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1 Autor und 20 Jung-Autoren schreiben einen Krimi Willkommen! In Hamelns Kanälen lebt eine Rattenbande mit langer und ruhmreicher Tradition. Einige Vorfahren haben vor undenklichen Zeiten das entsetzliche Flötenspiel dieses hergelaufenen Rattenfängers nur knapp überlebt. Aufschneider! Im Laufe der Jahrhunderte ist aus den verstreuten Einzelgängern eine stolze und gut organisierte Bande geworden. Ihr Boss ist Rattazong. Er führt die Rattinos mit wachem Verstand und eiserner Kralle durch unruhige Zeiten. Da geschieht, was nicht geschehen durfte. Der Leiter des Heimatmuseums, den Rattinos wohlgesonnen, wird Opfer eines Anschlags. Eindringlinge verlangen die Herausgabe einer Schatzkarte! Jetzt heißt es für die Rattinos, die Täter zu überführen und ganz nebenbei Karte und Schatz sicherzustellen. Spannend … und ihr seid dabei! – In keiner Stadt sollte man die Ratten unterschätzen, schon gar nicht in Hameln. Das Buchprojekt steht unter der Schirmherrschaft der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Gabriele Lösekrug-Möller. Danke, Lömö!
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Seitenzahl: 161
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Günter von Lonski
Grüße aus Hamelns Unterwelt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de
© 2016 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln
www.niemeyer-buch.de
Alle Rechte vorbehalten
Illustrationen: Steffi Röttger (www.s-artisfaction.com).
eISBN 978-3-8271-9799-3
EPub Produktion durch ANSENSO Publishing
www.ansensopublishing.de
Dieser Fall spielt an allseits bekannten Orten von Hameln und des Weserberglandes, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.
Zum 200-jährigen Jubiläum der „Sagen der Brüder Grimm“
Das Buchprojekt steht unter der Schirmherrschaft der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Gabriele Lösekrug-Möller. Danke, Lömö!
Das Kinderspielhaus der Stadt Hameln ist ein Haus für Kinder im Alter von sechs bis dreizehn Jahren, ohne Anmeldung oder verpflichtende Anwesenheit, für spannende Aktionen, Spiel und Spaß, Hilfe und Trost, zum Freunde treffen oder ein gemeinsames Mittagessen. Toll!
Während der Osterferienbetreuung durch die Stadt Hameln trafen sich im März 2016 zwanzig Kids im Alter von sieben bis zwölf Jahren, um mit dem Autor Günter von Lonski einen Krimi zu schreiben. Es gab Vorgaben, man musste sich anstrengen, konzentrieren, aber es gab auch viel Spaß und manch überraschende Ideen. Alle waren mit vollem Einsatz bei der Sache und niemand gab auf. Großartig! Das Ergebnis der Zusammenarbeit kann sich sehen lassen und ist in diesem Buch festgehalten. Weiter so.
... da kamen alsbald die Ratten und Mäuse aus allen Häusern hervorgekrochen und sammelten sich um ihn herum. Als er nun meinte, es wäre keine zurückgeblieben, ging er aus der Stadt hinaus in die Weser; der ganze Haufen folgte ihm nach, stürzte ins Wasser und ertrank.
Nach Brüder Grimm „Deutsche Sagen“.
Wirklich der ganze Haufen? – Pahh!
Amber Ansari, 12 Jahre
Alexander Geiz, 7 Jahre
Jorin Guske, 8 Jahre
Lara Hartung, 11 Jahre
Jan Kreiszmantat, 9 Jahre
Finn Kreiszmantat, 9 Jahre
Julian Klümper, 11 Jahre
Constantin Koch, 7 Jahre
Fynn Kryper, 9 Jahre
Anastasia Lebedynska, 9 Jahre
Janne Meyer, 11 Jahre
Solveig Nasse, 11 Jahre
Vincent Schäfer, 13 Jahre
Nico Schnake, 11 Jahre
Sarah Schneider, 10 Jahre
Finn Scholten, 10 Jahre
Judith Suhrkamp, 12 Jahre
Paula Tammen, 9 Jahre
Lisa Thiesbrummel, 13 Jahre
Anastasia Warkentin, 10 Jahre
Hier kannst DU deinen Namen eintragen, dann bist du mittendrin in den spannenden Ermittlungen der Rattinos.
