Die Queen - Ronald D. Gerste - E-Book

Die Queen E-Book

Ronald D. Gerste

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Beschreibung

Die politische Biographie Ein Leben jenseits des Boulevard: Königin Elisabeth II. als Diplomatin und Politikerin, als eine Handelnde in einem Jahrhundert voller Herausforderungen Queen Elisabeth II. verkörpert eine ganze Epoche, ein elisabethanisches Jahrhundert. Ronald D. Gerste erzählt zum ersten Mal das Leben der Monarchin als Teil der europäischen Geschichte, Kultur und Politik: Eine elegante und höchst informative Würdigung eines langen Lebens in Politik und Diplomatie. Weltkrieg und Europäische Einigung, Beatlemania und Brexit, Staatsbesuche und Annus horribilis: An diesem Leben haben drei Generationen von Europäern teilgenommen. Zum ersten Mal wird die politische Dimension im Wirken Queen Elisabeths II. dargestellt und ihre Bedeutung als Ikone eines ganzen Zeitalters gewürdigt. Wir begleiten sie durch das Auf und Ab Großbritanniens, Europas und der Welt. Mit feinem historischen Spürsinn  schildert Ronald D. Gerste die Stationen eines bewegten Lebens und unserer Wahrnehmung dieser Königin, ihres Wirkens und der Umwälzungen in ihrem und unserem Dasein: Kalter Krieg und Entkolonialisierung, Cool Britannia mit den Beatles, Queen (die Band) und James Bond, die Herausforderungen durch allgegenwärtige Medien. Ob wir sie in Windsor, in Berlin, in Johannesburg, in Washington oder in Balmoral sehen, spätestens seit dem Tod dieser außergewöhnlichen Königin ist uns bewusst: Es wird nie wieder jemanden wie sie geben.

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Seitenzahl: 443

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Cover for EPUB

Ronald D. Gerste

Die Queen

Elisabeth II. und ihr Zeitalter

Klett-Cotta

Impressum

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung einer Abbildung von © 1950 Gamma-Keystone, Getty Images

Gesetzt von Dörlemann Satz, Lemförde

Gedruckt und gebunden von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-608-98675-4

E-Book ISBN 978-3-608-11993-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Vorwort

Prolog

1.

 The King’s Speech

2.

 Bastion der Demokratie

3.

 Their finest hour

4.

 Ein Europäer

5.

 Bleierne Zeiten

6.

 Die Krone

7.

 Commonwealth

8.

 Der große Smog

9.

 Kalter Krieg

10.

 Fiasko am Kanal

11.

 Die ganz besondere Beziehung

12.

 Wenn Privates zum Politikum wird

13.

 Noch eine besondere Beziehung: Deutschland

14.

 Cool Britannia 1: Die 1960er

15.

 Europa 1: Der »Brentry«

16.

 Die »Troubles«

17.

 Konservative Revolution

18.

 Cool Britannia 2: Die 1980er

19.

 Krisen, Kriege, Katastrophen

20.

 Abendglanz

21.

 Europa 2: Der »Brexit«

22.

 Abschied

Epilog

Das Elisabethanische Zeitalter

Glossar

Anmerkungen

1. The King’s Speech

2. Bastion der Demokratie

3. Their finest hour

4. Ein Europäer

5. Bleierne Zeiten

6. Die Krone

7. Commonwealth

8. Der Große Smog

9. Kalter Krieg

10. Fiasko am Kanal

11. Die ganz besondere Beziehung

12. Wenn Privates zum Politikum wird

13. Noch eine besondere Beziehung: Deutschland

14. Cool Britannia 1: Die 1960er

15. Europa 1: Der »Brentry«

16. Die »Troubles«

17. Konservative Revolution

18. Cool Britannia 2: Die 1980er

19. Krisen, Kriege, Katastrophen

20. Abendglanz

21. Europa 2: Der »Brexit«

22. Abschied

Epilog Das Elisabethanische Zeitalter

Bildnachweis

Namensregister

For Jacky, Chester, Victoria, Amelia and Ben

Vorwort

Die Queen blickte mir direkt in die Augen. Und, ja, ich vermeinte, ein Lächeln auf ihren Zügen zu bemerken, ein Lächeln nur für mich.

Dem Achtjährigen, der an der Hand seiner Mutter direkt hinter der Absperrung auf der Königsallee in der ersten von vielen Reihen von Schaulustigen stand, brannte sich das Bild von Elisabeth II. für immer in die Hirnwindungen ein. Die offene Limousine, die Königin in ihrem hellblauen Kostüm, ihr gleichmäßiges Winken in die Menge und der freundliche Blick – der großgewachsene Mann, der neben ihr im Fond des Wagens stand, fiel mir kaum auf; zu schnell war die Kolonne an uns vorbeigefahren auf ihrem Weg zum Düsseldorfer Rathaus und dem Empfang durch die Honoratioren der Stadt und des Landes Nordrhein-Westfalen, welches auf britische Initiative entstanden war. Meine Mutter, die auf frühzeitiges Kommen bestanden hatte, das sich unendlich langweilig gestaltete und meine Beine schmerzen ließ, erklärte mir, das sei Prinz Philip(1) gewesen, der Gatte der Queen. Und dass die Queen daheim im Buckingham-Palast auch zwei Söhne habe, etwas jünger als ich, und daneben zwei größere Kinder.

Die flimmernden Filmaufnahmen vom Besuch Königin Elisabeths II. in Deutschland im Mai 1965 wirken wie aus einer anderen, einer verschwundenen Welt. Unendlich viele historische Wegmarken hat die Menschheit, haben wir Europäer seither erlebt: die Mondlandung und den Mauerfall mit dem Aufbrechen der rivalisierenden Machtblöcke, die immer wieder aufflammenden Wellen von Terror, den Siegeszug von damals undenkbaren Technologien mit Digitalisierung und Internet, atemberaubenden wissenschaftlichen Fortschritt und dann noch die Heimsuchung durch eine Pandemie. Schließlich gibt es sogar wieder Krieg in Europa – einen Krieg hat Elisabeth in ihren Teenagerjahren hautnah (bei deutschen Bombenangriffen auf den Großraum London) mitbekommen.

Mein Ziel war es, Elisabeth II. als eine Konstante, nein: als die einzige Konstante eines langen Zeitalters zu würdigen, als ich dieses Buch in der Abendsonne ihrer langen Regierungszeit begann. Und mit Ihnen, den Leserinnen und Lesern, dieses Leben vor dem Hintergrund der Zeitläufte Revue passieren zu lassen – eine politische Biografie eines Staatsoberhauptes, das sich eigentlich gemäß der britischen Konstitution nie hätte politisch äußern dürfen.

Der Gedanke, dass sie einmal nicht mehr da sein könnte, hatte stets etwas Unwirkliches. Am 8. September 2022 wurde er Realität. So deckt das Buch, das Sie in den Händen haben oder auf Ihrem Screen lesen, wirklich ihr ganzes Leben ab. Das war nicht beabsichtigt und macht den Autor beim Abfassen dieser Worte traurig. Dem Klett-Cotta-Verlag bin ich dafür verbunden, dass eine solche hochaktuelle Betrachtung eines einzigartigen Lebens möglich gemacht wurde. Stellvertretend für alle Beteiligten möchte ich dafür Dr. Christoph Selzer, Anja Krämer, Julian Hermann und Dr. Daniel Kah danken.

Der Tod der Queen hinterlässt noch ein wenig mehr Unsicherheit in einer ohnehin unsicheren Zeit – für Großbritannien, für Europa und für das Commonwealth. Und für alle, die gelegentlich eine Stütze suchen, einen Anker von Beständigkeit in allen Stürmen. Es gilt, was Frankreichs Präsident Emmanuel Macron(1) in seiner Botschaft an die Menschen in Großbritannien ausdrückte:

To you, she was your Queen.

To us, she was The Queen.

She will be with us forever.

