Die Rosenernte - Monika Myway - E-Book

Die Rosenernte E-Book

Monika Myway

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Beschreibung

Menschen finden auf verschiedensten Wegen zu Gott und zum christlichen Glauben und jeder Gläubige erlebt dabei seine eigene Geschichte. So verschieden die Erfahrungen auch sind, die die Glaubenssuchenden auf ihren Wegen machen, so haben sie doch eines gemeinsam: einen Wegbereiter zu Gottes Wort. Diese stoßen das Tor zum Glauben auf und sensibilisieren die Menschen für die Spiritualität. Ein solcher Wegbereiter ist Monika Myway, die in „Die Rosenernte“ von ihren persönlichen Erfahrungen beim Finden von Christi Botschaft berichtet. In klarer Sprache und mit tiefer Sachkenntnis erzählt sie von ihrem eigenen Weg zu Gott und wie sie als Religionslehrerin Schulkindern sein Wort nahe brachte. Daher ist ein Teil des Buches anonymisierten Schülerporträts gewidmet, die christliche Religiosität aus der Sicht von Kindern wiedergeben. Auch das Vorwort entstammt der Hand eines ehemaligen Schülers der Autorin, der ihr über die Jahre verbunden gebliebenen ist und den Gottes Botschaft so beeindruckt hat, dass er sich im Jahr der Erstveröffentlichung der „Rosenernte“ zum Priester weihen ließ.

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Seitenzahl: 476

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Impressum

Copyright © 2009

2. Auflage 2015

Bernardus-Verlag

In der Verlagsgruppe Mainz

Alle Rechte vorbehalten

Printed in Germany

Bernardus-Verlagsbüro Abtei Mariawald

52396 Heimbach/Eifel

www.bernardus-verlag.de

Gestaltung, Druck und Herstellung:

Druck & Verlagshaus Mainz GmbH

Süsterfeldstraße 83

52072 Aachen

Abbildungsnachweis

Titelillustration: Monika Myway unter Verwendung von Glasmalereien

in der Liebfrauenkirche Koblenz von Hans Gottfried v. Stockhausen

ISBN-13: 978-3-8107-0269-2

Zum Geleit

von Björn („Bernhard“) Schacknies S A C,

langjähriger Schüler von Frau Myway, der im Jahr der Erstveröffentlichung zum Priester geweiht wurde.

Seit nunmehr 20 Jahren darf ich mit Frau Monika Myway gemeinsam auf dem Weg sein und ihr vielfältiges Wirken begleiten. Wenn ich auf diese Jahre zurückschaue, fällt mir erst beim Schreiben dieser Zeilen so richtig auf, dass ich sie in all den Jahren eigentlich nie „privat“ erlebt habe. Unaufhörlich ist sie beschäftigt mit verschiedensten Projekten, die alle nur ein Ziel verfolgen: Menschen zu Christus zu führen und ihnen die Schönheit des Glaubens aufzuzeigen. Ihr Beruf als Religionslehrerin ist immer zugleich ihr Leben gewesen. Daran hat sich auch nach dem Ende ihrer Dienstzeit nichts geändert, längst hat sie neue Initiativen gestartet, neue Zielgruppen ins Auge gefasst. Dabei ist Frau Myway immer erfinderisch, scheut keine Mühen, wagt den Gang auf neues Terrain. Immer ist sie gut informiert, am Puls der Zeit, ohne sich je selbst in den Mittelpunkt gestellt zu haben.

Das hier vorgelegte Buch gibt Anteil an ihren Erfahrungen, die sie mit unzähligen Schülerinnen und Schülern an Grund- und Hauptschule als (Religions-)Lehrerin, aber auch mit Menschen, die in anderer Weise bedeutsam waren, auf ihrem Glaubensweg gemacht hat, ist aber viel mehr als nur ein „Erinnerungsbuch“. Vielmehr ist es ein Lebenszeugnis für ihren persönlichen Glaubensweg und richtet sich so an Menschen unterschiedlichen Alters, die ihren Glauben vertiefen, überdenken, an andere weitergeben wollen, Menschen, die Glaubensgefährten suchen, die „Die Rosenernte“mit hineinnehmen wollen in ihre Existenz! Sie lädt ihre Leser in eine Glaubensfamilie ein, die im Gebet miteinander verbunden, beheimatet ist.

In besonderer Weise ist es aber auch ein Appell an die junge Generation der Lehrenden, der Eltern und Erzieher, denen die Verantwortung für die Weitergabe des Glaubens aufgeschultert ist, denn „der Zeuge Christi gibt nicht einfach nur Informationen weiter, sondern er hat eine persönliche Beziehung zur Wahrheit, die er anbietet, und durch die Konsequenz seines eigenen Lebens wird er zum glaubwürdigen Bezugspunkt. Er verweist jedoch nicht auf sich selbst, sondern auf einen, der unendlich viel größer ist als er selbst, dem er vertraut und dessen zuverlässige Güte er erfahren hat“ (Benedikt XVI).

Ich bin Frau Myway sehr dankbar, dass sie sich mit diesem Buch auch noch einmal in geistiger Weise in einen Klassenraum begibt, dass sie uns, die Leserinnen und Leser, mit auf ihren Lebensweg, in ihren Unterricht, in ihren „Glaubenskurs“ nimmt.

Beim Lesen wird eins ganz deutlich: „Der Bote ist die Botschaft“. So erst wird „Die Rosenernte“ überhaupt möglich. Frau Myway ist eine wunderbare Botin mit einer wunderbaren Botschaft.

Auf jeder Seite ihres Buches erzählt sie vom Gott der unendlichen Liebe (hl. Vinzenz Palotti), die uns nicht ruhen lässt, bis alle Menschen wissen, dass sie Gottes Ebenbild sind. So fordert Frau Myway zum eigenen Zeugnis heraus: Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die uns erfüllt (1 Petr 3,15).

Ich wünsche diesem Buch viele „Schülerinnen und Schüler“, vor allem aber eine neue Generation von Menschen, die mit ihrem ganzen Leben Zeugnis ablegen und bekennen: „Jesus Christus ist der Herr!“ (1 Kor 12,3).

Vallendar,

am Hochfest dr Erscheinung des Herrn 2008

Björn Schacknies S A C

Kapitel II:Siehe, Ich Bin Da

Jesaja-Vers 52,6 – Erinnerungen – Szenen aus Leben und Unterricht

Der Gesang des Morgens liegt über dem Tag wie Sonnenfunken über bläulichen Meereswellen bis hin zum Horizont, Gesang des Glücks über deinem Leben – weißt du das? Dieser Tag ist ein Tag, wo Gott wohnt, überall und zu jeder Zeit, und lässt du Ihn ein, wohnt Er in deinem Herzen.

Jesus, das Licht

(aus dem Prolog des Johannes Evangeliums)

Maria Laach 1996, Fest der heiligen Margarete – Evangelium: das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24 f).

Erinnerung ...

Bei meiner Fahrt nach B. liegt ein strahlendes Leuchten über Wiesen und Feldern, über den Häusern, in denen meine Schüler wohnen oder wohnten, Schüler, die mich vergessen haben oder die die Erinnerung an mich vielleicht zwar noch haben, aber nie wussten, wer ich eigentlich war und was ich bei ihnen wollte – oder doch? Ein sehr junges Mädchen verlässt ein Haus, weißes T-Shirt über kurzem Rock, weiße Tennisschuhe, Tennisschläger, lange Haare. Sie ist in in der Welt, die ich verlassen habe, ganz gewiss.

Wenn mein Buch wirklich gelesen wird, wird es wohl Aufruhr erwecken, vielleicht Angriff, Spott, wie ich es erlebte in so vielen Jahren an der Hauptschule – aber das war dort mitnichten mein stärkster Eindruck und dieser Umstand wurde mir eigentlich erst gegen Ende der 17 Jahre Religion in so vielen Klassen bewusst. Bewusst war mir immer das Leuchten im Herzen, oder besser gesagt, dass man Herzen zum Leuchten bringen kann, für immer. Die Zeit rast über alles hinweg. Die Schüler sind zu jung, sicher immer noch, um eine ferne Ahnung zu haben, wie sehr.

