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Eine Frau, die sich nimmt, was sie will: Die große Familiensaga »Die Santangelos: Der Traum von Hollywood« von Jackie Collins als eBook bei dotbooks. Im Scheinwerferlicht der Traumfabrik … Sie ist die Königin von Las Vegas – doch ihr Herz hat Lucky Santangelo dem Schauspieler Lennie Golden geschenkt. Was liegt da näher, als die Wüste Nevadas gegen die Küste Kaliforniens zu tauschen und in Los Angeles noch einmal neu anzufangen? Natürlich hat Lucky nicht vor, geduldig darauf wartet, dass ihr Mann am Abend nach Hause kommt: Sie will die berühmten Panther Studios übernehmen, um eigene Blockbuster in die Kinos zu bringen. Doch damit provoziert sie den Kopf eines Verbrechersyndikats, der den Santangelos schon lange Rache geschworen hat – und bringt damit sich und ihre Familie in tödliche Gefahr … Der dritte Band der Saga voller mitreißender Spannung und knisternder Erotik: »Ganz egal ob am Strand oder im Schlafzimmer, niemand spielt so hinreißend mit Herzen – und Männern – wie die Heldinnen in den Romanen der Skandalkönigin Jackie Collins!« Philadelphia Daily News Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Der Traum von Hollywood« aus der großen Familiensaga »Die Santangelos« von Jackie Collins – ein Lesevergnügen für alle Fans von Louise Bay, der »Bourbon Kings«-Reihe von J.R. Ward und der Kult-TV-Serie »Der Denver Clan«. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 869
Über dieses Buch:
Im Scheinwerferlicht der Traumfabrik … Sie ist die Königin von Las Vegas – doch ihr Herz hat Lucky Santangelo dem Schauspieler Lennie Golden geschenkt. Was liegt da näher, als die Wüste Nevadas gegen die Küste Kaliforniens zu tauschen und in Los Angeles noch einmal neu anzufangen? Natürlich hat Lucky nicht vor, geduldig darauf wartet, dass ihr Mann am Abend nach Hause kommt: Sie will die berühmten Panther Studios übernehmen, um eigene Blockbuster in die Kinos zu bringen. Doch damit provoziert sie den Kopf eines Verbrechersyndikats, der den Santangelos schon lange Rache geschworen hat – und bringt damit sich und ihre Familie in tödliche Gefahr …
Der dritte Band der Saga voller mitreißender Spannung und knisternder Erotik: »Ganz egal ob am Strand oder im Schlafzimmer, niemand spielt so hinreißend mit Herzen – und Männern – wie die Heldinnen in den Romanen der Skandalkönigin Jackie Collins!« Philadelphia Daily News
Über die Autorin:
Jackie Collins (1937–2015) wurde in London als Tochter eines bekannten Theateragenten geboren; ihre Schwester ist die Schauspielerin Joan Collins. Jackie flog als Teenager von der Schule, gerüchteweise, weil sie eine kurze Affäre mit dem doppelt so alten – und weltberühmten – Marlon Brando hatte. Nach einem kurzen Ausflug in die Filmindustrie, bei dem sie in England und Amerika für Kinofilme und Fernsehserien vor der Kamera stand, fand sie ihre wahre Passion – und begann zu schreiben. Jackie Collins‘ Debüt wurde 1968 sowohl ein internationaler Bestseller als auch ein Skandal, weil sie ohne falsche Scham über starke Frauen und deren Liebesleben schrieb. Zahlreiche ihrer mehr als 30 Romane, die sich weltweit über 500 Millionen Mal verkauften, wurden verfilmt. Jackie Collins war zweimal verheiratet und die Mutter von drei Töchtern.
Mehr Informationen über die Autorin auf ihrer Website: www.jackiecollins.com
Bei dotbooks erschien Jackie Collins große Familiensaga rund um die ebenso leidenschaftliche wie skrupellose Lucky Santangelo: »Die Santangelos: Der Weg nach oben«, »Die Santangelos: Freundinnen und Feinde«, »Die Santangelos: Der Traum von Hollywood«, »Die Santangelos: Eiskalte Rache« und »Die Santangelos: Träume und Intrigen«.
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eBook-Neuausgabe September 2022
Die englische Originalausgabe dieses Romans erschien 1990 unter dem Titel »Lady Boss« bei Pan Macmillan, London; in Deutschland wurde dieser Roman ursprünglich unter den Titeln »Lady Panther« und »Lucky Panther« im Knaur Taschenbuch Verlag veröffentlicht.
Copyright © der Originalausgabe 1990 by Jackie Collins
Copyright © der deutschen Erstausgabe 1998 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock.com
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-98690-258-2
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Jackie Collins
DIE SANTANGELOS:Der Traum von Hollywood
Roman
Aus dem Englischen von Edith Walter
dotbooks.
Für Tracy, Tiffany und Roy.
Mädchen schaffen alles.
September 1987
»Mach sie kalt«, sagte die Stimme.
»Wen?«
»Na, wen schon? Lucky Santangelo natürlich.«
»Das ist so gut wie gelaufen.«
»Hoffentlich!«
»Keine Sorge, die Lady ist praktisch schon jetzt tot.«
Lucky Santangelo und Lennie Golden – das war eine tödliche Verstrickung von Anfang an. Eine tödliche Verstrickung zweier eigensinniger, verrückter, hochintelligenter Menschen.
Lennie war groß und schlaksig mit schmutzig blondem Haar und ozeangrünen Augen. Er sah auf eine lässige Art gut aus. Den Frauen gefiel er. Mit siebenunddreißig hatte er es endlich geschafft, war er der Star. Er war die neue Generation – ein Komödiant der Eddie-Murphy-Chevy-Chase-Schule. Zynisch und komisch, und seine Filme spielten großes Geld ein.
Lucky Santangelo Richmond Stanislopoulos Golden war die Tochter des berüchtigten Gino Santangelo. Lennie war ihr dritter Ehemann. Mit sechsunddreißig Jahren eine dunkle, exotische Schönheit mit einer wilden Mähne jettschwarzer Locken, gefährlichen schwarzen Augen, glatter olivfarbener Haut, einem vollen, sinnlichen Mund und einem schmalen, geschmeidigen Körper. Sie war eine leidenschaftlich unabhängige, willensstarke Frau, die sich nie auf einen Kompromiss einließ und das Risiko liebte.
Zusammen strahlten sie lodernde Hitze aus.
Sie waren länger als ein Jahr verheiratet und freuten sich beide mit einer Mischung aus Erstaunen und Entzücken auf ihren zweiten Hochzeitstag. Mit Entzücken, weil sie sich sehr liebten. Mit Erstaunen, weil niemand geglaubt hatte, die Ehe werde halten.
Im Augenblick drehte Lennie bei den Panther Studios in Los Angeles; der Film hieß Macho Man. Er war eine komödiantische Persiflage auf Hollywoods Superhelden – Eastwood, Stallone und Schwarzenegger.
Zwar hatten sie in Malibu ein Strandhaus gemietet, doch während Lennie filmte, zog Lucky es vor, in New York zu bleiben, wo sie einer Milliarden-Reederei vorstand, die ihr zweiter Mann Dimitri Stanislopoulos ihr hinterlassen hatte. Außerdem wollte sie, dass ihr und Dimitris sechseinhalbjähriger Sohn Bobby in England erzogen wurde, und in New York hatte sie das Gefühl, seiner englischen Schule näher zu sein.
An den meisten Wochenenden besuchte sie entweder Bobby in London oder Lennie in Los Angeles. »Mein Leben ist eine einzige lange Flugreise«, scherzte sie ein bisschen kläglich vor ihren Freunden. Doch alle wussten, dass Lucky für ein ruheloses Leben geschaffen war; es hätte sie gelangweilt, neben Lennie zu sitzen und die Frau des Filmstars zu mimen. So war ihr Eheleben zwar unbeständig, aber umso leidenschaftlicher.
Macho Man machte Lennie nur Probleme.
Jeden Abend rief er Lucky an und überschüttete sie mit einer ganzen Litanei von Klagen. Sie hörte geduldig zu, während er ihr erklärte, der Produzent sei ein Trottel, der Regisseur ein abgewrackter Säufer, die Hauptdarstellerin gehe mit dem Produzenten ins Bett, und die Panther Studios würden von geldgeilen Ignoranten geleitet. Er wollte raus!
Vor sich hin lächelnd, hörte Lucky zu. Sie verhandelte wegen eines Geschäfts, das ihn – wenn sich alles planmäßig entwickelte – von einem Regisseur unabhängig machen würde, den er verabscheute, unabhängig von einem Studio, in dem Leute das Sagen hatten, mit denen er nie wieder arbeiten wollte, obwohl er törichterweise und gegen Luckys Rat mit Panther für drei Filme abgeschlossen hatte.
»Ich bin drauf und dran, auszusteigen«, drohte er zum hundertsten Mal.
»Tu’s nicht«, bemühte sie sich, ihn zu beschwichtigen.
»Ich halte es mit diesen Arschlöchern nicht mehr aus!«, stöhnte er.
»Diese Arschlöcher können dich auf eine horrende Konventionalstrafe verklagen. Und dir verbieten, woanders zu arbeiten«, fügte sie, Stimme der reinen Vernunft, hinzu.
»Scheiß drauf«, sagte er grob.
»Halte dich zurück, bis ich bei dir bin«, beschwor sie ihn. »Versprich mir das!«
»Wann wird das sein, um Himmels willen? Langsam komme ich mir schon wie eine Jungfrau vor.«
Ein leises, kehliges Lachen. »Hm – ich hatte ja keine Ahnung, dass deine Erinnerung so weit zurückreicht.«
»Beeil dich, Lucky! Du fehlst mir sehr.«
»Vielleicht bin ich früher bei dir, als du glaubst«, sagte sie geheimnisvoll.