Washington, DC, im September 2022

Prolog

Die Welt stand am Beginn einer großen Krise und die Queen wählte ihre Worte mit Bedacht. »Wir haben früher vor Herausforderungen gestanden, doch diese ist etwas Besonderes.« Es war ein Sonntagabend und Elisabeth II. wandte sich von Windsor Castle an ihre Landsleute im Vereinigten Königreich und an Zuschauer über dessen Grenzen hinaus. »Ich hoffe«, so fuhr sie fort, »dass in den Jahren, die kommen werden, alle mit Stolz darauf zurückblicken können, wie sie dieser Herausforderung begegnet sind. Und dass die nach uns Kommenden sagen werden, diese Generation von Briten war so stark wie alle zuvor. Dass Eigenschaften wie Selbstdisziplin, ruhige, humorvolle Entschlossenheit und das Gefühl des Miteinanders nach wie vor typisch für unser Land sind. Der Stolz darauf, wer wir sind, ist kein Stück Vergangenheit – er definiert unsere Gegenwart und unsere Zukunft.«

Es war der Abend des 5. April 2020. In weiten Teilen der Welt war das Leben, wie es für die Menschen bislang Normalität gewesen war, zum Stillstand gekommen. Eine Pandemie hatte sich, aus China kommend, über den Planeten ausgebreitet. Während der Regierungszeiten Queen Victorias(1), der letzten Königin, die noch ein Empire regierte, breitete sich die Cholera in etwa mit der Geschwindigkeit der Dampfschiffe von Kontinent zu Kontinent aus. Heute explodieren die Infektionszahlen geradezu, weil das dichte, den Globus umspannende Netz des internationalen Flugverkehrs SARS-Cov-2 binnen Stunden weltweit weitertragen kann. Selbst der Ärmelkanal, für rund eintausend Jahre nahezu unüberwindliche Barriere Englands, schützte die Nation nicht länger. So suchten die Gesellschaften einer globalisierten Welt, ihre Regierungen und die sie beratenden Experten Zuflucht in Rezepturen, die aus überkommenen Zeiten oder aus düsteren Science-Fiction-Filmen zu stammen schienen: Isolation und Quarantäne, Lockdown und Rückzug ins Allerprivateste. Im Londoner Westend leuchteten die Neonschilder der Theater nicht länger, in Heathrow machte sich beinahe so etwas wie Ruhe breit, und wenn es Schauplätze voller Hektik und Betriebsamkeit gab, waren es die Hospitäler des National Health Service (NHS), die – so erfuhr man im Fernsehen und aus den Zeitungen – mit Coronapatienten überfüllt waren. Wie die Kliniken in Deutschland, in Italien, in den USA und in zahlreichen anderen Ländern.

Die Pandemie war das dramatischste und für viele Betroffene tödliche, aber bei weitem nicht das einzige Symptom dafür, dass mit den 2020er Jahren eine neue Epoche der Unsicherheit angebrochen war; ein Zeitalter, das sich aufs Nachdrücklichste von seinem Namensvetter im Jahrhundert zuvor, den lebensfrohen Roaring Twenties, den »Goldenen Zwanzigern« unterschied und das die nach dem Ende des Kalten Krieges von dem Harvard-Politologen Francis Fukuyama(1) formulierte These vom »Ende der Geschichte« auf tragische Weise ins Lächerliche zog. Zeichen eines Umbruchs, meist unerfreuliche, wenig Gutes verheißende, manifestierten sich in rascher Reihenfolge. Das scheinbare Naturgesetz, wonach die demokratischen Gesellschaften Europas unweigerlich unter einem Konstrukt namens EU immer weiter zusammenwachsen und schließlich die Nationalstaatlichkeit unter dem Dach der Brüsseler Institution hinter sich lassen würden, war ausgerechnet von Großbritannien, dem Mutterland der modernen europäischen Demokratien (»modern« zur Abhebung von Griechenland, der traditionellen Geburtsstätte der Demokratie), torpediert worden. Nach einem an der Wahlurne abgegebenen Beschluss seiner erwachsenen Bevölkerung – ein unzweifelhaft basisdemokratischer Prozess – wurde der Brexit umgesetzt. Als viel schlimmer noch sollte es sich herausstellen, dass Krieg in Europa wieder möglich wurde, als eine Großmacht im Frühjahr 2022 ein kleineres, vermeintlich schwaches Nachbarland überfiel und dabei ihre Waffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung einsetzte. In Asien schließlich bereitet das verbal und durch Taten zunehmend aggressive Auftreten Chinas, des diktatorisch regierten bevölkerungsreichsten Landes der Welt, seinen Nachbarn ebenso Sorge wie der einzigen hegemonialen Demokratie der Welt, den USA.

Die alte Dame, die an diesem Abend in Windsor ernst, aber nicht bedrückt in die Kamera blickte, war in ihren zu diesem Zeitpunkt fast 94 Jahren Zeitzeugin von Krisen und Katastrophen geworden, hatte praktisch alle Staatsverantwortung tragenden Persönlichkeiten der Zeitgeschichte getroffen (mit Mao(1) und Fidel Castro(1) unter den Ausnahmen). Wohl auch deshalb verließ sie angesichts der Heimsuchung durch Covid-19 weder ihr Mut noch ihre Zuversicht. Es war bemerkenswerterweise in exakt demselben Raum, dem White Drawing Room in Windsor Castle, von dem aus sie erstmals zu ihren britischen Landsleuten – oder, nach einem überkommenen Begriff: Untertanen – und zu Radiohörern in vielen Teilen der Welt gesprochen hatte. Achtzig Jahre zuvor war die noch fast kindliche Stimme der Vierzehnjährigen aus den Empfängern zu hören gewesen, als sie in der Children’s Hour der BBC versicherte: »Wir wissen, ein jeder von uns, dass am Ende alles gut sein wird.« Die junge Prinzessin sprach damals, im Oktober 1940, in einem Land, das eine Invasion der Kriegsmaschinerie der Hitler(1)-Diktatur erwarten musste, eine letzte Bastion der Freiheit (neben wenigen neutralen Ländern wie Schweden und der Schweiz) in einem Europa, das von den übelsten Tyrannen der Geschichte, Stalin(1) und Hitler, unterjocht war.

Wie damals war Queen Elisabeth auch in den ersten dunklen Tagen der Pandemie eine Stimme, nein, geradezu die Verkörperung von Zuversicht, von Stärke, von Gewissheit, dass auch diese Heimsuchung überwunden werden würde: »Dieses Mal sind wir mit allen Nationen der Welt in einer gemeinsamen Kraftanstrengung vereint; wir werden die großen Fortschritte der Wissenschaft und unser instinktives Mitempfinden nutzen, um zu heilen. Wir werden Erfolg haben – und es wird der Erfolg eines jeden Einzelnen von uns sein.«

Die veränderten Umstände der frühen 2020er Jahre verlangten auch der Queen viel ab. Sie befolgte social distancing gewissenhaft und zog sich vom Buckingham Palace nach Windsor zurück. Die traditionelle Eröffnung des Parlaments, die sie nur zweimal (während ihrer Schwangerschaften mit ihren beiden jüngeren Söhnen) versäumt hatte, übernahm im Frühjahr 2022 zum ersten Mal ihr Sohn Charles, der Prince of Wales(1) (der heutige König Charles III.(1)). Der Rekord seiner Mutter, der am längsten regierenden Monarchin der englischen Geschichte, hatte zu diesem Zeitpunkt auch statistische Konsequenzen für ihren Sohn: Seit mehreren Jahren schon war er der Thronfolger im am längsten dauernden Wartestand. Besonders melancholisch mochten auf Beobachter die Bilder einer allein in der Kirchenbank um ihren Ehemann trauernden alten Dame wirken – der Abschied von Prinz Philip(2), ihrem Gemahl über mehr als 74 Jahre, fand im kleinstmöglichen Rahmen statt. Doch wahrscheinlich war es das, was ihr immer vorgeschwebt hatte: Die private Person Elisabeth Windsor, die es neben der öffentlichen Person, der geradezu zu einer Ikone der Gegenwart gewordenen Königin, stets gab, dürfte das stille Gedenken einem Staatsbegräbnis und damit einem globalen Medienereignis vorgezogen haben. Ganz anders sah es im Jahr darauf aus: Kundgebungen der Dankbarkeit und der Trauer durch breite Bevölkerungsschichten, eine die ganze Welt erfassende Betroffenheit beim endgültigen Abschied von einer Persönlichkeit, die für die meisten Menschen immer präsent war, begleiteten die Queen auf ihrer letzten Reise, von Balmoral nach Windsor, nach ihrem Heimgang im September 2022.

