Die Versuchung des Marquis: Regency Love - Band 3 - Nicole Jordan - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Versuchung des Marquis: Regency Love - Band 3 E-Book

Nicole Jordan

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Einst hat sie ihm sein Herz gestohlen – nun ist sie ihm ausgeliefert: Der Regency-Roman »Die Versuchung des Marquis« von Nicole Jordan als eBook bei dotbooks. London, 1814. Niemals hat die schöne Julienne damit gerechnet, ihn wiederzusehen: Dare, den Marquis von Wolverton – charmant, stürmisch, und unerreichbar für Julienne, die als Schauspielerin auf den Bühnen Londons zu Hause ist. Deshalb musste sie ihn einst bei Nacht und Nebel verlassen, ihre Liebe hätte ihnen nur Schmerz bereitet … Doch nun ist das alte Verlangen wieder da, das Funkeln in seinen Augen, das pure Leidenschaft verspricht. Als Dare ihr ein brisantes Angebot macht, kann sie nicht anders, sie nimmt an – und gerät als Spionin bald zwischen die Fronten in einer Intrige um den englischen Thron. Wird Dare sie retten können … oder verfolgt er seine ganz eigenen, finsteren Pläne? »Nicole Jordan versteht es meisterhaft, ihren Fans ein sinnliches Lesevergnügen zu bieten.« Romantic Times Books Reviews Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Liebesroman »Die Versuchung des Marquis« von Bestseller-Autorin Nicole Jordan – Band 3 ihrer Historical-Romance-Reihe »Regency Love«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 499

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

London, 1814. Niemals hat die schöne Julienne damit gerechnet, ihn wiederzusehen: Dare, den Marquis von Wolverton – charmant, stürmisch, und unerreichbar für Julienne, die als Schauspielerin auf den Bühnen Londons zu Hause ist. Deshalb musste sie ihn einst bei Nacht und Nebel verlassen, ihre Liebe hätte ihnen nur Schmerz bereitet … Doch nun ist das alte Verlangen wieder da, das Funkeln in seinen Augen, das pure Leidenschaft verspricht. Als Dare ihr ein brisantes Angebot macht, kann sie nicht anders, sie nimmt an – und gerät als Spionin bald zwischen die Fronten in einer Intrige um den englischen Thron. Wird Dare sie retten können … oder verfolgt er seine ganz eigenen, finsteren Pläne?

»Nicole Jordan versteht es meisterhaft, ihren Fans ein sinnliches Lesevergnügen zu bieten.« Romantic Times Books Reviews

Über die Autorin:

Nicole Jordan wurde 1954 in Oklahoma geboren und verlor ihr Herz restlos an Liebesromane, als ihre Mutter ihr zum ersten Mal aus »Stolz und Vorurteil« vorlas. Nicole Jordan eroberte mit ihren historischen Liebesromanen wiederholt die »New York Times«-Bestsellerliste und wurde mehrmals für den begehrten RITA Award nominiert. Heute lebt Nicole Jordan in Utah.

Nicole Jordan veröffentlichte bei dotbooks auch ihre historischen Liebesromane »Die Leidenschaft des Ritters«, »In den Fesseln des Piraten« und »Die Gefangene des Wüstenprinzen«.

Außerdem veröffentlichte sie in der »Regency Love«-Reihe:

»Die Küsse des Lords«

»Die Sehnsucht der Lady«

»Die Versuchung des Marquis«

Und in der »Rocky Mountains«-Reihe:

»Wild Rebels – Gefangen«

»Wild Rebels – Entführt«

»Wild Rebels – Ausgeliefert«

***

eBook-Neuausgabe November 2019

Dieses Buch erschien bereits 2005 unter dem Titel »Spuren der Versuchung« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2003 by Anne Bushyhead

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel »The Prince of Pleasure« bei Ivy Books.

Copyright © der deutschen Ausgabe 2005 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

By arrangement with Spencerhill Associates

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur, Hamburg/Berlin.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/100ker, Mukul Banerjee und Period Images/Dunraven

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-922-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Die Versuchung des Marquis« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Nicole Jordan

Die Versuchung des Marquis

Roman

Aus dem Amerikanischen von Jana Rave

dotbooks.

Für meine wunderbaren Leser,deren Begeisterung mich beflügelt.Mit besonderem Dank an die reizenden Ladysder Beau Monde, vor allem an Nancy Mayerund ihr unerschöpfliches Wissenüber Regentschaftszeiten.

Prolog

Kent, England, August 1807

Der sommerliche Nachmittag war erfüllt von Rosenduft, doch Julienne Laurent bemerkte nichts davon. Sie wartete ungeduldig auf die Ankunft ihres Liebhabers und fragte sich, was ihn so lange aufhielt.

Ihre Unruhe wuchs mit jeder verstreichenden Minute, und sie begann, nervös in dem kleinen Landhaus auf und ab zu gehen. Dare hatte geplant, seinem Großvater an diesem Tag von ihrer Verlobung zu erzählen. Julienne befürchtete schon lange, dass der altehrwürdige Marquis heftigen Widerspruch einlegen würde, sobald er von ihren Plänen erfuhr.

Als Julienne endlich Hufgetrappel hörte, eilte sie zum Fenster und sah hinaus. Das Landhaus, in dem ihre Stelldicheins stattfanden, lag versteckt in einem Rosengarten und war von der Straße her kaum auszumachen. Sobald Julienne das schlanke Pferd und seinen eleganten Reiter erkannte, vergaß sie all ihre Befürchtungen.

Dare. Ihr Herz machte einen Sprung, und ihre Schenkel pressten sich voller Ungeduld aneinander. Sie konnte ihn fast schon in sich spüren ... Julienne errötete und bemühte sich, ihre beschämende Begierde niederzukämpfen. Wenn es um Dare ging, benahm sie sich immer wie eine lüsterne Dirne. Mit großer Bereitwilligkeit hatte sie ihre Unschuld seiner erfahrenen Verführungskunst geopfert. Doch welche sterbliche Frau hätte ihm widerstehen können?

Julienne beobachtete, wie Dare mit einer geschmeidigen Bewegung vom Pferd sprang und dann mit schnellem Schritt den Pfad entlang durch den üppig blühenden Rosengarten eilte. Er bewegte sich mit einer Kombination aus vollendeter Eleganz und rauer Männlichkeit, die all ihre weiblichen Instinkte weckte. Seine schlanken, aristokratischen Züge und sein blondes Haar, das im Sonnenlicht golden schimmerte, unterstrichen seine blendende Erscheinung.

Doch nicht durch sein unglaublich gutes Aussehen oder durch seinen hohen Titel hatte er ihr Herz gewonnen, sondern durch seinen außergewöhnlichen Charme und den messerscharfen Verstand. Der Hauch von Wildheit, der ihn umgab, gepaart mit einer gewissen Unberechenbarkeit seines Wesens, machte ihn unwiderstehlich. Auch sein Name, Dare, der im Englischen so viel wie ›Teufelskerl‹ bedeutete und die Abkürzung seines Zweitnamens Adair war, spiegelte seinen verwegenen Charakter perfekt wider. Dare nahm es mit jedem auf – und das schloss auch Julienne mit ein. Mit großer Hartnäckigkeit hatte er ihren Widerstand gebrochen. Trotz all ihrer Skrupel und ihrem festen Willen, ihm zu trotzen, hatte sie schließlich ihr Herz an diesen berüchtigten Lebemann verloren.

Die Tür ging auf, und Jeremy Adair North, der Earl of Clune, trat ein. Seine lebhaften grünen Augen wanderten ungeduldig durch den Raum. Als sein Blick auf Juliennes traf, entflammte ein Feuer in den smaragdgrünen Tiefen.

»Hast du mich vermisst?« Seine Stimme drang wie Samt an ihr Ohr.

»Schmerzlich.«

»Das ist gut.«

Mit drei großen Schritten durchquerte er den Raum und griff unsanft nach ihr. Erst da bemerkte Julienne die Anspannung, die in ihm schwelte. Sie sah den Ärger in seinem Blick, fühlte die glimmende Wut in seiner Berührung.

»Dare, was ist mit dir ...«, begann sie, aber er schnitt ihr das Wort ab.

»Ich will nicht darüber sprechen.«

Dare zog sie in seine Arme und presste sich an sie. Seine Hände wühlten in ihrem Haar, während seine Lippen mit den ihren zu einem stürmischen Kuss verschmolzen.

Seine Heftigkeit überraschte Julienne. Bisher war Dare ein ausnehmend zärtlicher Liebhaber gewesen, der ihr stets das Gefühl gab, geliebt und respektiert zu werden. Doch auch auf seinen rohen Hunger reagierte ihr Körper augenblicklich. Sie vergaß alle Fragen und gab sich ganz seiner feurigen Umarmung hin.

Kurze Zeit später ließ Dare von ihrem glühenden Mund ab und wandte seine Aufmerksamkeit ihrem Körper zu. Mit geübten Handgriffen befreite er Juliennes Busen aus dem engen Musselinmieder und drückte ihren Rücken fest gegen die Wand. Sein heißer Mund fand ihre Brustwarzen und begann hart an ihnen zu saugen.

Julienne stöhnte auf, überwältigt von dem süßen Schmerz, der über sie hinwegflutete. Ohne weitere Vorwarnung hob Dare ihre Röcke an und stieß mit zwei Fingern zwischen ihre Schenkel. Julienne war bereits feucht. Sie hörte ihn vor Lust ächzen, dann sein heiseres Flüstern: »Wie sehr ich dich begehre!«

Mit einem heftigen Ruck zog er an dem Verschluss seiner Hose. Er konnte es kaum abwarten, sie zu nehmen. Im nächsten Moment drang er hart und tief in sie ein, und Julienne zuckte unter seinen Bewegungen zusammen. Sie umschlang ihn mit ihren Beinen, um die Intensität seines Verlangens zu dämpfen, doch augenblicklich wurde sie ebenfalls von dem brennenden Fieber erfasst, das ihn erfüllte. Sie klammerte sich atemlos an ihn und hob ihm ihre Hüfte entgegen, damit er noch tiefer in sie dringen konnte.