* Die Ermittlungsergebnisse und spontanen Ideen der jungen Mit-Autoren sind leicht überarbeitet in die Handlung des Buches eingearbeitet worden.
Titelseite
Impressum
Das Kinderspielhaus
Die 20 Jung-Autoren der Ferienbetreuung der Stadt Hameln im Kinderspielhaus Ostern 2016
Herr Lütjejahn wird überfallen
Eine Karte wird gesucht
Rattara ganz verliebt
Sorgen über Sorgen
Die fliegende Untertasse
Die Polizei greift ein
Wer lesen kann
Kultur mit Vanillesoße
Ab durch die Mitte
Fett schwimmt oben
Lasst es euch schmecken!
Zum guten Schluss
Günter von Lonski
„Brüder, Schwestern, Pelzträger und Vier-Pfoten-Flitzer ...“, Rattazong sitzt auf dem warmen Abwasserrohr im schummrigen Abflusskanal 2–24 und schaut auf die große Schar seiner Grauröcke, als da wären
Rattanja
seine Frau
Rattilda
Rattanjas Freundin
Rattina
Rattildas Freundin
Rattara
Rattanjas drittbeste Freundin
Rattinka
dickste Freundin von allen und ständig auf Diät
Ruttolf
seine rechte Pfote
Ruttino
der Feingeist und Ruttolfs Erzfeind
Rutti
der Jüngste und Hungrigste
Ruttert
der Mutigste mit den schärfsten Augen
Rutelix
schüchtern, ihm fehlt das Doppel-T
Jackson
überdreht und ausgeflippt
Modder
erledigt die gröberen Vorarbeiten
Schnodder
Zwillingsbruder von Modder
... und weitere zahllose namenlose Mitglieder der verschworenen Rattenbande
Graue Abwässer plätschern durch Hamelns Kanalisation und füllen die gemauerten Gewölbe mit wohlig modrigen Gerüchen. Rattazong, der unumstrittene Chef unter Hamelns Straßen, ist besorgt. Er hat eine Versammlung einberufen, zu der alle Rattinos zu erscheinen haben.
Anastasia, Janne und Judith schreiben:
Als Rattinkas Blick auf den Zettel neben ihrem Laptop fällt, ist es schon drei Stunden nach dem Abendessen. Auf der Einladung des Chefs steht: Treffen gegen 11: Wie immer! Wo immer!
Rattinka nimmt ihren Mantel, streift ihre braunen Stiefel über und macht sich auf den Weg. Im Versammlungsraum ist es bestimmt deutlich kälter als in ihrem kuscheligen Rohr. Sie rennt die nassen Wege entlang bis zum Versammlungsraum.
Als sie ankommt, ist die Versammlung schon in vollem Gange. Sie trifft viele Freunde, aber auch Fremde. Es ist ein buntes Durcheinander. Auf dem Weg zur Garderobe kommt sie an den unterschiedlichsten Ratten vorbei. Unter ihnen: ein Surfer, einige Tänzer und Tänzerinnen, und ihre Eltern. Als sie sich fest umarmen, versucht Rattinka die Umarmung möglichst kurz zu halten. Als die Eltern Rattinka nach einiger Zeit loslassen, fangen sie auch schon mit ihren nervigen Fragen an, welche sie jedes Mal stellen, wenn sie Rattinka sehen. Angefangen von: „Wie geht es dir?“ bis zu „Warum bist du ausgezogen.“ Diesmal kommen sie nur bis zur ersten Frage, weil Rattinka ihnen erklärt, dass sie erst ihren Mantel ablegen wolle. Sie sagen mit verständnisvoller Stimme: „Inordnungkind.“ Wobei Rattinka es schrecklich findet, noch immer Kind genannt zu werden, schließlich ist sie schon fast erwachsen. Egal was sie tut, Hauptsache, sie geht nicht zurück zu ihren Eltern, denn wie sie sich anziehen, ist einfach peinlich. Sie sind wortwörtlich aus dem letzten Jahrhundert.
