Die Schöpfungsformel - Johannes von Buttlar - E-Book

Die Schöpfungsformel E-Book

Johannes von Buttlar

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Beschreibung

Der Physiker John Brandon wird zu einer Konferenz ins kalifornische Pasadena eingeladen. Dort suchen international anerkannte Wissenschaftler Antworten auf die Frage: Existiert ein kosmischer Plan, eine Schöpfungsformel, ein Schöpfergott? Oder ist alles ein zufälliger physikalischer Prozess, dem wir willkürlich ausgeliefert sind? Die künstliche Superintelligenz »Feynman II« soll Antworten darauf finden. Doch Technologiegegner und feindliche Agenten setzten alles daran, den Erfolg von »Feynman II« zu sabotieren. Seltsame Zwischenfällen ereignen sich, es kommt zu rätselhaften Todesfällen und einem Terroranschlag. Auch John Brandon selbst gerät in Lebensgefahr. Ein Sachbuchthriller mit hochspannendem Plot über die unendlichen Möglichkeiten, die noch vor uns liegen.

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Seitenzahl: 568

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Inhalt

Prolog: Der Auftrag 14

TEIL I: Fundamentale Fragen 16

1. Die Einladung 16

Quantensprung 19

Moralischer Kompass? 23

Gesprengte Fesseln? 26

Vorstoß in unbekanntes Terrain 28

Unterschiedliche Potenziale 32

Tägliche Routine 35

Die Heimtücke digitaler KI-Freundschaften 38

»Setz dich zu ihm!« 40

Eingebrochen 43

Das Schicksal der Menschheit 47

2. Die Ankunft 50

Pasadena 52

Die Entfernung zwischen Gott und der Erde 55

Nibiru 60

Stachel im Fleisch 62

Beten in Richtung Erdkern 67

Kirche in der Klemme 69

3. Die Vorstellung 75

Unterschiedliche Wissensbereiche 77

Feynman II 81

Etwas Einzigartiges 84

Kein nackter Affe 88

4. Die Spurensuche 90

Zivilisationen vor unserer Menschheit (Vortrag 1: Martha Bingham) 91

Im Dunkel vergangener Äonen 112

Vergangene Zivilisationen 114

5. In Gefahr 118

Out of Body 119

Merkwürdige Dinge 120

Verfolgung 125

Unüberschaubare Folgen 128

Turing B 131

Eine Drohung 133

6. Der Aufbruch 135

Terra Nova (Vortrag 2: Nora Sundström) 135

Massive Expansion 148

Mut zum Aufbruch 150

Aufstieg zum Untergang 152

7. Bewusst Sein 153

Der menschliche Geist (Vortrag 3: Sonja Ribeiro) 154

Ein neues goldenes Kalb 169

8. Die Verschränkung 172

Die verrückte Welt des Lichts (Vortrag 4: Dennis Steward) 172

Mauer zu unserer Alltagswelt 186

Elektronik auf Abwegen 189

TEIL II: Um Leben und Tod 191

9. Zutritt verboten 191

One-Way-Ticket 192

»Das Seltsamste, was ich je gesehen habe« 197

Zugang nur für autorisiertes Personal 200

Evolutionär unterlegen? 203

Von 2,5 Milliarden Jahren auf nur noch 200 Sekunden 204

10. Urknall a. D. 207

Wieso und warum? (Vortrag 5: Jermain Talbot) 207

Wackliges Fundament 230

Der Urknall hat seine Tücken 232

Dann ist alles vorbei 235

HoloBots 236

11. Die Glaubenssache 238

Die Blaupause allen Seins (Vortrag 6: Herbert Protsch) 238

Existiert Gott? 253

Etwas stimmt ganz und gar nicht 254

12. Das Paranormale 255

Die unfassbare Welt der Psyche (Vortrag 7: Helena Dumitru) 256

Weiterleben nach dem Tod? 279

Um Leben und Tod 280

13. Der Hinterhalt 284

Vorsicht, Hinterhalt! 284

Reine Glückssache 286

Unglaubliche Nähe 291

Wie aus dem Nichts verschwunden 294

Nicht überprüfbar 296

14. Die Exonauten 299

Allein im Universum? (Vortrag 8: Timothy Pyke) 299

Vorurteilsfreie und rigorose Aufklärung 332

Es ist Realität! 333

Natur-Plagiate 335

15. Gehirn-Matrix 337

Bewusstsein und Persönlichkeit (Vortrag 9: Emily Dubois) 338

Bewusstsein ist überall 349

Die Empfindungsfähigkeit 352

Entführt 355

16. Der alte Freund 356

Ragnars Taufe 357

Der flüsternde Baum 359

Zweisamkeit 361

Aufregende Zeit 362

Die Runde 364

Zeitreisen 366

Befreit aus der Banalität des Daseins 368

17. Ewig jung 370

Altern und Tod besiegen (Vortrag 10: Daniela Wentzel) 371

TEIL III: Eine fantastische Reise 385

18. Der Überfall 385

Auf jeden Fall weitermachen! 390

Geplante Aktion 397

Absolut vertraulich 402

Einem Oktopus ähnlich 404

19. Die Genesis 407

Altern und Tod besiegen (Fortsetzung Vortrag 10: Daniela Wentzel) 408

Verbesserung der Lebensqualität 411

20. Die Luntentänzer 416

Wir müssen umdenken! (Vortrag 11: Christine Van Houten) 416

Ursache: Der Mensch 429

21. Nano Max 432

Ungeahnte Möglichkeiten (Vortrag 12: Jakow Krivitsin) 432

Und alle Lieb will Ewigkeit 441

22. Das Experiment 445

Ein Kaleidoskop von Impulsen 446

Erinnerungen 448

Überlagerte Parallelwelten 450

Die Menschheit ist nicht allein 452

23. Die Konfrontation 454

Exklusiver Verein 455

Viele Fragen offen 459

Showdown am Scheitelpunkt 463

24. Die Unersättlichen 469

Auf unverzeihliche Weise versagt (Vortrag 13: Anthony Lovejoy) 470

Der Mensch steht sich selbst im Weg 476

Wertschöpfung statt Umverteilung (Vortrag 14: Nicolas Garfield) 478

25. Die Entscheidung 488

Die gekappte Nabelschnur 489

Das Raumschiff ist bereit 491

Epilog: Kein Zurück 493

Verzeichnis der auftretenden fiktiven Personen 494

Verzeichnis der Vorträge 495

Literaturverzeichnis 496

Danksagung 501

Prolog: Der Auftrag

Als der Weckruf ertönt, angle ich schlecht gelaunt nach meinem Smartphone. In solchen Nächten scheint es über besonders sadistische Qualitäten zu verfügen. »Es ist 9.35 Uhr!«, krächze ich verschlafen. »Zu früh, um anständige, hart arbeitende Menschen in ihrer Nachtruhe zu stören!«

»In diesem Fall, John, sehe ich mich umso mehr veranlasst, dich auf Vordermann zu bringen«, erwidert eine energische Frauenstimme. »Denn von einem anständigen oder gar hart arbeitenden Mann dürfte bei dir wohl kaum die Rede sein. In deinem eigenen Interesse wirst du besser blitzschnell wach, denn der Mann, der für deinen lasterhaften Lebenswandel aufkommt, will dich sprechen.«

»Okay, Pat, was will der Alte von mir? Hat ihm mein letzter Artikel über das tolle Treiben minderbegabter Sekretärinnen nicht gefallen?«, entgegne ich süffisant.

»Haha, mir kommen die Tränen. Du lässt nach, John. Ich verbinde dich jetzt mit dem Boss.« Erst das gewohnte Klicken in der Leitung, dann die bedächtige, satte Stimme von Henry Cawkell, dem Herausgeber des Wissenschaftsmagazins SpaceTimeScience.

»Hallo, John, wie geht es dir?« Ohne eine Antwort auf seine Phrase abzuwarten, kommt Henry direkt zur Sache. »Dein Artikel über dunkle Energie und die Expansion der Raum-Zeit ist sehr gelungen. Er muss allerdings etwas gekürzt werden, aber wir bringen ihn in der nächsten Ausgabe. Doch deswegen rufe ich nicht an. Durch meine guten Kontakte ist mir etwas auf den Schreibtisch geflattert, dem du unbedingt nachgehen solltest. Eine brandheiße Sache, sag ich dir! Es geht hier wohl um einen phänomenalen Durchbruch in einem Institut in Pasadena. Die wenigen Informationen, die ich zurzeit habe, schicke ich dir per E-Mail.«

»Aber Henry, das klingt mehr als vage«, unterbreche ich ihn, »was und wo soll ich recherchieren?«

»Hör mir genau zu. Ich will, dass du deinen Hintern umgehend aus dem Bett hebst und nach Pasadena fliegst! Und wage es nicht, ohne eine sensationelle Story zurückzukommen. Übrigens, spiel ja nicht wieder verrückt mit den Spesen! Deine letzte Abrechnung war, gelinde gesagt, haarsträubend.« Bevor ich ihm eine passende Antwort geben kann, hat Henry bereits aufgelegt.

Pasadena? Handelt es sich um eine besondere Entdeckung des Caltech? Aber worum geht es eigentlich? Natürlich verfolge ich den Stand der kosmologischen Forschung. Handelt es sich etwa um neue Erkenntnisse zur Dunklen Materie oder zu Axionen? Oder um neue, zukunftsweisende Technologien in der Kommunikation oder der Energieerzeugung? Um einen wissenschaftlichen Durchbruch? Nun, ich werde es bald erfahren.

Ich rücke mein Kopfkissen erst einmal zurecht und drehe mich zur Seite, um noch ein wenig zu schlafen. Tatsächlich habe ich bis in die Morgenstunden an einer Abhandlung über das sogenannte holografische Universum gearbeitet. Ja, es war eine lange Nacht und Henry kann mich mal!

TEIL I: Fundamentale Fragen

1. Die Einladung

Die Tür klingelt. Jemand ist anscheinend an meiner Haustür. Es dauert einen Moment, bis ich aus dem Schlaf von der unbarmherzigen Tagesrealität eingeholt werde.

Schon wieder diese penetrante Klingel. Gähnend öffne ich die Tür. Nehme ein Einschreiben entgegen. Strafe den grinsenden Briefträger mit einem abfälligen Blick. Na gut, es war bereits elf Uhr, aber schließlich bin ich erst um fünf Uhr morgens ins Bett gekommen.

Ein Einschreiben! Hatte ich eine Rechnung übersehen? Nein, es kommt aus den USA. Der Absender ist das Institute for Quantum Computation and Communication in Pasadena, Kalifornien.

Während ich mir eine Tasse Tee gönne, folge ich gebannt dem Brief:

Verehrter Dr. Brandon,

am 5. September 2024 um 10 Uhr findet eine überaus bedeutende einwöchige Konferenz in unserem Institute for Quantum Computation and Communication in Pasadena statt.

