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So, wie andere Vinylplatten, Videospielkonsolen oder Vintagekleider sammeln, sammelt Rolf Dobelli seit Jahren Geschichten von Misserfolgen – Fehlschläge im Leben, in Karrieren, Ehen und Familien. Hier präsentiert er die Sammlung von Verhalten und Denkmustern, die man tunlichst nicht nachmachen sollte – eine Art Kompendium der Idiotie. Und er zeigt: Wenn wir die größten Glücks- und Erfolgskiller im Blick haben und ihnen aus dem Weg gehen, tut sich der richtige Weg automatisch vor uns auf. Ein Buch, das man jedem jungen Erwachsenen in die Hand drücken möchte.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
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Die in diesem Buch verwendeten anlehnenden Gemälde und erläu-ternden Zitate stellen neben einem Ausdruck der Wertschätzung für die Originale auch und vor allem eine Hommage an die Vielfältigkeit der Kunst dar. Die hierfür verwendete nachahmende oder zitierende Kulturtechnik des Pastiches ist ein prägendes Element des zeit-gemäßen kulturellen Schaffens und nach § 51a UrhG ausdrücklich erwünscht und gestattet.
© Piper Verlag GmbH, München 2024
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Alex Livinsky / iStock Photo
Illustrator : El Bocho, www.elbocho.net
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Cover & Impressum
Widmung
Vorwort
1 Lassen Sie alles verkümmern
Die leise Stimme der Vernunft
2 Füttern Sie Ihren inneren Schweinehund
Die leise Stimme der Vernunft
3 Seien Sie unzuverlässig
Die leise Stimme der Vernunft
4 Seien Sie ein Arschloch
Die leise Stimme der Vernunft
5 Hegen Sie hohe Erwartungen
Die leise Stimme der Vernunft
6 Leben Sie in den Tag hinein
Die leise Stimme der Vernunft
7 Das Geheimnis einer schlechten Ehe
Die leise Stimme der Vernunft
8 Geben Sie möglichst schnell auf
Die leise Stimme der Vernunft
9 Predigen Sie Wasser, und trinken Sie Wein
Die leise Stimme der Vernunft
10 Halten Sie an Ihren schlechten Gewohnheiten fest
Die leise Stimme der Vernunft
11 Setzen Sie sich idiotische Ziele
Die leise Stimme der Vernunft
12 Trinken Sie sich ins Elend
Die leise Stimme der Vernunft
13 Mischen Sie sich in fremde Angelegenheiten
Die leise Stimme der Vernunft
14 Lernen Sie ausschließlich aus Ihrer eigenen Erfahrung
Die leise Stimme der Vernunft
15 Verbringen Sie Ihre Freizeit in den sozialen Medien
Die leise Stimme der Vernunft
16 Flippen Sie aus im Straßenverkehr
Die leise Stimme der Vernunft
17 Umgeben Sie sich mit Miesepetern
Die leise Stimme der Vernunft
18 Suchen Sie Streit mit Ihren Nachbarn
Die leise Stimme der Vernunft
19 Dröhnen Sie sich mit Drogen zu
Die leise Stimme der Vernunft
20 Manövrieren Sie sich in eine Einbahnstraße
Die leise Stimme der Vernunft
21 Bitte keine Leichtigkeit
Die leise Stimme der Vernunft
22 Baden Sie in Schuldgefühlen
Die leise Stimme der Vernunft
23 Seien Sie undankbar
Die leise Stimme der Vernunft
24 Vertrauen Sie Ihrem Banker
Die leise Stimme der Vernunft
25 Seien Sie paranoid
Die leise Stimme der Vernunft
26 Nehmen Sie die anderen nicht ernst
Die leise Stimme der Vernunft
27 Leben Sie in der Vergangenheit
Die leise Stimme der Vernunft
28 Hören Sie auf Ihre innere Stimme
Die leise Stimme der Vernunft
29bGlauben Sie an den rationalen Menschen
Die leise Stimme der Vernunft
30 Werden Sie Nihilist
Die leise Stimme der Vernunft
31 Sehen Sie in allem eine Katastrophe
Die leise Stimme der Vernunft
32 Betrachten Sie Geld als unwichtig
Die leise Stimme der Vernunft
33 Kultivieren Sie Ihr Selbstmitleid