Rattazong streckt sich und holt ganz tief Luft, um seiner Stimme einen möglichst vollen Klang zu geben: „Herhören! Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen seit uns dieser Pfeifer im Jahre zwölfhundertvierundachtzig in der Weser ertränken wollte. Heute ist ein Unglück geschehen, das unser friedvolles Lebens erschüttern kann ...“
Plötzlich ist ein Zischen und Rauschen aus einem Seitenkanal zu hören, leises Gurgeln und Brausen, noch ziemlich weit entfernt, doch die Bande bringt sich eiligst auf höher gelegenen Mauervorsprüngen, Rohren oder in herausgebrochenen Mauerlöchern in Sicherheit. Kaum hat der Letzte seinen Fluchtplatz erreicht, rauscht auch schon eine gewaltige Abflusswelle heran, flutet den Kanal und ist wenig später so schnell wieder abgeflossen, dass sich Rattara nur die Ohren zuhalten und zweimal „Oh, mein Gott!“ sagen kann.
Einen Augenblick herrscht Stille, die nur ein tiefer Seufzer von Rutti durchbricht. Rutti ist der mit dem größten Appetit: „Ein Elend ist das“, er starrt in die trübe Brühe, „kein einziger Happen war dabei. Keine einzige Wurstscheibe, kein verdorbenes Obst, nicht einmal eine dumme Kartoffelschale. Wie ich diese neumodische Mülltrennung hasse!“
„Am schlimmsten sind die Biotonnen“, wirft Rattinka ein, „einfach unanständig, wie die Tonnen uns alles wegfressen.“
Rattazong nickt betrübt und fährt in seiner Rede fort. „... als hätten wir nicht schon genug auszustehen, wurde heute einer unserer Wohltäter“, sein schielendes Auge füllt sich mit Tränen, er schnieft in einen angefressenen Kassenbon, will etwas sagen, doch es hat ihn übermannt. Er wendet sich mit einer Kopfbewegung an Ruttolf – seiner rechten Pfote und Sprecher. Manche nennen ihn auch einen Speichelschlecker und Schleimkacker. Rattazong übergibt ihm das Wort.
Ruttolf hat seinen Schlafplatz unter einem Regenrohr und da er nur wenig Schlaf braucht, hat er im Laufe der Zeit über das Regenrohr die oberirdische Sprache der Menschen verstehen gelernt.
Meist sitzt Ruttolf in der Fußgängerzone auf der Schulter von Manuel. Manuel verkauft den Touristen selbst gebastelte Ratten aus Wolle, Holz oder Salzteig. Manuel hat eine ungewöhnliche Eigenschaft, er redet mit sich selbst. Für manchen vorbeischlendernden Touristen sieht es aus, als spräche er mit seiner Ratte. Doch egal, was die anderen denken, Ruttolf erfährt so eine Menge von Manuels Gedanken und den Ereignissen in der Stadt.