»Ich bin sicher, dass du mich noch erkennst«, erwiderte er trocken. »Ich bin der Typ mit dem ewigen Ständer.«
»Sehr komisch.« Noch immer lächelnd, legte sie auf.
Lennie würde zuerst schockiert und dann begeistert sein, wenn er erfuhr, was für eine Überraschung sie für ihn hatte. Und wenn es so weit war, wollte sie bei ihm sein, um seinen Gesichtsausdruck zu sehen und zu genießen.
Rastlosigkeit überkam Lennie, nachdem er aufgelegt hatte. Seine Frau war das aufregendste weibliche Wesen der Welt, aber verdammt – langsam hatte er die Schnauze voll. Warum konnte sie nicht sagen: »Lennie, wenn’s dir mies geht, komm ich sofort zu dir.« Warum konnte sie nicht alles andere vergessen und bei ihm sein?
Lucky Santangelo. Fall tot um, Süße! Stark. Entschlossen. Ungeheuer reich. Und viel zu unabhängig.
Lucky Santangelo. Seine Frau. Manchmal kam ihm alles fantastisch vor – ihre Ehe, seine Karriere, alles. Vor sechs Jahren war er ein Komödiant unter vielen gewesen, immer auf der Suche nach einem Engagement, nach ein paar Dollars, nach irgendwas.
Lennie Golden. Sohn des schmierigen alten Jack Golden und der hemmungslosen Alice, einer Stripperin aus Las Vegas. Mit siebzehn ging er nach New York auf und davon und schaffte es aus eigener Kraft, ohne Unterstützung seiner Eltern. Sein Vater war schon lange tot, aber Alice gab es noch. Fünfundsechzig Jahre alt und munter wie ein überreifes Starlet, hatte Alice Golden sich im Netz der Zeit verheddert. Sie hatte sich nie damit abfinden können, dass sie älter wurde, und zu Lennie bekannte sie sich nur, weil er so berühmt war. »Ich war noch ein Kind, als ich heiratete«, erklärte sie jedem, der ihr zuhörte, klimperte mit den falschen Wimpern und verzog die zu stark geschminkten Lippen zu einem lüsternen Lächeln. »Als ich Lennie bekam, war ich zwölf.«
Lennie hatte ihr ein kleines Haus in Sherman Oaks gekauft. Sie war nicht gerade begeistert, dass sie ins Valley abgeschoben wurde, aber was konnte sie dagegen tun? Alice Golden lebte von dem Traum, dass sie eines Tages selbst ein Star sein würde, und dann wollte sie es ihnen zeigen. Allen.
»Sie werden in der Dekoration erwartet«, sagte Cristi, die zweite Regieassistentin, die an der Tür von Lennies Garderobewagen erschien.
Cristi war Kalifornierin mit echtem Blondhaar, einem ernsthaften Gesicht und ungewöhnlich langen Beinen, die in geflickten Baumwollhosen steckten. Lennie wusste, dass ihr blondes Haar echt war, denn sein Freund und Gegenspieler in Macho Man, Joey Firello, hatte entsprechende Forschungsarbeit geleistet, und wenn es um Frauen ging, hatte Joey ein berüchtigt großes Mundwerk. Ganz zu schweigen von seinem berüchtigt großen Glied, das er liebevoll »Joey Senior« getauft hatte.
Lennie blieb jedoch völlig uninteressiert. Seit er Lucky kannte, machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, die Mädchen anzusehen, und es war ihm auch nicht recht, dass Joey ihn über die Sexualpraktiken sämtlicher bei Macho Man beschäftigter Frauen aufklärte. »Du bist ja nur eifersüchtig, Mann«, hatte Joey lachend erwidert, als Lennie sich bei ihm beschwerte. »Du bist weg vom Fenster und kommst auch nicht mehr ran.«
Lennie hatte nur den Kopf geschüttelt und Joey mit einem Blick angesehen, der sagte: Warum wirst du nicht endlich erwachsen? Früher hatte auch er nichts anbrennen lassen. Wenn es blond ist und sich bewegt, dann nichts wie drauf, war sein Motto gewesen. Jahrelang hatte er jede Möglichkeit ausprobiert, war es ihm gelungen, jeder festen Bindung aus dem Weg zu gehen.
Ein paar Frauen hatte es gegeben, die einen tieferen Eindruck hinterließen. Eden Antonio, zum Beispiel.
Ach, Eden, dachte er bedauernd. Sie war etwas Außergewöhnliches gewesen, eine echte Wucht.
Arme Eden. Sie hatte große Träume gehabt, war dann aber im Bett eines skrupellosen Gangsters gelandet, der sie in einer Reihe von Pornofilmen einsetzte. Nicht unbedingt die Zukunft, die sie für sich geplant hatte.
Und dann war da noch Olympia. Er hatte die plumpe, verwöhnte Erbin einer Schifffahrtslinie geheiratet, weil sie ihm Leid tat. Unglücklicherweise hatte auch er sie nicht vor ihren selbstzerstörerischen Exzessen retten können. Am Ende waren sie und der durch Drogen verseuchte Rockstar Flash in einem schmierigen New Yorker Hotel an einer Überdosis elend zugrunde gegangen, und Lennie war wieder frei gewesen.
Jetzt hatte er Lucky, und das Leben wurde auch nicht besser.
Lennie schnappte sich eine Zigarettenpackung vom Garderobentisch und sagte: »Okay, Cristi. Bin schon unterwegs.«
Sie nickte dankbar und ernst wie immer. Bei diesem Film mitzuarbeiten, war nicht leicht, und wenn etwas zur Abwechslung mal reibungslos funktionierte, war es eine Erleichterung.
In der Dekoration diskutierte Joey Firello mit Regisseur Grudge Freeport, einem Ewiggestrigen, über die nächste Szene. Grudge trug eine schlechtsitzende Perücke und kaute Tabak, den er brockenweise ausspuckte, wo er gerade ging und stand. Wie gewöhnlich war er fast betrunken.
Marisa Birch, Lennies Partnerin und – in einer Doppelrolle – Freundin des Produzenten, lehnte an einem schiefen Brett und zupfte gelangweilt an ihrer Nagelhaut herum. Sie war eine auffallende Erscheinung, einszweiundachtzig groß mit silbernem Stiftenkopf und erschreckend riesigem Silikonbusen – einem Geschenk ihres Exmannes, dem neunzig Zentimeter nicht genügt hatten. Marisa war eine miserable Schauspielerin und verdarb, Lennies Meinung nach, den Film gründlich.
Macho Man, dachte er erbittert. Eine Komödie, die, obwohl er die Hauptrolle spielte, schon tot sein würde, bevor sie die Kinokassen erreichte. Seine anderen Filme waren Hits gewesen – jetzt steckte er mittendrin in einer echten Katastrophe und konnte nichts dagegen tun. Die Crux war, dass er sich von der astronomisch hohen Summe hatte blenden lassen, die Mickey Stolli, der Chef der Panther Studios, ihm geboten hatte. Und wie ein geldgieriger Idiot hatte er sich für drei weitere Filme verpflichtet.
»Tu’s nicht«, hatte Lucky ihn gewarnt. »Eben erst haben dich die Anwälte aus deinem anderen Vertrag herausgepaukt, und jetzt gehst du schon wieder eine neue Verpflichtung ein. Wann wirst du’s endlich lernen? Ich rate dir, bewahr dir deine Entscheidungsfreiheit, die Herausforderung ist dann größer.«
Seine Frau liebte Herausforderungen. Der Jammer war, dass er der Verlockung von Mega-Dollars nicht widerstehen konnte. Denn Mega-Dollars brachten ihn dem unübertroffenen Reichtum seiner Frau einen Schritt näher.
O ja, er hätte auf Lucky hören sollen, das wusste er, sie hatte das Talent der Santangelos, immer das Richtige im richtigen Moment zu tun. Ihr Vater Gino hatte sogar aus dem Nichts Kapital geschlagen. Der alte Knabe hatte Stil, und Lennie bewunderte ihn. Aber zum Teufel – viel Geld blieb viel Geld, und er wollte nie der arme Verwandte sein.
Zum Glück drehten sie wieder Innenaufnahmen im Studio. Letzte Woche waren sie zu Außenaufnahmen in den zerklüfteten Santa-Monica-Bergen gewesen. Eine echte Qual. Und vor ihnen lagen fünf Wochen Dreharbeiten in Acapulco.
Mit einem Seufzer betrat er die Arena.
Marisa spitzte üppige, geschwollene Lippen und warf ihm eine Kusshand zu. Sie war vom ersten Augenblick hinter ihm her, doch er war absolut uninteressiert geblieben. Auch wenn er Lucky nicht gehabt hätte, Silikon hatte ihn noch nie angemacht.
»Hei, Lennie, Zuckerplätzchen!«, flötete sie, und ihre harten, spitzen Brustwarzen drängten in seine Richtung.
Scheiße, dachte er. Wieder ein fröhlicher Tag im Studio.
Rasch verließ Lucky das hohe Gebäude aus Chrom und Glas in der Park Avenue, das noch immer den Namen Stanislopoulos trug. Sie hatte auch nicht die Absicht, das zu ändern. Eines Tages würde alles ihrem Sohn Bobby und Dimitris Enkelin Brigette gehören, also blieb der Name.
Lucky liebte Brigette sehr. Die Sechzehnjährige erinnerte sie an ihre Mutter Olympia im gleichen Alter. Olympia und Lucky waren einmal eng befreundet gewesen. Aber das war lange her und weit, weit weg, und viel war geschehen seit ihren wilden Teenagerjahren, als sie zusammen in einem Schweizer Internat gewesen und zusammen hinausgeworfen worden waren.