Als ich gestern durch die Wiesen und Felder von B. fuhr, waren es die gleichen wie vor 20 Jahren, als ich meine Zeit dort begann. Immer wieder habe ich versucht Religion zu lehren, immer wieder. Gestern sprach der Mönch in der Klosterkirche vom Unkraut unter dem Weizen und dass er befürchte, nichts zu bewirken mit seinen Predigten, weil das Unkraut den Samen ersticken könne.

Bernhard, ein junger Mann im kirchlichen Dienst, den ich als Schüler im fünften Schuljahr kennen lernte, nun ein guter Freund und Berater für mich, redete in unserem Gespräch heute vom Niedergang der geistlichen Berufe, in unserem Land, in Europa.

Und ich? – Einen Besuch im Karmel habe ich inzwischen hinter mir, Karmelitin wollte ich werden im zweiten Teil meines Lebens nach meiner Zeit als Religionslehrerin an der Hauptschule, doch das scheint nicht das Richtige für mich zu sein. Die Welt soll ich so nicht verlassen – das ist gewiss!

Eines habe ich mit meinen ehemaligen Schülern auch gemein: Ich bin keine Intellektuelle!

Vielleicht hätte ich es mit Anstrengung werden können – der liebe Gott hat mir einen guten Verstand mitgegeben – aber dieses intellektuelle Nachforschen über die Wahrheit des Glaubens, dieses Verbalisieren, liegt mir, auf diese Art, nicht. Vielleicht ist dies das Stärkste, das mich mit meinen Schülern verbindet: Die Sehnsucht und die Träume vom Wunderbaren – ich hatte beides immer, werde es immer haben.

Die Kinder sind nun groß, die mir damals den Unterricht durch Disziplinlosigkeiten zuweilen erschwerten, längst vorbei diese Zeit an der Hauptschule, auch für sie. Wenn ich nun wieder ganz neu rede von Religion, kann ich es diesmal ganz ruhig tun, wie wunderbar – allerdings habe ich nun den Nachteil, dass mir das Publikum nicht sicher ist wie damals, dass ich nun nicht weiß, ob es ein solches für meine Zeilen jemals geben wird, denn dies ist mein erstes Buch und ich bin in der literarischen Welt völlig unbekannt. Alles liegt bei Gott, wie immer man diese meine Überzeugung interpretieren mag – erklären möchte ich sie nicht. Das wird, wenn es gelingt, das gesamte Buch in seiner Aussagekraft tun.

Das strahlende Leuchten im Herzen, in Freude und Leid, o Jesus, du bist da! Endlich, endlich habe ich sie gefunden, auf dieser Erde schon, die Gewissheit inmitten des Wagnisses, das jeder Glaube ist und bleibt, lässt sich doch keine Freude mit der vergleichen, die der Glaubende gefunden hat, die Freude in allem, größtmöglichen Sinn.

O Jesus, tausend Wunder bezeugen dich! Nun ist sie gefunden, die Heimat, endlich, endlich! Wie weit war der Weg dorthin!

Erinnerung ...

Meine Anfangsjahre an der Hauptschule begleitete damals ein bitteres Leid, eine Ausweglosigkeit, die mich zwang, mich immer wieder an Gott festzuklammern wie an einem sicheren Halt im Sturm – und zwar täglich aufs Neue. Ich trug dieses Leid als mein heimliches Bußhemd unter T-Shirt und Jeans, einem Outfit, von dem eine Kollegin sagte: „Sie sind angezogen wie die Schüler!“ Diese äußere Aufmachung entsprach auf der einen Seite meinem Geschmack, auf der anderen dem Bedürfnis, schon auf diese Weise eine Art Solidarität denen zu bekunden, die ich unterrichtete. Ich sah die Sache so: Mutter Theresa zog einen Sari an, um den Armen in ihrer Umgebung schon äußerlich nahe zu sein, so besser mitzuteilen von dem, was sie empfangen hatte – und ich wollte, in anderer Weise, als Religionslehrerin, das gleiche tun wie sie, die einmal gesagt hatte:

„Der Hunger nach Liebe ist stärker als der Hunger nach Brot.“

Das Leid, in das ich zu Beginn meiner Hauptschulzeit geworfen wurde, war für mich wie ein Dunkler Tunnel, aus dem ich hinauswollte. Diese Situation ließ mich die großen Schwierigkeiten, die ich im RU (= Religionsunterricht) täglich zu überwinden hatte, kaum spüren und gab mir, was die Schüler anging, eine Waghalsigkeit, eine Unempfindlichkeit gegenüber Spott, den meine Art, den Glauben zu verkünden, immer wieder hervorrief – auch. Auch, denn andererseits gab es genug junge Menschen, die mich hörten und sehr akzeptierten. Wie viele Menschen tragen in ihrem Leben ein Leid, das sie wie ein Gefängnis wahrnehmen, in dem sie sich nach Erlösung sehnen! Ich aber durfte schließlich Auferstehung erfahren, auf dieser Erde schon, Beantwortung aller Warum-Fragen wie selten ein Mensch, der lange Jahre einen bitteren Kummer ertragen muss. „Siehe, Ich Bin Da“ – Gerade inmitten von Qual und Kummer aber erfuhr ich die Nähe und Liebe Gottes als strahlendes Licht. Diese persönliche Auseinandersetzung mit dem Leid nahm ich also hinein im meine Anfangsjahre des Lernens, wie Hauptschüler im Fach Religion zu unterrichten seien.

Was bringt der Glaube?

Ist das nicht die Frage, die jeder Christ bewusst oder unbewusst stellt? „Was bringt der Glaube in Freude und Leid?“ So war diese Grundfrage eines jeden Missionars, eines jeden Religionsunterrichts, denke ich, in besonderer Weise auch täglich die meine.

Der Glaube durchzieht das ganze Herz. Alles gewinnt neue Bedeutung in Gott. Von Freunden sprachen die älteren Schüler immer, wie wichtig sie seien, von den schönen Dingen, die sie sich für ihr Leben wünschten, von idealer Partnerschaft, gutem Beruf, Lebensstandard, Spaß haben, Freude.

Wer aber außer Gott verleiht Träumen Ewigkeit?

Schwierige Sätze habe ich meinen Schülern manches Mal zugemutet, so oft. Doch sie haben mir immer wieder auch schwere Sätze gesagt, denn dumm waren sie nie, meine Hauptschüler, manchmal seltsam weise:

– Zum Thema Leid: „Es wäre ja auszuhalten, wenn ich wüsste, dass Gott da ist.“

– Liebeskummer: „Wenn es auch die Ewigkeit gäbe, so werde ich diesen Menschen dort nicht mehr so lieben wie heute und wenn ich ihn heute nicht gewinne, wie ich es mir vorstelle, ist er mir in alle Ewigkeit verloren.“

– Zu einem Satz aus der heiligen Messe: „Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, alle Herrlichkeit und Ehre jetzt und in Ewigkeit“: „Vielleicht könnte die heilige Messe interessant werden, wenn ich diese Sätze verstehen könnte.“

In meinen Anfangsjahren begann ich mit zwölf Wochenstunden Religion, die Aufgabe vor mir wie ein Berg, der fast nicht zu besteigen war: Wo sollte ich anfangen, wie? Mit welchem Thema? Wie die Disziplinschwierigkeiten meistern? Irgendwo hatte ich gelesen, dass der Religionslehrer im Unterricht das religiöse Leben einüben sollte, und ich verstand das so: Die Unarten der unmündigen Kinder mir gefallen lassen, ertragen. Dies versuchte ich zunächst mit dem Ergebnis, dass ich wohl kaum eine Chance hatte, etwas von dem, was ich verkünden wollte, zu vermitteln. Die Grundlage, Ruhe, die Bereitschaft, aufzunehmen, muss bei den Schülern gegeben sein. Mitten in meinem persönlichen Leid erlebte ich noch außerdem dies: Eine Klasse, ein sechstes Schuljahr, bewarf mich im ersten Jahr meines Religionsunterrichtes an der Hauptschule mit Papierkügelchen! Im Lehrerzimmer saß ich dann weinend, ein Häufchen Elend. Alles schien zu Ende. Und doch fing alles erst an!