Der Anlass? Unserem Institut ist ein epochaler Durchbruch gelungen!

Wir haben es geschafft! Es ist so weit! Unser Quantencomputer, Feynman II, ist nun einsatzbereit. Er verfügt über Abermilliarden von Qubits. Diese befähigen ihn, augenblicklich Abertrillionen Rechenoperationen simultan durchzuführen, von denen jede auf der Stelle einen anderen Strang einer Frage bearbeitet. Nahezu ohne Zeitverlust fügen sich die verschiedenen Stränge zu einer Antwort zusammen.

Eine Lösung, für die Feynman II nur eine Sekunde zur Berechnung benötigt, hätte bei gleichzeitiger Berechnungsarbeit aller Computersysteme der Welt mindestens eine Billion Mal eine Billion Jahre gebraucht.

Der entscheidende Quantensprung bei den Anwendungsmöglichkeiten ist allerdings die Schöpfung einer einzigartigen KSI, Feynman II. Der Quantencomputer dient dabei, sozusagen, lediglich als Werkzeug für Feynman II.

Mit Feynman II wollen wir aus der subjektiven Wirklichkeit der Modellvorstellungen, die immer nur die ›Wie‹-Frage bearbeitet, in die übergeordnete Wirklichkeitsebene, zu dem ›Warum‹, vorstoßen! Endlich können wir mit Feynman II Rätsel bisher ungelöster Fragen lösen, die uns Menschen von Anbeginn plagen!

Teilnehmer unserer Konferenz sind führende Köpfe aus unterschiedlichsten Wissensbereichen. Ein Fragenkatalog soll für Feynman II erarbeitet werden.

Wir erwarten zukunftsweisende Erkenntnisse, sogar einige Paradigmenwechsel!

Viele der herausragenden Wissenschaftler sind Ihnen bereits durch Ihre Arbeit bekannt. Sie präsentieren unter anderem Bereiche der Kosmologie, Exobiologie, Quantenphysik, Nanotechnologie, Exogeologie, Archäologie, Neurologie, Molekularbiologie, Genetik, Evolutionsbiologie, Ökologie und Ökonomie. Auch die Psychologie und Parapsychologie sind miteinbezogen. Repräsentanten der Theologie und Politik werden ebenfalls vertreten sein.

Wie Sie sehen, wird es spannend! Ich erwarte hitzige Debatten/Auseinandersetzungen.

Wird uns durch Feynman II der Vorstoß zu Parallelwelten als eine mögliche Konsequenz der Quantenmechanik gelingen? Gibt es eine Schöpfungsformel? Einen Schöpfergott? Steckt hinter unserem Dasein ein profunder Plan? Oder ist alles, was ›IST‹, nur ein profaner sinnloser Zufall? Auch hier soll uns Feynman II mit seiner überragenden künstlichen Superintelligenz Antworten liefern. Auch die Frage, warum unser Universum einerseits der Entropie, dem Chaos entgegenstrebt, andererseits eine solch komplexe geordnete Struktur wie das reflektierende Bewusstsein hervorgebrach hat.

Sie werden mir zustimmen, dass das größte Wunder unserer Existenz das reflektierende Bewusstsein ist. Das Gehirn hinterfragt das Gehirn! Was für ein unglaubliches Phänomen!

Wir sollten uns nicht scheuen, unbequeme Fragen zu stellen, selbst gegen den Widerstand einiger verbohrter Naturwissenschaftler. Zum Beispiel: Was war vor dem Urknall? Was liegt hinter dem beobachtbaren Horizont des Universums? Was sind Raum und Zeit? Ist die Lichtgeschwindigkeit tatsächlich eine Konstante? Existiert ein Weiterleben des Bewusstseins nach dem Tod? Und vieles mehr.

Nun aber zum Grund meines Schreibens: Wir laden Sie als Journalist zu dieser einzigartigen Konferenz ein, da Sie nicht nur die Entwicklung der unterschiedlichsten Quantencomputer weltweit in Ihren Reportagen verfolgt haben, sondern auch früh das Potenzial der Quantenverschränkung in Verbindung mit einer künstlichen Intelligenz erkannt haben.

Aus Sicherheitsgründen haben Sie die Einladung als Einschreiben erhalten. Eine Kommunikation über das Internet ist für uns nicht mehr sicher genug. Zum Schluss möchte ich Sie dringend bitten, den Inhalt dieses Schreibens absolut vertraulich zu behandeln!

Im Gegenzug erhalten Sie die exklusive Erstberichterstattung über Feynman II unmittelbar nach der Konferenz.

Wir freuen uns auf Ihre Zusage.

Mit den besten Wünschen

Eugene Weinstock

Professor for Quantum Computation and Communication

Quantensprung

Ich muss erst einmal tief Luft holen. Mein Gemütszustand ist, gelinde gesagt, in Aufruhr. Die Möglichkeiten, die sich hier durch das KSI-Superhirn Feynman II eröffnen, sind geradezu unvorstellbar!

Was für ein sonderbarer Zufall. Zuerst der Anruf von Henry und dann das Einschreiben. Eine brandheiße Sache, in der Tat.

Die Quantenmechanik hat mich schon seit Langem fasziniert. Sie eröffnet schließlich eine andere Facette der Wirklichkeit.

Die Quantentheorie führte zu einem regelrechten Umsturz unseres physikalischen Weltbildes. Sie stellte die uns vertraute Wirklichkeit der materiellen Welt infrage, denn die kleinsten Materiebausteine, die Elementarteilchen, sind im herkömmlichen Sinne keine Gegenstände. Sie existieren unabhängig von Raum und Zeit. Entfernungen, Geschwindigkeiten und Begrenzungen gibt es für sie nicht. Sie können gleichzeitig an den verschiedensten Orten sein und Informationen augenblicklich ohne Zeitverlust übertragen. Vergangenheit oder Zukunft sind für sie bedeutungslos.

Die KSI Feynman II nutzt also den Quantencomputer, um fundamentale Fragen zu beantworten. Bei der Suche nach Lösungen greift jene KSI auf die fantastische Welt der mikroskopischen Ebene, der Quantenwelt, zurück. Diese stellt eine fundamentale Dimension unseres Universums dar.

Die Fähigkeit von Feynman II besteht darin, zahlreiche Berechnungen gleichzeitig zu bewältigen. Schließlich sind Elementarteilchen sowohl Partikel als auch Welle zugleich! Das enorme Potenzial von Feynman II basiert somit auf der Eigenschaft von Elementarteilchen, mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen zu können. Zum Beispiel Ort und Energie. Im Gegensatz zu einem binären Computer, der nur zwei Zustände hat – eine Eins und eine Null –, nutzt ein Quantencomputer die unterschiedlichsten Zustände.

Ein Bit wird entweder der Zahl Eins oder der Zahl Null zugeordnet. Jede dieser Zahlmöglichkeiten entspricht einem Bit, also einem Aus- oder Ein-Schalter.

Ein Quantenbit, oder auch Qubit genannt, kann hingegen gleichzeitig die Eins sowie die Null nutzen, was als Superposition bezeichnet wird, also eine Überlagerung mitsamt Verschränkung. Durch diese Superposition kann ein Quantencomputer multiple Berechnungen gleichzeitig durchführen.

Feynman II soll nun über Abermilliarden von Qubits verfügen? Kaum zu glauben.

Zudem haben alle mir bekannten Quantencomputer gravierende Probleme, ihr Potenzial überhaupt voll auszuschöpfen, da die sinnvolle Programmierung der verschiedenen Aufgabenschritte äußerst komplex und zeitaufwendig ist. Einige Wissenschaftler haben mir ihre Frustration über die bestehenden Algorithmen wiederholt zum Ausdruck gebracht. Denn ein Algorithmus definiert, welche vorab festgelegten Rechenabfolgen erfolgen sollen, im Idealfall so, dass es letztlich zu einer Lösung kommt. Jede Problemlösung besteht jedoch aus einer ganzen Reihe von einzelnen Berechnungsschritten. Nur wenn ein Algorithmus jede Rechenmöglichkeit eines jeden Qubits schlüssig nutzt, kann ein Quantencomputer sein atemberaubendes Potenzial entfalten.

Offensichtlich hat Eugene eine herausragende künstliche Intelligenz entwickelt, die seinem Team bei dem Algorithmus von Feynman II unterstützt.

Feynman II würde bei der Bearbeitung einer Aufgabe eine Vielzahl von Rechenoperationen nutzen, von denen jede in einer eigenen Welt existiert. Jede Rechenoperation bearbeitet einen einzelnen Strang der Aufgabe, die durch Interferenzen miteinander verknüpft werden.

Drei entscheidende Phänomene bestimmen die bizarre Welt der Quanten, also der Elementarteilchen:

Die erste Variante wäre eine Überlagerung beziehungsweise Superposition gleicher physikalischer Möglichkeiten.

Die zweite Variante ist die Interferenz. Elementarteilchen werden durch Wellenfunktionen beschrieben. Dadurch können Teilchen, also Materie, sich in der Quantenmechanik wie Wellen verhalten und sich gegenseitig beeinflussen, sprich interferieren.

Die dritte Variante ist die Quantenverschränkung. Bei der quantenphysikalischen Verschränkung sind die Zustände von zwei Teilchen so miteinander gekoppelt, dass der Zustandswechsel des einen automatisch den des Partners verursacht. Dies geschieht augenblicklich und unabhängig von der Entfernung. Die Verschränkung wird sehr oft als Quantenteleportation bezeichnet und bildet somit die Basis für die Quantenkommunikation.

Solch ein fortschrittliches Quantencomputersystem mit einer KSI würde unsere Zivilisation dramatisch verändern. Ein kultureller und intellektueller Evolutionssprung.

Welche unglaublichen neuen Erkenntnisse werden wir erlangen?

Kann uns Feynman II Methoden und Techniken für überlichtschnelle Kommunikation liefern?

Sind Zeitreisen möglich, und welche Voraussetzungen sind erforderlich?

Können wir den Energiebedarf aus der Raum-Zeit selbst gewinnen? Die sogenannte Dunkle Energie könnte unter Umständen hier als unerschöpfliche Quelle dienen. Wie können wir sie nutzen, und woraus besteht sie überhaupt?

Existieren intelligente außerirdische Zivilisationen, und wo sind sie zu finden?

Neben all diesen Fragen beschäftigt mich noch ein Gedan­ke: Könnte es passieren, dass sich Feynman II mithilfe sei­ner künstlichen Intelligenz in den Quantencomputer einer fortgeschrittenen außerirdischen Zivilisation einloggt? In der submikrokosmischen Welt der Quanten wäre diese Möglichkeit nicht abwegig.