Die leise Stimme der Vernunft
34 Werden Sie hörig
Die leise Stimme der Vernunft
35 Get rich quick, get smart quick
Die leise Stimme der Vernunft
36 Die Endlosschleife der Gedanken
Die leise Stimme der Vernunft
37 Tauschen Sie Ihren Ruf gegen Geld
Die leise Stimme der Vernunft
38 Gehen Sie jeder Schwierigkeit aus dem Weg
Die leise Stimme der Vernunft
39 Lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf
Die leise Stimme der Vernunft
40 Versuchen Sie, sich selbst umzubringen
Die leise Stimme der Vernunft
41 Heiraten Sie falsch, und bleiben Sie ewig zusammen
Die leise Stimme der Vernunft
42 Seien Sie nachtragend
Die leise Stimme der Vernunft
43 Verschreiben Sie sich einer Ideologie
Die leise Stimme der Vernunft
44 Versuchen Sie, Menschen zu verändern
Die leise Stimme der Vernunft
45 Sagen Sie immer, was Sie denken
Die leise Stimme der Vernunft
46 Tun Sie alles Mögliche gleichzeitig
Die leise Stimme der Vernunft
47 Bleiben Sie oberflächlich
Die leise Stimme der Vernunft
48 Umgeben Sie sich mit Psychos
Die leise Stimme der Vernunft
49 Stürzen Sie sich in den Wettbewerb
Die leise Stimme der Vernunft
50 Sagen Sie zu allem Ja
Die leise Stimme der Vernunft
51 Müllen Sie Ihr Leben voll
Die leise Stimme der Vernunft
52 Stürzen Sie sich in die Inhaltsfalle
Die leise Stimme der Vernunft
Schlusswort und Dank
Der Dobelli-Disclaimer
Der Illustrator
Stimmen zu Rolf Dobelli
Anhang
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für meine Frau Clara Maria Bagus und unsere Söhne
So wie andere Vinylplatten, Videospielkonsolen oder Vintage-Kleider sammeln, sammle ich seit Jahren Geschichten von Misserfolgen – Fehlschlägen im Leben, in Karrieren, Ehen und Familien.
»Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich, jede unglückliche Familie ist unglücklich auf ihre Weise.« So eröffnet Leo Tolstoi seinen Jahrhundertroman Anna Karenina. Will heißen: Pures Glück langweilt den Leser. Glück ist fade und eindimensional. Glück ist glatt wie Teflon. Das Unglück hingegen verrät viel mehr über die Welt. Unglück hat Struktur. Und es lehrt uns etwas. Deshalb sammle ich es – das Unglück.
Am Tag der Abschlussfeier laden Universitäten jeweils einen Gastredner ein, um ein paar Weisheiten an die jungen Frauen und Männer zu richten, die ins Berufsleben entlassen werden. Meist handelt es sich bei den Gastrednern um Absolventen ebendieser Universität, die es besonders weit gebracht haben. So auch am 13. Juni 1986. Die Harvard-Universität hatte den damals 62-jährigen Investor Charlie Munger eingeladen. Munger, selbst ein Harvard-Alumnus, hat zusammen mit Warren Buffett die wohl erfolgreichste Beteiligungsfirma aller Zeiten aufgebaut, Berkshire Hathaway. Mungers Rede war höchst ungewöhnlich. Selbst der Titel klang bizarr: »How to Guarantee a Life of Misery« – »Wie man ein elendes Leben garantiert.«[1] Statt Weisheiten für ein erfolgreiches Leben aufzutischen, gab Munger vier Tipps zum Besten, wie man ein garantiert unerfolgreiches Leben führt. Er drehte den Spieß einfach um. Ein brillanter Einfall, denn negative Rezepte sind aussagekräftiger als positive, handfester und einprägsamer. Trotz aller Glücksforschung wissen wir zum Beispiel nicht genau, was uns glücklich macht. Aber wir wissen mit Sicherheit, was Glück vernichtet. Wir wissen nicht exakt, was Menschen erfolgreich macht, aber wir wissen mit Sicherheit, was Erfolg verunmöglicht. Wenn man also die Killer im Blick hat und ihnen aus dem Weg geht, tut sich der richtige Weg automatisch vor einem auf.