Ein Prophet hätte mir sagen können: Du bist 30, im Vollbesitz deiner Kraft und vieles wirst du noch leisten hier, sei unbesorgt! Deine Zeit hier fängt erst an! Gott ist an deiner Seite um dir zu helfen und dich zu beschützen. Ich nehme dem Leser jetzt schon vorweg, was meinem vollkommenen Down an diesem „Papierkügelchentag“ noch folgen würde: 17 Jahre weiterer Unterricht im Fach Religion. Nach einiger Zeit würde ich sogar 20 Stunden in der Woche erteilen, außerdem eine Samstag-Religions-AG gründen, Gesprächskreise für den Nachmittag, zusätzlich zum Unterricht, und eine heilige Messe für Hunderte von Schülern in der Turnhalle organisieren, danach, Jahre hindurch, immer wieder, Klassenmessen mit den Kindern vorbereiten, auch noch Religionsunterricht in mehreren zehnten Schuljahren erteilen und ein seitenlanges Interview über Religion, Gott und Glauben in der Schülerzeitung geben. Einmal lud ich ein zehntes Schuljahr sogar zur Abschlussfeier in meine Wohnung ein, fuhr zu Glaubensgesprächen, immer wieder, auch in Dörfer, eine Zeit lang, auf Grund eines Totalschadens an meinem PKW, mit dem Bus, aber unentwegt, und war schließlich, für einige Jahre, Fachgruppenleiterin für Religion. All das stand mir nach der „Papierkügelchenstunde“ also noch bevor an dieser Schule, dies und noch viel mehr, als ich weinend zwischen den Kollegen saß.

Was ich aufgezählt habe, hört sich nach großen äußeren Erfolgen an, aber so war es nicht! Meine Kollegen beobachteten immer wieder das zeitweilige Chaos in manchen Klassen, die Spottreden vieler Schüler, vielleicht gerade solcher, die es selbst schwer hatten bei anderen, die Unruhen, mit denen ich immer wieder zu kämpfen hatte, mein Ungenügen als Lehrerin, die ganz und gar unerfahren war in der Praxis des Hauptschulunterrichts, auch im Fach Religion.

Und doch würde ich rückschauend sagen: Leise, ganz leise, feierte ich meine Höhepunkte, hörte den Samen wachsen und glaube auch heute, ganz sicher, dass ich mit Gottes Geist, mit Gottes Kraft, Punkte setzen durfte für den Glauben, nicht sichtbar, aber doch, ganz besonders in den Religions-AGs, den kleinen Glaubensgesprächskreisen, in denen sich auch schwierigste Schüler in sensibler Weise mit mir unterhielten, ja, über was? – Kurz gesagt: Über den Sinn des Lebens. In diesem Buch möchte ich in keiner Weise eine systematische Darstellung meines Religionsunterrichts geben – ich wähle aus.

All die Jahre hat Gott sein Versprechen gehalten, das er mir zu Beginn meiner „RU-Karriere“ gab, ganz persönlich, unvergesslich. Er hält es weiter in meinem Leben, täglich neu, nicht nur im Leid, nein, auch in der jubelnden Freude, die mein Leben jetzt durchstrahlt, in Freude und Leid, nachdem ich finden durfte, was ich fand.

Erinnerung erstes Jahr Hauptschule: „Siehe, Ich Bin Da“

Der Unterricht also problematisch – dies Leid jedoch nichts neben dem, was ich persönlich zu bewältigen hatte. Die folgende Szene habe ich später meinen Schülern oft erzählt und tue es schriftlich, auch jetzt: Ich war in der tiefschwarzen Stimmung meiner Ausweglosigkeit nach Rüdesheim, dem lauten Weinort, gefahren und irgendwie gelangte ich dort in die Weinberge, schließlich zur Klosterkirche St. Hildegard. Die Kirche, in Halbdunkel getaucht, war wohl leer. Ich ging nach vorn, nahm kaum irgendetwas wahr, zu unglücklich, zu verzweifelt um irgendein Gebet zu formulieren. Ob gläubig oder ungläubig – wie viele Menschen kennen wohl eine solche Situation! Kein Ausweg, alles finster, das Leben nur noch eine Last! Man scheint am Ende zu sein.

Nachdem ich eine Zeit lang im Halbdunkel der Kirche gesessen hatte, ging ich wieder auf den Ausgang zu und sah wie zufällig auf die Wand der Klosterkirche neben der Tür: In großer Schrift stand dort, eingemeißelt in die Mauer, der Spruch des Herrn:

„Siehe, Ich Bin Da“

In diesem Augenblick trafen mich diese Worte mitten ins Herz, unbeschreiblich, eigentlich nicht mehr als Worte, sondern als feste Überzeugung, die Gott mir wie ein Aufstrahlen in der Dunkelheit schenkte, ja, mit der er die Dunkelheit in strahlendes Licht verwandelte – für diesen Tag, ganz! Kein Ausweg weiterhin, das Leid ungelöst, aber fröhlich, strahlend vor Glück, wie durch wundersamen Zauber verwandelt, verließ ich die Kirche, voll Zuversicht: Was konnte mir noch geschehen? Gott war bei mir und ganz neu – wenn ich dieses Wort auch nicht dachte – erfuhr ich von Gott:

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst mir. Wenn du durchs Wasser schreitest, bin ich bei dir, wenn durch Ströme, dann reißen sie dich nicht fort. Wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt. Keine Flamme wird dich verbrennen, denn Ich, der Herr, bin dein Gott, Ich, der Heilige Israels, bin dein Retter.“

(Jes 43,1 f)

Dies Wort aus der Bibel – ich habe es erfahren.

Wie von selbst lernte ich im Laufe der Zeit zunächst bei den Kleinen, den fünften und sechsten Schuljahren, wie man die Ruhe im Unterricht herstellt, dass im Fach Religion eine gewisse Strenge zuweilen notwendig ist, Forderungen an die Schüler gestellt werden müssen, damit das Eigentliche gelingen kann. Wenn dieses Bemühen auch ein täglicher Kampf war und blieb, all die Jahre, ein Kampf, der in vielen Stunden einfach verloren wurde, so darf ich doch sagen, dass ich meinen Dienst nicht so lange mit guter Gesundheit und Freude hätte tun können, wenn es mir nicht doch immer wieder gelungen wäre, die notwendige Disziplin herzustellen. In den kleinen „Gesprächskreisen Religion“ war ein höflicher, ruhiger Ton selbstverständlich. In vielen Klassen fand ich sogar einen Weg, die Schüler für Stille / Meditationen zu begeistern: Ich lud sie ein, auf diese Art über Kerninhalte des Glaubens, die ich noch beschreiben werde, nachzusinnen. Dieses minutenlange gemeinsame Schweigen, das auch in disziplinschwierigsten Klassen nach Vereinbarung möglich war, faszinierte immer. Allein in der Stille nachdenken – da ist gerade für junge Menschen die Gefahr der Einsamkeit gegeben, aber zusammen mit anderen so geborgen, das empfanden alle als schön!

Ich denke, dieses Element der Stille müsste in unseren Gottesdiensten viel stärker zum Tragen kommen – da bin ich sicher! In Taizé, bei Roger Schutz, hatte ich ebendiese im Gottesdienst beobachten können, mit entsprechender Reaktion, gerade bei Jugendlichen. Warum gibt es bei uns nicht mehr, nicht länger einen Gesang der Stille gerade für Jugendliche, für die das Element der Meditation naturgemäß so wichtig ist? Ich erinnere mich an die abendlichen Gespräche in Taizé bei einem winzigen Gläschen Wein, genau abgemessen, entsprechend ihrem Festcharakter – beeindruckend das Zusammensein der so vielen vor allem jugendlichen Gäste. Hier ereignete sich schon vor 20 Jahren genau das, was Jugendliche auch heute in ihrer Freizeit suchen: Event, Happening, ein Hauch von Abenteuer wie bei einem Rockkonzert mit riesigem Publikum, faszinierend wie dieses und doch ganz ohne Rauschmittel, diese Abende im Dienst der Glaubensverkündigung. In unseren (Jugend)-Gottesdiensten ist es nicht leicht, ein solches gemeinsames absolutes Schweigen, auch ohne Orgel, minutenlang zu wagen, aber ich denke, man sollte es unbedingt immer wieder tun!