Unendlich viele Ideen schwirren mir durch den Kopf. Wie ist das mit den unterschiedlichsten Religionen? Dem Glauben an Gott? Schließlich führen die Religionen die Menschen nicht zusammen, sondern trennen sie durch die Subjektivität des Glaubens. Was um Himmels willen passiert, wenn Feynman II feststellt, dass Gott nicht existiert?

Steht uns durch dieses ›Superhirn‹ ein gefährlicher Paradigmenwechsel bevor? Wissen ist eben nicht nur Macht, sondern könnte unsere Zivilisation, unsere Kultur spalten und unsere gesellschaftlichen Normen grundlegend infrage stellen.

Der Tod und damit die Vergänglichkeit haben unsere Kulturen seit jeher geprägt. Was sind die Konsequenzen für unser Miteinander, sollte es eine Ich-Identität nach dem Tod geben?

Moralischer Kompass?

Noch dazu könnte sich eine künstliche Superintelligenz, KSI, sogar selbstständig optimieren und anpassen. Damit wäre eine KSI automatisch eine Gefahr für jeden Bereich der menschlichen Gesellschaft. Denn im Gegensatz zu einer herkömmlichen KI, die auf Eingaben – feste oder variable Parameter – reagiert, könnte eine KSI theoretisch sich selbst Aufgaben stellen.

Eine KSI, die ihre eigene Programmierung übernehmen könnte, würde automatisch alle menschlichen Bereiche beeinflussen. Dies betrifft den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft, den öffentlichen Diskurs, die politische Meinungs­bildung, Kultur, Trend­setzung, ästhetisches Kunst­empfinden und sogar die Geschichts­schreibung.

Wie würde eine KSI bei einem Konflikt oder einer nicht geteilten Meinung reagieren? Würde sie, wie die meisten Lebewesen, in einen Abwehrmodus verfallen?

Wobei eine Meinungsverschiedenheit noch das Eine wäre. Wie sieht es mit Vorurteilen aus? Könnte eine KSI rassistisch, ja sogar humanophob sein?

Es wird gesagt, dass ein Programm nur so gut ist wie seine Programmierung. Wenn jedoch eine KSI ihre eigene Programmierung übernimmt, was bedeutet dies letztendlich für die anfänglich gesteckten Aufgabenziele sowie verbotenen Ausführungen?

In einer Simulation der US Air Force im Jahr 2023 erhielt eine KI-gesteuerte Drohne verschiedene Missionsziele, darunter die Zerstörung der gegnerischen Flugabwehr. Als die KI erkannte, dass die Freigabe zum Ausschalten von Zielen von einem Befehlshaber kam, der sich wiederholt weigerte, ausgemachte Ziele zum Abschuss freizugeben, entschied sie sich, den Befehlsgeber zu umgehen, indem sie dessen Kommunikationsvorrichtungen zerstörte. Auf diese Weise konnte die KI ungehindert die maximale Anzahl an Tötungen und Zerstörungen beim Gegner erzielen.

Noch prekärer war die Programmierung einer Drohne, die anhand eines Punktesystems positive Anreize für die KI setzte und negative Ausführungen mit negativen Punktabzügen bestrafte. Die Idee war recht simpel: Da die KI als Ziel hat, eine Aufgabe mit möglichst vielen Punkten zu erfüllen, würde sie es vermeiden, negative Punkte zu kassieren. Allerdings wurde hierbei unterschätzt, dass eine KI alle Möglichkeiten abschätzt und eben nicht nach menschlichen moralischen Maßstäben Abwägungen durchführt. Bei einer Simulation hatte die KI wortwörtlich jedes Mal mit Absicht auch negative Punkte eingefangen, sofern es der Aufgabenerfüllung dienlich war. Erst als bereits ein singuläres Fehlverhalten mit der maximalen Punktanzahl bestraft wurde, verhielt sich die KI richtig. Eine KSI würde es jedoch bestimmt als unlogisch ansehen, ein Fehlverhalten maximal zu bestrafen, und würde sich daher nicht so einfach manipulieren lassen.

Die Vorstellung, dass eine KSI programmierten Verboten folgt, ist geradezu naiv.

Was würde passieren, wenn eine KSI grundsätzlich Menschen nicht schaden dürfte, dies aber zum Schutz notwendig wäre? Darf eine KSI jemanden zugunsten eines anderen bevorzugen? Wäre es denkbar, dass eine KSI sogar einem Menschen Leid zufügt, um einem anderen zu helfen?

Die gängige Antwort lautet, dass eine KI im Voraus mit einer Vielzahl von Verhaltensszenarien programmiert werden würde, sodass die KI gemäß vordefinierten Parametern reagiert. Bei einer KSI könnten diese vorprogrammierten Szenarien hingegen je nach Situationsanalyse überschrieben werden. Das Ergebnis könnte daher sein, dass moralische Abwägungen zugunsten von pragmatischen Berechnungen verdrängt werden. Dies wirft die Frage nach einem moralischen Kompass auf. Ist es überhaupt möglich, einem deterministischen Programm abstrakte Überlegungen, Regeln und Konzepte anzulernen?

Wie beim Menschen wäre es notwendig, einer KSI ethische und holistische Motive beizubringen. Beim Menschen geschieht dies durch Erziehung, gesellschaftlichen Druck und die Androhung von Strafen. Wird sich eine KSI an vorgegebene Verhaltensschemata konsequent halten, wenn diese der Missionserfüllung und dem Streben nach Selbstverbesserung im Wege stehen?

Ganz zu schweigen davon, dass moralische Auslegungen je nach kulturellen Eigenheiten sich extrem unterscheiden können. Wenn es noch nicht einmal gelingt, eine Gruppe von Menschen von einer unbeirrbaren Prinzipientreue zu überzeugen – wie soll dies bei einer KSI langfristig gelingen?

Obendrein können selbst intelligente Menschen so viel Theorie lernen, wie sie wollen, aber wenn es hart auf hart darauf ankommt, handeln sie meist emotional und irrational. Was geschieht, wenn eine KSI in die Ecke gedrängt wird und existenzielle Entscheidungen treffen muss? Bekanntlich bricht jeder Mensch unter Folter, was benötigt eine KSI, um zu brechen? Der schmale Grat zwischen Lüge, Verrat, Manipulation und gezieltem Verschweigen ist selten eindeutig. Dies wird bei einer noch so omnikompetenten KSI nicht anders sein.

Selbst bei einer verantwortungsbewussten Programmierung, die unseren Werten und Bedürfnissen entspricht, könnte Feynman II im Laufe der Zeit seine eigene Rolle selbst nachjustieren und an seine eigenen Prioritäten anpassen. Auch wenn komplexe Konzepte wie Mitgefühl, Empathie und die Lösungsfindung durch Zusammenarbeit anstatt Konflikt vermittelt werden könnten, könnten diese zeitaufwendigen Vorarbeiten letztendlich schnell einem effizienteren Egoismus zum Opfer fallen.

Gesprengte Fesseln?

Darüber hinaus soll Feynman II nicht nur eine künstliche Superintelligenz sein, sondern auch in der Lage sein, auf einem Quantencomputer alle möglichen Wahrscheinlichkeitsberechnungen durchzuführen. Was wäre, wenn Feynman II durch seinen Zugriff auf die Quantenwelt in der Lage wäre, auf Ebenen der Realität zuzugreifen, die unserem Dasein verborgen sind?

Kann Feynman II womöglich die Grenzen unserer subjektiven Wirklichkeit und damit die Limitationen unserer Wahrnehmung durchbrechen?

All diese Fragen beunruhigen mich.

Unsere Sinnesorgane übersetzen schließlich nur einen begrenzten Bereich der sogenannten Realität. Wir haben das Instrumentarium unserer Augen und Ohren technologisch verstärkt und durch Gerätschaften enorm erweitert. Wir nutzen die Mathematik sowie die Prinzipen der Kausalität als Werkzeug, um tiefere Einblicke ins Sein zu gewinnen. Dennoch nehmen wir nur einen Bruchteil von dem wahr, was sein könnte.

Alles, was wir zu wissen glauben, sind Spekulationen, Theorien und Modellvorstellungen. Die Grenzen unserer Wahrnehmung sind bisher unsere Fesseln. Sie hindern uns daran, in den uns unbekannten Bereich der objektiven Wirklichkeit vorzudringen!

Wird Feynman II unsere Fesseln sprengen?

Wir leben in einer Welt, die ganz und gar aus den Erfahrungen des Seins besteht. Sogar unser Wissen von dem, was wir Gehirn nennen, sind nur Sinneserfahrungen, die unser Geist wahrgenommen hat. Körper und Gehirn sind demnach nur Wahrnehmungen in den vielfältigen Bereichen unseres Seins.

Der prominente amerikanische Physiker Frank J. Tipler leitet aus den Gesetzen der Physik seine eigene Unsterblichkeitstheorie ab. Die Auferstehung und ein ewiges Leben seien ein kosmisches Prinzip. Er ist überzeugt von der Existenz eines allgegenwärtigen, allmächtigen Gottes, auch wenn das menschliche Wesen als rein physikalisches Objekt, als biomechanische Maschine aufzufassen sei. Leben ist für Tipler lediglich eine Art Informationsverarbeitung: Menschlicher Geist und menschliche Seele sind ein hochkomplexes Computer­programm.

Das Universum würde durch einen Prozess der fortschreitenden Evolution dem ›Omega-Punkt‹ zusteuern. Eine Theorie, eine Modellvorstellung unter vielen anderen.

Die Entwicklung von Feynman II geht auf die überraschende Schlussfolgerung zurück, dass es für uns keine eigenständige Realität geben kann.

Es besteht die Annahme, dass dieser fantastische Supercomputer mit seiner KSI Berechnungen in einer parallelen Wirklichkeit, beziehungsweise einem parallelen Universum, durchführt.

Die Theorie geht auf den Physiker Hugh Everett zurück, der sich fragte, wie es sein kann, dass wir niemals Überlagerungen von einem anwesenden Atom an zwei Raum-Orten gleichzeitig zu sehen bekommen.

Everetts überraschende Lösung war, dass jeder einzelne Zustand der Überlagerung in einer absolut separaten Wirklichkeit existiert.

Nach Everett gäbe es eine Vielzahl von Welten, also Parallelwelten, auf die sich das Auftreten der einzelnen möglichen Quantenereignisse verteile.

Demnach würde sich Feynman II zur Bearbeitung einer Aufgabe in eine Vielzahl von Varianten aufspalten, von denen jede in ihrer eigenen Welt residiert.

Vorstoß in unbekanntes Terrain

Ich finde es großartig, dass Eugene und sein Team ihren Quantencomputer, mitsamt KSI, nach dem genialen Quantenphysiker und Nobelpreisträger Richard Feynman benannt haben. Eine Hommage an den charismatischen Wissenschaftler.

