ihr verrückt, einem Gentleman das Wort ver–verbieten zu wollen?“ Schwerfällig stemmt er sich hoch, um hinüberzugehen.

„Lasst es bleiben, Señor!“, mischt sich der Gitarrenspieler ein. „Seht Ihr nicht, dass Don Oswaldo mit einem Mimbreñohäuptling beschäftigt ist?“

Langsam wendet sich der Angesprochene um und mustert Rodil so durchdringend, dass es diesem heiß unter dem stechenden Blick wird. Wie geduckt der Fremde dasteht, wie die Mundwinkel spöttisch zucken, das linke Lid über dem katzengrünen Auge flattert, sich Fältchen zur schmalen, spitzen, gekrümmten Nase und zu den buschigen Brauen hinziehen. Der Mann hat etwas Raubvogelartiges an sich. Er ist betrunken, doch nicht stockbesoffen, kann von einem Augenblick zum anderen nüchtern werden.

„Habe Augen im Kopf!“, raunzt er zurück. „Aber es schert mich einen Deut, ob die Rothaut Häuptling oder sonst was ist. Seid nicht gefragt, deshalb haltet’s Maul! Klar so? Bin James Johnson, Amerikaner, und nicht gewillt, wegen eines dreckigen Indio wie ein Aasfresser behandelt zu werden.“

„Ihr kennt anscheinend die Verhältnisse nicht, die unseren Freund zwingen...“

„Will sie auch gar nicht kennen, kümmern mich nicht“, unterbricht der Amerikaner hartköpfig. „Mir geht’s darum... He, he! Was ist denn das? Das Pack wühlt im Mais wie die Schweine im Trog und der Händler lässt’s zu.“

Der Indianer, der seinen Arm tief in den Maissack geschoben hatte, bringt eben eine Handvoll Maiskörner herauf. Der Junge zerbeißt ein Korn, spuckt die Hälften in die Hand und hält sie dem Häuptling hin.

„Einwandfreie Ware, Ka-tscho[1]!“, lobt Ponte den Mais.

„Sí“, bestätigt es der Mimbreño.

„Wie immer zehn Sack?“

Aufgestanden von seinem Hocker ist er, nur warum? Wegen der Rothaut! Na klar! Und weil der Wirt so um sie herumscharwenzelt. Wie eben jetzt. Ein Hundsfott ist der!

„Oh! Ah!“ Er reibt sich die Augen. Blickt über den feisten Ponte hoch an die Wand. Hoch zum Bord! Auf dem stehen neben Bechern und Krügen Flaschen. Richtige Flaschen. Nur ohne Beschriftung drauf. „Was ist drin?“ Er zeigt zu den Flaschen.

„Mezcal und Pulque!“, brummt der Kaufmann, der mit Ka-tscho verhandelt.

„Gesöff! Trotzdem langt eine mit Mezcal runter!“

Ponte tut’s und stellt sie vor sich auf den Verkaufstisch.

„Aufmachen! Und das schnell! Oder zwingen Euch die Verhältnisse, erst den da zu bedienen?“ Johnson deutet mit einer Kopfbewegung an, dass er den Apatschen meint. „Will heraus aus dieser Bruchbude, diesem Stinkloch!“

Ponte öffnet die Flasche und stellt sie wieder hin. Dann wendet er sich erneut an den Häuptling. „Was noch, Ka-tscho?“

„Polvora.“

„Fünf Fässchen?“

„Ja.“

„Polvora – Pulver“, murmelt der Amerikaner, als habe er sich verhört.

„Sie stehen zur Abholung bereit.“

Also hat sich Johnson nicht verhört. „Ihr verkauft den Indios bravos Pulver!“, brüllt er Ponte an. „Ihr – Ihr...“ Vor Erregung versagt ihm die Stimme.

„Ich handle mit allem. Auch mit Pulver. Im Übrigen ist es meine Sache, was ich tue und was nicht. Euch hat’s nicht zu kümmern.“

„Ihr seid ein Schuft, ein Hundsfott, ein erbärmlicher Feigling, der aus Angst vor den roten Hunden ihnen Pulver verkauft!“

Der Händler ballt die Fäuste, hält aber an sich. „Mir scheint, Ihr legt’s drauf an, rausgeworfen zu werden, Señor. Könnt Ihr haben! Meine Freunde dort...“ – Ponte winkt sie herüber – „...werden Euch den Weg weisen, doch erst, wenn Ihr die Zeche bezahlt habt.“

Luciano Rodil und die anderen kommen herüber.

„Oho! Irgendwas scheint Euch in die falsche Kehle geraten zu sein, Ponte. War’s Schuft, Hundsfott oder Feigling? Na, ’s ist egal! Geht mich nichts an. Aber da ich allein gegen sechs bin, falls der Rote es wagt, sich einzumischen, gestatten die ehrenwerten Caballeros doch, dass ich...“

Rodil und seine beiden Freunde weichen vor der so plötzlich in Johnsons Hand liegenden Pistole zurück.

„Nettes Ding das!“ Er lacht hämisch. „Kann aber auch verdammt gefährlich werden, amigos mios!“ Die Wirkungen des Mezcal sind wie von Zauberhand weggewischt.

Ka-tschos Augen verengen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Dann schnellt er vor, schlägt den Arm des Weißen nieder, packt ihn, dreht ihn. Polternd fällt die Pistole zu Boden. Der Häuptling setzt seinen Fuß darauf.

„Dein Mezcal hat seinen Geist verwirrt“, meint er zu Ponte. „Pack ein, Wiesel! Meine Ohren lieben das Klappern einer Klapperschlange nicht. Wir kommen wieder.“

Der Junge tut, wie ihm geheißen. Er schiebt die eingehandelten Kleinigkeiten zusammen, um sie in die Decke zu packen, mit deren Fransen der Häuptling gespielt hatte, als er sieht, dass die Finger des wie versteinert dastehenden, entwaffneten Weißen zur Flasche tasten.

„Gefahr! Gefahr!“, warnt er in der Muttersprache.

Unnötig. Denn Ka-tscho hat das Tasten nach der Flasche ebenfalls bemerkt, sein Messer herausgerissen und holt zum Stoß aus.

Johnson, die tödliche Gefahr erkennend, wirft sich zur Seite. Der Stoß geht ins Leere. Der Mimbreño taumelt und prallt gegen den Verkaufstisch. Er ist auf die Pistole getreten und auf ihr weggerutscht.

„Mordversuch!“, brüllt der Amerikaner und versetzt dem im Augenblick gehemmten Indianer einen Tritt gegen das Schienbein, reißt die Flasche an sich und schlägt sie ihm auf den Kopf. Röchelnd sinkt der Mimbreñohäuptling zusammen.

Wiesel greift James Johnson an, doch dessen Faustschlag schleudert ihn ein Stück zur Seite. Geschehen ist dem Jungen dabei nichts weiter. Er springt auf – und gibt auf, denn die Feuerwaffe ist wieder in der Hand des Weißen. Sie bedroht erneut ihn, Oswaldo Ponte sowie Rodil und seine Freunde.

Keiner der Bedrohten rührt sich, alle haben die Lippen fest zusammengepresst, um nur ja keinen Laut von sich zu geben, der der letzte sein könnte, sollte er mit einem Schuss beantwortet werden. Totenstille herrscht, die nur vom Schwirren eines Insekts und jetzt von Sporenklingeln unterbrochen wird.

„Buenos días, Señores! Warum so...? Ah! Oh!“ Der Sporenträger hat den am Boden liegenden Indianer entdeckt. „Kleiner Zwischenfall! Na ja!“ Trotz der auch ihn bedrohenden Waffe kommt er näher.

Johnson beobachtet ihn. Der Mann ist kostbar gekleidet. Die schwere Silberkordel mit den großen Troddeln am Sombrero dürfte ihre gute Handvoll Dollar wert sein. Der goldene Ring im linken Ohr, die Silberschnüre am Wams, die dicken Goldknöpfe daran, dazu die mit goldenen Borten, Schnüren und Knöpfen verzierte Hose und die riesigen aus Edelmetall gefertigten Sporen mit den handtellergroßen Rädern an den Stiefeln – der Mann trägt ein kleines Vermögen spazieren, falls der Schmuck echt ist. Ist er es, dann dürfte er eine einflussreiche Person sein, stellt der abschätzende Amerikaner fest.

Ponte hat durch das Auftauchen des Fremden seinen Schock und seine Angst überwunden. „Heilige Jungfrau Maria! Und das in meinem Haus! Ich bin ruiniert!“, jammert er, kommt hinter der Theke hervor und beugt sich über den Häuptling, der nicht blutet, aber auch kein Lebenszeichen von sich gibt. Die Flasche ist zerbrochen.

„Schöner Schlag, nicht wahr?“, meint Johnson, ohne den Blick von den Mexikanern und dem Ankömmling zu lassen.

„Zu schön! Viel zu schön, Señor!“, entgegnet der Händler. „Ka-tscho ist – tot!“

„Tot? Unsinn! Bewusstlos, mehr nicht. Die Indios bravos sind zäh wie die Katzen.“

„Erlaubt Ihr, Señor?“ Der Unbekannte tippt mit der Reitpeitsche Ponte an, dass er den Oberkörper etwas zur Seite neigen soll, um den Liegenden betrachten zu können. Er tut es dann auch eine ganze Weile, bis er schließlich unberührt feststellt: „Ja, tot.“

Plötzlich ein greller, misstönender Laut.

Und ein Schuss.

Und Schreie, Tumult.

