Die Sache mit dem Hasen - Johannes Reichert - E-Book

Die Sache mit dem Hasen E-Book

Johannes Reichert

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Beschreibung

Wir schrieben die 1970er. Der Oberschlunzgau war noch nicht zubetoniert, die Polizei hieß Gendarmerie und unsere Dörfler waren speziell. Das machte die Gebirgsdynamik, das raue Klima zwischen Schatt- und Sonnseite, der Westwind und natürlich der Alkohol. Man alterte rasch, reifer wurde man selbstverständlich nicht. Und für so manchen Jungspund war ein Jahr Bitterbach wie ein Hundejahr. Die Sache mit dem Hasen schien verzwickt. Plötzlich stießen alle Akteure zusammen. Im Habichttal. Auf 1200 Meter. Der Mond versteckte sich an diesem denkwürdigen Abend gelegentlich hinter den Wolken, als ob er die Hände vor's Gesicht legen würde, um nicht alles mitansehen zu müssen.

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Seitenzahl: 142

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INHALT

UNSERE DÖRFLER - ARTGERECHTE HALTUNG IM BIOTOP

DIE SACHE MIT DEM HASEN – EINE SPRITZTOUR

SENILE BETTFLUCHT - DIE LIEBE TOTE BEILEID

Häh?

Ein durchschnittlicher Mensch schleppt zwei Kilo Bakterien mit sich herum, ein Elefantenrüssel wird von 40.000 Muskeln bewegt und ein Blutegel hat 10 Augen, 300 Zähne und 32 Gehirne.

Häh?

"Häh" ist der einzige Laut, der in allen Sprachen dieser Welt dasselbe bedeutet: Unverständnis. Der kleinste gemeinsame Nenner von uns Menschen ist also Unverständnis.

Gut. Weiter. Können Pferde reiten? Selbstverständlich nicht! Beim Löwenzahn ist vom luftigen Pusteblumenerlebnis bis Zerfleischung und anschließendem Verzehr durch den Träger auch alles drin. Man sieht schon, so einfach ist die Sache nicht! Denn manchmal ist eben alles anders, als es beim ersten Betrachten zu sein scheint.

Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Sie sitzen in Holland fest und wollen zurück nach Österreich. Aus irgendeinem Grund geht das nicht. Zum Beispiel, weil am Kontinent ein garstiger Krieg tobt. Also heuern Sie auf einem Schiff an, das nach Venedig will. Anschließend soll es über die Alpen zurück ins Heimatland. Stellen Sie sich weiter vor, Sie essen noch zu Abend und trinken zum Abschied einen über den Durst. Jetzt ist es zappenduster. Sie irren sich gewaltig und nehmen den falschen Kasten. Dumm gelaufen, denn nun sind Sie unterwegs zur Mündung des Kongos. Das Schiff zerschellt an den Klippen einer Kapverden Insel. Sie verbringen unschöne Tage auf einem nackten Felsen.

Noch fünf Minuten bis Vorhang. Doch bevor dieser fällt, werden Sie von der Niederländischen Ostindienflotte aufgelesen und aufgepapperlt. Weiter gehts über die Magellanstraße in den Pazifik. Sie machen Bekanntschaft mit Piraten, kommen auf den Geschmack und kapern mit Gleichgesinnten eine spanische Galeone. Sie lassen sich in Jakarta nieder. Diamanten sind im Spiel, Abenteuer ohne Ende. Bis Sie endlich das Heimweh packt und auf ein Schiff Richtung Europa wirft. Natürlich ist wieder einmal nur Amsterdam für Sie vorgesehen, der Kreis schließt sich. Soviel zum ersten österreichischen Weltenbummler, Christoph Karl Fernberger. Fernberger, der Name ist Programm! Klingt unwahrscheinlich. Ist es auch. Und sagen Sie jetzt nicht "schlecht erfunden", denn genau so wars 1621 – 1628! Die Sache Fernberger hält jedenfalls jeder Recherche stand.

Die Sache mit dem Hasen war ebenso unwahrscheinlich. Aber sie ist nun mal passiert, genau wie die Schiffspartie.

Die Protagonisten: Herr Mirlinger, unser Held und Schlitzohr, die vom schrecklichen Überfall gebeutelten Tankwarte Hochrainer Andi und Focher Martin, Herr Kirch Karli, immer den Frauen hinterher, sowie meine, des Chronisten Wenigkeit. Dazu ein paar Begebenheiten und Wahrheiten - selbstverständlich nicht nur in homöopathischen Dosen. Wir schrieben das Jahr 1976, Fantasie hatte man noch mit "Ph" und hier in Bitterbach wussten die Eingeborenen vom Krieg zu erzählen. Doch sie taten es auf höchst wundersame Art und Weise. Also stellten wir Jungspunde eigene Nachforschungen an. Die Gegend war noch nicht zubetoniert, die Polizei hieß Gendarmerie und unsere Dörfler waren speziell. Das machte die Gebirgsdynamik, das raue Klima zwischen Schatt- und Sonnseite, der Westwind und natürlich der Alkohol . . . . .

UNSERE DÖRFLER

ARTGERECHTE HALTUNG IM BIOTOP

"Humor ist, wenn man trotzdem lacht!"

. . . . . Otto Julius Bierbaum

Der Mirlinger

"Allah ist groß!", sagt der Prophet. "Alles ist groß!", sagt die Maus. Sehr wichtig deshalb zur Orientierung: die spirituelle Grundversorgung. Am schlimmsten sind doch jene, die Gott nicht vergeben können. Zum Beispiel, dass er sich nicht ab und an bei ihnen meldet, an der Haustür klingelt oder Ähnliches. Dass er nicht vorstellig wird und um

Vergebung bittet. Wofür auch immer. Genauso tickte er, der Mirlinger. Duckmäusertum war ihm fremd, dafür gab es anmaßende Dreistigkeit im Handgepäck. Als Kind unangenehm altklug, als Pubertierender von den Keimdrüsen gefoppt, war er jetzt mit satten Nahezuzwanzig im Niemandsland der Erkenntnis angelangt. Kein Entwicklungsstadium ordnungsgemäß durchschritten, vorwiegend weiße Flecken auf der Seelenlandkarte, Terra incognita seiner selbst. Ein Eiswürferl in der Hölle hätte langfristg bessere Chancen gehabt zu überleben.

"Pivo Teller hättst kan Teller!" Das war Tschechisch mit Oberschlunzgauerisch verhunzt und hieß ungefähr so viel wie: Bier macht einen schönen Körper. Den Spruch hatte der Mirli von Onkel Ludi aus Ludoviče, den er immer wieder gern besuchte. Onkel Ludi trank Zäune. Das sei so üblich in der Tschechoslowakei, denn das raue Volk der Tschechen zähle biertschechisch – pardon - biertechnisch betrachtet nicht zu den Kostverächtern. Ein Zaun - vier senkrechte Striche und ein waagrechter - fertig. Ein Fünferpaket am Bierdeckel, damit die Kellnerschaft und vor allem der Trinker selbst wüsste, wieviel konsumiert wurde. Ein Zaun wäre gut, zwei Zäune die Schallmauer und drei die Bier-Orgel, alle Tasten und Register gleichzeitig.

Onkel Ludi aus Ludoviće trug einen gewaltigen Schnauzer. Genau wie neuerdings der Neffe. Hingefahren war der Mirli ja mit Nichtfrisur, zurück präsentierte er sich runderneuert. Vokuhila Klassisch mit Schnauzer. Erinnerte im Ansatz an den Schießbudenbart nach Art der Fliege, der Jahrzehnte zuvor die Welt in Raserei versetzt hatte. Aber auch an Stalins zaunartige Rotzbremse. Jetzt also nasser Schwerenöterbart, weil immer Bier nachgeschüttet wurde. Das hielt den Porno-Schnauzer dauerfeucht.

Zu den Eigenarten des Mirlingers zählte der heftige Drang, Tatsachen anzusprechen, die von den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft gnädig übersehen wurden. Ein Gelüst, das seiner dunkelschwarzen Seele entspross. Viktoria und Valerie, die Zwillingsschwestern mit Konfektionsgröße Blauwal waren da immer stark gefährdet. Alles was länger als breit war, schien für sie phallusartig und wurde im juvenilen Dauergeschnatter durch den fetthaltigen Kakao gezogen.