Mungers Idee war nicht neu. Der preußische Mathematiker Carl Gustav Jacob Jacobi hat diese Art des Denkens im 19. Jahrhundert angewandt. Manchmal, stellte Jacobi fest, lässt sich ein wissenschaftliches Problem erst lösen, wenn man es komplett umdreht. »Inversion« nennt man das im Fachjargon. So hat Einstein Newtons Gravitationslehre an die maxwellsche Elektrodynamik angepasst und ist nicht – wie alle anderen – den umgekehrten Weg gegangen. Langfristig orientierte Investoren fragen sich, wie man am besten eine Firma an die Wand fährt, und investieren dann in die unzerstörbaren (z. B. Coca-Cola in den USA oder die Jungfrau-Bahn in der Schweiz). Mungers Bonmot für diese Inversion: »Sag mir, wo ich sterben werde, und ich werde nie dorthin gehen.«[2] Weil Charlie Munger nicht nur ein brillanter Investor, sondern ein ebenso genialer Denker war, der sich mit gepfefferten Sprüchen nicht zurückhielt, habe ich ihn oft zitiert. Leider ist Charlie während des Schreibens dieses Buches 99-jährig gestorben.
Doch zurück zur »Inversion«: Wir überschätzen systematisch die Rolle von Erfolgsfaktoren, und wir unterschätzen ebenso systematisch die Rolle von Misserfolgsfaktoren. Warum? Weil die erfolgreichen Unternehmen, Projekte und Personen es in die Medien schaffen. Für die Gescheiterten hingegen interessiert sich keine Seele. Versager schreiben keine Autobiografien – und falls doch, finden sie keinen Verlag oder zumindest keine Leser. So studieren wir Erfolgsgeschichten und leben mit der Illusion, Erfolg entstehe durch die gewissenhafte Aneinanderreihung von Erfolgsfaktoren statt durch das Vermeiden von Erfolgskillern. Tipp: Besuchen Sie stattdessen die Friedhöfe der gescheiterten Firmen, Projekte, Personen, Ehen und Familien. Dort lernen Sie am meisten – Sie lernen, was zu vermeiden ist.
Von meinen zwölf Büchern haben es drei zu einem großen Erfolg geschafft, und eine Handvoll sind veritable Flops. Keine Ahnung, weshalb die Kunst des klaren Denkens zu einem internationalen Bestseller wurde – aber ich weiß genau, woran meine Flop-Bücher gescheitert sind. Wer die Welt aus der Negativperspektive betrachtet, bringt Licht ins Dunkel.
Meine früheren Bücher entsprechen den traditionellen Abschlussfeier-Reden. Es sind Ratschläge für klares Denken, kluges Handeln und ein besseres Leben. In diesem Buch drehe ich den Spieß um. Ich präsentiere Ihnen eine Sammlung von Verhaltensweisen und Denkmustern, die man besser vermeidet – eine Not-To-Do-Liste, oder, anders ausgedrückt, eine Art Enzyklopädie der Idiotie. Wenn man sie kennt, kann man sie umschiffen.
Beim Schreiben hatte ich immer unsere Söhne im Hinterkopf. Eines Tages, wenn sie volljährig sind, so stelle ich mir vor, werde ich ihnen dieses Buch mit den Worten überreichen: »Dieses Buch wird euch hoffentlich einige Probleme im Leben ersparen. Meidet diese 52 Dinge, und ihr dürft frohen Mutes in die Zukunft schauen.« Und wahrscheinlich werden sie dann lachen und sagen: »Nett von dir, Papa, aber eigentlich haben wir auf ein Auto oder das Geld für eine Weltreise gehofft!«
Rolf Dobelli
Es war einmal ein Mann. Der lebte in einem alten Haus mit einem undichten Dach. Immer wenn es regnete, war es gerade kein guter Zeitpunkt, um das Dach zu reparieren, und wenn der Himmel klar war, sah er keine Notwendigkeit, sich vor Regen zu schützen. Wenn Sie ein schlechtes Leben haben wollen, rate ich Ihnen: Machen Sie es wie dieser Mann. Vernachlässigen Sie systematisch den Unterhalt Ihres Hauses, Ihres Autos, Ihres Körpers, Ihres Geistes, Ihrer Beziehungen, Ihres Unternehmens – ja, eben Ihres ganzen Lebens. Nur so haben Sie die Garantie, dass es auch sicher verkümmert.
An einem stürmischen Dienstag, dem 14. August 2018, stürzte die Morandi-Brücke[3] in Genua ein. Sie war Teil einer wichtigen Verkehrsader, die die italienische Riviera mit der französischen Küste verbindet. Der italienische Ingenieur Riccardo Morandi hatte die 1967 fertiggestellte Brücke entworfen: drei Stahlbetonpylone, die mehrere Scheren aus Spannbeton trugen – eine damals neuartige Konstruktion. Schon lange vor dem Einsturz hatten Fachleute Bedenken hinsichtlich der Korrosion des Betons und der Streben geäußert. Unternommen wurde nichts. Als der mittlere Teil der Brücke nachgab, stürzten Dutzende von Fahrzeugen 40 Meter in die Tiefe. Unmittelbar danach begann eine hektische Rettungsaktion, um den Überlebenden zu helfen und die Verstorbenen zu bergen. In einem bemerkenswerten Kraftakt wurde die Brücke rasch wieder aufgebaut und im August 2020 wiedereröffnet. Gefeiert wurden die heroischen Retterinnen und Retter sowie der Stararchitekt Renzo Piano, der die Brücke neu aufbaute.