Die Institution, die zu vertreten ihr Lebensinhalt gewesen war und die sie gegen alle Zweifel, gegen alle immer wieder ihr Haupt erhebenden Tendenzen einer Republikanisierung und gegen Gespött, eher aus dem Ausland als aus Großbritannien selbst, ungeachtet einiger schwerer Krisen oder vielleicht gerade durch deren Überwindung zu einer Erfolgsgeschichte gemacht hatte, erfuhr – wieder einmal – eine Rechtfertigung, als im neuen Zeitalter der Unsicherheit das Fundament der stärksten Republik auf Erden erschüttert wurde. Am 6. Januar 2021 stürmte ein vom Wahlverlierer Donald Trump(1) aufgeputschter Mob das Capitol in Washington, das Herzstück der amerikanischen Demokratie, die ihre Entstehung auf die Rebellion gegen die englische Krone zurückführt. Einer der zu diesem Zeitpunkt vierzehn britischen Premierminister, die unter der Queen gedient hatten, der Labour-Politiker Tony Blair(1) erklärte: »Was in Amerika geschehen ist, ist, dass Menschen den Präsidenten, für den sie nicht gestimmt haben, nicht als ihren Präsidenten sehen – und das ist für Amerika in der Zukunft sehr gefährlich. In Großbritannien hingegen wird die Monarchie als über den Dingen stehend gesehen, das ist ihre Essenz. Es tut uns gut. Denn sie liefert den uns verbindenden Zusammenhalt, den die Politik nicht geben kann.« Die Kraft der Monarchie liegt nicht in ihrer eigenen Macht – die sehr begrenzt ist – sondern in der Macht, die sie anderen Kräften vorenthält. Tony Abbott(1), der ehemalige australische Regierungschef, beschrieb es mit den Worten: »Ländern, die ein solches Symbol über und jenseits der Politik nicht haben, fehlt ein Sicherheitsventil. Die großartige Sache ist, dass sie die Hitze aus dem politischen Streit herausnimmt, weil wir alle am Ende der Krone ein bestimmtes Maß an Respekt zollen.«

Die Wahrnehmung der eigenen Lebensepoche, die persönliche Sicht der sogenannten Zeitgeschichte wird für jeden von uns durch Personen geprägt, vielfach durch Künstler, Stars und celebrities, vor allem aber durch Politiker, die für das Schicksal des eigenen Landes oder der Welt entscheidend waren. Je nach Herkunftsland oder Staatswesen sind es Präsidenten oder Premierminister, Bundeskanzler oder – für jene, die einen prägenden Teil ihres Lebens in der DDR verbracht haben – Staatsratsvorsitzende, die eine Epoche und auch einen eigenen Lebensabschnitt definieren. Es sind amerikanische Präsidenten, chinesische und sowjetische Parteichefs oder russische Präsidenten, welche die internationale Machtbalance ebenso wie das Bild ihrer Nation in den Augen der Welt prägen oder verändern, in geringerem Maße vielleicht auch die Regierungschefs von Ländern wie Deutschland und Frankreich, Indien und Brasilien, Japan und Südafrika. Dazu kommen für die auf allen Kontinenten lebenden Katholiken die Päpste.

Alle diese Persönlichkeiten scheinen – und sind es quasi oft per Amtsdefinition – austauschbar. Ein amerikanischer Präsident regiert maximal acht Jahre, ein Papst meist bis zum Ende seines Lebens (mit Benedikt XVI.(1) als Ausnahme). Queen Elisabeth II. hingegen war die einzige personelle Konstante in der Welt seit kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Ihre Regierungszeit sah neben den fünfzehn britischen Premierministern und Premierministerinnen(1) – die letzte Inhaberin dieses Amtes, Liz Truss(1), ernannte Elisabeth noch zwei Tage vor ihrem Tod – eine gleich große Zahl amerikanischer Präsidenten kommen und gehen sehen, dazu neun deutsche und sechzehn österreichische Bundeskanzler (zwei in Überbrückungsfunktion amtierende nicht mitgezählt) – angesichts der nur ein Jahr amtierenden Schweizer Bundespräsidenten mag ein jeder für die Confoederatio Helvetica nachzählen, mit Startpunkt 1952. Und auch Päpste hat die Queen miterlebt und überlebt: sieben an der Zahl.

Die englische Königin war das Gesicht unserer Epoche geworden, sie war immer da und nach den Worten David Camerons(1), eines anderen ihrer Premierminister, »der goldene Faden, der sich durch drei Nachkriegsgenerationen zieht«. Der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon(1) nannte sie den »Anker unseres Zeitalters«. Den Stationen im Leben der Queen zu folgen, ist daher auch eine Reise durch die Zeitgeschichte. Dies ist eine politische Biografie, welche Elisabeth als Repräsentantin eines Zeitalters begleitet, in dem sie Handelnde ebenso wie Getriebene war, in dem sie eine sichtbare und manchmal unsichtbare Rolle in ihrem und für ihr Land spielte, aber auch eine enge Beziehung zu Entwicklungen in Deutschland und Europa hatte. Und in der sie nicht zuletzt als Oberhaupt des von ihr so geschätzten Commonwealth und als geschickte Diplomatin die Fäden auf der Weltbühne in weitaus stärkerem Maße zog, als man es bei einer Monarchie, die der ungeschriebenen englischen Verfassung gemäß vor allem Repräsentanz und wenig reale Macht darstellt, vermuten möchte. Der amerikanische Präsident Barack Obama(1) sagte einmal, er sei stolz, zwei Giganten des 20. Jahrhunderts getroffen zu haben, Nelson Mandela(1) und Queen Elisabeth. Es steht zu vermuten, dass er zu bescheiden war – er hatte auch eine Gigantin des frühen 21. Jahrhunderts kennen gelernt.

Auf diesem Familienbild aus dem Jahr 1930 überragt Elisabeth Alexandra Mary im Alter von etwa vier Jahren ihre Eltern: den späteren King George VI. und seine Gattin Elizabeth, nach seinem Tod Queen Mum genannt. Auch an Regierungsjahren sollte Elisabeth II. ihren Vater deutlich übertreffen.

1.

The King’s Speech

Auch am Anfang stand eine Live-Übertragung. Und auch diesmal kam die Stimme aus Windsor Castle – nur die Stimme, denn am 11. Dezember 1936 war das Fernsehen noch im Experimentalstadium. Die Menschen hatten sich vor ihren Radiogeräten versammelt, der modernsten Technologie in der Massenkommunikation. Der blonde Mann(1) saß sichtlich nervös vor dem Mikrofon und nahm einen letzten Zug aus seiner Zigarette. In vielen Wohnungen im gesamten Vereinigten Königreich war es zu dieser Stunde, um zehn Uhr an einem kalten Winterabend, fast totenstill, mit dem Knistern und Rauschen aus dem Empfänger als einzigem Geräusch in den Wohnzimmern der Briten oder in den Pubs im Lande, wo man die Lautstärke voll aufgedreht hatte, so dass jeder Gast über seinem Pint die Worte hören konnte, deren Inhalt man längst erahnte. Vielerorts warteten die Menschen angespannt und im Bewusstsein, dank eben dieser technischen Neuerung bei einer historischen Stunde so nah dabei zu sein wie nie zuvor, auf den Beginn der Sendung.

Die Stille wurde durch die Stimme des Ansagers, der kein Geringerer als Sir John Reith(1), der Direktor der BBC war, unterbrochen: »Hier ist Windsor Castle. Seine Königliche Hoheit, Prinz Edward(2).« Dieser versuchte seiner Aufregung Herr zu werden, schlug ein Bein über das andere, wobei er mit seinem Schuh gegen den Schreibtisch mit dem Mikrofon stieß, was zur Beunruhigung mancher Zuhörer im Lande als lauter Knall aus den Radioempfängern kam. Doch dann fasste er sich und las den sorgsam vorbereiteten Text ab. Die entscheidenden Sätze lauteten: »Sie alle kennen die Gründe, die mich veranlasst haben, dem Thron zu entsagen. Aber Sie müssen verstehen, dass ich bei diesem Entschluss das Land und das Empire, dem ich als Prince of Wales und jüngst als König(1) über 25 Jahre zu dienen versuchte, nicht vergessen habe. Sie müssen mir jedoch glauben, wenn ich Ihnen sage, dass ich es unmöglich gefunden habe, die schwere Last der Verantwortung zu tragen und meinen Pflichten als König so nachzukommen, wie ich es mir wünschen würde, ohne die Hilfe und die Unterstützung der Frau(1), die ich liebe.«[1]

Mit diesen Worten und mit der von ihm am Tag zuvor unterschriebenen Abdankungserklärung war die Regentschaft von König Edward VIII.(2) nach weniger als elf Monaten zu Ende(3). Die Frau, der er so öffentlich seine Liebe erklärt und für die er dem Thron entsagt hatte, war die Amerikanerin Wallis(2) Simpson. Sie war von ihrem ersten Ehemann geschieden und stand – um für Edward frei zu sein – vor ihrer zweiten Scheidung. Als Oberhaupt der Church of England konnte der König indes keine geschiedene Frau heiraten. Dies war der wohl wichtigste Grund der Opposition der staatstragenden Kräfte, vor allem der Labour-Regierung in Großbritannien und in den zu diesem Zeitpunkt fünf Dominions in Übersee (Australien, Neuseeland, Kanada, Südafrika und Irland), die bei einer so elementaren Entscheidung über das Privatleben ihres Staatsoberhauptes ein Mitspracherecht hatten. Unterstützung bei seinem Ansinnen, Wallis Simpson zu heiraten, fand Edward hingegen vor allem bei einem konservativen Politiker, der als unberechenbar und als ein Mann galt, dessen Karriere längst hinter ihm lag, dem Unterhausabgeordneten für den Wahlkreis Epping,[2] dem 62-jährigen Winston Spencer Churchill(1).

