Die Reise zur Freiheit - Gino Leineweber - E-Book

Die Reise zur Freiheit E-Book

Gino Leineweber

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Beschreibung

Gino Leineweber, Jahrgang 1944, ist Poet, Schriftsteller, Übersetzer und lebt in seiner Heimatstadt Hamburg, Deutschland, und zeitweise in Cedar, Leelanau County, Michigan, USA. Er war von 2003 bis 2015 Vorsitzender und ist ab 2015 Ehrenvorsitzender der Hamburger Autorenvereinigung. Von 1991 bis 2015 war er Mitglied der Deputation der Kulturbehörde Hamburg. Von 2013 bis 2020 war er Präsident des Three Seas Writers and Translators Council (TSWTC) mit Sitz in Rhodos, Griechenland. Er ist Mitglied im PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (früherer Deutscher Exil-P.E.N).

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Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Gino Leineweber

Die Reise zur Freiheit

Die Wege eines

amerikanischen buddhistischen Mönchs

Verlag Expeditionen

Es gibt keine Weisheit

Ohne Meditation

Es gibt keine Meditation

Ohne Weisheit

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Impressum

Weitere E-Bücher im Verlag Expeditionen von Gino Leineweber

Wo der Teddybär lebt - und andere Einsichten über Michigan

Hemingway - Wie alles begann – Kindheit und Jugend in Michigan

Bhante Puññaratana – Ein buddhistischer Mönch aus Sri Lanka

Francisco Pizarro – Im Namen von Kreuz und Krone

Vorwort

Bhante Yogavacara Rahula traf ich zum ersten Mal 1999 im buddhistischen Meditationszentrum Roseburg, etwa 40 Kilometer östlich von Hamburg. Ich hatte den Leiter des Zentrums nach einem für mich geeigneten Meditationskurs gefragt und er hatte mir den des amerikanischen Mönchs empfohlen. Von dem wusste ich zu jenem Zeitpunkt nichts.

Später habe ich dann seine Autobiografie gelesen, in der er beschreibt, wie es dazu kam, dass er Mönch wurde. Man mag sich deshalb fragen, warum ich auch noch ein Buch über ihn schreiben wollte. Die Antwort ist, dass es interessant ist, warum jemand ein Mönch wird – und das ist auch Teil dieses Buches. Aber ich kenne ihn nur als Mönch und hauptsächlich als Lehrer, und darüber wollte ich gern schreiben. Ein Lehrer mit einem westlichen Hintergrund, der eine östliche Lebensphilosophie lehrt: Diese Kombination ist womöglich grundlegend für den signifikanten Einfluss, den seine Lehre ausübt. Obwohl mit herausragenden intellektuellen Fähigkeiten ausgestattet, hat er sich nur wenig damit beschäftigt, Schriften über den Buddhismus zu veröffentlichen, sondern damit, neben den Grundlagen besonders die Praxis des buddhistischen Wegs zu zeigen und seinen Schülern Unterstützung, Beratung und Begleitung zu bieten.

Inzwischen habe ich ihn gut kennengelernt und konnte ihn ein Stück auf seinen beiden Reisen begleiten: Die eine führt ihn durch das irdische Leben, die andere lässt ihn wandeln auf dem Edlen Achtfachen Pfad, dem buddhistischen Weg zur Befreiung. Dem Weg zur Überwindung vom Samsara, dem „Zyklus allen Lebens, aller Materie und Existenz”, und zur Erleuchtung.

Nach dem ersten Retreat mit Bhante Rahula habe ich es nie versäumt, ihn zu treffen, wenn er in Deutschland war, und es ist für mich eine willkommene Routine geworden, ihn an verschiedene Orte zu chauffieren. Ich bin mit ihm in den Vereinigten Staaten gereist und, vor allem wegen dieses Buches, in Sri Lanka, wo er 1977 zum Mönch ordiniert wurde.

Somit berichte ich hier noch über eine dritte Reise, nämlich meine, auf der er mich begleitete.

Um dieses Buch zu schreiben, sprach ich mit anderen buddhistischen Mönchen, interviewte einige von Rahulas Freunden und Familienmitgliedern und fragte einige seiner Schüler nach weiteren Informationen über ihn. Es erschien zuerst in englischer Sprache, weil meine Recherchen, Interviews und Gespräche in dieser Sprache stattfanden

Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, die ich erhalten habe. Mein besonderer Dank gilt dem hochgeschätzten Bhante Gunnaratana, dem Abt des Waldklosters in West Virginia, wo Bhante Rahula 23 Jahre lang als stellvertretender Abt lebte, und Bhante Ariyajothi, dem Abt des Klosters in Unawatuna, der Rahula unterstützte, als er eine Weile in der Einsamkeit leben wollte. Mein Dank gilt auch Mali Gaudi, Klaus und Miyako Habich, Gabrielle Heinemann, Uta Brede, Angelika Post und Frank Wesendahl, die ich stellvertretend für die anderen Freunde und Helfer in Deutschland, den USA und Sri Lanka nenne.