Olympias früher Tod war eine sinnlose Tragödie gewesen. Das einzig Positive daran war die Tatsache, dass Lennie von einer lebenslangen Verantwortung befreit worden war. Aber zum Teufel – so war das Leben nun mal. Das ihre war auch nicht gerade ein unbeschwerter Sonnentag am Strand gewesen. Im Alter von fünf Jahren hatte sie im Familien-Swimmingpool die Leiche ihrer Mutter entdeckt. Zehn Jahre später war Marco, ihre erste Liebe, auf dem Parkplatz des Magiriano Hotels niedergeschossen worden. Bald darauf hatte man ihren Bruder Dario erschossen. Drei tragische Morde.
Lucky hatte sich gerächt. Schließlich war sie eine Santangelo. Hände weg von einem Santangelo hieß das Familienmotto.
Als sie das Gebäude verließ, entdeckte sie Boogie, der an einem dunkelgrünen Mercedes lehnte. Als er die Chefin schnell und zielbewusst auf sich zukommen sah, nahm er hastig Haltung an und riss die Beifahrertür auf. Boogie war ihr Chauffeur, ihr Leibwächter und ihr Freund. Sie waren seit vielen Jahren zusammen, und auf seine Loyalität konnte sie bauen. Er trug das Haar lang, war groß und mager und hatte die fast unheimliche Eigenschaft, immer zur Stelle zu sein, wenn sie ihn brauchte. Boogie kannte sie fast besser als sonst ein Mensch.
»Zum Flugplatz«, sagte sie und glitt auf den Beifahrersitz.
»Haben wir’s eilig?«, fragte er.
Luckys schwarze Augen funkelten vor Vergnügen. »Wir haben es immer eilig«, antwortete sie. »Das macht doch das Leben erst spannend, oder?«
Auf seinem Morgenspaziergang nahm Gino Santangelo immer denselben Weg. Von seinem Appartementhaus in der vierundsechzigsten Street quer durch den Park in die Lexington Avenue und dann, energisch ausschreitend, mehrere Blocks die Lexington entlang.
Ihm gefiel die Routine. Um sieben Uhr morgens waren die Straßen New Yorks noch nicht überfüllt und das Wetter meistens erträglich.
In seinem Lieblingscafé aß er regelmäßig ein Stück Blätterteiggebäck und holte sich dann beim Händler an der Ecke seine Zeitung.
Für Gino war das die angenehmste Stunde des Tages. Außer wenn Paige Wheeler aus Los Angeles ihn besuchte – was seiner Ansicht nach leider viel zu selten vorkam.
Wenn Paige in der Stadt war, gab es keine Spaziergänge, dann verbrachte er herrlich faule Morgen mit ihr in seinem gemütlichen Doppelbett. Nicht übel für einen alten Mann in den Siebzigern. Überflüssig zu betonen, dass Paige das Beste aus ihm herausholte.
Verdammt, er liebte diese Frau, obwohl sie sich noch immer standhaft weigerte, sich von ihrem Mann, einem Filmproduzenten, zu trennen, mit dem sie seit zwanzig Jahren verheiratet war.
Schon seit langem bat er sie immer wieder, sich scheiden zu lassen. Aus einem ihm unbekannten Grund sagte sie jedesmal nein. »Wenn ich nicht bei ihm wäre, wäre es Ryders Ende«, hatte sie schlicht gesagt, als sei das eine ausreichende Erklärung.
»Scheiße!«, war Gino explodiert. »Und was wird aus mir?«
»Du bist stark«, hatte Paige erwidert. »Du kannst ohne mich leben. Ryder würde zusammenbrechen.«
Zusammenbrechen! Was für ein Blödsinn, dachte Gino, während er die Straße entlangging. Ryder Wheeler war einer der erfolgreichsten unabhängigen Produzenten von Hollywood. Wenn Paige ihn verließe, würde er das nächstbeste Flittchen bespringen, und damit hätte es sich.
Wieso bildete Paige sich ein, so gottverdammt unersetzlich zu sein? Für Gino war sie es, o ja. Für Ryder war sie nur die Ehefrau, mit der er seit zwanzig Jahren verheiratet war. Der Kerl würde für seine Freiheit wahrscheinlich noch was zahlen.
Gino hatte sich ernstlich überlegt, ob er nicht einen Dritten damit beauftragen sollte, den Fall zu bereinigen. Biete Ryder eine Million Dollar, und auf Wiedersehen, Schmock.
Unglücklicherweise hatte Ryder in den letzten anderthalb Jahren zwei Filme herausgebracht, die Mega-Hits geworden waren, und brauchte kein Geld – von niemandem. Der Blödmann scheffelte es förmlich.
»Zur Hölle mit dem Mistkerl«, sagte Gino laut vor sich hin, denn schließlich wurde er selbst nicht jünger und wollte Paige immer an seiner Seite haben.
Ein frischer Wind kam auf, als er bei seinem Zeitungsstand stehen blieb und einen Augenblick gemütlich mit Mick, dem mürrischen Waliser, schwatzte, der ein Glasauge und schlechtsitzende, gelbliche dritte Zähne hatte. Mick führte sein kleines Königreich mit unwandelbar düsterer Laune und Verbitterung.
»Was tut sich in der Nachbarschaft?«, fragte Gino beiläufig und stellte den Kragen seiner Windjacke auf.
»Huren und Taxifahrer«, antwortete Mick mit einem bösartigen Funkeln im gesunden Auge. »Erschießen müsste man sie, die verdammte Bande. Zwei von diesen Mistkerlen haben mich vor ein paar Tagen fast erwischt. Nur gut, dass ich noch alle beisammen hab – ich hab’s ihnen richtig heimgezahlt.«
Gino war gewitzt genug, nicht weiterzufragen. Er wusste, dass Mick dazu neigte, lange fantastische Geschichten zu erfinden. Er warf Kleingeld auf die Theke, nahm sich eine New York Post und flüchtete.
Die Schlagzeilen waren schauerlich. Gangsterboss Vincenzio Strobbinno vor seinem Haus erschossen. Man sah Vincenzios Gesicht in seinem eigenen Blut.
Der Blödmann hat das selber herausgefordert, dachte Gino nicht sonderlich überrascht. Junge Idioten. Hitzköpfe. Die Arschlöcher warteten nie, ob sich nicht eine andere Lösung finden ließ, sie knallten sich einfach gegenseitig ab, als sei das die einzig schlüssige Antwort auf alles. Heute Vincenzio – morgen ein anderer. Die Gewalttätigkeit war heutzutage gnadenlos.
Gino war froh, dass er draußen war. Vor vielen Jahren wäre er mittendrin gewesen und hätte jede Minute genossen. Jetzt nicht mehr. Jetzt war er ein alter Mann. Ein reicher alter Mann. Er konnte es sich leisten, nichts zu sagen, nur zu beobachten.
Gino sah nicht wie ein Neunundsiebzigjähriger aus. Er war erstaunlich, konnte mit seinem kraftvollen Gang, dem dichten grauen Schopf und den durchdringenden schwarzen Augen leicht als Mittsechziger durchgehen. Seine Ärzte waren immer wieder überrascht über seine Energie und seine Lebensfreude, ganz zu schweigen von seiner bemerkenswerten physischen Erscheinung.
»Was hat es mit diesem AIDS-Problem auf sich, von dem man jetzt ständig hört?«, hatte er vor kurzem seinen Hausarzt gefragt.
»Darüber brauchen Sie sich den Kopf nicht mehr zu zerbrechen, Gino«, hatte der Doktor mit einem herzlichen Lachen erwidert.
»Ach ja? Und wer sagt das?«
»Nun ja ...« Der Arzt hatte sich geräuspert. »Sind Sie etwa noch aktiv?«
»Aktiv?« Gino hatte gebrüllt vor Lachen. »Soll das ein Witz sein, Doc? An dem Tag, an dem ich ihn nicht mehr hochkriege, lege ich mich hin und sterbe. Capisce?«
»Was ist Ihr Geheimnis?«, hatte der Doktor neidisch gefragt. Er war sechsundfünfzig und müde. Und auch voller Bewunderung für seinen munteren Patienten.
»Mir darf keiner blöd kommen.« Gino grinste – die meisten seiner kräftigen weißen Zähne waren noch intakt. »’tschuldigen Sie, Doc, muss mich korrigieren. Ich kann Idioten nicht ertragen. Vor Idioten soll man sich hüten, hab ich irgendwo gelesen. Das klingt plausibler, wie?«
Gino Santangelo hatte ganz offensichtlich ein faszinierendes Abenteuerleben geführt. Der Doktor dachte düster an seine fünf Studienjahre zurück, denen über zwanzig Jahre in seiner Privatpraxis gefolgt waren. Das einzige Abenteuer, das er erlebt hatte, verdankte er einer Patientin, die auf ihn scharf gewesen war und mit der er sechs Wochen lang eine heimliche Affäre gehabt hatte. Berauschend war das nicht.
»Ihr Blutdruck ist ausgezeichnet«, hatte er Gino versichert. »Auch der Cholesterintest war in Ordnung. Eh – was Ihr Sexleben anbelangt, vielleicht wäre es nicht schlecht, wenn Sie ein paar Dollar in Kondome investieren würden.«
»Kondome, Doc?« Gino hatte zu lachen angefangen. »Die haben wir früher ›Lustmörder aus Gummi‹ genannt. Sie wissen schon – wie wenn man in Stiefeln schwimmen wollte.«
»Sie sind heutzutage viel besser. Dünnes Latex, fühlen sich weich und glatt an. Man kriegt sie sogar in verschiedenen Farben, wenn man so was mag.«
»Ist das Ihr Ernst?« Gino hatte wieder lachen müssen. Er stellte sich Paiges Gesicht vor, wenn er sich einen schwarzen Pariser über den Schwanz stülpte.