Am Wochenende geht es hinunter an die Weser. Manuel führt am Schiffsanleger kleine Kunststücke mit Ruttolf vor. Er lässt ihn über ein Stöckchen springen, Rattenmännchen machen oder Purzelbäume schlagen, anschließend sammelt er dann Geld von den Zuschauern ein. Wenn die Touristen schließlich ihr Schiff für eine Weserfahrt bestiegen haben, kauft Manuel im nahen Café eine Rosinenschnecke für sich und ein Schokoladen-Muffin für Ruttolf. Manuel ist überhaupt ein netter Aufrechtgeher. Mehrmals am Tag krault er Ruttolf das graue Fell, außerdem kennt er die besten Rattenfängerwitze und ahnt, dass sein kleiner grauer Freund sie versteht. Ihr beider Lieblingswitz: Der Rattenfänger geht in ein Musikgeschäft und sagt: „Ich brauche eine neue Flöte.“ Darauf der Verkäufer: „Die kostet dreihundert Euro!“ Fragt der Rattenfänger: „Geht das auch in Ratten?“
Bei schlechtem Wetter hat Manuel miese Laune, weil er nichts verdient und Ruttolf verkriecht sich dann ins Hamelner Museum. Ein ruhiger und wohlgeheizter Ort. Er liegt dann die meiste Zeit im Büro von Archivar Konrad Lütjejahn auf der Fensterbank und schaut den nassen, rennenden Aufrechtgehern in der Fußgängerzone zu. Mehrmals am Tag öffnet Heimatforscher Konrad Lütjejahn seine Brotdose, um sich an einem Wurst- oder Käsebrot zu stärken, und dabei fällt dann auch immer etwas für Ruttolf ab, manchmal nur Krümel, aber gelegentlich mag Herr Lütjejahn nicht aufessen, und dann haben eine Menge Ratten etwas davon.
„Wie ihr alle wisst“, sagt Ruttolf, „ist Archivar Lütjejahn einer unserer größten Wohltäter. Wenn es um Leckerbissen wie Äpfel, Bananen oder gar Weintrauben geht, gibt es keinen Großzügigeren als ihn. Außer den Marktleuten nach zwölf Uhr. Und in schlechten Zeiten spendiert Lütjejahn sogar Bücher und Zeitschriften aus seinen Archivbeständen – aber nur in wirklich äußersten Notlagen!“
„Komm endlich zur Sache“, schaltet sich Rattazong wieder ein.
„Jedenfalls döste ich heute Vormittag über einem alten Buch mit Ledereinband, als zwei aufgeblasene Aufrechtgeher ins Archiv stürmten. Ohne einen Gruß stürzten sie sich auf den Archivar, er soll sofort die Karte rausrücken. Er habe ihnen die Karte schließlich für heute versprochen und keine Ausrede gelte nicht. Schließlich hätten sie auch ihre Verpflichtungen.“
„Wie schrecklich“, murmelt Rattanja.
„Herr Lütjejahn war völlig verängstigt“, fährt Ruttolf fort, ohne Rattara aus den Augen zu lassen, „sein Mund zitterte, er versuchte etwas zu erklären, sich rauszureden und dabei langsam Schritt für Schritt zurückzuweichen. Doch bevor er den Ausgang erreichen konnte, griff einer der Aufrechtgeher nach dem nächstbesten Regal und stürzte das vollgepackte Holzgestell um, direkt auf Herrn Lütjejahn.“
„Wie entsetzlich“, sagt Rattazong, er muss kräftig niesen.
„Ist der arme Herr Lütjejahn jetzt im Rattadies?“, fragt die dralle Rattinka, sie ist nicht die Klügste.