Luciano Rodil war bei der neuerlichen Feststellung, dass der Häuptling tot ist, vor Schreck zusammengefahren, die Gitarre war ihm aus der Hand gerutscht und hatte beim Aufschlagen auf den Steinboden eben diesen grellen und misstönenden Laut verursacht. Der wiederum erschreckte Johnson maßlos, sodass sich sein Finger am Abzug der Waffe krümmte und den Schuss auslöste. Unheil hat er nicht angerichtet.

Schreie, Tumult! Was da geschrien wird, versteht der Amerikaner nicht. Den Tumult dagegen nimmt er wahr. Er sieht, dass der Gitarrenspieler und seine Freunde davonstürzen, doch aufhalten kann er sie nicht, obwohl er noch Kugeln in seiner Pistole hat, denn eine andere mit Silber und Perlmutt verzierte ist auf ihn gerichtet – die des Fremden.

„Hell and damnation!“, flucht er. „Tot! Hab’s nicht gewollt! Die Rothaut wollte mir ans Leben. Musste mich wehren. So liegen die Dinge. Tut mir leid, aber geschehen ist geschehen. Eine Rothaut weniger! Wer fragt schon danach! Ihr etwa, Señor?“

Der Unbekannte geht auf die Frage nicht ein. „Soso! Das ist ja interessant, was Ihr da sagtet. Die – äh – Rothaut wollte Euch ans Leben. Ihr musstet Euch wehren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Warum aber mit der Flasche und nicht mit der Waffe?“

„Weil sie mir der Kerl aus der Hand geschlagen hatte.“

„Warum?“

„Das geht Euch einen Dreck an! Steckt Euer Schießeisen weg und verschwindet.“

„Tut’s nicht, Señor!“, mischt sich Oswaldo Ponte ein. „Bei allen Heiligen, bleibt! Haltet ihn mit Eurer Waffe in Schach, bis der Polizeichef mit seinen Männern kommt, um Hand auf ihn zu legen. Ihr habt gehört, was er sagte: ‚Eine Rothaut weniger! Wer fragt schon danach?‘ Wir in Janos tun es. Er muss vor Gericht gestellt werden.“

„Kennt Ihr ihn?“

„Nein. Ich habe ihn heute zum ersten Mal gesehen. Nur er hat angegeben, ein Amerikaner, ein Anglo, mit Namen James Johnson zu sein.“

„Der bin ich auch!“, bestätigt Johnson.

„Ein Anglo! Die Sache wird ja von Minute zu Minute immer spannender und interessanter. Dass Sie keiner unsrer Landsleute sind, habe ich vermutet. Obwohl Sie unsere Sprache fließend sprechen, Señor Johnson, haben Sie Worte wie ‚Rothaut‘ und ‚Schießeisen‘ gebraucht, die mir aufgefallen sind.“

„Wer sind Sie denn?“

„Ich bin Luiz Esteban, Herr der Hazienda de los Toros und Mitglied der Junta von Chihuahua.“

„Haziendero? Oho! Und Mitglied der Junta von Chihuahua. Haziendero! Dann verstehe ich eigentlich nicht, dass Sie wegen eines toten Indio bravo...“

„...mithelfen, dass Sie festgenommen werden. Wollten Sie das sagen? Wenn ja, dann haben Sie übersehen, mein Lieber, dass Janos zur Provinz Chihuahua gehört. Weg mit der Waffe! Die verschlechtert nur Ihre fatale Lage.“

Dazu ist Johnson nicht bereit. „Wo ist Wiesel, der Mimbreñojunge?“

„Fort, wie die anderen. Zu seinen vor der Stadt lagernden Leuten, die er über den Tod des Häuptlings unterrichten wird.“

„Wie viele?“

„Keine Ahnung! Ich weiß nur, dass den Indios bravos so leicht keiner entgeht.“

„Hab’ schon mit ihnen zu tun gehabt, doch mein Skalp sitzt noch immer dort, wo er von Natur aus hingehört.“

„Jetzt aber bekommen Sie’s mit dem Alkalden von Janos zu tun.“

„Na und?“

„Sie haben einen Mimbreñohäuptling ermordet!“

„Quatsch! Es war kein Mord, sondern Totschlag aus Notwehr!“

„Das zu beweisen wird Ihnen schwerfallen, denn der Tote war ein wichtiger Mann bei den Mimbreños.“

„Heißt das, dass ein Urteilsspruch bereits feststeht, ohne dass ein Prozess stattgefunden hat?“

Luiz Esteban geht nicht auf die Frage ein. „Sie sollten sich bemühen, Don James, mit Oswaldo Ponte ins Reine zu kommen, damit der Friedensrichter Sie nicht auch noch, neben Mord, der Zechprellerei anklagen muss.“

„Der kann mir gestohlen bleiben. Mit dem werden wir spielend fertig.“ Johnson zieht ein Ledersäckchen heraus, schnürt es auf und schüttelt einige Goldbröckchen heraus.

„Oh! Ungemünztes Gold, Señor Johnson! Haben Sie eine Bonanza entdeckt?“

„Wollt Ihr nicht auch noch wissen, woher das Gold stammt, he? Wiegt’s ab! Und beeilt Euch, damit Ihr nicht noch das Nachsehen habt!“

„Recht so, Don James! Alles muss seine Richtigkeit haben. – Im Übrigen: Ganz ohne Einfluss bin ich in der Junta von Chihuahua nicht. Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann!“

„Vielen Dank! Ah, ja! Ich habe eine Frage: Kann ein kleiner Friedensrichter wie der von Janos einen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika vor Gericht stellen?“

„Tut mir leid, damit bin ich überfragt“, gesteht Esteban. „Aber eine bedeutsame Frage, die Sie da gestellt haben, Señor Johnson. Ich werde mich danach bei meinen Kollegen in der Junta erkundigen und Ihnen Bescheid zukommen lassen, wenn es Capitán Vargas gestattet.“

Luiz Esteban lächelt den Hauptmann an, der mit drei seiner Männer zur Verhaftung Johnsons erschienen ist.

„So es der Herr Bürgermeister und Friedensrichter erlaubt, gerne!“

James Johnson wird gefesselt abgeführt.

*

„Don Pascale!“

„Hinaus!“

„Aber Don Pascale...!“

„Hinaus, sage ich! Und wage es nicht noch mal, meine Siesta zu stören!“ Pascale Mosquera, Bürgermeister und Alkalde von Janos, lässt seinem Befehl einige kräftige Flüche folgen. Sich den Wollkopf kratzend, schleicht der schwarze Handlanger Lazaro davon.

Der Herr Bürgermeister räkelt sich in seiner bunten, reich mit Fransen verzierten Hängematte zurecht, schließt die Augen und schläft auch schon wieder, noch ehe sein schwankendes Lager ausgependelt hat. Aber das Schicksal hat es heute, am 30. April des Jahres 1837, auf seine Mittagsruhe abgesehen.

„Don Pascale!“

„Raus! Raus! Oder...“, schäumt der gestörte Schläfer von Neuem.

„Was – oder, Señor Mosquera?“

Diese Stimme! Sie gehört doch nicht Lazaro! Mosquera blinzelt, richtet sich ruckartig auf.

„Oh, Sie sind es, Don Francisco! Ich bitte tausendmal um Verzeihung, dachte, Lazaro habe es wiederum gewagt, meine Siesta zu stören.“ Er gleitet aus der Hängematte und dienert den Besucher zu einem Stuhl.

„Nehmen Sie Platz, Verehrtester! Darf ich fragen, was Sie zu so ungewöhnlicher Stunde zu mir führt?“ Erfreut ist er ganz und gar nicht über den Besuch. Er befürchtet, da in Mexiko die Mittagsstunden dem Ausruhen vorbehalten sind, dass Don Francisco in einer dringenden Angelegenheit gekommen ist, die möglicherweise viel Arbeit, wenn nicht sogar Ärger im Gefolge haben kann. Aber hinausweisen kann er ihn nicht, denn es ist Francisco Manuel Elguea, der Besitzer der Kupferminen von Santa Rita und anderer Erzgruben, dem er den Posten des Bürgermeisters und das Amt des Alkalden, des Friedensrichters und Gerichtsherrn von Janos, verdankt.

„Sie haben geschlafen und sind nun verärgert, dass ich Ihre Siesta gestört habe, demnach wissen Sie nicht, was sich bei dem Kaufmann Oswaldo Ponte ereignet hat.“

„Nein. Was denn?“

„Ka-tscho, der Große Hase, ist erschlagen worden.“

Mosquera erschrickt. „Der große Hase – er–erschla–gen?“, stammelt er. „Mein Gott! Mein Gott! Das kann nicht sein! Das darf nicht sein, dass der Leiter der Transportsicherung erschlagen wurde. Man hat sich einen schlechten Scherz mit Ihnen erlaubt, Don Francisco!“

„Ich habe den Toten gesehen.“

„Wer hat ihn...?“

„Ein Fremder. Er ist gefangen genommen und ins Gefängnis gebracht worden.“

„Sehr gut! Ausgezeichnet! Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass es niemand aus Janos war.“ Der Bürgermeister wischt sich Angstschweiß von der Stirn und aus dem Nacken. „Ein Fremder also. Dann kann die Sache ohne böse Folgen für die Stadt leicht aus der Welt geschafft werden. Der Kerl wird zum Tode verurteilt und aufgehängt. – Wissen Sie Einzelheiten über den Hergang des Verbrechens?“

„Ka-tscho ist mit einer Flasche umgebracht worden. Das klingt unglaubhaft, doch es stimmt. Ihr Polizeichef hat übrigens sofort die Tatzeugen zu sich gerufen, um von ihnen genau zu erfahren, wie es zum Tod des Häuptlings gekommen ist. Seinen Bericht wird er Ihnen später zugehen lassen. Ja und ich, ich habe Ihren Lazaro wieder losgeschickt mit dem Auftrag, die Stimmung in der Stadt zu erkunden.“

„Danke, Don Francisco, danke! Ich bin sicher, dass alle in der Stadt das Verbrechen verurteilen.“

„Ich auch“, bestätigt Elguea. „Wie Sie schon sagten, muss der Gefangene vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt werden, nur es gibt da ein gewisses Hindernis, von dem ich nicht weiß, ob es aus dem Weg geräumt werden kann.“

„Welches Hindernis?“

„Es soll sich bei dem Mörder Ka-tschos um einen Amerikaner, also einen Ausländer, handeln.“

Mosquera verfärbt sich, schnappt nach Luft. Seine Augen wandern unstet umher. Erneut bilden sich Angstschweißperlen auf seiner Stirn. „Teufel! Teufel!“, ächzt er. „Ein Anglo! Welch ein Unglückstag!“

„Dem andere folgen werden! Santa Rita del Cobre steht auf dem Spiel, und auch für Janos wird es unabsehbare Folgen haben, wenn das Racheverlangen der Mimbreños nicht befriedigt wird. Bei Ihnen liegt es, Don Pascale, Unheil abzuwenden. Sie sind der Alkalde, der gegen den Mörder des Großen Hasen vorgehen muss. Oder wollen Sie kneifen?“

„Ich weiß! Alles weiß ich! Welch ein Unglückstag!“, wiederholt der Bürgermeister jammernd. „Niemals darf geschehen, was Sie andeuteten, Don Francisco, aber Sie wissen selber, dass...“

„Still jetzt!“, fällt ihm Elguea ins Wort. „Sie bekommen Besuch!“

Da steht der Besucher auch schon im Rahmen der offenstehenden Tür.

„Buenos días! Störe ich, Señores?“

„Aber nein, Don Luiz!“, versichert Elguea. „Eigentlich kommen Sie...“ Er winkt ab und stellt erst einmal vor: „Señor Luiz Esteban, Mitglied der Junta von Chihuahua und Herr der Hazienda de los Toros – Señor Pascale Mosquera, Bürgermeister und Friedensrichter von Janos.“

„Welche Ehre! Ein weiteres Mitglied der Junta kommt zu mir!“ Mosquera geht seinem hohen Besucher entgegen. „Bitte treten Sie ein, Don Luiz!“ Er fordert ihn zum Platznehmen auf, zeigt dabei auf den Sessel an seinem Arbeitstisch, aus dem er sich bei der Vorstellung erhoben hatte. „Was führt Sie zu mir? Was immer es sein mag, ich stehe zur Ihrer Verfügung.“

„Danke, Don Pascale!“ Esteban nimmt Platz.

„Ja, Sie kommen wie gerufen, Don Luiz“, wendet sich Elguea ihm wieder zu, „da Sie, wie ich hörte, den Zwischenfall beim Kaufmann Ponte miterlebt haben. Wie kam es dazu?“

Der Haziendero hebt bedauernd die Hände. „Als ich bei Ponte eintrat, lag der Mimbreñohäuptling bereits am Boden, tot. Er war mit einer Flasche von dem amerikanischen Goldsucher James Johnson erschlagen worden.“

„Wie der Große Hase ums Leben gekommen ist, ist mir bekannt“, erklärt Mosquera, „nicht aber, dass ihn ein amerikanischer Goldsucher namens James Johnson erschlagen hat. Was hatte Sie veranlasst, zu Ponte zu gehen, Don Luiz?“

„Das Pferd, das vor dem Laden stand. Es war amerikanisch aufgezäumt und ich sah in dem liederlich verschnürten Gepäck Goldsucherwerkzeug.“

„Oho! Goldsucherwerkzeug!“, tut Elguea erstaunt, der mehr weiß, als er Mosquera berichtet hat. „Schon deswegen hätte ich mir den Besitzer des Pferdes auch angesehen.“

„Daran zweifle ich nicht, mein Lieber!“ Esteban lächelt.

„Schade, dass Sie zu spät gekommen sind und so den Grund nicht kennen, der zum Tode des Häuptlings geführt hat“, bedauert der Bürgermeister und Friedensrichter. „Bleiben Sie lange hier, Don Luiz?“

„Das weiß ich noch nicht. Es hängt ganz davon ab, wann mein Hausmeister und Buchhalter mit den Erbschaftsregelungen seiner verstorbenen Schwester, Señora Eulalia Ramirez, die gestern zu Grabe getragen wurde, fertig wird. Sie fragten, was mich zu Ihnen geführt habe. Ich wollte Sie darüber unterrichten, was bei dem Kaufmann Ponte geschehen war, doch das haben Sie, eher als von mir, von Don Francisco erfahren. Vielleicht auch, dass ich zu den Personen gehöre, die sich bis zur Gefangennahme Johnsons im Laden befanden. Weder Sie amigo mío“, er blickt zu Elguea, „noch Sie, Señor Alkalde, noch Ihr Polizeichef aber wissen, was sich zugetragen hat.“

„Oh! Was denn? Was meinen Sie mit ‚zugetragen‘? Sie haben unsere Neugierde geweckt, bitte stillen Sie sie, indem Sie berichten, Don Luiz!“

Der Haziendero tut es. Nach der geglückten Flucht des Gitarrenspielers Rodil und seiner Freunde hatten sich nur noch drei Personen – den toten Mimbreño nicht mitgezählt – bei Ponte befunden: der Kaufmann selbst, James Johnson und er. Da der Mimbreñojunge Wiesel entschlüpft war, stand fest, dass der Mörder des Großen Hasen verloren war.

„Ich sagte Johnson, dass der tote Häuptling einen großen Wagenzug von Santa Rita nach Janos geleitet habe und dass für ihn keine Aussicht bestehe, den Indios bravos zu entgehen – ihnen so wenig wie einer Gefangennahme hier in Janos mit anschließender Mordanklage. Zu den Mimbreños meinte Johnson, dass er schon mit ihnen zusammengestoßen sei, sein Skalp aber noch immer dort sitze, wo er von Natur aus hingehöre. Im Übrigen fürchte er auch den kleinen Friedensrichter von Janos nicht. Mit dem werde er spielend fertig, dazu brauche er keine Hilfe von seinen Landsleuten. Der könne Strauchdiebe, Gauner und andere verurteilen, einen Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika aber nicht. Er habe keinen Mord begangen, sich nur gegen die Rothaut zur Wehr setzen müssen, die nichts Gutes im Sinn gehabt habe. Dass der Schlag mit der Flasche den Tod des Indio bravo zur Folge hatte, war nicht vorauszusehen und auch nicht beabsichtigt. Sollte gegen ihn, James Johnson, mit schwerem Geschütz vorgegangen werden, dann werde er mit schwerem Geschütz antworten. In diesem Fall beabsichtige er, den Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in Ciudad México[2] zu bitten, sich für ihn einzusetzen, was unter Umständen zu einer Verschlechterung der beiderseitigen Beziehungen führen könne. Keine schönen Worte, die da über Sie, verehrter Don Pascale gefallen sind. Aber dieser James Johnson hat es, so mein Eindruck, faustdick hinter den Ohren. Wir hatten uns gegenseitig mit den Pistolen bedroht. Plötzlich legte Johnson seine Waffe aus der Hand und zog einen kleinen Lederbeutel aus seinem verdreckten Wams, schnürte ihn auf, schüttelte ein paar Goldbrocken in seine Hand und rief: ‚Ich möchte zahlen, Ponte!‘ ‚Sofort Señor, sofort! Immer zu Ihren Diensten! Ich hole nur meine Goldwaage. Einen kleinen Augenblick Geduld! Bin gleich wieder da.‘ Johnson grinste. ‚Ein Schlappschwanz, dieser Ponte! Vorhin scharwenzelte er um Ka-tscho herum, jetzt um mich. – Eins tue ich dem Herrn Friedensrichter nicht zuliebe: mich von ihm auch noch der Zechprellerei beschuldigen zu lassen.‘ Wenig später erschien Capitán Vargas, der Polizeigewaltige von Janos, in Begleitung von drei seiner Männer, um James Johnson gefesselt ins Calabozo[3] zu bringen.“

„Muchas gracias! Ich bin Ihnen sehr verbunden, dass Sie gekommen sind, Don Luiz, und uns berichtet haben, was sich bei Ponte noch ereignete. Bitte wiederholen Sie es gegenüber meinem Polizeichef Capitán Vargas.“

„Das tue ich gern!“, versichert der Haziendero.

„Ein harter Brocken, dieser James Johnson! – Auch ich danke Ihnen, Don Luiz, für Ihr Kommen.“ Elguea erhebt sich von seinem wackligen Stuhl. „Darf ich Sie hinausbegleiten?“

„Bemühen Sie sich nicht, amigo mío! Habe ich hereingefunden, finde ich auch wieder hinaus.“

„Verzeihung, Don Francisco, der ehrenwerte Herr Junta-Abgeordnete ist zu mir, dem Bürgermeister und Alkalden von Janos, gekommen, so kommt es mir zu, ihn die paar Schritte bis zur Straße zu bringen.“

„Sie haben Recht, Don Pascale! Dann also: Hasta la vista, Don Luiz!“

Elguea blickt den beiden Männern über den blumengeschmückten Innenhof nach. Der ist wirklich nur ein paar Schritte lang und so sieht er nach wenigen Augenblicken Mosquera wiederkommen. Mehr als einige nichtssagende Floskeln dürften die Männer nicht gewechselt haben.

Mosquera bleibt vor einem der Blumenbeete stehen, nickt vor sich hin, streicht sich über die Stirn und den Kopf, kratzt sich den Bart. Er denkt über das Gehörte nach. Stutzig und hellhörig wurde er bereits, als Francisco Manuel Elguea den unbekannten Besucher als Mitglied der Junta und Herrn der Hazienda de los Toros vorstellte. Von Elguea weiß er, dass die Hazienderos seit Langem versuchen, in der Junta von Chihuahua die Oberhand zu bekommen, um einen Freibrief zur Ausrottung der Indios bravos zu erlangen, die ihre riesigen Herden plündern. Gelungen ist es ihnen bis zur Stunde nicht, aber aufgeben werden sie ebenfalls nicht, obwohl es sich bei den Viehdiebstählen nur um Nadelstiche handelt, die ihnen nicht weh tun. Trotzdem wollen sie gegen die Indios vorgehen! Sie leben im Überfluss, können sich jeden Luxus leisten, einfach alles, was sie sich wünschen, wogegen die Mimbreños und andere indianische Stämme, die keine Viehzüchter, sondern Jäger, keine Bauern, sondern Sammler sind, auf die Kühe, Kälber und Stiere angewiesen sind, die sie unter Lebensgefahr erbeuten. Andererseits besteht bei ihren Überfällen höchste Gefahr für die die Herden schützenden Peons[4] der Hazienderos, die aber sind hauptsächlich Mestizen, also Mischlinge aus Weißen und Indianern.

Ob Luiz Esteban zu den Scharfmachern der Hazienderos gehört, vielleicht sogar ihr Anführer ist? Er wird Elguea fragen. Vieles, was der Besucher berichtet hat, ist überprüfbar, da Oswaldo Ponte dabei war, ausgenommen die kurze Zeit, da er seine Goldwaage holte. Das aber geschah erst am Ende von Estebans Bericht. Ausfällig gegen den Alkalden ist der Mörder des Großen Hasen jedoch viel früher aufgetreten, was Ponte bestätigen wird – falls auch nur ein Funke Wahrheit in Estebans Bericht ist.

Mosquera verzieht spöttisch den Mund, aber das bekommt Elguea nicht mit. Er glaubt nicht daran, dass der als so klug und überlegen vorgeführte Amerikaner seine Trumpfkarten schon vor Prozessbeginn auf den Tisch gelegt hat. Was er gesagt haben soll, stammt weitgehend von Esteban!

‚Dass ich als Alkalde nicht zuständig sei... Dass Gefahr von Seiten der Landsleute Johnsons drohe... Dass sich die Beziehungen zwischen der Republik Mexiko und den Vereinigten Staaten von Amerika verschlechtern werden... Unsinn, Señor Haziendero! Sie wollen Verwirrung stiften! Viel Vergnügen!‘

*

„Ah, da sind Sie ja wieder, Don Pascale! Ihre Blumen scheinen Sie mehr zu interessieren als Ihr Amt als Friedensrichter.“

„Sie irren! Ja, Sie irren; ich habe mir durch den Kopf gehen lassen, was Ihr Juntafreund mitgeteilt hat. Eine Frage in diesem Zusammenhang, Don Francisco: Gehört Luiz Esteban zu den Scharfmachern in Chihuahua?“

„Ich vermute sogar, dass er ihr Anführer ist. Lassen Sie sich um Gottes willen nicht von ihm einschüchtern. Er ist einer der hitzköpfigsten unter den Viehzüchtern. Er will den Zwischenfall bei Ponte zu einer Machtprobe zwischen uns, den Minenbesitzern, und seinen Freunden machen.“

„Was soll ich tun, Don Francisco?“

„Bei der ersten Entscheidung bleiben!“

„Aber Sie sagten doch selber, dass die Staatsbürgerschaft Johnsons...“

„Wenn jetzt nicht hart zugegriffen wird, sind die Apatschen dem Treiben der Viehbarone ausgeliefert. Ich brauche nicht zu wiederholen, was geschieht, wenn wir uns mit den Mimbreños verfeinden. Der erste Schlag würde sich gegen meine Arbeiter in Santa Rita del Cobre richten.“

„Sollte sich aber später herausstellen, dass hier überstürzt gehandelt wurde...“

„...kommt es meiner Minengesellschaft auf ein Reugeld nicht an“, unterbricht ihn Elguea.

„Mich aber würde es mein Amt kosten.“

„Damit haben Sie Recht. Man würde Sie zum Teufel jagen. Viele meiner Minenarbeiter stammen ja aus Janos, haben ihre Eltern und andere nahe Verwandte hier, also wird geschehen, was ich sagte.“

„Das wird nicht geschehen! – Ich habe mich vorhin im Hof eingehend mit Estebans Bericht beschäftigt. Halten Sie ihn für Lug und Trug?“

„Nein! Und Sie?“

„Ich auch nicht. Es sind da Dinge gesagt worden, die...“

„...handfeste Drohungen darstellen“, unterbricht Elguea den Bürgermeister ein weiteres Mal. „Zwar legt sie Luiz Esteban diesem James Johnson in den Mund, aber sie stammen von ihm selber.“

„Zum gleichen Schluss bin ich auch gekommen. Leider weiß ich noch nicht, wie es zur Ermordung des Großen Hasen gekommen ist. Er sei mit einer Flasche erschlagen worden. Bitte teilen Sie mir die Einzelheiten mit.“

Francisco Manuel Elguea, Besitzer der Kupferminen von Santa Rita del Cobre mitten im Jagdgebiet der Mimbreño-Apatschen, wiederholt, was er von Rodil und den anderen vor Pontes Laden und Ausschank erfahren hat.

„Mit einer Flasche erschlagen! Mord mit einer Flasche! Das gefällt mir gar nicht. Vielleicht haben die Burschen irgendetwas bemerkt, das eine Mordanklage rechtfertigen würde“, meint Mosquera.

„Auch ich hatte Zweifel und habe mir die Leiche genau angesehen. Ein Kerl wie Ka-tscho stirbt normalerweise nicht an einem solchen Hieb, doch Johnson, dieser Unglücksrabe, hat die einzig gefährliche Stelle des Häuptlings getroffen: eine alte Verwundung.“

„Ein dummer Zufall.“

„Ob Zufall oder nicht, wir haben uns daran zu halten, dass der Mimbreño tot ist.“

„Das wird auch geschehen. Es war, falls sich in den Verhören bestätigt, dass Johnson der – hm – Rothaut nicht ans Leben wollte, sondern bemüht war, sie von sich abzuhalten, nur Totschlag, kein Mord“, erklärt Mosquera.

„Nachdem Johnson den Häuptling des Mordversuchs bezichtigt hatte?“, hält Elguea dem entgegen.

„Ja, auch dann, denn eine Flasche ist üblicherweise keine Mordwaffe. Anders lägen die Dinge, wenn der Amerikaner geschossen hätte, doch dazu war er nicht in der Lage, abgesehen davon, dass ihm Mord nicht nachgewiesen werden kann. Dieses in Wut und Zorn ausgestoßene ‚Mordversuch!‘ besagt gar nichts gegenüber Johnsons ‚Ich hab’s nicht gewollt!‘“

„Denken Sie daran zu kneifen, Mosquera?“

„Keineswegs, Don Francisco! Ich werde James Johnson anklagen, den Mimbreñohäuptling Ka-tscho getötet zu haben. Einverstanden?“

Elguea lässt die Frage unbeantwortet. Er beugt sich vor und stützt den Kopf auf die geballten Hände. Mosquera beobachtet ihn. Er schließt aus den zusammengepressten Lippen seines Gönners, den mehr und mehr hervortretenden Backenmuskeln, den Falten in der Stirn, dass dieser angestrengt nachdenkt.

„Mord oder Totschlag mit tödlichen Folgen – was soll’s? Damit werden wir Esteban nicht los. Wenn man dessen Eintreten für Johnson bedenkt, könnte der Schluss naheliegen, dass die Ermordung Ka-tschos ein abgekartetes Spiel war. Die Hazienderos hätten dann einen Zwischenfall in die Wege geleitet, der die guten Beziehungen zwischen uns und den Apatschen einer unerträglichen Belastungsprobe aussetzt.“

„Válgame Dios!“, wehrt der Alkalde schreiend ab. „Ihre Annahme entbehrt jeder Wahrscheinlichkeit. Man hätte dafür keinen Amerikaner gedungen, sondern irgendeinen unserer Desperados, den man nach getaner Arbeit fallen lässt.“

„Eben dass man es nicht getan hat, erschreckt mich und gibt den Andeutungen Don Luiz’ so großes Gewicht. Je mehr ich mich mit der Geschichte beschäftige, um so hintergründiger erscheint mir alles plötzlich. Praktisch können Sie, nun da Esteban aufgetreten ist, nicht gegen einen Ausländer vorgehen; ein Prozess dürfte nur in Chihuahua, wenn nicht gar in Ciudad México stattfinden, also weitab vom Schauplatz des Geschehens, weitab auch von den Mimbreños, die sofort vermuten würden, dass sie betrogen werden sollen.“ Jetzt verliert auch Elguea die Nerven und schimpft und flucht und stöhnt. „Zum Teufel, man hat uns jeder Möglichkeit beraubt, die Sache, ohne Aufsehen zu erregen, aus der Welt zu schaffen.“

„Was halten Sie davon, Don Francisco, wenn der Gefangene entwischte? Mögen die Indios zusehen, wie sie den Tod ihres Häuptlings rächen.“ Der Herr Bürgermeister lehnt sich im Stuhl zurück und faltet die Hände über dem Bauch. Er ist sehr, sehr mit sich zufrieden. Doch nur für wenige Augenblicke fühlt er sich aller Last und Sorge enthoben.

„Sind Sie wahnsinnig und lebensmüde, Mosquera?“, herrscht ihn Elguea an. „Mit dieser Lösung wird nichts gewonnen, im Gegenteil, die Gefahr für Janos und Santa Rita del Cobre ins Unermessliche gesteigert. Die Apatschen werden Gift und Galle spucken, wenn der Mörder eines ihrer Führer so nachlässig bewacht wurde, dass er fliehen konnte. Wollen Sie unbedingt zur Zielscheibe der Mimbreños werden?“

„Selbstverständlich nicht! Doch wohin ich auch greife, überall züngelt die Giftnatter Esteban gegen mich.“

„Gegen Sie, den Alkalden von Janos, und gegen die räuberischen Indios bravos, also die in der Provinz Chihuahua lebenden Apatschen. Aber im Grunde geht es um einen Machtkampf zwischen den Hazienderos und den Minenbesitzern. Morgen oder in den nächsten Tagen reite ich in die Provinzhauptstadt und spreche mit Seiner Exzellenz Gouverneur Cerdar, mit dem ich freundschaftlich verbunden bin. Ich werde ihn bitten, falls die Viehzüchter den Punkt ‚Ausrottung der Indios bravos‘ in der Junta-Sitzung erneut auf die Tagesordnung setzen, einen Vorschlag zu machen: Die ehrenwerten Señores Hazienderos sollten prüfen, ob sie am Ende nicht besser führen, wenn sie eine Anzahl Indios bravos als Hirten ihrer Herden einstellten und sie mit Tieren entlohnten. Zum einen wäre damit der Landesfrieden gesichert, zum anderen würde es keine Toten mehr unter den Peons geben. Sie, Don Pascale, bereiten inzwischen alles für den Prozess vor. Ich verlasse mich...“

„Ich bekomme Besuch!“, verkündet der Bürgermeister da laut: „Mangus Colorado[5]!“

„Den habe ich schon die ganze Zeit, seit ich bei Ihnen bin, erwartet. Sollte er die Auslieferung James Johnsons verlangen, dann ablehnen, ablehnen, ablehnen!“

„Ich soll...?“

„Führen Sie meine Anweisung wortgetreu aus!“, kann ihm Elguea gerade noch zuraunen, denn Mangus Colorado und der Junge Wiesel haben in diesem Augenblick die Amtsstube des Bürgermeisters und Alkalden betreten.

Mangus Colorado ist ein Riese von über sechs Fuß mit einem gewaltigen Kopf, einem Stiernacken, einem ungeheuren Brustkorb, klobigen Händen mit geierkrallenlangen Nägeln und muskelbepackten Armen, die es mit einem Puma oder Bären aufnehmen. Nur die Beine und Füße gleichen denen normaler Menschen. Er stellt unter den Apatschen eine Ausnahmeerscheinung dar. Die wimpernlosen und leicht schiefstehenden Augen in dem platten Gesicht blicken scharf, aber nicht unfreundlich. Bekleidet ist er mit reichverzierten Mokassins, einer zerlumpten Baumwollhose, die irgendein Minenarbeiter in einem Anflug von Großmütigkeit abgesetzt haben wird, und einem roten, vielfach geflickten Baumwollhemd. In dem lassoartigen Strick um die Hüften stecken Pistole und Messer. Dem Hemd verdankt der Mann seinen indianischen Namen: Rote Ärmel. Die Mexikaner haben daraus in wörtlicher, aber fehlerhafter Übersetzung Mangus Colorado gemacht; sie wissen es, doch ihre Bequemlichkeit hält sie davon ab, richtig Mangas Coloradas zu sagen. Die englischsprachige Bevölkerung der Region wiederum kennt ihn als Red Sleeves. Wenn dieser einst gefürchtete, jetzt friedfertige Mimbreñohäuptling Botschaften ausfertigt, dann setzt er als Unterschrift das Zeichen eines Hemdes darunter. Dieses Bekleidungsstück ist sein Totem, sein Wappen, obwohl üblicherweise das Totemzeichen aus einer Tierfigur besteht. Aber Mangus Colorado ist nicht kleinlich und die Mimbreños sehen ihm Absonderlichkeiten gerne nach. Im Haar, das er zu vier Schwänzen zusammengedreht hat, die ihm wie die Zipfel einer Narrenkappe vom Kopf abstehen, steckt eine schwarze Feder, wie sie einem Unterhäuptling zukommt. Als Schmuck trägt er unter der Tabakspfeife und dem Beutel eine doppelreihige Kette aus Tierzähnen, Stücken von Klapperschlangenhaut, Muscheln, Türkisen und aus einer großen, dreifach durchlochten Goldmedaille. Andere Waffen als die Pistole und das Messer hat er nicht bei sich. Er kommt demnach als Unterhändler.

Entgegen indianischer Gepflogenheit beginnt der Riese sofort zu sprechen: „Rote Ärmel bittet seine weißen Freunde, ihm den Mörder seines Bruders Ka-tscho auszuliefern.“

„Wir bedauern den Vorfall von ganzem Herzen, aber nimm erst einmal Platz, Mangus Colorado!“ Der Alkalde bemüht sich übertrieben um den Apatschen und dessen kleinen Begleiter. Er schiebt Matten zurecht, legt Tabak griffbereit auf den Boden, alles um Zeit zu gewinnen, denn er muss über die Forderung nachdenken. Kann man Johnson, obwohl Elguea nichts davon wissen will, doch ausliefern? Es wäre die einfachste Lösung der von Minute zu Minute verworrener werdenden Geschichte. Sollen sich die Indios mit dem Mann herumärgern! Aber das wäre nur Wasser auf die Mühle der Hazienderos, die dadurch einen weiteren Grund bekämen, gegen die Apatschen zu hetzen. Wo immer man hingreift, stößt man auf unabsehbare Schwierigkeiten. Ein Teufelskreis! Und dieser plumpe Riese da kann nicht übertölpelt werden. Er nicht! Elguea soll seinen Witz an ihm versuchen, da er Johnson nicht preisgeben will. Schließlich geht es um sein Santa Rita. Aber Mosquera muss ein paar verbindliche Worte sagen, das Schweigen wird bereits peinlich.

„Soeben habe ich von Don Francisco, dem großen Freund deiner Brüder, gehört, was sich ereignet hat. Wir sind ehrlich betrübt über die Folgen des Zusammenstoßes und natürlich bereit, euch zu beweisen, wie sehr wir die Tat verabscheuen.“

Mosquera kann unbedenklich so geschwollen reden, denn der Unterhändler beherrscht die spanische Sprache vollkommen, wenn er sie auch ab und zu indianisch ausschmückt, also kaum einmal einen Satz mit ‚Ich‘ beginnt, sondern dafür seinen Namen einsetzt oder ‚Bruder‘ sagt, ohne dass der so Bezeichnete sein leiblicher Bruder ist.

„Rote Ärmel dankt dir, dass du ihm den Mörder Ka-tschos auslieferst.“ Er erhebt sich und gibt auch Wiesel ein Zeichen, dass der Zweck des Besuchs erreicht wurde.

„Das – das...“, druckst der Hausherr verlegen und blickt Elgueas hilfesuchend an. Vergeblich. „Du musst verstehen, es gibt da ein gewisses Hindernis, das mir die Hände bindet. Der Mörder ist Amerikaner, ist Anglo, wie ihr sagt. Das stimmt doch, Don Francisco?“

„Es wird manches geredet“, brummt der, verärgert darüber, dass der Alkalde die Staatsbürgerschaft Johnsons erwähnt, die er anzweifeln will, und versinkt wieder in Schweigen. Er sieht im Augenblick noch keinen Weg, wie Mangus Colorado abgeschüttelt werden kann – ebenso wenig Mosquera, so sehr er auch seinen Geist anspornt.

„Der Weißauge[6] hat den Großen Hasen ermordet. Er ist der Rache der Mimbreños verfallen.“

Die beiden Mexikaner nehmen die Feststellung für das, was sie ist: eine Drohung. Ohne sie ausgesprochen zu haben, darf der Häuptling den Raum nicht verlassen. Während Elguea krampfhaft überlegt, nötigt Mosquera den unbequemen Besucher wieder zum Platznehmen.

„Der Mann wird bestraft werden, mein roter Freund“, versichert dann auch der Minenherr. Er hat inzwischen die gleichen Überlegungen wie der Bürgermeister angestellt, nur ein wenig gründlicher. Keinesfalls darf ein Weißer den Indios überantwortet werden. Das hieße, den Roten Gerichtsbarkeit über einen Weißen einzuräumen und die eigene Position in der Provinzjunta gänzlich untergraben. Die Hazienderos würden sich ins Fäustchen lachen über so viel Kurzsichtigkeit der Minenherren. Gerade weil Mangus Colorado als klug und weitsichtig bekannt ist, muss es möglich sein, ihm Johnson durch Winkelzüge, die er nicht durchschauen kann, zu entreißen. Elguea findet plötzlich Gefallen an der Sache. Sie reizt ihn wie den Sportler, der gegen einen anerkannten Favoriten antritt und alles daransetzen will, ihn auf den zweiten Platz zu verweisen. Das höchste Ziel wäre, Johnson nicht auszuliefern und es auch nicht zu einer Verhandlung und Bestrafung kommen zu lassen. Natürlich verhehlt er sich nicht die Schwierigkeiten, die sich diesem Wunschtraum in den Weg stellen werden, aber versuchen sollte man alles. Jedoch wie? Vorerst setzt er fort: „Lediglich wer die Strafe vollziehen soll, darüber müssen wir ernsthaft beraten. Don Pascale wird dir erklären, wie er als Alkalde von Janos den Fall behandeln muss. – Bitte, amigo mío!“

Mosquera unterdrückt ein ‚Schuft‘, das ihm auf der Zunge liegt. Aber es geht jetzt nicht darum, mit Elguea zu hadern, sondern dessen Warnung im Auge zu behalten. Man muss dem Indio mit für ihn unbekannten Gesetzesvorschriften beizukommen versuchen, vielleicht dass es dann möglich wird, die Forderung abzulehnen, überlegt er. „Der Tote gehört zu deinem Volk“, sagt er schließlich, „der Totschlag aber fand in Janos statt, in meinem Amtsbereich. Wir mischen uns niemals in eure Angelegenheiten, diesmal wird uns aber nichts anderes übrigbleiben. Was meinen Sie, Don Francisco?“

„Ich pflichte Ihnen bei, Don Pascale, und zweifle nicht, dass auch du, mein roter Freund, einsehen wirst, wie schwierig die ganze Angelegenheit ist.“

Mangus Colorado greift zum Tabak und trotz seiner Geierkrallen dreht er gleichsam im Handumdrehen ein Puro, eine Zigarre. Kein Mexikaner könnte im Purodrehen geschickter sein als er. Er macht sich anscheinend auf einen harten Kampf um Johnson gefasst. Der Bürgermeister gibt ihm Feuer. Und dabei kommt ihm ein Gedanke, für den er sich von dem Minenherrn gehörig belohnen lassen will.

„Du weißt sicherlich von deinen Stammesgenossen, den Mescaleros“, spricht er auf den Unterhändler ein, „dass die Anglos im Osten, in Texas, unruhige und gefährliche Menschen sind. Mit uns freilich werden sie nicht anzubinden wagen, aber mit euch, wenn ihr einen ihrer Landsleute so bestraft, wie er es verdient hat.“

„Die Krieger der Mimbreños fürchten die Pinda-Lick-o-yi nicht“, entgegnet Rote Ärmel stolz und ruhig.

Wieder eine Drohung! Mosquera nimmt die Worte so auf. Er weiß, dass jede Äußerung des Roten genau überlegt ist, dass der schwerlich Pinda-Lick-o-yi gebraucht hätte, wenn er nur die Amerikaner meinen wollte.

„Das ist bekannt. Du selber bist einer der größten Krieger der Mimbreños“, schmeichelt ihm Elguea. „Doch, Mangus Colorado, würde es klug sein, sich einer solchen Gefahr, in der wir euch leider nicht beistehen könnten, überhaupt auszusetzen?“

Der Häuptling denkt lange nach. Minuten verstreichen. Ein gutes Zeichen. Wenn auch die Mienen des Riesen undeutbar sind wie manche Figur in alten Tempeln, es arbeitet hinter der roten Stirn. Der Alkalde hat seine Sache ausgezeichnet gemacht, bei Gelegenheit werden seine Fähigkeiten auf einem anderen Posten ausgenutzt werden. Santa Rita del Cobre ist gerettet, es wird zu keiner Machtprobe zwischen den Minenbesitzern und den Hazienderos kommen, der Fall Johnson in der Versenkung verschwinden.

„Will der Herr der Männer von Santa Rita, dass Ka-tscho allein in die Ewigen Jagdgründe gehen soll?“, fragt Rote Ärmel leichthin.

Elguea erschrickt, seine Gedanken jagen sich: ‚Mangus Colorado hat das Spiel durchschaut, misstraut uns, nimmt an, dass wir ihn und seinen Stamm um den Kopf des Amerikaners betrügen wollen. Und er weiß, dass der Alkalde nur mein Handlanger ist. Ich und Santa Rita sind bedroht, wenn Johnson glimpflich davonkommt. Aber ich kann ihn nicht opfern, sitze zwischen zwei Feuern. Lehne ich die Auslieferung oder Bestrafung ab, dann überfallen die Mimbreños die Kupferminenstadt. Sage ich zu, dann bringen die Hazienderos ihren Plan der Ausrottung der Apatschen in Chihuahua durch. Der Gegenschlag der Apatschen würde sich da wieder zuerst gegen Santa Rita richten.‘

Rote Ärmel wartet geduldig auf eine Antwort.

„Das geschieht nicht, Mangus Colorado. Aber wie schon Don Pascale sagte, ist dieser James Johnson ein Ausländer und die ganze Angelegenheit muss mit größter Vorsicht behandelt werden. Vor uns steht die heikle Aufgabe, euch gerecht zu werden und gleichzeitig so zu entscheiden, dass euch keine Nachteile erwachsen. Eines Tages wird Don Pascale dem Großen Hasen einen Begleiter nachsenden.“

Der Blick des Jungen hängt wie gebannt am Gesicht Rote Ärmels, seines Vaters. Er fiebert auf die Antwort. Die Méxicanos wollen den Mörder nicht ausliefern. Wird sich der Häuptling mit dieser unbestimmten Zusage einverstanden erklären und die Rache der Mimbreños den Weißaugen überlassen?

Minuten verstreichen. Die Spannung knistert gleichsam im Raum. Sie wird von Sekunde zu Sekunde unerträglicher. Da erhebt sich der Indianer. Doch er spricht nicht, blickt nur über die Menschen hinweg. Mosquera gibt es auf, mit Mangus Colorado um James Johnson zu feilschen, denn etwas Besseres als den Hinweis auf die Amerikaner in Texas hat er nicht zu bieten. Da dieser Lockköder nicht angenommen wurde, besteht auch keine Hoffnung, den Roten durch andere Gründe abschütteln zu können. Mag Elguea nun versuchen, wie er seine Sache doch durchdrücken kann.

Der überlegt: ‚Soll ich noch weiter in Mangus Colorado dringen oder erst einmal seine Meinung anhören? Möglich, dass er mir Handhaben zuspielt, die ich dann gegen ihn gebrauchen kann.‘ Er wartet ab.

„Rote Ärmel hat Zeit. Er gibt den Mörder Ka-tschos in die Hände seiner weißen Freunde, denn er ist kein Narr, wegen eines Weißaugen seine Brüder in einen Krieg mit den Anglos zu verwickeln. Er wird den Alten und Weisen des Rates berichten, wie der Mörder Ka-tschos von eurer Hand starb. Ich habe gesprochen.“ Er dreht sich um und geht grußlos davon. Wiesel folgt ihm verwirrt.

„Dieser Teufel!“, zetert Francisco Manuel Elguea, als die beiden Indianer außer Sicht sind. „Unsere roten Freunde wollen, dass der Große Hase gerächt wird. Ihr Hinweis auf die Amerikaner in Texas hat gewirkt, Don Pascale. Zu gut! So gut, dass die Mimbreños nicht Hand an James Johnson legen, sondern alles uns überlassen. Wenn der Mörder Ka-tschos nicht stirbt, dann wehe uns!“

„Dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als... Aber weit werden wir nicht kommen, denn Johnson wird sich sofort nach Beginn des Prozesses an den Vertreter Nordamerikas in Ciudad México wenden, und dann...“

„Augenblick, Don Pascale. Von meinem Juntakollegen aus Chihuahua kam die Frage, ob wir überhaupt einen Prozess gegen einen Ausländer führen dürfen. Desgleichen von ihm, dass Johnson es faustdick hinter den Ohren habe. Der wird sich natürlich mit allen Kräften wehren, um nicht am Galgen zu enden, was ihm niemand verübeln kann. Für uns ist er augenblicklich Gold wert, weil wir durch ihn unseren roten Freunden zeigen, dass wir dem Großen Hasen einen Begleiter in die Ewigen Jagdgründe nachschicken wollen. Vorerst jedenfalls haben die Mimbreños keinen Grund, gegen Santa Rita del Cobre oder Janos vorzugehen. Sie als Alkalde von Janos führen natürlich den Prozess gegen James Johnson, aber übereilen Sie nichts. Lassen Sie auf jeden Fall verlauten, dass gegen den Mörder des Großen Hasen gerichtlich und öffentlich vorgegangen wird.“

„Ich werde Capitán Vargas anweisen, die Habe Johnsons peinlichst genau zu überprüfen und alles Schriftliche mir zu übergeben.“

„Sehr gut, Don Pascale! Ein ausgezeichneter Gedanke!“

2. Die Verhandlung

Auf der Plaza von Janos verhallen die letzten Hammerschläge. Ein Arbeiter erklimmt die Leiter und befestigt den Strick mit der Schlinge am Querbalken des Galgens. Er tut es mit sichtlicher Befriedigung. In wenigen Augenblicken wird sich die Nacht auf die Stadt legen und dann beginnt die Verhandlung gegen James Johnson, besser gegen den Banditen, der sich für einen Amerikaner ausgibt.

Es werden schon die auf hohen Sockeln stehenden Ölpfannen mit brennenden Fackeln angezündet. Flammen lodern auf, Rauchschwaden kräuseln empor. Der Küster von Santa Maria Dolorosa setzt zwei fünfarmige Leuchter mit dicken Kerzen auf die mit rotem Tuch bedeckte Tafel vor dem Kirchenportal, an die Kirchenmauer werden Laternen gehängt. Es ist für genug Licht gesorgt.

Die seit Stunden dicht gedrängt harrende Menge quittiert diese für eine Kriminalverhandlung ungewöhnlichen Vorbereitungen beifällig. Zu hohen kirchlichen Feiertagen, wie etwa zum Tag der Heiligen Jungfrau von Guadelupe, der Nationalheiligen Mexikos, wird auch kein größerer Aufwand betrieben.

Nur noch zehn Minuten bis acht. Mosqueras Diener Lazaro stößt eine Fackel in den Holzstoß vor dem Galgen. Prasselnd flammt das Feuer auf. Der Schwarze wird es während der ganzen Verhandlung unterhalten.

Francisco Manuel Elguea, der eben in die Plaza einbiegt, hat unangenehme Stunden hinter sich. Wieder und wieder durchdachte er den Fall Johnson nach allen Seiten. An sich wäre die dumme Geschichte ohne sichtlichen Aufwand unter der Hand zu erledigen gewesen, wenn sich nicht Don Luiz eingemischt hätte. Dass der und seine Freunde schlecht auf die Indios zu sprechen sind, ist nichts Neues. Ihre Klagen über Viehdiebstähle verstummen fast nie in der Provinzjunta, nur hat sich bisher keiner der großen Herren dazu verstiegen, wegen geraubter Tiere die anliegenden Apatschengruppen der Mimbreños und Chiricahuas ausrotten zu wollen. Warum gerade jetzt? Was ist der Hintergrund für ein solches Vorgehen, denn die Hazienderos müssen irgendwo einen Rückhalt haben? Elguea fand keine Antwort darauf. Freilich haben die Großgrundbesitzer in der Provinzregierung die Überzahl, doch die wirklichen Machtstellungen nehmen die Minenherren ein, die unmöglich so hohlköpfig sein können, sich den anderen zu beugen. Das Ganze erschien ihm als plumper Trick Estebans, als ein Schreckschuss, darauf angelegt, die Minenherren in der Provinzhauptstadt lächerlich zu machen. „Schade, amigo mío“, schmunzelte Elguea, „dass du dir dazu gerade mich ausgesucht hast, ich falle nämlich nicht auf deine Machenschaften herein. Ich bin verantwortlich für vierhundert Menschen droben in meiner Kupferminenstadt Santa Rita; ich stelle mich schützend vor sie, denn die Mimbreños lassen nicht mit sich spaßen. Sie fordern den Tod Johnsons und sollen nicht enttäuscht und verärgert werden. Was kümmert mich der Mann schon! Da ich vor seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft nicht zurückschrecke, sollt ihr daraus den Schluss ziehen, nichts Gutes von uns erwarten zu können, falls ihr euer Hirngespinst, die Ausrottung der Apatschen, weiter verfolgen wollt. Zugegeben, auch für uns sind die Indios Wilde, derer wir uns gern entledigen möchten, nur sind wir nicht dumm genug, darüber die Wirklichkeit zu vergessen. Wir brauchen Ruhe im Land, um unsere Erzlager ausbeuten zu können. Das ist es: Geschäftsinteresse, mein Lieber! Ihr steckt zuwenig Geld in eure Geschäfte; ihr lasst eure Herden nicht sorgfältig genug bewachen und beschützen und zetert dann über an sich lächerliche Verluste. Eure Schuld, nicht die unsrige. Wir sind zu sinnvollen Opfern bereit.“

Er war endlich eingeschlafen, als die Bewohner von Janos schon wieder an ihr Tagewerk gingen, hatte lange und tief geschlafen und ist nun, da er in die Plaza einbiegt, frisch und munter und guter Dinge.

„Alle Wetter!“, lacht er auf. „Don Pascale weiß, wie er die Mimbreños nehmen muss. Sogar etwas wie ein Ratsfeuer hat er hergerichtet. Ich wäre nicht auf diesen bestechenden Gedanken gekommen.“

„Don Francisco!“

„Sie, Don Luiz?“ Elguea kann die unangenehme Überraschung, den Haziendero auf sich zukommen zu sehen, nicht verbergen und es entschlüpft ihm die Frage: „Sie haben mir aufgelauert?“

„Oooh!“, lehnt Esteban entrüstet eine solche Unterstellung ab.

„Was wollen Sie eigentlich, Don Luiz?“

„Zuhören und zusehen. Tun wir es gemeinsam, amigo mío. – Ihr Freund Mosquera verdient alles Lob“, plaudert der Haziendero munter. „Diese Stimmung, die er geschaffen hat! Der Galgen mit dem Strick, das Feuer, die zuckenden Flammen, Rauchschwaden, Volk, Erwartung, Spannung – einfach meisterhaft. Ich finde, die Fähigkeiten Don Pascales sind verblüffend. Stellen wir uns da drüben an die Kirchenmauer, dem Schemel des Angeklagten gegenüber. Ich möchte ihn studieren. Kommen Sie, amigo mío, ich habe mir den Platz freihalten lassen und bin gern bereit, ihn mit Ihnen zu teilen.“

Elguea folgt ihm willenlos. Er hat die Freude an Mosqueras Theaterstreich verloren.

Noch fünf Minuten bis acht. Da marschiert vom Presidio eine Kompanie Soldaten heran. Zugleich öffnet sich die Tür des Gefängnisses. Der Polizeigewaltige von Janos geleitet den von zwei Polizisten bewachten James Johnson zur Gerichtsstätte.

„Das ist er!“ – „Sieh dir den Galgen genau an, Bursche!“ – „Hübsch, nicht wahr?“ – „Er wird nicht lange auf dich zu warten brauchen, du Schuft!“ – „Wie frech er dreinblickt! Aber das wird ihm schnell vergehen!“, hagelt es auf ihn nieder. Es stört ihn nicht.

Johnson bemerkt den Haziendero und lächelt ihm zu, denn er nimmt das Ganze für billiges Theater, für eine Volksbelustigung, die man eben der Menge bieten muss. Die mexikanischen Behörden lieben Gepränge, das dem Volk verdecken soll, wie wenig tatkräftig sie eigentlich sind. Sie haben auch allen Grund dazu, vorsichtig zu sein. Die Macht wechselt in diesem unruhigen Staat von einer Hand in die andere über. Was heute Recht war, ist morgen Unrecht und wird verfolgt. Die heute etwas richtig gemacht zu haben glauben, können schon morgen als Sündenböcke zur Rechenschaft gezogen werden. So schlängeln sich Richter und verantwortliche Staatsbeamte lieber um klare, eindeutige Entscheidungen herum. Es kommt höchst selten einmal zu harten Urteilen, obwohl sie das Gesetz vorsieht, aber wer kann sagen, aus welcher Richtung demnächst der Wind wehen wird und vielleicht gerade die emporhebt, deren Freund geopfert wurde? Nein, James Johnson befürchtet nichts. Ernsthaft gegen ihn vorzugehen, wird man nicht wagen. Dass ihn Don Luiz verleugnet, durch ihn hindurchsieht, quittiert er mit einem geringschätzigen Achselzucken. Ein Großmaul, ein Hundsfott! So tut er für sich den Mann ab.

„Vorwärts, Señor!“ Der eine seiner Wächter drückt ihm den Flintenlauf in die Seite.

„Ich werde mich über Euer Benehmen beschweren, Mann!“

„Hierher mit dem Angeklagten!“ Der Chef der Ortsmacht zeigt auf den Schemel etwas seitlich des Richtertischs.

Noch eine Minute bis acht.

In Johnsons Stirn graben sich plötzlich tiefe Furchen. Sechs Reiter sind mit einem Packtier in die Plaza eingebogen. Indianer! Bis auf den Jungen unbekannt für ihn. Alle schwerbewaffnet. Angeführt wird die Gruppe von einem vierschrötigen Kerl auf einem knochigen Mustang. Der Bursche ist mit Feuerwaffen, Flinte und Pistolen, und dann noch mit Speer und Tomahawk ausgerüstet; die anderen, die üblichen Ponys reitend, besitzen Tomahawk, Speer, den gefürchteten starken Bogen samt Pfeilen und bemalte Lederschilde. Nur Wiesel hat keine Waffen. Jetzt übergibt ihm der Riese Flinte und Speer zum Halten und nimmt vom Packpferd...

Johnson fühlt eine Hand nach sich greifen. Eine harte, unerbittliche Hand, die ihn zwingt, nicht die Augen zu schließen, sondern wie gebannt hinüberzublicken.

Kinder schreien auf, Frauen wenden sich ab. Mangus trägt auf vorgestreckten Armen den toten, bereits verwesenden Ka-tscho heran. Langsam, feierlich, von den Flammen gespenstisch beleuchtet. Rücken, Brust, Arme, Schenkel der Mimbreños glänzen in stechend grellen Farben, denn die Krieger haben bis auf den Anführer die Lumpen abgelegt und sind nur mit Lendenschurzen bekleidet.

Der Amerikaner beißt die Zähne aufeinander, presst die Lippen zusammen, dass alles Blut daraus entweicht. Er nimmt den Aufzug der Indianer ernst, bitter ernst. Wenn die Indsmen sich auch nicht mit den Kriegsfarben geschmückt haben, so sind sie doch mehr als Statisten des gut gebauten Spiels, können unter Umständen als gnadenlose Rächer auftreten, wenn die Verhandlung nicht das von ihnen gewünschte Ergebnis bringt. Diese fünf Rothäute – der Junge scheidet aus – stellen eine ungeheure Gefahr dar. Johnson gibt sich keiner falschen Hoffnung hin, er weiß, dass sein Leben in ihren Händen liegt. Das Leben eines Weißen!