Was also bringt der Glaube?

Das goldene Leuchten über dem Tag! Sag, womit beschäftigen wir uns? Von diesem und jenem reden, sitzen, warten, sich verabreden, Arbeiten planen, Vorfreude haben auf dies und das, wenn es nicht Schicksalsschläge sind, die wir verwinden müssen. Gemeinsam sich freuen mit Freunden, mit Menschen, die wir lieben – das scheint das Höchste zu sein. Aber das Leuchten im Herzen, das suchst du, vielleicht unbewusst, immer, in allem. Im Glauben, in einem Glauben, der existentiell geworden ist, bleibt es auch noch da, irgendwie, in den Ängsten, dass dies und das misslingt, ja wenn alles misslungen wäre, nicht nur in der Freude, sondern tiefinnerst ebenso im Leid, das Leuchten im Herzen – Jesu Licht.

Das stärkste, was meine Schüler vielleicht ab und zu verstanden haben, war das Bild von Jesus, dem Freund. Dies nahm ich im fünften Schuljahr, auch oft in anderen Klassen, zum ersten Thema, ebenso Beten, denn beides gehört für mich untrennbar zusammen. Ausnahmsweise machte ich da nicht viele Worte für den Ersteinstieg (meine ganze Hauptschulzeit hindurch redete ich leider ab und zu viel zuviel, aber ich sah so gerade in Klassen, in denen von einzelnen Schülern versucht wurde, meinen Unterricht zu boykottieren, manches Mal nur noch so die einzige Möglichkeit, wenigstens einen winzigen, wenn auch noch so kleinen Punkt zu setzen für meine Ziele). Eigentlich ging das immer Hand in Hand, meine Erfahrung mit Gott, und mein Bemühen, auch von dem, was ich empfing, Tag für Tag, etwas an die Schüler weiterzugeben in einer ihnen gemäßen Sprache, vielleicht sogar ohne Worte. Ich bin sicher, dass die Schüler fühlen, ob ein Religionslehrer zum Beispiel betet.

Für eine Erstbegegnung mit der Gestalt Jesu im Unterricht wählte ich das Bildmosaik aus meiner Klosterkirche St. Hildegard in Rüdesheim. Dieses Bild verschenkte ich auch in Postkartengröße, im Anschluss an unsere Meditationen wohl viele hundert Male an Schüler in der Hoffnung, dass sie zu Hause vielleicht unsere Meditation still für sich wiederholten. – Drei Fragen zum Bild schrieb ich an die Tafel:

Drei Fragen zum Bild Jesu

Wie sieht Jesus auf dem Bild aus?

Was könnte er mir sagen?

Was könnte ich ihm sagen?

Schon in fünften Schuljahren, die ich unterrichtete, wählte ich diese Meditation in minutenlanger absoluter Stille, die auch zahllose Male gelang. Ich bat die Schüler, Antworten aufzuschreiben ins Heft, mit dem Hinweis, dass selbstverständlich nur Freiwillige dies vorzulesen brauchten. Die meisten Kinder, gerade die Kleinen, wollten dies aber sehr gerne und so hatten wir alle von ihren wunderbaren Antworten – das darf ich wohl sagen – einen Gewinn. In vielen Klassen wiederholte ich diese Übung immer wieder, mit dem Hinweis, dass man sich diese Fragen täglich aufs Neue stellen kann. Das ist natürlich auch möglich ohne Bild, lieber Leser, mit meinem ganz persönlichen Bild Gottes im Herzen. Ich selbst würde dies etwa so formulieren:

Gott sieht mich mit Liebe an. Wenn ich jetzt an ihn denke, will ich mich daran erinnern. Was könnte ich ihm sagen? Was könnte er mir sagen, hinein in meine Situation jetzt?

„Herr, auf dich vertraue ich, in deine Hände lege ich mein Leben.“

Nach unserer Bildmeditation schrieb ich immer wieder in den verschiedenen Klassen einen Tafeltext an:

Gott kann man nicht nur danken

Gott kann man nicht nur danken,

Gott kann man nicht nur bitten,

mit Gott kann man reden,

ihm alles erzählen.

Er allein kennt mein ganzes Herz.

So weiß er um alle meine Gedanken, um alle meine Gefühle, um all mein Glück, um all meinen Schmerz.

Er ist der, der mich liebt, maßlos.

Mir ist klar, dass diese Worte für die meisten Schüler wohl zu Anfang nicht mehr als Worthülsen waren, die ich mit Inhalt füllen wollte. Hätte ich dies aber erreicht, dafür auch nur einen Punkt gesetzt, hätte ich mein höchstes Ziel für meinen Religionsunterricht erreicht. In vielen Bereichen unserer Öffentlichkeit werden die unsagbar wichtigen mitmenschlichen Fragen und Verantwortlichkeiten angesprochen, auch ohne ein einziges Wort von Gott – das durfte und darf ich für meine Schüler voraussetzen.

Ich aber wollte, auch im Hinblick auf unsere mitmenschliche Verantwortlichkeit, aufmerksam machen auf unsere Heimat in Gott, die Heimat aller Menschen, ob sie es wissen oder nicht, die einzig sichere Heimat, die es gibt, lieber Leser – oder kannst du irgendwo sonst eine sicherere anbieten? „Ja, wenn es Gott gäbe“, wirst du vielleicht antworten. Versuche doch einmal, auch hinein in mögliche Zweifel, mit Gott zu reden, allein auf die Möglichkeit hin, dass es ihn für dich geben könnte.

Fang mit einem winzigen Sätzchen an, vielleicht mit dem Beisatz: „Wenn es dich gibt ...“ Schon das erste Gebet könnte ein Stern sein auf dem Weg zu dem Sich-Zuhause-Fühlen in Gott, auf dieser Erde schon. Beten lernt man nur durch Beten. Schüler haben mir das immer wieder bestätigt, hatten auch diese Erfahrung teilweise bereits gemacht, wenn wir uns in der Religions-AG über dieses Thema unterhielten.

„Du“, lieber Leser ..., – ich erlaube mir, dich zu duzen, wie einen fremden Freund, denn das möchte ich sehr gerne für dich sein, sonst könnte ich in diesem Buch nicht so persönlich reden. Ob ich in meinem Alltagsleben bei Menschen besonders ankomme, ein Sympathie-Typ bin? Bist du ein Sympathie-Typ, auf den ersten Blick? Ich sicher nicht mehr als es normalerweise üblich ist. Ich wirke vielleicht auf manche Menschen sehr selbstbewusst, allein schon, weil ich mir im Entwicklungsalter angewöhnt hatte, kerzengerade zu gehen. Ich schämte mich damals ein wenig, eine der größten in der Klasse zu sein, und damit ja niemand dieses Gefühl entdeckte, ging ich besonders aufrecht. Jetzt gerade! Manches Mal hat mir diese Einstellung wohl auch später geholfen. Was mir keiner ansieht – ich muss immer wieder gegen heimliche Schüchternheit ankämpfen.

Beten und Gottes Zeichen wie Wunder im täglichen Leben entdecken, gehört unweigerlich zusammen, wenn Glaube tragen soll. Nach meiner eigenen Erfahrung und nach meinen Gesprächen mit vielen Menschen hörte ich dies heraus: Wenn man anfängt in einer Not mit Gott zu reden, immer wieder, vielleicht jahrelang, ist es zwar nicht sicher, dass man so erhört wird, wie man sich das vorstellt, aber es ist unmöglich, dass man nicht irgendwann anfängt, die Zeichen der Nähe und Liebe Gottes zu sehen – und zwar nicht nur im Leid, nein, ebenso in der Freude.