"Eichare Ärsch sand so groß, dass mas sogoa von vuarn sehn konn!", meinte der Bartträger, mit dem ihm eigenen Charme einer Abrissbirne. Er war den Damen zufällig nach ihrer Tanzstunde begegnet. Den beiden Ballettwalküren verging sogleich Hören und Sehen und alles glamouröse Kichern zerfloss in einem Salzmeer aus Tränen, denn sie hatten am Nachhauseweg die unglücklich gewählten Tüllröckchen anbehalten. Die Tutus konnten untenrum einfach nicht alles verdecken, was für eine Augenverletzung! Der Mirlinger aber erfreute sich rüde an seinen Betrachtungen. Und dass der Allerwerteste immer hinten bliebe, egal wie man sich auch drehe oder wende, stimmte eben nicht immer!

Wie aber war jetzt der Mirli zu uns nach Bitterbach geraten?

Also: Er hatte studiert. Psychologie! Na ja, eigentlich hatte er vor allem immatrikuliert. Mit Vorzug! Das verklickerte er seinem Vater und sicherte sich 500 Alpendollar für diese Nullleistung. Denn der hörte das Nichttiroler-Wort zum ersten Mal in seinem Tirolerleben und war überwältigt. Immatrikuliert mit Vorzug! Und eine Woche später das gleiche nochmal. Inskripiert! Wieder Vorzug und nochmal 500 Österreicher Stipendium! Papa Mirli war begeistert gewesen und so stolz auf seinen universitätsbegabten Spross. Der aber hatte aus der ersten Psychologievorlesung Kraft geschöpft und kehrte nicht mehr nach Osttirol zurück. Er bog vor der Hochbergstraße rechts ab. Dort lag Bitterbach. Genauer gesagt, er entstieg dem Postbus und bog in den Gasthof "Zum Prinz" ab, der seine Pforten einladend geöffnet hatte. Noch genauer gesagt: Richtung Dirndlbluse der schönen Kellnerin Christl, die den obersten Knopf geöffnet hatte. Also stieg der Betrachter aus, um nachzusehen. Und blieb uns ganze zehn Jahre erhalten. Konfuzius sagt: Ein guter Schüler braucht keinen Lehrer. Mirlinger blickte auf ein Leben ohne großes Interesse an Unterricht zurück. Ob er deshalb schon als guter Schüler durchging, blieb dahingestellt. Dennoch verfügte er über erstaunliches Bibel-, Eisbär- und Quanten-Halbwissen. Und als selbsternannter Seelenklempner trug er stets einen bunten Strauß Neurosen vor sich her. Mirli lieferte prompt. Für uns Bitterbacher Jungspunde, die ihn am ersten Abend Stammtisch bereits ins Herz geschlossen hatten, bedeutete dies: Er war gekommen, um zu bleiben! Die 1000 ÖS Starthilfe des Vaters hatte der Stipendiat jedenfalls noch vor Sperrstunde an seine neu gewonnenen Freunde verschleudert!

Haben Sie gewusst, dass Eisbären keine Pinguine fressen? Ja, haben Sie! Die einen oben, die anderen unten, Nordpol – Südpol, verschiedene Lebensräume, keine Berührungspunkte. Aber haben Sie auch gewusst, dass die großen Weißen eine schwarze Haut haben? Eben. Wegen der kargen Beleuchtung hoch im Norden, Schwarz hält warm. Und falls Sie es doch gewusst haben, gibts weiter hinten noch mehr Informationen, die Sie interessieren könnten. Alles wegen dem "Zuagroasten", der ein echter Eisbärspezialist war und uns Freunde mit sinnlosem Wissen fütterte.

Die Mirlinger-Ges.m.b.H. - erst Seelenschredder, dann Superkleber - arbeitete ganzjährig auf Hochtouren, Haftung äußerst beschränkt bis gegen Null gehend. Dazu schüttete er ununterbrochen Bier und Schnaps in sich hinein. Und obwohl unser Neuzugang seine besten Jahre eigentlich noch vor sich hatte, hatte er doch andererseits seine Zukunft bereits weit hinter sich gelassen.

