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Eine Nacht der Leidenschaft – eine Liebe für die Ewigkeit: Der Regency-Roman »Die Sehnsucht des Lords« von Nicole Jordan als eBook bei dotbooks. London, 1813. Nur knapp konnte Lady Aurora der Ehe mit einem verhassten Mann entkommen – doch Freiheit hat ihren Preis. Der ebenso attraktive wie geheimnisvolle Nicholas fordert nun seine Belohnung für die Hilfe bei Auroras Flucht: Die schöne Lady soll sich ihm hingeben. Und obwohl sich Aurora geschworen hat, niemals einem Mann zu gehören, entfachen seine Küsse ein ungeahntes Verlangen in ihr. Dabei bringt jede Berührung, jeder Moment der Leidenschaft mit ihm Aurora in größte Gefahr – denn Nicholas ist nicht, wer er vorgibt zu sein … »Nicole Jordan versteht es meisterhaft, ihren Fans ein sinnliches Lesevergnügen zu bieten.« Romantic Times Books Reviews Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Die Sehnsucht der Lady« von Bestseller-Autorin Nicole Jordan – Band 2 ihrer Historical-Romance-Reihe »Regency Love«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 526
Über dieses Buch:
London, 1813. Nur knapp konnte Lady Aurora der Ehe mit einem verhassten Mann entkommen – doch Freiheit hat ihren Preis. Der ebenso attraktive wie geheimnisvolle Nicholas fordert nun seine Belohnung für die Hilfe bei Auroras Flucht: Die schöne Lady soll sich ihm hingeben. Und obwohl sich Aurora geschworen hat, niemals einem Mann zu gehören, entfachen seine Küsse ein ungeahntes Verlangen in ihr. Dabei bringt jede Berührung, jeder Moment der Leidenschaft mit ihm Aurora in größte Gefahr – denn Nicholas ist nicht, wer er vorgibt zu sein …
»Nicole Jordan versteht es meisterhaft, ihren Fans ein sinnliches Lesevergnügen zu bieten.« Romantic Times Books Reviews
Über die Autorin:
Nicole Jordan wurde 1954 in Oklahoma geboren und verlor ihr Herz restlos an Liebesromane, als ihre Mutter ihr zum ersten Mal aus »Stolz und Vorurteil« vorlas. Nicole Jordan eroberte mit ihren historischen Liebesromanen wiederholt die »New York Times«-Bestsellerliste und wurde mehrmals für den begehrten RITA Award nominiert. Heute lebt Nicole Jordan in Utah.
Nicole Jordan veröffentlichte bei dotbooks auch ihre historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Ritters«, »In den Fesseln des Piraten« und »Die Gefangene des Wüstenprinzen«.
Außerdem veröffentlichte sie in der »Regency Love«-Reihe:
»Die Küsse des Lords«
»Die Sehnsucht der Lady«
»Die Versuchung des Marquis«
Und in der »Rocky Mountains«-Reihe:
»Wild Rebels – Gefangen«
»Wild Rebels – Entführt«
»Wild Rebels – Ausgeliefert«
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eBook-Neuausgabe November 2019
Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel »Tagebuch der Leidenschaft« bei Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Anne Bushyhead
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »The Passion« bei Ivy Books.
Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München
By arrangement with Spencerhill Associates
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur, Hamburg/Berlin.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/100ker, Plus One und Period Images/Dunraven
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-96148-921-3
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Nicole Jordan
Die Sehnsucht der Lady
Roman
Aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger
dotbooks.
Vier wundervollen Freundinnen der schreibenden Zunft gewidmet:Rosemary Edghill, India Edghill,Donna Sterling und Deborah Smith.Ihr wisst hoffentlich, wie wichtig ihr mir seid.
Tagebucheintrag, 16. Juli
Wieder nehme ich die Feder zur Hand und schreibe gegen den Sturm an, der in meinem Herzen tobt. Ich muss dieser verzehrenden Leidenschaft entrinnen und weiß nicht wie.
Heute Nacht bist du zu mir gekommen. Ich spürte deine Gegenwart, deine Wärme, ehe ich deine Schritte vernahm, sosehr sind meine Sinne auf deine Nähe eingestimmt. Du hast mich in deinen Bann gezogen, mich zu deiner Sklavin gemacht, wie es keine Ketten vermögen.
Du flüsterst meinen Namen und ich wende mich dir zu. Deine dunklen Augen sind eindringlich, fragend. Ein Blick von dir genügt, und eine Woge der Wollust durchflutet mich, berauscht mich.
Ich sinke in deine Arme, erfüllt von Sehnsucht und Liebe. Deine Berührung ist wie Balsam, deine Hand auf meiner Brust ist tröstlich und erregend zugleich.
Ich schließe die Augen, spüre deine Männlichkeit, deine sehnige Kraft an meinen weichen Rundungen. Du weißt genau, wie empfindsam ich auf dich, auf deine glühende Leidenschaft reagiere. Mein Körper steht in Flammen. Ich erbebe unter der Liebkosung deiner Lippen, deinem erhitzten Atem, deinen flinken Fingern, die mich entkleiden.
Dein Morgenmantel fällt zu Boden. Im Kerzenschein schimmert dein sehniger Körper golden; du bist der Traum jeder weiblichen Fantasie.
Deine Hand streicht über meine Hüfte und jagt mir Schauer über den Rücken. Ich liebkose die schwellende Härte deiner Männlichkeit und empfinde keine Scham. Du hast mich die Wonnen der Fleischeslust gelehrt, hast meinen Körper für die Begierde geweckt, hast all meine Scheu vertrieben.
Ich zerfließe bereits, meine Mitte pocht heiß, zerschmilzt unter deiner Berührung, während du dich neben mich legst. In deinen Augen glüht Verlangen, wenn du in mich gleitest, dich tief in mich versenkst. Mit einem kehligen Lustschrei recke ich mich dir entgegen.
Du beherrschst meine Sinne. Ich sehne mich verzweifelt danach, von dir zu kosten, mich an dir zu berauschen, von dir ausgefüllt zu werden und dich zu erfüllen.
Du überflutest mich mit deiner Leidenschaft. Ich ertrinke und ziehe dich mit mir in die Tiefe.
Hinterher liegen wir eng umschlungen, schweißnass und keuchend. Ich spüre, wie du ganz still wirst, wenn du das Salz meiner Tränen schmeckst. Du richtest dich über mir auf, blickst mir in die Augen und siehst den Schmerz in meinem Herzen, den ich nicht verbergen kann.
Dein inniger Kuss soll mich trösten, doch er vertieft nur die Pein, die an meinem Herzen zerrt.
Du sagst, die Wahl liege bei mir. Du bietest mir Freiheit, ein kostbares Gut. Da mein Glück dir mehr bedeutet als dein eigenes, willst du mich gehen lassen.
Aber kann ich ein Leben ohne dich ertragen?
Und liegt die Wahl tatsächlich bei mir?
Fesseln der Begierde
Beim ersten Anblick wirkte er ungemein gefährlich, ja barbarisch. Und dennoch lag etwas in seinen Augen, das mich fesselte ...
Westindische InselnFebruar 1813
Ein heidnischer Anblick. Der halb nackte Mann in Ketten, gebräunt von der karibischen Sonne, stand als Silhouette vor den hohen Schiffsmasten, trotzig und ungebrochen.
Lady Aurora Demmings Herzschlag geriet ins Stolpern, als sie zur Reling der Fregatte hochblickte.
Er wirkte wie eine griechische Heldenstatue, sehnig und muskelgestählt, ein Bild von einem Mann. Die Sonne brachte seine gebräunte Haut zum Schimmern und vergoldete sein blondes Haar.
Das dunkelblonde Haar rief schmerzliche Erinnerungen an einen anderen Mann in Aurora wach, den sie für immer verloren hatte. Dieser Hüne aber war ihr fremd; seine animalische Männlichkeit hatte keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem verstorbenen Verlobten.
Er war lediglich mit engen Kniehosen bekleidet und wirkte trotz der Eisenketten, mit denen seine Hände und Fußgelenke zusammengeschmiedet waren, stolz und ungezähmt; den Blick hatte er in die Ferne, über den Kai hinaus gerichtet. Selbst von weitem glaubte Aurora ein gefährliches Aufblitzen in seinen Augen wahrzunehmen, Ausdruck eines mühsam beherrschten Zorns.
Als spüre er ihr Interesse, suchte sein Blick sie, senkte sich in ihre Augen und ließ sie erstarren. Der Lärm und das Treiben im Hafen erstarben. Für einen flüchtigen Augenblick blieb die Zeit stehen, es gab nur ihn und sie.
Sein eindringlicher Blick hielt sie gefangen; Aurora durchfuhr ein Beben, ihr Herz schlug plötzlich wild und schmerzhaft gegen ihre Rippen.
»Aurora?«
Sie zuckte zusammen, als die Stimme ihres Cousins Percy sie in die Gegenwart zurückrief. Sie stand am Kai im Hafen von Basseterre, St. Kitts, vor dem Kontor einer Schifffahrtslinie in der sengenden karibischen Sonne. Der stechende Gestank nach Fisch und Teer lag in der salzigen Luft. Im Blau des Himmels kreisten kreischende Seemöwen. Hinter dem Kai erstreckte sich das türkisblaue Meer und in der Ferne ragten die grün bewaldeten Hügel der Insel Nevis auf.