Erinnerung

... an meine „Leidjahre“ – es dauerte etwa sieben Jahre, bis ich vollkommene Auferstehung erlebte – eines Tages fuhr ich wieder einmal in tiefschwarzer Stimmung mit dem Bus von der Schule nach Hause. Einen Totalschaden bei einem meiner Autounfälle in dieser Zeit hatte ich überlebt. Zu dumm, ich hatte mein Busgeld vergessen! Eine Mitfahrerin rettete mich aus dem peinlichen Augenblick, als ich es entdeckte, und schenkte mir das Geld, einfach so. „Sie können es ruhig annehmen“, sagte sie, „auch ich habe Hilfe erfahren.“

Als wir ausgestiegen waren, erzählte sie mir ihre Geschichte, hinein in mein eigenes Leid: „Ich war Jahrzehnte verheiratet, als mein Mann mich plötzlich verließ, wegen einer anderen. Es gab auch keinerlei finanzielle Hilfe für mich, war ich doch all die Jahre nicht berufstätig gewesen. Eines Tages hatte ich buchstäblich nichts mehr zu essen im Haus. Ganz verzweifelt ging ich zum Grab meiner Mutter. Nebenan stand eine Frau am Grab ihres Mannes, eine Frau, die ich in meiner Not kaum wahrnahm. Als ob sie meine Verzweiflung gehört hätte – als sie den Friedhof verließ, reichte sie mir zum Abschied die Hand, darin ein Hundertmarkschein! Da war es mir, als ob mich jemand rüttelte und schüttelte: Hab neuen Mut!“

Mir selber aber gab diese Erzählung, dieses Erlebnis, auch neuen Mut, Wasser in meiner Wüste – für diesen Tag:

Siehe, Ich Bin Da

Als bildhafte Ausdrucksform der Erfahrung Gottes betrachtete ich mit den Schülern also zunächst meist das Mosaikbild der Apsis der Klosterkirche St. Hildegard und kann sagen, dass ich nicht ein einziges Mal beobachtet habe, dass dieses Bild mit Widerwillen aufgenommen wurde. Die Schüler hatten durchweg immer die Bereitschaft, es zu betrachten. Ich scheute mich aber auch nicht, ihnen ein anderes meiner Lieblingsdarstellungen von Gott vorzustellen: „Gott erschafft den Adam“ von Michelangelo. Ich nahm für die Bildbetrachtung ein großes Poster mit in den Unterricht, auch schon in fünfte Schuljahre, wenn es auch nicht das Original sein konnte, das ich einmal in Rom stundenlang betrachtet hatte. Beide unterschiedlichen Darstellungen Gottes aus der Kunst sprechen für mich von dem einen, liebenden Gott. Ich habe es nie anders erlebt, als dass auch das Bild von Michelangelo durchweg positiv aufgenommen wurde. Bei der Bildbetrachtung machte ich den Schülern aber unbedingt deutlich, dass es sich hier nicht um Abbilder Gottes, sondern um gemalte Glaubenserfahrungen, Gottesvorstellungen von Menschen handelte, die allerdings einen Gott zeichneten, der den Glaubensaussagen der Bibel entsprach.

Die Fünftklässler setzten sich sogar mit dem Michelangelo-Thema auseinander, indem sie versuchten, es abzumalen, ohne dass ich sie dazu aufforderte. Auch die unterschiedlichen Antworten, die auf die „drei Fragen zum Bild Jesu“ hier gegeben wurden, sagten mir, dass es selbstverständlich unmöglich ist, Jesus auf ein einziges Bild festzulegen. Man könnte ihn auf tausenderlei Art darstellen. Ein einziges Bild, das ankommt, ruft die spezifische Interpretation des Betrachters hervor und die ist bei jedem anders und immer wieder neu. Es ist allerdings entscheidend, dass Menschen ein Bild von Jesus positiv aufnehmen, dass es für sie eine mögliche Interpretation Jesu, von dem, was die Bibel aussagt, darstellt. Ich ging im Unterricht von den Bildern aus, die mir persönlich am meisten bedeuteten, denn das gab mir Motivation, auch auf andere Weise ständig neu zu malen, nämlich durch Erzählen, durch meine Worte von Jesus. Neu gemalt wurden diese Bilder aber auch durch jede persönliche Äußerung, die die Schüler als ihre Antwort auf die drei Fragen vorlasen: Das entnehme ich dem Bild! Das bedeutet das Bild für mich.

Als gute Hilfe, von Jesus zu reden, nahm ich auch das Mosaikbild von Jesus aus der Abteikirche von Maria Laach in Postkartenform in den Unterricht mit. Kirche und Kloster habe ich übrigens immer wieder im Rahmen der Religions-AG mit Schülern besucht, so dass bei einigen ohnehin eine besondere Beziehung zu diesem Ort der Anbetung Gottes gegeben war.

Kein Bild aber habe ich so oft verschenkt wie das Jesus-Mosaik aus der Klosterkirche von Rüdesheim – in all den Hauptschuljahren, wer weiß, wohl tausend Mal oder auch mehr. Wenn mir jemand heute sagte: „Ich bin enttäuscht, mir sagt dieses Bild aber nichts“, würde ich antworten: „Na und? Suche weiter, bis du eines gefunden hast, dein Bild von Jesus, das dir entspricht! Suche deine bildhafte Ausdrucksform der Erfahrung Gottes!“

Schon ein einziger Mensch wirkt auf jeden Menschen anders, jeder interpretiert ihn neu, umso mehr wendet sich Gott jedem von uns auf einzigartige Weise zu, hat er jeden von uns doch auch auf einzigartige Art und Weise erschaffen. Jeder bleibt ein Original – auch im Zeitalter der Gentechnologie – und jeder hat seine ureigene Berufung, sein Bild der Liebe Gottes im Herzen zu entdecken.

Ich besuchte neulich eine Fotoausstellung, die Jesus und die Gestalten der Bibel durch Menschen unserer Zeit darzustellen versucht. Wenn dir das mehr sagt als andere Bilder von Jesus, wenn du Ihn darin tatsächlich findest, den Gott, zu dem du beten kannst, den Gott-Menschen Jesus Christus – warum nicht durch diese oder andere Bilder? Ich denke, das Bild, das man von Jesus im Herzen trägt, wenn man zum Glauben an ihn gefunden hat, ist entscheidend. Wenn man diesen Schatz aller Schätze wirklich entdeckt hat, ist es so, wie ich es auch schon meinen Grundschülern sagte: Wenn man an Gott glaubt, hat man den besten Freund immer dabei, man ist nie mehr allein.

Ich selbst blieb bei unseren Stillemeditationen fast immer sehr angespannt und schickte Stoßgebete zum Himmel, dass es doch gelingen möge. In den Religions-AGs, die jeweils nur aus einer kleinen Gruppe von Schülern bestanden, war dies anders. Dieser Berufung konnte ich zwar erst nach dem langen Hauptschulvormittag von sechs Schulstunden folgen, aber es war mir möglich, mich dort in der Stille wirklich zu entspannen und zusammen mit den Schülern dem Jesus-Wort auch persönlich folgen: „Kommt, ruht ein wenig aus“ (Mk 6,31).

Gebetsmeditationen gab ich übrigens auch kleinen Schülern immer nur als Angebot, dem sie freiwillig folgen konnten. Nach der gemeinsamen Vereinbarung forderte ich aber die Stille unbedingt, in keiner Weise allerdings das Beten, die freiwilligste Entscheidung des Menschen. Dessen sollten sich auch schon die Kinder bewusst sein.