Freilich waren es nicht nur konstitutionelle Gründe, die des kurzzeitigen Königs Hoffnung zunichte machten, mit Wallis(3) an seiner Seite, vielleicht sogar mit ihr als Queen über das Empire zu regieren. In die Erwägungen, mehr noch in die Stimmungslage bei den Entscheidungsträgern, darunter auch bei Edwards engsten Verwandten innerhalb der königlichen Familie, gingen noch andere Faktoren ein – Emotionen, Vorbehalte und vor allem Gerüchte. Die Tochter eines Getreidehändlers aus Baltimore wurde von Edwards(1) Eltern, King George V.(1) und Queen Mary(1), zunächst höflich-kühl behandelt, bald aber weitgehend boykottiert. Noch ablehnender war Edwards jüngerer Bruder Albert, vor allem aber dessen Frau Elizabeth(1), die spätere und dann weithin als großmütterlich-drollig geschätzte Queen Mum(1). Die Amerikanerin, so munkelte man, sei vor allem auf Edwards Geld und auf eine führende gesellschaftliche Position aus. Hinter vorgehaltener Hand machten noch prickelndere Hypothesen die Runde. Wallis habe den jungen König, der eine lange Vorgeschichte von Affären mit bevorzugt verheirateten Frauen hatte, sexuell im Griff. Sie habe als junge Frau(4) während eines längeren Aufenthalts in China gewisse Techniken gelernt, sie habe – und in dieser Situation mischte sich sogar das Büro des Erzbischofs von Canterbury ein – dem König bei intimen Problemen geholfen und sei ihm gar bei einer nicht näher bezeichneten »abnormen« Veranlagung entgegengekommen.

Die Gerüchteküche, gegen die der pro forma mächtigste Mann der Welt(3) – denn das Britische Empire war demografisch, politisch und militärisch noch die Weltmacht Nummer eins, auch wenn wirtschaftlich die USA die Spitzenposition einnahmen – weitgehend wehrlos war, lieferte indes ein weiteres Narrativ, das sich angesichts der bedrohlichen Situation in Europa gefährlich mit Wallis(5)’ vermeintlicher Promiskuität ergänzte. Mrs. Simpson nämlich erfreue sich der Aufmerksamkeit des deutschen Botschafters am Hof von St. James, des Herrn Joachim von Ribbentrop(1). Über das Ausmaß der Bewunderung des Herrn von Ribbentrop für Wallis Simpson waren sich die Lästermäuler im zunehmend erhitzten politischen London des Jahres 1936 freilich nicht ganz einig. Das Geflüsterte reichte vom täglichen, vielleicht auch nur wöchentlichen Blumengruß des ehemaligen Sekthändlers[3] bis gar zum von Wallis mit dem Nazi-Diplomaten geteilten Nachtlager. Der künftige Außenminister des Nazi-Regimes, der 1946 in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet werden sollte, hielt große Stücke auf die Frau an der Seite des neuen englischen Königs, wie auch dieser in Berlin als Hoffnungsträger gesehen wurde – als Monarch, unter dem eine britische Regierung möglicherweise untätig bleiben würde, wenn sich Deutschland gemäß Hitlers(2) bereits in Mein Kampf geäußerten Vorstellungen mit militärischen Mitteln »Lebensraum im Osten« holen würde. Anhänger einer solchen Verschwörungstheorie sahen sich im Jahre darauf glänzend bestätigt, als das inzwischen verheiratete Ehepaar, nun Duke(1) and Duchess of Windsor(6), im Oktober 1937 Hitler auf dem Obersalzberg besuchte und der ehemalige englische König den deutschen Diktator mit dem ausgestreckten rechten Arm, dem »Deutschen Gruß«, seine Aufwartung machte.

Diesen Gruß sieht man auch, es sei am Rande angemerkt, in einem von den Windsors vermutlich im Jahr 1933 oder 1934 aufgenommenen, siebzehn Sekunden langen Schmalfilmstreifen: Die Royals pflegten damals bereits ein Hobby, das ihre Aufgeschlossenheit für moderne Technik belegt. Elisabeth(1) (etwa sieben Jahre alt) und ihre Schwester Margaret(1) (etwa drei Jahre alt) erheben darin den rechten (bzw. in Margarets Fall den linken) Arm.[4] Es ist erkennbar ein Jux, das Nachahmen einer Gebärde, die man höchstwahrscheinlich in den newsreels, der Wochenschau, gesehen hatte. Gut achtzig Jahre später veröffentlichte die Boulevardzeitung Sun den Streifen als kurzen Videoclip. Das Bemühen, einen Skandal aus diesem in Kenntnis des weiteren Verlaufs der Geschichte geschmacklosen Spaß zu konstruieren, war deutlich erkennbar. Bedenklich ist indes, dass der Onkel der Mädchen, nämlich Edward(2), seinen Arm nicht nur am Schluss des Clips hob, sondern auch noch bei seiner Deutschlandreise 1937. Dazwischen wäre eigentlich genug Zeit gewesen dazuzulernen.

Des bisherigen Königs Rede endete mit dem Hinweis darauf, dass auch in ernsten Stunden England nicht ohne einen Monarchen bleibe, dass die Übergänge nahtlos seien und die Institution stabil sei, komme was wolle: »Und nun haben wir alle einen neuen König. Ich wünsche ihm und Ihnen, seinem Volk, von ganzem Herzen Glück und Wohlstand. God bless you all. God save the King!« Noch am selben Abend verließ der König Edward VIII.(4), nachdem er abgedankt hatte, nunmehr als Duke of Windsor(3) auf einem Kriegsschiff das Land.

Wohl niemand hatte diesen Tag und diese Entwicklung so gefürchtet wie der mit dem traditionellen Ausruf Angesprochene. Wenige Tage vor seinem 41. Geburtstag war der Duke of York, Prinz Albert Frederick Arthur George(1), zum Nachfolger seines ein Jahr älteren Bruders geworden. Im Familienkreis wurde er »Bertie« genannt, offiziell war er von nun an King George VI.(1) Seine Mutter, Queen Mary(2), wusste um seine Befindlichkeit: »Das ist ein schrecklicher Schlag für uns alle, aber ganz besonders für den armen Bertie!«[5] Er war indes nicht der Einzige, dessen Leben durch den Rücktritt Edwards VIII.(5) eine dramatische Wendung genommen hatte. Denn nun waren auch für des neuen Königs zehnjährige Tochter(2) die Weichen in eine ganz andere Richtung gestellt. Jeder in der Familie nannte sie Lilibet(1). Getauft war sie auf den Namen Elizabeth Alexandra Mary, nach (in dieser Reihenfolge) ihrer Mutter, Urgroßmutter und Großmutter.

Dass die beiden schwersten Krisen der britischen Monarchie in der Neuzeit fast exakt einhundert Jahre auseinanderliegen, dürfte weniger bemerkenswert sein als die bezeichnende Konstellation, dass es zwei Frauen waren, die diese Institution retteten und ihr neues Ansehen und Respekt verschafften. Dies gelang ihnen durch ein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein, die Fähigkeit, der Monarchie auf würdige Weise Glanz und Glamour zu verleihen, und eine im Privaten untadelige Lebensführung (was freilich nicht für alle ihre Kinder zutraf). Was sich als mindestens ebenso wertvoll erwies, war eine robuste Konstitution, die ihnen eine bemerkenswerte Gesundheit und ein langes Leben bescherte, was beide Frauen zu den am längsten regierenden gekrönten Häuptern Großbritanniens machte. Völlig zu Recht gaben beide, Queen Victoria(2) und Queen Elisabeth II., einem ganzen Zeitalter ihre Namen. Auch wenn dies für Victoria(3) längst anerkannt und gebräuchlich ist, dürfte sich die Wertung eines zweiten Elisabethanischen Zeitalters bald einbürgern.