O Junge! Vielleicht war das keine so schlechte Idee. Paige liebte das Thema mit Variationen. Vielleicht würde er es versuchen. Vielleicht ...
Auf dem Flugplatz Menschenmassen, Lärm und Hektik – wie üblich. Lucky wurde von einem tüchtig aussehenden jungen Mann im dreiteiligen Straßenanzug erwartet, der sie von ihrem Wagen in die private TWA-Lounge begleitete.
»Ihr Flug hat fünfzehn Minuten Verspätung, Miss Santangelo«, entschuldigte er sich, als sei er persönlich dafür verantwortlich. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«
Automatisch warf sie einen Blick auf die Uhr. Es war schon nach zwölf. »Ich nehme einen J & B on the rocks«, sagte sie.
»Kommt sofort, Miss Santangelo.«
Die Augen schließend, lehnte sie sich zurück. Wieder eine Blitzreise nach L. A., von der sie Lennie nichts sagen durfte. Nur hoffte sie diesmal, das Geschäft endlich abschließen zu können, das ihren Mann wieder zu einem freien Menschen machen würde.
Mit diesem Flug nach Westen wollte sie die Sache endgültig unter Dach und Fach bringen.
Abedon Panercrimski – oder wie eine Welt ihn gekannt hatte, die sich seiner längst nicht mehr erinnerte – Abe Panther war achtundachtzig Jahre alt und sah auch so aus, wenn er sich auch nicht so benahm. Abe hatte seine Eier noch, obwohl viele – darunter zwei Exfrauen und unzählige Geliebte – versucht hatten, sie ihm abzuschneiden.
Abe stand jeden Morgen Punkt sechs Uhr auf. Zuerst duschte er, dann schob er sich sein neues, strahlend weißes Gebiss in den Mund, kämmte die wenigen silbernen Haarsträhnen, schwamm zehn Längen in seinem Pool und genoss anschließend ein herzhaftes Frühstück, bestehend aus Steak, Eiern und drei Tassen bitterem, schwarzem türkischem Kaffee.
Als nächstes zündete er sich eine gewaltige Havannazigarre an und las die Tageszeitung.
Abe las leidenschaftlich gern, und er las alles. Er verschlang das Wall Street Journal und die englische Financial Times. Mit dem gleichen Vergnügen überflog er die Klatschspalten und genoss jedes saftige Skandälchen. Es machte ihm Spaß, in allem beschlagen zu sein – egal wie unnütz es war. Von Weltnachrichten bis zu Klatsch und Tratsch schluckte er alles.
Nach seiner Marathon-Lesestunde kam Inga Irving, seine langjährige Lebensgefährtin, zu ihm auf die Terrasse. Sie benutzte kein Make-up und hatte ihr schulterlanges, stumpf geschnittenes Haar ganz natürlich ergrauen lassen. Inga trug immer lose sitzende Slacks und einen formlosen Pullover. Obwohl sie sich nicht zurechtmachte, war sie noch immer eine auffallend gut aussehende Frau, die unverkennbar einst eine große Schönheit gewesen war.
Vor langer Zeit, als Abe der Industriemagnat von Hollywood war, der alle anderen Industriemagnaten von Hollywood überflügelte – eingeschlossen die Herren Goldwyn, Mayer, Zanuck und Cohn –, hatte er versucht, Inga zum Star zu machen. Es war ihm nicht gelungen. Die Kamera liebte Inga Irving nicht. Das Publikum liebte Inga Irving nicht. Und nach mehreren Versuchen in den großen Panther Studios hatte Abe schließlich resigniert. Jeder freie Produzent, jeder Regisseur und jeder Hauptdarsteller hatte wieder leichter geatmet. Obwohl Abe sich größte Mühe gegeben hatte, war es Inga Irving nicht bestimmt, die neue Greta Garbo zu werden.
Wenn sie wollte, konnte Inga ein richtiges Miststück sein, mürrisch, grob und beleidigend. Diese Eigenschaften wären eventuell akzeptabel gewesen, hätte sie Talent und Starpotenzial gehabt. Leider war das nicht der Fall. Und während ihres Aufstiegs ins Nichts hatte sie sich viele Feinde gemacht.
Inga hatte Abe nie verziehen, dass er nicht hartnäckiger an ihrer Karriere gearbeitet hatte, aber sie war trotzdem bei ihm geblieben – Partnerin des einst großen Abe Panther zu sein, war besser als alles, was sie sich sonst vorstellen konnte.
Nach seiner letzten Scheidung heiratete er sie nicht. Inga lehnte es ab, ihn zu erpressen oder zu bitten. Sie war eine stolze Frau – außerdem lebten sie ihrer Ansicht nach in einer eheähnlichen Verbindung, und wenn Abe starb, hatte sie die Absicht, alles zu fordern, was ihr nach Recht und Gesetz zustand.
Jeden Tag gegen Mittag nahm Abe eine leichte Mahlzeit zu sich. Am liebsten Austern – natürlich nur in der richtigen Jahreszeit – mit einem Glas trockenen Weißwein. Nach dem Lunch schlief er, wachte nach einer Stunde erfrischt auf und sah sich zwei seiner Lieblings-Seifenopern im Fernsehen an.
Abe Panther verließ nie sein Haus. Er hatte es seit zehn Jahren nicht mehr getan – seit seinem Schlaganfall.
Sechs Wochen im Krankenhaus, und er hatte geduldet, dass das Studio seinen Händen entglitt. Obwohl er, technisch gesehen, nie die Kontrolle verloren hatte und tatsächlich immer noch Präsident und Besitzer der Panther Studios war, hatte er keine Lust gehabt, zurückzukehren. Filme machen, das war nicht mehr wie früher. Abe war seit seinem achtzehnten Lebensjahr im Filmgeschäft gewesen und mit achtundsiebzig zu dem Schluss gekommen, dass es Zeit war, einmal eine Pause zu machen.
Die Pause hatte zehn Jahre gedauert, und niemand erwartete, ihn noch einmal im Studio zu sehen.
Sie erwarteten, das war ihm klar, dass er tot umfiel und ihnen alles vererbte.
Seine lebenden Verwandten waren zwei Enkelinnen – Abigaile und Primrose – und ihre Sprösslinge.
Abigaile und Primrose waren einander so unähnlich, wie Schwestern nur sein können. Ebenso wenig waren sie durch schwesterliche Liebe verbunden.
Abigaile war aufdringlich und habgierig. Sie hatte gern Gäste, liebte große Partys. Sie ging für ihr Leben gern Shopping und glänzte bei schicken gesellschaftlichen Anlässen. Eine wahre Hollywood-Prinzessin.
Primrose, die jüngere und hübschere, hatte sich für ein anderes Leben in England entschieden, wo sie ihre beiden Kinder in einer ihrer Meinung nach realeren Atmosphäre aufziehen konnte.
Dann gab es noch die Schwiegerenkel. Abigailes Mann, Mickey Stolli, der das Studio leitete, und Primroses Mann, Ben Harrison, der die Interessen der Panther Studios in Übersee vertrat.
Mickey und Ben verabscheuten sich gegenseitig, hatten jedoch um der Firma willen einen jeden Moment gefährdeten Waffenstillstand geschlossen. Es half, dass sie auf verschiedenen Seiten des Atlantiks lebten.
Für Abe waren beide Schwiegerenkel, »Schwiegerpenner«, wie er sie getauft hatte, betrügerische Intriganten, die alles stahlen, was nicht niet- und nagelfest war.
Es machte ihm Spaß, mit Inga über die »Schwiegerpenner« zu reden. Sie verzog den Mund kaum einmal zu einem Lächeln, obwohl sie eine gute Zuhörerin war und sich keine Einzelheit der jüngsten, wie Abe fand, skurrilen Aktivitäten der »Schwiegerpenner« entgehen ließ.
Abe hatte nur einen loyalen Angestellten in den Studios. Er hieß Herman Stone, ein bescheidener Mann mit dem unnützen Titel eines persönlichen Assistenten von Mr. Panther. Herman besuchte Abe einmal im Monat und berichtete ihm dann, was im Studio so vor sich ging. Da jeder wusste, dass er Abes Spion war, stand er allein auf weiter Flur und hatte nie Zugang zu einer wichtigen Information. Er hatte ein gemütliches Büro und eine ältliche Sekretärin namens Sheila. Herman und Sheila waren Relikte aus der Abe-Panther-Ära, absolut harmlos und absolut unkündbar bis zu jenem Tag, an dem Abe Panther starb.
Was, wenn es nach Mickey Stolli ging, hoffentlich bald sein würde. Denn dann würde er die absolute Kontrolle über die Firma haben und konnte seinen Schwager Ben Harrison loswerden.
Ja, hoffentlich bald, dachte auch Ben Harrison. Denn dann wollte er nach Hollywood zurückkehren und seinem habgierigen Schwager das Studio gewissermaßen aus den Zähnen reißen.
Wenn Abe Panther starb, würden Abigaile Stolli und Primrose Harrison zu den mächtigsten Frauen Hollywoods gehören. Abe hatte die Panther Studios nie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Sie gehörten ihm. Die ganzen wunderbaren sechzig Hektar erstklassigen Grund und Bodens. Daher würden die Mädchen alles erben.
Mickey Stolli beabsichtigte, sein ererbtes Königreich wie die Studiobosse vergangener Zeiten zu regieren.
Ben Harrison plante, das wertvolle Land parzellenweise zu verkaufen, wie die Twentieth Century Fox es getan hatte, und Multibillionär zu werden.