„Du kannst in der Stille auch deine Gedanken spazieren gehen lassen, wie es dir beliebt, aber vielleicht versuchst du aber doch einmal, dich an Gott zu erinnern, an den, von dem wir eben in dem ... Bibeltext gehört haben“, so in etwa lud ich ein, bis den Klassen diese Phase unseres Religionsunterrichtes selbstverständlich war. Soweit ich mich erinnere, ergaben sich nach der gemeinsamen Stille zumindest einige Zeit lang wertvolle Gesprächsphasen.

Manches Mal hätte ich die Minuten der Andacht wohl besser auswerten können, den Wechsel der Unterrichtsformen besser beachten müssen. So vieles habe ich vielleicht versäumt, aber ich war damals in der Lern- und Erkundungsphase in meiner Art zu unterrichten. Trotz mancher Mängel bin ich sicher:

Wenn auch nur fünf Minuten unserer Stillemeditation / unsres Betens die Herzen der Schüler erreicht hätten ab und zu, es wäre sicher unsagbar kostbar gewesen für ihr ganzes Leben, denn ebendiese Phase des Unterrichtes bereitete das vor, was meiner Ansicht nach das Wichtigste war: Dass sie im RU Geborgenheit gewinnen würden im Glauben durch das Aufmerksamwerden auf den Gott der unendlichen Liebe, der Mensch geworden ist in Jesus. Auch in meinem persönlichen Leben ist und bleibt es so, von Jugend auf: Nichts ist so wichtig wie dieses mich in der Stille besinnen auf Gott und das Beten. Uns alle lade ich ein, auf einer solchen Insel ab und zu auszuruhen.

Einige Punkte, die ich täglich mit aller Kraft im Religionsunterricht zu säen versuchte, möchte ich hier aufzeigen, Elemente, die kostbar waren und die heute ebenso aktuell sind wie damals, unverzichtbar, denke ich, wenn man bei den Schülern existentiell wirklich etwas erreichen will. Was ich meine, kann ich vielleicht an folgendem Beispiel beschreiben:

Erinnerung

... an die Zeit, als ich nach meinen Hauptschul-Jahren noch einmal an Grundschulen unterrichtete. Die größten Erfolge hatte ich – äußerlich gesehen – in ersten und zweiten Schuljahren. Bei den Kleinen war ich im RU geachtet, allgemein akzeptiert und auch beliebt. Einige Eltern erzählten mir, dass mein Religionsunterricht von ihren Kindern begeistert aufgenommen würde und auch zu Hause noch spürbar wäre.

Den Sternsingersegen, der allen Kindern bekannt war, weitete ich auf das ganze Jahr aus im Morgengebet. Stille. Wir dachten an Häuser, Menschen, die wir segnen wollten, und wir zählten an Fingern ab, schrieben den Sternsingersegen für sie ohne Kreide auf die Bank nach dem Lied: „Wir bitten dich, segne jedes Haus, und alle, die gehen ein und aus, verleihe ihnen zu jeder Zeit Frohsinn, Friede und Einigkeit!“ Wie damals an der Hauptschule machte ich die Kinder darauf aufmerksam, dass man Stille und Segen zu Hause jederzeit allein wiederholen könne, wenn man das nur wollte. Das ist auch das wichtigste Anliegen meines Buches, dass Ratschläge, die dem erwachsenen Leser passend erscheinen, Ratschläge, die auch meinem eigenen Glaubensleben entsprechen wie dieser, einen „Sternsingersegen für jeden Tag“ zu beten, nicht nur gelesen, sondern auch praktiziert werden.

Ich stelle mir nun vor, dass ich diesen Segen zusammen mit meinen Lesern, jeder zu Hause für sich und doch im Gebet miteinander verbunden, bete. Du darfst sicher sein – wie immer die anderen sich entscheiden, einen Gefährten hast du nun – mich! Ich habe mich eben entschlossen, diesen Segen täglich einmal zu beten, ein Leben lang. Es gilt auch für mich: Was nützt das Buch, was nützen schöne Worte, wenn nichts geschieht?

„Gottes-Zauberhaft-Vereine“

Wenn du mitbetest, hätte sich mein Traum erfüllt. Ein „Zauberbuch“ schreiben für Gott – genau das ist mein Ziel.

Im Glauben in der Kirche etwas bewegen! Eigentlich bin ich das Zaubern längst gewohnt. Ging ich nicht so viele Jahre in meinem Religionsunterricht wie auf einem Seil? Und doch war ich damals nicht ohne Gefährten. Ich denke, jeder Mensch, der im Herzen mit Risiko etwas Gutes bewegen will, geht mit mir. Und doch möchte ich es nicht bei diesen allgemeinen Zielen lassen, ich bitte dich ganz konkret:

Betest du meinen Sternsingersegen mit? Versuchst du es einmal mit Kirchenbesuch, wieder und wieder?

Glaube mir, dort wartet auf dich ein Schatz! Vielleicht hast du als kleines Kind einmal nach einem Schatz gegraben, ganz sicher war Anstrengung dabei. Nun könntest du wieder graben – setze ab und zu ein wenig von deiner Zeit für Religion, Gott und Glauben ein. Gib nicht auf! Es geht um Alles! Aus dem Kinderspiel mach doch einmal Ernst: Schätze ausgraben und zaubern, wer macht mit?

Bildbetrachtung, Meditation, Beten als Einheit – Hilfe zum Beten, Hilfe zum Glauben, Hilfe, das ureigene Bild von Jesus, von Gott im Herzen zu gewinnen, Hilfe also, an dieses Urbild im menschlichen Herzen zu erinnern – Hilfe, Hilfe, Hilfe – das also wollte ich immer wieder geben, so wie auch ich immer wieder wunderbare Hilfe erfahren habe in meinem Leben.

Ich benutzte zu diesem Zweck auch Bilder aus Filmen, die mir geeignet erschienen. Warum sollten nicht auch Menschen in ihrer Darstellungskunst Hilfe geben um Jesus zu malen als lebendige Bilder? Ich erinnere mich an den Jesus-Filmklassiker „Ben Hur“, den ich zu diesem Zweck einsetzte. Dieser Film stellt im letzten Teil in beeindruckender Weise den Leidensweg Jesu dar, zuvor aber die Begegnung Jesu mit Ben Hur in dessen Leidenszeit als Symbolszene für die Begegnung Jesu mit Menschen in Not. Die ganze Fastenzeit hindurch zeigte ich den Schülern in verschiedenen Klassen zwei Szenen aus diesem Film zum Themenbereich der „Leidensgeschichte“ aus dem Neuen Testament:

In der ersten Szene liegt ein Mensch im Schlamm, ein Mensch, dem alles genommen ist, der nichts mehr hat, jede Hoffnung zu Ende, stammelnd: „Gott hilf mir!“ In diesem Augenblick erscheint Jesus – die Szene spielt in Nazareth, wo er, zum jungen Mann herangewachsen, kurz vor seinem öffentlichen Auftreten steht und in Josephs Schreinerei die Szene beobachtet hat. Man sieht nur seine Hand, die dem Verdurstenden Wasser, Leben, schenkt, die Gestalt Jesu, die sich unendlich liebevoll zu dem Verzweifelten hinabbeugt, die Szene untermalt von zauberzarter Musik.

Wie viele Bibelszenen könnte man an diesem Bild festmachen! Jesus rettet den sinkenden Petrus, Jesus heilt einen Blinden – wie viele Szenen aus dem persönlichen Leben, vielleicht auch aus deinem? In diesem Buch kann ich ganz einfach sagen: die Szene, zum Beispiel, in der ich den Bibelspruch existentiell erfuhr, damals: „Siehe, Ich Bin Da“ – ein Bild aus der Wirklichkeit meines Lebens, das diesem Filmbild voll und ganz entsprach. Ich könnte an die Aussagen der Bibel nicht so sehr glauben, wenn ich nicht Ähnliches in meinem Leben erfahren hätte.

Wenn Stunden der Ausweglosigkeit uns helfen, den persönlichen Gott, den mächtigen Freund, zu entdecken, sind sie – wenn durchgestanden – das weiß ich heute rückschauend betrachtet, das größte Geschenk Gottes.