War es 1936 die weithin als Verantwortungslosigkeit skizzierte Neigung Edwards VIII.(6), sein Privatleben und das Zusammensein mit Wallis(7) Simpson über die Pflichten als Staatsoberhaupt zu stellen, so war in den 1830er Jahren die Monarchie personell erkennbar ausgebrannt. Ihr mangelte es an dem sprichwörtlich frischen Blut, an einer unverbrauchten Persönlichkeit. Dem über weite Strecken seiner langen Regierungszeit (1760–1820) von einer psychiatrischen Krankheit heimgesuchten und schließlich amtsunfähigen George III.(1) (»Mad King George«) waren zwei seiner Söhne gefolgt, deren charakterliche Mängel weithin sichtbar waren, George IV.(1) (1820–1830) und William IV.(1) (1830–1837). Wenig einnehmend in den Augen der Öffentlichkeit war das durch sexuelle Ausschweifungen geprägte Privatleben der in sehr reifem Alter (mit 57 bzw. mit 64 Jahren) auf den Thron gelangten Herren.

Wie es um das Familienleben der königlichen Familie stand, mag die Tatsache beleuchten, dass die sieben Söhne Georges III.(2) (er und seine Frau, Charlotte von Mecklenburg-Strelitz(1), hatten insgesamt 15 Kinder), die das Erwachsenenalter erreichten, eine beträchtliche und heute nicht mehr exakt festzulegende Zahl von Nachkommen zeugten, die indes entweder außerehelich waren oder einer morganatischen Verbindung entstammten. Das einzige legitime Enkelkind Georges war Prinzessin Charlotte(1), die Tochter des späteren Königs George IV.(2) und Ehefrau von Prinz Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld(1), dem späteren ersten belgischen König. Charlotte starb 1817 an Komplikationen, die bei der Geburt eines toten Babys eintraten. Damit begann unter den vier in die Jahre gekommenen und immer noch unverheirateten Söhnen Georges III.(3) eine Art Wettrennen, eine politisch wie genetisch akzeptable Ehefrau zu finden und schnellstmöglich mit dieser einen Nachkommen zu zeugen. So gab es im Jahr 1818 nicht weniger als vier Hochzeiten von reiferen Prinzen. Nur einem indes war ein Erfolg beschieden, den er allerdings selbst wenig genießen konnte. Prinz Edward, der Duke of Kent(1), und seine Frau Victoria von Sachsen-Coburg-Saalfeld(1) freuten sich im Mai 1819 über die Geburt einer Tochter(4), die man zu Ehren des Zaren, in den wenige Jahre zuvor endlich erfolgreich zu Ende gegangenen Kriegen gegen Napoleon ein wichtiger Verbündeter Englands, Alexandrina taufte – mit Victoria als zweitem Vornamen. Nur acht Monate, nachdem er seine Pflicht für England auf dem ehelichen Beilager erfüllt hatte, starb der Duke of Kent(2).

Das junge Mädchen(5) wurde im Alter von elf Jahren gewahr, wie nahe sie dem Thron stand, und äußerte in diesem neuen Bewusstsein schlicht und, wie sich zeigen sollte, wahrheitsgemäß: I will be good! Ihr Onkel William IV.(2) betrachtete es als sein historisches Verdienst, trotz schwindender Kräfte noch so lange gelebt zu haben, dass er eine Regentschaft der ihm verhassten deutschen Prinzessin aus Coburg für ihre minderjährige Tochter verhindern konnte. Er segnete am 20. Juni 1837 das Zeitliche, knapp vier Wochen nach Victorias 18. Geburtstag.

In den 64 Jahren, in denen Victoria(6) auf dem Thron saß, wurde England endgültig und unzweifelhaft zur globalen Weltmacht. Im Empire ging die Sonne praktisch nicht unter; zu den Untertanen der Queen gehörten indigene Völker in Kanada, der Karibik und in der pazifischen Inselwelt, afrikanische Völker in verschiedenen Teilen des Kontinents (sowie die Niederländisch sprechenden Siedler in Südafrika, die Buren, gegen die England unter Victoria um 1900 einen verlustreichen Krieg führte) und die wohl heikelsten Untertanen, die nur 19 Kilometer vom Vereinigten Königreich entfernt, jenseits des North Channels lebten: im katholischen und über die Jahrhunderte immer wieder von Krisen, Aufständen und Bürgerkriegen erschütterten Irland. Das Kronjuwel unter all den Besitzungen, Dominions und Kolonien Großbritanniens indes war Indien. Vom Parlament 1876 im Royal Titles Act zur Empress of India, zur Kaiserin Indiens, erklärt zu werden, wurde einer der stolzesten Momente in Victorias Leben. Seither konnten Englands Monarchen die Buchstaben R (rex, König bzw. regina, Königin) und I (imperator, Kaiser bzw. im Fall Victorias imperatrix, Kaiserin) hinter ihre Unterschrift setzen. Es war Queen Elisabeths Vater George VI.(2), der mit der Unabhängigkeit Indiens wieder auf den Kaisertitel verzichten musste.

Das Ansehen der Monarchie stellte Victoria(7) indes weniger durch das von Handelsgesellschaften, Eroberern, Entdeckern und dem Militär vergrößerte Kolonialreich her, sondern durch ein von der britischen Öffentlichkeit dank einer erblühenden und wenig zensierten Medienlandschaft verfolgtes harmonisches Familienleben, das man – hätte es sich nicht um die Königin gehandelt – als geradezu exemplarisch bürgerlich bezeichnen konnte. Sie und ihr Gatte (und Cousin) Albert von Sachsen-Coburg-Gotha(1) führten eine vorbildliche und liebevolle Ehe, der auch die gelegentlichen Wutanfälle der jungen Queen, mit denen Albert geschickt umzugehen lernte, nicht schaden konnten. Statt süffisanten Berichten über Seitensprünge mit Adelsfrauen oder Schauspielerinnen, wie man sie von den beiden Vorgängern gewohnt war, lasen die Briten in den Gazetten von der sich rasch vergrößernden Familie mit letztlich neun Kindern, ihren zahlreichen Haustieren und den Ferien der Royals auf der Isle of Wight. Affären zu haben, war erkennbar out, die Royals waren solide wie oder vielleicht sogar solider als viele großbürgerliche Familien.

Das Bewusstsein, unter der Ägide der Königin(8) im bestmöglichen Zeitalter zu leben, erfasste viele Briten, zumindest jene der prosperierenden Gesellschaftsschicht, weniger sicher im Proletariat der expandierenden Industriestädte. Man empfand das eigene Land als ein Vorbild für den Rest der Welt, mit einem Maß an individueller Freiheit und politischer Mitsprache, die in anderen Staaten undenkbar war. Dazu trug entscheidend bei, dass die Königin – wie die Könige, die vor ihr gekommen waren und jene, die ihr folgen sollten – keine Tyrannin war, in der Regierungspraxis eigentlich wenig zu entscheiden hatte und die politische Macht bei vom Volk gewählten Politikern lag. Bei der Unterhauswahl von 1868 beispielsweise waren nach einer Wahlrechtsreform immerhin rund zweieinhalb Millionen Briten wahlberechtigt – ausschließlich Männer.

Parallel zur das Herz eines jeden Patrioten mit Stolz erfüllenden globalen Hegemonie konnten die Briten sich daheim eines ungeahnten technischen Fortschritts erfreuen. Eisenbahnlinien – die erste längere Strecke zwischen Manchester und Liverpool war schon 1830 eingeweiht worden – durchzogen das Land, mit Dampfschiffen waren Kolonien wie Absatzmärkte für britische Waren in aller Welt schnell und zuverlässiger als mit den bislang eingesetzten Segelschiffen zu erreichen, und Nachrichten aus der Neuen Welt kamen beinahe in Echtzeit über ein Transatlantikkabel in England an. Die beeindruckendste Leistungsschau des Landes und eines ganzen Zeitalters war die Great Exhibition im Sommer 1851 in London, an deren Konzipierung Victorias Gatte, Prinz Albert(2), entscheidend mitgewirkt hatte. Mit mehr als sechs Millionen Besuchern in fünfeinhalb Monaten war es das erste Massenereignis der Moderne und gleichzeitig die Geburtsstunde des modernen Eventtourismus. Die Dampfmaschinen und andere Industriegüter, die Exponate der Wissenschaft und der Kulturen fremder Völker im eigens erbauten futuristischen Kristallpalast im Hyde Park versetzten die Besucher in Begeisterung und bestärkten den in dieser Epoche allgegenwärtigen Fortschrittsglauben. Noch optimistischer mochte stimmen, dass in der Weltmetropole London Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sprachen auf friedliche Weise zusammenkommen konnten; fast schien der alte Traum, dass Kriege der Vergangenheit angehörten, der Erfüllung nahe. Entsprechend begeistert fiel das Fazit der Queen(9) aus: »Es ist eine solche Zeit des Frohsinns, des Stolzes, der Zufriedenheit und tiefster Dankbarkeit; es ist der Triumph des Friedens und des guten Willens gegenüber jedermann – von Kultur, von Handel, von meinem geliebten Ehemann und ein Triumph für mein Land.«[6]