Sein Höhepunkt kam schnell. Julienne spürte, wie Dare erzitterte, kurz bevor die gleiche Explosion über sie hinwegfegte und sich ein heiserer Schrei ihrer Kehle entrang.

Langsam ebbte die Lust ab, und Dare vergrub sein Gesicht tief in ihrer Halsbeuge. Sein Atem ging stoßweise.

»Mein Juwel«, sagte er mit rauer Stimme. »Habe ich dir wehgetan?«

»Nein«, log sie. Sie verspürte zwar einen stechenden Schmerz zwischen den Beinen, aber sie genoss diese Nachwirkung ihres ekstatischen Rauschs regelrecht.

Dann zog sich Dare aus ihr zurück. Er trug sie auf seinen Armen in das angrenzende Zimmer und entkleidete sie dort mit jener zärtlichen Aufmerksamkeit, die Julienne von ihm kannte. Sobald auch er nackt war, legte er sich neben sie, zog sie dicht an sich und schloss die Augen. Schweigend lagen sie eine Weile lang engumschlungen da.

Julienne fragte sich, ob Dares schlechte Laune auf das Gespräch mit seinem Großvater zurückzuführen war, aber sie fürchtete sich, ihn darauf anzusprechen. Schließlich konnte sie die Ungewissheit jedoch nicht länger ertragen.

»Was hat er gesagt?«

Dare verharrte weiterhin in Schweigen, und Julienne wurde das Herz schwer. Der Marquis of Wolverton würde eine Heirat seines einzigen Enkels und Erben mit einer französischen Emigrantin niemals befürworten. Selbst dann nicht, wenn ihre Ahnentafel ebenso ruhmreich war wie seine eigene. Julienne wusste, dass sie von vielen noch immer als Ausländerin angesehen wurde, obgleich sie schon seit ihrem vierten Lebensjahr in England lebte.

Sie stützte sich auf ihren Ellbogen, sodass sie Dares Gesicht betrachten konnte. Die steile Falte zwischen seinen Brauen sagte ihr mehr, als Worte es vermocht hätten.

»Dein Großvater will mich nicht als deine Braut akzeptieren, richtig?«

»Er hat in dieser Sache nicht das letzte Wort«, sagte Dare grimmig.

Julienne bemühte sich, gegen das aufsteigende Gefühl der Leere in ihrer Brust anzukämpfen. Sie war von nobler Herkunft, die Tochter des Compte de Folmont, der während der Kriegswirren in Frankreich auf der Guillotine hingerichtet worden war. Dennoch besaß sie nichts weiter als ein Hutgeschäft. Der Gestank des Kaufmannsstandes hing ihr an und besudelte ihre aristokratischen Wurzeln. Julienne hatte das nie viel ausgemacht, aber nun bedauerte sie den Verlust ihres Geburtsrechts.

»Er wird unsere Ehe nicht billigen«, sagte sie traurig.

Dares Kiefermuskeln spannten sich. »Es ist mir gleich, was mein Großvater sagt.« Er nahm Juliennes Gesicht in beide Hände und fixierte ihren Blick mit seinen tiefgründigen grünen Augen. »Lass uns fortgehen, Julienne.«

»Fortgehen?«, wiederholte sie zweifelnd.

»Ja, fortgehen ... davonlaufen! Lass uns nach Gretna Green fliehen. Es sind nur drei Tage bis zur schottischen Grenze. Wir könnten schon nächste Woche verheiratet sein!«

»Dare ...«

»Wenn du mich wirklich liebst, kommst du mit mir! Liebst du mich denn nicht, mein Juwel?«

Sie liebte ihn so sehr, dass es sie schmerzte. Doch andererseits ängstigte sie der Gedanke, sie könnte Dare und seinen Großvater entzweien. »Natürlich liebe ich dich. Mein Herz gehört dir. Aber einfach davonzulaufen ... Das wäre ein unwiderruflicher Schritt. Außerdem würde solch eine Unbesonnenheit deinen Großvater noch mehr gegen uns aufbringen.«

»Damit hast du vermutlich Recht«, sagte Dare, und sein Blick verfinsterte sich.

»Vielleicht sollten wir deinem Großvater mehr Zeit geben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Dann wird er unsere Verbindung sicher irgendwann akzeptieren.«

Dares freudloses Lachen zeigte Julienne, wie unwahrscheinlich dies war. Er schüttelte den Kopf. »Mach dir wegen meines verdammten Großvaters keine Sorgen.«

»Es ist nicht dein Großvater, um den ich mir Sorgen mache.« Julienne wog ihre Worte sorgfältig ab. »Um dich mache ich mir Sorgen, Dare. Wenn wir einfach davonlaufen, bereust du es vielleicht eines Tages. Womöglich verachtest du mich dann sogar.«

Dares Blick durchbohrte sie. »Das wird niemals geschehen!« Er rollte sie herum und begrub ihren nackten Körper unter sich. »Ich weiß, was ich will, Julienne. Ich will dich zur Frau. Für immer. Nichts kann an meiner Liebe zu dir etwas ändern.«

Seine leidenschaftliche Erklärung ließ Julienne frösteln. Sie konnte sich plötzlich des Gefühls nicht erwehren, dass ihr gemeinsames Glück nicht von Dauer sein würde. Sie schloss die Augen, hielt Dare fest umschlungen und hoffte von ganzem Herzen, dass er seinen Schwur niemals würde bereuen müssen.

Erstes Kapitel

London, März 1814

Das flackernde Kaminfeuer in Lady Dunleiths Schlafgemach tauchte Dares nackten Körper in einen warmen, goldenen Lichtschein, doch keine Flamme vermochte die Kälte in seinem Herzen zu erwärmen. Dares Gedanken kreisten um die schöne, boshafte Zauberin, deren Bild auf einem Theaterbillett abgebildet war, das für eine Aufführung im Drury Lane Theater warb.

Julienne Laurent.

Dare musste nicht erst die Abbildung auf dem Billett anschauen, um sich an dieses Gesicht zu erinnern. Alles, was mit Julienne zu tun hatte, war tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Noch immer verfolgten ihn Bilder von ihr: ihr wunderbarer Körper, wie er sich vor Leidenschaft unter ihm aufbäumte. Ihre schlanken Glieder, die ihn umfingen. Ihr prächtiges Haar, das in einer Woge über ihre Schultern floss. Ihre makellose weiße Haut. Ihr Lachen, ihr Lächeln. Ihr scharfer Verstand. Ihre dunklen, leuchtenden Augen, in denen sich all ihre Sinnlichkeit widerspiegelte ... Jede Einzelheit stand ihm noch immer klar vor Augen.

»Was für ein verdammter Narr du gewesen bist«, murmelte Dare in die Stille des Schlafzimmers hinein. Juliennes plötzliches Auftauchen in London beschwor schmerzliche Erinnerungen in ihm herauf. Er hatte geglaubt, inzwischen von dem schrecklichen Gefühl der Enttäuschung befreit zu sein, und auch von der Einsamkeit, die ihn so lange gequält hatte. Doch der heiße Schmerz, der ihn jetzt durchfuhr, bezeugte das Gegenteil. Offenbar entsprach es der Wahrheit, was jene alte Volksweisheit besagte: dass nämlich ein Mann niemals seine erste Liebe vergisst.

Dare hatte nie vorgehabt, sein Herz an Julienne zu verlieren. Er war jung gewesen, liebestoll, und besaß schon damals vollstes Vertrauen in seine Verführungskünste. Aber das Mädchen, das er erobern wollte, hatte sich in die Frau verwandelt, die ihn die Liebe lehrte. Doch auch Verrat hatte sie ihn gelehrt.

Als er die schöne französische Emigrantin zum ersten Mal sah, wusste er sofort, dass er sie besitzen musste. Er war im Juni zur Hochzeit seiner Kusine nach Kent gekommen und hatte bei seinem Großvater in Wolverton Hall Quartier bezogen, ganz in der Nähe des kleinen Hafens von Whitstable, wo sich Juliennes Hutgeschäft befand. Um sie zu gewinnen, war Dare letztlich den ganzen Sommer über geblieben.

Die unglaubliche Anziehungskraft, die Julienne auf ihn ausübte, überraschte ihn. Dare hatte bereits Dutzende Affären mit aufregenden Frauen gehabt, doch keine konnte je sein Herz berühren. Erst durch Julienne erfuhr er, was Liebe wirklich war. Sein Verlangen nach ihr war weitaus stärker gewesen als alles, was er bei den vorangegangenen Tändeleien empfunden hatte_ Er wollte Julienne besitzen und ihr gleichzeitig alles geben: sein Herz, seinen Körper, seine Seele. Er hatte nicht ahnen können, dass sie eine solch hinterlistige Lügnerin war.

Böse Erinnerungen tauchten vor seinem inneren Auge auf und ließen ihn den schrecklichen Moment ihres letzten Zusammentreffens ein zweites Mal durchleben. Juliennes Blick, als er sie in den Armen eines anderen fand. Der grausame Schmerz, der ihn durchfuhr, als ihm das Ausmaß ihres Betrugs klar wurde. Er hatte nicht glauben wollen, dass sie ihn hinterging, musste es erst mit eigenen Augen sehen, um es zu begreifen.

Gedankenverloren fuhr Dare mit dem Finger die Linien ihres Porträts entlang. Sein Großvater behauptete damals, Julienne habe eine Affäre mit dem Earl of Ivers, aber Dare hatte dem alten Mann nicht glauben wollen. Nach einem heftigen Streit war Dare zu Juliennes Hutgeschäft geeilt. Dort hatte er seine Verlobte tatsächlich mit Ivers überrascht.