Die »Schwiegerpenner« konnten es nicht erwarten. Und der alte Abe Panther wusste es.
Deshalb hatte er andere Pläne. Pläne, die Abigaile und Mickey, Primrose und Ben dazu treiben würden, an einem Sonntagabend bei »Chasen’s« Harakiri zu begehen, wenn sie davon erführen.
Abe plante, sein Studio zu verkaufen.
Je früher, desto besser.
Steven Berkeley küsste Mary-Lou, tätschelte ihr liebevoll den Bauch, eilte zur Tür und blieb nur stehen, um zu fragen: »Sind wir heut abend zu Hause oder gehen wir aus?«
»Wir gehen aus«, antwortete Mary-Lou.
Steven stöhnte. »Warum?«, fragte er wehleidig.
»Weil man’s bald sehen wird. Und wenn das Baby mir erst einen dicken Bauch macht, geh ich nirgends mehr hin, Mann.«
Sie lachten beide. Mary-Lou war eine strahlend hübsche Schwarze, ein paar Monate von ihrem dreiundzwanzigsten Geburtstag und drei Monate von der Geburt ihres ersten Kindes entfernt. Sie waren seit fast drei Jahren verheiratet.
Steven Berkeleys Haut hatte die Farbe guter Milchschokolade, sein Haar war schwarz und lockig, seine unergründlichen Augen grün. Fast einsneunzig groß, siebenundvierzig Jahre alt, hielt er sich fantastisch in Form – trainierte dreimal wöchentlich im Fitnesscenter und schwamm jeden zweiten Tag in einem Hallenpool.
Mary-Lou war der Star einer beliebten Sitcom-Serie im Fernsehen, Steven ein sehr erfolgreicher Strafverteidiger. Sie hatten sich kennen gelernt, als ihre Manager an seine Firma mit der Bitte herangetreten waren, Mary-Lou in einem Prozess gegen ein Schmierblatt zu vertreten, das Nacktfotos von ihr veröffentlichte, zu denen man die damals Sechzehnjährige überredet hatte. Steven hatte den Fall übernommen, für sie ein Schmerzensgeld von sechzehn Millionen Dollar herausgeschlagen – die Summe war jedoch gekürzt worden, da das Blatt in die Berufung gegangen war – und Mary-Lou geheiratet. Trotz des Altersunterschieds von vierundzwanzig Jahren waren beide noch nie glücklicher gewesen.
»Und wie sieht der unglaublich aufregende Abend aus, der uns heute bevorsteht?«, fragte er spöttisch.
Mary-Lou lachte. Was es auch sein mochte, sie wusste, dass Steven viel lieber zu Hause geblieben wäre. Er kochte gern, saß gern vor dem Fernseher, schlief gern mit ihr – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
»Wir sollten uns mit Lucky treffen«, sagte sie, »aber ihre Sekretärin hat angerufen, dass sie einen wichtigen Termin hat und nicht in der Stadt ist. Deshalb habe ich Mutter gebeten, sich uns anzuschließen ...«
»Deine Mutter!«
Mary-Lou schüttelte übertrieben heftig den Kopf. »Du lie-ie-iebst meine Mutter. Hör auf, mich zu ärgern.«
»Natürlich lie-ie-iebe ich deine Mutter«, ahmte er sie nach. »Nur lie-lie-liebe ich meine Frau noch mehr. Warum können wir nicht einen ruhigen Abend zu Hause verbringen? Nur du und ich?«
Mary-Lou streckte ihm zuerst die Zunge heraus und züngelte dann wie eine Schlange. »Das ist das Einzige, wozu du Lust hast.«
»Und was ist falsch daran?«
»Raus mit dir, Steven! Geh arbeiten. Du bist ein alter Meckerer.«
»Wer? Ich?«
»Auf Wiedersehen, Steven.«
Er fuhr fort, sich zu verteidigen. »Ist es ein Verbrechen, dass ich mit meiner Frau allein sein will?«
»Raus!«, sagte Mary-Lou energisch.
»Einen Kuss, und ich bin weg«, versprach er.
»Gut, einen Kuss«, sagte sie streng. »Aber nur einen einzigen.« Aus einem Kuss wurden zwei, dann drei, und ehe sie sich’s versahen, landeten sie wieder im Schlafzimmer, zogen sich gegenseitig aus und fielen atemlos aufs Bett.
Mary-Lou zu lieben glich einer süßen, wilden Fahrt auf der Achterbahn gemeinsamer Leidenschaft. Steven bemühte sich, sanft zu sein, er hatte Angst, das Baby zu verletzen. Mary-Lou schien nicht darauf zu achten, sie war voll überschäumender Liebe, presste ihn an sich, schlang die Beine um seine Taille, drängte ihm entgegen, passte sich seinen Bewegungen an, bis sie mit einer ganzen Serie kleiner, spitzer Schreie zum Höhepunkt kam.
Als es vorbei war, musste er frisch duschen und kam viel zu spät zu einem Termin.
»Nicht meine Schuld«, sagte Mary-Lou sittsam, als er aus dem Haus stürzte.
»Nicht deine Schuld!«, schrie er. »Finde dich damit ab! Du bist eine unkontrollierbare Sexmaschine! Wie soll ich eigentlich je meine Arbeit schaffen?«
»Wirst du wohl den Mund halten?«, zischte Mary-Lou, die in einem Seidenkimono mit strahlendem Gesicht in der Haustür stand. »Die Leute hören dich!«
Im Büro wartete Jerry Myerson, in der Anwaltsfirma Myerson, Laker, Brandon und Berkeley sein engster Freund und Partner, schon ungeduldig im Vorraum auf ihn. »Du kommst zu spät«, sagte Jerry scharf und tippte auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr, als erwarte er eine Auseinandersetzung.
»Ich weiß«, antwortete Steven unbewegten Gesichts. »Musste meine Frau lieben.«
»Sehr komisch«, knurrte Jerry. Er war achtundvierzig, Playboy und Junggeselle mit der festen Überzeugung, dass einem der Steife schrumpfte und welkte, wenn man heiratete, und nie wieder zum Leben erwachte. »Gehn wir«, sagte er ungeduldig.
Es kam nicht oft vor, dass Jerry Myerson und Steven Berkeley Hausbesuche machten. Hin und wieder gab es Ausnahmen. Die Klientin, zu der sie unterwegs waren, war eine ungeheuer reiche Frau namens Deena Swanson. Deena war mit dem Milliardär Martin Z. Swanson verheiratet, dem Präsidenten und Besitzer von Swanson Industries – einer mächtigen Organisation, der in New York unschätzbare Immobilien gehörten, unter anderem Hotels, Kosmetikfirmen und Verlagshäuser.
Martin Z. Swanson war Mr. New York, ein charismatischer Mann von fünfundvierzig Jahren mit unbegrenzter Macht und einem unstillbaren Durst nach mehr. Deena hatte es verstanden, ihre Stellung als seine Ehefrau zu etwas Bedeutendem auszubauen. Sehr früh schon hatte sie eine Presseagentin eingestellt, die dafür sorgte, dass sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit nicht nur »die Ehefrau« war. Aus einem Schickimicki-Schmetterling und Modegroupie war eine Berühmtheit geworden, die allen möglichen Erzeugnissen ihren Namen lieh – vom Parfüm bis zu eigenen Designer-Jeans. Sie war die Galionsfigur von Swanson Style, einer der zahlreichen Firmen ihres Mannes. Für fünf Millionen Dollar pro Jahr sorgte Deena dafür, dass der Name Swanson in den Gesellschaftskolumnen allgegenwärtig war.
Die Swansons waren seit zehn Jahren verheiratet. Sie passten gut zusammen. Deenas Gier nach noch größerem Ruhm, mehr Geld und mehr Macht war genauso unersättlich wie die ihres Mannes.
Als Deena Swanson angerufen und um ihren Besuch gebeten hatte, war Jerry entzückt gewesen. Die Firma hatte sie seit einigen Monaten in ein paar kleineren Angelegenheiten vertreten, aber Jerry meinte, dass es möglicherweise Großes zu bedeuten hatte, wenn sie sie aufforderte, sie zu Hause aufzusuchen, vielleicht sollten sie in Zukunft sogar ihren Mann vertreten. Der Gedanke gefiel ihm sehr gut.
»Warum soll ich denn unbedingt mitkommen?«, brummte Steven, als sie in Jerrys chauffeurgesteuerter Stadtlimousine zu Deenas Appartement in der Park Avenue unterwegs waren, einem der drei ständigen Wohnsitze der Swansons.
»Weil wir nicht wissen, was sie will«, antwortete Jerry geduldig. »Es kann etwas ganz Einfaches sein. Vielleicht aber ist es auch kompliziert. Zwei Köpfe sind besser als einer.« Eine Pause, dann mit einem hinterhältigen Seitenblick die Bemerkung: »Außerdem heißt es, dass sie ihren Kaffee gern schwarz trinkt.«
Steven kniff die Augen zusammen. »Was?«, fragte er scharf.
Jerry blieb ungerührt. »Du hast es gehört.«
»Du bist ein Arschloch, Jerry«, sagte Steven kopfschüttelnd. »Manchmal denk ich, du hast es im College liegenlassen.«
»Was hab ich im College liegen lassen?«, fragte Jerry arglos.