Besonderer Dank gilt Rahulas Mutter, Virginia DuPrez, die nicht nur mit mir über ihren Sohn gesprochen hat, sondern mich auch beherbergte, als ich in Riverside in Kalifornien war.

Gino Leineweber

Juni 2018 / August 2019

Kapitel 1

Nach drei kommt vier, nach vier kommt fünf. Aber stimmt das? Folgt nicht doch zwei auf drei? Was bedeuten die Zahlen? Wenn die drei umkippt, ist sie dann noch eine Zahl oder der Buchstabe m? Bin ich hier oder bin ich da? Bewege ich etwas oder nicht? Was ist Realität? Was ist Vorstellung? Wann hat es angefangen? Wann wird es enden? Richtungen, Bedeutungen, Raum und Zeit kennen wir nicht. Unser Wissen stammt aus konditionierten Wahrnehmungen.

Wir setzen alle Bewegungen zwischen einen Anfang und ein Ende. Als Konzept, weil wir uns nichts anderes vorstellen können. Die Schlussfolgerung: Wenn es einen Anfang gibt, ist ein Ende unvermeidlich.

Der Ehrwürdige Bhante Rahula schrieb mir als Widmung in seine Autobiographie One Night Shelter: „Ich wünsche dir Glück auf deinem Weg”.

Auf welchem Weg? Ich wusste nicht, dass ich mich auf einem befand. Gemeint war der Edle Achtfache Pfad. Ich hatte nur noch nicht bemerkt, dass meine Wanderung begonnen hatte.

Acht Schritte sind es auf dem Pfad. Welcher ist das erste? Welcher wird der letzte sein? In der buddhistischen Lehre sind alle Schritte gleichermaßen notwendig. Der Pfad ist die letzte der Vier Edlen Wahrheiten. Wer den Edlen Achtfachen Pfad beschreitet, muss die Vier Edlen Wahrheiten verstehen. Muss verstehen, dass sie das Ziel von Buddhas Lehre bedeuten. Der Lehre, deren einziges Ziel es ist, das Leiden zu überwinden.

Dukkha (Leiden) ist die erste der Vier Edlen Wahrheiten. Wir erfassen den Körper, den Geist und die Außenwelt und halten daran fest. Die zweite Wahrheit ist, die Ursachen des Leidens zu kennen. Es sind dies Gier, Hass und Verblendung, die, früher oder später, unweigerlich zu Trauer, Verwirrung, Schmerz und Verzweiflung führen. Wenn es aber eine Ursache gibt, ist es auch möglich einen Weg zu finden, sie zu überwinden. Das ist die dritte Wahrheit – und die vierte ist der Weg selbst, der Edle Achtfache Pfad.

Als ich Bhante Rahula nach seinem Weg und dessen Beginn frage, sagt er: „Der entscheidende Wendepunkt in meinem Leben war, als ich nach einigen ernsthaften Studien glücklicherweise verstehen konnte, was die Vier Edlen Wahrheiten bedeuten und wie sie wirken. Es war, was man meine spirituelle Wiedergeburt nennen könnte.”

Ein Mönch in der Theravada-Tradition des Buddhismus wird üblicherweise Bhante genannt. In anderen Traditionen, im Tibetischen zum Beispiel, Lama oder Rinpoche. „Ehrwürdig” wird als eine Form des Respekts häufig vorangestellt. Der Ehrwürdige Bhante Yogavacara Rahula war nicht immer ein Mönch und auch nicht immer ehrwürdig. Er hieß auch anders. Auf seiner Geburtsurkunde steht: Scott Joseph DuPrez, geboren am 21. Juni 1948.

Ich hörte von ihm im Jahr 1999 im Haus der Stille, einem buddhistischen Meditationszentrum in der Nähe von Hamburg, und hatte seinen Namen womöglich schon einmal im Programm gelesen. Aber bewusst wurde er mir erst, als Frank Wesendahl, der das Haus damals mit Angelika Post führte, ihn mir nannte. Er hatte an Rahulas Kursen teilgenommen, ihn im Waldkloster Bhavana Society in West Virginia, USA, besucht und war mit ihm gereist, einschließlich einer Wanderung im Grand Canyon. Er kannte ihn gut.

Ich mochte Frank sofort, als ich zum ersten Mal mit ihm telefonierte, um mich über den Veranstaltungsort zu informieren und Näheres über das Programm eines Meditationsseminars zu erfahren, das im Haus der Stille angeboten wurde. Es war ein Retreat mit einem früheren Mönch. Dieses Telefongespräch war, wie sich herausstellte, die einzige Gelegenheit, die wir hatten, ausführlich miteinander zu sprechen. Das Retreat nämlich fand, wie üblich, in Edlem Schweigen statt. Weder während der Sitzungen noch zu anderen Gelegenheiten wurde gesprochen. Seit diesem ersten Retreat habe ich an vielen Schweigeseminaren teilgenommen, manchmal mit fast denselben Teilnehmern.