Dieser Filmszene von Jesus, der den Verdurstenden rettet, stellte ich nun eine zweite Szene des Jesus-Filmes gegenüber. Der Mensch, der auf wunderbare Weise aus seiner verzweifelten Lage errettet wird, trifft Jesus später wieder, jetzt ist es Jesus, der leidet. Auf seinem Kreuzweg ist er zusammengebrochen, liegt absolut verlassen und hilflos da wie damals der andere. Man sieht ihn unter dem Kreuz nach seinem dritten Fall, blutige Striemen der Geißelung auf seinem Gewand. Der Mensch eilt hinzu, gibt ihm Wasser und Jesus hebt den Kopf mit der Dornenkrone und sieht den Menschen an, der ihm helfen will. Das Antlitz Jesu zeigt der Regisseur nicht auf diesem Bild, aber er gibt Hilfe, dass man sich die unendliche Liebe vorstellen kann, mit der Jesus den anderen ansieht, der ihn trösten will auf seinem furchtbaren einsamen Weg. Wie sehr ist Gott grundgelegt in der menschlichen Seele, dass Filme so sprechen und in Erinnerung rufen können! Ich denke, ein Heiliger hätte den Film nicht besser gestalten können, wer immer der Regisseur, wer immer die Darsteller waren. Bilder oder bildhaftes Erzählen können also entscheidende Hilfen geben, um das Bild Gottes im Herzen zu entdecken.

Untrennbar verbunden mit religiösen Bildern war für uns im Religionsunterricht das Beten. Ich würde sagen: Auf Bilder könnte man zur Not verzichten, malen sie doch immer nur eine subjektive Erfahrung mit Gott. Das Beten aber erscheint mir unverzichtbar, in dem doch der Mensch letztlich sein ureigenes Gottesbild entdeckt, die Art und Weise, wie ihm Gott einmalig und ganz persönlich zulächelt. So möchte ich es zu beschreiben versuchen, wie er uns im Lauf einer langen Zeit manchmal – auch da kann man keine Regel aufstellen – erklärt, wer er ist: „Siehe, Ich Bin [für dich] Da“. Lies einmal nach (vgl. Kapitel „Schülerpersönlichkeiten – Nicole“). Wie würde ich Beten heute beschreiben?

Beten

Mit Gott reden

Schweigen

Weinen

Lachen

Schreien

Toben

Warten

Mich immer in Liebe gehalten wissen

in meinem Unvermögen

Ausruhen

Mich fallen lassen

Die größtmögliche Zärtlichkeit erfahren

Unbeschreiblich

Irgendwie durch das Bewusstsein

der Nähe Gottes

So tröstlich

Dass alle Einsamkeit

Selbst in der Einsamkeit

Zu Ende ist.

Erklären kann ich es letztlich nicht, lieber Leser, was ich meine, deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten, dass du mich verstehst: Entweder hast du selbst erfahren, was ich meine, oder du machst dich auf den Weg zum persönlichen Beten, Beten zu Gott, Gott suchen – unbedingt auch durch Beten – und sei es durch einen täglichen Versuch: „Gott, wenn es dich gibt ...“ – „Mein Gott und mein Alles“. So kann auch der Weltmensch beten in dem Augenblick, da er anfängt, absolutes Vertrauen zu riskieren, die einzige Art, in der man den Trost Gottes letztlich bewusst erfahren kann. Ich denke, Gott tröstet uns täglich auf vielerlei Art, auch Menschen, die kein einziges Gebet sprechen, für die Gott scheinbar noch gar keine Rolle spielt, aber die Einladung zu wirklichem Beten beinhaltet immer die Einladung Gott zu begegnen als persönlichen, stärksten, allmächtigen, liebevollsten Freund, den es gibt.

„Aber man kann Gott nicht anfassen“, sagten die Schüler immer wieder. Wer Gott als besten Freund gefunden hat, weiß: Er ist dennoch näher als jeder Mensch in der Erfahrung der göttlichen Zärtlichkeit, die sich in unbeschreiblicher Nähe und Fürsorge ausdrückt, die Gott uns winzigen Geschöpflein zuteil werden lässt, die Jubel im Herzen hervorruft, wenn man beginnt, die Zeichen seiner Gegenwart wahrzunehmen. Bei der Darstellung einzelner Schülerpersönlichkeiten habe ich das zu beschreiben versucht, natürlich vor allem immer wieder bei meinen Anmerkungen Rosen empfangen oder Rosen verschenken. Diese Worte sind nur ein Versuch, nicht mehr, um auszudrücken, was ich meine.

Wie war es möglich, dass die minutenlange Stille als Voraussetzung für gemeinsame Meditation / Beten auch in lautesten Klassen immer wieder gelang? Zunächst versuchte ich es mit meiner Überzeugungskraft, ganz sachlich. Die Schüler sollten mit mir doch einmal die Stille ausprobieren, nach Absprache. Sie selbst sollten entscheiden, ob sie dergleichen in den Unterricht einbauen wollten. Nun hatte ich die Schüler auf meiner Seite in meinem Bemühen, zunächst die erste Meditation durchzuführen. Etwas ganz Neues ausprobieren, immer! Die Stille begann. Störte nun jemand, hatte er die Klasse gegen sich und das riskiert kein Schüler freiwillig. Ich machte den Schülern klar, welche Leistung es war, eine solche Stille zu erreichen und wie einfach, sie durch eine dumme Bemerkung zu zerstören, zum Beispiel dadurch, dass ein möglicher Störenfried die Stille, die wir doch gemeinsam vereinbart hatten, als willkommene Gelegenheit, seine eigene Person in den Vordergrund zu stellen, missbraucht hätte. Das sah irgendwie jeder ein. Im Anschluss an die erste Stille stimmten wir ab, ob die Klasse dergleichen im Unterricht öfters wünschte, und immer meldeten sich alle dafür. Immer wieder konnten wir dann minutenlang, mit Wort oder Bild eingeleitet, die Faszination der Stille gemeinsam erleben. Die Schüler, denen es gelang, sich wirklich zu entspannen, erwachten nachher wie aus einem Traum und hätten so gerne noch länger meditiert. Mit Rücksicht auf die – das waren immer einige – die innerlich angespannt blieben, die aber auch mit einer gewissen Neugier der Stille gefolgt waren, brach ich diese Phase des Unterrichts nach kürzerer Zeit immer ab mit dem Hinweis darauf, dass jeder zuhause die Meditation wiederholen könnte, wann immer er es wünschte. Dieser Hinweis war sehr wichtig! Ein Schüler, der dem nachkäme, hätte im Unterricht einen Tipp für das Beten zuhause angenommen. Einen größeren Erfolg bei Nicht- oder Kaum-Betern könnte ich mir als Religionslehrerin nicht vorstellen.

Heute ...

der wichtigste Tag – immer. Ich unterbreche mein Schreiben für dich, lieber Leser, und blicke hinaus, an diesem Dienstagmorgen in der Weihnachtszeit. Auch die zauberhafte Aussicht aus meinem Wohnzimmerfenster ist immer wieder eine besondere Freude, die Gott mir schenkt.

Guten Morgen, Leben, ich grüße dich! Wolken wehen vorbei über der alten Burg, die auch den neuen Tag begrüßt. Der Himmel reißt auf – strahlendes Licht über den Häuserdächern, darin Menschen, Schicksale, Gefährten. Die Fahne auf dem alten Turm flattert im Wind. Sieg! Auf den Flügeln der Sehnsucht weht neue Hoffnung, Segen des neuen Tages für dich, für mich, für alle!

Damals, an der Hauptschule, waren Dienstagmorgen-Andachten üblich. Pfarrer und Lehrer wechselten sich in der Gestaltung ab. In eine meiner Andachten von damals möchte ich dich einladen – heute!

