Die Rübenkönigin - Louise Erdrich - E-Book
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Die Rübenkönigin E-Book

Louise Erdrich

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Beschreibung

Die siebzehnjährige Dot ist ein wildes, zorniges, rücksichtsloses Mädchen. Bei Mitschülern und Lehrern ist sie verhasst und gefürchtet. Zu Hause buhlen Mary, die Tante, Karl, der Vater, Celestine, die Mutter, und Wallace Pfef, der Pate, vergeblich um ihre Liebe – schamlos und unerschrocken spielt Dot sie gegeneinander aus. Da meint Wallace, eine gute Idee zu haben: Alles setzt er in Bewegung, um seine heißgeliebte Nichte beim Sommerfest zur Rübenkönigin zu küren. Doch statt Dankbarkeit zu zeigen, streckt Dot den Patenonkel mit drei Softbällen nieder, entert einen Doppeldecker und fliegt davon – wie einst ihre Großmutter Adelaide Adare, die vierzig Jahre zuvor auf einem Jahrmarkt in einem Luftschiff entschwand und ihre Kinder Mary und Karl zu Waisen machte, lange bevor in Argus, Dakota, Rüben angebaut wurden und das Leben in der Stadt sich von Grund auf veränderte ...

Eine anrührende und phantastische Familiensaga dreier Generationen.

“Ein glänzender Roman.” The New York Times.

„Das seltene Ereignis eines perfekten – und einfach wundervollen – Romans von einer der großen Autorinnen unserer Tage." Anne Tyler.

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Seitenzahl: 572

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LOUISE ERDRICH

DIE RÜBENKÖNIGIN

Roman

Aus dem Amerikanischen von Helga Pfetsch

Impressum

Die Originalausgabe unter dem Titel

The Beet Queen

erschien 1986 bei Harper Collins, New York.

ISBN 978-3-8412-0748-7

Aufbau Digital,

veröffentlicht im Aufbau Verlag, Berlin, April 2014

© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin

Bei Aufbau Taschenbuch erstmals 2014 erschienen;

Aufbau Taschenbuch ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG

THE BEET QUEEN. Copyright © 1986, Louise Erdrich.

All rights reserved

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Vervielfältigung und Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlages zulässig. Das gilt insbesondere für Übersetzungen, die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das öffentliche Zugänglichmachen z.B. über das Internet.

Umschlaggestaltung Mediabureau Di Stefano, Berlin unter Verwendung eines Motivs von © Mark Owen/Trevillion Images

E-Book Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, www.le-tex.de

www.aufbau-verlag.de

Inhaltsübersicht

Cover

Impressum

Der Ast

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL1932

Mary Adare

Karls Nacht

ZWEITES KAPITEL1932

Sita Kozka

Mary Adare

Celestine James

Rettung

DRITTES KAPITEL1932

Karl Adare

Luftansicht von Argus

ZWEITER TEIL

VIERTES KAPITEL1941

Mary Adare

Das Waisenpicknick

FÜNFTES KAPITEL1950

Sita Kozka

Sitas Hochzeit

SECHSTES KAPITEL1952

Karl Adare

Wallaces Nacht

SIEBTES KAPITEL1953

Celestine James

Marys Nacht

ACHTES KAPITEL1953

Sita Kozka

Russells Nacht

NEUNTES KAPITEL1954

Wallace Pfef

Celestines Nacht

DRITTER TEIL

ZEHNTES KAPITEL 1960

Mary Adare

Sitas Nacht

ELFTES KAPITEL1964

Celestine James

Vogelshow

ZWÖLFTES KAPITEL1964

Wallace Pfef

Das ox Motel

VIERTER TEIL

DREIZEHNTES KAPITEL1972

Celestine James

Sita Tappe

Mary Adare

Der höchstdekorierte Held

VIERZEHNTES KAPITEL1971

Wallace Pfef

Der Reisende

FÜNFZEHNTES KAPITEL1972

Karl Adare

Die Tribüne

SECHZEHNTES KAPITEL1972

Dot

Informationen zum Buch

Informationen zur Autorin

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Der Ast

Schon lange bevor in Argus Rüben angebaut und die Highways angelegt wurden, war die Bahnlinie da. Auf den Schienen, die die Grenze zwischen Dakota und Minnesota überquerten und sich weiter bis nach Minneapolis erstreckten, kam alles an, was das Wesen der Stadt ausmachte. Und alles, was der Stadt abträglich war, verließ sie auf diesem Wege wieder. An einem kalten Frühlingsmorgen im Jahre 1932 transportierte der Zug sowohl einen Zugang als auch einen Abgang. Beide kamen per Fracht. Als sie Argus endlich erreichten, waren ihre Lippen violett und ihre Füße so taub, daß sie beim Sprung aus dem Güterwagen stolperten und sich die Hände und Knie an der Schlacke aufschürften.