An demselben stürmischen Dienstag, dem 14. August 2018, stürzte die Felsenau-Brücke in Bern, wenige Kilometer von meinem Büro entfernt, nicht ein. Die 1974 fertiggestellte Brücke ist Teil der Autobahn A1, der wichtigsten Verkehrsachse der Schweiz. Bezüglich Alter, Konstruktion, Baumaterialien, Länge und Verkehrsvolumen ist sie mit der Morandi-Brücke in Genua vergleichbar. In Bern wurde niemand gefeiert. Die Spezialisten, die den laufenden Unterhalt der Brücke verantworten, bekamen kein Denkmal, keine Medaille, nicht einmal einen Artikel in der Lokalzeitung.
Instandhaltung ist keine heroische Tat. Sie ist langweilig, unsexy und bleibt weitgehend unsichtbar. Weniger wichtig als Heldentum ist sie deshalb nicht, ganz im Gegenteil. Wir überschätzen systematisch den Wert eines grandiosen Entwurfs oder einer kühnen Rettungsaktion, aber unterschätzen systematisch den Wert leiser, kontinuierlicher Unterhaltsarbeiten. Nicht nur bei öffentlichen Bauten, auch im Privaten. Wir preisen den Chirurgen, der uns vor einem tödlichen Herzinfarkt gerettet hat, aber nicht den Hausarzt, durch dessen regelmäßige Check-ups wir bisher nicht an Darmkrebs gestorben sind. Wir glorifizieren den Moment, als wir unserer »Mrs. Right« bzw. unserem »Mr. Right« einen Heiratsantrag machten, aber unterschätzen den Wert des täglichen, monotonen, Zeit verschlingenden Instandhaltens der Beziehung. Mit den Worten des Komikers Hape Kerkeling: »Liebe ist Arbeit, Arbeit, Arbeit.«
Auch in der Wirtschaftswelt fristen Instandhalter ein Mauerblümchendasein. Firmengründer und Turnaround-CEOs werden gefeiert. Aber wer feiert die Millionen von Mittelmanagern, die Tausende von Betrieben, Datenzentren, Stromnetzwerken und Lagerhallen bis hin zur Müllabfuhr am Laufen halten? David Brooks, Kolumnist der New York Times, beschreibt die unsichtbaren Mittelmanager richtigerweise als »die unbesungenen Helden unserer Zeit«.[4] Doch niemand schreibt über sie.
In der Geopolitik sind die wahren Helden nicht die Generäle, die einen Krieg gewinnen, sondern Individuen, die einen Krieg verhindern – Politiker, Diplomaten und Beamte, die die Kommunikation zwischen den Staaten aufrechterhalten und eine effektive Abschreckung aufbauen. Aber belohnt man Diplomaten für Kriege, die nicht stattfinden? Liest irgendjemand ihre Memoiren?[5][6]
Fazit: Für gewissenhafte Maintenance gibt es keine Medaillen zu gewinnen. Und doch ist diese Art von Arbeit wichtiger als alles andere. Mein Tipp für ein gutes Leben: Vermeiden Sie, dass Dinge kaputtgehen. Bleiben Sie achtsam und sorgfältig – wie die Techniker, denen der Unterhalt der modernsten Düsentriebwerke obliegt: Neben engmaschigen Wartungsarbeiten setzen die auf ein ausgeklügeltes »performance monitoring«: Sobald auch nur eine Winzigkeit (Temperatur, Druck, Vibration) außerhalb des Normbereichs liegt, wird das Flugzeug aus dem Verkehr gezogen und sofort in Ordnung gebracht. Dieses Prinzip sollten Sie sich auch angewöhnen. Fällt Ihnen das Treppensteigen schwerer als früher? Machen Sie einen Arzttermin aus. Ist Ihr Ehepartner chronisch genervt? Sprechen Sie ihn darauf an. Oder haben Sie Holzwürmer im Gebälk? Dann bestellen Sie einen Spezialisten, bevor Ihnen der Dachstock auf den Kopf fällt. Warten Sie nicht, bis etwas zerbricht, sondern sorgen Sie dafür, dass es gar nicht erst passieren kann. Lieber ein unbesungener Held als ein dramatisch scheiternder.