„So viel ich sehen konnte, hat Herr Lütjejahn noch geatmet und seine Augen sind auch immer so rumgegangen. Aber geächzt hat er wie ein Elefantenknödel in einem Zweieinhalbzoll-Rohr, was die beiden Ganoven aber nicht gekümmert hat. Einer der Aufrechtgeher ist neben Herrn Lütjejahn in die Hocke gegangen. ›Du hast die Karte doch bestimmt gefunden‹, hat er ihn angebrüllt, „,nun rück sie auch raus, bevor etwas Schlimmeres passiert!‘ Doch Herr Lütjejahn konnte nur stöhnen. Sie haben alle Schriftstücke auf dem Boden durchsucht, dann auf Lütjejahns Schreibtisch, die Schreibtischschubladen wurden aufgerissen und als sie schließlich anfingen, die Aktenordner zu durchsuchen, bin ich hinter der Heizung hinuntergerutscht und habe mich unbemerkt bis zur Tür durchgeschlagen. Am Schirmständer bin ich dann so vorsichtig wie möglich hochgeklettert, doch so ein blöder Stockschirm ist umgefallen und die Ganoven haben mich bemerkt. Einer hat sich einen Papierkorb geschnappt, um ihn mir überzustülpen. Gerade so eben konnte ich noch den Alarmknopf drücken. Da haben sich beide Ganoven total erschreckt und geflucht haben sie wie Kanalarbeiter, wenn ihnen die Abflussbrühe in die Stiefel schwappt. Sie mussten mit leeren Händen flüchten, und ich konnte vor der anrückenden Polizei gerade noch so entkommen und mich in den nächstbesten Gully stürzen.“
Amber Ansari fand vor einem Papiercontainer an der Zentralstraße nachfolgenden Polizeibericht:
Gegen 11:22 betrat Manuel Marlzeit aufgelöst die Polizeidienststelle Hameln und berichtete, durch ein Fenster des Museums ein umstürzendes Regal gesehen zu haben. Nach weiteren Untersuchungen konnte man eine schwer verletzte Person unter dem Regal bergen. Manuel Marlzeit sagte aus, dass er sich zur Zeit des Unfalls nicht im besagten Raum aufgehalten hat. Der verletzte Mann, so konnte man feststellen, heißt Konrad Lütjejahn, ist 63 Jahre alt und nicht verheiratet. Die Spurensicherung hat ergeben, dass wohl ein Kampf stattgefunden haben muss. Fußabdrücke und Haare von einer unbekannten Person konnten gesichert werden, die zur Auswertung an ein Labor nach Hannover geschickt wurden. Die genaueren Verletzungen von Herrn Lütjejahn sind unbekannt. Das Krankenhaus geht allerdings von mehreren Rippen- und Handgelenksfrakturen aus. Außerdem befindet sich die Person in nicht vernehmungsfähiger Verfassung. Konrad Lütjejahn ist polizeilich unbekannt. Der Sachschaden liegt bei ca. 1.700 €.
„Eine Karte? Eine Eintrittskarte? Vielleicht eine Landkarte?“ Rattazong überlegt. „Alte Landkarten aus vorigen Jahrhunderten können sehr teuer sein ...“
„... wenn wir sie nicht vorher zwischen die Zähne bekommen haben“, kichert Rutti.
„Ich weiß nicht, was sie gesucht haben“, überhört Ruttolf Ruttis dumme Bemerkung, „ich hatte nur Angst um Herrn Lütjejahn.“
„Ich mein doch nur“, sagt Rutti, „unsere Vorräte schrumpfen von Minute zu Minute. Wir brauchen schnellstmöglich Ersatz. Also Vorschläge, Vorschläge, Vorschläge ...!“
„Immer nur fressen, fressen, fressen – habt ihr denn überhaupt kein Herz?“, fragt Rattazongs Frau Rattanja.
„So ein feines, fettes Schweineherz“, schnalzt Rutti, „das wär jetzt der Bringer.“
„Ich hatte mal Geflügelherz an Knoblauchsoße“, schwelgt Ruttino in Erinnerungen, „das war einfach ... mmmpf.“ Er führt die rechte Pfote an sein spitzes Mäulchen und küsst die Krallen.
„Ruhe!“, geht Rattazong dazwischen, „Rattilda hat recht, wir müssen den Überfall aufklären, das sind wir dem Archivar für seine jahrelange Unterstützung schuldig!“
Zustimmendes Gemurmel und Schwänzeschlagen aus Ecken und Rohren im Kanalabschnitt 2–24.