»Dein verdammtes Gehirn.«
»Vielen Dank.«
Der Wagen hielt vor einer roten Ampel. Jerry beobachtete zwei Mädchen beim Überqueren der Straße. Das eine, ein lebhafter Rotschopf, erregte seine Fantasie besonders. »Denkst du, dass die Kleine mit dem Mu ...«
»Sprich es ja nicht aus!«, fiel Steven ihm grimmig ins Wort. »Weißt du was, Jerry? Du solltest heiraten und aufhören, dich wie ein schmutziger alter Anwalt zu benehmen.«
»Heiraten?« Unverhohlenes Entsetzen klang aus Jerrys Stimme. »Wieso glaubst du, ich könnte je so dumm sein?«
Wie oft hatte Steven sich schon gefragt, wieso ihre Freundschaft seit dem College gehalten hatte. Sie waren beide so verschieden, und dennoch konnte er sich keinen loyaleren und beständigeren Freund vorstellen als Jerry Myerson. Jerry hatte ihm in so vielen schwierigen Situationen geholfen: unter anderem aus einer katastrophalen Ehe mit einer wilden puertoricanischen Tänzerin namens Zizi, aus den langen Jahren als kreuzfahrender stellvertretender Staatsanwalt und schließlich bei der langen, mühsamen Suche nach seinem Vater. Als er endlich festgestellt hatte, dass er der Sohn des berüchtigten Gino Santangelo war, hatte Jerry ihn beglückwünscht.
»He, jetzt hast du einen weißen und einen schwarzen Hoden«, hatte er gewitzelt. »Ein Mann wie du kann auf beiden Seiten spielen. Nicht schlecht, Steven. Bestimmt hast du ein bisschen was von seiner Schlitzohrigkeit abbekommen.«
Für Steven war die Entdeckung ein Schock, aber das Leben ging weiter, und er kam darüber hinweg. Mit Jerrys Hilfe stürzte er sich in die Arbeit; sein Spezialgebiet war das Strafrecht. Er hatte seine Berufung entdeckt und liebte sie. Bald galt er als einer der besten Strafverteidiger von New York. Er war der Erste, der zugab, dass er ohne Jerry ganz gewiss nicht Partner in einer der erfolgreichsten Anwaltsfirmen New Yorks geworden wäre. Jerry hatte ihn von Anfang an gefördert. Was also machte es schon aus, wenn sein Privatleben wie das eines idealen Playboy-Abonnenten aussah? Unter der Fassade des Sexisten hatte er Herz, und nur das zählte.
Deena Swanson war eine auf kühle Weise attraktive Frau mit feingezeichneten Zügen, leblosen blauen Augen und sehr hellem Rothaar, das sie als Bubikopf im Stil der dreißiger Jahre trug. Sie gehörte zu den Frauen unbestimmbaren Alters – straffe weiße Haut ohne eine einzige Falte, perfektes Make-up, eine schlanke Figur unter grauem Schneiderrock und teurem Seidenhemd. Steven schätzte sie auf irgendwo zwischen dreißig und vierzig, unmöglich zu sagen, welchem Jahrzehnt sie näher war. Eines aber merkte er sofort – sie sah nicht glücklich aus.
Sie begrüßte sie mit einem laschen Händedruck in einem weitläufigen Wohnzimmer, das mit afrikanischen Artefakten, Skulpturen und schönen Gemälden angefüllt war. Über dem Kamin hing ein eindrucksvolles Ölgemälde vor Mr. und Mrs. Swanson. Sie trug darauf ein pinkfarbenes Ballkeid, ihr Mann einen weißen Smoking; beide hatten den gleichen Gesichtsausdruck – verbindlich und gleichgültig.
Im Hintergrund wartete ein libanesischer Diener auf ihren Befehl, den Kaffee zu bringen, und verließ dann, respektvoll rückwärts gehend, den Raum.
Deena forderte die beiden Anwälte auf, es sich auf einer Couch mit üppig schwellenden Polstern bequem zu machen, und als sie saßen, sagte sie mit leichtem Akzent: »Diese Unterredung ist streng vertraulich und muss unter uns bleiben. Kann ich mich darauf verlassen?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Jerry rasch, ein wenig gekränkt, dass sie etwas anderes auch nur vermuten konnte.
»Auch mein Mann darf von unserem Gespräch nichts erfahren.«
»Mrs. Swanson, Sie sind eine hoch geschätzte Klientin. Was immer Sie sagen, ist ausschließlich für unsere Ohren bestimmt.«
»Gut.« Sie schlug die ansehnlichen, in Seide gehüllten Beine übereinander und nahm sich aus einem Silberkästchen eine dünne schwarze Zigarette.
Jerry sprang auf und gab ihr Feuer.
Deena nahm einen tiefen Zug, sah zuerst Jerry und dann Steven an und sagte: »Ich bin nicht dafür, Zeit zu vergeuden. Und Sie?«
»Ebenso wenig, ich bin ganz Ihrer Meinung«, antwortete Jerry entgegenkommend wie stets und hingerissen von dieser kühlen, kostspielig aussehenden Frau, obwohl sie eigentlich nicht sein Typ war.
Deena schnitt ihm mit einem Blick das Wort ab. »Hören Sie mich freundlicherweise zu Ende an«, sagte sie herrisch. »Keine Unterbrechungen, wenn ich bitten darf.«
Jerry richtete sich bolzengerade auf. Er war es nicht gewohnt, dass man ihn anschnauzte wie einen Lohndiener.
Deena begann wieder zu sprechen, ohne von seinen verletzten Gefühlen auch nur etwas zu merken. »Gentlemen«, sagte sie gelassen, »mir ist vor einiger Zeit der Gedanke gekommen, dass ich demnächst möglicherweise gezwungen sein werde, den perfekten Mord zu begehen.«
Lastende Stille hing über dem Raum, während Deena für lange Zeit verstummte, um ihren Worten das nötige Gewicht zu geben. Als sie sicher war, dass Jerry und Steven wirklich erfasst hatten, was sie gesagt hatte, fuhr sie fort: »Sollte es je dazu kommen und sollte es mir nicht gelingen, eine wirklich perfekte Tat zu vollbringen, erwarte ich natürlich von Ihnen, meinen Anwälten, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um mich erfolgreich zu verteidigen.« Ein langer, schlanker Finger, mit einem riesigen Diamantring geschmückt, zeigte auf Steven. »Sie. Ich möchte, dass Sie mich dann verteidigen. Ich habe gehört, Sie sind der Beste.«
»Jetzt warten Sie einen Moment«, unterbrach Steven sie hitzig. »Ich kann nicht ...«
»Nein, Sie warten gefälligst einen Moment!«, fauchte sie, eine Frau, die es gewohnt war, ihren Kopf durchzusetzen. »Erlauben Sie mir, zu Ende zu sprechen.« Sie starrte sie beide an, als wollten die leblosen blauen Augen sagen: Wagt es ja nicht mehr, mich zu unterbrechen! »Ein Honorarvorschuss in Höhe von einer Million Dollar wurde heute auf Ihr Firmenkonto überwiesen. Dafür erwarte ich nicht mehr von Ihnen, Mr. Myerson und Mr. Berkeley, als dass Sie zur Stelle sind, wenn und falls – mit der ganz besonderen Betonung auf ›falls‹ – ich Sie brauche.« Sie lachte kurz und spröde auf, bevor sie langsam hinzufügte: »Wir wollen um unser aller willen hoffen, dass dieser Tag nie kommt.«
Abe Panther saß hinter seinem großen Nussbaumschreibtisch, und hinter ihm hatte Inga grimmig Posten bezogen.
Von Morton Sharkey, ihrem Anwalt an der Westküste, begleitet, betrat Lucky Santangelo den Raum.
Abe begrüßte Lucky mit einem freundlichen Nicken. Zwar waren sie sich erst einmal begegnet, doch er hatte sie sofort sehr sympathisch gefunden, hatte in ihr den echten Geist einer Einzelgängerin und Abenteurerin gespürt. So wie sie war er als junger Mann gewesen.
»Sie sehen gut aus, Mr. Panther«, sagte Morton Sharkey, noch immer leicht benommen von dem Schock, den es ihm versetzt hatte, dass Lucky imstande gewesen war, dieses Geschäft so weit voranzutreiben. Als sie das erste Mal mit ihrem wilden Plan zu ihm gekommen war, hatte er ihr fast ins Gesicht gelacht. »Ist Ihnen nicht klar, dass Sie das Unmögliche verlangen?«, hatte er sie gewarnt. »Die Panther Studios werden von Mickey Stolli und Ben Harrison kontrolliert. Und lassen Sie sich von mir gesagt sein, dass sie nicht einmal daran denken zu verkaufen, das weiß ich sicher.«
»Vergessen Sie nicht, dass die beiden die Firma nur leiten?«, hatte Lucky kühl erwidert. »Und so viel ich gehört habe, arbeiten sie hauptsächlich in die eigene Tasche. Keine Sorge, Morton, ich habe jedes Detail akribisch genau überprüfen lassen. Das Studio gehört noch immer zu hundert Prozent Abe Panther. Er kann damit machen, was er will. Und ich möchte, dass er an mich verkauft.«
»Der Mann ist hundertsechs«, hatte Morton gescherzt.
»Der Mann ist achtundachtzig und im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte«, hatte sie voller Zuversicht geantwortet.
Morton Sharkey hätte es nie für möglich gehalten. Aber er hatte auch noch nie mit einer Santangelo zu tun gehabt. Wenn Lucky etwas ankurbelte, dann blieb sie bis zum Schluss dabei, und ihr Instinkt hatte ihr sofort gesagt, dass Abe Panther seinen diebischen Schwiegerenkeln liebend gern eins auswischen und ihnen das Studio – sein Studio – gewissermaßen unter dem Hintern wegziehen würde.
Geheime Verhandlungen hatten stattgefunden. Zuerst schien Abe nicht interessiert, bis Lucky darauf bestand, nach Los Angeles zu kommen, damit man sich persönlich kennen lernte.