Defibrillator

So galoppierte er vollkommen zügellos durch den Oberschlunzgau. Zu verrichtender Unfug stand an, zu jeder Tages- und Nachtzeit, zwischen Wach- und Betäubungsphasen, Bon Voyage! Denn, wie er immer wieder betonte: "Sie spüln jo nix Gscheids im Fernsehn!"

Dereinst war er sogar im Krankenhaus eingeritten, um den Kirch Karli zu besuchen. Grund der Visite war die monatelange Lagerung beziehungsweise Restaurierung des gatschförmigen Karli-Riesenkörpers nach dessen Trampolinabflug in das wasserfreie Schwimmbad zu Bitterbach. Verkettungen garstiger Umstände hatten alldahin geführt. Eine schwarze Serie schwerer, selbst zugefügter Körpertreffer. Dann als Höhepunkt die versehentliche Hineinwerfung ins Pool. Da gingen, obwohl es damals zappenduster war, kurz einmal die Lichter aus. Aber das ist eine andere Geschichte.

So erbarmungswürdig der Zustand des Karlis auch schien, er war nicht erbarmungswürdig genug, um Freund Mirli an seinem Guerilla-Werk zu hindern. Nachdem er den baumlangen Kirchinger ob dessen entsetzlichem Fehler mehrfach "getröstet" (= gehänselt und verspottet) hatte, stach ihm während einer Zigarettenpause der Defibrilator ins Auge, der neuerdings ebenhier am Gang montiert war. Der Gastrochirurg hatte das Ding von einer Fortbildungsreise aus der Bundeshauptstadt mitgebracht. Mirli steckte sich also eine an, verweilte ein wenig vor dem Wunderkastl und studierte die in dicken Lettern aufgedruckte Betriebsanleitung. Besonders die Piktogrammstrecke imponierte ihm, bot sie doch am Ende eine sich aufbäumende Versuchsperson. Staunend stand er an diesem Sonntagnachmittag vor dem Defi und der Speichelfluss setzte ein. Am meisten bereut man das, was man im Leben nicht getan hat, dachte er. Und er war heute schon keineswegs gewillt, sich dereinst Vorwürfe machen zu müssen.

Also rückte er am nächsten Tag wieder an, um seinen Freund zu besuchen, diesmal mit einem großen Rucksack voller Knabbereien. Der Kirch Karli freute sich sehr, denn die schmalen Kartoffelchips passten perfekt in den Spalt zwischen den Zähnen, die mit Zangen und Spreizen fixiert waren. Kartoffelchips waren neben der flüssigen Nahrung die einzig mögliche Kraftquelle und so presste der Beschenkte ein langgezogenes "Aaaaaaeee!" aus dem Lippenschlitz hervor, das so viel wie "Danke" heißen sollte. Richtig Sprechen war noch nicht. Der Mirlinger hieb dem Geschundenen dafür anständig eine auf den Buckel, sodass der mitsamt seinen metallenen Folterinstrumenten erzitterte. Teile des breiigen Körpers waren in diese geschnallt, genagelt und geschraubt worden, er sah aus wie aus der Eisernen Jungfrau gekratzt. Der Hieb auf den Buckel, diese kleine Zärtlichkeit, sollte aus Mirlingersicht "keine Ursache, lieber Karli" heißen. Das anschließende Gewimmer seines Freundes wartete er dann aber nicht mehr zur Gänze ab. "A durchschnittlicha Mensch trogt zwoa Kilo Bakterien mit sich umadum, a Elefontenrüssel wiad von 40.000 Muskeln bewegt und a Bluadegel hot 10 Augn, 300 Zähnd und 32 Hirn!", ließ er dem Leidenden noch zum Nachdenken zurück. Sinnloses Wissen zu unpassender Zeit, dafür hatte der Mirlinger immer schon ein Händchen gehabt.

Er verließ das Krankenzimmer, um im Flur den Defibrilator in seinen Rucksack zu packen. Wie man bereits ahnte, war die Entwendung desselben der eigentliche Grund der unerwarteten Besuchshäufung an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Die zugrundeliegende Empathie des Mirlingers litt ja an und für sich an enden wollender Strahlkraft.