In Juliennes Gesicht war kaum ein Anzeichen der Reue zu erkennen gewesen, als. Ivers gestand, schon seit langer Zeit ihr Liebhaber zu sein. Ohne jedes Bedauern hatte sie Dare daraufhin mitgeteilt, dass er ihre Verlobung als gelöst betrachten solle. Dare fühlte sich, als würde ihm das Herz aus der Brust gerissen. Mit einem Mal erkannte er, dass Juliennes jungfräuliche Zurückhaltung von Anfang an eine heimtückische Schmierenkomödie gewesen war, genau wie ihre Liebe zu ihm. Erst Stunden später war er in der Lage, die einzelnen Stücke zusammenzusetzen und zu begreifen, wie sehr sie ihn hinters Licht geführt hatte: Julienne befürchtete wohl, der Marquis könne seinen Enkelsohn tatsächlich enterben, doch ein mittelloser Ehemann war nicht das, was sie wollte. Es war sogar möglich, dass sie anfangs geplant hatte, Dare zu heiraten, es sich aber anders überlegte, als der Zorn des Marquis es ungewiss machte, ob Dare seine Nachfolge antreten würde. Womöglich hatte sie gar vorgehabt, ihre Beute mit ihrem Liebhaber zu teilen ...

Die quälende Erinnerung schnürte Dare die Kehle zu. Er war nur froh, Juliennes wahren Charakter erkannt zu haben, bevor sie seine Zukunft zerstören konnte.

»Intrigante französische Metze«, hatte sein Großvater Julienne immer genannt, aber Dare wollte nicht hinhören. Zu spät erkannte er, wie dumm es gewesen war, auf ihr tugendhaftes Theater hereinzufallen, wie dumm es war, zu glauben, sie sei ihm treu! Er hätte es besser wissen müssen. Schon seine eigene Mutter hatte durch ihre zahllosen Liebhaber das Wort Treue verhöhnt, und doch war Dare der festen Überzeugung gewesen, Julienne sei anders. Wie hatte sie ihn nur derart niederträchtig hintergehen können?

Er fragte sich, ob sie ihre Entscheidung je bereut hatte. Nach dem Tod seines verhassten Großvaters im Jahr zuvor trug nun Dare den Titel des Marquis of Wolverton. Auch das enorme Vermögen der Wolvertons war mittlerweile sein eigen. Aber mehr als ein halbes Jahrzehnt hätte ein solch geldgieriges Biest wohl kaum auf seine Beute warten wollen. In der Zwischenzeit hatte Julienne offensichtlich eine erfolgreiche Theaterkarriere gemacht. Sicherlich litt sie keinen Mangel an neuen Liebhabern.

Dare war Julienne an diesem Tag zum ersten Mal seit Jahren begegnet. Er hatte sie im Park gesehen, wo sie, umringt von ihren liebeskranken Verehrern, einen Spaziergang machte. Ihr Anblick erschütterte Dare bis ins Mark. Bis vor zwei Tagen hatte er nicht einmal gewusst, dass sie sich in London aufhielt. Er war aufgrund wichtiger Termine wochenlang fort gewesen, zuerst in Yorkshire, dann kurz in Irland. Als er zurückkam, stellte er fest, dass Julienne Laurent zum Stadtgespräch avanciert war und von einer ganzen Meute lüsterner Dandys verfolgt wurde. Londons strahlendstes neues Juwel nannte man sie, und wie man hörte, hätte jeder Mann in London diese faszinierende neue Schauspielerin gern zu seiner Geliebten gemacht.

Bei ihrer Begegnung im Park hatte Dare den jähen Schmerz in seiner Brust gekonnt überspielt und sich schnell wieder seiner Begleiterin, Lady Dunleith, gewidmet. Die reizende Witwe hatte ihm kurz zuvor von ihrer Kutsche aus zugewunken, als Dare gerade durch den Menschenauflauf ritt, der sich auf der Promenade des Hyde Park am späten Nachmittag regelmäßig ansammelte. So machte er die Bekanntschaft Louisa Dunleiths. Nachdem Dare Julienne im Park entdeckt hatte, fragte er Lady Dunleith nach der neuesten Entdeckung der Londoner Theaterwelt, und sie gab bereitwillig Auskunft. »Miss Laurent? Wie ich gehört habe, kam sie aus York hierher. Sie ist in aller Munde – und das zu Recht, wie ich finde. Sie singt wie ein Engel, und sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin. Noch kann sie es zwar nicht mit Mrs Siddons aufnehmen, aber selbst Edmund Kean hat ihre Darstellung der Desdemona schon in den höchsten Tönen gelobt.«

Dare nickte. Er war sicher, dass Miss Laurent eine sehr überzeugende Schauspielerin war, obwohl er sie noch nie auf der Bühne gesehen hatte.

Lady Dunleith musterte Dare neugierig. »Denkt Ihr etwa daran, sie für Euch selbst zu gewinnen? Überlegt Euch das besser noch einmal, Lord Wolverton. Wie mir zu Ohren kam, ist sie eine eher unterkühlte Bettgefährtin.«

Dare fragte sich, ob die schöne Witwe aus Eifersucht so etwas sagte, oder ob sie ihm nur einen sinnlosen Annäherungsversuch ersparen wollte. Eines war jedoch gewiss: Julienne Laurent war so unterkühlt wie glühende Kohlen.

»Wie dem auch sei«, fügte Lady Dunleith amüsiert hinzu, »Miss Laurent hat bekannt gegeben, sich nicht vor dem Ende der Saison für einen Gönner zu entscheiden. Es werden bereits hohe Wetten darüber abgeschlossen, wem es letztendlich gelingt, sie für sich zu gewinnen.«

Ihre Wahl wird gewiss auf denjenigen mit den tiefsten Taschen fallen, dachte Dare voller Groll. Schauspielerinnen verbesserten ihr mageres Einkommen oft durch die Zuschüsse eines persönlichen Förderers. Dare wusste aus schmerzlicher Erfahrung, dass sich die gewinnsüchtige Mademoiselle Laurent nur mit dem reichsten aller Bewerber zufrieden geben würde.

Was Dares Interesse im Park als Nächstes erregt hatte, war der Gentleman, der in eben diesem Moment die Aufmerksamkeit des Juwels gewann. Vicomte Riddingham war das Privileg zuteil geworden, Miss Laurent in seinem Zweispänner fahren zu dürfen. Er hatte jedoch gleich wieder anhalten müssen, da das Gefährt von einem halben Dutzend Bewunderern zu Pferde umringt wurde.

»Darling?« Lady Dunleiths schläfrige Stimme holte Dare in die Gegenwart zurück. »Komm doch wieder ins Bett.«

Erst jetzt bemerkte Dare, wie kalt es im Schlafgemach der Witwe geworden war. Er hatte splitternackt ein warmes Bett verlassen, um dieses Theaterbillett anzustarren, auf dem nichts weiter zu sehen war als das Porträt seiner früheren Geliebten. Doch so wie eine Zunge immer wieder an einem schmerzenden Zahn entlangfuhr, konnte auch Dare nicht von Julienne lassen.

Der Wunsch, Julienne aus seinen Gedanken zu vertreiben, hatte ihn veranlasst, Lady Dunleith nach ihrer Begegnung im Park nach Hause zu begleiten und den Abend damit zu verbringen, ihre fleischlichen Gelüste zu stillen – eine wenig anspruchsvolle Aufgabe, wie Dare schnell herausfand. Er hatte seine Kür routinemäßig aufgeführt, dabei aber nicht aufhören können, an eine bestimmte andere Frau zu denken.

Nachdem seine Verlobung mit Julienne gelöst worden war, kehrte Dare nach London zurück und führte ein Leben voller Ausschweifungen. Er war sogar zum Anführer der Hellfire League aufgestiegen, eines Clubs, dem Englands berüchtigtste Lebemänner angehörten. Dares sexuelle Exzesse und seine Zügellosigkeit hatten ihm nicht nur den Ruf eines verwegenen Herzensbrechers eingebracht, sondern ihm auch einen Spitznamen beschert: Herr der Gelüste.

Dare musste sich selbst eingestehen, dass seine lasterhafte Lebensweise nur ein Mittel gewesen war, die Leere in seinem Innern zu übertünchen. Nacht für Nacht verlor er sich in einem warmen, weiblichen Körper, um die Erinnerung an Julienne auszumerzen. Doch selbst wenn er mit einer Frau schlief, mit ihr die größtmögliche Form der Intimität teilte, fühlte er sich allein. Schlimmer noch: Er konnte nicht aufhören, sich nach dem Körper jener anderen zu sehnen.

Zum Teufel mit ihr.

»Dare?«, fragte Lady Dunleith mit einer Spur Ungeduld in der Stimme.

»Es tut mir Leid, meine Schöne.« Dare zerknüllte das Theaterbillett und widerstand dem Impuls, es ins Feuer zu werfen. Am Abend des folgenden Tages sollte ein neu inszeniertes Theaterstück aufgeführt werden. In der Hauptrolle glänzte die Neuentdeckung Julienne Laurent. Dare hatte noch nicht entschieden, ob er zu der Aufführung gehen würde. Ihm war klar, dass er besser daran täte, sich so weit wie möglich von Julienne fern zu halten. Er hatte einfach zu hart daran gearbeitet über die Geschichte hinwegzukommen, als dass er riskieren konnte, sein Herz erneut zu verlieren.

»Ich fürchte, ich muss gehen, Louisa«, sagte Dare nach einem Blick auf die Uhr.