Morgenandacht vom heiligen Sterntalerkind

„Und wenn es auch sein allerletztes Hemdchen weggegeben hatte, so hatte es gleich ein neues an und dieses war von allerfeinstem Linnen.“ (Gebrüder Grimm: „Die Sterntaler“)

So schließt das Märchen vom kleinen Sterntalerkind, das im Vertrauen auf den lieben Gott alles weggegeben hatte aus Liebe zu anderen Menschen. Das kleine Sterntalerkind, so scheint es, dümmlich in seiner Liebe, total unrealistisch. Es gibt sein allerletztes Hemdchen und denkt, es ist dunkle Nacht, da sieht dich keiner. Kein Gedanke, dass der nächste Tag kommen wird und alle sehen werden, dass es nicht einmal ein Hemdchen trägt. Das kleine Kind lebt ganz dem Augenblick. Sein Vertrauen auf Gott ist grenzenlos: Gott ist da. Er wird sorgen. Wenn man die Lebensbeschreibung der Heiligen liest, könnte man an das Sterntalerkind erinnert werden. In fast dümmlichem Vertrauen haben sie alles weggegeben aus Liebe zu Gott und den Menschen. Es gibt nichts, das sie für sich behalten hätten. Die Frage bleibt: Sind sie auch belohnt worden wie das Sterntalerkind? Ist er belohnt worden, der Maximilian Kolbe, der aus Liebe zu Gott und aus Nächstenliebe zu einem Menschen singend für diesen in einem Hungerbunker starb? Ist er belohnt worden, Pater Damian, der seine Jugend, seine Kraft, seine Gesundheit, sein ganzes Leben den Ausgestoßenen auf der Leprainsel Molokai schenkte? – Wenn man das Lebensschicksal der Heiligen verfolgt, gibt es Heilige, die auch schon auf dieser Erde beschenkt wurden wie das Sterntalerkind – auch das ist möglich – wie das Schicksal der heiligen Monika zeigt, die Gott nach dreißig Jahren Flehen und Beten, dass ihr Sohn (der spätere heilige Augustinus) doch zum Glauben an Gott finden möge, erhört wurde. Es gibt aber auch Heilige, die das überreiche Beschenktwerden, äußerlich gesehen, erst in vollem Ausmaß in einer anderen Welt erlebt haben, wie Pater Damians Schicksal zeigt. Erst durch den Totaleinsatz seines Lebens, die tägliche Hingabe all seiner Fähigkeiten, wurde die Welt schließlich aufmerksam auf das Elend der ausgestoßenen Aussätzigen und durch den radikalen Einsatz seines Lebens wurde die Welt sich endlich der eigenen Herzlosigkeit diesen Menschen gegenüber bewusst. Erst nachdem Pater Damian schließlich selbst rettungslos an Lepra erkrankt war, sein eigenes Leben auf dieser Erde verloren war, erbarmten sich andere und halfen diesen Menschen in einer Weise, von der Pater Damian nicht zu träumen gewagt hätte all die Jahre.

Pater Damian ... Bevor ich meine Morgenandacht fortsetze, möchte ich an dieser Stelle eine Geschichte einfügen, die ich in Anlehnung an das berühmte Märchen vom Sterntalerkind schrieb. Sag, lieber Leser, was wäre unser Leben, wenn sich nicht Spuren der kleinen Märchengestalt, die ich gleich schildern werde, darin fänden – und wenn es auch nur winzigste Spuren wären, vielleicht wäre ebendas unsere Berufung, an die uns Lebensumstände immer wieder erinnern können, oft, denke ich, auch ohne bewusste Erinnerung an Gott.

Hier nun folgt meine Umdichtung dieses Märchens als Gegenstand für unsere Morgenandacht.

Märchen vom heiligen Sterntalerkind

Es war einmal ein kleines Kind, dem waren Vater und Mutter gestorben und es hatte fast gar nichts mehr, nur noch ein Hemdchen und ein Schälchen, ein Mützchen und ein Stück Brot in der Hand. Da tippelte es mit seinen kleinen Füßchen im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. „Der liebe Gott ist ja bei mir!“, dachte es bei sich und zog fröhlich los. Bald begegnete ihm ein anderes Kind, das sagte: „Du hast ja so ein schönes Mützchen, kannst du mir das nicht schenken?“ – „Aber gern!“, strahlte das kleine Kind und gab ihm sofort sein Mützchen her. Bald begegnete ihm ein anderes Kind, das hustete. „Du armes Kind“, sagte das kleine Sterntalerkind, „hier, nimm mein Schälchen, dann geht es dir besser!“ Es tippelte weiter und der eisige Wind trieb es vorwärts, so dass es schwankte. Die kleinen Öhrchen waren feuerrot vor Kälte und es fing an zu husten, denn das kleine Hälschen war nun ungeschützt. Aber es lief doch sehr fröhlich, denn es dachte an die Kinder, die es beschenkt hatte. Sicher hat das eine nun keinen Husten mehr und das andere friert nicht mehr auf dem Kopf, dachte es.

Es wurde langsam Abend und plötzlich merkte es, dass es lange nichts mehr gegessen hatte. Mit gutem Appetit wollte es in sein letztes Stück Brot beißen, da kam ein alter Mann vorbei und bat: „Ach, Kind, mich hungert so sehr! Gibst du mir etwas ab?“ – „Ach, du armer Mann“, sagte das kleine Sterntalerkind, „lass es dir nur gut schmecken!“, und gab ihm sein ganzes Stück Brot. Inzwischen hatte es einen Wald erreicht und die Dunkelheit war hereingebrochen. Es konnte nur noch ganz langsam tippeln, denn es war so erschöpft, dass es sich kaum aufrecht halten konnte. Das kleine Kind zitterte vor Kälte. Da kam wieder ein Mensch vorbei, der sagte: „Du hast so ein wunderschönes Hemdchen an, das könnte mich wohl wärmen im eisigen Wind, schenkst du es mir?“ Da dachte das kleine Sterntalerkind: Es ist dunkle Nacht, da sieht dich keiner! Und schnell hatte es sein allerletztes Hemdchen ausgezogen und gab es auch noch hin.

Ganz erschöpft setzte es sich auf den Boden und die Dunkelheit hüllte es ein wie ein schwarzes Tuch. Da fühlte es plötzlich eine fürchterliche Verlassenheit und der Schmerz brannte wie Feuer im Herzen, dass es Vater und Mutter für immer verloren hatte. Es dachte an den lieben Gott, dem es so sehr vertraut hatte auf seinem Weg, und an all die Menschen, die es beschenkt hatte. „Lieber Gott, du bist doch da, ach, hilf mir doch – ich bin ja so schrecklich allein“, schluchzte es. Und der Stein auf dem Herzen des Sterntalerkindes war so fürchterlich schwer wie nur ganz wenige Menschen ihn tragen können – einen Augenblick lang in der Ewigkeit, einen Augenblick nur, denn plötzlich war alles strahlend verwandelt:

Das kleine Sterntalerkind stand in leuchtendem warmem Licht wie ein funkelnder Sternenregen, wie niemals auf Erden ein Mensch es empfinden kann, und die Freude, die es für immer und ewig im Herzen trug, kann niemand beschreiben. Alle Tränen in seinem kleinen Gesichtchen waren getrocknet und für immer und ewig war es geborgen bei Gott. Sein Glück kann niemand beschreiben, ein Glück, das ihm niemand mehr nehmen kann.

Am nächsten Tag fand man das kleine Kind erfroren im Wald. „Das dumme Ding!“, meinte einer. „Muss es auch alles wegschenken? Das hat es nun davon!“ Aber die Menschen, denen das kleine Sterntalerkind alles geschenkt hatte, kamen hinzu und baten: „Liebes Sterntalerkind, bitte den lieben Gott, dass wir Menschen werden wie du. Nicht nur das Mützchen, Schälchen, dein letztes Brot und dein allerletztes Hemdchen hast du uns geschenkt, sondern den Stern der Liebe. Bitte Gott, dass dieser Stern auch in unserem Herzen leuchtet. Das wäre unser allerschönster Traum.“

Und die Geschichte vom kleinen Sterntalerkind ist nicht zu Ende. Vom Himmel her schenkt es zahllose Sterne, wenn du willst, auch dir, wenn ich will, auch mir.