Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Respektlos, verwöhnt, faul oder neugierig, fordernd, flexibel. Die Meinungen über die Generation Y klaffen weit auseinander. Wie ticken Sie aber wirklich die Jungen, die nächste Generation, unsere Zukunft? Steffi Burkhart ist das "Gesicht der Generation Y" (MDR) und ihr Sprachrohr. Mit diesem Buch räumt sie mit stereotypen Vorurteilen auf, die Medien kolportieren. Sie liefert ein wissenschaftlich untermauertes, lebendiges Plädoyer dafür, die Generation Y nicht mit flapsiger Handbewegung vom Tisch zu wischen. Dazu ist die Diskussion zu weitreichend. Sie betrifft den gesamten Wandel der Arbeitswelt und dabei nimmt die Gen Y die Rolle eines Vorreiters ein: Sie hinterfragt bestehende Erfolgsmuster von Arbeit und Führung, bringt das Baby Internet zum Laufen, baut sich eine digitale Realität auf und überträgt die dortigen Spielregeln in die analoge Arbeitswelt, sie denkt mehr im Wir als im Ich, lebt vielfältigere Lebensläufe und lernt schon recht früh, mit der wachsenden Komplexität zurechtzukommen. Steffi hilft Führungskräften und Personalern mit konkreten To-dos und Reflexionsfragen und ermöglicht ein Mitdiskutieren auf der Webseite zum Buch. Ein Must-read für alle Führungskräfte und solche, die es mal werden wollen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 290
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Das Jahr 2010 war spannend, es war der Auslöser für dieses Buch. Wobei ich das damals noch nicht wusste. Ich war 25, frische Sportstudium-Absolventin und bewarb mich um meinen ersten Arbeitsplatz. Ein dicker Fisch hatte angebissen, es lief alles nach Plan. Ich war top motiviert und echt neugierig darauf, was mich da draußen in der Arbeitswelt erwartet. Und dann endlich: Meine erste Arbeitswoche stand vor der Tür. Doch schon am zweiten Arbeitstag ging es mit meiner Motivation bergab. Ich kann mich noch so gut daran erinnern: Es war Mittagszeit, und ich war mit meinen Arbeitskollegen auf dem Weg zur Kantine. Weil ich immer so flink unterwegs bin, war ich die Erste. Heiter teiter ging es zwei Etagen die Treppen runter – und plötzlich war er da! Der Ruf meines Chefs: »Frau Burkhart, bitte den Handlauf benutzen!« Nicht wissend, was der von mir wollte, drehte ich mich mit hochgezogener Augenbraue um und war leicht von dem Anblick meiner Kollegen irritiert. Wie eine Entenfamilie hintereinander aufgereiht gingen sie die Treppen runter und hielten sich am Geländer fest. Sie haben richtig gehört und erahnen es! Wer den Handlauf benutzt, verhält sich regelkonform. Wer nicht, nicht. Und es kommt noch schlimmer: Zwei Stufen auf einmal – Regelverstoß! Telefonierend auf der Treppe – Regelverstoß! Erhöhte Geschwindigkeit auf der Treppe – Regelverstoß! Großes Paket aufm Arm – Regelverstoß! Ja, die spinnen doch! #Handlauf
Ich war unterwegs in einer Welt voller Fremdbestimmung, Entmündigung, Konformismus und Regelwut. Um mich herum lauter angepasste Weicheier, Jammerlappen und Ja-Sager. Vor- und Querdenker gab es zwar auch welche und für den Austausch mit jenen bin ich noch heute sehr dankbar – die waren dort aber in der Minderheit. Die Masse war geprägt vom Entengang. Über Jahre hinweg gebrainwashed und zurechtgebogen laufen sie der Menge hinterher und halten nur für normal, was den Regeln entspricht. Als ich das Unternehmen verließ, war jeder meiner Überzeugungsversuche vergebens gewesen. Dabei war für mich so klar: Wir leben alle nur einmal auf dieser Erde. Da möchte ich mehr tun, als nur sinnlosen Regeln und Anweisungen meines Chefs zu folgen. #YouOnlyLiveOnce
Kulturschock pur! Anders kann ich es nicht beschreiben. Während sich draußen die Welt im Hier und Jetzt bewegt, ist die Uhr hinter den Unternehmensmauern im letzten Jahrhundert stehengeblieben: Stempelsystem, Acht-Stunden-Tage, Anwesenheitspflicht, von Kreativität weit und breit keine Spur, die Wörter Spontanität und Flexibilität kennt man nicht, Nackenschmerzen vom Hochschauen, Rückenschmerzen vom Bücken und und und. #AlteArbeitswelt #NeueArbeitswelt
Schon nach wenigen Wochen Konzernluft-Schnuppern stellte ich mir die Frage: Wie soll ich es dort zwei Jahre (ich durfte dort meine Promotion umsetzen) aushalten, ohne in innere Kündigung abzudriften?
Nach einem Jahr begann ich, an mir selbst zu zweifeln: Liegt es vielleicht an mir? Muss ich lernen, mich anders zu verhalten? Bin ich zu frech? Zu eckig und kantig? Hm, vielleicht. Also fing ich an, mich zu verbiegen, um besser da reinzupassen. Aber: Lange hielt ich das nicht aus. Fühlte mich nicht mehr wohl in meiner Haut, war nicht mehr ich selbst. Und weil ich das nicht wollte und mir mein Freundeskreis schon kritisches Feedback zu meiner beginnenden Metamorphose hin zur Konzerngestalt gab, krempelte ich mich wieder um zur echten Steffi. #DieSpinnenDieJungen!
Und genau dafür plädiere ich: mehr ausgeprägte Individualisten, starke Persönlichkeiten, die unterstützt und nicht in Massenabfertigung eingestampft werden. Und ich plädiere dafür, die Diskussion um die Generation Y nicht mit flapsiger Handbewegung vom Tisch zu wischen. Die Diskussion ist viel weitreichender als nur mit Behauptungen um sich zu werfen und die junge Generation als faul, frech und fordernd zu beschreiben. Sie umfasst einen gesamten Wandel der Arbeitswelt – in dem die Generation Y die Rolle des Vorreiters einnimmt. Nicht alle und nicht für alles. Aber schon für einiges: Sie hinterfragt bestehende Erfolgsmuster von Arbeit und Führung, bringt das Baby »Internet« zum Laufen, baut sich eine digitale Realität auf und überträgt die dortigen Spielregeln in die analoge Arbeitswelt, sie denkt mehr im Wir als im Ich, prägt eine neue Lernkultur, entwertet klassische Rollenbilder, lebt vielfältigere Lebensläufe und lernt schon recht früh, mit der wachsenden Komplexität zurechtzukommen. #EvolutionDerArbeitswelt
Die spinnen, die Jungen? Na, wollen wir mal sehen!
Es gibt kaum eine Zeitschrift, die im vergangenen Jahr nicht über die heute 20- bis Mitte-30-Jährigen berichtet hat. Die »Generation Y«. Ein leider missverstandener Begriff. Ein Buzz-Wort für die ungezogene Jugend: Heulsusen, Weicheier, frech, faul, fordernd, wollen nur Spaß haben, keine Karriere machen und sind respektlos Führungskräften gegenüber. Das alles und noch viel mehr wird uns nachgesagt. Ich habe manchmal das Gefühl, Medien wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der »Spiegel« oder die »Zeit« streben geradezu danach, sich in der Schwarzmalerei zu übertreffen. Viele nutzen das Meckern über die junge Generation als Ventil für ihren Frust über die veränderten Bedingungen des Arbeitsmarkts, insbesondere über den wachsenden Leidensdruck – ob als Unternehmen, Führungskraft oder langjähriger Mitarbeiter. Das darf nicht passieren. Wir neigen zu häufig dazu, Sündenböcke für Veränderungen zu suchen, statt uns selbst zu fragen, welchen konstruktiven Beitrag wir leisten können. Und wenn ich mich nicht an den Wandel dieser (Arbeits-)Welt anpassen möchte und den guten alten Zeiten hinterherschwärme, sollte ich die Klappe halten und aufhören, die Menschen von morgen auszubremsen. Sicherlich ist nicht alles gut, nicht alles perfekt an meiner Generation. Aber was ist schon perfekt?
Wer ist sie nun eigentlich, diese Generation Y? Betrachten wir sie mit der demografischen Brille, umfasst sie die Alterskohorte der heute 20- bis Mitte-30-Jährigen (*1980–1995). Neben ihr gibt es:
• die U-20-Jährigen, die als »Generation Z« bezeichnet werden, (*1995–2010)
• die Generation X, die heute Mitte-30- bis 50-Jährigen, (*1965–980)
• die Babyboomer, die Eltern-Generation der Generation Y, (*1950–1965)
• sowie die 68er-Generation, die älteste Generation, die sich aktuell auf dem Arbeitsmarkt rumtreibt (*1935–1950)
Es gibt Autoren, die Beginn und Ende einer jeweiligen Kohorte um bis zu fünf Jahre nach oben oder unten schieben. Das soll uns hier nicht interessieren. Erstens, weil Übergänge zwischen Generationen fließend sind, und zweitens, weil für meine Gedankengänge exakte Jahresangaben nicht von Bedeutung sind.
Anteil der Generationen an der Gesamtbevölkerung und am Arbeitsmarkt (Quelle: Destatis 2013).
So weit zur demografischen Einteilung. Mit der soziologischen Brille betrachtet, finden wir einige Charaktereigenschaften, welche die Mehrheit der Vertreter meiner Generation von denen der älteren Generationen und auch der jüngeren unterscheidet. Wobei mir an dieser Stelle wichtig ist, zu betonen, dass ich persönlich kein Freund des Generationen-Schubladen-Denkens bin und nicht alle Menschen einer Generation über einen Kamm schere. Nichtsdestotrotz gibt es kollektive Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Altersgruppen. Denn ob ich in Zeiten von Armut oder Wohlstand aufwachse, mit oder ohne Internet, regional oder international, mit Bargeld oder häufiger Nutzung von EC-Karte, prägt und beeinflusst meine Sicht- sowie Denkweise und damit einhergehend auch mein Handeln.
Viele von uns sind im materiellen Wohlstand und Überfluss groß geworden. Wir haben mit High Class Barbies gespielt, nicht mit Stein und Stock. Wir wissen nicht, wie es ist, wochenlang Geld sparen zu müssen oder Gefühle wie Existenzangst zu haben. Wenn wir uns als Jugendliche die Lieblingshose, den Gameboy oder whatever selbst nicht kaufen konnten, sind unsere Eltern finanziell eingesprungen. Besitztum und materielle Existenz haben demnach für uns einen ganz anderen Stellenwert als noch für unsere Eltern- oder Großelterngeneration. Für viele ist es in der aktuellen Lebensphase nicht relevant, im Hamsterrad zu laufen, um einen Wohlstand aufzubauen. Weil der ja da ist, von unseren Eltern aufgebaut. Uns geht es gut. Noch. Gleichzeitig aber wird uns mehr und mehr bewusst, dass wir den Lebensstandard unserer Eltern, den sie auch uns bis dato ermöglicht haben, wohl so nicht mehr halten können. Ein Ergebnis der Studie »Telefónica Global Millennial« von 2014, bei der mehr als 12.000 junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren in 27 Ländern befragt wurden, ist, dass sich in Deutschland fast jeder zweite Jugendliche um die eigene finanzielle Situation sorgt. Steigende Lohnnebenkosten, teure Mietpreise in Ballungszentren und verhältnismäßig geringe Bezahlungen im Job machen jungen Menschen das Leben schwer. Hinzu kommt das Rentenpaket, welches zum aktuellen Zeitpunkt in einem Generationenungleichgewicht mündet und uns Junge vor neue finanzielle Herausforderungen stellt: Wir müssen mehr in die Rentenkasse einzahlen, bekommen weniger raus, haben Schwierigkeiten, privat vorzusorgen, Kinder zu finanzieren und gleichzeitig auch noch pflegebedürftige Eltern zu betreuen.