»Jetzt noch? Aber es ist doch schon so spät ...«

»Es ist noch nicht einmal Mitternacht.«

Dare ignorierte die enttäuschte nackte Lady in dem einladenden Bett hinter sich und zog sich leise an. Anschließend ging er zu ihr und setzte sein charmantestes Lächeln auf, um sie um Verzeihung zu bitten. Er küsste sie noch einmal innig, überhörte aber all ihr Bitten, er möge doch bleiben.

Die Dienerschaft der Witwe war schon zu Bett gegangen, und das Pferd, das Dare im Hyde Park geritten hatte, stand gut versorgt in Lady Dunleiths Ställen. Anstatt das gesamte Gesinde aufzuwecken, öffnete Dare also selbst die Tür und ging die kurze Strecke durch Mayfairs dunkle Straßen zu Lucians Haus zu Fuß.

Lucian Tremayne, der Earl of Wycliff, gehörte zu Dares engsten Freunden und war einer von Englands meistbeschäftigten Spionen. Lucian hatte Dare engagiert, ihm bei der Jagd auf einen gefährlichen Verräter behilflich zu sein. Um ihre Zusammenarbeit so lange wie möglich geheim zu halten, hatten die beiden Männer die Anzahl ihrer Treffen auf ein Minimum reduziert. Hin und wieder mussten sie jedoch zusammenkommen, um über die neuesten Entwicklungen sprechen.

Dare stemmte sich dem eisigen Nachtwind entgegen und zog seinen Mantel enger um sich. Dies war der kälteste Winter, den er je erlebt hatte. Sogar die Themse war zugefroren. Auch in Yorkshire, wo er erst vor kurzem einen Besuch gemacht hatte, waren die Straßen vom Schnee völlig verstopft gewesen.

An diesem Abend würde er Lucian zum ersten Mal seit seiner Reise von den neuen Erkenntnissen berichten können. Am Morgen hatte er eine Nachricht an ihn gesandt, um ihn auf den späten Besuch vorzubereiten.

Die Fenster der imposanten Residenz der Wycliffs waren hell erleuchtet. Dare wurde ohne weiteres eingelassen und zur Bibliothek geführt, wo Lucian an seinem Schreibtisch saß und arbeitete. Die beiden Männer begrüßten sich mit einer Herzlichkeit, die nur langjährige Bekannte einander entgegenbrachten.

»Wie geht es deiner bezaubernden Frau?«, fragte Dare, während Lucian ihm ein Glas Brandy einschenkte.

»Sie wächst und gedeiht. Inzwischen ist Brynn so rund wie eine Melone. Und dass, obwohl das Kind erst in zwei Monaten kommt.«

»Wie schade, dass ich sie verpasst habe.« Dare setzte sich in einen der gemütlichen Sessel. »Ich habe gehört, sie war letzte Woche in London?«

»Ja, aber dann habe ich sie wieder nach Hause gebracht. Sie ist auf dem Land einfach sicherer.«

Für ihre Niederkunft war Brynn zu Lucians Familiensitz in Devonshire gereist, wo es einfacher war, sie zu beschützen. Im letzten Herbst waren sie und ihr Bruder von einem durchtriebenen Kriminellen bedroht worden, der sich selbst Lord Kaliban nannte, nach der Figur in Shakespeares Stück ›Der Sturm‹. Lucian hatte daraufhin das Goldschmugglernetz zerschlagen, durch das Kaliban Napoleons Truppen unterstützte, und den Anführer der Schmugglerbande für eine Zeit lang außer Gefecht gesetzt. Brynn war seitdem nicht mehr von Kaliban bedroht worden, doch der Verräter war noch immer auf freiem Fuß, und dies war der Grund, warum Lucian Dare hinzugezogen hatte.

Lucian überreichte seinem Gast den Brandy und setzte sich in den Sessel neben ihn. »Erzähl mir, was du in Yorkshire herausfinden konntest.«

»Leider nicht viel. Ich war zu Besuch bei einem Freund, dessen Besitz keine sechs Meilen von Riddinghams entfernt liegt, aber der verdammte Schnee hat es mir schwer gemacht, zu ihm zu gelangen. Trotzdem habe ich zweimal mit Riddingham und seinen Gästen zu Abend essen und Karten spielen können. Riddingham trug den Ring die ganze Zeit über. Als ich eine Bemerkung über die einzigartige Verarbeitung fallen ließ, behauptete der Vicomte, er hätte den Ring bei einer Partie Pikett gewonnen. Er konnte sich allerdings nicht mehr erinnern, von wem. Das könnte natürlich eine Lüge sein.« Dare nahm einen Schluck Brandy. »Selbst wenn Riddingham nicht ahnt, dass wir ihn für Kaliban halten, scheint es doch dumm, ein derart unverwechselbares Schmuckstück so offen zur Schau zu tragen. Und um ehrlich zu sein: Je besser ich Riddingham kennen lerne, desto mehr frage ich mich, ob er intelligent genug ist, ein gefährlicher Verbrecher zu sein.«

»Womöglich nicht. Aber wir müssen sicher gehen.« Lucians Augen verengten sich. »Es wäre ein fataler Fehler, Kalibans Verschlagenheit zu unterschätzen. Es wäre möglich, dass Riddingham uns mit seiner Leutseligkeit zum Narren hält. Er war im Januar, als unser Mann getötet wurde, immerhin hier in London.«

Zwei Monate zuvor war ein englischer Diplomat ermordet aufgefunden worden. Obwohl es keine Beweise gab, vermutete man, Kaliban sei dafür verantwortlich. Lucian und Dare waren sicher, dass der Verräter früher oder später abermals zuschlagen würde. Sie konnten nur hoffen, ihn zu enttarnen, bevor er weiteren Schaden anrichtete.

Es war frustrierend, einen Mörder zu jagen, der kaum mehr war als ein Schatten. Sie hatten bisher nur zwei Hinweise auf Kalibans Identität. Im Jahr zuvor hatte ein Zeuge einen kurzen Blick auf den Verräter werfen können und ihn als Aristokraten beschrieben. Außerdem besaß Kaliban offenbar einen ungewöhnlichen Ring, der mit einem rubinäugigen Drachenkopf verziert war. Dare hatte den Ring vor ein paar Monaten an Lord Riddinghams Hand entdeckt und die Spur des Vicomte seitdem heimlich verfolgt. Während seines Besuchs in Yorkshire hatte Dare versucht, Beweise für Riddinghams geheime Identität als Lord Kaliban zu finden, doch leider ohne jeglichen Erfolg.

Obwohl ihn die Fruchtlosigkeit seiner Bemühungen ärgerte, war sich Dare bewusst, dass niemand von ihm erwartete, über Nacht einen Kriminellen zu demaskieren, den die besten Regierungsbeamten des Landes bisher nicht hatten fassen können. Dares leichtlebige Vergangenheit hatte ihn auch nicht wirklich auf eine Karriere als Spion der Regierung vorbereitet, wie Lucian seinen Freund oftmals erinnern musste. Und doch hatte Lucian Dare insbesondere wegen seines sündhaften Lebenswandels engagiert, denn niemand, gewiss auch nicht Kaliban, würde vermuten, dass ausgerechnet der Herr der Gelüste die Jagd auf ihn anführte.

Dare kannte sich sowohl innerhalb der gehobenen als auch der weniger privilegierten Gesellschaftsschichten bestens aus, aber nicht nur deswegen hatte er sich bereit erklärt, Lucian zu helfen. Er tat es auch, weil sein Leben ihm zunehmend eintönig und vorhersehbar erschien. Die Vorstellung, sich mit einem listigen Verbrecher zu messen, faszinierte ihn. Nur halbherzig hatte er Lucian ausgelacht, als dieser ihm im letzten Herbst sagte, ein hehres Ziel könne sein Leben gewiss ändern. Jetzt lachte er ganz und gar nicht mehr darüber.

Dare nahm noch einen Schluck Brandy. Er zögerte, Lucian von der neuesten Verwicklung des Falles zu erzählen.

»Was weißt du über die neue Schauspielerin in der Drury Lane?«, fragte er schließlich. »Das ›Juwel‹, über das die ganze Stadt redet.« Es hatte Dare verwundert, dass man Julienne ausgerechnet als ›Juwel‹ bezeichnete und damit seinen alten Kosenamen für sie verwendete.

Lucian runzelte die Stirn. »Gehe ich recht in der Annahme, dass du ein Auge auf die Dame geworfen hast?«

»Keineswegs. Aber Riddingham ist einer ihrer Verehrer.«

»Ah.« Lucian lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Letzte Woche war ich mit Brynn bei einer von Miss Laurents Vorstellungen. Sie hat uns beiden außerordentlich gut gefallen. Willst du etwa andeuten, ihre Verbindung zu Riddingham könnte mehr als nur romantischer Natur sein?«

»Möglicherweise. Man sollte der Sache nachgehen – sie ist immerhin Französin. Sie könnte für Napoleon arbeiten. Wenn man die mageren Gehälter und zweifelhaften Moralvorstellungen von Schauspielerinnen bedenkt, ist es leicht vorstellbar, dass die eine oder andere bestechlich ist.«

Erst als Lucian amüsiert eine Augenbraue hob, bemerkte Dare, dass es für ihn selbst wohl kaum angemessen war, sich über zweifelhafte Moralvorstellungen auszulassen.

Julienne Laurents Landestreue gegenüber England war allerdings schon vormals infrage gestellt worden. Vor sieben Jahren hatte sein Großvater Julienne eine Verräterin genannt. Er behauptete damals, sie stecke mit den Bonapartisten unter einer Decke, und drohte ihr, sie wegen Hochverrats festnehmen zu lassen.

Zu jener Zeit war Dare überzeugt gewesen, dieser Vorwurf sei nichts weiter als ein schmählicher Versuch des alten Bastards, ihn und Julienne auseinander zu bringen. Alles, was damals für ihn zählte, war Julienne vor dem Zorn des Marquis zu beschützen. Mittlerweile jedoch war Dare bereit, die Anschuldigungen zu glauben.

»Vielleicht urteile ich vorschnell«, räumte er ein, »aber sie könnte tatsächlich mit Riddingham gemeinsame Sache machen.«

»Riddingham ist allerdings erst vorige Woche nach London zurückgekehrt«, sagte Lucian. »Sie hätten kaum Zeit gehabt, sich kennen zu lernen.«

»Was, wenn es eine sehr viel ältere Verbindung zwischen den beiden gibt? Riddinghams Familiensitz befindet sich in Yorkshire, und wie man mir sagte, hat Miss Laurent die letzten sechs Jahre über in York gelebt und dort als Schauspielerin gearbeitet.«

»Sie könnte seine Geliebte gewesen sein.«

»Durchaus. Als ich die beiden heute zusammen im Park sah, wirkten sie sehr vertraut miteinander. Wenn Riddingham nicht bereits ihr Bett teilt, ist er jedenfalls sehr erpicht darauf, es zu tun. Er hing geradezu an ihren Lippen – genau wie der Rest der männlichen Bevölkerung Londons.« Dare hoffte, sein sarkastischer Tonfall verriete nichts von der Eifersucht, die er empfand. »Sie könnte seine Komplizin sein.«

»Oder Riddingham hat es tatsächlich einzig und allein auf eine Liebschaft abgesehen«, warf Lucian ein. »Es geht das Gerücht, Miss Laurent suche einen Gönner.«

»Das habe ich auch gehört. Offenbar hat La Belle Laurent öffentlich verkündet, am Ende der Saison ihre Wahl zu treffen. Ein kluger Schachzug. Auf diese Weise wetteifern ihre Anhänger weiterhin um ihre Gunst«, sagte Dare spöttisch. »Auf jeden Fall sollte sie überwacht werden. Du könntest sie dazu benutzen, näher an Riddingham heranzukommen.«

»Ich? Du meinst wohl eher dich selbst.«

»Ich bin gewiss nicht der Richtige für diese Aufgabe. Ich hatte vor ein paar Jahren eine ... eine kurze nähere Bekanntschaft mit Miss Laurent.«

Lucian sah ihn lange durchdringend an, und Dare fühlte sich zunehmend unwohl. Er hatte nicht vor, Lucian die ganze hässliche Geschichte zu offenbaren. »Die Affäre endete recht unglücklich«, sagte er schlicht.

»Denkst du, die Dame will nichts mehr mit dir zu tun haben?«

»Da bin ich mir sicher.«

Lucian schenkte ihm ein schiefes Grinsen. »Mein Freund, bisher hast du noch jede Frau um den kleinen Finger wickeln können. Sicherlich musst du nur deinen berühmten Charme spielen lassen, um ihre Meinung über dich zu ändern.«

Dare starrte in sein Glas. Es stimmte: Wenn er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, eine Frau zu verführen, konnte er am Ende selbst die widerwilligste Dame überzeugen. Aber in diesem Fall hatte er von vornherein sehr schlechte Karten.

»Ich verstehe deine Zurückhaltung, Dare«, sagte Lucian. »Aber niemand ist geeigneter als du, Miss Laurent und ihre Verbindung zu Riddingham näher auszuspionieren.«

»Ich habe befürchtet, du würdest das sagen.«

»Ich hoffe, ich muss dich nicht daran erinnern, dass Englands Zukunft auf dem Spiel steht.« Lucian sah ihn eindringlich an. »Es sieht so aus, als ob dieser verdammte Krieg nun endlich zu einem Ende kommen könnte. Fast jeden Tag gibt es neue Berichte über die Siege der Großmächte, die Napoleon entgegenstehen. Aber eines steht fest: Selbst, wenn wir Napoleon bezwingen, wird Kaliban nicht aufgeben. Ein Mann wie er verschwindet nicht einfach so.«

»Mir ist die Gefahr, die Kaliban darstellt, durchaus bewusst.«

»Wirst du es also tun?«

Dare nahm einen weiteren großen Schluck Brandy. Das Brennen, das der Alkohol in seinem Hals hinterließ, vermischte sich mit dem tobenden Feuer in seinem Inneren. »In Ordnung«, sagte er kapitulierend. »Die günstigste Methode, dem Juwel wieder näher zu kommen, ist wohl, mich unter ihren Verehrern einzureihen. Ich werde vorgeben, einer von Riddinghams Rivalen zu sein. Das scheint mir der beste Vorwand, um ihm auf den Fersen zu bleiben.«

»Sehr gut. Und falls deine persönlichen Belange der Mission in die Quere kommen sollten, denk immer daran, wie viele Menschen aufgrund von Kalibans Machenschaften schon sterben mussten. Gleichzeitig kannst du die Gelegenheit nutzen, Miss Laurent in Bezug auf ihre Landestreue auf den Zahn zu fühlen. Womöglich hast du Recht und sie arbeitet tatsächlich für die Franzosen.«

Dare lächelte kalt. Es stellte für ihn ausgleichende Gerechtigkeit dar, wenn er nicht nur Kaliban enttarnen könnte, sondern auch Beweise dafür fände, dass die Verführerin, die einst sein Herz gebrochen hatte, eine Komplizin des Verräters war.

Die Anspannung der letzten Stunden fiel von ihm ab. Er hatte eine Entscheidung getroffen. Er würde die hinreißende Miss Laurent dazu benutzen, näher an Lord Riddingham heranzukommen. Falls sich herausstellte, dass Julienne wirklich eine französische Spionin war, würde er dafür sorgen, dass sie es bitter bereute.

Zweites Kapitel

Der schwere Duft von Talgfackeln und Orangenschalen erfüllte die Luft, doch Julienne wusste, dass es nicht die Bühnenausstattung war, die dieses plötzliche, starke Übelkeitsgefühl in ihr verursachte.

Er war im Publikum. Er sah ihrem Spiel zu.

Sie bemerkte, dass ihre Knie zitterten. Selbst die schmachtenden Rufe einiger ihrer Bewunderer im Parkett konnten sie nicht von Dares schonungslosem Blick ablenken. Er saß in einer der teuren Logen und ließ sie nicht aus den Augen.

Dare North. Der legendäre Frauenheld, der vor langer Zeit ihr Herz gestohlen hatte. Unter seiner unbarmherzigen Beobachtung hatte Julienne ihre Hauptrolle in der John Webster Tragödie wie betäubt gespielt. Sie verpasste wiederholt den Einsatz und vergaß beinahe ihren Text, was lautstarke Unmutsäußerungen des Theaterleiters, Samuel Arnold, zur Folge gehabt hatte.

Ich werde Dare einfach ignorieren, schwor sich Julienne zum zehnten Male, während sie hinter den Kulissen auf ihren letzten Auftritt wartete.

Das Theater Royal in der Drury Lane war eins der beiden besten Theater Londons, und an diesem Abend war das Haus bis auf den letzten Platz ausverkauft. Dies brachte normalerweise nur ein berühmter Schauspieler wie Edmund Kean zuwege, aber Kean war plötzlich erkrankt, wie es offiziell hieß – in Wahrheit erholte er sich von einem mehrtägigen Saufgelage. Julienne hatte es ganz allein geschafft, das Theater zu füllen, was für eine Debütantin aus der Provinz bemerkenswert war. Sie durfte sich diesen Abend, diese Chance, nicht durch Dare Norths Anwesenheit verderben lassen. Das fiel ihr jedoch schwer, denn sein Anblick beschwor all die lange unterdrückten Erinnerungen wieder herauf ...

Julienne hatte Jahre gebraucht, um über den Verlust hinwegzukommen und die Sehnsucht nach Dare aus ihrem Herzen zu vertreiben. Es war ein Risiko gewesen, nach London zu kommen, denn sie wusste, dass er sich hier aufhielt. Sie hatte gehofft, ihm aus dem Weg gehen zu können, aber sie begriff nun, wie naiv diese Vorstellung gewesen war. Der Marquis of Wolverton – wie sein jetziger illustrer Titel lautete – war trotz seines skandalösen Rufs, oder gerade deswegen, einer der Anführer der Beau Monde. Er kannte sich in Londons höchsten Kreisen aus, geradeso wie in den weniger angesehenen Bezirken der Stadt. Julienne konnte ihm ebenso wenig aus dem Weg gehen, wie sie den Schmerz zu unterdrücken vermochte, den sein Anblick in ihr auslöste. Wie sollte sie jemanden vergessen, der so unvergesslich war? Julienne hatte Dare mit einer Intensität geliebt, die sie in den folgenden Jahren nie wieder für einen anderen Mann hatte empfinden können. Sie ahnte damals nicht, dass sich diese Liebe als ihr Untergang entpuppen würde.

Julienne erinnerte sich an ihr letztes Zusammentreffen mit Dare. Innerhalb eines kurzen Moments verwandelte sich seine Bestürzung in Elend, seine Enttäuschung in Verachtung. Aber sie hatte keine Wahl gehabt. Sie musste ihn hintergehen. Sie bedauerte noch immer zutiefst, dass sie ihm die Gründe ihres Handelns damals nicht erklären konnte. Stattdessen hatte sie durch einen Schleier aus Tränen mit ansehen müssen, wie Dare aus ihrem Leben verschwand.

Das leise Zischen des Theaterleiters riss Julienne nun aus ihren Gedanken. Sie hatte abermals ihren Einsatz verpasst. Entschlossen eilte sie auf die Bühne, um die letzte blutrünstige Szene des Weißen Teufels hinter sich zu bringen. Die Rolle der arglistigen venezianischen Kurtisane zu spielen war der Traum unzähliger Schauspielerinnen, und Julienne meisterte die abschließende Szene der Geschichte um Mord und Rache ohne weitere Patzer. Trotzdem war sie dankbar, als ihre Figur letztlich den Tod fand und sich die Akteure, unter dem begeisterten Applaus des Publikums, endlich verbeugten.

Der Großteil der Bravorufe galt Julienne, die ihre eigene Darbietung für alles andere als zufriedenstellend hielt. Sie zwang sich zu einem Lächeln und bedankte sich mit einem anmutigen Knicks in Richtung der frenetisch applaudierenden Zuschauer auf den Emporen. Dann verneigte sie sich vor der Menschenmenge im Parkett und schließlich vor den Logen der feinen Gesellschaft.

Als sie den Kopf wieder hob, machte sie den Fehler, mit den Augen nach dem Mann zu suchen, den sie den ganzen Abend über zu ignorieren bemüht gewesen war. Dare war aufgestanden und an die Brüstung seiner Loge herangetreten.

Julienne erstarrte. Die hypnotische Kraft seines Blickes nahm sie sofort gefangen. Sogar über diese Entfernung hinweg konnten seine Augen ihr Innerstes versengen. Nach Luft schnappend öffneten sich ihre Lippen, während sich die seinen provozierend langsam zu einem lässigen Lächeln kräuselten. Julienne starrte auf Dares sinnlichen Mund, fühlte das Blut in ihren Adern pulsieren, und begriff erst nach einigen Augenblicken, dass er sie angesprochen hatte.

Ohne nachzudenken hob sie die Hand und forderte das erstaunte Publikum damit auf, still zu sein. Hunderte von Stimmen verstummten umgehend, und zahllose Köpfe drehten sich in die Richtung, in die Julienne derart gefesselt blickte.

Dare rief erneut ihren Namen, dieses Mal laut genug, um im gesamten Theater gehört zu werden. »Mademoiselle Laurent! Erlaubt mir, Euch zu einer ausnehmend gelungenen Darbietung zu gratulieren.«

Juliennes Nackenhaare sträubten sich. Was hatte Dare vor, dass er sie vor all diesen Leuten ansprach? »Ich danke Euch«, erwiderte sie mit festerer Stimme, als sie selbst erwartet hätte.

»Und? Ist es wahr?«

»Ist was wahr?«

Zwanglos setzte sich Dare auf die Brüstung seiner Loge und musterte Julienne ungeniert. »Dass Ihr plant, am Ende der Saison einen Gönner zu wählen?«

Verblüfft dachte Julienne an die Erklärung, die sie in der vergangenen Woche halb im Scherz gemacht hatte. Nach einer Aufführung war sie in der Garderobe von Scharen übereifriger Anhänger belagert worden, die alle um ihre Aufmerksamkeit buhlten und sie drängten, ihre unerwünschten Einladungen anzunehmen. Als sich ein zudringlicher Verehrer Julienne auf äußerst forsche Weise näherte, hatte sie ihr Unbehagen gekonnt überspielt, gelacht und gesagt, sie könne sich unmöglich schon jetzt für einen der charmanten Gentlemen entscheiden. Erst am Ende der Saison würde sie bekannt geben, auf wen ihre Wahl fiele.

Ihre Erklärung war nichts anderes als eine Verteidigungsstrategie gewesen. Julienne hatte nicht vor, irgendjemanden zu ihrem Gönner zu machen, aber sie konnte nicht riskieren, ihre Bewunderer, unter denen sich auch einige reiche Theaterförderer befanden, durch eine direkte Ablehnung zu verärgern. Sie würde fortan geschickt vorgehen müssen und die Männer, die ihr den Hof machten, weiterhin ermuntern, ohne ihnen eindeutige Zugeständnisse zu machen. Diese Taktik hatte zugleich einen angenehmen Nebeneffekt: Von wohlhabenden Männern umschwärmt zu werden, vergrößerte gleichzeitig ihren Wert für das Theater, denn es belebte das Geschäft.

Dass Lord Wolverton von dieser Sache gehört hatte, war nichts weiter als ein Beweis für die Effizienz des Londoner Tratsches. Julienne straffte nun die Schultern und antwortete höflich: »Mir ist unklar, inwiefern meine Absichten für Euch von Interesse sein könnten, Sir.«

Zu Juliennes Bestürzung kletterte Dare im nächsten Moment auf die Brüstung der Loge und stellte sich auf das schmale Geländer. Julienne konnte nicht genau sagen, ob die erschrockenen Ausrufe, die sie hörte, aus dem Publikum kamen oder von ihr selbst.

»Ich möchte hiermit bekannt geben, dass ich selbst an diesem Wettstreit teilzunehmen gedenke«, verkündete Dare.

Ein aufgeregtes Raunen ging durch den Saal. Die Zuschauer schienen mehr und mehr Gefallen an dieser Szene zu finden, doch Julienne hatte sich in all den Jahren, die sie nun schon auf der Bühne stand, noch nie hilfloser gefühlt. Was führte Dare im Schilde?

Unbekümmert lehnte sich Lord Wolverton mit der Schulter gegen eine Säule am Rande seiner Loge. Der steile Abgrund unter ihm schien ihn in keiner Weise zu stören. »Ich habe eine Wette darüber abgeschlossen, auf wen Eure Wahl fallen wird«, sagte er, für alle hörbar. »Ich wette, dass ihr mich wählt.«

Einige Leute im Parkett reagierten mit begeisterten Ausrufen auf diese Ankündigung, während der Rest des Publikums gebannt auf Juliennes Erwiderung wartete.

»Habt Ihr das tatsächlich gewettet?«, fragte Julienne und überlegte fieberhaft, was sie als Nächstes sagen sollte. »Ihr habt eine sehr hohe Meinung von Euch selbst, wie es scheint.«

»Eine Meinung, die durchaus gerechtfertigt ist.« Dares Blick wanderte über die Gesichter der Zuschauer. »Oder zweifelt irgendjemand hier daran, dass ich das Herz dieses reizenden Juwels gewinnen kann?«

Die Raufbolde im Parkett grölten, es bestünde kein Zweifel, und von den oberen Rängen war vereinzelter Applaus zu hören. Dare deutete spielerisch eine Verbeugung an und bedankte sich für das Vertrauen, das man in ihn setzte.

Die Sache wird langsam gefährlich, dachte Julienne alarmiert. Wenn Dare von dort oben herunterfiel, konnte er sich ernsthaft verletzen. Aber er war schon immer leichtsinnig gewesen. Leichtsinnig, waghalsig und respektlos. Es schien ihn nicht im Geringsten zu interessieren, dass ihnen das gesamte Theaterpublikum zusah. Die Zuschauer feuerten Dare sogar noch an und machten ganz den Eindruck, als genössen sie seine dreiste Vorstellung in vollen Zügen.

Julienne ging ein paar Schritte auf die Loge zu. Dare hatte ihr durch seine öffentliche Erklärung eine clevere Falle gestellt, aber sie durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Sie war nicht daran interessiert, sich einen Gönner oder Liebhaber auszuwählen, und ganz bestimmt würde sie sich nicht ausgerechnet für den Mann entscheiden, der noch immer solch schmerzliche Empfindungen in ihr heraufbeschwor.

Julienne wagte es jedoch nicht, Dare vor all den zuschauenden Theaterbesuchern zurückzuweisen, denn damit würde sie alles aufs Spiel setzen, wofür sie gearbeitet hatte. Als Schauspielerin hing sie gänzlich vom Wohlwollen ihres Publikums ab, und den Zuschauern schien dieses Intermezzo außerordentlich gut zu gefallen. Glücklicherweise hatte Julienne nicht nur jahrelange Bühnenerfahrung, sondern wusste auch, wie man mit zudringlichen Verehrern umgehen musste. Aus diesem Gedanken schöpfte sie Selbstvertrauen und fand endlich zu ihrer Geistesgegenwart zurück. Sie stemmte beide Hände in die Seiten, ließ den Blick gelassen an Dare hinabwandern und begutachtete ihn wie ein Pferd bei Tattersalls.

»Möglicherweise ist Eure hochtrabende Meinung von Euch selbst tatsächlich gerechtfertigt«, überlegte sie laut. »Euer Ruf eilt Euch voraus. Der berüchtigte Lord Wolverton – ein teuflischer Herzensbrecher, berühmt für seinen Charme und seine Ausschweifungen. Der Herr der Gelüste – nennen sie Euch nicht so? Auch bekannt als die Geißel weiblicher Herzen.«

»Ihr selbst seid innerhalb kürzester Zeit zur Geißel männlicher Herzen geworden, ma belle.«

»Das war nie meine Absicht«, entgegnete Julienne bestimmt. »Aber da Ihr es gerade ansprecht, möchte ich gern selbst eine Wette abschließen.« Sie wandte sich den Menschen im Publikum zu. »Ich werde beschuldigt, willentlich männliche Herzen zu brechen. Nun, in diesem Fall kann ich mich ebenso gut tatsächlich als Herzensbrecherin versuchen. Ich wette also, dass ich den Herrn der Gelüste in die Knie zwingen kann.«

Der ohrenbetäubende Applaus, der nun losbrach, wurde von rhythmischem Fußgetrampel und begeisterten Rufen begleitet. Es dauerte einige Minuten, bis es im Theater wieder still genug war, um das Spektakel fortzusetzen.

Dare lächelte diabolisch. »Ihr denkt also, Ihr könntet mein Herz brechen?«

»Dessen bin ich mir sicher.«

»Ihr seid herzlich eingeladen, es zu versuchen.« Dare verneigte sich erneut, ohne dabei den Blick von Julienne zu wenden. »Ich freue mich schon jetzt auf unsere erste Verabredung, mein Juwel.«

Die Zuschauer brachen erneut in Jubel aus, versprach diese Schlacht doch köstliche Unterhaltung. Als Julienne einen Knicks andeutete und von der Bühne eilte, wurden bereits die ersten Wetten darüber abgeschlossen, wer wem das Herz brechen würde.