Percy folgte ihrem Blick zu dem Gefangenen an der Reling der Marinefregatte. »Was nimmt dich so gefangen?«
»Dieser Mann ...«, murmelte sie. »Für einen Augenblick erinnerte er mich an Geoffrey.«
Percy kniff die Augen zusammen. »Aus dieser Entfernung?« Er furchte die Stirn. »Seine Haarfarbe hat eine gewisse Ähnlichkeit, aber der Rest entspringt deiner Einbildung. Ich kann mir den verstorbenen Grafen von March nicht als Sträfling vorstellen. Du etwa?«
»Wohl kaum.«
Dennoch vermochte sie den Blick nicht von dem blonden Hünen zu wenden. Und er nicht von ihr, wie es schien. Er beobachtete sie immer noch, als er am Fallreep stand, von zwei bewaffneten, stämmigen Matrosen der britischen Marine bewacht, denen er keine Beachtung schenkte, bis einer grob an der Kette riss, mit der seine Handgelenke gefesselt waren.
Vor Schmerz – oder Wut? – ballte der Sträfling die Fäuste, leistete aber keinen Widerstand, als er von den Wärtern mit vorgehaltenen Musketen das Fallreep nach unten gestoßen wurde.
Wieder hörte Aurora ihren Namen rufen, diesmal eindringlicher.
Ihr Cousin nahm sie mitfühlend beim Arm. »Geoffrey ist tot, Aurora. Du musst ihn vergessen. Deine Trauer um ihn wirkt sich nur hinderlich auf deine bevorstehende Eheschließung aus. Ich kann mir nicht denken, dass dein zukünftiger Mann Gefallen daran fände, wenn du um einen anderen trauertest. Du musst lernen, deine Gefühle zu bezähmen.«
Sie hatte nicht an den Verlust gedacht, gestand Aurora sich beschämt ein, auch nicht an die unerwünschte Heirat, zu der ihr Vater sie zwang; dennoch nickte sie Percy zu. Wie konnte sie sich für einen halb nackten Fremden interessieren, noch dazu einen Sträfling? Ein Mann, der offenbar ein schweres Verbrechen begangen hatte, sonst hätte man ihn nicht in Ketten gelegt.
Aurora zwang sich, den Blick abzuwenden. Diese Szene war wahrlich kein Anblick für die Tochter eines Herzogs. Nie zuvor hatte sie so viel nacktes männliches Fleisch gesehen. Und nie zuvor hatte der Anblick eines Mannes sie so erschüttert wie in dem Moment, als ihre Blicke sich trafen.
Schuldbewusst ließ sie sich von ihrem Cousin in die offene Kutsche helfen. Sie war mit Percy zum Hafen gefahren, um ihre Passage nach England zu buchen. Wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Amerika und der Gefahr der Piraterie verließen nur wenige Schiffe die Westindischen Inseln. Das nächste Passagierschiff sollte in drei Tagen in See stechen und wartete auf ein Begleitschiff der britischen Kriegsmarine.
Aurora graute vor der Heimkehr. Sie hatte ihren Aufenthalt unter dem Vorwand, die Reise sei in Kriegszeiten wie diesen zu gefährlich, um Monate verlängert. Schließlich aber hatte ihr Vater strikt auf ihrer umgehenden Rückreise bestanden, um ihre Hochzeit mit dem Edelmann vorzubereiten, den er für sie bestimmt hatte. In seinem letzten Brief hatte er gedroht, sie persönlich nach England zu bringen, falls sie sich weiterhin weigerte, den Vertrag einzuhalten, den er in ihrem Namen geschlossen hatte.
Aurora hatte bereits einen Fuß auf das Trittbrett der Kutsche gestellt, als sie aus den Augenwinkeln einen Tumult auf dem Kai wahrnahm. Der Gefangene sollte auf den wartenden Gefängniskarren klettern, wobei ihm die Ketten hinderlich waren.
Da er sich nach Meinung der Wärter zu ungeschickt anstellte, versetzten ihm diese einen groben Stoß, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er hielt sich jedoch an den Gitterstäben des Wagens fest zog sich daran hoch und strafte den Wärter mit einem verächtlichen Blick.
Diese dreiste Verachtung erzürnte seine Peiniger. Diesmal traf ihn ein Gewehrkolben in die Rippen, worauf er sich vor Schmerz krümmte.
Auroras Protestschrei blieb ihr im Hals stecken, als der Gefangene die Arme hob und mit den Eisenketten nach dem Wächter schlug, um sich zu verteidigen. Doch die Ketten waren zu kurz, um echten Schaden anzurichten; sein Widerstand lieferte den Wärtern jedoch genau den Vorwand, den sie brauchten: Die Matrosen schlugen unter wüsten Beschimpfungen mit den Schäften ihrer Musketen auf den Wehrlosen ein, der sich auf der Erde wand. »Räudiger Köter!« – »Dreckiger Abschaum!«
Aurora zuckte beim Anblick dieser grausamen Misshandlung entsetzt zusammen. »Um Himmels willen ...«, murmelte sie. »Gebiete ihnen Einhalt, Percy!«
»Das ist eine Angelegenheit der Marine«, entgegnete ihr Cousin grimmig, ganz in der Rolle des Vizegouverneurs von St. Kitts. »Ich habe kein Recht, mich einzumischen.«
»Gütiger Himmel, sie schlagen den Mann tot ...« Sie raffte die Röcke und rannte los.
»Aurora!« Sie hörte Percy fluchen, ohne ihre Schritte zu verlangsamen und ohne auf die Gefahr zu achten, in die sie sich brachte, wenn sie sich in das Handgemenge mischte.
Sie hatte weder eine Waffe noch einen klaren Plan, nur das Bedürfnis, dem Geschundenen zu Hilfe zu eilen. Bei den prügelnden Wärtern angelangt, schlug sie mit ihrem Retikül zu und traf einen der Kerle im Gesicht.
»Was, zum Teufel ...?«
Während der verdatterte Matrose sich nach dem unerwarteten Angriff umwandte, drängte Aurora sich schon zwischen den auf dem Pflaster liegenden Gefangenen und seine Peiniger, sank auf die Knie und schützte den halb bewusstlos geschlagenen Mann mit ihrem Körper vor weiteren Misshandlungen.
Der Wärter stieß einen obszönen Fluch aus.
In kalter Wut hob Aurora das Kinn und blickte dem Kerl furchtlos ins Gesicht, darauf gefasst, dass der nächste Schlag sie träfe.
»Ma'am, das geht Sie nichts an«, erklärte er zähneknirschend. »Dieser Mann ist ein gefährlicher Pirat.«
»Sprechen Sie mich gefälligst mit Mylady an«, erwiderte sie. Ihre sonst so sanfte Stimme klang hochtrabend, als sie an die Macht ihres Titels appellierte. »Mein Vater ist der Herzog von Eversley. Er zählt den Prinzregenten und den Oberbefehlshaber der Britischen Flotte zu seinen Freunden.« Sie bemerkte, wie der Matrose sie argwöhnisch musterte. Die graue Seide ihrer modischen Schute und ihres Ausgehkleides wies auf ihre Trauer hin. Nur die Aufschläge der knapp geschnittenen Jacke waren lilafarben und hellten das strenge Erscheinungsbild ein wenig auf.
»Und dieser Herr«, fügte sie hinzu, als Percy herbeieilte, »ist mein Cousin, Sir Percy Osborne, der Vizegouverneur von Nevis und St. Kitts. Ich an Ihrer Stelle würde es mir zweimal überlegen, ihn zu provozieren.«
Percys Lippen wurden schmal, er murmelte missbilligend: »Aurora, das schickt sich nicht. Du erregst Aufsehen.«
»Ich halte es für weit unschicklicher, tatenlos zuzusehen, wie diese Feiglinge einen wehrlosen Mann totschlagen.«
Sie blickte auf den verwundeten Gefangenen. Er hielt die Augen geschlossen, seine Züge waren vor Schmerz verzogen, er schien aber bei Bewusstsein zu sein. Er sah tatsächlich wie ein Halbwilder aus – seine Haut glänzte schweißnass, Bartstoppeln verdunkelten seine Wangen. Frisches Blut lief aus einer Stirnwunde, das blonde Haar war von dunklem Blut verkrustet, vermutlich von einer früheren Verletzung.
Auroras Blick wanderte tiefer, ihr Herzschlag beschleunigte sich. Seine animalische Männlichkeit, die sie aus der Ferne bewundert hatte, zog sie wieder in ihren Bann. Der sonnengebräunte Brustkorb und die Schultern waren auffallend muskulös, die Kniehosen umspannten kraftvolle Schenkel.
Er öffnete die Augen und fixierte sie. Seine Iris war kaffeebraun mit bernsteinfarbenen Einsprengseln. Sein eindringlicher Blick verwirrte sie und löste in ihr das Gefühl aus, völlig allein mit ihm zu sein.
Ebenso seltsam war der Wunsch nach Fürsorge, die seine Verletzungen in ihr hervorriefen. Aurora hob die Hand, um ihm das Blut von der Stirn zu wischen.
Ketten klirrten, als er ihr Handgelenk umfing. »Lassen Sie das«, krächzte er heiser. »Halten Sie sich von mir fern ... Sie schaden Ihrem Ruf.«
Ihre Haut brannte wie Feuer, wo seine Finger sie berührten. Sie versuchte, nicht darauf zu achten, hörte nicht auf seine Bitte. Im Augenblick war ihr weniger daran gelegen, ihren Ruf zu schützen, als ihm das Leben zu retten. »Erwarten Sie, dass ich zusehe, wie man Sie zu Tode prügelt?«
Ein gequältes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er gab ihr Handgelenk frei und versuchte sich aufzurichten. Benommen schloss er die Augen.
»Sie brauchen einen Arzt«, sagte Aurora besorgt. »Nein ... ich habe einen harten Schädel.«
»Offenbar nicht hart genug.«
Sie hatte vergessen, dass sie nicht allein waren, bis ihr Cousin sich über ihre Schulter beugte und erschrocken ausrief: »Grundgütiger ... Sabreene!«
»Kennst du den Mann?«, fragte Aurora.