»Genau! Verschenkt einfach alles an die Generation, die ein Leben lang Zeit hatte, sich Besitz zu schaffen. Überseht dabei unbedingt, dass die gleiche Generation nicht genug Nachwuchs produziert hat, um das System nachhaltig zu finanzieren, und stopft Löcher mit höheren Lohnnebenkosten. Verlasst euch darauf, dass die Jungen zahlenmäßig nicht gegen euch anstinken können (als Wählerzielgruppe sind sie eh uninteressant, weil zu wenig) und die Alten Deutschland ohnehin fest unter sich aufgeteilt haben. Redet euch ein, zu verteilen sei sozial. Und verdienen zu müssen (oder zu wollen), sei irgendwie nur lästige Pflicht (oder sogar moralisch anrüchig). Aber wundert euch dann nicht über junge Leute ohne Engagement für die Gesternwelt, Gründermangel, Sozialneid, Inflation, noch mehr gefühlte Ungerechtigkeit etc. – und dass vielen Alten am Ende kaum noch jemand den Hintern abwischt, weil ein paar wenige Junge wie bekloppt im Hamsterrad rennen müssen, um noch Rechnungen bezahlen zu können …«
(Dr. Stefan Frädrich im Juni 2014, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gesetzentwurf-rentenreform-soll-offenbar-60-milliarden-euro-kosten-a-943815.html)
»Vor allem sind es die Achtundsechziger, die auf gesellschaftlichen Logenplätzen sitzen und in guten Positionen in Unternehmen sitzen und die Jungen schlecht bezahlen. Weil sie überhaupt keine Lust haben, ihre Privilegien mit den Jüngeren zu teilen oder an Ausgegrenzte abzugeben. Das erzeugt Misstrauen.«
(http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43404/1/1)
Umso relevanter wird es für meine Generation, auf Sharing-Modelle wie Car-Sharing (statt ein Auto zu kaufen, dafür die Versicherung zu bezahlen und einen Stellplatz anzumieten), Schlafplatz-Sharing (statt teure Hotelbuchungen) oder zukünftig vermehrt auch Haushaltsartikel-Sharing (statt sich eine eigene Bohrmaschine, einen Rasenmäher oder ein Ballkleid zu kaufen) zurückzugreifen. Dieser Sharing-Ansatz resultiert also weniger aus der Tatsache heraus, dass wir »plötzlich ganz öko und nachhaltig geworden«1 sind. Wir können in Ballungszentren nur noch schwer Stellplatz UND Auto finanzieren und finden Plattformen wie Airbnb gut – um uns nebenher ein Zusatzeinkommen zu verdienen oder einfach günstige Wohnmöglichkeiten zu haben, wenn wir auf Reisen sind. #SharingEconomy
In Deutschland waren zum 1. Januar 2015 bei den rund 150 deutschen Car-Sharing-Anbietern 1 Million Fahrberechtigte angemeldet. Das entspricht einem Zuwachs von 37,4 Prozent gegenüber 2014. Tendenz steigend.
Hinzu kommt unser Streben nach räumlicher Freiheit. Ein Grund, warum wir in unserer aktuellen Lebenssituation wenig Interesse zeigen, materiellen Besitz groß zu denken: Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Gartenhäuschen, mein Dies, mein Das führt zu einer räumlichen Abhängigkeit, die viele junge Menschen heute nicht mehr anstreben. Vielleicht später mal. