Die neuen Leiden des alten Herrn S... - Uta Bösinger - E-Book

Die neuen Leiden des alten Herrn S... E-Book

Uta Bösinger

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Beschreibung

Zentrales Thema des Buches ist der Mythos von Sisyphus in unterschiedlichen Blickwinkeln und mit immer neuen Ansätzen - mal provokant, mal hinterfragend - alles mag einem in diesen Kurzgeschichten begegnen.

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Die Autorin:

Geboren in Villingen, wuchs Uta Bösinger im Schwarzwald auf und machte in St. Georgen Abitur. Sie studierte zunächst Germanistik und Theaterwissenschaften, versuchte sich dann im Schauspiel, war kurzfristig an der Pantomimeschule Marcel Marceaus, wechselte dann aber zum Sportstudium nach München. Heute bewirtschaftet sie mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb im Nebenerwerb.

Zentrale Themen in ihrem Leben sind Sprache und Bewegung. Ihre Faszination zum Mythos Sisyphus bringt sie in unterschiedlichen Blickwinkeln durch immer neue Ansätze zum Ausdruck – mal provokant, mal hinterfragend – alles mag einem in diesen Kurzgeschichten begegnen.

Die Künstlerin:

Petra Glünkin, geboren im Markgräflerland, lebt mittlerweile in Tennenbronn und arbeitet als Kunsttherapeutin.

Inhaltsverzeichnis

Zum Geleit

Un-Menschen-Möglich

Keinen Schritt weiter

Sisyphus außer Reichweite

Sisyfußeln

Fünf Buchstaben

Sisyphus, Sisypha, Sisymat

Auf dem richtigen Platz

Zwei Skelette im Sand

Das Flüstern des Steins

Zum Geleit

»Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft« ist das berühmte Zitat des Langstreckenläufers Emil Zatopek. Auch ich war lange im Langstreckensport unterwegs und fühle mich Zatopek – und ebenso mit Sisyphus – sehr verbunden.

Heute würde ich das Zitat noch erweitern: »Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft und schreibt, oder schreibt, weil er läuft, oder läuft, indem er schreibt…«

Schreiben kommt dem Laufen recht nahe. Zum einen ist es ein Prozess mit vielen Abschnitten, wie ein langer Lauf, der Höhen und Tiefen aufweist. Streckenweise läuft es wie von selbst und an anderer Stelle muss man sich überwinden, kämpfen und schwitzen.

Zum anderen schlägt sich im Schreiben wie im Laufen eine Brücke zum Leben: mit der Geburt wird ein Mensch auf die Strecke gebracht und füllt bis zum Ziel seinen Lebenslauf. Der Läufer überwindet Strecke um ein Ziel zu erreichen, wobei immer die Frage im Raum steht, was wesentlicher ist: die Strecke oder das Ziel.

Es sind nur eine Handvoll Geschichten, für eine Langstreckenläuferin eher kurz und sehr konzentriert. Ich will ein paar Türen zu den eigenen Gedanken für Sie öffnen und die Lesenden auf die Strecke schicken…

Un-Menschen-Möglich

Sisyphus lebt, weil wir noch heute sehen, wie er den Fels rollt: Seine zu bewältigende Strecke ist Ritual und man kann die Uhr danach stellen, wann er welchen Abschnitt erreicht. Vormittags ist er in der Waldzone beschäftigt. Gegen elf Uhr kommt er ins Geröll. Bis fünfzehn Uhr kämpft er dort, was ihm jedes Mal Verzweiflung beschert: Der Boden bietet keinen Halt, das Vorwärtskommen ist mühselig. Sisyphus ist zusätzlich der Sonne ausgesetzt, die oft unerträglich auf ihn niederbrennt. Kaum aber hat er dieses Geröllfeld überwunden, kommt er in den Fels. Der Untergrund ist griffig und in Kürze erreicht er den Grat, wo ihn meist der Wind erfrischt.

Sisyphus ist von der Arbeit mit dem Felsbrocken gezeichnet. Wie eine Schrift zeichnet sich sein Weg in der Landschaft ab. Für jedermann erkenntlich hat sich eine Rolltrasse gebildet. Sisyphus ist reich, weil er eine ihn ausfüllende Aufgabe hat und arm, weil ihm seine Aufgabe keinen Raum für anderes gibt. Es gibt Tage, an denen er seine Arbeit mag und es gibt Tage, an denen er alles in Frage stellt.