»Und ob. Ihm gehört die Hälfte der Handelsschiffe in der Karibik. Er ist Amerikaner ... Nick, was, zum Teufel, tun Sie hier?«
Der Gefangene zog eine schmerzliche Grimasse. »Ein unglückliches Zusammentreffen mit der britischen Marine, fürchte ich.«
Aurora stellte fest, dass seine Aussprache weicher und gedehnter klang als das spitze Englisch, das sie und ihr Cousin sprachen. Percy wandte sich an die Wärter und forderte eine Erklärung.
»Was hat das zu bedeuten? Warum liegt dieser Mann in Ketten?«
Die Wachen wurden einer Erklärung enthoben, da ihr kommandierender Offizier herantrat. Aurora erinnerte sich, Hauptmann Richard Gerrod vor einigen Wochen anlässlich eines offiziellen Empfangs in der Residenz des Gouverneurs kennen gelernt zu haben.
»Die Frage kann ich Ihnen beantworten, Exzellenz«, sagte Gerrod kühl. »Dieser Mann ist ein Kriegsgefangener und wegen Piraterie und Mord zum Tode durch den Strang verurteilt.«
»Mord, Hauptmann? Das ist völlig absurd. Der Name Nicholas Sabreene dürfte Ihnen bekannt sein«, widersprach Percy heftig. »Er ist ein Held und kein Mörder. Hier muss ein Missverständnis vorliegen.«
»Ich versichere, Exzellenz, es liegt kein Missverständnis vor. Er wurde von einem meiner Offiziere in Montserrat erkannt, da er die Stirn hatte, mitten im Krieg eine Frau zu besuchen. Dieser Mann ist der berüchtigte Piratenkapitän ›Seeteufel‹. Seit Beginn des Krieges hat er zwei britische Handelsschiffe gekapert, doch dem nicht genug: Vor einem Monat versenkte er die HMS Barton.«
»Soweit ich unterrichtet bin«, entgegnete Percy, »wurde die Mannschaft der Barton von eben jenem Piratenkapitän vor dem Ertrinken gerettet und auf eine Insel in Sicherheit gebracht.«
»Richtig. Doch während des Gefechts gab es mehrere Verwundete und ein Matrose fand den Tod. Erst gestern tötete Sabreene beinahe einen meiner Leute, als er sich seiner Gefangennahme widersetzte. Er hat sich mehrerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht, auf die die Todesstrafe steht.«
Percy wandte sich an den auf dem Boden kauernden Mann. »Stimmt das, Sabreene? Sind Sie ein Pirat?«
Sabreenes dünnes Lächeln war kalt. »Wir Amerikaner ziehen den Begriff Freibeuter vor. Im Übrigen beharren wir auf unserem Recht, unsere Schiffe zu verteidigen. Die Barton nahm eines meiner Handelsschiffe unter Beschuss. Was die Beschlagnahme der englischen Schiffe betrifft, sehe ich darin nur einen gerechten Ausgleich für den Verlust zweier meiner Schiffe.«
Im Grunde genommen konnte Aurora es dem Mann nicht verdenken, dass er seine Schiffe verteidigte. In diesen Kriegszeiten betrachtete Großbritannien auch amerikanische Handelsschiffe als feindliche Ziele. Sabreene sollte in der Tat das Recht haben, sein Eigentum zu schützen, wenn er in friedlicher Absicht die Meere durchkreuzte. Diese Ansicht vertrat auch ihr Cousin, eine Meinung, die zwar als politisch illoyal gegenüber der Krone galt, doch Percy betrachtete den Krieg ohnehin als Fehlentscheidung der Briten, die ihn angezettelt hatten. Die Anklage wegen Mordes indes beunruhigte sie zutiefst ...
»Ob Pirat oder nicht, sei dahingestellt«, sagte Percy, an den Hauptmann gerichtet. »Die Verhaftung dieses Mannes wird Folgen nach sich ziehen. Ist Ihnen bekannt, dass Mr. Sabreene gute Beziehungen zur Krone hat? Er kennt einige Gouverneure der Inseln und den Kommandanten der karibischen Flotte.«
Die Miene des Hauptmanns verfinsterte sich. »Diese Beziehungen hielten mich davon ab, ihn unmittelbar nach seiner Festnahme aufhängen zu lassen. Allerdings bezweifle ich, dass sie ihm nützen werden. Wenn Admiral Foley von der Liste seiner Verbrechen erfährt, wird er den Befehl geben, ihn zu exekutieren.« Er wandte sich an Aurora. »Mylady, halten Sie sich von diesem Mann fern. Er ist gefährlich.«
Sie zweifelte nicht an der Gefährlichkeit des Amerikaners, die allerdings die Grausamkeit seiner Wärter keineswegs rechtfertigte.
»Ach ja?«, entgegnete sie sarkastisch, während sie sich aufrichtete und den Hauptmann mit kühlen Blicken maß. »So gefährlich, dass Ihre Matrosen ihn besinnungslos prügeln müssen, obwohl er in Ketten liegt und sich nicht wehren kann? Ich fürchte um mein Leben.«
Gerrods Lippen wurden schmal vor Zorn, doch Percy ergriff schnell das Wort.
»Was haben Sie mit ihm vor, Hauptmann?«
»Ich übergebe ihn dem Standortkommandanten von St. Kitts, der ihn bis zu seiner Exekution in der Festung gefangen halten wird.«
Auroras Herz krampfte sich zusammen bei dem Gedanken, dass dieser blühende Mann sein Leben verlieren sollte. »Percy ...«, flehte sie leise.
»Ich wäre Ihnen dankbar, Exzellenz«, fuhr Gerrod düster fort, »wenn Sie mich nicht länger an der Ausübung meiner Pflicht hindern würden. Steh auf, Pirat.«
Sabreenes Lippen verzogen sich grimmig, in seinen dunklen Augen funkelte glühender Hass gegen den Hauptmann. Doch er bezwang sich und kam mühsam auf die Knie.
Aurora half ihm aufzustehen und stützte ihn, als er ins Wanken geriet. Ihr Puls beschleunigte sich, als sein sehniger Körper sich einen flüchtigen Moment an sie lehnte. Selbst in seinem blutverschmierten, verdreckten Zustand verfehlte seine Männlichkeit nicht ihre Wirkung auf sie.
Percy, peinlich berührt wegen ihres unschicklichen Benehmens, zog sie sanft am Arm. »Lass uns gehen, meine Liebe.«
Sabreene kletterte steifbeinig auf den Gefangenenwagen. Der Anblick der blutigen Striemen, die kreuz und quer über seinen Rücken liefen, versetzte Aurora einen Stich ins Herz. Einer der vierschrötigen Matrosen packte ihn grob am Arm und stieß ihn ins Wageninnere.
Hilflos biss Aurora sich auf die Unterlippe, um nicht aufzuschreien.
Hauptmann Gerrod bedachte sie mit einem strengen Blick. Als die Wärter hinter dem Gefangenen auf den Wagen kletterten, richtete er das Wort an ihren Cousin. »Ich hatte eigentlich nicht geplant, den Gefangenen in die Festung zu begleiten, da meine Fregatte seeklar gemacht werden muss, um an die amerikanische Küste zur Verstärkung der Seeblockade zu segeln. Wie ich sehe, muss ich mich allerdings persönlich darum kümmern, dass meine Befehle ordnungsgemäß ausgeführt werden.«
»Auch ich werde die Festung aufsuchen«, meldete Aurora sich zu Wort, »und mich persönlich davon überzeugen, dass der Gefangene menschenwürdig untergebracht wird. Sollten Ihre Wärter es noch einmal wagen, ihn zu prügeln, sorge ich dafür, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden.«
Der Griff ihres Cousins um ihren Arm festigte sich, seine Finger bohrten sich in ihr Fleisch, und sie musste sich zwingen, ihn nicht abzuschütteln.
Der Hauptmann verbeugte sich steif, kletterte auf den Kutschbock und befahl dem schwarzen Kutscher loszufahren. Aurora und Percy sahen dem vergitterten Kastenwagen nach.
»Du wirst dich nicht weiter in diese Sache einmischen, Aurora«, murmelte Percy verärgert.
Eigensinnig befreite sie sich aus seinem Griff. »Billigst du etwa dieses grausame Vorgehen? Wäre Mr. Sabreene ein britischer Gefangener, würdest du eine menschenwürdige Behandlung erwarten.«
»Selbstverständlich.«
»Was wird aus ihm?« Ihre Stimme klang plötzlich verzagt.
Percy zögerte mit der Antwort und bestätigte damit ihre schlimmsten Befürchtungen.
»Er muss vor ein ordentliches Gericht gestellt werden«, entrüstete Aurora sich. »Man wird einen bedeutenden Mann wie ihn doch nicht ohne weiteres hängen, oder?«
»Vielleicht kommt es nicht dazu«, antwortete Percy grimmig. »Möglicherweise begnadigt ihn der Admiral.«
»Und wenn nicht? Kannst du intervenieren?«
»Ich wäre befugt, einen Befehl des Admirals außer Kraft zu setzen, was allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende meiner politischen Karriere bedeuten würde. Meine kritische Haltung zu diesem Krieg wird ohnehin mit Skepsis gesehen. Würde ich einen verurteilten Gefangenen laufen lassen, könnte man darin einen Akt des Hochverrats sehen. Piraterie und Mord sind schwere Verbrechen, meine Liebe.«
Aurora warf Percy einen bekümmerten Blick zu. »Schick ihm wenigstens einen Arzt, der seine Verletzungen behandelt.«
»Selbstverständlich. Ich werde persönlich mit dem Standortkommandanten sprechen und mich darum kümmern, dass Sabreene medizinisch versorgt wird.«
Sie las Besorgnis in seinen Augen – und eine Frage, die er nicht in Worte fasste.