Der Theaterleiter, Samuel Arnold, wartete hinter der Bühne. Julienne konnte kaum verstehen, was er sagte, zu laut war der Tumult im Publikum. Noch lauter war das Klopfen ihres Herzens. Da der Theaterleiter von dem Vorfall aber begeistert zu sein schien, bedachte Julienne ihn nur mit einem knappen Kopfnicken und floh in die Garderobenräume.

Das Theater besaß zwei öffentliche Garderoben – eine für die Mitwirkenden niederen Ranges, und eine zweite, elegantere, in der sich nur die Hauptdarsteller aufhalten durften. Nach den Aufführungen hielten die Schauspieler hier gewöhnlich Hof und trafen ihre Anbeter.

Julienne ließ sich müde auf eine Chaiselongue fallen und vergrub das Gesicht, ungeachtet der Bühnenschminke, in ihren Händen. Sie hatte geglaubt, sie sei gut darauf vorbereitet, Dare wiederzusehen. Doch ihm unter diesen Umständen zu begegnen, sich vor all diesen Leuten einem Wortgefecht mit ihm stellen zu müssen – und dass zu einem solch heiklen Thema wie der Wahl ihres Liebhabers! –, darauf war sie gewiss nicht vorbereitet gewesen.

Dare wollte mit dieser öffentlichen Bloßstellung anscheinend Rache für ihre vergangenen Sünden nehmen. Seinen Wunsch nach Vergeltung konnte Julienne nachvollziehen, denn vor sieben Jahren hatte sie Dare tief verletzt und ihre Verlobung auf grausamste Weise gelöst. Sie musste ihn damals absichtlich so sehr schockieren, dass er sie verließ, musste ihn um seiner selbst willen dazu bringen, sie zu verfluchen. Das Wissen, aus Liebe zu handeln, machte es aber nicht leichter, ihn aufzugeben. Im Gegenteil – es war die schrecklichste Erfahrung ihres Lebens gewesen. Sie verlor nicht nur Dare, sondern war im Folgenden der Gnade eines habgierigen Wüstlings und den Machenschaften eines gehässigen alten Aristokraten ausgeliefert gewesen. Der Earl of Ivers und der Marquis of Wolverton hatten Juliennes guten Namen zerstört, und beinahe auch sie selbst.

Juliennes Träume waren nach der Trennung von Dare zerschlagen, ihr Hutgeschäft entbehrte durch die Intrige der beiden Edelmänner fortan jeglicher Kundschaft und jeden Einkommens. Sie selbst wurde gemieden, und ihre geliebte Maman musste die Schande mit ihr teilen. Das war es, was Julienne am meisten belastete. Der Skandal hatte die ohnehin rasch schlechter werdende Gesundheit der Comptess de Folmont zusätzlich geschwächt. Um ihrer Mutter weiteren Kummer zu ersparen, hatte sich Julienne entschieden, ihr bisheriges Leben aufzugeben und nach einem neuen Heim und einer neuen Beschäftigung zu suchen. Es war bloßer Zufall, dass eine reisende Schauspielertruppe aus York in ihrer Gegend gastierte, gerade zu dem Zeitpunkt, als Julienne weder ein noch aus wusste. Sie kannte die Truppe aus den vergangenen Jahren, in denen sie des Öfteren bei den Kostümen ausgeholfen hatte. Als die Schauspieler von Juliennes Situation erfuhren, boten sie ihr nicht nur einen Ausweg an, sondern auch Trost und Freundschaft.

Da Julienne in Whitstable mit keiner achtbaren Anstellung mehr rechnen konnte, schloss sie sich der Truppe an und ließ sich schließlich in York nieder. Sie verbrachte die nächsten Jahre damit, ihr neues Handwerk von Grund auf zu lernen. Nur auf diese Weise konnte sie sich selbst und ihrer Mutter eine Zukunft sichern.

Den Großteil ihres kläglichen Lohns sandte Julienne heim nach Whitstable. Ihr Hutgeschäft, das mittlerweile von ihrer Verkäuferin geleitet wurde, warf anfangs noch genug ab, um die hohen Arztrechnungen zu bezahlen. Als sich die Krankheit der Comptess aber verschlimmerte, musste Julienne einige schwere Entscheidungen treffen, um sicherzustellen, dass die letzten Tage ihrer Mutter erträglich verliefen.

Nach Mamans Tod vor beinahe vier Jahren übernahm Julienne wieder die Kontrolle über ihr Leben und baute sich eine neue Zukunft auf. Als sie das Angebot des Drury Lane Theaters für ein festes, gut bezahltes Engagement bekam, sagte sie ohne Zögern zu. Dares Anwesenheit in London sollte sie nicht davon abhalten, diese einmalige Chance zu finanzieller Unabhängigkeit zu ergreifen. Es war nicht Ruhm, nach dem Julienne strebte, sie hatte allein ihr finanzielles Auskommen im Auge. Wenn sie hier in London erfolgreich war, wenn sie sich als Schauspielerin beweisen konnte, dann wäre sie eines Tages in der Lage, ihr Leben selbst zu bestimmen. Niemals wieder wollte sie von den Launen eines Mannes abhängig sein.

Julienne konzentrierte sich nun und atmete langsam ein und aus. Mit dieser Atemtechnik bekämpfte sie gewöhnlich vor ihren Auftritten ihre Nervosität, und dieser kleine Trick sollte ihr jetzt helfen, ihr aufgekratztes Inneres zu beruhigen. Das Wiedersehen mit Dare hatte sie zutiefst aufgewühlt, denn trotz aller Schwierigkeiten hatte sie ihn in der Vergangenheit nie vollständig aus ihren Gedanken vertreiben können. Jahrelang verfolgte sein Bild sie, und das sowohl in ihren schönsten Tagträumen als auch in ihren schlimmsten Albträumen.

Kurze Zeit später betraten die anderen Hauptdarsteller die Garderobe, gefolgt von einer ganzen Horde Theaterliebhaber, die lachend und lärmend in den Raum drängten. An diesem Abend schien es nur ein Thema zu geben: die anmaßende Wette eines gewissen Gentleman.

Julienne gab vor, von dem ganzen Spektakel in keiner Weise tangiert zu sein, und brachte ein hinreißendes Lächeln für die Herren zustande, die sofort auf sie zustürmten. Sie war sich bewusst, dass all diese Männer nur eines im Sinn hatten: sich einen Weg in ihr Bett zu erkaufen. Von jeder Frau ihres Berufsstandes wurde erwartet, für einen bestimmten Preis zu haben zu sein, und obgleich Julienne ihr Bett nicht zu teilen gedachte, musste sie den Anschein wahren.

An diesem Abend hatte sie noch eine zusätzliche Aufgabe. Sie musste ihre Anhänger davon überzeugen, dass Lord Wolvertons Erklärung keine ernsthafte Bedrohung für die übrigen Anbeter des Juwels war.

Einer der beharrlichsten Verehrer Juliennes war Hugh Bramley, der Vicomte Riddingham, ein großer und leicht schlaksiger Mann. Er hatte langweiliges braunes Haar und wenig markante Gesichtszüge, besaß gleichzeitig aber sehr gute Manieren und Humor, aufgrund derer Julienne seine Gegenwart der der anderen Edelmänner vorzog.

Riddingham war ganz offensichtlich unzufrieden mit den Geschehnissen des Abends und zeigte unmissverständlich seine Eifersucht. »Dieser Luftikus hat Nerven, sich so dreist in den Vordergrund zu spielen! Miss Laurent, ich vertraue darauf, dass Ihr diesem aufsässigen Jungen nicht erlaubt, Euch zum Spielzeug seiner Launen zu machen. Seine Verderbtheit ist legendär ...«

»Solange Ihr in meiner Nähe bleibt, stellt er keine Gefahr für mich dar«, gab Julienne liebenswürdig zurück. Riddingham sollte keinesfalls glauben, sie interessiere sich tatsächlich für Wolverton. In Wahrheit wurde Julienne jedoch zunehmend nervöser. Sie befürchtete, Dare könne jeden Moment die Garderobe betreten, und es fiel ihr schwer, nicht ständig zur Tür zu starren. Um ihre Anspannung zu verbergen, ließ sie sich in gewitzte Wortgefechte verstricken. Ihre Anbeter trugen ihr während dieser Gespräche immer wieder Einladungen für späte Abendessen an, aber Julienne gab jedes Mal vor, sehr müde zu sein, und lehnte alle Angebote mit einem bezaubernden Lächeln ab.

Eine dreiviertel Stunde später hatten sich die weniger beharrlichen Kavaliere bereits zurückgezogen, und die Gruppe der Gentlemen war sichtlich geschrumpft. Julienne begann schon zu hoffen, sie müsse Lord Wolverton an diesem Abend kein zweites Mal begegnen und könne sich bald zurückziehen.

Sie lachte gerade mit Riddingham über einen seiner Scherze, als das Gesicht des Vicomtes plötzlich gefror. Mit einem Mal war es völlig still im Raum. Dann teilte sich die Gruppe der Gentlemen – und vor Julienne stand Dare North.

Ihr Herz überschlug sich. Dare besaß noch immer dieselbe Eleganz, an die sie sich erinnerte, dieselbe geschmeidige Grazie, dieselbe schlanke Figur. Nur seine Schultern waren inzwischen etwas breiter geworden, seine Schenkel etwas muskulöser, seine aristokratischen Züge noch entwaffnender als vor sieben Jahren. Sein Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den noblen Brauen besaß eine geradezu teuflische Schönheit.