Zuhause angekommen startete er dann eine Versuchsfolge, zu der nur die engsten Freunde geladen waren. Die 100-Mann-Schule seines ohnehin im Argen liegenden Aquariums war nach dem ersten Stromschlag erledigt und trieb alsbald in zentimeterdicker Schicht an der Oberfläche. Die Schock-Teller des Defibrilators hatten eine brizzelnde Stoßwelle erzeugt, die die Umwälzpumpe zum Grollen brachte. Die gesamte Stromversorgung des Hauses ward lahmgelegt. Der Versuchsleiter hatte mit weit weniger heftigen Reaktionen gerechnet. Interessant, interessant, es ging also auch in die andere Richtung, das hatte das Energiegemetzel schön gezeigt. Normalerweise sind Defibrillatoren ja dafür gut, Herzen wieder zum Schlagen zu bringen. Aber es geht natürlich immer auch anders als man glaubt. Die gesamte Mirlingerexistenz war ja auf dieser tiefen Erkenntnis gebaut. Als endlich die Sicherungen gewechselt waren, hatten es die "Black Mollys" bereits hinter sich.

"Herrschaftsseiten, wos mochts denn ihr für Sochen?", war die rhetorische Frage des Aquariumhalters im Angesicht der vielen Toten. Wie ein Ölteppich schaukelten sie auf der vom Strombeben immer noch bewegten Wasseroberfläche. Dazu muss man wissen, dass die Hundertschaft für das Miniozeanarium von Anfang an viel zu großzügig bemessen war. So herrschte vormals Gedränge auf engstem maritimem Raum, ständig setzte es erbitterte Revierkämpfe. Mirlinger war kein guter Betreiber gewesen. Statt Unterwasserpflanzen gab es lediglich eine auf den Boden gesunkene Spritzpistole. Futter war selten, dann dafür aber kräftig. Große Teile der monatlichen Flockennahrung faulten unvertilgt vor sich hin. Auf artgerechte Heizung hatte unser Osttiroler verzichtet, dafür goss er jeden Morgen siedendes Wasser direkt aus dem Kocher auf seine Schar. Ein schwarzes Mollylein braucht eben Wärme, das ist in Aquaristikkreisen bekannt. Die Fische wussten bereits, was kommen würde und duckten sich im unteren Bereich zusammen, denn oben war man sofort durch. Das sah dann aus, als ob kleine Taucher um eine gesunkene Kanone schwänzelten.

Man muss es sagen: Im Prinzip werden wohl alle Mollys froh gewesen sein, dass es endlich vorbei war, denn der Tod durch den Defi war gnädig. Kurz auf jeden Fall, ob schmerzlos bleibt dahingestellt.

Das unmittelbar darauf folgendes Vollmond-Experiment an der Zierlacke des Dorfes zeitigte ähnlichen Erfolg. Diesmal waren Bitterbachs Goldfische dran, die hatten aber wenigstens Platz. Am nächsten Morgen trockneten sie in Zehnerpaketen auf der Promenade, die um den Teich führte. Mirlinger war an einer statistischen Auswertung seines Feldversuches interessiert gewesen und hatte die Verstorbenen abgezählt. Kein schöner Anblick für die Promenierenden. Jetzt erst waren alle Zweifel beseitigt. "Sicha is sicha!", meinte er, sogar eine kaputte Uhr würde zweimal am Tag noch richtig gehen.

Focher Martin, Hochrainer Andi und ich wurden so staunende Zeugen der Macht des Stromes. Weil der Mirlinger aber eine Fortsetzung der Testreihe plante (Katze Frieda wäre als Nächste drangewesen), wurde ihm das Ding in einem kurzen Handgemenge abgenommen. Die Verteidigungslinie des Strom-Zuchtmeisters war dabei klar zu erkennen: Elektrisieren um jeden Preis!

