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Immer wenn die kleine Kura-Kura nicht einschlafen konnte erzählte ihr Vater ihr eine Geschichte.Märchen wie die von der Sonne und dem Mond, dem Korua Raksasa, dem Jungen, der sich in einen Stern verliebte, oder dem Mango’nui, dem Großen Weißen Hai. … und natürlich auch die Geschichte von der Prinzessin und dem Schlüssel.
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Inhaltsverzeichnis
Der Ring und der Drache
Kura-Kura und der Korua Raksasa
Das Einhorn und die Elster
Der Junge und der Stern
Die Prinzessin und der Schlüssel
Der Prinz und die Perle
Die Sonne und der Mond
Der Eber, der Rabe und der Zauberer
Der Krieger und die Spitzmaus
Der Schäfer und das Wolfskind
Der Ritter und der Tod
Die Mango’nui
Der Holzfäller und Fräulein Eiche
Der Drache und der Ring
Ein SCHREIBSTARK Buch
Copyright © 2016 by David J. Greening
2. Auflage 2020
Titelbild: Kostas Nikellis. kosv01.deviantart.com
Illustrationen: Thanos Tsilis. thanostsilis.com
Umschlaggestaltung: Patrick Toalster & Martin Henze
Aus dem Englischen übertragen von Charlotte Knöll
SCHREIBSTARK
An imprint of
Schreibstark Verlag der Debus und Dr. Kuhnecke GbR
Saalburgstraße 30
61267 Neu-Ansbach
ISBN 9783946922537
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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David J. Greening
Die Prinzessin
und der Schlüssel
Fabeln, Rätsel & Geschichten
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Für Henrik und Erik und Mathilda
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Danksagung
Ich bin einer ganzen Reihe von Personen für deren Hilfe während des Schreibens dieses Buches zu Dank verpflichtet. Wie so häufig sind dies: Elmar Köhler, für seine Kommentare und produktive Kritik, Christine Billek, Judith May, Stefanie Mertink, Nina Merget und Katha Plum für Meinungsaustausch, Korrekturlesen und hilfreiche Kommentare. Charlotte Knöll möchte ich für ihre gefühlvolle Übertragung ins Deutsche danken, Kostas Nikellis und Thanos Tsilis für ihre gelungene graphische Umsetzung.
Schließlich gilt mein abschließender Dank meinem Kollegen Martin Henze und meinem Bruder Patrick Toalster.
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David J. Greening
Die Prinzessin
und der Schlüssel
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Teil Eins
Anfang
Wir wissen, was wir sind,
doch nicht, was wir sein könnten.
William Shakespeare, Hamlet 4. Akt 5. Szene
Es waren einmal drei Brüder, die lebten zusammen mit ihrem Vater an einem See. Ihre Mutter war früh gestorben und so hatte der Vater sie alleine großgezogen. Gabha, dessen Name in unserer Sprache „Schmied“ bedeutet, war ein Schmied, der alles, was er herstellte, verzaubern konnte. Er war sich jedoch nie sicher gewesen, ob er sein Handwerk und seine Magie an seine drei Söhne weitergeben sollte, denn von ihnen war nur der Mittlere, Mhadra, wohlgeraten. Die anderen beiden, Brí, der Älteste, und Fáinne, der Jüngste, waren hinterlistig und hatten stets Böses im Sinn. Und so kam es, dass nur Mhadra von ihm lernen durfte. Obwohl er nun von ihren Schwächen wusste, so liebte er trotzdem alle drei Söhne gleich, denn sie waren die Einzigen, die ihm von seiner Familie noch geblieben waren.
Eines Tages ging Gabha in seine Schmiede und entschloss sich, etwas ganz Besonderes zu erschaffen.
„Meine Söhne“, sagte er zu seinen drei Söhnen, „heute werde ich etwas schmieden, was ich noch nie zuvor geschmiedet habe. Ich brauche die Schmiede und das Haus für mich alleine, um meine Zauber zu vollbringen.“
Daraufhin nickte Mhadra und ging zum Fischen an den See, doch Brí und Fáinne murrten und wollten der Bitte ihres Vaters nicht nachgeben.
„Kann ich nicht bleiben?“, fragte Fáinne, dessen Name „der Einkreisende“ bedeutet, doch sein Vater schüttelte den Kopf.
„Kann ich Euch helfen, Vater?“, fragte Brí, dessen Name in unserer Sprache „Macht“ bedeutet, listig.
„Du möchtest meine Magie nur erlernen, damit Du sie zu Deinen eigenen Zwecken missbrauchen kannst.“, antwortete der Vater traurig. „Also muss ich auch Dich abweisen. Und nun geht, denn dies ist immer noch mein Haus.“
„Hoffentlich nicht mehr allzu lange.“, murmelte Fáinne und erhob sich, um zu gehen.
„Nur, solange er lebt.“, fügte Brí hinzu, und die beiden Brüder verließen grollend das Haus, um ihren Vater sich selbst und seinen Geschäften zu überlassen.
Gabha befeuerte seine Esse und machte sich an die Arbeit. Er arbeitete den ganzen Morgen und den ganzen Mittag, unaufhörlich und ohne zu ermüden; beständig trieb und formte er das Metall. Als die Sonne unterging, arbeitete er immer noch, und die ganze Nacht über widmete er sich seinem Werkstück und dessen Verzauberung.
Als die Sonne am nächsten Tag endlich aufging, war die Arbeit vollendet. Es zischte und kochte, als er das Werkstück in einen Wasserbottich tauchte und füllte die ganze Schmiede mit Dampf. Als das Metall schließlich abgekühlt war, hielt er das Objekt, das er geschaffen hatte, gegen das Licht, um es zu begutachten. Es war ein Ring; ein Meisterstück, und Gabha wusste, dass nichts, was er von nun an schmieden würde, diesem Ring gleichkommen würde, den er in einem Tag und einer Nacht geschaffen hatte. Er war perfekt. Weich und golden schimmerte er, als ob der Schmied das Licht der Sonne selbst in ihn hineingeschmiedet hätte.
Gabha nahm ihn in die Hand und wog ihn. Er war leicht und schwer zugleich, wie ein goldenes Band, schön in seiner Schlichtheit, und strahlte trotzdem die Komplexität der Magie aus, die er in den Ring hineingewoben hatte. Er streifte ihn über jeden seiner Finger, und jedes Mal passte er perfekt, als ob er für genau diesen Finger gemacht worden wäre. Müde ließ der Schmied den Ring an seinem Finger, beschloss, sich von der harten Arbeit auszuruhen und legte sich auf das Lager, welches genau zu diesem Zweck in der Schmiede stand. Er ahnte nicht, dass er beobachtet worden war.
„Er ist so schön.“, rief Fáinne aus.
„In der Tat, es ist ein Meisterstück.“, stimmte Brí ihm zu und nickte.
Es war nicht das erste Mal gewesen, dass ihr Vater sie gebeten hatte, die Schmiede zu verlassen, solange er arbeitete, und so hatten sie sich über die Zeit einen Ausguck eingerichtet, von wo aus sie ungestört ihren Vater bei der Arbeit beobachten konnten. Und als sie nun den Ring sahen, wussten beide, dass sie ihn besitzen mussten.
„Ich muss ihn haben“, sagte Fáinne, „er ist perfekt.“
„In der Tat.“, stimmte Brí zu, der sowohl tüchtiger als auch hinterlistiger als sein Bruder war, und wünschte sich, den Ring selbst in seine Hände zu bringen. „Vater wird ihn uns jedoch niemals überlassen, weder mir, noch Dir. Wenigstens nicht, solange er lebt.“
„Er ist schon alt“, antwortete Fáinne und grinste bösartig, „und alles stirbt einmal.“
Sein Bruder grinste verständnisvoll zurück und sagte:
„Vielleicht sollten wir der Sache ein wenig auf die Sprünge helfen.“
Und so kamen die beiden Brüder überein, ihren Vater zu ermorden, damit sie Hand an den magischen Ring legen konnten. In den folgenden Wochen schmiedeten sie Ränke und machten einen Plan nach dem anderen. Doch hatten sie nie den Mut, zur Tat zu schreiten, bis zu dem Tag, an dem Mhadra wieder einmal ausgegangen war. Fáinne konnte seine Gier nicht länger zügeln, und sagte:
„Ich werde ihn mir jetzt nehmen! Du kannst mir entweder helfen, oder es sein lassen, ich jedoch werde nicht länger warten!“
„Ich werde Dir helfen, Bruder.“, antwortete Brí, und hob beschwichtigend seine Hände, da er wollte, dass sein Bruder die Tat vollbrächte, sodass er selbst sich nicht die Hände besudeln musste.
„So sind wir uns einig.“, sagte Fáinne, und ging voraus zur Schmiede.
Sie gingen hinein, und jeder nahm sich eines der Schwerter, die ihr Vater hergestellt hatte, und sie gingen zu Gabha, der an seinem Amboss beschäftigt war und sie so weder kommen sah noch hörte. Ohne zu zögern erstach der jüngste Bruder den Vater von hinten, während der älteste danebenstand. Als der Schmied dort im Sterben lag, drehte Brí ihn um, so dass er Hand an den Ring legen konnte, doch er fand jeden einzelnen der Finger seines Vaters bloß und ohne Schmuck.
„Er hat ihn nicht!“, rief er aus. Sofort warf er seinem Bruder einen misstrauischen Blick zu. „Du hast ihn genommen!“
„Ich habe ihn nicht!“, fauchte Fáinne zurück und hielt sein Schwert noch fester in der Hand. „Mhadra, dieser Wicht, muss ihn irgendwie gestohlen haben!“
Dies war tatsächlich nicht weit von der Wahrheit entfernt. Wissend, dass Brí und Fáinne nichts Gutes im Schilde führten, sollten sie Hand an den Ring legen, hatte der Schmied ihn an seinen mittleren Sohn gegeben, bevor er am Morgen zur Arbeit in der Schmiede aufgebrochen war.
„Bringe ihn zu unserem Nachbarn Cúramach!“, hatte der Schmied gesagt. „Er versteht sich auf die Magie und wird ihn weise verwenden.“
Und so war Mhadra ausgegangen und hatte den Ring mitgenommen, ohne zu ahnen, dass er damit den letzten Wunsch seines Vaters erfüllte.
„Dieser Ring besitzt eine große magische Kraft.“, hatte Cúramach gesagt, als Mhadra ihm den Ring seines Vaters überreichte. „Ich werde ihn annehmen, jedoch nicht als Geschenk. Ich werde ihn als Symbol Eures Vertrauens und Eures guten Willens annehmen.“ Und dann, als er bemerkte, wie der junge Mann seine Tochter anblickte, sprach er „Ihr habt den Ring freiwillig zu mir gebracht, ohne daran zu denken, ihn für Euch zu behalten. So will ich Euch im Gegenzug meine Tochter Feírín zur Braut geben.“
Und tatsächlich war Mhadra schon lange in Cúramachs Tochter verliebt, doch hatte er nie ein Geschenk besessen, welches der Tochter eines Zauberers zur Ehre gereicht hätte.
„Willst Du diesen Sohn des Gabha zu Deinem Mann nehmen, Feírín?“, fragte er seine Tochter, deren Name in unserer Sprache „Geschenk“ bedeutet.
„Das will ich, Vater, denn ich liebe Mhadra schon lange.“, antwortete seine Tochter.
„So bin ich Dein, und Du bist mein.“, sprach der Sohn des Schmiedes lächelnd.
„Und so wird Euch dieser Ring, gebunden mit schwarzer Magie, von allen Fesseln befreien.“ sagte Cúramach, dessen Name in unserer Sprache „der Vorsichtige“ bedeutet. „Doch nun müsst Ihr gehen.“
„Darf ich Mhadra nach Hause begleiten, Vater?“, fragte seine Tochter, doch ihr Vater schüttelte den Kopf.
„Können wir dann hierbleiben?“, fragte der Sohn des Schmieds, doch sein Schwiegervater schüttelte erneut den Kopf, und sprach:
„Dieser Ring ist ein Bote des Bösen. Und auch wenn Ihr dies nicht wisst, so ist jeder, der ihn besitzt, zu einem vorzeitigen Ende verdammt. Ihr jedoch nicht“, fügte er rasch hinzu, als Mhadra ihn entsetzt ansah, „denn Ihr wart nur sein Träger, nicht sein Besitzer. Und nun, hinfort!“, befahl er.
Daraufhin fanden sich Mhadra und seine Angetraute Feírín hinweggeweht, aus der Tür hinaus über das Tal, den See und darüber hinweg, dank der Magie des Cúramach, der Ring beiden für immer verloren. Sie würden glücklich sein und viele Kinder haben, von denen eines den Ring zum letzten Mal an seinen Finger stecken würde, doch dies ist eine andere Geschichte.
Gerade, als die beiden in Sicherheit gebracht worden waren, erschienen Brí und Fáinne auf der Türschwelle.
„Gib uns den Ring“, forderte der jüngste der Brüder, „oder Du wirst es noch heute bereuen!“, woraufhin Brí nickte.
„Ich bereue es bereits jetzt“, antwortete Cúramach und nahm den Ring aus seiner Tasche, „denn nichts Gutes wird von ihm kommen.“
Als er ihn hochhielt, entflammte der Hass und die Gier in den Augen der beiden Brüder, und Mordlust durchfloss ihre Adern. Wie immer der Vorsichtigere der Beiden, hielt sich Brí zurück, während sein Bruder nach vorn stürmte und einen langen, bösartig gekrümmten Dolch aus seinem Gürtel zog. Ohne zu zögern stieß er die Klinge in Cúramachs Brust und tötete ihn auf der Stelle.