Welchen Sinn hatte es, Nicholas Sabreenes Wunden zu behandeln, wenn er in ein paar Tagen am Galgen hing?
Percys Frau Jane erschrak, als sie Auroras blutbeflecktes Kleid sah; doch als sie die Ursache erfuhr, begann sie zu verstehen. »Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich einzumischen«, meinte sie nachdenklich.
Nachdem Percy seine Cousine im Herrenhaus auf der Plantage abgesetzt hatte, war er weiter gefahren, um mit dem Gefängnisdirektor wegen der medizinischen Versorgung des Gefangenen zu sprechen. Auroras Zofe hatte ihr beim Umkleiden geholfen und das blutbefleckte Kleid zum Säubern gebracht. Lady Osborne war geblieben und hatte eine ausführliche Schilderung der Begebenheiten am Hafen gefordert.
»Ich halte es nicht für sonderlich mutig, sich einzumischen, wenn ein Mensch zu Tode geprügelt wird«, widersprach Aurora, immer noch entrüstet über das brutale Vorgehen der Matrosen. »Im Übrigen hat mein Einschreiten wenig bewirkt. Das Schicksal des Mannes scheint besiegelt.«
»Mr. Sabreene hat einflussreiche Verwandte in England«, entgegnete Jane zuversichtlich. »Der Graf von Wycliff ist sein Cousin zweiten Grades. Er ist unermesslich reich, hat einen Sitz im Oberhaus und einflussreiche Freunde. Er könnte sich für Sabreene verwenden.«
»Vermutlich hängt man ihn auf, bevor die Nachricht seiner Festnahme England erreicht«, meinte Aurora düster.
»Aurora, hast du etwa ein Auge auf Sabreene geworfen?«
Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. »Was redest du? Ich habe den Mann nur kurz gesehen. Wir wurden einander nicht einmal vorgestellt.«
»Gut. Ehrlich gestanden, er ist kein Gentleman, trotz seiner Beziehungen. Ich fürchte, er ist ziemlich gefährlich.«
»Gefährlich?«
»Für Frauen, meine ich. Er ist ein Abenteurer und ein Frauenheld – und außerdem ist er Amerikaner.«
»Percy nannte ihn einen Helden.«
»Das ist er vermutlich auch. Während des Sklavenaufstands auf St. Lucia vor ein paar Jahren rettete er vielen Pflanzern das Leben. Das macht ihn freilich noch lange nicht zu einem Gentleman. Er gilt als schwarzes Schaf in der Familie, ist stets auf Abenteuer aus, bereist fremde Länder und hat seine Hände in allerlei waghalsigen Unternehmungen. Erst nach dem Tod seines Vaters wurde sein Lebenswandel gemäßigter – gezwungenermaßen, da er ein großes Vermögen erbte und sich fortan um das Familienunternehmen kümmern musste.«
»Deiner Schilderung nach ist sein Lebenswandel nicht schlimmer als der von Söhnen reicher Aristokraten in England.«
»Du irrst, er ist noch viel schlimmer, glaube mir. Sonst wäre er nicht im berüchtigten ›Club der Teufelskerle‹ aufgenommen worden, nicht einmal auf Empfehlung seines Cousins Lord Wycliff.«
Aurora war der exklusive Londoner Club, dessen berüchtigte Mitglieder sich Ausschweifungen aller Art rühmten, durchaus ein Begriff. Sollte Sabreene zu diesen zügellosen Lebemännern zählen, so war er weiß Gott ein übler Zeitgenosse.
»Im Übrigen solltest du die Tatsache nicht außer Acht lassen«, setzte Jane mit Nachdruck hinzu, »dass er ein verurteilter Pirat ist, an dessen Händen Blut klebt.«
Aurora senkte den Blick. Ihre beste Freundin Jane war eine scharfsinnige und kultivierte Frau, was sie zur idealen Gattin eines Politikers machte. Percy vergötterte sie und wurde mit Janes Liebe belohnt.
»Aurora«, sagte Jane nach einer Weile sinnend, »könnte es sein, dass du dir das Schicksal dieses Mannes so sehr zu Herzen nimmst, um deinen eigenen Sorgen zu entfliehen? Vielleicht versuchst du dein Leid zu vergessen, indem du dich des Schicksals eines Fremden annimmst.«
Aurora verschränkte die Hände. Gut möglich, dass ihre Sympathie für Sabreene deshalb so groß war, weil sie sich in seine Situation versetzen konnte. Sie wusste, was es bedeutete, machtlos zu sein, anderen die Entscheidung über die Zukunft überlassen zu müssen. Er war der Willkür seiner Gefängniswärter ausgeliefert, so wie sie sich dem Diktat ihres Vaters beugen musste, der sie zu einer unerwünschten Heirat zwang.
Jane, die ihre trüben Gedanken erahnte, fuhr sanft fort: »Du hast wichtigere Sorgen als das Schicksal eines Piraten. Am besten, du vergisst diesen leidigen Vorfall.« Sie erhob sich mit raschelnden Seidenröcken. »Komm zum Mittagessen herunter. Deine Stimmung hellt sich gewiss auf, wenn du etwas im Magen hast.«
Aurora hatte keinen Appetit und ihre Stimmung hellte sich keineswegs auf; lustlos stocherte sie im Essen herum und wartete bang auf Nachricht von Percy.
Schließlich überbrachte ein Bote aus seinem Kontor in Basseterre eine kurze Nachricht, in der Percy ihr mitteilte, der Gefängnisdirektor habe ihm zugesichert, die Wunden des Gefangenen vom Gefängnisarzt untersuchen zu lassen.
Aurora las Jane den Inhalt der Notiz vor und versprach, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Kurz darauf entschuldigte sie sich unter dem Vorwand, Vorbereitungen für ihre Abreise treffen zu müssen. In ihrem Zimmer aber setzte sie sich aufs Bett und starrte ins Leere, erinnerte sich an ein dunkles Augenpaar, das sie so durchdringend angesehen hatte, und dachte mit Befremden an das Beben, das sie dabei durchflogen hatte.
Um Himmels willen, denk nicht mehr an ihn!, schalt Aurora sich.
Sie war mit Jane einer Meinung. Sie sollte sich den berüchtigten Piraten aus dem Kopf schlagen. In wenigen Tagen würde sie St. Kitts den Rücken kehren und hätte weiß Gott andere Sorgen – ihre bevorstehende Verlobung mit einem herrschsüchtigen Adeligen, der zwanzig Jahre älter war als sie. Einen Mann, den sie nicht liebte und den sie wegen seiner hochfahrenden, anmaßenden Art und seiner strikten, puritanischen Konventionen ablehnte. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr nach England sollte die Verlobung verkündet werden.
Der Gedanke an ihre bevorstehende Heirat versetzte ihr wie immer einen Stich der Angst. Diese Heirat würde sie zu einer Marionette abwerten, der jedes Recht auf eigenständiges Denken abgesprochen war. Doch wie in den vergangenen Monaten gelang es ihr, die Unruhe zu verdrängen.
Um sich abzulenken, nahm sie einen Gedichtband zur Hand und versuchte zu lesen. Doch ständig drängte sich das blutverschmierte Gesicht von Nicholas Sabreene in ihre Gedanken, der hilflos auf dem Pflaster lag, halb nackt und in Ketten. Vergeblich versuchte sie das Bild zu verbannen.
Sie sah ihn in einer Gefängniszelle liegen, verletzt und schmerzverzerrt, vielleicht dem Tode nah. Ob man ihm eine Decke gegeben hatte, um seine Blößen zu bedecken? In das Verlies drang kein Sonnenstrahl, es war vermutlich feucht und kalt. Und der frische Wind vom Atlantik machte die Winternächte ziemlich kühl. Die Festung Brimstone Hill, wohin man ihn gebracht hatte, stand hoch oben auf einer Felsklippe, den Stürmen ausgesetzt.
Weit alarmierender aber war, dass ein Gefangener im Labyrinth der unterirdischen Festungsgänge für immer verschwinden konnte. Die mächtige Zitadelle war von meterdicken Mauern aus schwarzem Vulkangestein umgeben, deren Bau Jahrzehnte gedauert hatte.
Einmal hatte sie Percy und Jane zu einem Empfang auf die Festung begleitet; schon die offiziellen Räume der Offiziere hatte sie als abweisend empfunden. Der Gedanke an die Verliese der Gefangenen ließ sie frösteln.
Sie fand keinen Trost in dem Wissen, alles getan zu haben, was in ihrer Macht stand, und redete sich vergeblich ein, vernünftig zu sein. Es war ihr nie möglich gewesen, sich von hilflosen Menschen in Not abzuwenden.
Ihr ganzes Leben wäre leichter gewesen, wenn sie nicht auf ihr Gewissen gehört hätte, ihrem Beschützerinstinkt nicht gehorcht und weggeschaut hätte, wenn ihr Vater seinen Zorn an hilflosen Untergebenen abreagiert hatte. Aber Gefühlskälte war ihr fremd.
Auch jetzt konnte sie an nichts anderes denken als an Nicholas Sabreene, der seinen grausamen Peinigern hilflos ausgeliefert war.
Mit einem kurzen Besuch, nur um sich zu vergewissern, dass er ärztlich versorgt war, würde sie ihr Gewissen so weit beruhigen, um ihn zu vergessen können ...
Zum ersten Mal seit dem Zwischenfall auf dem Kai legte sich Auroras Unruhe. Sie klappte das Buch zu, erhob sich und zog an der Klingelschnur, um ihre Zofe zu rufen. Der Gedanke an ein Wiedersehen mit dem Amerikaner ließ ihr Herz höher schlagen.