Wir verbrachten viel Zeit miteinander, aber ich kenne nur wenige durch andere Treffen oder gemeinsame Fahrten. Der Zweck dieser Stille in den Seminaren ist, den inneren Prozess der Praxis zu unterstützen.

Als ich am Ende meines ersten Retreats Frank sagte, dass ich gern wiederkommen würde und ihn fragte, welches andere Seminar er mir empfehlen könnte, sah er mich an, überlegte kurz und sagte: „Geh zu Rahula”. Er empfahl ihn aufgrund seiner eigenen Erfahrung und dachte, er wäre auch gut für mich geeignet. Und Frank hatte recht.

Ich hatte zuvor etwa drei Jahre lang an einer sogenannten psychodynamischen, körperorientierten und spirituellen Therapiegruppe teilgenommen. Es half mir in gewisser Weise, mich selbst, aus einem psychologischen Aspekt heraus, zu verstehen. Was mir an den Kursen am besten gefiel, waren die verschiedenen Meditationsmethoden, die zum Üben angeboten wurden. Ich stellte weitere eigene Studien über Meditationen an. Sehr informative Hinweise mit gründlichen Beschreibungen der Techniken fand ich in dem berühmten Das Orangene Buch von Osho. Darin auch die Vipassana-Meditation.

Wenn ich einen Wendepunkt in meinem Leben, der mich zu „meinem Weg” geführt hat, nennen sollte, wäre es die Entdeckung von Vipassana.

Bei dieser Meditation werden bewusst Atmung, Gedanken, Gefühle und Handlungen eingesetzt, um Einblicke in die wahre Natur der Existenz zu gewinnen. In der buddhistischen Lehre ist dies Vergänglichkeit, Leiden und die Erkenntnis des Nicht-Selbst (Anicca, Dukkha, Anatta). Das erschloss sich mir am Anfang noch nicht. Was mich beeindruckte war das Gefühl der Achtsamkeit. Auch war mir zunächst nicht bewusst, dass Vipassana mir das Tor zur buddhistischen Lehre öffnen würde.

Aber nicht nur für mich war es der Anfang. Auch für Bhante Rahula, als er in den 1970er Jahren nach Asien reiste, mit der Spiritualität alter asiatischer Kulturen in Berührung kam und zuerst Vipassana praktizierte. Es war die Zeit der Hippies. Tausende junger Frauen und Männer reisten um die Welt, vor allem auf der Suche nach „Frieden und Glück”, einer Suche, die jedoch meist vom Drogenkonsum beeinflusst war. Scott DuPrez war einer davon.

Mit drei Freunden machte er sich von Kalifornien, wo er aufgewachsen war, auf den Weg. Er hatte gerade seinen ersten Abschluss am College gemacht. Seine Eltern hätten es gern gesehen, wenn er noch zwei weitere Jahre studiert hätte, doch er wollte in die Welt hinaus. Wollte sehen, wie andere Menschen leben und vielleicht dort oder in sich selbst etwas entdecken, das richtungsweisend war oder neue Horizonte eröffnete.

Man weiß, auch auf einer Reise, nie im Voraus, was geschehen wird. Betrachtet man danach, was passiert ist, merkt man, dass alles nur genauso eingetreten ist, wie es passieren konnte. Es bedeutet in gewisser Weise, dass die Ereignisse vorbestimmt sind. Was auch immer geschieht folgt einer bestimmten Bewegung, abhängig von verschiedenen Bedingungen. Wie die Potenziale, die jemand hat, oder die Umgebung. Der junge Scott bewegte sich in die Richtung, ein buddhistischer Mönch zu werden, ohne es zu wissen. In ihm war das angelegt, und es gab Anzeichen dafür, dass er sein Leben dramatisch verändern würde.

Aufgewachsen in Riverside, einer Stadt südlich von Los Angeles, verlebte er eine ganz normale Kindheit und Jugend in einer amerikanischen Durchschnittsfamilie. Sein Vater verkaufte Traktoren, seine Mutter war Lehrerin. Er hat zwei ältere Geschwister, einen Bruder und eine Schwester. Die Familie besuchte die örtliche Methodistenkirche und die Kinder die Sonntagsschule.

Scott war Pfadfinder, schloss sich dem CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) an und machte Camping- und Surfreisen. An seinem sechzehnten Geburtstag schenkten ihm seine Eltern ein Auto, mit dem er zum Strand oder mit seinen Freunden durch die Straßen Riversides fuhr. Er ging auf Partys, begann Bier und Wein zu trinken, hatte verschiedene Freundinnen und genoss seine Jugend. Es war die Zeit der kulturellen Revolution und der Hippie-Bewegung. Die Jugend dieser ereignisreichen Zeit hörte Pop- und Rockmusik und experimentierte mit Marihuana und LSD. Auch Scott, der mit langen Haaren, verblassten Jeans und T-Shirts den lässigen, freien Lebensstil dieser Zeit pflegte.