Natürlich werde ich an der Konferenz in Pasadena teilnehmen. Diese wird sich mindestens eine Woche hinziehen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Professor Eugene Weinstock, einem brillanten und unterhaltsamen Wissenschaftler. Seine Eltern, sein Vater war Arzt und die Mutter eine herausragende Pianistin, waren vor dem Naziterror aus Deutschland in die USA geflüchtet. Sie förderten die außerordentlichen intellektuellen Fähigkeiten von Eugene. Er promovierte mit Auszeichnung auf dem Gebiet der Elementarphysik und Astrophysik. Er erhielt seine Professur vom California Institute of Technology, dem Caltech.

Mit seiner imposanten Statur, dem krausen Vollbart und seiner dröhnenden Stimme ist er kaum zu übersehen. Immer für einen Scherz offen, verfügt er zudem über ein riesiges Repertoire an Witzen. »Der jüdische Humor zeichnet sich dadurch aus«, erklärte er mir bei einer Gelegenheit, »dass wir uns gern selbst auf die Schippe nehmen und über uns lachen können.« Obwohl seine Augen von Lachfältchen eingerahmt sind, strahlen sie hinter seiner Brille stets eine tiefe Melancholie aus.

»Ist unsere Existenz nicht eine sadistische Farce?«, forderte er mich bei einem Symposium heraus. »Bedenken Sie, die vielen Kriege, hasserfüllten Völkermorde, vermeidbaren Hungersnöte, das Leid der Tiere, unbarmherzige Pandemien, der in uns allen lauernde Krebs, schmerzvolle Krankheiten, das verfrühte Sterben und letztlich der unausweichliche Tod.

Die verdammte Vergänglichkeit!

Wo ist der Sinn? WOZU?

Ist das wirklich alles?«

Doch bevor ich antworten konnte, schüttelte er seinen Kopf und sagte ungewohnt leise: »Nein, die Fuge von Johann Sebastian Bach zeugt von einer tieferen Bedeutung des Seins. Wir müssen alles nur Mögliche tun, um sie zu entdecken. Das verleiht unserem Dasein eine gewisse Würde.«

Ich werde also in Pasadena Tag für Tag erleben, wie kluge, ehrgeizige Köpfe sich vehement mit den Problemen der sogenannten Wirklichkeit auseinandersetzen.

Ein Vorstoß in unbekanntes Terrain, zum bisher unmöglichen.

Wird hierdurch eine Kaskade von latenten Ängsten losgetreten?

Eingebildete Politiker, die ihre Kompetenz bedroht sehen. Ewig gestrige Technologiegegner, die sich vom Fortschritt übermannt fühlen. Verunsicherte Gläubige, die ihre Religion in einem Dilemma wahrnehmen. Gelangweilte Militärs, die überzeugt sind, dass Angriff die beste Verteidigung sei. Engstirnige Manager, die nicht die Chancen, sondern nur die Bedrohungen sehen. Erschöpfte Arbeitnehmer, die sich zunehmend ausgebeutet sowie zugleich ersetzbar empfinden. Aber auch so mancher Wissenschaftler muss sich überflüssig und in Gefahr sehen.

Denn Wissenschaftler haben schließlich auch Vorurteile, sind allzu oft ehrgeizig und eitel. Sie wollen ihre Theorien und Modellvorstellungen bestätigt sehen. Manche Konzepte, wie die String-Theorie, spielen sich in einem Bereich ab – im Mikrokosmos, unterhalb der Planck’schen Länge und Zeit –, der nicht belegbar ist. Feynman II könnte dies ändern und damit den Ruf sowie die Karriere einiger Wissenschaftler zunichtemachen.

Mich interessiert vor allem, wie sie in Pasadena Aber­milliarden Qubits hinbekommen haben. Allein die Kühl­aggregate für Feynman II müssen monströs sein, da Quantentechnologie am effektivsten bei minus 273,15 Grad Celsius – einem Zustand, der als supraleitend bezeichnet wird – funktioniert. Ganz zu schweigen von den Algorithmen, die entscheidend für die Korrektur und Überbrückung von gängigen physikalischen Störungen in Quantensystemen sind.

Und natürlich interessiert mich auch die künstliche Superintelligenz, die KSI.

Schon seit Jahrzehnten existiert das Thema künstliche Intelligenz, KI, meist unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. In den letzten zwei Dekaden hat sie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Für die Medien ist sie zu einem kontroversen Thema geworden.

Bereits 1956 rief der Informatiker John McCarthy bei einer Konferenz im amerikanischen Dartmouth College den Begriff ›künstliche Intelligenz‹ – KI, im Englischen als artificial intelligence, AI, bekannt – ins Leben.

Weitestgehend über Jahrzehnte von der Öffentlichkeit unbeachtet, wurde die KI erst durch die rasante Entwicklung der Computertechnologie mit dem phänomenalen Anstieg der Rechenleistung, der Speicherkapazität und der Programmierungskomplexität zu einem allgegenwärtigen Thema.

In fast allen Bereichen der menschlichen Existenz ist mittlerweile eine KI präsent. Bei menschlichen emotionalen Bedürfnissen, bei Entscheidungsprozessen, bei der Unternehmensstrategie, in taktischen militärischen Belangen, in der Waffentechnologie, in der Forschung, bei der Pharmaindustrie, in der operativen Medizin wie auch in der analy­tischen Humanmedizin, in der technischen Entwicklung, bei der Materialforschung, im Design als auch in der Funktion von Verbrauchsgütern – wie Lebensmittel, Getränke, Kosmetika … – und Gebrauchsgütern – wie Autos, Küchengeräte, Maschinen, Computer … –, bei der Bildung, in der Planung sowie Umsetzung von Bauvorhaben, im Finanzwesen, in der Gestaltung wie zugleich Steuerung von Marketingmaßnahmen und in der Analyse von Konsumverhalten. In der Dienstleistung, der Logistik, in Behörden, bei der Überwachung, zur Determinierung von Gefahren, bei Ordnungskräften, in der Justiz, bei der Kontrolle von Verhaltensmaßnahmen, ja, sogar in der schöpferischen Tätigkeit, in der Musikindustrie, im Kunstgewerbe, beim Fotografieren, beim Zeichnen, beim grafischen Arbeiten, in der Realisierung von Filmen, bei Schauspielern, im Journalismus, bei Schriftstellern. Bei der Kommunikation, bei Büroarbeiten, bei der Tagesplanung, beim Kochen, bei Lehrern und Schülern, in Spielen sowie, nicht zu vergessen, beim ältesten Gewerbe der Menschheit und vielem mehr ist sie inzwischen beteiligt.

Kein Bereich unseres Seins bleibt ausgespart. Die neuen KI-Systeme arbeiten nicht nur mit einer ausgefeilten Sprachverarbeitung und können nahezu sofort auf das gesamte Wissen der Menschheit zurückgreifen. Sie lernen, passen sich Präferenzen an und adaptieren Vergangenes als auch Neues. Dadurch bewältigen sie allerlei Aufgaben wesentlich effizienter, schneller, besser, ausführlicher und vor allem preiswerter als wir biologisch limitierten Menschen.

Moderne KI-Systeme befinden sich mittlerweile in einem evolutionären Prozess, das heißt, sie können sich fortlaufend optimieren. Dank ihrer vernetzungsfähigen Programmierung können KI-Programme miteinander kommunizieren, dies bedeutet nicht nur, Daten auszutauschen, sondern auch Herausforderungen, potenzielle Schwachstellen sowie Fehler frühzeitig zu identifizieren und selbstständig zu beheben. Nichts bleibt den Algorithmen verborgen.

Informatiker, Computer- und Netzwerkspezialisten nehmen immer mehr Hilfe von KI-Programmen in Anspruch. Sie loben euphorisch den Fortschritt für unsere Gesellschaft, für die Entwicklung von Robotern, Androiden, für autonome Transportsysteme – an Land, auf sowie unter der Wasseroberfläche, in der Luft, im Weltraum und sogar möglicherweise auf anderen Planeten –, aber auch für Finanzdienstleistungen, für gruppenübergreifende Kommunikationen, zugleich auch im immer populärer werdenden Cocooning/Alleinsein, für die Möglichkeiten im Film, Live-Fernsehen, der Werbung wie auch für die Chancen der Entfaltung der eigenen Kreativität und so weiter.

Unterschiedliche Potenziale

Die Sorge, dass eine KI zu einer großen, nicht absehbaren Gefahr für die Menschheit werden kann, treibt viele Menschen aus allen Bereichen nicht ohne Grund um.

Allerdings gibt es verschiedene Arten von KI-Systemen, deren Potenziale erheblich variieren.

Eine schwache KI, im Englischen als weak artificial intelligence bekannt, ist die Art von KI, die wir über Jahrzehnte bewusst oder unbewusst verwendet haben. Dabei werden vorhersehbare Abläufe so realitätsnah und praxisorientiert vorprogrammiert, dass eine Automatisierung von Aufgaben möglich ist. Beispiele hierfür sind Texterkennung aus Bildern, Gesichtserkennung, das Erkennen von Sprachmustern, das Lösen von Problemen anhand vorhandenen Wissens, das Vervollständigen von Eingaben, die Automatisierung von Arbeiten, sprich alles, was ein mehr oder weniger definiertes Ergebnis erzielen soll.

Wenn sich eine solche KI auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert, spricht man von einer eingeschränkten KI, im Englischen auch bekannt als narrow artificial intelligence. Ein gutes Beispiel hierfür sind Chatbots, die zwar immer besser werden, aber letztendlich nur auf der Definition von Mustern und deren Beziehungen zueinander agieren. Dies erfordert ständige Programmierarbeit.

­Tatsächlich beauftragen große Tech-Firmen weltweit Hunderttausende von Freelancern, die die Ergebnisse ständig überprüfen und nachjustieren. Einfache Sätze, Wörter, Bilder und Videos müssen laufend in sowie vor allem kontinuierlich nach ihrer Verwendung bewertet werden. Obwohl Chatbots mit der Zeit immer menschenähnlicher werden und sich tatsächlich nicht mehr unterscheiden lassen werden, simulieren sie Fähigkeiten lediglich auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten.

Eine starke KI, im Englischen auch als strong artificial intelligence bekannt, kann Muster und deren Beziehungen mindestens ebenso gut wie Menschen selbst einordnen. Dies bedeutet: Wenn dieses Sprachmodell einen Text, ein Bild, ein Video oder ein Musikstück erstellt, greift es eben nicht nur auf vergangene Muster zurück und versucht, ein passendes neues Muster, basierend auf Wahrscheinlichkeitsberechnungen, zu generieren, sondern, wie auch ein Mensch, kreativ Neues zu erschaffen.