Neuerdings kommen zur Morgenstunde immer mehr Menschen. Sie bringen ihm allerlei Leckereien und wünschen ihm viel Glück bei seinem Tagwerk.

Sie kommen und sind froh, einen gefunden zu haben, der ein noch härteres Los hat, als sie selbst. Sie brauchen ihn, um sich selbst zu bestätigen, denn solange einer ein schwereres Schicksal hat als sie selbst, hat man ja scheinbar alles richtig gemacht und muss sich nicht weiter mit sich beschäftigen. Sisyphus ist Klagemauer und Stützrad für viele unausgeglichene Lebensumstände der Menschen. Der Mann mit dem Felsbrocken ist die gerne wahrgenommene Ablenkung von den eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten im Leben. Der Fels ist wie eine Schneekugel im Pappschnee. Er saugt alles an Lasten auf, was ihm nur angetragen wird. Insofern ist es für viele Menschen von Interesse, Sisyphus auf seiner Spur zu halten. Am Anfang merkt Sisyphus das gar nicht. Er fühlt sich geschmeichelt wegen der Anerkennung, die ihm damit zu Teil wird. Und er fühlt sich geehrt, weil man ihn verköstigt.

Mit der Zeit werden es immer mehr Menschen. Zusätzlich zum Stein schleppt Sisyphus nun noch einen Rucksack mit auf den Berg, um die Speisen nicht zu verlieren. Je mehr die Menschen den wahren Grund ihres Besuchs vertuschen wollen, desto mehr Gaben bringen sie Sisyphus.

Er braucht immer länger für die Strecke und rastet nun auch öfter.

Er findet den Menschenauflauf lästig. Lieber wäre es ihm, in Ruhe zu starten und seinem Ritual zu folgen. Jetzt ist er so abgelenkt, so wenig in sich gekehrt. Und je mehr Menschen auftauchen, desto beschwerlicher wird ihm seine Arbeit.

Sisyphus hat seinen Fels, mit dem er hantiert und in Austausch steht. Diese Kommunikation schätzt er sehr. Mit den Menschen verhält es sich ganz anders. Sie sind ihm unangenehm und lästig. Sie stellen Forderungen, haben Erwartungen und Ansprüche an ihn und all dies wächst zu Druck, der auf Sisyphus übergreift und ihm Kraft raubt.

Als er die Menschen loswerden will, beteuern sie: »Du brauchst uns doch. Wir versorgen dich mit Nahrung. Ohne uns schaffst du deine Arbeit doch gar nicht!«

Er wird den Verdacht nicht los, dass es ihm ohne diese Menschen besser ginge. Und er fragt sich, warum sie sich nicht abschütteln lassen.

Am nächsten Morgen wird er deutlicher und sagt, dass er bei der Arbeit nicht gestört werden will. Aber die Menschen lassen sich nicht abweisen. Einer Fliegenplage gleich bestehen, sie auf sein Wohl und entladen unbemerkt ihre Lasten.

Einer der Menschen ist gar so frech und behauptet: »Wir müssen ja auch schauen, dass du deine Aufgabe erledigst.«

Aber Sisyphus wehrt sich und beteuert, dass er auch ohne Kontrolle immer seine Aufgabe erledigt habe.

Da heißt es dann: »Wir dürfen machen, was wir wollen! Das kannst du uns nicht verbieten!« Oder: »Wir halten es für wichtig, dich zu begleiten. Wir halten es für unsere Aufgabe, dich auf die Strecke zu bringen. Es ist unsere Pflicht, darüber zu wachen, dass du den Stein rollst.«

Erneut zieht Sisyphus los, ohne etwas erreicht zu haben. Zu längeren Diskussionen hat er keine Zeit. Er hört den Menschentross rufen: »Wenn du deine Aufgabe nicht erfüllst, wirst du bestraft, Sisyphus! Das wird übel für dich ausgehen!«

Sisyphus lässt sich nicht beirren: »Jeder muss annehmen, was ihm auferlegt ist. Mein Werk ist auch menschenmöglich. Es geht darum, sich seinem Schicksal zu stellen und sich nicht mit Betrug vom Acker zu machen. Wer so gestrickt ist, ist Unmensch.«

Sisyphus hasst die Menschen, die ihn bildartig auf diesen Stein festnageln.