Der Junge war vierzehn und hochaufgeschossen, von seinem plötzlichen Wachstum gebeugt und sehr blaß. Sein Mund war lieblich geschwungen, seine Haut zart und mädchenhaft. Seine Schwester war erst elf Jahre alt, aber schon jetzt war sie so stämmig und gewöhnlich, daß klar war, sie würde ihr Leben lang so bleiben. Ihr Name war so kompakt und zweckmäßig wie alles an ihr. Mary. Sie klopfte sich den Mantel ab und stand im nassen Wind. Zwischen den Häusern gab es nichts als leeren Horizont zu sehen und von Zeit zu Zeit Männer, die ihn querten. Damals wurde hauptsächlich Weizen angebaut, und der Boden war so frisch bestellt, daß die Erdkrume noch nicht weggeblasen worden war wie in Kansas. Die Zeiten waren im östlichen North Dakota überhaupt viel besser als fast überall sonst, und das war auch der Grund, warum Karl und Mary Adare mit dem Zug hierhergekommen waren. Die Schwester ihrer Mutter, Fritzie, wohnte am östlichen Rand der Stadt. Sie führte zusammen mit ihrem Mann einen Metzgerladen.

Die beiden Adares schoben die Hände in die Ärmel und gingen los. Sobald sie sich bewegten, wurde ihnen wärmer, obwohl sie die ganze Nacht gefahren waren und die Kälte tief saß. Sie gingen nach Osten, über den Lehm und den Bohlenbelag der breiten Hauptstraße, und lasen die Schilder auf den bretterverschalten Ladenfassaden, an denen sie vorbeikamen, sogar die Goldbuchstaben im Fenster der aus Ziegeln erbauten Bank lasen sie. Keins der Geschäfte war eine Metzgerei. Abrupt hörten die Läden auf, und dann kam eine Zeile von Häusern, die grau verwittert waren oder von denen graue Farbe blätterte, und an deren Verandageländern Hunde festgebunden waren.

Kleine Bäume standen in den Vorgärten einiger dieser Häuser, und ein Bäumchen, schwach wie eine Schramme aus Licht im allgemeinen Grau, schwankte in einem Blütenschleier. Mary stapfte unbeugsam voran und beachtete es kaum, aber Karl blieb stehen. Der Baum zog ihn mit seinem zarten Duft an. Seine Wangen röteten sich, er streckte die Arme aus wie ein Schlafwandler, und in einer einzigen langen und starren Bewegung glitt er auf den Baum zu und vergrub sein Gesicht in den weißen Blütenblättern.

Als Mary sich nach Karl umschaute, erschrak sie darüber, wie weit er zurückgefallen war und wie still er stand, das Gesicht in die Blüten gedrückt. Sie rief, aber er schien sie nicht zu hören und stand bloß da, seltsam und stocksteif zwischen den Ästen. Er rührte sich nicht einmal, als der Hund in dem Garten an seiner Leine zerrte und loskläffte. Er merkte gar nicht, daß die Haustür aufging und eine Frau herausgestolpert kam. Sie schrie Karl an, aber er achtete nicht darauf, und deshalb ließ sie den Hund los. Groß und gierig flog er in riesigen Sätzen vorwärts. Und dann, entweder um sich zu schützen oder um die Blüten zu pflücken, griff Karl nach oben und brach einen Ast von dem Baum.

Der Ast war so groß und der Baum so klein, daß die Fäule die Wunde befallen sollte, wo er abgerissen worden war. Die Blätter sollten noch im Laufe des Sommers abfallen, und der Saft sollte in die Wurzeln sinken. Als Mary im nächsten Frühjahr auf einem Besorgungsgang an dem Bäumchen vorbeikam, sah sie, daß es keine Blüten trug und erinnerte sich daran, wie Karl, als der Hund an ihm hochgesprungen war, mit dem Ast um sich geschlagen hatte und wie die Blütenblätter in einem plötzlichen Schneeschauer um den wilden, gestreckten Körper des Hundes gefallen waren. Dann brüllte Karl: «Lauf!», und Mary lief nach Osten, zu Tante Fritzie. Aber Karl lief zurück zum Zug und zu dem Güterwagen.