Sie beging einen groben Verstoß gegen Sitte und Anstand, riskierte sogar einen Skandal, wenn sie einen verurteilten Piraten im Gefängnis besuchte. Andererseits war dies vermutlich eine ihrer letzten eigenen Entscheidungen.
Ich hätte vor Angst zittern müssen, doch seine Berührung übte einen ungeahnten Zauber auf mich aus.
Er träumte wieder. Von ihr. Das wilde Hämmern in seinem Schädel ließ nach, als sie sich über ihn beugte. Er spürte ihre Finger an seiner fiebernden Stirn, sanft und tröstlich, doch ihre Berührung löste ein anderes, quälendes Pochen in seinen Lenden aus.
Sie war das Ideal jeder männlichen Fantasie – Engel, Walküre, Göttin, Sirene. Eine goldene Verführung und Höllenqual zugleich. Er wollte sie zu sich herabziehen und von ihren süßen Lippen trinken. Sie aber entzog sich ihm ...
»Du da!«
Er schreckte aus dem Schlaf hoch. Erinnerung und Schmerz drangen mit brutaler Gewalt auf ihn ein. Benommen führte Nicholas die Hand an seinen schmerzenden Kopf und spürte den Verband. Er lag auf einer Holzpritsche, die Ketten waren ihm abgenommen worden. Der Musketenkolben, der ihm in die geprellten Rippen gestoßen wurde, war ihm allerdings sehr vertraut, ebenso das Gesicht des vierschrötigen Wärters, der sich über ihn beugte.
»Du da! Rühr dich!«
Sein verschwommener Blick klärte sich. Er war gefangen in der Festung von St. Kitts, wo man ihn wegen Piraterie und Mordes hängen würde. Anfangs war er in seine Zelle auf und ab gewandert wie ein verwundetes Tier, in verzweifelten Gedanken an seine Halbschwester, da er sein Versprechen nicht einhalten konnte, sie zu beschützen. Erschöpfung und Schmerz hatten ihn schließlich gezwungen, sich hinzulegen. Er war in einen fiebrigen Halbschlaf gesunken, nur um von der goldblonden Schönheit zu träumen, die ihn so mutig auf dem Kai verteidigt hatte.
Was, zum Teufel, dachte er sich eigentlich? Nick fluchte in sich hinein. In seiner Situation begehrliche Gedanken an eine Frau zu verschwenden – so hübsch und mutig sie auch sein mochte – war vollkommen irrsinnig. Er sollte sich lieber mit den Gedanken an seine Schwester befassen und sich eine Lösung einfallen lassen, was nach seinem Tod für die Sicherheit seines Mündels getan werden konnte ...
»Ich habe gesagt, du sollst aufstehen! Du hast Besuch von einer Dame.«
Nicholas stützte sich auf die Ellbogen und richtete sich mühsam auf. Sein Blick wanderte zur halb offenen Tür hinter dem Wärter und sein Herzschlag setzte aus.
Sie stand auf der Schwelle der halbdunklen Zelle, hoch gewachsen, schlank, hoheitsvoll wie eine Prinzessin. Obgleich die Kapuze ihres schwarzen Umhangs ihre feinen Gesichtszüge beschattete, erkannte er sie. Diesmal aber erschien sie ihm nicht als Racheengel, sie wirkte zaghaft, unsicher. Argwöhnisch.
»Ich lasse die Tür auf, Mylady. Wenn er eine falsche Bewegung macht, rufen Sie mich.«
»Danke.«
Ihre Stimme klang dunkel und melodisch, aber sie sagte nichts mehr, nachdem der Wärter die Zelle verlassen hatte.
Nicholas, der sich nicht sicher war, ob ihre Erscheinung nicht doch nur ein Trugbild war, setzte sich mühsam auf. In dem fahlen Bündel Sonnenstrahlen, die durch das winzige Gitterfenster fielen, tanzten Staubflusen.
Sie schob die Kapuze in den Nacken und brachte ihr helles Haar zum Vorschein, das zu einem weichen Nackenknoten geschlungen war. Nick durchfuhr eine heiße Welle des Verlangens. Ihre ungewöhnliche Schönheit schien das dämmrige Felsenverlies zu erleuchten.
Seine Traumfantasie war Fleisch geworden ... es sei denn, er war gestorben und sie sein Traum von himmlischen Freuden. Nach muslimischem Glauben wurde ein rechtschaffener Mann von schönen Jungfrauen im Paradies empfangen. Der Schmerz seiner Verwundungen nährte in Nicholas allerdings den Verdacht, dass er sich immer noch in seiner irdischen Hülle befand.
In dem Blick, mit dem sie sein Gesicht erforschte, spiegelte sich Erstaunen. Und als sie sich bewusst wurde, dass sie ihn anstarrte, wanderten ihre Augen zu seinem verbundenen Kopf.
»Wenigstens hat man einen Arzt kommen lassen. Ich hatte befürchtet, das sei versäumt worden. Nein, bitte, bleiben Sie meinetwegen nicht stehen«, fügte sie hastig hinzu, als er Anstalten machte, sich abzustützen. »Sie sind nicht in der Verfassung, Förmlichkeiten zu wahren.«
»Was ...«, begann er heiser und räusperte sich, bevor er weitersprach. »Warum sind Sie hier?«
»Ich wollte mich vergewissern, dass Sie versorgt wurden.«
Nicholas furchte die Stirn, versuchte die wirren Gedanken in seinem schmerzenden Kopf zu klären. Vielleicht hatten die Schläge seinen Verstand tatsächlich getrübt.
Keine Dame würde ihren Ruf aufs Spiel setzen und einen Fremden im Gefängnis aufsuchen. Und sie war eine Dame – blaublütig bis ins Mark. Hatte sie nicht gesagt, sie sei die Tochter eines Herzogs, als sie den Matrosen zurechtgewiesen hatte?
Nicholas fragte sich, ob ihm etwas an dieser rätselhaften Frau entgangen war. Und plötzlich schoss ihm ein Verdacht durch den Kopf.
Sollte sie ihn verführen? Hatte dieser Schurke Gerrod die Frau auf ihn angesetzt, um ihm irgendwelche Informationen zu entlocken?
Nicks Augen wurden schmal. Sein Schiff kreuzte immer noch irgendwo in der Karibik. Er hatte sich allein auf den Weg nach Montserrat gemacht, um seine Schwester zu holen – an Bord eines holländischen Fischkutters –, da er seine Mannschaft nicht wegen einer privaten Mission in Gefahr bringen wollte. Hauptmann Gerrod aber war wild entschlossen, den amerikanischen Schoner aufzubringen.
Der Hauptmann würde seine Karriere in der englischen Kriegsmarine erheblich beschleunigen, wenn ihm ein feindliches Schiff in die Hände fiele – vermutlich einer der Gründe, warum Nick nicht sofort bei seiner Festnahme gehängt worden war. Gerrod hatte sich vermutlich gescheut, einen politisch falschen Schritt zu riskieren, und wollte die einflussreichen Bekannten des Gefangenen nicht vor den Kopf stoßen.
Grimmig betrachtete Nicholas die schöne und unerwartete Besucherin. Steckte sie mit Gerrod unter einer Decke?
Wurde sie zu ihm geschickt, um ihn zu quälen? Sollte sie einen zum Tode Verurteilten mit Verheißungen verlocken, so wie man einem Verdurstenden in der Wüste einen Becher Wasser hinhielt, ohne ihn trinken zu lassen? Der Gedanke, ihn mit weiblicher Schönheit zu ködern, versetzte Nick in Zorn.
Seine Gesichtszüge verhärteten sich. England und Amerika befanden sich im Krieg. Diese Engländerin war seine Feindin und er musste auf der Hut sein.
Sie schien sich unter seinem forschenden Blick unbehaglich zu fühlen, und als seine Augen absichtsvoll tiefer wanderten und auf ihrem Busen verweilten, glaubte er sie im Halbdunkel erröten zu sehen.
»Ich glaube, wir wurden einander noch nicht vorgestellt, Madam«, begann er.
»Nein. Dafür blieb keine Zeit. Ich bin Aurora Demming.«
Ein passender Name, dachte er. Aurora, die Morgenröte. »Lady Aurora. Ich entsinne mich. Sie erwähnten den Namen am Kai.«
»Ich wusste nicht genau, ob Sie Ihre Umgebung wahrnehmen konnten.«
Nicholas befingerte seinen Kopfverband. »Ich fürchte, ich bin ein wenig ramponiert.«
Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
»Ich bringe Ihnen ein paar Sachen, die Sie vielleicht brauchen können«, sagte sie schließlich.
Als sie einen zaghaften Schritt nach vorn machte, richtete er den Blick auf das Bündel in ihrer Hand. Sie wirkte seltsam fahrig, als sie ihre Gaben auf die Pritsche legte und sich in der kargen Zelle umschaute. »Ich hätte Kerzen mitbringen sollen. Daran habe ich nicht gedacht. Aber hier ist eine Decke ... und etwas zu essen.«
Ihr Blick streifte ihn flüchtig und wich ihm unstet aus. »Ich habe mir von Percys Aufseher ein Hemd und eine Jacke ausgeborgt. Sie sind breiter gebaut als mein Cousin ...«
Es war sein halb nackter Zustand, der ihr die Zunge lähmte, stellte Nicholas fest. Eine wohlerzogene Dame von Stand pflegte keine Gefängnisbesuche zu machen oder sich Gedanken über den Körperbau halb nackter Männer zu machen.
»Wie sind Sie an den Wachen vorbeigekommen?«, fragte er misstrauisch.