Ein unzweifelhaftes Verdienst Queen Victorias(10) und ihres Gatten(3) war es, die Nachfolge – zentrales Anliegen und häufig die Achillesferse von Dynastien – frühzeitig und angesichts von neun Kindern in überreichem Maße gesichert zu haben. Mehr noch: Durch eine gezielte Heiratspolitik wurde die Queen über die nächsten Jahrzehnte zur »Großmutter Europas«, deren Kinder und Enkelkinder zahlreiche Throne besetzten. Die beiden machtpolitisch wichtigsten waren jene der Kaiserreiche von Russland und Deutschland: Sowohl die letzte Zarin als auch der letzte deutsche Kaiser waren Enkel Victorias. Im Laufe ihres langen Lebens, das Victoria vergönnt war, erlebte sie nicht weniger als vier ihrer Nachfolger. In ihrem höheren Alter gehörten neben ihrem Sohn Edward (König Edward VII.(1), 1901–1910) und dessen Sohn, dem späteren George V.(2) (1910–1936), noch dessen 1894 und 1895 geborene Sprösslinge Edward (Edward VIII.(4), 1936), der im Familienkreis David genannt wurde, und Albert/Bertie (George VI.(3), 1936–1952) zur Familie.

In dieser dynastischen Erfolgsgeschichte verspürte Queen Victoria(11) indes einen Wermutstropfen. Es war ihr ältester Sohn Edward(1), der fast sechzig Jahre lang Thronfolger blieb, sich aber zu Victorias Bedauern zu keinem Ebenbild ihres gänzlich vergötterten Gatten Albert(4) entwickelte, der im Alter von nur 42 Jahren plötzlich verstorben war. Edward hatte in der Tat kaum etwas vom Pflichtbewusstsein seiner Eltern geerbt, von ihrer Bodenständigkeit und ihrer hohen Motivation, die Aufgaben der Monarchin oder, im Falle Alberts(5), ihres ersten Sekretärs und engsten Beraters auf das Bestmögliche zu erfüllen. Er wuchs zu einem Lebemann von allseits bewundertem Charme heran, für den die Genüsse der Tafel und die Freuden der außerehelichen Kopulation die treibenden Kräfte waren. Das Private konnte angesichts der Stellung eines Monarchen an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert schnell zum Politischen werden. Edward war in hohem Maße frankophil; die zahlreichen Besuche in der schimmernden Metropole Paris mit ihren noblen Feinschmecker-Restaurants und ihren ebenso noblen Bordellen hatten ihn zutiefst beeindruckt und geprägt.

In seiner verhältnismäßig kurzen Regierungszeit(2), wegen des in Mode gekommenen und der Geisteshaltung des Monarchen entsprechenden Hedonismus auch The Edwardian Age genannt, kam es zu einer folgenschweren außenpolitischen Neuorientierung. Frankreich, über mehrere Jahrhunderte der Rivale im Konzert der europäischen und kolonialen Mächte, nach den Wirren der dortigen Revolution und unter Napoleon gar der Erzfeind schlechthin, wurde zum Verbündeten, zum Partner in der Entente cordiale. Was immer Edward zu dieser Entwicklung beitragen konnte, tat er mit Freude. Auf wessen Kosten dieses zunehmend herzlicher werdende Einvernehmen ging, war offensichtlich und wurde von Edward freudig begrüßt: Deutschland geriet zunehmend in die Rolle eines unberechenbaren Feindes. Der Monarch kappte damit ganz bewusst und auf eine Weise, die Sigmund Freud(1) zweifellos für vielsagend gehalten hätte, die Wurzeln zu der eigenen Vergangenheit und besonders zu seinen ihm letztlich wesensfremden Eltern: Queen Victoria(12) war von ihrer Herkunft zur Hälfte deutsch und Prinz Albert(6) zur Gänze. Freilich tat ein enger Verwandter das Seinige, um Edward VII.(3) in seiner Germanophobie zu bestärken. Das Verhalten seines Neffen, Kaiser Wilhelms II.(1), war wiederholt Großbritannien gegenüber so undiplomatisch brüsk – mit der Daily-Telegraph-Affäre von 1908 und des Hohenzollern prahlerischen Taktlosigkeiten im Interview mit der Zeitung als unrühmlichem Höhepunkt –, dass die politische Klasse Englands wenig Drängen seitens ihres Königs brauchte, um gegenüber Deutschland immer reservierter zu werden. Im Sommer 1914 stürzten sich beide Länder in die erste große Katastrophe des noch jungen 20. Jahrhunderts.

Immerhin kann man dem Wirken Edwards VII.(4) auch einen heiteren Aspekt abgewinnen. Wenn es eines Beweises bedurfte, wie eng in der britischen Klassengesellschaft die Oberschicht miteinander bekannt und verbandelt ist, diese genealogische Anekdote liefert ihn: König Charles III.(2) ist ein Ururenkel Edwards VII(5). Während seiner Regierungszeit hatte Edward, mit dem Alter ein wenig ruhiger geworden, eine feste Geliebte, Alice Keppel(1). Sie hatte einen guten Einfluss auf den zwischen cholerischen Attacken und Depressionen schwankenden Monarchen und war in der Gesellschaft in einem Maße akzeptiert, von dem Wallis(8) Simpson dreißig Jahre später nur träumen konnte. So begleitete Alice den König auf Reisen und nahm an Staatsbanketten teil. Ihr Gatte, ein Offizier, schaute weg und bekam dafür einen Orden vom König. Aus der Ehe der Keppels gingen zwei Kinder hervor und auch diese hatten Nachfahren. Eine davon ist die als Camilla Parker Bowles(1) bekannt gewordene zweite Ehefrau von Charles, die heutige Queen Consort(1). Es ist somit die Ehe eines Ururenkels Edwards VII.(6) mit der Urenkelin seiner Geliebten. Die Welt ist klein.

Dafür, dass Kinder nicht unbedingt dem Beispiel der Eltern folgen, war George V.(3) ein gutes Beispiel. Im Gegensatz zu seinem Vater lebte er mit seiner Frau geradezu frugal – zumindest verglichen mit den Menüs, die sein Vater(7) goutiert hatte – und verzichtete ab 1915 aus Solidarität mit der inzwischen an Rationierung gewöhnten Bevölkerung auf den Genuss von alkoholischen Getränken. Nachhaltiger war eine andere Maßnahme, die der Erste Weltkrieg und die massive antideutsche Stimmung im Lande erforderten. Der Familienname des Herrschergeschlechts wurde 1917 geändert, aus dem Haus Sachsen-Coburg-Gotha wurde das Haus – oder, wie es Prinz Philip(3) nennen sollte, die Firma – Windsor.

George V.(4) hatte mit seinem Sohn und Nachfolger(4), dem sechsten dieses Namens und Vater von Queen Elisabeth eines gemeinsam: Beide waren nicht als Thronfolger geboren, sondern »nur« als zweitälteste Söhne. Edwards(8) Erstgeborener, Prinz Albert Victor(1), starb während einer Influenza-Pandemie im Januar 1892 im Alter von nur 28 Jahren. Für die Monarchie war dies möglicherweise ein Segen. Um den jungen Mann rankten sich sonderbare Gerüchte und Hinweise auf eine unschöne Diagnose: eine Geschlechtskrankheit. Er war mit mehreren Damen von zweifelhafter Reputation liiert, eine davon, eine Tänzerin, beging Selbstmord. Einige Autoren haben den Prinzen gar im Verdacht, der nie zweifelsfrei identifizierte Prostituiertenmörder Jack the Ripper(1), der 1888 für einige Monate den Whitechapel-Distrikt unsicher machte, gewesen zu sein. Beweise gibt es dafür freilich nicht. Dass mit dem Prinzen indes nicht alles in Ordnung war, mag man einer Bemerkung der klarsichtigen Queen Victoria(13) entnehmen, die von einem dissipated life, einem ausschweifenden oder vergeudeten Leben ihres Enkels(2) sprach.