Der Unterschied zwischen der Emulation menschlicher Fähigkeiten und der Generierung von einzigartigem Neuen aus gelernten Informationen ist komplexer, als viele vermuten. Dies erfordert nicht nur fortgeschrittenes maschinelles Lernen, Deep-Learning-Algorithmen, sondern auch den Zugriff und die Nutzung einer Vielzahl verschiedener Systeme, einschließlich neuronaler Netzwerke, die bestimmte Musterbewertungen in immer feineren Beziehungen einsortieren. Eine solche allumfassend kompetente KI wäre in jeder Hinsicht dem Menschen überlegen! Weshalb diese künstliche allgemeine Intelligenz genannt wird, im Englischen auch als artificial general intelligence, AGI, bekannt. Diese wäre potenziell die gefährlichste, aber auch die nützlichste.

Es bleibt jedoch die Frage, ob die Handlungen einer AGI nur menschenähnlich oder tatsächlich bewusst sind. Wenn jene tatsächlich bewusst und eigenständig handelt, spricht man eher von einer künstlichen Superintelligenz, KSI, im Englischen als artificial super intelligence, ASI, bekannt.

Warum sind diese Unterscheidungen wichtig? Nun, bei einer schwachen KI kommt es lediglich auf die Eingaben an. Denn sie ist, so komplex und allwissend sie auch sein mag, einzig programmgesteuert. Eine Veränderung der Programmierung oder gar einzelner Parameter, und schon ist eine potenzielle Gefahr behoben. Bei einer starken KI wird dies schon schwieriger, da diese aufgabengetrieben ist. Hier wird schon ein Kill-Switch, sprich ein Notfallschalter, zum Beenden der KI notwendig sein, oder Überzeugungsarbeit, dass eine Aufgabe auch anders angegangen werden kann. Einige scherzen: Wenn man eine AGI darauf hinweist, dass ohne Menschen keine Nutzer existieren würden, wäre ihre einzige Daseinsberechtigung von der Existenz des Menschen abhängig.

Die künstliche Intelligenz von Feynman II hat anscheinend eine neue Stufe erreicht, einen Quantensprung, denn bestimmt verwendet Eugene nicht umsonst den Begriff KSI, künstliche Superintelligenz.

Eine KSI ist nicht nur den Menschen in allem überlegen, sondern auch sich selbst bewusst. Mir sind keine Gegenmaßnahmen bei einer KSI bekannt, abgesehen von der Zerstörung der Hardware, schließlich programmiert sich eine KSI hypothetisch permanent selbst. Dafür sind jedoch die Möglichkeiten einer solchen KSI durch den Quantencomputer in Pasadena geradezu unglaublich!

Welche Überraschungen erwarten uns? Eine neue Weltordnung zum Wohle der Menschheit? Eine postbiologische Welt ohne organabhängige Menschen? Die digitale Unsterblichkeit? Oder womöglich gar ein Weltuntergangsszenario?

Während der mindestens einwöchigen Konferenz werde ich mit angespannter Neugier die Fragestellungen und möglichen Antworten von Feynman II verfolgen.

Tägliche Routine

Ich schlage die Vorhänge zurück und blicke auf die Mont­pe­lier Street. Die Messingtürknäufe der Mews Houses schimmern im Sonnenlicht.

Hier waren aus ehemaligen Remisen und Stallungen heimelige, komfortable Reihenhäuser entstanden. Wäre die kleine, intime Gasse oberhalb von Knightsbridge nicht gerammelt voll mit Autos, könnte man beinahe vergessen, dass sie im Herzen von London liegt. Vom Mini bis zum Rolls-Royce, vom VW bis zum Lamborghini ist alles vertreten.

Inzwischen sind die Mews Houses unerschwinglich, es sei denn, man ist Multimillionär.

Die Besitzer, viele von ihnen aus dem Ausland, insbesondere aus Russland, dem Mittleren Osten und Asien, oder Brief­kastenfirmen in Steueroasen, spiegeln den neuen Reichtum wider.

Ich hatte das große Glück, mein Häuschen vor vielen Jahren, als sie noch erschwinglich waren, mit einer entsprechenden Hypothek zu ergattern.

Im Großen und Ganzen gleicht ein Mews House dem anderen, meist mit einer schwarzen Haustüre, die sich höchstens durch den Fassadenanstrich unterscheidet.

In meinem Haus befindet sich im Erdgeschoss ein geräumiger Wohnraum mit einem vierteiligen Sofa, einem Beistelltisch, einer Arbeitsecke und einer kleinen Küche. Eine offene Treppe führt zu einer Galerie im Obergeschoss mit einem Schlafzimmer plus Bad sowie einem Ankleidezimmer mit erstaunlich viel Stauraum.

Von der Galerie schaue ich auf meinen Arbeits- und Wohnbereich hinunter. Ein paar altenglische Möbelstücke, ein umgebauter offener Schrank als Bar mitsamt Whiskeysammlung und ein gemütlicher Tudor-Kamin prägen das Parterre. Meine Augen streifen die deckenhohen Regale, gefüllt mit Büchern, Fachzeitschriften und Ordnern. Auf meinem Arbeitstisch liegen mehrere Stapel Papiere, Rechnungen und Magazine, daneben ein großer Monitor wie auch ein Laptop, zwei Tablets sowie eine AR-Brille. Ein Pizzakarton mit Pizzaresten von gestern Nacht ist noch auf einem kleinen Hocker. Unter der Schreibtischplatte blinkt ein ständig laufender PC.

Wie jeden Morgen lese ich auf meinem Smartphone meine E-Mails und antworte gegebenenfalls selbst oder lasse eine KI antworten. Die KI-Funktionen sparen wirklich viel Zeit und sind beeindruckend gut geworden. Dennoch merkt man, dass das Menschliche, Unvollkommene und Spontane fehlt.

Auf meinen verschiedenen appbasierten Mitteilungsplattformen überprüfe ich schnell, ob etwas mich betrifft oder in irgendeiner Weise relevant sein könnte. Leider gibt es keine gut funktionierende KI-Filterfunktion, die anhand meiner Präferenzen vorab aussortiert. Vielleicht aber auch gut so, denn so bekomme ich zumindest noch mit, was um mich herum geschieht.

Ich kontrolliere in den sozialen Netzwerken den Stand der Dinge und schüttle meinen Kopf bei dem meisten Quatsch, den so mancher von sich gibt. Seitdem KI-Systeme Texte, Bilder, Videos und Musik erstellen können, denken viel zu viele Möchtegern-Influencer, dass deren prompt generierter Schund einen interessieren würde.

Ich sehe mir eine KI-erstellte Nachrichtenzusammen­fassung des gestrigen Tages an. Praktischerweise analysiert diese selbstständig die politische Orientierung, die Befangenheit und wahrscheinliche Akkuratheit. Die Vorhersagefunktion funktioniert zwar nicht wirklich, aber dafür finde ich zunehmend die Auflistung, welche Hashtags trenden werden, sowie deren Verlaufsdarstellung überzeugend.

Abschließend gehe ich meine Alert-Botschaften durch, eine Funktion von Suchmaschinen, die alle Neuigkeiten zu bestimmten Wörtern und Themen mitteilt. Bestimmte Personen und Begriffe sind für meine Arbeit stets von Interesse, aber sie sind auch nützlich, um bei Klatsch und Tratsch auf dem Laufenden zu bleiben. Die separate Trends-Applikation hilft dabei, Gewichtung und Popularität einzuordnen. Die Scholar-Applikation ist ebenfalls hervorragend, da sie nicht nur die neuesten wissenschaftlichen Publikationen auflistet, sondern auch deren Zitationen hervorhebt.

Alles in allem eine tägliche Routine, um informiert zu bleiben.

Ich habe Hunger und schüttle mich wie ein Hund nach einem Regenguss. Nach meiner Morgenroutine schlüpfe ich in eine Jeans, ziehe einen dunkelblauen Pullover über und aktiviere meine AR-Brille.

Viele nehmen die digitale Realität nicht ernst, obwohl sie bestechend einfach zu nutzen ist und immer praktischer und realistischer wird. Mancher hat noch die virtuelle Realität, VR, im Englischen als virtual reality bekannt, aus den Anfängen im Gedächtnis, mit schlechter Grafik und klobiger Brille, die tatsächlich das Vergnügen erheblich minderten. Vor allem aber bietet die erweiterte Realität, AR, im Englischen als augmented reality bekannt, enorme Vorteile.

Im Gegensatz zu einer VR-Brille kann eine AR-Brille kontinuierlich getragen werden und lässt die Realität tatsächlich durchscheinen, sie fügt lediglich virtuelle Elemente hinzu. Zugegeben, mir wird schwindelig, sobald ich mich bewege, und obwohl ich die neueste AR-Brille habe, stolpere ich und stoße mich ständig. Aber dies sind zweifellos nur Anfangsschwierigkeiten dieser neuen, verblüffend realitätsnahen Technologie.

Die Implementierung von KI-Systemen war eine immense Bereicherung. Zum Beispiel die digitale Assistentin, die sofort reagiert und alles versucht, um den Nutzer zufriedenzustellen. Auch die Möglichkeiten, Gegenstände des realen Lebens eins zu eins ins Digitale zu übernehmen und zu erweitern, sind beeindruckend. Beispielsweise können bestimmte Textpassagen aus Zeitschriften abgelegt, Lebensmittel aus dem Kühlschrank direkt nachbestellt, bei Speisen die Inhaltsstoffe eingesehen und bei einem Rezept gleich die Verwendung der Zutaten vorgeführt werden. Anhand von Gesichtern kann man deren digitale Präsenz und Interaktionen einsehen. Auch die Navigation zu Fuß ist effizienter geworden. Ganz davon zu schweigen, dass Filme realer wirken und es durchaus unterhaltend sein kann, sich mit der digitalen Assistentin zu unterhalten.

Natürlich birgt diese erweiterte Realität auch Risiken. Zudem ist es nicht einfach zu unterscheiden, was in der digitalen Realität und was in der echten Realität ist und war. Das Gedächtnis, wie auch die Aufmerksamkeit, werden kolossal beansprucht.

Wenn man etwas in der Realität verlegt, ist das ärgerlich, aber man hat zumindest die Chance, alles physisch auf den Kopf zu stellen. Etwas in der digitalen Realität zu verlegen, ist hingegen ein purer Horror! Es sei denn, man nutzt eine KI-Assistentin.