„Wenn uns dabei zufällig die gesuchte Karte in die Hände fällt, bekommt Herr Lütjejahn doch bestimmt eine Belohnung und – wir gehen sicher auch nicht leer aus.“
Ein Sonnenstrahl fällt in das weiße Zimmer am Saint-Maur-Platz. Konrad Lütjejahn hat in dem Zweibettzimmer das Bett am Fenster erobert, obwohl man von Eroberung eigentlich nicht sprechen kann. Er weiß gar nicht mehr, wie er ins Krankenhaus gekommen ist, aber jetzt liegt er mit einem eingegipsten Arm und einem hochgehängten Bein neben Herrn Sauermann. Herr Sauermann hat einen kleinen Schnauzbart, Haare in den Ohren und auf dem kahlen Kopf eine Beule wie ein Horn.
Manuel sitzt am Bett von Herrn Lütjejahn, er hat ihm eine Tüte Weintrauben mitgebracht, doch Herr Lütjejahn kann die einzelnen Trauben nicht mit seinen verletzten Fingern vom Stiel zupfen, und so muss Manuel ihn füttern.
„Ich liebe Weintrauben“, sagt Herr Sauermann.
Manuel nimmt die Untertasse von Lütjejahns Teetasse, legt ein paar Trauben drauf und bringt die Untertasse ans Bett von Herrn Sauermann.
„Der isst alles“, flüstert Lütjejahn, als sich Manuel wieder an sein Bett gesetzt hat. „In seinem Schrank hat er vier Packungen Heringssalat und eine Plastikdose mit mindestens einem Dutzend Minisalamis.“
Manuel schaut zu Herrn Sauermann hinüber, Herr Sauermann sagt: „Danke!“ und greift nach den letzten beiden Trauben auf seinem Teller.
„Tut’s noch sehr weh?“, fragt Manuel Herrn Lütjejahn.
„Nur wenn ich lache!“ Aber darüber muss Herr Lütjejahn nun selber auch wieder lachen und zuckt zusammen: „Aua!“
Manuel würde gern erfahren, was am Vormittag wirklich passiert ist, aber wenn Herr Sauermann nicht kaut, dann lauscht er. Darum unterhalten sich Manuel und Lütjejahn über das Wetter und das Wetter und das Wetter.
Das Gesprächsthema scheint Herrn Sauermann zu langweilen, mühsam richtet er sich in seinem Bett auf, greift nach einer Gehhilfe und erhebt sich aus seinem Bett. „Ich geh dann mal die Schwestern ärgern“, sagt Herr Sauermann und macht sich auf den Weg.
„Er raucht!“, stellt Lütjejahn fest, als sich die Tür hinter Herrn Sauermann geschlossen hat. „Er ist schon siebenundachtzig Jahre alt und beim Reinigen der Dachrinne des Gartenhauses von der Leiter gefallen. Er kann sich nicht daran erinnern, hat Kopfschmerzen und sieht doppelte Bilder. Aber nur, weil ihn die Ärzte danach gefragt haben. Eigentlich ist bei ihm alles in Ordnung, sagt er selbst, er hat nur keine Lust nach Hause entlassen zu werden, weil er ganz alleine lebt und Schwierigkeiten mit seiner Wohnung hat ...“
Vom Gang her sind Stimmen und Klappergeräusche zu hören. „Kaffeezeit“, sagt Lütjejahn, „die lässt Sauermann bestimmt nicht ausfallen.“
Wenn Manuel etwas erfahren will, dann muss er jetzt fragen: „Sind Sie wirklich wegen einer Karte angegriffen worden?“ Das war ausgesprochen plump und Lütjejahn scheint zu überlegen, was er antworten soll – wie es war oder wie er es gern in der Zeitung lesen würde. Aber der Zeitungsreporter hat sich erst für den späten Nachmittag angesagt.