Den Namen „Buddha” hörte er zum ersten Mal nach einem seiner Surfausflüge. Er war in der Baja California in Mexiko und ging durch die kleinen Straßen voller Geschäfte für Touristen. Als er an einem der vielen Kunsthandwerksläden vorbeikam, bemerkte er eine etwa 30 Zentimeter hohe Figur aus Ton. Er kaufte sie und stellte sie zu Hause auf seinen Fernseher, wo sie ihm als Ablage für seine Kopfbedeckungen diente. Er wusste nicht, wen die Figur darstellte, bis seine Mutter sie bemerkte und sagte:

„Oh, was ist das? Du hast das in Mexiko gekauft? Es ist eine Statue von Buddha.”

„Wer ist Buddha?”

„Schau im Lexikon nach.”

Er tat es und las ein wenig über Buddha. Es beeindruckte ihn aber nicht besonders. Er erinnerte sich allerdings an ein eigenartiges Gefühl beim Kauf: Als er in Mexiko die Straßen mit den vielen Geschäften, die Andenken verkauften, entlangschlenderte, wurde er plötzlich auf diese Figur aufmerksam. Sie stand zwischen vielen anderen, den Matadoren, Stieren, Katzen und so weiter. Er fühlte sich von ihr irgendwie angezogen, wie er mir sagte, fast so als krümme sie den Finger und machte eine Geste, die sagen sollte: „Komm!“

„Ich ging rüber,” erzählt Rahula, „und dachte, die ist interessant, und ich wusste, die will ich haben. Und dann sah ich sie jeden Tag, wenn ich in mein Zimmer kam. Sie könnte schon eine gewisse vorgegebene Wirkung auf mich gehabt haben.”

Welche kann man nicht sagen, und ich möchte nicht zu viel hineininterpretieren. In gewisser Weise jedoch war es der erste Schritt auf dem Weg zu seiner Ordination. Die Figur des Buddha bedeutete ihm etwas seitdem. Ich vergleiche das mit einer ähnlichen Erfahrung, die ich in den 1980er Jahren gemacht hatte, als ich mit einem Freund auf einer Rundreise durch Nordthailand war. Eine Reiseleiterin führte uns jeden Tag in verschiedene Tempel. Sie hatte eine besondere Art, das Wort „Tempel” auszusprechen und wir machten uns hinter ihrem Rücken darüber lustig. Ich habe den Klang noch immer im Ohr. Zu jener Zeit wusste auch ich nichts von Buddha. Doch die Tempel waren schön, farbenfroh und gut gestaltet. Ich liebte es, sie zu besuchen. Sie beherbergten häufig Gemälde, die Episoden aus dem Leben des historischen Buddha darstellten. Von seiner Geburt als Siddhartha Gautama, über seine Erleuchtung bis zu seinem Tod. Die Legende besagt, dass ihm bei seiner Geburt – er war der Sohn eines Königs – vorausgesagt wurde, er werde entweder ein großer König oder ein weiser heiliger Lehrer werden. Der Vater wollte seinen Sohn als König sehen und beschloss, ihn vor religiösen Lehren und dem Wissen um das menschliche Leiden zu schützen. Als Gautama sechzehn Jahre alt wurde, ließ sein Vater ihn mit einer gleichaltrigen Kusine verheiraten. Sie schenkte Gautama einen Sohn, dessen Name Rahula war. Das alles war auf den Gemälden zu sehen.

Auch, dass er den Palast im Alter von 29 Jahren verließ und dabei sah, was sein Vater vor ihm zu verbergen versucht hatte: Krankheit, Alter und Leiden. Das deprimierte ihn, und er beendete sein Leben als Prinz. Er glaubte, als Asket das Leiden überwinden zu können. Durch zwei spirituelle Lehrer erreichte er ein hohes Maß an meditativem Bewusstsein. Doch es führte nicht zu dem, was er sich vorstellte. Er war nicht zufrieden. Die Bilder in den thailändischen Tempeln zeigten auch, wie er allein versuchte, durch eine extreme asketische Praxis, während der er wenig aß und kaum schlief, seine Vorstellungen zu verwirklichen. Aber er war vom Fasten so entkräftet, dass er eines Tages beim Baden in einem Fluss fast ertrunken wäre, hätte ein Dorfmädchen ihn nicht gerettet. Sie gab ihm zu essen, und er kam wieder zu Kräften.

Er überdachte seinen Weg und kam zu der Erkenntnis, dass es gut wäre, beide Extreme zu vermeiden. Sinnlichen Genuss, Leidenschaft und Luxus auf der einen und Askese, Fasten und Unterwerfung auf der anderen Seite. Dies führte zu seiner Lehre vom Mittleren Pfad, der zur Ruhe und Gelassenheit führt und Einsicht und Wissen hervorbringt. Man sieht den Buddha zum Ende seiner Reise auf den Bildern in den Tempeln, wie er unter einem Feigenbaum (Bodhi-Baum) sitzt.