Sie schien dankbar um ein neutrales Thema zu sein. »Ich berief mich auf den Befehlshaber der Garnison, Mr. Sabreene.« Er bemerkte ein Lächeln um ihre Mundwinkel. »Und ich flüchtete mich in eine Notlüge und behauptete, mein Cousin Percy würde mich schicken.«
»Und hat er sie geschickt?«
»Nicht wirklich.«
»Gerrod würde mir jeden Besuch untersagen.«
»Hauptmann Gerrod hat keine Befehlsgewalt über die Festungsgarnison. Im Übrigen ist er auf der Insel nicht sonderlich beliebt.«
»Hat er Sie geschickt, um mich zu verhören?«
Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn. »Nein. Warum fragen Sie?«
Nicholas zuckte die Achseln. Wenn sie ein falsches Spiel trieb, würde ihn das sehr wundern. Aber aus welchem Grund besuchte sie ihn dann? Wollte sie etwas von ihm?
Als er nach dem Bündel griff, wich sie einen Schritt zurück, so als fürchtete sie seine Nähe. Er nahm das Hemd heraus, schlüpfte ungelenk hinein und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht.
»Verzeihen Sie, Mylady«, meinte er sinnend. »Aber ich verstehe den Grund nicht, warum Sie sich meiner annehmen. Ich bin Ihnen völlig fremd, noch dazu ein verurteilter Sträfling.«
»Ich wollte einfach nicht zusehen, wie ein Mann vor meinen Augen umgebracht wird. Ich hatte den Eindruck, Gerrod suchte geradezu nach einem Vorwand, Sie zu töten. Zumindest hätten seine Männer Sie besinnungslos geprügelt.«
»Das ist noch längst kein Grund, die gute Fee zu spielen.«
Sie hob das Kinn bei seinen sarkastischen Worten. »Ich fürchtete lediglich, dass man sich nicht genügend um Sie kümmerte.«
»Und Sie wollten mir meine letzten Tage angenehmer gestalten. Warum?«
Ja, warum?, fragte Aurora sich. Sie konnte weder sich noch ihm erklären, aus welchem Grund sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Er war ein Freibeuter. Ein gewalttätiger Mann. Ein Mann, an dessen Händen Blut klebte.
Ohne seine Fesseln übte er eine noch mächtigere Wirkung auf sie aus. Man hatte ihm Gelegenheit gegeben, sich das Blut abzuwaschen, und sein gutes Aussehen war trotz der bärtigen Wangen verblüffend. Bartstoppeln und Kopfverband verliehen ihm etwas Verwegenes und verstärkten das Bild des gesetzlosen Piraten.
Sie verstand, warum Jane ihn einen gefährlichen Frauenhelden genannt hatte. Mit seinem bernsteinfarbenen Haar und den ebenmäßigen, kantigen Gesichtszügen hatte er die Anziehungskraft eines gefallenen Engels. Seine braun gebrannte Haut und die muskelgestählten Arme lösten ein seltsames Flattern in ihrer Magengrube aus.
Nun aber versteinerten seine Züge und sein kalter, anmaßender Blick erschreckte sie. Er schien ihren Motiven zu misstrauen. Warum verwunderte sie das? War sie sich ihrer Motive doch selbst nicht im Klaren.
Am Morgen hatte sie instinktiv gehandelt, da sie es durchaus gewohnt war, sich in tätliche Auseinandersetzungen einzumischen. Unzählige Male hatte sie sich vor hilflose Bedienstete gestellt, um sie vor den Zornausbrüchen ihres Vaters zu schützen.
Das aber erklärte nicht ihren Drang, sich um sein Wohlergehen zu kümmern. Vielleicht rührte ihre Zuneigung zu diesem Fremden – diese unerklärliche Vertrautheit – daher, dass er sie an ihren verstorbenen Verlobten erinnerte, den sie sehr geliebt hatte.
»Sie erinnern mich an jemanden, der mir sehr viel bedeutet hat«, erwiderte sie schwach.
Der Gefangene zog skeptisch eine Braue hoch, und Aurora wandte verlegen den Blick von seiner nackten Brust, die unter dem offenen Hemd sichtbar war.
Sie spürte, wie seine Augen über ihre Gestalt wanderten und auf ihrem Busen verweilten. Er schien sich für das streng geschnittene Tageskleid aus dunkelgrauer Seide zu interessieren, das sie unter dem Umhang trug.
»Sie tragen Halbtrauer«, stellte er fest. »Sind Sie verwitwet?«
»Nein. Mein Verlobter starb vor acht Monaten auf hoher See.«
»Ich entsinne mich nicht, Sie schon einmal auf der Insel gesehen zu haben.«
»Ich verbringe nur den Sommer hier. Mein Cousin und seine Frau besuchten England nach dem tragischen Tod meines Verlobten. Sie dachten, ein Ortswechsel könne mir über den Verlust hinweghelfen, und luden mich zu einem Aufenthalt in der Karibik ein. Wir stachen in See, bevor die Kriegserklärung Amerikas England erreichte. Hätte ich davon gewusst, hätte ich die Reise nicht angetreten. Aber in wenigen Tagen kehre ich nach England zurück.«
Auroras Stimme war leise geworden, sie vermochte ihre Schwermut nicht zu verbergen. Sie verabscheute den Gedanken an das Schicksal, das sie in England erwartete.
Nicholas Sabreene musterte sie immer noch, als zweifelte er an der Wahrheit ihrer Worte. »Sie scheinen nicht besonders glücklich darüber zu sein, Mylady. Freuen Sie sich nicht, nach so langer Zeit die Heimat wieder zu sehen?«
Sie lächelte gequält. »Das liegt wohl daran, dass ich mich nicht für die Ehe begeistern kann, die mein Vater für mich arrangiert hat.«
»Aha«, meinte er wissend. »Ein Kaufvertrag. Die englische Oberklasse ist ja stolz darauf, ihre Töchter lukrativ zu verheiraten.«
Aurora versteifte sich innerlich. Es lag nicht in ihrer Absicht, persönliche Vertraulichkeiten mit Mr. Sabreene auszutauschen. Die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, gefiel ihr nicht. »Ich versichere Ihnen, ich werde nicht verkauft. Es ist eine Frage gesellschaftlicher Zweckdienlichkeit. Und mein Vater wünscht mich gut versorgt zu wissen.«
»Aber es ist nicht Ihr ausdrücklicher Wunsch.«
»Ich hätte mir den Herrn nicht als Ehemann gewählt, nein«, gestand sie leise.
»Warum haben Sie sich nicht dagegen aufgelehnt? Sie machen auf mich nicht den Eindruck, besonders unterwürfig zu sein. Heute Morgen am Kai haben Sie gekämpft wie eine Löwin.«
»Eine Ausnahmesituation«, entgegnete Aurora errötend. »Gewöhnlich lehne ich mich nicht gegen herrschende Konventionen auf.«
»Nein? Und dennoch sind Sie hier. Es ist ziemlich unklug, Ihren Ruf auf diese Weise aufs Spiel zu setzen, wenn ich das sagen darf. In meinem Land besuchen vornehme Damen keine Sträflinge im Gefängnis.«
»Auch in England ist das nicht üblich«, erwiderte Aurora und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin mir der Unschicklichkeit meines Besuchs wohl bewusst ... und achte gewöhnlich auf Formen. Immerhin bin ich in Begleitung meiner Zofe gekommen. Sie wartet draußen auf dem Korridor ... zusammen mit dem Wärter.«
Die Erwähnung des Wärters schien keinen Eindruck auf Mr. Sabreene zu machen, der sein Hemd bedächtig zuknöpfte und sie unter dichten, dunklen Wimpern musterte.
Als er sich von der Pritsche erhob, wich sie einen Schritt zurück. Sie war eine hoch gewachsene Frau, die sich von seiner Körpergröße nicht einschüchtern ließ. Dennoch empfand sie seine breiten Schultern, seine sehnige Gestalt und seine männliche Ausstrahlung überwältigend, seine Nähe bedrohlich.
»Sie haben doch hoffentlich keine Angst vor mir?«, fragte er mit seidiger Stimme, die ihr ein Frösteln über den Rücken jagte.
Verwirrt versuchte Aurora ihren Gefühlsaufruhr zu bezähmen. Er machte ihr tatsächlich Angst. Seine männlich erotische Ausstrahlung beschleunigte ihren Puls und ihren Atem.
»Sie wirken nicht wie ein Mann, der sich an einer Frau vergreift«, sagte sie unsicher.
»Ich könnte Sie als Geisel nehmen – haben Sie das bedacht?«
Ihre Augen weiteten sich, ihr Unbehagen wuchs. »Nein, das habe ich nicht. Percy meinte, Sie seien ein Gentleman«, fügte sie zweifelnd hinzu.
Ein spöttisches Lächeln flog über seine kantigen Gesichtszüge, während er näher trat. »Man hätte Ihnen beibringen müssen, weniger vertrauensselig zu sein.«
Er umfing ihr Handgelenk mit leichtem Griff. Seine Finger schienen ihre Haut zu verbrennen, doch sie war entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, welche Wirkung seine Berührung auf sie hatte.
»Und Ihnen hätte man bessere Manieren beibringen sollen«, erwiderte sie kühl. Da er keine Anstalten machte, ihre Hand loszulassen, blickte sie ihm unverwandt in die Augen. »Ich erwarte keine Dankbarkeit von Ihnen, Mr. Sabreene, aber ich habe auch nicht erwartet, von Ihnen herablassend behandelt zu werden.«
Die Härte wich aus seinen dunklen Augen, er gab ihre Hand frei. Dann senkte er den Blick. »Verzeihen Sie. Ich scheine meine Manieren tatsächlich vergessen zu haben.«
Aurora rieb sich zerstreut das Handgelenk. »Sie haben Schlimmes durchgemacht. Und außerdem sind Sie Amerikaner.«
»Ah ja, ein Bauernlümmel aus den ehemaligen Kolonien.« Er lächelte heiter.
»Nun, Sie müssen zugeben, Sie sind ... sehr direkt.«
»Und Sie sollten damit rechnen, dass ein zum Tode Verurteilter sich zu Verzweiflungstaten hinreißen lassen kann.«
Ein Stich durchbohrte sie bei dem Gedanken, dass dieser Mann bald hängen sollte. »Percy will seinen Einfluss für Sie geltend machen. Aber er verliert möglicherweise seinen Posten, wenn er auf Ihrer Freilassung besteht. Man verdächtigt ihn bereits, mit der amerikanischen Seite zu sympathisieren. Er findet diesen Krieg absurd und ist der Meinung, die Schuld liege mehr bei den Briten als bei den Amerikanern.«
Nicholas blickte in ihr schönes Gesicht. Wenn sie kein falsches Spiel trieb, hatte er ihr Unrecht getan. Er hasste viele ihrer Landsleute, aber er durfte seinen Zorn und seine Bitterkeit nicht auf sie übertragen.
»Verzeihen Sie mir«, sagte er reumütig. »Ich stehe in Ihrer Schuld. Wenn ich mich je erkenntlich zeigen ...« Er beendete den Satz nicht, da er wohl nie in der Lage sein würde, ihre Güte zu vergelten.
Trauer füllte ihren Blick. »Ich wünschte, ich könnte mehr für Sie tun.«
»Sie haben bereits mehr als genug für mich getan.«
Aurora biss sich auf die Unterlippe. »Ich denke, ich sollte jetzt gehen.«
Nicholas starrte gebannt auf ihren Mund. »Ja.«
»Brauchen Sie sonst noch etwas?«
In seinen Augen blitzte ein ironisches Funkeln. »Abgesehen von einem Schlüssel für meine Zelle und einem schnellen Schiff für meine Flucht? Eine Flasche Rum käme mir gelegen.«
»Ich ... versuche es.«
»Nein. Es war nur ein Scherz.«
Er hob die Hand und strich mit den Fingerkuppen sanft über ihre Wange. Ihre Lippen teilten sich, und er hörte, wie sie tief einatmete. Nicholas spürte ein Ziehen in den Lenden.
»Sie dürften nicht hier sein«, sagte er leise. »Um Ihretwillen – bleiben Sie mir fern.«
Sie nickte und trat einen Schritt zurück. Ihre blauen Augen verschleierten sich. Dann drehte sie sich wortlos um und floh aus der dämmrigen Zelle.
Krachend fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, zweifellos vom Wärter zugeschlagen. Nick unterdrückte einen bitteren Fluch.
Er zog den Hauch von Fliederduft ein, der ihr nachwehte, ballte die Fäuste und hätte sie am liebsten an der schweren Eichentür blutig geschlagen. Wäre sie doch nicht gekommen! Ob absichtlich oder nicht, sie hatte sein Blut in Wallung gebracht.
Erstaunlich – eine blaublütige, tugendhafte und sittenstrenge Frau. Genau das Gegenteil der Frauen, zu denen er sich normalerweise hingezogen fühlte. Dennoch – wäre er frei, würde er ihr den Hof machen.
Wäre er frei ...
Nicholas biss die Zähne aufeinander und hob den Blick zu dem winzigen Gitterfenster hoch oben in der dicken Festungsmauer. Verdammt, er musste hier endlich raus – musste eine Lösung für seine verfahrene Situation finden.
Er wanderte in der engen Zelle hin und her. Was würde aus seiner Schwester werden, wenn es ihn nicht mehr gab? Er hatte seinem Vater einen heiligen Eid geschworen, sich um sie zu kümmern. Jetzt aber war er wegen einer dummen Unbesonnenheit in Gefangenschaft geraten und konnte ihr nicht mehr helfen.
Seine ungewohnte Hilflosigkeit machte ihn rasend und erfüllte ihn mit dem wütenden Drang, irgendetwas zu tun, mochte es noch so sinnlos sein. Er ging erregt auf und ab, bis er jäh verharrte. Eine verwegene Idee entwickelte sich in seinem Hinterkopf.
Er hatte sich nie vor dem Tod gefürchtet, obwohl er am Leben hing und es in vollen Zügen genoss. Wenn er sterben sollte, galt sein Bedauern in erster Linie seinem Versagen, das Versprechen nicht gehalten zu haben. Möglicherweise aber bot sich die Gelegenheit, seinen Pflichten nachzukommen, auch nach seinem Tod.
Lady Aurora Demming.
Sie könnte die Antwort sein.
Oder war er wahnsinnig geworden?
Er wollte sich mit der Hand durchs Haar fahren, hielt jedoch inne, als er den Verband berührte – den er ihr zu verdanken hatte. Er hatte sie offenbar falsch eingeschätzt. Sie war fürsorglich und gütig; ihre Besorgnis um sein Wohlergehen war aufrichtig gemeint. Sie steckte nicht mit. Gerrod unter einer Decke. Sie war tatsächlich ein Engel der Barmherzigkeit.
Engel und Verführerin, dachte Nicholas und entsann sich ihrer saphirblauen Augen. Sie war außerdem jünger, als ihr majestätisches Auftreten zunächst vermuten ließ, schätzungsweise zwanzig Jahre. Bei all der Verwegenheit, mit der sie ihn gegen die Willkür der Wärter verteidigt hatte, und dem Mut, den sie bewiesen hatte, ihn im Gefängnis zu besuchen, war sie wohlerzogen und tugendhaft ... und genoss Ansehen in der vornehmen Gesellschaft. Als Tochter eines Herzogs hatte sie Zugang zu den höchsten Kreisen in England.
Nick warf sich auf die Pritsche, ohne auf die Schmerzen seiner Prellungen zu achten. Den Blick auf die verrußte, modrige Decke seiner Zelle gerichtet, wirbelten ihm wirre Gedanken im Kopf herum. Er hatte nicht den Wunsch, die Dame in seine Belange hineinzuziehen, doch wenn es darum ging, seine Schwester zu schützen, würde er sich sogar mit dem Teufel verbünden. Er würde Lady Aurora benutzen, um seinem Mündel zu helfen, würde sich ihrer Vorzugsstellung in der englischen Gesellschaft bedienen ...
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem verzerrten Lächeln. Vermutlich litt er noch unter den Nachwirkungen der Schläge auf den Kopf, wenn er sich solch wilden Fantasien hingab. Warum sollte die Tochter eines Herzogs sich auf einen solch aberwitzigen Vorschlag einlassen, selbst wenn er aus Verzweiflung geboren war? Er würde ihre Opferbereitschaft zwar königlich entlohnen, dennoch würde sie sein Ansinnen vermutlich ablehnen.
Nun denn, alles lag an seiner Überzeugungskraft.
Ihm blieb keine andere Wahl. Wenn es nur eine winzige Chance gab, sein Versprechen einzulösen, wollte und musste er danach greifen.
Als er mich in sein Gemach rief, schlug mir das Herz bis zum Hals.
Es war völlig absurd, ständig über einen Fremden nachzugrübeln, den sie nur flüchtig kannte und nie wieder sehen würde, das wusste Aurora. Doch nicht einmal im Schlaf konnte sie ihn vergessen. Die ganze Nacht warf sie sich unruhig hin und her, verfolgt von dunklen Träumen, in denen sie hilflos zusehen musste, wie Nicholas Sabreene vergebens versuchte, sich aus seinen Ketten zu befreien.
Als der Henkerstrick sich um seinen kraftvollen Hals zuzog, fuhr sie mit jagendem Puls aus dem Schlaf hoch. Sie ertrug diese Schreckensbilder nicht länger, sprang aus dem Bett, kleidete sich hastig an und begab sich nach unten, wo sie Percy beim Frühstück vorfand. Sie setzte sich zu ihm und trank eine Tasse Kaffee.
»Besuchst du heute die Festung?«, fragte sie, um einen leichten Tonfall bemüht, der ihr indes nicht gelingen wollte.
Percy warf ihr einen besorgten Blick zu. Er hatte ihren gestrigen Besuch bei dem Gefangenen nicht gebilligt, auch nicht als Akt des Mitgefühls für einen Mann, mit dem er befreundet war, und stellte sie deswegen zur Rede.
»Wie konntest du nur, Aurora? Dein Verhalten war höchst unschicklich. Sonst weißt du doch auch was du deiner gesellschaftlichen Stellung schuldig bist.«
Aurora senkte schuldbewusst den Blick. Seit ihrer ersten Begegnung mit Nicholas Sabreene war sie nicht mehr sie selbst, doch sie vermochte sich ihr Interesse an diesem Mann selbst nicht zu erklären, geschweige denn ihrem Cousin.
»Ich ertrage es einfach nicht, wenn ein Mensch so schrecklich misshandelt wird«, sagte sie schließlich wahrheitsgemäß.
Percys Blick war teilnahmsvoll. »Meine Liebe ... du solltest dich auf das Schlimmste gefasst machen. Gestern wurde ein Bote nach Barbados mit einem Gnadengesuch an den Admiral geschickt. Wir erwarten seine Antwort noch heute, obgleich ich wenig Hoffnung habe.«
Auroras Magen krampfte sich zusammen. Sie hatte gehofft, das Todesurteil würde aufgrund von Sabreenes hochrangigen Beziehungen in lebenslange Haft gemildert werden.
»Ich lasse dich den Urteilsspruch umgehend wissen«, versicherte ihr Percy.
Aurora nickte stumm, unfähig zu sprechen, sosehr war ihr die Kehle zugeschnürt.