Wir erleben eine Epidemie der Selbstdisziplin. Jedes zweite Self-Help-Buch predigt Eigenmotivation. Titel wie Sprenge deine Grenzen, Disziplin – die Macht der Selbstkontrolleoder Mythos Motivation schaffen es zuverlässig auf die Bestsellerlisten. Lassen Sie sich von dieser Quasi-Religion nicht anstecken. Diese Autoren wollen bloß Geld verdienen. Wenn Sie auf etwas keine Lust haben, ist das ein eindeutiges Zeichen Ihres zentralen Nervensystems, dass Ihnen dieses Etwas tatsächlich nichts bringt. Warum sonst sollte die Evolution über Jahrmillionen dieses komplexe Gefühl entwickelt haben? Vertrauen Sie Ihrem inneren Schweinehund, er ist Ihr treuester Freund. Wenn er jault, lassen Sie alles liegen, kraulen Sie ihn, spielen Sie mit ihm, und werfen Sie ihm ein paar Wurststückchen zu.
Motivation muss von außen kommen, nicht von innen, wie diese Autoren alle behaupten. Wenn Ihre Motivation im Keller ist, ist das nicht Ihre Schuld, sondern die Schuld der Welt ganz allgemein. Solange Ihnen die Welt keinen Grund liefert, aus dem Bett zu steigen und Unangenehmes zu erledigen, ist sie selbst schuld, die Welt. Und Sie bleiben im Bett. Eigenmotivation ist so unnatürlich wie Plastik oder Pestizide. Schauen Sie sich die Tiere in der Natur an, zum Beispiel Gorillas. Sie hocken da, kratzen sich ab und zu und verdauen. Stress und schlechte Laune? Fehlanzeige. Übrigens: Wir teilen 98 Prozent unserer Gene mit den Gorillas. Logischerweise sollten wir uns an ihnen orientieren statt an den Befürwortern eiserner Disziplin, die vergessen haben, was natürlich ist. Unlust ist Unlust – das wussten schon unsere evolutionären Vorfahren.
Leben Sie deshalb getreu nach dem Motto: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe gern auf morgen. Am besten schließen Sie sich mit einer Horde Gleichgesinnter zusammen und belächeln gemeinsam die Exzesse der Selbstmotivation. Vielleicht starten Sie sogar eine internationale Zauder-Bewegung[7]? Oder nein, vielleicht lieber doch nicht, das wäre ja mit Aufwand verbunden.
Der Begriff »innerer Schweinehund« zirkuliert seit etwa hundert Jahren. Wirklich populär geworden ist er nach dem Zweiten Weltkrieg bei Turnlehrern, die von ihren Schülern lauthals den Sieg über die träge Kreatur forderten, also die Überwindung der natürlichen Faulheit durch Disziplin und Willenskraft. Dass uns allen ein innerer Schweinehund innewohnt, ist tatsächlich eine evolutionäre Tatsache. Für Jäger und Sammlerinnen war es kontraproduktiv, sich zu einer Tätigkeit aufzuraffen, die nicht absolut notwendig war. Jene Hochmotivierten, die es trotzdem taten, verbrannten wertvolle Kalorien, die ihnen bei der nächsten Hungersnot fehlten. Folglich sind ihre Gene aus dem Genpool verschwunden – und wir sind die Nachfolger der Unmotivierten.
Bei Hunger, Gefahr oder zum Zweck der Paarung wurden unsere Vorfahren durchaus aktiv. War der Magen aber erst einmal gefüllt, gab es nichts Rationaleres, als zu faulenzen. Es gab weder Kühlschränke, in denen man überschüssiges Wild lagern konnte, noch Bankkonten, auf denen überzählige Beeren deponiert werden konnten. Der einzig funktionierende Kühlschrank war der Bauch der anderen. Angenommen, Sie hatten ein Bison erlegt. Statt sich daran zu überfressen und den Rest den Hyänen zu überlassen, taten Sie gut daran, das Wild großzügig mit Ihrer Sippe zu teilen. Am besten auch mit den Nachbarstämmen. Ließ das Jagdglück Sie dann ein paar Tage lang im Stich, war zumindest auf die anderen Verlass.
Heute sind die Anforderungen allerdings gerade umgekehrt. Wir haben eine ganze Infrastruktur der Akkumulation aufgebaut – von Lagerhallen über Pensionskassen, von Leistungsausweisen über technologisches Wissen und Publikationen bis hin zu Social-Media-Likes. Fast alles kann angehäuft und für späteren Nutzen thesauriert werden. Und plötzlich steht uns der innere Schweinehund im Weg. Wie werden wir taub für sein Gewinsel? Eigenmotivation funktioniert wie ein Muskel. Wenn Sie der Willenskraft tagsüber zu viel abverlangen, wird der Muskel müde, die Willenskraft schwindet. Gleichzeitig trainieren Sie ihn aber auch: Über Monate und Jahre baut sich Ihre Willenskraft auf, und Sie werden es immer einfacher finden, Ihren inneren Schweinehund zu überwinden. Eigenmotivation ist anstrengend, aber lernbar.
Was leider nicht besonders gut funktioniert, ist die Motivation anderer Menschen. Sie können Ihren Lebenspartner, Ihre Kinder oder Ihre Mitarbeiter zwar durch Zuckerbrot und Peitsche (sprich Anreizsysteme) antreiben, aber das ist noch keine Motivation. Echte Motivation kann nur von innen kommen. Falls Sie als Chef oder Chefin Mitarbeiter motivieren müssen, haben Sie bereits verloren (siehe auch das Kapitel »Versuchen Sie, Menschen zu verändern«). Klüger ist es, von Anfang an hoch motivierte Menschen einzustellen – und selbst einer zu sein. Übrigens: Wenn Sie einen unmotivierten Lebenspartner haben, ist Trennung vernünftiger als der Versuch, sie oder ihn zu motivieren.
»Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert«, sagt ein Sprichwort. Wenn Sie ein zutiefst unglückliches Leben führen wollen, sollte der baldige Ruin Ihres Rufs zu Ihren obersten Zielen gehören. Wichtigste Regel: Halten Sie auf keinen Fall, was Sie versprechen! Totale Unzuverlässigkeit ist die wichtigste Eigenschaft, wenn Sie aus den interessantesten Zirkeln ausgeschlossen werden wollen. »Durch Unzuverlässigkeit wird die Wirkung aller Ihrer guten Eigenschaften, so groß sie auch sein mögen, völlig verblassen«, sagte der US-amerikanische Investor Charlie Munger in einer Rede an der Harvard School in Los Angeles.[8]
Ich empfehle Ihnen, die Unzuverlässigkeit noch zu verstärken, indem Sie nicht nur nicht halten, was man vernünftigerweise von Ihnen erwarten kann, sondern indem Sie das Blaue vom Himmel versprechen – und es gleich wieder vergessen. Mit der Zeit müssen Sie nicht einmal mehr etwas versprechen. Jedermann wird bereits wissen, dass von Ihnen nichts als heiße Luft zu erwarten ist. Täuschen lässt sich jemand einmal, vielleicht zweimal. Doch dann will der andere nichts mehr mit Ihnen zu tun haben. Für Sie als Profi-Hochstapler heißt das: Sie müssen immer neue Opfer finden. Das kann irgendwann schwierig werden, denn man wird über Sie reden. Sie werden zum Subjekt von Klatsch und Tratsch, Ihre Reputation wird in den Keller rasseln – und für den Rest Ihres Lebens dort bleiben. Mein Rat: Gehen Sie mit Ihren Versprechen um, als wären sie Klopapier.
Ich bin immer wieder erstaunt, wie weit es Menschen bringen, die nicht den höchsten IQ haben, die nicht besonders kreativ sind, die sich nicht geschliffen ausdrücken können, die aber zuverlässig sind. Zuverlässigkeit ist der am meisten unterschätzte Erfolgsfaktor. Ich glaube, es ist sogar der stärkste. Intellektuelle Brillanz wird Sie nicht vor dem Absturz retten. Denken Sie an den Bankrott des Hedgefonds Long-Term Capital Management im Jahr 1998 – jeder der Herren im Management hatte einen extrem überdurchschnittlichen IQ. Darunter waren sogar zwei zukünftige Nobelpreisträger[9]. Auch Kreativität, Sportlichkeit oder Charisma sind keine Erfolgsgaranten. Zuverlässigkeit hingegen schon. Wenn Sie zuverlässig sind, können Sie gar nicht fallen – es gibt kein Lügengebäude, das unter Ihnen einstürzen könnte. Selbst wenn Sie über einen himmelhohen Intelligenzquotienten verfügen sollten oder über galaktisches Talent – warum nicht außerdem noch verlässlich sein? Das kostet Sie nämlich nichts. Ja, alle brillanten und kreativen Menschen, die ich kenne – von Stararchitekten über Nobelpreisträger bis hin zu internationalen Musikern –, sind ausgesprochen zuverlässig. Das macht sie nicht weniger »cool« – im Gegenteil. Unzuverlässigkeit ist uncool!
Der schottische Moralphilosoph Adam Smith, im 18. Jahrhundert als Begründer der Nationalökonomie bekannt geworden, machte die Arbeitsteilung für den Wohlstand verantwortlich. Später kam die Rolle der Innovation hinzu. Doch auch hier – auf dem nationalökonomischen Parkett – wird der heimliche Erfolgsfaktor »Zuverlässigkeit« gern vergessen. Acht Milliarden Konsumenten auf der Erde, hundert Millionen Unternehmen, zehn Millionen verschiedene Produkte, Billionen von Warenströmen. Das funktioniert nur mit einem extremen Maß an Verlässlichkeit. Verträge regeln die Zuverlässigkeit im Großen. Liefert eine Firma nicht fristgemäß oder in der nötigen Qualität, kann man sie verklagen. Zuverlässigkeit im Kleinen regelt sich über Reputation. Und die gerät im Internetzeitalter schnell in Wanken. Dazu Warren Buffett: »Es dauert zwanzig Jahre, einen Ruf aufzubauen, und fünf Minuten, ihn zu ruinieren.«
Hatte man früher seine Reputation verspielt, konnte man in eine andere Stadt ziehen und wieder neu anfangen. Heute geht das nicht mehr. Ihre Reputation können Sie genau einmal verspielen. Das heißt, der Wert Ihrer Verlässlichkeit ist – ökonomisch gesprochen – der summierte abdiskontierte Cashflow Ihres restlichen Berufslebens. Rechnen Sie’s mal nach – das geht schnell in die Millionen. Kleiner emotionaler Benefit: Es geht nicht nur allen anderen besser, wenn Sie zuverlässig sind, sondern auch Ihnen selbst. Das Gefühl, sein Wort zu halten, ist eines der schönsten überhaupt. Unzuverlässigkeit gehört auf die Not-To-Do-Liste.
Sind Sie schon für Ihre Arroganz bekannt? Sehr gut. Dann setzen Sie noch einen drauf. Es gibt keinen direkteren Weg in ein miserables Leben, als sich wie ein Arschloch aufzuführen. Das funktioniert besonders gut, wenn Sie weder Aristoteles heißen noch einen Nobelpreis besitzen. Abgesehen davon, spielt es aber keine Rolle, ob Sie reich oder arm sind, wichtig oder unwichtig, schön oder nicht – Arsch bleibt Arsch. Was zeichnet nun ein richtiges Arschloch aus? Hier meine Empfehlungen: Hören Sie niemals zu, wenn andere etwas erzählen. Sie wissen es ohnehin viel besser. Wenn Ihnen jemand Feedback gibt, sagen Sie ihm, er soll in den Spiegel schauen. Zeigen Sie niemals Dankbarkeit. Beteuern Sie, dass Sie selbst ohne die Hilfe der Menschen um Sie herum dort wären, wo Sie jetzt sind. Wenn Sie in einem Team arbeiten, teilen Sie keine Lorbeeren mit den anderen. Schieben Sie stattdessen Verantwortung ab, wenn etwas schiefläuft. Es kann nicht an Ihnen liegen.
Zelebrieren Sie Ihr monumentales Ego. Lassen Sie sich von einem Starfotografen ablichten, und hängen Sie die Bilder im Büro auf. Gefallen Sie sich – so stellen Sie sicher, dass Sie garantiert immer jemand mag. Lassen Sie kleine Statuen von sich anfertigen. Das ist heutzutage dank 3-D-Druckern keine Hexerei mehr. Stellen Sie ein Exemplar auf Ihren Schreibtisch – Sie können immer noch so tun, als sei’s ironisch gemeint. Die restlichen Kopien eignen sich als Mitbringsel, falls Sie kein eigenes Buch zu verschenken haben.