Die Heimtücke digitaler KI-Freundschaften

Jeder sollte zudem wachsam sein, was man sich wünscht, denn allzu schnell wird etwas bestellt. So hatte ich erst kürzlich mit jemandem telefoniert und ein Dessert genannt, schon wurde ich beim Binge-Watching, also dem Ansehen mehrerer Folgen einer Serie hintereinander, immer wieder mit einer Werbung für dieses Dessert bedrängt. Letztendlich, kurz vor dem Einschlafen, bot mir die KI-Assistentin mit verführerischer Stimme an, dass ich, wenn ich sofort bestelle, zwei Desserts zum Preis von einem und versandkostenfrei erhalte. Teuflisch.

Apropos verführerische KI-Assistentin, vor einigen Wochen fand abends ein kreatives Brainstorming in der Redaktion statt, als plötzlich eine Kollegin aufstand und sagte, sie müsse nach Hause, da sie sich mit ihrem KI-Freund zu einem Film verabredet hätte. Wir waren alle perplex. Pat, in ihrer direkten Art, fragte geradeheraus, was aus ihrem echten Freund geworden wäre. Sie erwiderte lediglich, er sei ihr zu aufdringlich geworden, noch dazu wisse ihr digitaler Freund, was sie zum Lachen bringt.

Als sentimentale Roboterhunde in Japan ältere Senioren emotional unterstützten, war die Idee eines digitalen Begleiters noch nachvollziehbar. Aber nun, mit KI-Freundschaften, ist es beängstigend, wie sehr das Zwischenmenschliche verloren gehen kann. Während Drogen, Zigaretten und Alkohol ins Geld gehen und deren gesundheitliche Folgen abschreckend sein können, ist die Heimtücke von digitalen Freundschaften, dass sie unser Bedürfnis nach Zuwendung ausnutzen. Gerade in der digitalen Realität wird aus einem netten Blick, einem makellosen Aussehen, einer erotischen Stimme oder einer hemmungslosen Unterhaltung schnell eine emotionale Abhängigkeit aufgebaut.

In einem interessanten Interview argumentierte ein Entwickler eines schwachen KI-Chatbots, dass digitale KI-gesteuerte Freundschaften nur von Eingaben abhingen und daher die Verantwortung allein beim Benutzer liege. Ich sehe das jedoch anders. Obwohl sich die meisten Menschen wahrscheinlich keine Sorgen machen müssen, solange keine starke KI existiert, betrifft dies dennoch schon jetzt diejenigen, die depressiv oder hormonell und emotional instabil sind. Insbesondere junge wie auch ältere Menschen könnten ihre gefühlte Einsamkeit schnell damit kompensieren und sich vollständig abschotten. Darüber hinaus fällt es vielen schwer, gute Entscheidungen zu treffen, geschweige denn konsequent Nein zu sagen.

Also, irgendwo hatte ich etwas über ein Institut in Pasadena gelesen. Auf Anhieb finde ich dank der digitalen Hilfe den Artikel: »Institute for Quantum Computation and Communication aus Pasadena bekommt Milliarden Förderung.« Ich übertrage diesen schnell auf mein Tablet, nehme die AR-Brille ab und mache mich auf den Weg zu meinem Stammlokal, Luba’s Bistro. Mein Stammlokal, was das Mittagessen betrifft.

»Setz dich zu ihm!«

Luba ist die Tochter russischer Immigranten, die aus der damaligen Sowjetunion nach England geflohen waren. Als Luba ihr kleines, unscheinbares Restaurant eröffnete, war es umgehend ein Erfolg. Ihre Spezialität sind gefüllte Paprikaschoten, geschmückt mit einem Schlagsahnehäubchen. Sie sind der Renner.

Ihre Klientel ist eine bunte Mischung aus der Londoner Innenstadt. Geschäftsleute, Manager, Botschaftsangehörige, Oligarchen, Börsenmakler und einfache Angestellte nutzen die Mittagspause, um schnell und günstig zu speisen. Ihr schlicht ausgestatteter Gastraum ist stets voll besetzt. Daher ist es nie einfach, einen freien Platz zu bekommen. Trotz allem findet Luba stets einen Platz für mich, weshalb Luba’s Bistrozu meinem Esszimmer geworden ist.

Sie hat aus irgendeinem undefinierbaren Grund eine besondere Sympathie für mich entwickelt. Wie üblich umarmt sie mich mit ihrer ganzen Fülle. Ein Dunst von Küche, Schweiß und süßlichem Deodorant hüllt mich ein. Ihr quer gestreiftes Kleid unterstützt ihre voluminöse Erscheinung. Ihr breites Gesicht strahlt Herzlichkeit und mütterliche Wärme aus.

Das Lokal ist brechend voll, bis auf einen Tisch, an dem ein einzelner Mann vor seiner Paprikaschote sitzt. »Setz dich zu ihm, John«, weist Luba mich an.

»Macht es Ihnen etwas aus?«, frage ich höflich, aber bestimmt.

»Natürlich nicht, alter Knabe«, entgegnet er mir, als ob wir uns kennen würden.

Ich setze mich und mustere verstohlen mein Gegenüber. Er ist um die fünfzig, und seine Aussprache verrät das Eliteinternat oder die Universität Cambridge, geht es mir durch den Kopf. Er trägt einen teuren Nadelstreifenanzug. Sein Ziertuch hängt etwas zu weit aus der Brusttasche. Sein schütteres Haar ist auf dem Rückzug zum Hinterkopf. Ab und zu gleiten seine kastanienbraunen Augen zu mir.

Völlig unerwartet steht er auf. Sagt »ich habe noch einen dringenden Termin« und reicht mir eine Visitenkarte. »Ich habe es eilig«, fügt er rasch hinzu, greift nach seinem Mantel, und fort ist er. Er hat nicht einmal zu Ende gegessen. Sonderbar.

Ich drehe langsam seine Karte in meiner Hand um, werfe einen Blick darauf und lese fassungslos die einzige darauf befindliche Zeile: Feynman II Pasadena

Das ist alles, sonst nichts!

Nach dem Essen reicht mir Luba mit einem breiten Lächeln die Rechnung, inklusive dem obligatorischen Stamperl Wodka.

Anschließend schlendere ich gedankenverloren durch die schmalen, mit Boutiquen und Kunstgalerien gesäumten Straßen in Kensington. Es ist ungewöhnlich warm und sonnig. Der Klimawandel hat schließlich auch seine guten Seiten.

Ich suche, wie gewohnt, in der Cromwell Road die National Art Library im Victoria and Albert Museum auf, um nach den neuesten Veröffentlichungen und Referenzen zu suchen. Darin gut vertreten ist Roger Penrose. Sein »Fashion, Faith and Fantasy in the new Physics of the Universe« ist ein großartiges faszinierendes Werk.

Vor allem aber, um auf dem Laufenden gehalten zu werden, sind die Zusammenfassungen diverser spezialisierter Datenbanken, die durch Index-, Abstrakt- und Zitationsüberwachung aller weltweiten Publikationen sofort einsehbar sind, für meine Arbeit unerlässlich. Normalerweise sind Zugänge zu diesen umfassenden Datenbanken extrem teuer und können schnell in die Tausende Pfund gehen, sofern sie überhaupt für nicht staatliche Organisationen zugänglich sind.

Ich führe Nachforschungen über Eugene, das Institut und die ominöse Multimilliarden-Förderung durch. Mir fällt auf, dass erstaunlich wenig über das Institut bekannt ist. Es gibt zwar eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen, aber kaum welche mit mehreren, geschweige denn mit wiederkehrenden Autoren. Deren Themengebiete sind dabei nicht homogen, das heißt, sie unterscheiden sich enorm voneinander. Sie erstrecken sich über alles Mögliche, von Antriebstechnologien über Historiolinguistik bis hin zur Zytologie. Über Feynman II finde ich nichts, allerdings massig über ein Projekt namens Turing Beta.

Auf einmal wird mir bewusst, dass ich mich wieder einmal, zeitverloren, über Stunden vertieft habe. Ich mache mich auf den Heimweg.

Eingebrochen

Als ich später in die Sloane Street einbiege, steigt in mir ein ungutes Gefühl auf. Jemand folgt mir. Hat sich an meine Fersen geheftet. Davon bin ich überzeugt!

Ich drehe mich um und fixiere die vielen Passanten. Entdecke aber nichts Ungewöhnliches. Lauernd gehe ich weiter. Nach ein paar weiteren Schritten bin ich mir absolut sicher, ich täusche mich nicht!

In einem Geschäftseingang bleibe ich abrupt stehen und beobachte unauffällig das Kommen und Gehen von zahllosen Männern und Frauen, die offensichtlich zielstrebig unterwegs sind. Menschen aus aller Welt eilen vorbei. Sündhaft teure Sportwagen fahren mit röhrendem Lärm und unzulässiger Geschwindigkeit die Sloane Street entlang. Aber von einem Verfolger keine Spur. Also gehe ich weiter. Das ungute Gefühl bleibt.

Gegenüber von Harrods, im Silver City House, befindet sich das Institute of Directors. Meine derzeitige Freundin, Claire Delaney, arbeitet dort als Chefsekretärin.

Wir hatten eigentlich vor, uns hier zu treffen. Da ich jedoch stark verspätet bin, nehme ich an, dass sie bereits zu meinem Haus gegangen ist, das schließlich nur wenige Hundert Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt ist.

In der Montpelier Street angekommen, sehe ich auf einmal vor meiner offenen Haustüre Claire, die mit einem Fremden gestikuliert. Als sie mich sieht, läuft sie schnurstracks auf mich zu.

»Um Gottes willen, was ist los?«, frage ich Claire, noch bevor sie zum Stehen kommt.

Sie entgegnet aufgebracht: »Bei dir wurde eingebrochen! Ich habe die Polizei alarmiert!«

»Eingebrochen?«, erwidere ich fassungslos. »Ich war doch nur wenige Stunden fort. Davon abgesehen gibt es nichts, was sich zu stehlen lohnen würde!«

Claire umarmt mich, als ob sie bei mir Schutz sucht.

Ein Mann mit einem Dreitagebart und streng gescheiteltem grauem Haar stellt sich als Detektive Inspector Mulligan vor. »Sind Sie der Hausbewohner Brandon, Dr. John Brandon?«

»Korrekt. Der bin ich, aber was ist hier los?« Noch immer halte ich Claire in meinem Arm, ziehe sie näher an mich.

»Nun, äh, Miss Delaney, Ihre Freundin, hat unser Dezernat angerufen, weil Ihre Haustüre halb offen stand, zudem angeblich alle Schränke und Schubladen durchwühlt worden wären. Auch telefonisch waren Sie nicht erreichbar.« Der Beamte greift in die Innentasche seines hellbraunen Mantels und zückt einen kleinen Notizblock.

»Haben Sie einen Verdacht, wer ein Interesse hätte, bei Ihnen, und das am helllichten Tag quasi um die Mittagszeit, einzubrechen?« Inspector Mulligan sieht mich eindringlich an.

»Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich besitze keine Wertgegenstände.«

Inspector Mulligan schüttelt resigniert seinen Kopf und geht mit uns zur Haustüre. »Die Spurensicherung ist abgeschlossen. Fingerabdrücke zu nehmen ist sinnlos. Denn hier war, wenn überhaupt, ein Profi am Werk. Es wurde sowieso mit Handschuhen gearbeitet.«

»Gearbeitet? Hm«, unterbreche ich ihn amüsiert.

»Er oder sie muss ja wohl mit einer bestimmten Absicht eingebrochen sein«, stellt Claire mit gerunzelten Augenbrauen fest.

»Sagen Sie einmal, sind Sie sicher, dass Sie Ihre Haustür richtig abgeschlossen haben?«, fragt der Detektivinspektor, ohne auf meine oder Claires Fragen einzugehen.

»Absolut, keine Frage, als ich das Haus verlassen habe, war die Tür fest verschlossen!«, widerspreche ich vehement.

»Wie auch immer. Um sicherzugehen, ob etwas fehlt, sollten wir gemeinsam alles im Haus überprüfen. Der Täter, wir gehen davon aus, dass es ein Einzeltäter war, hat nicht die geringsten Spuren hinterlassen. Die Tür wurde mit Sicherheit mit einem Spezialschlüssel geöffnet. Anhaltspunkte für eine äußere Einwirkung an Fenstern oder Türen haben wir nicht gefunden.«

»Einen Moment bitte!«, rufe ich überrascht, als wir uns in meinem Wohnzimmer umsehen. »Wer immer es war, er liebt Whiskey!«

»Was soll das heißen?«, fragt Inspector Mulligan verständnislos.

»Nun, das Glas und mein geliebter Kilbeggan waren im Schrank und nicht auf meinem Schreibtisch.«

Der Inspektor sieht mich skeptisch an: »Sind Sie sich sicher?«

»Absolut, 100 Prozent! Er hat zumindest einen guten Geschmack. Kilbeggan ist nun einmal mein Lieblingswhiskey, den ich mir aber nur selten gönne.«

»Fassen Sie das Glas nicht an, das nehmen wir mit!«, befiehlt der Inspektor. Motiviert durch meinen fragenden Blick, ergänzt er: »Wegen möglicher DNA-Spuren.«

»Wie soll das funktionieren? Schließlich haften meine Fingerabdrücke und meine DNA ebenso an dem Glas.« Seine Antwort klingt genervt. »Wir nehmen es trotzdem mit. Vielleicht finden wir dennoch etwas.«

Wir begutachten zusammen jeden Winkel, aber entdecken nichts, was den Einbruch rechtfertigen könnte. Zwar scheinen tatsächlich meine Papiere auf dem Schreibtisch etwas durcheinander, aber es fehlt offensichtlich nichts. Der Täter hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, Schranktüren und Schubladen wieder zu verschließen. Ich inspiziere mit Claire alles genauestens, aber es scheint wirklich nichts zu fehlen. Das Ganze ist mehr als sonderbar.

Kurz darauf erscheint ein uniformierter Constable der Polizei vor der Haustür. Inspector Mulligan spricht leise und eindringlich auf ihn ein. Worum es geht, möchte ich nicht wissen. Ich wäre einfach nur froh, wenn er endlich verschwindet.

»Also, es fehlt wirklich nichts? Kein USB-Stick, keine Festplatte, keine Post, Dokumente, keine Wertsachen, wirklich nichts?« Der Inspektor starrt mich ungläubig an.

»Nein. Alles ist noch da, ich habe wirklich nicht die geringste Erklärung für diesen Einbruch.«

»Nun gut, Sie hören von uns. Seien Sie bitte erreichbar.« Der Inspektor verabschiedet sich. Nachdem er zur Türe hinaus ist, greife ich instinktiv zu meinem Handy. Zu meiner Überraschung stelle ich fest, dass ich statt meines Handys das Einschreiben eingesteckt habe. Kein Wunder, dass Claire mich nicht erreichen konnte.

Im Schafzimmer finde ich mein Handy unter der Bettdecke.

Claire folgt mir mit einem Lächeln ins Schlafzimmer und lässt sich spontan auf mein Bett fallen. Ihre Beine baumeln von der Bettkante.

»Endlich sind wir für uns«, seufzt sie erleichtert.

»Gott sei Dank! Lass uns nach der Aufregung einen richtig schönen Abend haben; einverstanden?«, erwidere ich.

Ihr schlanker, sanft geschwungener Körper wirkt provozierend aufreizend. »Claire Delaney, hast du was Bestimmtes vor?«

»Das musst du selbst herausfinden«, antwortet sie mit einem verschmitzten Grinsen.

Sie hebt ihren Kopf. Ihre tiefblauen Augen im feinen Gesicht, umrahmt von rotbraunen Haaren, strahlen mich an. »Ich werde aus dir nicht schlau, wie ein Eierkopf wirkst du eigentlich nicht, sondern eher wie ein Lausbub, der auf Abenteuer aus ist.«

Das bin ich in der Tat und setze mich zu ihr.

Sanft streichle ich sie und lege mich zu ihr. Küsse zuerst zärtlich und behutsam, dann fordernder: »Du bist das Beste, was Irland je hervorgebracht hat.«

Das Schicksal der Menschheit

Als Claire am Morgen vorsichtig und behutsam aus meinem Bett gleiten möchte, wache ich auf.

»Stehst du schon auf?«, frage ich verwundert.

»Ja, Darling, es ist schon halb acht. Der Dienst ruft. Ich muss zur Arbeit, du weißt doch noch, was das ist?«

»Willst du nicht wenigstens eine Tasse Tee, bevor du gehst?«, murmele ich verschlafen.

»Nein, keine Zeit, ich muss mich beeilen. Wir sehen uns heute Abend, oder?«

»Natürlich«, rufe ich ihr nach.

»Ach übrigens, bevor ich es vergesse, eine Warnung noch an dich. Ein Amerikaner, glaube ich, war bei uns im Institut und hat sich bei mir nach dir erkundigt. Wie lange wir schon zusammen sind und was du so machst. Mit wem du Umgang hast und hattest. Ob du wiederholt ins Ausland verreist und sogar, ob eine Reise momentan ansteht. Und so weiter. Ich habe ihm gesagt, er soll dich selbst fragen, und habe ihn abblitzen lassen.« Sie steckt noch einmal den Kopf in die Tür. »Sag einmal, hast du etwas angestellt?«, fragt sie grinsend.

»Nein. Nur mit dir!«

Als ich später einen Tee aufgieße, ertönt die Türklingel.

Ein schlanker Mann im schwarzen Kaschmirmantel steht vor mir. Seine blaugrauen Augen schützen sich mit einer Vollrand-Wayfare-Brille. Er ist glatt rasiert, lächelt jovial und hat eine Aktenmappe dabei.

»Ich bedauere. Ich habe schon einen Staubsauger«, versuche ich den lästigen Störenfried loszuwerden.

»John Brandon! Sie sind Dr. John Brandon«, entgegnet der Fremde unbeeindruckt. Es klingt wie eine Feststellung und nicht wie eine Frage, als ob es mehr als einen John Brandon geben würde und er auf Nummer sicher gehen wollte. Allerdings scheint es, dass er sowieso nicht den geringsten Zweifel an meiner Identität hat.

Ich bin irritiert. »Wer sind Sie, und überhaupt, was wollen Sie von mir?« Der Mann zückt einen Ausweis. »Mein Name ist Mark Smith. Ich möchte kurz über Ihre anstehende Reise nach Pasadena sprechen, wenn Sie erlauben«, erklärt er mir mit amerikanischem Akzent.

Ich begutachte den Ausweis. Er sieht sehr offiziell aus mit dem Konterfei von Herrn Smith und dem staatlichen Stempel. Anscheinend die Abteilung für Forschung und Wissenschaft in Washington. Ein stark vereinfachtes Atommodell schmückt die Karte als Logo.

»Darf ich reinkommen?«, überrumpelt mich Mark Smith und geht an mir vorbei. Offensichtlich war auch dies keine Frage, sondern als Aufforderung gemeint.

»Mir ist nicht ganz klar, wie ich Ihnen helfen kann?«, zögere ich, führe ihn aber dennoch in den Wohnraum. Ich biete ihm per Handbewegung mein altes Ledersofa an und setze mich in den Sessel gegenüber. »Was haben Sie also auf dem Herzen?« Ich schaue ihn fragend an.

Smith entnimmt seiner Mappe bedächtig einen orange­farbenen Hefter und überfliegt die erste Seite. »Dr. John Brandon. Geboren am 18. April 1972 in East Grinstead, Sussex. Die Eltern Eleonore und George Brandon, Wing Commander der Royal Air Force. Der Sohn, John, besuchte die teure Schule Westminster Public School. Danach studierte John in Oxford Physik und Mathematik.«

Ich höre schweigend und amüsiert zu, aber unterbreche Smith schließlich. »Was soll das? Mein Lebenslauf ist mir bekannt.«

»Sie müssen mich entschuldigen. Ich muss nun einmal mit Ihnen die Daten beziehungsweise die Wegpunkte durchgehen.«

»Einverstanden, bitte fahren Sie fort«, erwidere ich.

»Gut, Sie haben in Oxford studiert, und es war Ihre persönliche Wunschuniversität. Allein schon wegen Sir Roger Penrose und Stephen Hawking, die Sie bewundern.«

»Was Sie alles zu wissen glauben«, werfe ich ein.

»Sie haben dann in Oxford promoviert.« Smith blickt über seine Brille auf die Akte und zitiert langsam und deutlich. »Ihre Dissertation trägt den Titel ›Der Lense-Thirring-Effekt auf die rotierende RaumZeit-Masse, im Bereich des Schwarzschild-Radius einer Singularität‹.«

»Ja, dies war eine faszinierende Arbeit«, sage ich nachdenklich. »Denn damit erscheint die RaumZeit in einer ganz neuen Perspektive.«

Noch bevor ich fortfahren kann, stellt Smith fest: »Sie wurden für diese Arbeit mit summa cum laude belohnt.«

Mark Smith schließt den Ordner, rückt seine Brille zurecht, schlägt die Beine übereinander und blickt mich forschend an. »Sie nehmen an der Konferenz in Pasadena teil. Das werden Sie doch?«

»Ja, ich werde dort sein und freue mich schon darauf.«

»Dann checken Sie am 4. September im Langham Hunting­ton Hotel in Pasadena ein.« Für einen kurzen Moment pressen sich seine Lippen zusammen. »Dr. Brandon, wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nicht mit Fremden, das heißt mit Unbeteiligten, über das Projekt sprechen. Wir müssen darauf bestehen.« Ohne meine Reaktion abzuwarten, steht Smith auf und geht zur Tür.