Abe Panther mochte ein alter Mann sein, doch seit dem Moment, in dem sich bei ihrer ersten Begegnung ihre schwarzen Santangelo-Augen mit seinen schlauen blauen getroffen hatten, wussten sie, dass sie eines Geistes Kind waren.
»Woher, zum Teufel, wissen Sie denn, wie man ein Studio leitet und Filme macht?«, hatte er sie angebellt.
»Ich weiß es nicht – noch nicht«, hatte sie ehrlich geantwortet. »Aber ich habe eine feine Nase und rieche Mist schon von weitem, und dazu verkommt Ihr Studio allmählich. Zu billigem, nicht mehr verwertbarem Mist.« Ihre Augen leuchteten feurig. »Also kann ich’s nur besser machen, oder?«
»Das Studio bringt Gewinn«, sagte Abe.
»Ja, aber die Filme, die es produziert, sind Scheiße. Ich möchte Panther wieder so groß machen, wie es einmal war. Und lassen Sie sich eins sagen – ich schaffe es. Das, ich versichere es Ihnen, ist ein Santangelo-Versprechen. Und ein Versprechen brechen die Santangelos nie.« Sie hielt inne, sah ihn an, hypnotisierte ihn mit den gefährlichen schwarzen Augen und fügte hinzu: »Wollen wir wetten?«
Er hatte sich sofort für sie erwärmt. Sie hatte Courage und war eine Draufgängerin, erfrischende Eigenschaften bei einer Frau.
Und Lucky hatte richtig vermutet. Für Abe war es ein Riesenspaß, seine Schwiegerenkel um das zu bringen, was sie schon als ihr rechtmäßiges Erbe betrachteten.
Man begann zu verhandeln. Ein Vertrag wurde aufgesetzt. Es fehlte nur noch Abes Unterschrift.
»Lasst mich mit Lucky allein«, sagte er, ungeduldig im Sessel hin und her rutschend.
Sie waren fast am Ziel, doch Morton spürte, dass Abe noch einen Trick auf Lager hatte. »Aber gewiss«, sagte er, sehr viel ungezwungener, als ihm zumute war. Er blickte zu Lucky hinüber.
Sie nickte unmerklich und gab ihm zu verstehen, dass er gehen sollte.
Und Morton ging.
Inga rührte sich nicht von der Stelle. Sie blieb hinter dem Schreibtisch des alten Mannes stehen, ein stoisches schwedisches Monument.
»Raus!«, befahl Abe.
Ein Zucken ihrer schmalen Lippen war das einzige Anzeichen dafür, dass sie gekränkt war. Beim Verlassen des Raums knallte sie die Tür hinter sich zu; ein weiteres Signal ihrer Missbilligung.
Abe kicherte. »Inga mag es nicht, wenn ich sie herumkommandiere. Sie nimmt mir noch immer übel, dass ich sie nicht zum Star gemacht habe.« Er schüttelte den Kopf. »Es war nicht meine Schuld. Sie hatte keine Ausstrahlung, von der Leinwand kam nichts rüber. Filmstars müssen zwei Eigenschaften haben – ohne sie sind sie tot.« Er legte den Kopf schief. »Wissen Sie, was das für Eigenschaften sind?«
Lucky nickte. Sie kannte Abe Panthers Credo auswendig. »Sie müssen Ausstrahlung haben und jede Menge Sex«, zitierte sie, ohne zu zögern.
Er war beeindruckt. »Woher wissen Sie das?«
»Ich habe alles über Sie gelesen. Jeden Presseartikel, jede Studiomitteilung, drei nicht autorisierte Biographien. Oh, und ein paar Selbstbiographien von sehr schönen weiblichen Stars, die nicht drum herumkamen, Sie zu erwähnen.« Sie lachte. »Sie sind zu Ihrer Zeit ganz schön rumgekommen, nicht wahr? Sie sind ein sehr berühmter Mann, Mr. Panther.«
Er nickte, freute sich darüber, dass sie seine Stellung so hoch einschätzte. »Ja, ich bin der Letzte«, sagte er stolz. »Der Letzte der Film-Dinosaurier.«
»Also einen Dinosaurier würde ich Sie nicht nennen.«
»Sie brauchen mir nicht zu schmeicheln, Kleine. Sie haben Ihren Vertrag schon fast in der Tasche.«
»Ich weiß.« Ihre schwarzen Augen glänzten. »Ich bin bereit, Ihren Preis zu bezahlen. Sie sind bereit, an mich zu verkaufen. Also kommen Sie schon, Mr. P. Was hält uns auf?«
»Nur eine Kleinigkeit, die Sie mir versprechen müssen.«
Sie versuchte ihre Ungeduld in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Was?«, fragte sie nervös.
»Ich will Rache.«
»Was?«
»An den Schwiegerpennern und allen Blutsaugern um sie rum.«
»Ja?«
»Ich möchte, dass Sie sie fertig machen, Kleine. Gründlich fertig machen.«
»Das habe ich vor.«
»Auf meine Weise.«
Sie beherrschte sich noch immer. »Wie sieht die aus?«
»Bevor Sie die Kontrolle kriegen, nehmen Sie einen Job im Studio an. Und zwar als Assistentin von Herman Stone. Das ist mein Mann.« Abe sprühte, weil sein Leben wieder aufregend wurde. »Und wenn Sie dort sind, mittendrin im Getümmel, dann erwischen Sie einen nach dem anderen bei irgendetwas, was sie nicht tun dürfen.« Er gackerte vor Entzücken. »Sechs Wochen drin und dann – wumm! Sie sind der neue Boss, Kleine, und können alle rausschmeißen. Ist das nicht ein guter Plan?«
Lucky konnte kaum glauben, was sie da hörte. Es war eine verrückte Idee. Wie konnte sie sich für sechs Wochen gewissermaßen in Luft auflösen und eine andere Identität annehmen? Sie war der Kopf eines Imperiums, es gab für sie keine Möglichkeit zu verschwinden. Was sollte sie Lennie sagen? Und Bobby und Brigette? Ganz zu schweigen von ihren unzähligen geschäftlichen Verpflichtungen?
»Unmöglich«, sagte sie und schüttelte bedauernd den Kopf.
»Wenn Sie mein Studio haben wollen, müssen Sie es tun«, entgegnete Abe, mit den falschen Zähnen klappernd. »Wenn Sie es wirklich haben wollen.«
Sie fuhr sich mit der Hand durch das dunkle Haar, stand auf und begann im Raum auf und ab zu gehen.
Klar, sie wollte das Studio, aber sie würde nicht durch Reifen springen, weil ein launischer, herrschsüchtiger alter Mann es von ihr verlangte. Oder würde sie es doch tun?
Hm ... Vielleicht war die Idee gar nicht so verrückt ... Vielleicht war es eine Herausforderung. Und Lucky liebte nichts mehr als Herausforderungen.
Im Untergrund agierend, konnte sie jeden überführen, der etwas tat, was er nicht tun durfte.
Abe beobachtete sie sorgfältig aus schmalen, intelligenten Augen, während er nach dem Glas Birnensaft auf seinem Schreibtisch griff. »Kein Untergrund – kein Verkauf«, sagte er, um ganz sicherzugehen, dass sie seine Regeln verstand.
Lucky fuhr herum und starrte ihn an. »Heißt das, Sie würden das Geschäft auffliegen, sich das viele Geld entgehen lassen?«, fragte sie ungläubig.
Abe lachte, schob die Reihe hübscher Porzellanzähne aus dem Mund und ließ sie wieder zurückfallen. Sie passten nicht zu seinem lederhäutigen, faltigen alten Gesicht. Sie sahen zu neu aus. »Ich bin achtundachtzig Jahre alt, Kleine, was kann ich mir schon für das Geld kaufen. Einen Steifen ganz bestimmt nicht. Kein Geld der Welt bringt meinen Schnickel wieder hoch.«
Lucky lachte. »Wer weiß.«
»Ich weiß es, Kleine.«
»Im Leben gibt es keine Gewissheit.«
Noch einmal schob Abe seine falschen Zähne heraus und ließ sie zurückrutschen, keine sympathische Gewohnheit. »Sechs Wochen«, sagte er mit überraschender Festigkeit. »Oder aus unserem Geschäft wird nichts.«
Brigette Stanislopoulos war siebzehn und unleugbar hübsch. Sie hatte langes naturblondes Haar und eine wohlgerundete, gut entwickelte Figur. Außerdem war sie die Erbin des halben Stanislopoulos-Vermögens, das ihr Großvater Dimitri hinterlassen hatte. Sie besaß schon das riesige Treuhandvermögen ihrer Mutter, und mit einundzwanzig würde sie zu einer der reichsten Frauen der Welt werden. Ein ernüchternder Gedanke, denn Brigette, obwohl noch ein Teenager, hatte schon ein Leben voller Leid und Verwirrung hinter sich und wusste instinktiv, dass ihr Erbe nur weitere Komplikationen mit sich bringen würde.
Geld hatte ihre Mutter nicht glücklich machen können. Arme Olympia – die in einem schmierigen New Yorker Hotel mit dem Rockstar Flash aufgefunden worden war. Beide tot, an einer Überdosis zugrunde gegangen. Kein sehr passendes Ende für Olympia, das Mädchen, das alles hätte haben können.
Brigette hatte sich fest vorgenommen, dass ihr Leben anders verlaufen sollte. Sie hatte nicht die Absicht, ihrer Mutter auf dem trügerischen Pfad ins Unglück zu folgen – drei Ehemänner zu haben und sich einem Exzess selbstsüchtiger Vergnügen hinzugeben.