Er hatte sich geschworen, nicht eher wieder aufzustehen, bis er die Wahrheit gefunden hätte. Nach neunundvierzig Tagen, im Alter von 35 Jahren, erlangte er die Erleuchtung. Er gewann vollständige Einblicke in die Ursache des Leidens und die notwendigen Schritte zu ihrer Beseitigung. Diese kennen wir heute als die Vier Edlen Wahrheiten. Buddha hatte erkannt, dass das Nirvana, der Zustand höchster Befreiung, für jeden Menschen möglich ist. Nach seinem Erwachen begann er den Weg zur Überwindung des Leidens zu lehren, den Edlen Achtfachen Pfad.

Ich hatte mir die Bilder angesehen, aber vieles nicht so verstanden wie ich es heute tue. Was mich allerdings beeindruckt hatte, und insoweit vergleiche ich es mit dem, was Scott DuPrez mit der Buddha-Figur erlebte, war, dass Gautama seinen Palast verlassen und sein Leben verändert hatte, als er das Leiden in der Welt sah. Aber das war für mich in keiner Weise ein signifikanter Einfluss, der mein zukünftiges Leben veränderte. Sowenig wie die Tonfigur für Rahula. Es war eher wie ein erstes Klopfen an die Tür, auf das man eines Tages reagieren könnte.

Kann Erleuchtung erreicht werden? Oder ist es etwas, das bereits existiert? Besser gefragt: Ist Erleuchtung ein Ziel? Bhante Rahula fragte mich eines Tages im Zusammenhang mit seiner Autobiografie, die ich am Anfang erwähnt habe:

„Weißt du, warum ich meiner Autobiographie den Titel One Night Shelter (Ein Bett für eine Nacht) gegeben habe?” Ich wusste es nicht. Er sagt:

„Ich habe es als Beschreibung für die Unbeständigkeit gewählt. Es geht darum, was wir im Leben tun. Das Leben, von der Zeit unserer Geburt bis zur Zeit unseres Todes, ist nur eine Abfolge von sich verändernden Bedingungen. Du bist für eine Weile ein Baby, dann ein Kind und später ein Teenager und dann bist du ein junger Erwachsener. Du triffst deine Pfadfinder, deine Studenten und all die anderen Menschen. Tust Dinge, die du magst und solche, die dir nicht gefallen. Aber das ändert sich ständig. Wir ändern uns. Selbst Wünsche und Hoffnungen, die sich erfüllen, eine Freundin, die wir vielleicht haben, oder einen Freund: Das und alles andere sind nur ein One Night Shelter. Ein temporärer Ort für deinen Geist, an dem du dich aufhalten kannst. Doch dann ändert er sich, und du musst weitergehen. Metaphorisch ausgedrückt, dauert keine Erfahrung länger als eine Nacht. Das ist es, was ich versucht habe, in dem Buch zu beschreiben. Alles was ich getan habe – Drogen, Hippie sein, Pfadfinder sein, in die Armee eintreten, reisen, du weißt schon – all das war nur im Kopf da, hat aber zu meinen Erfahrungen beigetragen. Dann, als ich vom Dhamma hörte, dachte ich über all diese Dinge nach, und sie ergaben plötzlich einen Sinn.”

Was Rahula mir über den Titel sagte, wusste ich nicht, als ich das Buch gelesen habe. Aber es spielte keine Rolle. Die Bedeutung erschloss sich mir beim Lesen. Dennoch ist es mir wichtig, sie zu kennen, quasi als eine Art Zusammenfassung.

Meine ersten Erkenntnisse über die Metapher „One Night Shelter“ habe ich allerdings nicht aus der Autobiographie selbst gewonnen, sondern aus Rahulas Unterweisungen und Vorträgen während der Exerzitien im Haus der Stille. Dieses Meditationszentrum befindet sich in dem kleinen Dorf Roseburg östlich von Hamburg. Die beiden Gebäude – das Haupthaus aus dem Jahre 1903 und die 1970 erbaute Meditationshalle – liegen zwischen Teichen und alten Bäumen und bieten ausreichend Platz für Gehmeditationen. Auch für entspannende Vertiefungen in die Erfahrungen durch die Vipassana-Meditation. Dieses Gelände erfordert aber auch viel Arbeit. Das lernte ich bei meinem ersten Aufenthalt während der obligatorischen täglichen Arbeitsstunde. Ich hatte mich für die Gartenarbeit entschieden. Später änderte ich das und wusch Geschirr. Das war nicht so anstrengend.

Als ich zu meinem ersten Retreat mit Rahula kam, war ich bereits mit dem Veranstaltungsort vertraut. Nach meiner Ankunft ging ich gleich in die Meditationshalle, um meinen Platz zu wählen und einzurichten. Dabei traf ich Bhante Rahula zum ersten Mal. Er war mit Frank dabei, den Raum vorzubereiten, insbesondere die Anordnung der Matten für die über zwanzig Teilnehmer. Ich sah einen hageren Mann im obligatorischen orangefarbenen Gewand, der seine Vorstellungen sehr überzeugend, dabei ruhig und freundlich, formulierte. Er schien mir das zu sein, was man „in sich ruhend” nennt.