Sein jüngerer Bruder George V.(5) steuerte die Monarchie mit ruhiger Hand durch turbulente Zeiten. Dem Krieg folgten Jahre sozialer und politischer Turbulenzen. Zu Beginn der 1920er Jahre hatte das Empire seine größte Ausdehnung, aber die Tendenz zur Unabhängigkeit einzelner Dominions war unübersehbar. Nach Bürgerkrieg und Terror wurde Irland geteilt, der irische Freistaat entstand 1921 und war vom überwiegend protestantischen Nordirland als Bestandteil des United Kingdom separiert. In Indien wurde eine Unabhängigkeitsbewegung aktiv, Großbritannien selbst wurde – nicht zum letzten Mal – von Streiks, vor allem von jenen der Bergleute in der eminent wichtigen Kohleindustrie erschüttert. Zu einem Novum in der britischen Politik kam es, als der König am 24. Januar 1924 Ramsay MacDonald(1) als ersten Politiker einer neuen Kraft, der Labour Party, mit der Regierungsbildung beauftragte. Es sei auf den Tag genau 23 Jahre her, vertraute George an jenem Abend seinem Tagebuch an, dass seine liebe Großmutter gestorben sei – was sie wohl von einer Labour-Regierung gehalten hätte?

Die ruhige Würde, die George V.(6) in seiner Amtsführung an den Tag legte, ging ihm im Familiären häufig ab. Seinen Söhnen gegenüber war er ein bully, ein Drangsalierer, mit oft überzogener Kritik. Es ist sehr wahrscheinlich, dass das Auftreten einer dominanten, fast bedrohlichen Vaterfigur vor allem beim Zweitältesten, Bertie(2), Spuren hinterließ. Als Kind entwickelte er einen Sprachfehler, ein Stottern, das ihm über viele Jahre öffentliche Auftritte und Reden zur Qual machte. Die Problematik und die Persönlichkeit des Duke of York, dem eine langjährige Freundschaft mit dem Sprachtherapeuten Lionel Logue(1) über die größten Schwierigkeiten hinweghalf, hat Colin Firth(1) in dem 2010 produzierten Film The King’s Speech eindrucksvoll dargestellt.

War George zu seinen Söhnen barsch und autoritär, so kann sein Verhalten gegenüber Tieren aus heutiger Sicht nur als abscheulich betrachtet werden. Die Jagd war neben dem Briefmarkensammeln seine Leidenschaft und bei Besuchen in den Kolonien wie Indien und dem benachbarten Nepal veranstaltete er wahre Massaker unter Tigern, Nashörnern und anderen, inzwischen als bedroht eingestuften Spezies. In der Heimat soll er an einem besonders ergiebigen Tag rund eintausend Fasane geschossen haben. Es ist wohl anzunehmen, dass Prinz Philip(4), der spätere Mitbegründer des World Wildlife Fund, und sein an ökologischen Fragen höchst interessierter Sohn Charles(3) in George V.(7) wohl nicht unbedingt den liebenswertesten aller Vorfahren gesehen haben.

Bertie(3) fand seine Bestimmung in der Royal Navy und war über viele Jahre zufrieden, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dem glamouröseren älteren Bruder David/Edward(2) zuflog. Auf dem Schlachtschiff HMS Collingwood nahm er am 31. Mai und 1. Juni 1916 an der Skagerrak-Schlacht (im Englischen: Battle of Jutland) teil. Es war die größte Seeschlacht zwischen Deutschland und Großbritannien im Great War – die Kaiserliche Marine, die von Wilhelm II.(2) mit großem Aufwand aufgebaut worden war, wodurch sich das Verhältnis zu England vor 1914 entscheidend verschlechtert hatte, rostete ansonsten (wie es ein Matrose beschrieb) in den Häfen vor sich hin.

Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wechselte Bertie(4) zur neu entstehenden Royal Air Force und wurde das erste Mitglied der königlichen Familie mit einer Pilotenlizenz. Nach Ende des Krieges studierte er ein Jahr in Cambridge. Nicht groß gewachsen, war Albert von athletischem Körperbau und ein vielseitiger Sportler. Seine besondere Neigung galt dem Tennis. Im Jahr 1926 schließlich trat er in Wimbledon mit einem Partner im Herren-Doppel an, verlor aber in der ersten Runde. Mit der Verleihung des Titels eines Duke of York 1920 übernahm er mehr Pflichten des Königshauses, auch wenn dies manchmal eine Qual für ihn war: Der besonders schwierige, die Zuhörer fast schmerzende Versuch, zur Abschlussveranstaltung einer großen Ausstellung im Wembley-Stadium die richtigen Worte herauszubringen, war Anlass für ihn, sich bei Lionel Logue(2) in Therapie zu begeben. Ungeachtet oder gerade wegen dieser Problematik erwarb er sich den Respekt seines Vaters(8) und dies umso mehr, je offensichtlicher die Leichtlebigkeit, Oberflächlichkeit und Arroganz beim Prince of Wales(3) sichtbar wurden. Bei allen Unterschieden zu George V.(9) hatte Bertie auch einige Gemeinsamkeiten mit seinem Vater. Auch der Duke of York liebte die Jagd (eine Neigung, die er seiner ältesten Tochter, wenn auch in Maßen, vererbte) und er war ein starker Raucher. Dies sollte ihn als König in ein zu frühes Grab bringen.

Für George V.(10) und die politisch Verantwortlichen in diesen wechselhaften Zeiten hatte es etwas Beruhigendes zu sehen, dass der Zweite in der Thronfolge ein family man war. Die erste Begegnung bei einem Dinner im Sommer mit der aus einer aristokratischen schottischen Familie stammenden Elizabeth Bowes-Lyon(1), die ihre Vorfahren bis weit ins Mittelalter zurückverfolgen konnte, war für Bertie(5) entscheidend. Er verliebte sich umgehend in die ebenfalls körperlich eher kleine, aber ungemein gewinnende zwanzigjährige Frau. Sie war selbstbewusst genug, um angesichts eines königlichen Verehrers nicht schwach zu werden. Als attraktive und reiche Aristokratin hatte sie zahlreiche Bewunderer, die nicht nur von ihrer geistreichen Persönlichkeit, sondern auch von der sich im Stammsitz, Glamis Castle, spiegelnden Nobilität und dem Kultursinn der Familie in Bann geschlagen waren. Einer von ihnen, Ronald Barnes(1) (Lord Gorell), schwärmte quasi im Namen all ihrer Verehrer noch viele Jahre später rückblickend, dabei die Grenzen zwischen der Angebeteten und ihrem attraktiven Immobilienbesitz sanft verwischend: »Ich war geradezu verrückt aus Liebe zu ihr. Alles in Glamis war schön, perfekt. Dort zu sein war wie sich in einem Gemälde von van Dyck zu befinden. Die Zeit und die Welt mit all ihren Gerüchten und ihrem Unsinn standen still. Es passierte nichts, aber der Zauber ergriff uns alle. Ich war zutiefst verliebt. Sie alle waren es.«[7]

Bei diesem Background und der schwärmerischen Verehrung von jungen Hocharistokraten, Millionärssöhnen und dekorierten Kriegshelden nimmt es nicht wunder, dass Lady Elizabeth(2) dem Prinzen Albert(6) gleich zweimal eine Abfuhr erteilen konnte. Es war wohl weniger, dass er ihr nicht gefiel, als vielmehr der Gedanke, in die königliche Familie einzuheiraten und damit das Objekt öffentlicher Begutachtung zu werden, der sie zögern ließ – auch wenn sie über das nächste Dreivierteljahrhundert kaum je Zurückhaltung zeigte, wenn die Kameras liefen, die Zuschauer zu Tausenden Fähnchen schwenkten und bei ihrem Erscheinen unvermeidbarerweise Jubel aufkam. Beim dritten Antrag schließlich beschied Elizabeth Bowes-Lyon den Prinzen mit einem herzhaften Yes. Am 26. April 1923 heiratete das Paar in Westminster Abbey und Lady Elizabeth wurde zur Duchess of York(1).

Das Paar nahm regelmäßig öffentliche Auftritte wahr und vertrat die Krone in Übersee. Am 21. April 1926 wurde ihnen eine Tochter – wie es sich die Herzogin gewünscht hatte – geboren. Sie wurde auf den Namen ihrer Mutter und einer der größten Herrschergestalten der englischen Geschichte getauft: Unter Königin Elisabeth I.(1) stieg England im 16. Jahrhundert zur Großmacht auf und hatte, fast allein auf sich gestellt, Spanien, einem tyrannischen und religiös-fundamentalistischen Regime vom europäischen Kontinent, welches Britannien zu erobern und zu unterwerfen gedachte, die Stirn geboten. Dergleichen sollte sich in Elisabeths(3) Teenagerjahren wiederholen, wobei Hitler(3) eine zweifellos noch unheilvollere Bedrohung darstellte als der spanische König Philipp II.(1), der 1588 seine Armada gen England in Bewegung setzte. Das erste Elisabethanische Zeitalter war indessen auch durch seine kulturelle Blüte längst verklärt, als Heimstatt von Poeten wie Christopher Marlowe(1) und William Shakespeare(1).