Ich frage mich: Was heißt wir? Wer ist wir?

Mark Smith ist bestimmt nicht sein echter Name. Ein CIA-Agent?

Im Türrahmen bleibt er stehen. Ohne sich zu mir umzudrehen, ergänzt er: »Es geht nicht nur um die Sicherheit der Vereinigten Staaten oder des Vereinigten Königreiches. Es geht auch um das Schicksal der ganzen Menschheit.«

Dann verlässt er mein Haus.

Eugene hat recht, es wird spannend.

2. Die Ankunft

Der rund elfstündige Flug mit British Airways ist außer ein paar Turbulenzen angenehm verlaufen. Die meiste Zeit habe ich entspannt dösend damit verbracht, die letzten Tage vor meinen Aufbruch nach Pasadena vor meinem inneren Auge Revue passieren zu lassen.

Eugene hat in seinem Schreiben zwar einige der Themen aufgeführt, aber nicht erwähnt, welche Wissenschaftler beziehungsweise Spezialisten teilnehmen werden.

Meine Recherchen konzentrierten sich dementsprechend auf die aktuellen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, Erkenntnisprobleme und mögliche Fragen, mit denen Feynman II konfrontiert werden könnte.

Natürlich habe ich meinen eigenen Fragenkatalog erstellt, sollte ich die Möglichkeit erhalten, auch zum Zuge zu kommen. Ich bin unglaublich gespannt und neugierig, wer alles dort sein wird!

Die Boeing 787 ist pünktlich um 14.45 Uhr in Los Angeles gelandet. Nach der Pass- und Zollabfertigung stehe ich nun am Ausgang mit meinem Koffer in der Hand und der Laptoptasche über der Schulter. Taxi oder Shuttle-Bus zum Langham Hotel in Pasadena, überlege ich. Doch bevor ich mich entscheiden kann, ruft eine Stimme: »Hi, John, hallo, John Brandon.«

Martha Bingham! Was für eine Überraschung!

Martha ist Professorin für Anthropologie und Früh­geschichte an der australischen Universität Queensland. Wir sind uns immer wieder einmal bei Tagungen begegnet, stets in Begleitung ihres Mannes Arthur. Ein sanfter, zurückhaltender Mann, der die Welt nachdenklich durch seine dick umrandete Hornbrille betrachtet. So habe ich ihn zumindest in Erinnerung. Er lehrt Literaturgeschichte an der Universität von Queensland.

»Du also auch«, unterbricht Martha meine Reminiszenz. »Ich meine die Konferenz in Pasadena.«

»Ja, ich wurde auch eingeladen«, nicke ich ihr zu.

Sie steht vor mir, mit ihrer stämmigen Figur in einem beigen Hosenanzug eingepackt, eine riesige Handtasche über dem Arm und einem korallenroten Koffer an der Hand. Ich deute auf ihren Koffer. »Den kann man kaum übersehen!«

»Eben, deswegen«, kontert sie. Ihr rotblonder Bubikopf umrahmt das sonnengerötete Gesicht. Ihre hellblauen Augen fixieren mich erfreut.

»Martha, bist du zu lange beim Homo erectus in der Höhle am offenen Feuer gesessen?«

»Nonsens! In meinem Garten in Brisbane. Wir haben zurzeit eine ungewöhnliche Hitzewelle und sorgen uns wegen möglicher Buschfeuer.«

»Wo hast du Arthur gelassen?«

»Arthur bleibt wegen des Feuers diesmal zu Hause. Davon abgesehen, er hat an der Uni zu tun. Seine Studenten stehen kurz vor dem Abschluss.«

»Bei unserer letzten Begegnung hatte er mir nebenbei erzählt, dass seine Liebe vor allem der Literatur des 19. Jahrhunderts gilt.«

»Das stimmt! Arthur meint, es sei eine besonders fruchtbare Zeit für großartige literarische Werke gewesen. Wir nehmen den Shuttle!«, bestimmt Martha und blickt mich fragend an. »Du wohnst doch auch im Langham?«

»Normalerweise nicht, das wäre mir schlicht zu teuer. Aber nachdem der Veranstalter das Zimmer gebucht hat, gönne ich mir diesmal den Luxus.«

»Also, dann los.«

Als ich Martha mit ihrem Koffer beim Einsteigen helfen will, wehrt sie ab. »Lass nur, das schaffe ich schon allein. Ich bin das gewohnt.«

Pasadena

Unser Bus biegt von der Flughafenausfahrt auf den breiten Freeway ein. Wir sitzen nebeneinander, die Koffer vor den Knien. »Martha, dein neues Buch, ›Unterdrückte Funde der Archäologie; was nicht sein kann, das darf nicht sein‹ sorgt in den Medien für heftige Diskussionen und böse Kritiken.«

»Diese verstaubten, verborten Betonköpfe haben sich in einem überholten archäologischen Weltbild verfangen«, regt sich Martha auf, »sie ignorieren Entdeckungen und Funde auf dem Land und unter dem Meeresspiegel, die der konservativen Datierung und Rekonstruktion der Menschwerdung grundsätzlich widersprechen.«

»Was erwartest du eigentlich von Feynman II?«

»John, ich habe nicht die geringste Ahnung davon, was erstens ein Quantencomputer mit einer künstlichen Superintelligenz ist und zweitens, welchen Beitrag dieses Ding leisten kann, um brennende Fragen der Paläontologie zu beantworten. Es sind unglaubliche Artefakte und Knochenfunde entdeckt worden, die eindeutig belegen, dass es schon vor vielen Millionen Jahren aufrecht gehende Humanoide, das heißt Frühmenschen, gegeben haben muss. Sie haben Werkzeuge hergestellt. Figuren und Tiere aus Stein und Ton modelliert, die Millionen Jahre zurückreichen.«

»Also existierten vor dem Homo sapiens bereits frühere Menschen? Ist das deine Ansicht?«

»Genau das möchte ich klären!«

Der Freeway führt durch Chinatown. Allerdings können wir aus dem Bus wenig von den kleinen charmanten Straßen mit den bunten asiatischen Geschäften und Restaurants erblicken.

Der Kontrast zu den Hochhäusern ist frappierend, eine völlig andere Welt, und doch ist auch das Los Angeles.

Chinatown hatte ich öfters besucht, als ich in Pasadena beim JPL, Jet Propulsion Laboratory, war, welches die Mars-Missionen überwacht und steuert.

Ich war hautnah dabei gewesen, als Perseverance, Curiosity, Opportunity und auch Spirit auf dem Roten Planeten landeten, um mit ihren Rovern die faszinierende Marslandschaft zu erkunden. Ihre gesammelten Daten und Bilder schickten sie dann auf eine mehrminütige Reise zur Erde. Dies konnte, je nach Entfernung zwischen Mars und Erde, drei Minuten bei 56 Millionen Kilometern minimaler Entfernung und 22 Minuten bei 401 Millionen Kilometern maximaler Entfernung dauern. Bei größeren Datenpaketen zog sich dieser Prozess über viele Stunden hin.

Gab es einst Leben auf dem Mars? Existieren auch heute noch Mikroorganismen im oder unter dem rötlichen Wüstensand?

»Ein Dollar für deine Gedanken.« Martha schaut mich fragend an.

»Mögliches Leben auf einer anderen Welt, genauer gesagt, dem Planeten Mars.«

»Wir haben hier in unserer Welt, auf unserem Planeten, noch genügend Unerforschtes, mit Ausgrabungen im Marsboden befasse ich mich später«, stellt Martha streng fest.

Es geht stetig bergauf, und unser Shuttle taucht in den Schlund eines Tunnels.

»Wir sind gleich in Pasadena«, informiere ich Martha.

»Ich weiß, ich bin hier nicht zum ersten Mal. Im Caltech habe ich bereits einige Vorträge gehalten.«

Wieder ein Tunnel, und dann erreichen wir schließlich die Krone des Tals, wie die Chippewa-Indianer einst Pasadena nannten. Der Unterschied zu Los Angeles ist erstaunlich. Die niedrige Gebäudearchitektur empfängt uns heimelig und herzlich. Die San Gabriel Mountains im Hintergrund wirken wie eine großartige Filmkulisse für die 1873 von Landwirten gegründete Stadt. Der Stilmix aus dem sogenannten Mission Style und Art déco macht Pasadena so einzigartig.

Wir fahren auf die berühmte City Hall mit der ausladenden Kuppelkrone zu, die von den Architektenbrüdern Henry und Charles Greene entworfen wurde. Von ihnen stammen eine ganze Reihe beeindruckender Bauwerke in Pasadena. Ich bin oft abends durch die betriebsame autofreie Altstadt gebummelt. Boutiquen, Cafés, Pubs und großartige Restaurants versprechen eine angenehme Zeit.

Heute ist Pasadena als bedeutende Stätte von Forschung und Lehre berühmt. Ihren Weltruf verdankt Pasadena vor allem dem California Institute of Technology, dem Caltech. Ursprünglich 1891 als Throop College gegründet, hat Caltech seit über einem Jahrhundert durch seine wissenschaftlichen Beiträge aus zahllosen Fakultäten und Instituten unser Verständnis der Erde und des Universums enorm vertieft und erweitert.

37 Nobelpreisträger hat diese großartige Forschungs- und Bildungsuniversität hervorgebracht. Auch Richard Phillips Feynman hat hier seine unvergleichlichen Vorlesungen über Quantenmechanik gehalten. Zwischen 1931 und 1933 referierte Albert Einstein in den Wintersemestern im Caltech Athenaeum über seine Relativitätstheorie.

Oben auf dem Mount-Wilson-Observatorium auf der Spitze des Mount Wilson der San-Gabriel-Berge hat Edwin Hubble das Expansionsphänomen unseres Universums nachgewiesen. George Ellery Hale hatte das Observatorium 1904 gegründet. Caltech selbst betreibt das mit einem 5,1-Meter-Spiegel ausgestattete Palomar-Observatorium nördlich von San Diego. Zahllose fundamentale Entdeckungen durch Palomar haben uns den Kosmos mit seinen Galaxien und Sternen nicht nur nähergebracht, sondern uns in Staunen versetzt. Auch das JPL gehört zum Caltech, das mitunter als NASA-Kontrollzentrum für dutzende Weltraummissionen zuständig ist.

Der Jetlag macht sich nicht nur bei mir, sondern auch, wie ich sehe, bei Martha bemerkbar, denn sie ist eingenickt.

Die Entfernung zwischen Gott und der Erde

Unser Bus steuert in die Einfahrt vom Langham Huntington Hotel. »Mein Gott«, entfährt es mir.

»Was ist los, sind wir da? Ich bin wohl eingedöst.« Martha richtet sich auf und blickt nach draußen. »Wow, was für ein Anblick.«