Das Seminar hatte offiziell noch nicht begonnen, und ich hoffte, ein paar Worte mit ihm wechseln zu können. Doch es gab nur ein gegenseitiges „Hallo”. Mir erschien das seltsam. Ich war es gewohnt, beim ersten Kennenlernen ein wenig zu plaudern.

Doch die Rechte Rede ist ein „Schritt” auf dem Edlen Achtfachen Pfad. Damit war ich noch nicht vertraut. Wie ich inzwischen aus meinen Begegnungen mit Rahula weiß, hält er small talk, wie man meine Begrüßungserwartung auch nennen kann, nicht für einen Teil davon. Doch ich wusste es nicht und war ein wenig enttäuscht. Das Konzept der Rechten Rede beinhaltet, kurz gesagt, nicht zu lügen, nicht aggressiv oder missbräuchlich zu sprechen und auf leeres Geschwätz zu verzichten. Das gegenseitige „Hallo” im ersten „Gespräch” mit Bhante Rahula, war demnach völlig ausreichend, weil nichts anderes nötig war.

Ich wählte meinen Platz an einer Wand mit fast direktem Blick auf den des Mönchs. Ich meditierte dort dann zehn Tage und hörte Vorträge über Achtsamkeit. Inzwischen weiß ich, dass Rahula sie nicht nur lehrt, sondern auch lebt. Als ich ihn das erste Mal sah, beeindruckte mich seine Ruhe. Später lernte ich, dass die ruhige Art, mit der er spricht und handelt, auf dem Konzept der Achtsamkeit beruht.

In seinen Vorträgen lehrt er die Welt im Licht des Dhamma und verwendet Beispiele aus seiner eigenen Erfahrung. Aus denen erfuhr ich, dass er in Riverside, Kalifornien, aufgewachsen war. Kalifornien! All die Bücher und Filme, die ich darüber gelesen und gesehen habe, beeindruckten mich in vielerlei Hinsicht. Er war dort aufgewachsen! Ich sah sofort vor meinem geistigen Auge einen unbeschwerten jungen Menschen in einem liberalen Bildungssystem, der Kindheit und Jugend mit Freunden und Familie genoss, seine Freizeit im Freien verbrachte, Vergnügen suchte und dieses besonders beim Surfen im Pazifischen Ozean fand.

Meine Vorstellung seiner täglichen Surf-Freuden entstammte aber nur meiner schwärmerischen Konditionierung. Ich übersah, dass seine Heimatstadt etwa 80 Kilometer vom Pazifik entfernt war.

Riverside ist eine angenehme, typisch amerikanische Stadt mit ca. 300.000 Einwohnern und einem 400 Meter hohem Berg, dem Mount Rubidoux. Dieser Berg begrüßt die Besucher, wenn sie aus Richtung des nordwestlich gelegenen Los Angeles kommen. Er liegt oberhalb des Flusses Santa Ana und besteht aus einer Parklandschaft mit ungefähr fünf Kilometern Wanderwegen und einem weiten Blick über die Stadt.

Rahulas Familie zog ein paar Mal um, hauptsächlich wegen des Lehrberufs der Mutter. Als er geboren wurde, lebte die Familie in Brawley, einer kleinen Stadt etwa 40 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt und südlich des größten Sees Kaliforniens, den mir Bhante Rahula einmal, als wir an einem Aussichtspunkt im Joshua Tree Nationalpark waren, zeigte. Er wies auf ein weit entferntes Gewässer und sagte:

„Das dort ist der Salton Sea, ein Salzwassersee. Seine Oberfläche befindet sich unter dem Meeresspiegel. Dort in der Gegend, um Brawley herum, gab es viel Landwirtschaft. Hauptsächlich wurde Gemüse angebaut. Die Bewässerung erfolgte vom Colorado River, der heute nicht mehr so viel Wasser führt, wie damals. Mein Vater verkaufte Landmaschinen und später auch Autos. Er war sein ganzes Leben lang Verkäufer. Meine Mutter als Lehrerin aber verdiente mehr Geld als er.”

Rahulas Großvater und Urgroßvater väterlicherseits kamen aus Frankreich. Daher der alte hugenottische Name DuPrez. Die Großmutter stammte aus einer bäuerlichen Familie in Colorado.

Dort wurde auch sein Vater geboren, ging jedoch als junger Mann nach Kalifornien.

Von Seiten seiner Mutter scheint amerikanische Geschichte durch. Denn ihre Familie stammt ursprünglich aus England. Der achte Urgroßvater kam mit den Quäkern nach Pennsylvania und gehörte der ersten Quäker-Kolonie an, die William Penn, ein englischer Immobilienunternehmer und Philosoph, gegründet hatte. Nach ihm ist der Staat Pennsylvania benannt. Als ich mit Rahula über seine Abstammung spreche, sage ich, dass er dann wohl einerseits ein bodenständiger Landwirt und andererseits ein „Adeliger” sei.