„So erzählt man zumindest in der Fußgängerzone.“
„Kann ich dir überhaupt vertrauen“, sagt Lütjejahn, „woher weißt du überhaupt von dem Überfall?“
„Ich habe mir eine Kugel Bananen-Eis mit Karamell geleistet, und mich gegenüber vom Museum in einem Hauseingang untergestellt. Ganz zufällig schau ich an der Fassade des Museums hinauf und da sehe ich ein Gerangel hinter deinem Archivfenster, dann ein fallendes Regal und schon war ich im Museum, um dir zu helfen.“
Lütjejahn seufzt. „Es ist ein wenig kompliziert. Vor einigen Wochen hat sich ein Student aus Lübeck beim Museum gemeldet. Er erforsche den Verlauf der Weser, die sich in den Jahrhunderten immer wieder ein neues Flussbett gesucht habe. Er würde gern im Hamelner Museum die vorhandenen Karten einsehen.“
„Klingt doch ganz logisch.“
„Ich bin stutzig geworden. Normalerweise geben Studenten den Titel ihrer Arbeit, das Fach und das genaue Forschungsgebiet an. Die Frage war mir einfach zu allgemein. Der hatte eine ganz andere Absicht, und da ist mir doch gleich die Legende von dem verschwundenen Schatz in der Weser eingefallen.“
„Ein Schatz in der Weser?“
Lütjejahn lacht. „Ein Gerücht, ein Märchen, eine Fata Morgana.“
„Könnte nicht doch etwas Wahres daran sein?“
Darauf geht Lütjejahn nicht ein und fährt fort: „Eines Tages stand der angebliche Student dann mitten im Archiv, obwohl ich ihm auf seine Anfrage nicht einmal geantwortet hatte. Ein unangenehmer Mensch, so aufdringlich und nach Knoblauch hat er auch gestunken. Könnte allerdings auch Fußschweiß gewesen sein.“
Manuel rutscht mit seinem Stuhl näher an Lütjejahns Bett heran.
„Ohne Umschweife ist er auf den Zweck seines Besuchs gekommen. Wenn einer etwas über den Schatz in der Weser wissen könnte, dann doch sicher der Archivar. Ob ich ihm einen Hinweis, eine Information oder noch besser eine Karte mit dem vermuteten Fundort des Schatzes verkaufen könnte? Sollte er etwas finden, würde er brüderlich mit mir teilen.“
„Würde ich auch machen“, ist sich Manuel ganz sicher.
„Da lohnt sich keine Anschaffung von Schwimmflossen und Schnorchel, es gibt keinen Schatz in der Weser, erst recht keine Schatzkarte. Aber der Kerl ließ nicht locker, ganz nah ist er mir auf den Leib gerückt und hat mir seinen schlechten Atem ins Gesicht geblasen. Außerdem war Mittag und ich wollte ihn loswerden.“
„Ich habe extra zwei Pfefferminzbonbons gelutscht, bevor ich ins Krankenhaus gekommen bin.“
„Immer wieder hat er nach der Schatzkarte gefragt und ich hab schließlich gesagt, ich würde nach der Karte suchen, weil ich doch zu Tafelspitz mit Meerrettichsauce und Butterkartoffeln runter ins Café wollte.“
„Das war wohl ein Fehler.“
„Na ja, der Kerl ist dann mit einem Kumpel zurückgekommen, ich hatte natürlich keine Karte und den Rest kennst du.“
Die Zimmertür geht auf, Sauermann kommt zurückgehumpelt. „Der Kaffeedienst ist nur noch zwei Türen entfernt, da musste ich mich beeilen.“ Er stellt die Gehhilfe an die Wand, lässt sich auf die Bettkante plumpsen und schnauft durch. „Bin mal gespannt, was es heute gibt.“
„Warum haben Sie denn nicht nachgesehen?“
„Weil ich mich überraschen lassen will.“
Die Tür des Krankenzimmers wird aufgestoßen, eine junge Frau im weißen Kittel schiebt den Kuchenwagen ins Krankenzimmer. Herr Sauermann sagt: „Ich hätte gerne ein Stück Bienenstich, dann Kirschtorte oder vielleicht noch ein Stückchen vom Hefezopf.“
„Und ich hätte gern sechs Richtige im Lotto mit Zusatzzahl.“
„Vielleicht schon am kommenden Samstag!“