Sie war erleichtert, als Percy von Alltäglichkeiten sprach, sich bald verabschiedete und in sein Kontor aufbrach. Langsam erhob sie sich, trat ans Fenster und blickte zerstreut auf den sonnenbeschienenen Rasen, die hohen Palmen, in denen die Brise vom Meer her fächelte, und die üppigen Sträucher mit violett blühenden Bougainvillea.
Es war ein Fehler gewesen, Nicholas Sabreene im Gefängnis aufzusuchen, nicht nur wegen der Unschicklichkeit, sondern weil sich sein Bild dadurch nur tiefer in ihr Gedächtnis eingeprägt hatte und ihr das Vergessen erschweren würde. Sie spürte noch immer seine überwältigend männliche Ausstrahlung – das verbotene Kribbeln beim Anblick seiner nackten, sonnengebräunten Haut, die leichte Berührung seiner Finger an ihrer Wange, die Wärme in seinen dunklen Augen ...
Aurora biss sich auf die Unterlippe und schalt sich ihrer Torheit. Sollte sie nicht endlich gelernt haben, keine tiefen Empfindungen zu hegen?
Sie hatte zwei Menschen verloren, die sie innig geliebt hatte. Vor einigen Jahren ihre Mutter und in jüngster Zeit ihren Verlobten Geoffrey Crewe, den Grafen von March.
Ihre jahrelang geplante und so sicher geglaubte Zukunft war in tausend Scherben zerbrochen, als Geoffrey den Tod auf See gefunden hatte. Seit ihrer Kindheit war sie mit ihm verlobt gewesen. Als einziger, wenn auch entfernter Verwandter ihres Vaters war Geoffrey der nächste Anwärter auf Titel und Herzogtum sowie Erbe der riesigen Landgüter von Eversley. Vater war fest entschlossen, den Titel an seine Enkelsöhne weiterzugeben, da ihm durch ein körperliches Leiden das Zeugen weiterer Kinder versagt geblieben war.
Aurora verstand, warum er sich sehnlichst einen Sohn gewünscht hatte, um den Familienstammbaum weiterzuführen, der in direkter Linie bis in die Regierungszeit von Heinrich II. zurück reichte. Und sie begriff, warum sie von Geburt an eine Enttäuschung für ihren Vater war.
Sie wäre liebend gern als Sohn zur Welt gekommen, damit wäre ihr das Schicksal erspart geblieben, das ihr Vater für sie gewählt hatte. Sie war noch in tiefer Trauer um Geoffreys tragischen Tod gewesen, als ihr Vater den Antrag seines alten Freundes in ihrem Namen angenommen hatte, ohne sich mit ihr abzusprechen. Der erlauchte Herzog von Halford begehrte sie zur Frau. Er hatte bereits zwei Ehefrauen überlebt, die erste war im Kindbett gestorben, die zweite unter mysteriösen Umständen ertrunken. Halford, dessen Stammbaum noch weiter zurück reichte als bis zu Heinrich II., war reich genug, um sich die Tochter eines Herzogs zu kaufen.
Ihr Vater sah in der Verbindung keineswegs einen Akt der Willkür, sondern behauptete, einzig und allein ihr Wohlergehen im Sinn zu haben, indem er sie mit einem vermögenden Vertreter des Hochadels vermählte, zumal der Titel der Eversleys mit seinem Tode erlöschen würde. Aurora seufzte bitter und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob ihr Vater sie nur loswerden wollte, um nicht ständig an sein Versagen erinnert zu werden, keine männlichen Erben in die Welt gesetzt zu haben.
Sie hatte Percys und Janes Einladung, den Sommer in ihrem Haus auf den Westindischen Inseln zu verbringen, dankbar angenommen, nicht nur in der Hoffnung, in einer neuen Umgebung schneller über Geoffreys Tod hinwegzukommen, sondern auch in dem Wunsch, die verhasste Vermählung so lange wie möglich hinauszuzögern. In den Monaten ihres Aufenthalts hier hatte sich ihr Abscheu vor einer Heirat mit Halford keineswegs gelegt und ihr graute vor der Heimreise nach England, wo ihr zukünftiger Bräutigam förmlich darauf brannte, die Verlobung endlich bekannt zu geben. Mittlerweile gab es keinen Anlass mehr, die Heimreise unter fadenscheinigen Gründen zu verschieben.
Aurora ballte die Fäuste und wandte sich vom Fenster ab. Normalerweise wäre sie ausgeritten, um ihre Stimmung aufzuhellen, oder hätte Jane bei ihrem wöchentlichen Besuch im Armenviertel begleitet, wo sie Lebensmittel verteilte und Kranke versorgte – eine Aufgabe, die sie als Gattin des stellvertretenden Gouverneurs sehr ernst nahm und pflichtbewusst erfüllte. Aber Aurora wollte im Haus bleiben, um die Nachricht über das weitere Schicksal des amerikanischen Gefangenen baldmöglichst zu erfahren.
Sie holte sich einen Schal aus ihrem Zimmer und spazierte durch den Garten, behielt aber die Auffahrt im Auge. Wie lästig und ärgerlich, in die Rolle der Wartenden gedrängt zu sein, während die Welt von Männern regiert wurde.
Wie anders würde ihr Leben verlaufen, wäre sie ein Mann, überlegte Aurora bitter. Sie sehnte sich danach, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Als Mann hätte sie die Macht, ihre Zukunft selbst zu bestimmen ... und die Zukunft anderer.
Als Mann würde sie vermutlich einen Weg finden, um Nicholas Sabreene zu helfen, statt sich in das Schicksal einer Frau zu fügen, tatenlos Däumchen zu drehen und abzuwarten.
Der Nachmittag war weit fortgeschritten, als Percy endlich nach Hause kam. In höchster Ungeduld hatte Aurora im Salon auf ihn gewartet und empfing ihn nun an der Eingangstür.
»Wie gut, dass ich dich antreffe, meine Liebe«, begrüßte Percy sie. »Ich fürchtete schon, du hättest Jane bei ihren Besuchen bei den Bedürftigen begleitet.«
»Ich habe auf dich gewartet. Hast du Nachricht vom Admiral?«
Percy entließ den Diener, der ihm den Mantel abgenommen hatte, und sah Aurora ernst in die Augen. Sein Blick bestätigte ihr ohne Worte, was sie befürchtet hatte.
Sie presste die Hand an die Lippen, um einen Schrei zu unterdrücken.
»Aurora, es tut mir Leid«, murmelte Percy. »Der Admiral lehnte die Begnadigung ab.«
Er schwieg, gab ihr Zeit, sich zu fassen. Dann nahm er ihre beiden Hände in die seinen. »Meine Liebe, es ist eine schlimme Nachricht. Aber ich habe eine ernste Angelegenheit mit dir zu besprechen.«
Außer sich vor Entsetzen hörte Aurora kaum, was ihr Cousin sagte.
»Es ist eine unerwartete Wende eingetreten.« Er machte ein sorgenvolles Gesicht. »Nicholas Sabreene hat eine ... Bitte an dich.«
»Eine Bitte?«, wiederholte sie mit belegter Stimme.
»Ich sprach mit Nick über die Entscheidung des Admirals«, erklärte Percy, »und er bat mich um meine Meinung in einer heiklen Angelegenheit. Ich lehnte sein Anliegen nicht rundweg ab, da ich finde, du solltest ihn anhören und selbst entscheiden. Es handelt sich um einen ungewöhnlichen Vorschlag ... allerdings sind die Umstände auch ungewöhnlich.«
»Ich ... ich verstehe nicht. Worum bittet er mich?«
»Er braucht deine Hilfe. Er hat eine Pflicht zu erfüllen, wozu ihm keine Zeit mehr bleibt.«
»Welche Pflicht?«
»Sabreene ist der Vormund seiner Halbschwester, die auf Montserrat lebt. Die junge Dame braucht dringend die Protektion einer einflussreichen Person und eine Begleitung nach England. Da du deine Rückreise in Kürze antreten wirst ... Doch das ist noch nicht alles, aber ich möchte dich nicht über Gebühr beeinflussen. Du solltest dir Sabreenes Vorschlag anhören. Falls du dazu bereit bist, begleite ich dich sofort zur Festung.«
»Du meinst jetzt gleich?«, fragte Aurora verwirrt.
»Ja, sofort.« Percy ließ ihre Hände los. »Die Zeit läuft uns davon, fürchte ich. Schon morgen ist es zu spät, denn da ...«
Percys Stimme verlor sich, und Aurora war froh, dass er das Schreckliche nicht in Worte fasste.
Sie hatte nicht erwartet, dem verwegenen Amerikaner noch einmal zu begegnen, der ihr Leben so flüchtig berührt hatte. Schweren Herzens kehrte Aurora in das Festungsverlies zurück. Eine dumpfe Leere breitete sich in ihr aus, als sie ihrem Cousin in die dämmrige Zelle folgte.
Nicholas Sabreene stand mit dem Rücken zu ihr. Ein Bündel Sonnenstrahlen spielte auf seinem Haar. Er trug einen Gehrock und Schaftstiefel, stellte sie zerstreut fest, Sachen, die Percy ihm vermutlich gebracht hatte und wirkte eher wie ein Gentleman denn wie ein verwegener Seeräuber.
Als er sich langsam umdrehte und sie dem eindringlichen Blick seiner dunklen Augen begegnete, beschleunigte sich ihr Herzschlag aufs Neue.
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte er mit leiser Stimme und wandte sich an ihren Cousin. »Darf ich Sie erneut um einen Gefallen bitten, Sir Percy? Gestatten Sie mir ein paar Minuten unter vier Augen mit Lady Aurora?«
Percy nickte zögernd. »Ich warte draußen im Korridor, meine Liebe.«