„Im Grunde genommen ja”, stimmt er zu, „englisches und französisches Blut. Meine Mutter wurde in Los Angeles geboren. Mein Vater traf sie dort nach dem Krieg. Anfangs lebten sie dann für einige Zeit in San Diego.”

Der bedeutendste Umzug, jedenfalls soweit er den heranwachsenden Sohn Scott betraf, der die siebte Klasse besuchte, war der in ein Haus in einer kleinen Sackgasse mitten in Riverside. Ein eingeschossiges Gebäude mit einer Doppelgarage auf der linken und einem großen Baum vor dem Haus auf der rechten Seite. Es hat ein rotes Dach und beigefarbene Wände. Die Hausnummer 5368 ist auf die Bordsteinkante davor gemalt, zusammen mit der amerikanischen Flagge und einer Insel mit zwei Palmen. Von hier aus radelte Rahula zur nahegelegenen Sierra Junior High School. Hier fand er viele Freunde, mit denen er seine Zeit verbrachte. Die Freundschaft mit ihnen dauerte lange über die Schulzeit an, und mit einigen besteht sie heute noch.

Rahula verbrachte, soweit ich es beurteilen kann, eine glückliche Kindheit und Jugend. Er war mit liebenden Eltern gesegnet, die verständnisvoll und fürsorglich waren. Ein typisches kalifornisches Kind mit guten Noten, das in der Schule und privat Sport trieb und seit seinem 14. Lebensjahr besonders das Surfen liebte.

Es konnte nicht ausbleiben, dass der Heranwachsende mit Drogen in Berührung kam. Die ersten Erfahrungen damit machte er auf einer Surf-Expedition mit Freunden nach Mexiko. Sie gefielen ihm, und er begann, regelmäßig besonders Marihuana zu konsumieren. Auch zu Hause in seinem Zimmer, wenn er mit Freunden Musik hörte. Der intensive Marihuana-Duft konnte seinen Eltern nicht verborgen geblieben sein. Seine Mutter war zu der Zeit als stellvertretende Direktorin an einer der problematischeren Schulen in Riverside mit der Drogensituation vertraut. Sie hatte mit Schülern zu tun, die „zugekifft” in die Schule kamen, mit Drogen handelten oder von LSD oder Angel Dust, salopp ausgedrückt, verrückt geworden waren. Sie kannte die Anzeichen des Konsums von Drogen und wusste ziemlich gut, wie sich jemand verhielt, der sich ihnen hingab.

Als Rahula 1966 die High School abschloss, war Amerika in den Vietnamkrieg verwickelt. Die unbeschwerte Jugendzeit, die er in Riverside verbrachte, wurde durch seinen Militärdienst unterbrochen. Viele seiner Freunde waren bereits eingezogen worden, und er ahnte, dass es bald auch ihn treffen würde. Er kam dem zuvor und meldete sich, gemeinsam mit seinem Freund Dave, im Dezember 1967, als er am Junior College das neue Fachgebiet Datenverarbeitung und Informatik studierte, freiwillig für drei Jahre zur Armee. Ein Jahr mehr als die üblichen zwei für Wehrpflichtige. Es schien ihm und seinem Freund akzeptabel, weil es so möglich war, die Art der Ausbildung zu wählen. Die meisten Wehrpflichtigen wurden zur Infanterie eingezogen. Rahula entschied sich nach der Grundausbildung für ein Studium der Elektronik, das von der Armee angeboten wurde. Nach dem Abschluss wurde er den NATO-Streitkräften in Deutschland zugewiesen. Im Sommer 1969 erhielt er dort den Versetzungsbefahl nach Südvietnam.

Bevor er diesem folgen musste, hatte er noch zwei Wochen Urlaub und besuchte einige Freunde, die etwa zur gleichen Zeit wie er eingezogen und nun bereits aus dem aktiven Militärdienst entlassen worden waren.

Dave war auch wieder da. Er war bereits früher nach Vietnam geschickt und dort von einer Granate schwer verletzt worden. Ihm mussten beide Beine unter den Knien amputiert werden. Rahula traf ihn in San Francisco, wo Dave sich mehreren Operationen unterzogen und seine Prothesen bekommen hatte. Als ich Rahula frage, wie es sich angefühlt hat, diesen vom Krieg schrecklich zugerichteten Freund, mit dem er sich gemeinsam zur Armee gemeldet hatte, zu besuchen, sagt er:

„Natürlich war seine Stimmung sehr schlecht. Während ich ihn und ein paar andere Freunde besuchte, die ebenfalls in Vietnam verwundet worden waren, nahmen wir wie früher Drogen. Doch es fühlte sich die ganze Zeit ein wenig seltsam an, mit ihnen zusammen zu sein und sich vorzustellen, was sie durchgemacht und erlitten hatten, verglichen mit den unbeschwerten Zeiten, die ich in Deutschland erlebt hatte. Bei den Besuchen dort in San Francisco dachte ich darüber nach, welches Schicksal Menschen haben und was es mit ihnen macht. Wie konnte es sein, dass mein Aufenthalt in Deutschland und Daves in Vietnam solche unterschiedlichen Auswirkungen haben konnte? Konnte es wirklich einen Gott geben, der diese Lebensdramen kontrolliert? Ich wusste es nicht.”