„Schnell, nimm alle Schätze, die Du finden kannst.“, sagte der Ältere und wandte sich rasch nach links, um der Klinge seines Bruders auszuweichen. „Ich werde den Ring von seinem Finger nehmen!“
„Glaubst Du wirklich, dass ich ein solcher Dummkopf bin, Brí?“, antwortete der jüngere Bruder, „Das bin ich nicht!“
Und, bevor sein Bruder ihn davon abhalten konnte, nahm er den Ring von Cúramachs Finger und streifte ihn sich über. Fáinnes Grinsen wurde immer breiter und grausamer, während sich sein Körper verwandelte und immer größer wuchs. Und als Brí hinsah, bemerkte er, dass der Ring seinen Bruder in einen Drachen verwandelt hatte.
„Ich war es, der getötet hat, also werde auch ich es sein, der die Früchte dieser Arbeit erntet!“, sagte der Drache, dessen Verwandlung immer noch nicht abgeschlossen war.
Aus seiner Haut wurden Schuppen, aus seinen Zähnen Fänge und aus seinen Fingern Klauen.
„Und nun: Hinfort!“, brüllte das Monster, und seine Stimme war so gewaltig, dass sie Brí beinahe von den Füßen fegte.
Da ihm anderweitig nur noch die Möglichkeit blieb, auf der Stelle zu sterben, rannte der älteste Bruder davon, um sein Leben zu retten. Er rannte, bis er nicht mehr rennen konnte, und doch rannte er weiter und weiter, bis er schließlich anhielt, um zurückzublicken. Rauch drang aus dem Hause des Zauberers am See, und Brí schwor sich, zurückzukehren und dem Ungeheuer, in das sich sein Bruder verwandelt hatte, den Ring zu entreißen, doch dies ist eine andere Geschichte.
Es war einmal ein Mädchen. Ihre Leute wurden Shardana genannt, was in unserer Sprache „Seevolk“ bedeutet. Sie lebten als Fischer und Händler im Stillen Ozean, weit drüben im Osten. Das Mädchen hatte ihre Eltern in einem Sturm verloren und war so zur Waise geworden, doch obwohl sie von vielen Familien aufgenommen worden war, hatte sie nie ein echtes Zuhause gefunden. Und so wurde sie schweigsam und zog sich in sich zurück, und ihr echter Name, den ich euch nicht verraten werde, weil dies eine andere Geschichte ist, geriet in Vergessenheit. Und schon bald nannte jeder sie Kura-Kura, was in unserer Sprache „Schildkrötenmädchen“ bedeutet.
Tawhito und Tua waren ein altes Paar, das selbst nie Kinder gehabt hatte. Eines Tages sagte Tawhito zu seiner Frau:
„Kura-Kura hat keine Eltern, und wir haben keine Kinder. Das ist nicht richtig. Wir sollten sie adoptieren, Weib.“
„Sie ist ein wildes Kind“, antwortete Tua, „und ist schon so lange alleine. Werden wir ein solches Mädchen jemals zähmen können?“
„Du hast recht, Weib!“, sagte Tawhito nachdenklich. „Wir sollten besser gar nicht versuchen, sie zu zähmen. Vielmehr sollten wir sie so akzeptieren, wie sie ist, wild und frei. Denn“, so fuhr er fort, „wenn wir sie lieben wollen wie unser eigenes Kind, so müssen wir sie so lieben, wie sie ist.“
Tua stimmte zu und so geschah es. Kura-Kura wurde von Tawhito und Tua adoptiert, und sie gaben ihr den Namen Tamaiti, was in unserer Sprache „Kind“ bedeutet. Doch weil sie so viel verloren hatte, plagte sie des Nachts die Angst, also kam ihr Vater zu ihr, um ihr Geschichten zu erzählen. Tamaitis Lieblingsgeschichte war die über den Korua Raksasa.
„Kannst Du nicht schlafen, Tamaiti?“, würde Tawhito dann fragen.
„Nein, Ayah.“, antwortete sie dann, und Ayah bedeutet „Vater“ in unserer Sprache. „Erzählst Du mir eine Geschichte?“
Und ihr Vater würde seufzen und vorgeben, beschäftigt oder müde zu sein, oder gar beides. Doch er würde sich immer neben sie auf das Bett setzen und ihr eine Geschichte erzählen.