ERSTER TEIL

ERSTES KAPITEL 1932

Mary Adare

So bin ich also nach Argus gekommen. Ich war das Mädchen in dem steifen Mantel.

Nachdem ich blindlings losgerannt war und zum Halten kam, erschrocken, Karl nicht hinter mir zu sehen, schaute ich mich nach ihm um und hörte lang und schrill den Zug pfeifen. In dem Moment wurde mir klar, daß Karl wahrscheinlich wieder auf denselben Güterwagen gesprungen war und jetzt im Stroh kauerte und zur offenen Tür hinausschaute. Der einzige Unterschied wäre der duftende Stock, der in seiner Hand blühte. Ich sah den Zug wie eine Kette aus schwarzen Perlen über den Horizont ziehen, wie ich ihn seither so oft gesehen habe. Als er außer Sicht geriet, starrte ich hinab auf meine Füße. Ich hatte Angst. Es war nicht so, daß ich jetzt ohne Karl keinen mehr hatte, der mich beschützte, sondern genau umgekehrt. Ohne jemanden, den ich beschützen und auf den ich aufpassen mußte, war ich selbst schwach. Karl war größer als ich, aber mager, und älter natürlich, aber ängstlich. Er litt an Fieberanfällen, die ihn in einen benommenen Traumzustand versetzten, und er reagierte empfindlich auf laute Geräusche und grelles Licht. Meine Mutter bezeichnete ihn als zart, und ich war genau das Gegenteil. Ich war es, die im Lebensmittelladen fleckige Äpfel erbettelte und von der rückwärtigen Rampe der Molkerei in Minneapolis, wo wir in dem Winter wohnten, nachdem mein Vater starb, Molke klaute.

Damals fängt diese Geschichte an, denn vorher und ohne das Jahr 1929 hätte unsere Familie wahrscheinlich weiterhin sorglos und zufrieden in einem einsamen, alleinstehenden weißen Haus am Rand des Prairie Lake gewohnt.

Wir sahen kaum einen fremden Menschen. Es gab nur uns drei: Karl und mich und unsere Mutter Adelaide. Schon damals waren wir anders. Unser einziger Besucher war Mr. Ober, ein großer Mann mit sorgfältig gepflegtem schwarzen Bart. Er besaß hier in Minnesota ganze Ländereien mit Weizen. Zwei- oder dreimal die Woche tauchte er spätabends auf und stellte sein Automobil in der Scheune ab.

Karl haßte es, wenn Mr. Ober zu Besuch kam, aber ich freute mich jedesmal, weil meine Mutter dann immer aufblühte. Es war wie ein Wetterumschwung in unserem Haus. Ich weiß noch, daß sie am Abend, als Mr. Ober das letzte Mal zu Besuch kam, das blaue Seidenkleid anzog und die Kette mit den glitzernden Steinen umlegte, die, wie wir wußten, von ihm war. Meine Mutter flocht ihren dunkelroten Zopf, steckte ihn zu einer Krone auf und bürstete dann mein Haar mit hundert leichten, gleichmäßigen Strichen. Ich schloß die Augen und hörte auf die Zahlen. «Von mir hast du das nicht», sagte sie schließlich und ließ das Haar matt und schwarz auf meine Schultern zurückfallen.

Als Mr. Ober kam, saßen wir mit ihm im Salon. Karl thronte auf dem Roßhaarsofa und gab vor, von den in den Teppich gewobenen roten Rauten fasziniert zu sein. Wie gewöhnlich wurde ich von Mr. Ober zum Schäkern auserwählt. Er setzte mich auf seinen Schoß und nannte mich Schatzi. «Für dein Haar, kleines Fräulein», sagte er und zog ein grünes Satinband aus seiner Westentasche. Seine Stimme war tief, aber ich mochte ihren Klang als Kontrapunkt oder Begleitung zu der meiner Mutter. Später, nachdem Karl und ich ins Bett geschickt worden waren, blieb ich wach und lauschte, wie die Stimmen der Erwachsenen lauter wurden, sich ineinander verknäuelten und sich dann wieder senkten, erst unten im Salon und dann gedämpft im Eßzimmer. Ich hörte beide die Treppe heraufkommen. Die große Tür am Flurende schloß sich. Ich hielt die Augen geöffnet. Um mich war Dunkelheit und das Knacken und Pochen, das Häuser nachts von sich geben, Wind in den Asten, Klopfen. Am Morgen war er fort.

Am nächsten Tag schmollte Karl, bis unsere Mutter ihn mit Umarmungen und Küssen wieder gutgelaunt stimmte. Auch ich war traurig, aber mit mir war sie ungeduldig.

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