Am nächsten Tag wunderte sich der Kirch Karli über den Spontanbesuch seiner vier besten Freunde. Der Obermedizinalrat staunte auch nicht schlecht, denn der Stolz des Krankenhauses hatte mir nix dir nix wieder heim gefunden. Der Mirlinger überlegte kurz, ob Reue angebracht wäre. Aber er verwarf den Gedanken gleich wieder. Reue hätte noch nie etwas ungeschehen gemacht, dachte er. Grundentbehrliche leere Gemütskilometer, diese merkwürdige Reue!

Krampus

Wie im Oberschlunzgau üblich, gehen am Tag vor dem Nikolaus bei uns wildem Bergvolk die Krampusse um. Denn es ist die heilige Pflicht eines jeden jungen Mannes, der auf sich hält, das Weibsvolk zu erschrecken, zu jagen und diesem hinten eine draufzuschnalzen. Am besten gleich mehrere. Deshalb sind am 5. Dezember eines jeden Jahres die Frauen vorsichtig und die Kramperln außer Rand und Band. Natürlich würde die männliche Hälfte der Oberschlunzer den Krampustag am allerliebsten dazu nutzen, ungezügelten Beischlaf mit wem auch immer zu pflegen. Da aber wahlloser Verkehr in schwer alkoholisiertem Zustand in der dörfischen Überlieferung nicht belegt ist, wird seit jeher zum Kramperlkostüm gegriffen, heute wie gestern. Tradiertes Substitutionsprogramm, zottelig plus wild, Testosteron hoch Moschus. Die Herren poltern, dreschen die Kuhglocken und brüllen, die Damen kreischen und suchen das Weite. Während des Tages steigert sich die Hatz. Dazu wird ununterbrochen getrunken, vornehmlich Schnaps, dazwischen Bier. Die Kombination von Alkohol und entfesselten Hormonen bildet das Substrat für dieses bizarr anmutende Spiel der vorweihnachtlichen Stille.

Auch der Mirlinger hatte letztes Jahr das Kramperlkostüm übergeworfen. Aber im Gegensatz zu seinen Artgenossen, die erst gegen Abend ihre kritische Phase durchmaßen, war er bereits am frühen Nachmittag über Gebühr betrunken. Er näherte sich den Damen nun mit streichzartem "Miaumiau", sanft und verwundbar. Die promiske Wanderkatze hatte sich selbst sediert und bettelte anlehnungsbedürftig. Aus "rollig" wurde "drollig" an diesem legendären 5. Dezember, "Brüllbrüll" war gestern, jetzt war "Miaumiau"!

Mirlinger ließ sich gefangennehmen und auskitzeln. Die Fotoapparate klickten und der weiblichen Bevölkerungshälfte Bitterbachs war es ein ausgesprochenes Vergnügen, einen zu allen Selbstdemütigungen bereiten Klaubauf gefunden zu haben. An ihm konnten sie feminine Rache für all die blauen Flecken und Schrammen der letzten Jahrzehnte nehmen. An diesem denkwürdigen Tag sagte unser Krampus gefühlte 1000 Mal "Miaumiau", gezählt wären es womöglich noch mehr gewesen. Das Gejaule und Gekuder liegt mir unauslöschlich im Ohr. Wieder einmal machte der Mirlinger allen einen Strich durch die Rechnung. So mancher Wilde zog Schiachperchtenmaske und Kostüm vorzeitig aus und schlich gesenkten Hauptes von dannen.

Wir Beobachter aber bewunderten solch unangepasste Lebart, denn am Ende dieses legendären Kramperltages hatte der Mirlinger so viele Streicheleien und Umarmungen erfahren, wie nie in seinem Leben zuvor. Er ward - von zahlreichen Damen gestützt – vor seiner Kramperlhöhle gelagert, wo er auch die restliche Nacht zubrachte. Unser Freund hatte ja sein warmes Fell an und ins Bettchen wollte ihn dann doch keine bringen.

Œuvre

Mirlinger werkte zu diesem Zeitpunkt noch regelmäßig in der Gobelinweberei des Dorfes, denn er war noch nicht gänzlich dem Alkohol verfallen. Jeden Montag hielt er streng seinen "Wassertag" ein. So wie zahllose andere Oberschlunzgauer, die ebenfalls den Montag als Entgiftungstag wählten. Montage waren gar nicht beliebt in der Gegend.