Julienne versuchte krampfhaft, Dare nicht anzustarren. Lord Wolverton hingegen schien sich nicht im Geringsten zu genieren, Julienne ganz offen zu taxieren. Seine Augen wanderten langsam an ihrer Kleidung hinab und schienen dabei durch den Stoff zu dringen. Sanft streifte sein Blick über ihren Busen, der von ihrem Kleid nur spärlich verdeckt wurde, bevor er fachmännisch die schmale Hüfte entlangfuhr. Es war der Blick eines Mannes, der den weiblichen Körper auf intimste Weise kannte.

Julienne pochte das Herz bis zum Halse.

»Jetzt verstehe ich, warum ganz London solch ein Aufheben um Euch macht«, sagte Dare. »Eure Bühnenpräsenz ist schon aus der Entfernung bemerkenswert. Aus der Nähe aber ... Eure Schönheit macht mich sprachlos.«

»Ich wage das zu bezweifeln, Sir.« Julienne betrachtete ihn so kühl sie es vermochte. »Ich vermute, Euch kann kaum etwas die Sprache verschlagen.«

»Kaum etwas.« Er bedachte sie mit einem umwerfenden Lächeln. Es war jenes Lächeln, das sie seit Jahren in ihren Träumen verfolgte.

Julienne suchte angestrengt nach etwas Geistreichem, das sie ihm entgegenschleudern konnte. Bevor sie aber dazu kam, nahm Dare ihre Hand in seine, führte sie an seine Lippen und küsste ihre Fingerspitzen. Julienne spürte eine Welle heißen Verlangens durch ihre Adern rieseln. Dare, der sie genau beobachtete, lächelte wissend.

Nur mit größter Anstrengung unterdrückte Julienne den Impuls, ihm ihre Hand zu entreißen. Stattdessen entwand sie ihre Finger betont langsam den seinen und bedauerte die Blöße, die sie sich gegeben hatte.

»Wie kommt es, dass Ihr uns erst jetzt mit Eurer Gegenwart beehrt? Das Stück ist schon vor einer geraumen Weile zu Ende gegangen.«

»Ich wollte Eure anderen Bewunderer nicht der Möglichkeit berauben, ein wenig Eure Gegenwart zu genießen, bevor ich Euch zum Abendessen ausführe.«

Mehrere der Herren, die um Julienne herumstanden, legten sofort Widerspruch ein. Vor allem Riddingham erzürnte Dares Gebaren. »Miss Laurent wird Euch nirgendwohin begleiten, Wolverton!«

»Verzeiht, alter Freund, dass ich in Eurem Territorium wildere, aber ich habe eine Wette zu gewinnen. Sicherlich habt Ihr dafür Verständnis.«

Julienne ging mit einem eisigen Lächeln dazwischen. »Ich danke Euch für Euer Angebot, Lord Wolverton, aber Lord Riddingham hat Recht. Ich muss leider ablehnen. Ich befürchte, die Aufführung heute Abend hat mir schlimme Kopfschmerzen beschert.«

»Das bedaure ich«, sagte Dare. »Doch bitte erlaubt mir, Protest zu äußern. Ihr habt meine Herausforderung angenommen, Mademoiselle. Ihr solltet mir, in aller Fairness, auch die Gelegenheit geben, um Euch zu werben. Wie könnte ich sonst Euer Herz gewinnen?«

»Ich fürchte, das ist Euer Problem, und nicht meins.«

»Habt Ihr nicht selbst gewettet, mich in die Knie zwingen zu können?«

»Ein anderes Mal vielleicht. Jetzt möchte ich mich zurückziehen und umkleiden. Wenn Ihr mich bitte entschuldigen wollt.«

Julienne erhob sich von der Chaiselongue und warf ein entschuldigendes Lächeln in die Runde, das allen galt, nur nicht Dare. »Ich hoffe, ich sehe sie alle morgen wieder, meine Herren.«

Julienne verließ die Garderobe und ging durch einen schmalen Korridor zu ihrem privaten Ankleidezimmer. Sie wollte gerade die Tür schließen, als zu ihrem Entsetzen Dare hinter ihr eintrat. Julienne fuhr herum und starrte ihn ungläubig an. Er war tatsächlich dreist genug, ihr zu folgen. Als Nächstes schloss er auch noch die Tür ab!

»Deine Manieren waren schon immer mehr als unzureichend«, stellte sie tonlos fest. »Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt: Ich möchte allein sein.«

»Nein, du hast gesagt, du möchtest dich umkleiden.«

Seine leuchtenden grünen Augen richteten sich erneut auf ihren Körper. Julienne hätte am liebsten beide Arme um ihre Brust geschlungen, um seinen Blicken zu entgehen. Sein Auftauchen in ihrem Ankleidezimmer überraschte sie nicht wirklich. Dare North war ein Mann, der die Regeln und Sitten der Gesellschaft genau kannte – und sie mit Vorliebe brach.

Ein lautes Hämmern an der Tür ließ Julienne aufschrecken. Vor dem Ankleidezimmer hörte sie Riddingham rufen: »Miss Laurent, ist Wolverton Euch etwa gefolgt? Benötigt Ihr Hilfe?« Er trommelte erneut gegen die Tür.

»Du solltest etwas sagen, bevor er die Tür eintritt«, flüsterte Dare.

Julienne war versucht, Dare ins Gesicht zu schlagen. Bevor sie aber dazu kam, war er schon hinter die Umkleidewand geschlüpft, die im rückwärtigen Teil des Zimmers stand. Seine Unverschämtheit machte sie sprachlos.

Julienne schloss die Tür auf und öffnete sie einen Spalt breit. Vor ihr stand, völlig aufgebracht, Lord Riddingham.

»Soll ich den Theaterleiter rufen?«, fragte er grollend.

Julienne hatte kein Interesse daran, die Eifersucht des Vicomtes noch weiter zu schüren, indem sie zugab, dass sich Wolverton allein mit ihr in ihrem privaten Ankleidezimmer aufhielt. Mit gespielter Ahnungslosigkeit fragte sie deshalb: »Warum solltet ihr den Theaterleiter rufen?«

»Ich dachte, ich hätte Wolverton hier hereingehen sehen.«

»Ihr müsst Euch geirrt haben.« Julienne machte die Tür weit auf und ließ Riddingham einen Blick auf das vor Kostümen und Zubehör überquellende kleine Ankleidezimmer werfen, in dem kaum genug Platz für den Frisiertisch und die Umkleidewand war. »Seht Ihr, Sir, ich benötige keine Hilfe. Trotzdem möchte ich Euch für Eure freundliche Aufmerksamkeit danken. Wäre Wolverton tatsächlich hier, so wäre ich über Euer Erscheinen natürlich hocherfreut gewesen.«

Riddingham räusperte sich und äußerte verkniffen eine Entschuldigung für die Störung. Nachdem er gegangen war und sie die Tür wieder geschlossen hatte, zählte Julienne langsam bis zehn. Erst dann sagte sie in kaltem Tonfall: »Du kannst jetzt herauskommen.«

Dare spazierte in aller Seelenruhe hinter der Umkleidewand hervor, und Julienne konnte es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: »So geschickt, wie du hinter der Wand verschwunden bist, muss ich annehmen, du besitzt jede Menge Erfahrung darin, dich vor wütenden Ehemännern und Liebhabern zu verstecken.«

»Das ist in der Tat so«, gab Dare unumwunden zu.

»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn du mich jetzt allein ließest.«

Dares Grinsen war verführerisch genug, Juliennes Herz schneller schlagen zu lassen. »Ich kann nicht gehen, bevor ich nicht sicher bin, dass Riddingham fort ist. Du möchtest dir doch bestimmt auch die Peinlichkeit ersparen, als Lügnerin dazustehen, nicht wahr?«

»Meinetwegen!«, sagte Julienne zornig. »Du kannst noch einen Moment lang bleiben. Aber falls es dir keine Umstände macht, würde ich dich bitten, mich nach hinten gehen zu lassen, damit ich mich umziehen kann.«

»Brauchst du dabei Hilfe?«, fragte Dare leichthin.

»Nein, die brauche ich nicht!«

»Wie schade. Aber im Ernst, ich bin nur hier, um dich zu überreden, mit mir essen zu gehen. Ein einziges Abendessen, mehr verlange ich nicht! Du könntest diese Gelegenheit übrigens dazu nutzen, mein Herz zu bezirzen.«

Julienne betrachtete ihn durchdringend. »Was willst du wirklich von mir, Dare?«

»Ich habe gewettet, dass ich dich für mich gewinnen kann.«

»Wie viel?«, fragte sie schneidend und verschränkte die Arme vor der Brust. »Welche Summe hast du gesetzt?«

»Was macht das für einen Unterschied?«

»Wenn es nicht zu viel ist, werde ich dir das Geld selbst geben. Dann könnten wir uns diese lächerliche Scharade ersparen.« Julienne vermutete, die Summe, um die es ging, läge weit außerhalb ihrer Möglichkeiten, aber sie wollte Dare vor Augen führen, wie absurd sie die ganze Sache fand.

»Es geht hierbei nicht um Geld«, sagte er und gab vor, verletzt zu sein. »Mein Stolz steht auf dem Spiel.«

»Dein Stolz?« Julienne verzog abschätzig das Gesicht. »Dieser ganze Wettstreit ist doch nicht wirklich dein Ernst, oder?«

»Ah, wie schlecht du mich kennst!«

Das ist wahr, dachte Julienne plötzlich traurig. Der Mann, den sie einst geliebt hatte, war zu einem Fremden geworden. Es war ihm gleich, dass er sie öffentlich zum Gespött machte.

Julienne ging zur Umkleidewand hinüber und war froh, dass Dare zur Seite trat und ihr wenigstens dieses geringe Maß an Privatsphäre zugestand. Derart nahe an ihm vorbeizugehen beschleunigte allerdings erneut ihren Puls.