Mit der Geburt von Margaret Rose(2), Elisabeths(4) kleiner Schwester, am 21. August 1930 war die Familie York komplett. Beide Mädchen waren per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen und die Ärzte rieten der Duchess of York(2) von einer weiteren Schwangerschaft ab. Bertie(7) und Elisabeth(3) waren liebevolle Eltern und der Duke sprach von us four, einer kleinen Festung in einer Welt, die 1929 in die wirtschaftliche Depression stürzte und in der die Diktatur die Staatsform der Zukunft zu sein schien – wie Italien, die Sowjetunion und ab 1933 Deutschland zeigten. Die Yorks wohnten nicht in einem Schloss, sondern in einem großbürgerlichen Haus in 145 Piccadilly, im Herzen von London. Als Achtjährige bekam Elisabeth von ihrem Vater Dookie, ihren ersten – von vielen – Corgi. Freilich verfügte man auch über ein cottage auf dem Lande, die Royal Lodge im Windsor Great Park. Und so hatte Lilibet bald ihr erstes eigenes Pony und zwei der großen Lieben eines langen Lebens hatten die Bühne betreten: Hunde(1) und Pferde(1).

Beide Mädchen hatten schnell die Herzen ihrer Großeltern erobert und der König zeigte Lilibet(5) gegenüber eine Gefühlswärme und eine Toleranz, die ihr Vater(8) während seiner Kindheit nicht in diesem Maße zu spüren bekommen hatte. Die beiden Enkeltöchter waren ein Seelentrost für den immer schwächer werdenden Herrscher. In seiner letzten Lebensphase war George V.(11) nicht ohne Illusionen über die Persönlichkeit seines ältesten Sohnes und deren Schwächen; der Monarch war geradezu erbittert über die Aussicht, dass David ihm nachfolgen würde. Des alten Königs Voraussage, dass der boy binnen eines Jahres alles ruinieren würde, sollte der Wahrheit recht nahe kommen. Wenige Wochen, bevor sich der als starker Raucher chronisch lungenkranke George im Januar 1936 zur ewigen Ruhe niederlegte, flehte er den Himmel an: »Ich bete zu Gott, dass mein ältester Sohn niemals heiraten und Kinder haben wird und dass nichts zwischen Bertie(9) und Lilibet und den Thron kommen mag.«[8]

Im Dezember 1936 ging der Wunsch Georges V.(12) in Erfüllung. Die zehnjährige Prinzessin Elisabeth(6) soll sich der Legende nach gerade im Geschichtsunterricht (durch ihre Privatlehrerin) mit dem Schwerpunkt auf der englischen Monarchie befunden haben, als die Nachricht eintraf, dass ihr Onkel dem Thron entsagt hatte. Ihre sechsjährige Schwester Margaret(3) fragte sie daraufhin: »Bedeutet das, dass Du die nächste Königin sein wirst?« »Ja, eines Tages«, lautete die wohlüberlegte Antwort. Worauf Margaret entgegnete: »Poor you« (Du Ärmste).[9]

In den folgenden fast neunzig Jahren wurde nicht einmal eine Andeutung überliefert, dass Elisabeth diese Einschätzung teilte. Oder dass sie es jemals bedauerte, zur Königin bestimmt gewesen zu sein.

Neville Chamberlain ist der erste Premier, den der frischgekrönte King George VI. (l.) in Downing Street 10 antrifft. Nach der gescheiterten Appeasement-Politik und dem Kriegsausbruch gerät Chamberlain massiv unter Druck – und muss bereits 1940, zum Bedauern der königlichen Familie, zum schwarzen Regenschirm greifen und Winston Churchill weichen.

2.

Bastion der Demokratie

Es war, wie es Winston Churchill(2) später nannte, the gathering storm: ein Unwetter, das sich zusammenbraute. Der hochangesehene Premierminister Stanley Baldwin(1), der die Position der britischen Regierung und des Empire gemäß der konstitutionellen Grundlagen während der Abdankungskrise um Edward VIII.(7) konsequent und als überzeugter Monarchist mit Schmerzen vertreten hatte, fühlte seine schwindenden Kräfte – auch aufgrund seiner zunehmenden Hörbehinderung[1] – den bedrohlicher werdenden Herausforderungen nicht länger gewachsen. Der Konservative war jener nicht allzu häufige Typus der Politikers, der wusste, wann es Zeit war zu gehen, und der auf der Höhe der Zustimmung durch die Menschen im Lande abtrat, nach den Worten des Labour-Abgeordneten Harold Nicolson(1) »in einer Feuersbrunst von Zuneigung«.[2] Baldwin trat am 28. Mai 1937 zurück, blieb auch im Ruhestand seinen Überzeugungen treu und war der sprichwörtliche Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle: Im Jahr darauf wandte er sich in einer Radioansprache an die Bevölkerung und rief zu Spenden und Unterstützung für Flüchtlinge, vor allem jüdische Asylsuchende, aus Nazi-Deutschland auf.

So hatte der neue und nach wie vor etwas scheue König George VI.(5) zum ersten Mal jene Situation zu meistern, die eine der symbolträchtigsten des politischen Lebens im Vereinigten Königreich ist: to kiss hands. Der leichte, angedeutete Handkuss steht am Ende einer meist sehr kurzen Zeremonie, in welcher der Monarch oder die Monarchin aufgrund der Empfehlung der im Unterhaus die Mehrheit stellenden Partei oder – angesichts des britischen Mehrheitswahlrechts sehr selten – des eine Majorität besitzenden Parteienbündnisses den kommenden Premierminister mit der Regierungsbildung beauftragt.

Für den Mann(1), der des Königs Hand an jenem Frühsommertag 1937 küssen durfte, war damit ein Traum, wenn nicht gar ein Anspruch in Erfüllung gegangen. Denn der Name Chamberlain stand für eine eminente politische Dynastie, die seit einem halben Jahrhundert der Zeitung lesenden Öffentlichkeit wohlbekannt war und der jetzt in Person des 68-jährigen Finanzministers (Chancellor of the Exchequer) Neville Chamberlain endlich das höchste Regierungsamt zugefallen war. Sein Vater, Joseph Chamberlain(1), war zunächst Bürgermeister seiner Heimatstadt Birmingham gewesen und hatte in der spätviktorianischen Ära mehrere Regierungsämter inne gehabt, darunter das angesichts der Ausdehnung des Empire wichtige Ministerium für die Kolonien (Secretary of State for the Colonies), dem er von 1895 bis 1903 vorstand. Sein älterer Sohn Austen(1) (an den Folgen der Geburt verstarb Joseph Chamberlains erste Frau Harriet(1)) war wie sein Halbbruder Neville zweimal Finanzminister und außerdem im zweiten Kabinett von Stanley Baldwin(2) von 1924 bis 1929 Außenminister des Vereinigten Königreichs gewesen.

Durch seinen stechenden Blick, seine schlanke Figur und perfekte Haltung wirkte Chamberlain(2) dem Naturell Baldwins(3) genau entgegengesetzt, der weithin als freundlich wahrgenommen wurde. Er war ein fleißiger Politiker, aber scheu und verschlossen; Andersdenkenden oder Zweiflern gegenüber konnte er aggressiv bis arrogant auftreten. Der Historiker Peter Ackroyd(1) beschreibt Chamberlains Charakter und Denkweise in seiner mehrbändigen Geschichte Englands mit den Worten: »Dieser von Charme völlig freie Mann war so steif wie der schwarze Regenschirm, den er stets bei sich trug. Völlig ohne Phantasie, Emotionen und Intuitionen vertraute er ganz auf common sense, rationales Eigeninteresse und fair play. Da er von diesen Werten und Anschauungen geleitet wurde, ging er davon aus, dass dies auch andere tun würden.«[3] Chamberlains(3) Reputation war für alle Zeiten beschädigt, weil er Adolf Hitler(4) völlig falsch einschätzte, dem die Werte des britischen Premier völlig fremd waren und sie verachtete.

Chamberlain(4) war vom Wesen her Geschäftsmann, der in Birmingham ein Unternehmen in der Schiffsindustrie geleitet hatte, und auch seine Amtszeiten als Finanzminister hatten Zahlen und Bilanzen für ihn zu den wichtigsten Parametern des politischen Geschäfts werden lassen. Von Außenpolitik verstand er wenig und noch weniger von der sich rapide entwickelnden Dynamik auf dem europäischen Kontinent. Hitlers(5)