Achten Sie auf Ihren Tonfall und Ihre Körpersprache: Beide sollten möglichst herablassend sein. Stellen Sie sicher, dass Sie respektlos kommunizieren. Eine abfällige Bemerkung, ab und zu hingeworfen, wirkt immer. Von Ihren sagenhaften Erfolgen zu berichten, genügt nicht. Ich rate Ihnen selbst bei den kleinsten Siegen zur Prahlerei. Versetzen Sie sich niemals in die Lage anderer. Nehmen Sie ausschließlich Ihre eigene in den Blick. Aber verlangen Sie von den anderen, sich in Ihre Lage zu versetzen, damit sie Ihre Perspektive besser verstehen. Ob Sie Großes oder Kleines erreichen – bleiben Sie unbescheiden. Denken Sie daran, dass Erfolg immer das Ergebnis eigener Kompetenz und Misserfolg immer das Ergebnis externer Faktoren ist. Und schließlich: Bieten Sie anderen Ihre Unterstützung nur an, wenn eine klare Gegenleistung zu erwarten ist.
Der amerikanische Investor Charlie Munger erzählt diese Geschichte: Bei einer Beerdigung rief der Pfarrer die Trauergemeinde auf, etwas Nettes über den Verstorbenen zu sagen. Niemand meldete sich. Nach langer Zeit meldete sich eine Person und sagte: »Sein Bruder war schlimmer.«[10] Nehmen Sie sich daran ein Vorbild. Ihr Ziel muss es sein, dass die Menschen, die zu Ihrem Begräbnis kommen, nur aus einem Grund kommen – um sicherzugehen, dass Sie wirklich tot sind.
Arroganz ist einfach. Bescheidenheit ist schwierig. Besonders wenn man etwas erreicht hat. Weil wir unsere eigenen Erfolge subjektiv stärker erleben als die Erfolge anderer, neigen wir dazu, sie zu überschätzen. Deshalb folgt die Arroganz dem Erfolg oft auf dem Fuß. Ich kam zu spät, als der liebe Gott die Tugend der Bescheidenheit verteilte, deshalb musste ich sie mir rational aneignen. Wenn man es konsequent durchdenkt, ist Erfolg ausschließlich das Ende einer langen Kette von Zufällen – für die man selbst überhaupt nichts kann. Also darf man sich darauf nichts einbilden.
Hinzu kommt, dass menschlicher Erfolg fast immer das Ergebnis von Kooperation ist. Allein schaffen wir nichts, zusammen fast alles. Schauen Sie sich um: Keine einzelne Sache – weder Buch, Kugelschreiber, Schuhe, Wandfarbe, Fensterscheibe, Glühbirne noch iPhone – hat irgendein Mensch allein hergestellt. Nicht einmal sich selbst haben Sie erschaffen, sondern es waren Ihre Eltern, und die hatten wieder Abertausende von Vorfahren. Kurzum: Alles, was Sie schaffen, leisten Sie mithilfe von tausend anderen Menschen – die Sie zum Teil kennen, aber zum größten Teil nicht. Bescheidenheit, Nettigkeit, Dankbarkeit und Wertschätzung sind deshalb nicht nur taktisch vorteilhaft, sondern sogar vernünftig und wahrhaftig.
Die Mayo Clinic ist die qualitativ führende Krankenhauskette in den USA. Bei jedem Bewerbungsgespräch – von Sekretärin bis Star-Chirurg – werden die Wörter »Ich« und »Wir« gezählt.[11]Überwiegen die »Ichs«, ist das ein sicherer Indikator, dass der Bewerber nicht teamfähig ist und damit nicht in ein Krankenhaus passt.
Fazit: Je kleiner Ihr Ego ist, desto besser wird Ihr Leben sein. Und wenn Sie ein Arschloch sind, dann haben Sie es verdient, als solches behandelt zu werden.[12]
Stellen Sie höchste Erwartungen an sich selbst und an andere. Dieser goldene Weg zu einem jämmerlichen Leben funktioniert immer und überall. Als der amerikanische Investor Warren Buffett nach dem Geheimnis einer stabilen Ehe gefragt wurde (seine erste hielt 52 Jahre, seine zweite läuft), nannte er nicht etwa Qualitäten wie Schönheit, Intelligenz, Tüchtigkeit oder emotionale Stabilität, die die Partnerin auszeichnen sollte, sondern »low expectations« bei einem selbst. Niedrige Erwartungen seien der beste Garant einer langen, glücklichen Partnerschaft. Wenn Sie also Ihre Beziehung in den Sand setzen wollen, sorgen Sie dafür, dass Sie höchste Erwartungen an Ihren Lebenspartner hegen und, noch wichtiger, dass er oder sie höchste Erwartungen an Sie hegt. Ihre Ehe wird den Kurzzeitrekord einheimsen.