Brigette war dreizehn, als Olympia starb. Ihren richtigen Vater hatte sie nie gekannt – einen italienischen Geschäftsmann, den ihr Großvater immer den »Glücksritter« nannte. Olympia hatte sich kurz nach Brigettes Geburt von ihm scheiden lassen, und ein paar Monate später war er in Paris von einer von Terroristen gelegten Autobombe in Stücke gerissen worden. Dass sie ihre Mutter und ihren leiblichen Vater so früh verloren hatte, war schlimm genug gewesen; aber es drohten ihr noch andere Tragödien. Ein paar Monate später sollten sie und Luckys Sohn Bobby gekidnappt werden. Santino Bonnatti – ein König unter den Kriminellen und lebenslanger Feind der Familie Santangelo – hatte die beiden Kinder im Haus seiner Freundin Eden Antonio mit der Absicht in eine Falle gelockt, sie sexuell zu missbrauchen. Es kam jedoch nicht so weit. Brigette konnte sich seiner Waffe bemächtigen und gab drei Schüsse auf ihn ab – genau in dem Augenblick, in dem Lucky erschien, um sie zu retten. Unmittelbar darauf stand die Polizei vor der Haustür, doch Lucky gelang es gerade noch rechtzeitig, die beiden Kinder durch die Hintertür hinaus- und sicher nach Hause bringen zu lassen. Natürlich machte man Lucky für Bonnattis Tod verantwortlich.
Monate später, bei Luckys Prozess, nahm Brigette ihren ganzen Mut zusammen, sprang auf und legte ein öffentliches Geständnis ab. Es war sehr tapfer von ihr, aber sie hatte nicht mehr ruhig dasitzen und zusehen können, wie Lucky die Schuld auf sich nahm. Zum Glück gab es ein Videoband, das deutlich bewies, dass Bonnattis Tod ein klarer Fall von Notwehr gewesen war.
Man hatte Brigette ein Jahr Bewährung zugebilligt, mit der Auflage, dass sie bei ihrer Großmutter Charlotte leben musste, der ersten Frau ihres Großvaters Dimitri.
Charlotte war keine liebevolle und gemütliche Großmutter im üblichen Sinn. Sie war eine elegante Gesellschaftslöwin der älteren Generation, damals zum viertenmal verheiratet, und zwar mit einem englischen Bühnenschauspieler, der zehn Jahre jünger war als sie. Sie teilten ihre Zeit zwischen einem Haus auf dem Londoner Eaten Square und einem von New Yorks rötlich braunen Sandsteinhäusern.
Dass sie sich um Brigette kümmern sollte, war für Charlotte nicht gerade die Erfüllung eines Wunschtraums. Sie meldete ihre Enkelin sofort in einer etwa eine Stunde von New York entfernten strengen privaten Internatsschule an.
Brigette wollte nichts anderes, als in Ruhe gelassen werden. Sie fühlte sich wie das typische kleine arme reiche Mädchen mit einer skandalösen Vergangenheit.
Sie wurde zur Einzelgängerin, lehnte Freundschaften ab, denn vor allem anderen hatte sie das wahre Geheimnis der Überlebenskunst begriffen – man durfte nie jemandem vertrauen.
»He, Stanislob, Telefon für dich!«
»Stanislob« war einer von den schöneren Spitznamen, die sie ihr gaben. Es war ihr egal. Sie wusste, wer sie war. Sie war Brigette Stanislopoulos. Person. Menschliches Wesen. Nicht das verzogene Gör, zu dem ein paar Boulevardzeitungen sie stempeln wollten.
Die Klatschpresse ließ sie nie in Ruhe. Immer war einer da, der sie belauerte, der spionierte. Ein Fotograf, der sich hinter einem Strauch versteckte, ein unverschämter Reporter, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. Sie jagten sie gnadenlos.
Die Boulevardblätter hatten so ihre Lieblinge. Lisa Marie Presley, Prinzessin Stephanie von Monaco und Brigette Stanislopoulos. Drei junge Erbinnen. Immer gut für eine Story.
Den albernen Spitznamen überhörend, nahm Brigette einem langen Mädchen mit krausem Haar und einem Übermaß an Sommersprossen den Telefonhörer ab. Vielleicht hätten sie Freundinnen sein können – in einer anderen Zeit – in einem anderen Leben.
»Ja?«, meldete sie sich zögernd. Die Anrufe, die sie bekam, sollten immer aufgezeichnet werden, aber die Mühe machte sich niemand.
»Hei, meine Hübsche, ich bin’s, Lennie. Ich habe, wie gewöhnlich, eine sensationelle Idee. Was hast du für den Sommer geplant?«
»Nichts.«
»Das gefällt mir. Ich werde Lucky vorschlagen, dass du für ein paar Wochen zu uns nach Malibu kommst. Wir haben ein sensationelles Haus gemietet. Hättest du Lust, uns zu besuchen?«
Brigette war außer sich vor Freude. Lennie Golden und Lucky waren die beiden einzigen Menschen, die sie liebte – Lennie, ihr Exstiefvater, jetzt mit Lucky verheiratet, und Lucky, die mit ihrem Großvater verheiratet gewesen war. Was für ein fast unentwirrbares Netz familiärer Beziehungskisten. Der Stanislopoulos-Clan ließ den Stammbaum der Onassis simpel erscheinen.
»Das wäre super!«, sagte sie aufgeregt.
»Großartig. Lucky wird Charlotte überreden, dich für ein paar Wochen zu uns zu lassen.«
»Guter Gott! Dazu braucht man Charlotte wirklich nicht erst zu überreden. Sag es ihr einfach, sie wird ausflippen vor Freude, mich los zu sein.«
»Aber, aber, sprich nicht so hässlich von deiner Großmutter, Kleine«, neckte er sie.
»Es ist die Wahrheit, Lennie!«
»Und sobald ich mit diesem Film fertig bin, hauen wir vielleicht alle ab nach Europa.«
»Brillant.«
»He, wo bleibt die Begeisterung?«
»Ach, hör doch auf! Ich würde glatt jemanden umbringen, um diese Reise machen zu können.«
»Das brauchst du nicht. Die Sache ist schon fast geritzt.«
»Ich kann’s kaum erwarten.«
»Gut.«
»Wieso arbeitest du nicht? Ist es in L. A. nicht gerade Mittag?«
»Und wie steht’s mit dir?«, konterte er.
»Es ist halb sechs. Ich bin ein freier Mensch.«
»Dann raus mit dir, und tob dich richtig aus.«
Sie kicherte. »Geht nicht. Heute ist ein Wochentag. Wochentags dürfen wir nicht raus.«
»Pfeif auf alle Vorschriften, leb gefährlich.«
»Solche Dinge darfst du mir nicht in den Kopf setzen«, sagte sie und musste daran denken, was über sie hereingebrochen war, als sie ein einziges Mal die Regeln missachtet hatte.
»Ach Quatsch! Ich an deiner Stelle würde es tun.«
Was tun? Sie hatte keine Freundinnen. Niemanden, der mit ihr die Schule geschwänzt hätte. Außerdem war sie nicht wie ihre Mutter, sie hatte nicht den Drang, auszubrechen. Der Preis war, wie sie festgestellt hatte, viel zu hoch.
»Wie läuft der Film?«, fragte sie, hastig das Thema wechselnd.
Er stöhnte. »Verdirb mir nicht den Tag.«
»Ist Lucky bei dir in L. A.?«
Er heuchelte Ärger. »Was sollen die Fragen? Brauchst du mich, weil du nichts Besseres zu tun hast, oder was?«
Sie lächelte. »Weißt du das denn nicht? Es ist der Sinn meines Lebens, dich auf die Palme zu bringen.«
Lachend sagte er: »Fein, dann lebe schön brav weiter, und ich ruf dich nächste Woche mit ein paar neuen Plänen an. Okay, Vögelchen?«
»Okay, schmutziger alter Mann.«
Mit Lennie fühlte sie sich immer großartig. Besonders wenn er sie »Vögelchen« nannte, eine Abkürzung von »Lockvögelchen«, seinem Lieblingskosenamen für sie. Sie revanchierte sich immer mit »schmutziger alter Mann«. Es war ein Spiel, nur zwischen ihnen. Ihre Art zu sagen, dass die Vergangenheit bedeutungslos war. »Sobald du über etwas lachen kannst, quält es dich nicht mehr«, hatte Lennie ihr oft gesagt.
Vielleicht hatte er Recht, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihr Visier öffnen musste. Sie war Brigette Stanislopoulos. Mensch. Erbin. Immer eine Erbin. Sie kam nicht los davon.
Mit einem tiefen Seufzer ging sie in ihren Schlafraum zurück, den sie mit drei Mädchen teilte. Auf dem Tisch neben ihrem Bett stapelten sich Hausaufgaben, und an der Wand hing einsam und allein ein Poster von einem schüchtern lächelnden Boy George in voller »Kriegsbemalung« und mit Ringellöckchen. Sie mochte seine Musik, und es gefiel ihr, dass er sich den Teufel um andere Leute zu scheren schien. Genau wie sie. Die anderen Mädchen hatten Poster und Bilder von allen möglichen Stars – angefangen bei Rob Lowe bis zu einem fast nackten Richard Gere. Na und? Auf romantische Gefühle wollte Brigette sich nie wieder einlassen.
Einen Moment lang erlaubte sie es sich, zurückzudenken. Zuerst tauchte Santino Bonnattis Gesicht vor ihr auf – dieses bösartige, höhnische, immer gegenwärtige Gesicht. Und dann kam Tim Wealth. Gut aussehend und jung. Ein ruhmsüchtiger junger Schauspieler, der Pech gehabt hatte, denn er hatte versucht, mit ihr und Bobby als Hauptdarsteller ein Gaunerstück aufzuziehen. Die Presse hatte den Mord an dem jungen Schauspieler nie mit den Geschehnissen um Bonnatti in Verbindung gebracht.