Auch Elguea kann sich beim Anblick der Mimbreños finsterer, lähmender Gedanken nicht erwehren. War die damalige Entscheidung Rote Ärmels ehrlich gemeint oder trägt er oder einer seiner Krieger sich mit der verräterischen Absicht, den Angeklagten während oder nach der Verhandlung niederzuschießen? Es läuft ihm abwechselnd heiß und kalt den Rücken hinunter. Dass eine ganze Kompanie Soldaten den Platz umsäumt, wird keinen Apatschen abhalten, einen Gewaltstreich auszuführen, wenn er ihn im Sinn hat. Bevor man richtig zum Besinnen käme, wären die Krieger bereits aus der Umklammerung heraus, und sie dann zu fassen, dazu reichen der Witz und der Schneid der Soldaten nicht aus. ‚Aber nein‘, beruhigt er sich, ‚Mangus Colorado ist kein Narr. Er wird wissen, dass ein solches Vorgehen die schlimmsten Folgen für die Seinen haben muss. Es hat sich ja gezeigt, dass der Rote Grenzen für das Handeln der Indios anerkennt.‘

Der Riese hat inzwischen den toten Häuptling aufrecht an zwei in den Boden gerammte Speere gebunden. Der Mörder kann dem Anblick seines Opfers nicht entrinnen.

Der letzte Stundenschlag der Turmuhr ist längst verklungen. Die unvorhergesehenen, zeitraubenden Vorbereitungen der Mimbreños haben den Prozessbeginn verzögert.

Jetzt hocken sich Rote Ärmel und Wiesel rechts, zwei der anderen links von Ka-tscho nieder. Zwei Krieger halten dahinter Totenwache.

Der vor dem Kirchenportal stehende Soldat schlägt dreimal mit dem Gewehrkolben gegen die Tür. Dumpf verhallen die Schläge im Innern der Kirche. Die Tür geht auf. Vier Schöffen und ein Schreiber treten heraus und nehmen ihre Plätze an der Tafel ein. Der Küster schleppt schnell noch ein großes Kruzifix herbei und stellt es auf den Richtertisch.

Spannungsgeladene Stille drückt auf die Plaza von Janos. Aller Augen sind auf das Portal gerichtet, denn zwei Stühle warten noch auf die für sie Bestimmten. Der eine von ihnen muss der Richter, Don Benito Serviez, sein, der andere...?

„Ah, Don Pascale persönlich!“, geht ein Staunen durch die Menge. „Ob er als Ankläger anstelle der Mimbreños auftritt?“

Gemessenen Schrittes, den Kopf gesenkt, sodass das Kinn fast die über der Brust hängende schwere, goldene Kette berührt, begibt sich Mosquera zu seinem Platz. Neben ihm, steif, hoch aufgerichtet, der Richter Serviez, der einen Totschlag zum Mord umbiegen soll, damit die Ausbeutung der Santa Rita-Minen nicht gestört oder gar unterbunden wird.

Der Alkalde setzt sich, nachdem er die Geschworenen und die Menge durch mehrmaliges Kopfnicken begrüßt hat. Don Benito rückt das Kruzifix etwas zur Seite, da es ihn verdecken würde, wenn er Platz genommen hat. Alles fertig?, fragen seine Augen in die Runde. Ein Räuspern, dann: „Ich, Benito Serviez, Richter von Casas Grandes, eröffne hiermit die Verhandlung in Sachen des Mordes an dem Mimbreñohäuptling Ka-tscho, genannt Großer Hase. Ist der Angeklagte zugegen?“

„Hier, Euer Ehren!“, schnarrt, indem er sich zusammenreißt und mit dem gesenkten Säbel auf Johnson zeigt, der Polizeichef.

„Danke, Don Ignacio. Solange kein Spruch über den Angeklagten gefällt ist, tragen Sie die Verantwortung für die Sicherheit des Mannes.“

„Sehr wohl, Euer Ehren!“

„Bevor sich das Gericht mit der Person des Angeklagten befasst, erteile ich Don Pascale Mosquera, Alkalde von Janos, das Wort, um das er mich ersucht hat.“

Der große Augenblick! Um ihn ganz auszukosten, erhebt sich Mosquera bedächtig, blickt sich um, sucht Francisco Manuel Elguea – und schließt den lächelnden Mund, denn er hat neben dem Minenherrn von Santa Rita del Cobre den Haziendero gewahrt. Er möchte in den Boden versinken oder auch davonlaufen, nur plötzlich nichts mehr mit dem Fall Johnson zu tun haben. Diese spöttisch heruntergezogenen Mundwinkel bei Esteban, die betont gelangweilte Haltung – der Mann ist seiner Sache sicher. ‚Er weiß mehr über das Schicksal der Apatschen als wir, lässt uns ins Verderben rennen‘, durchfährt es Mosquera. Er fühlt, wie ihm die schönen, eingelernten Sätze, die er sprechen will, davonflattern. Einige respektlose Zuschauer beginnen zu kichern. ‚Anfangen!‘, spornt sich der bestürzte Bürgermeister an. ‚Man hat bemerkt, dass du unsicher geworden bist. Los, doch! Elguea deckt dich. Er trägt alle Verantwortung.‘

„Amigas y amigos, Einwohner von Janos!“, beginnt er zögernd, hustet, fährt sich mit der Hand nach dem Hals. Seiner Stimme fehlt es an Kraft, vor allem aber an richtigem Schmelz. Doch da kommen die Worte wieder, die verloren, verweht geglaubt waren: „Die Anwesenheit der gesamten Einwohnerschaft bei der Verhandlung gegen den Mörder des Mimbreñohäuptlings Ka-tscho bietet mir willkommene Gelegenheit, unser freundschaftliches Verhältnis zu den Kriegern der Apatschenstämme der Mimbreños und Chiricahuas zu bekunden. Ich bin sicher, verehrte Freunde, in euer aller Namen und zugleich im Namen der Minenarbeiter von Santa Rita del Cobre zu sprechen, wenn ich sage, dass wir den heimtückischen Mord an unserem roten Freund verabscheuen und ihn zutiefst bedauern.“ Jetzt kann er Atem holen und beruhigt eine Pause einlegen. Während er die spröden, trockenen Lippen mit der Zunge befeuchtet, versucht er, die Wirkung seiner Ansprache von den Gesichtern der Indianer in der vordersten Reihe der Zuhörer abzulesen. Doch deren beherrschte, verschlossene Züge widerstehen dem Versuch. Dafür kommen aus der Menge erste Zustimmungserklärungen. „Viele von uns“, fährt er fort, „kannten den Toten als einen ruhigen, besonnenen und vertrauenswürdigen Mann, der die ihm übertragenen Aufgaben jederzeit vorbildlich ausgeführt hat. Großer Hase war es gewesen, der seit Jahren die Versorgungszüge der Chihuahua-Janos-Santa-Rita-Straße begleitete und ebenso sicher die Erztransporte ans Ziel führte. Damit diente er uns gleich gut wie seinen Brüdern. Vor nunmehr fünfzehn Jahren schlossen wir mit dem Apatschen einen Vertrag, der es uns erlaubt, auf den beiden Straßen Chihuahua-Santa Rita und Sonora-Santa Rita durch Apatschenland zu ziehen. Der Tatkraft und dem Ansehen des Toten schulden wir größten Dank dafür, dass bisher kaum nennenswerte Schwierigkeiten für uns bei diesen Reisen durch unwirtliche Gebiete entstanden sind. Lasst mich deshalb wiederholen, Señoras y Señores, wozu es mich in dieser Stunde drängt: Dem Häuptling der Mimbreños, Mangus Colorado, sei versichert, dass wir nichts mit dem Mord zu tun haben, und wir hoffen, es möge kein Schatten auf unsere freundschaftlichen Beziehungen fallen. Ich habe keinerlei Einfluss auf den Prozessverlauf, doch ich bezweifle nicht, dass Don Benito die ganze Wucht des Gesetzes in Anwendung bringen wird, um dieses Verbrechen, das mehr als ein gewöhnlicher Kriminalfall ist, zu ahnden.“

Beifall unten.

„Hell and damnation, daher weht der Wind! Die Mexikaner scheinen nicht mit mir spaßen zu wollen“, murmelt Johnson ernsthaft betroffen in Englisch vor sich hin. „Doch warten wir ab. So schnell überlasse ich den Kerlen meinen Kopf nicht.“

*

„Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Mitarbeiter, Don Francisco. Durch seine geschickt gewählten Worte hat Mosquera den Richter von vornherein auf das Urteil festgelegt.“

„Der Angeklagte wird an Ihnen, Don Luiz, zweifellos einen guten und zähen Verteidiger haben, oder irre ich mich?“

Esteban lächelt unbestimmt. Es bereitet ihm Vergnügen, dass der andere nun vielleicht Gegenschläge ausarbeitet, um ein Eingreifen von Seiten der Hazienderos wirkungslos zu machen. Er, Esteban, denkt nicht daran, auch nur den kleinen Finger für Johnson zu rühren. Dass er ein Narr wäre! Niemand anders als Elguea mit seinem Draufgängermut kann die Lawine, die die Apatschen zermalmen soll, besser ins Rollen bringen.

„Schreiber, seid Ihr soweit?“, erkundigt sich der Richter, da es auf der Plaza wieder ruhig geworden ist. „Dann haltet die Angaben zur Person des Angeklagten fest. Führen Sie den Mann vor, Don Ignacio, bitte.“

James Johnson, mit seinen Gedanken weit fort von der Stätte, die so viele Gefahren für ihn birgt, muss erst angestoßen werden, ehe er sich erhebt und dem Befehl nachkommt.

„Ihr Name, Señor? Und blicken Sie her zu mir!“ Die Aufforderung ist berechtigt, denn der Amerikaner hat sich so gestellt, dass er die Indianer, die unberechenbaren Gegner, im Auge behalten kann.

„James Johnson.“

„Alter?“

„Dreiundvierzig.“