Hatte er keine große Angst um sich selbst gehabt, da er wusste, dass er dahin gehen würde, wo all diese Freunde von ihm schwer verletzt worden waren? Ich stelle mir das vor und frage, ob es ihm nicht in den Sinn gekommen sei, zu desertieren.

„Nein”, sagt er, „aus irgendeinem Grund nicht. Ich hatte es akzeptiert. Das Einzige, was ich tun wollte, war, die mir verbleibende Zeit zu genießen, bis ich nach Vietnam aufbrechen musste. Etwas später ging ich mit Dave, der mit seinen neuen künstlichen Beinen gut zurechtkam, in das große Militärkrankenhaus in San Francisco, in dem er mehrere Monate verbracht hatte. Er wollte einige seiner verwundeten Freunde besuchen, die noch dort lagen. Der Besuch hat mich tief erschüttert. Es gab eine große Amputierten-Station, mit etwa hundert jungen Männern, die entweder ein oder zwei Arme oder Beine oder eine Kombination davon verloren hatten. Ich sah einen jungen Mann, dem beide Arme und beide Beine amputiert worden waren. Die Verwundeten, entweder im Rollstuhl sitzend oder auf dem Bett liegend, sprachen oder scherzten untereinander. Einige lernten, ihre neuen Prothesen zu benutzen. Andere lasen, schliefen oder starrten still ins Leere. Dave sprach mit einigen der Jungs, die er kannte, während ich kaum etwas sagte. Der Gedanke ‚auch ich kann so wiederkommen’ kam mir in den Sinn. Nach einigen Minuten merkte ich, dass mir übel wurde und ich mich übergeben musste. Ich ging schnell in eine Toilette und fühlte mich wie im Fieber und sehr schwach. Über diese starke körperliche Reaktion war ich sehr erstaunt. Ich wartete dann draußen darauf, dass Dave herauskam und wir gehen konnten.”

Dieser Besuch fand statt, während Rahula versuchte, sein Leben so gut er konnte zu genießen, bevor es nach Vietnam ging. Es könnte, nach allem, was er gesehen hatte, die letzte gute Zeit für ihn gewesen sein, und er sagt: „Also habe ich mich amüsiert.”

Für mich ist es im Rückblick ein merkwürdiges Gefühl, ihn als jungen Mann zu visualisieren, der mit offenen Augen in seine eigene mögliche Verdammnis läuft, umgeben von all den Schwerverletzten und mit der Aussicht auf den Tod. Er war sich aller Antikriegsproteste bewusst. Doch er sagte, er habe keine tiefen Emotionen über die Rechtmäßigkeit oder Moral des Vietnamkriegs gehabt und nicht wirklich verstanden, worum es überhaupt ging. Ihm und allen anderen wurde lediglich gesagt, es gehe darum, die Ausbreitung des bösen Kommunismus zu stoppen. Für ihn sei es eine Art unvermeidliches Schicksal gewesen, wie er mir sagte, und dass er fühlte, seinen Weg gehen zu müssen. Glücklicherweise erlebte er in Vietnam kein schweres Trauma.

Kapitel 2

„Vielleicht ist diese Welt die Hölle eines anderen Planeten”, meint der englisch-amerikanische Schriftsteller Aldous Huxley (1894-1963). Eine pessimistische und doch gerechtfertigte Wahrnehmung des Lebens, beispielsweise angesichts des Kriegs in Vietnam, an dem Rahula teilnehmen musste. Eine Wahrnehmung der Welt, die dem Leben im Einklang mit der Natur und einem liebevollen Miteinander der Menschen konträr gegenübersteht. Dem Paradies. Der buddhistischen Lehre wird häufig vorgeworfen, ihr Konzept des Leidens (Dukkha) sei pessimistisch. Dies würde bedeuten, sie würde die Welt als schlecht betrachten und keine Besserung erwarten. Keines von beiden trifft zu. Der achtsamen Betrachtung „der Welt“ fehlt jede Wertung, und dasselbe gilt für die Zukunft. Der negative Anklang könnte seine Ursache in der Übersetzung haben, in der es häufig heißt, das Leben sei leidvoll oder es bestehe aus Leiden.

Aber das deutsche Wort „Leiden“ entspricht nicht der ganzen Bedeutung und Subtilität des Pali-Begriffs Dukkha. Der historische Buddha erklärt Dukkha so: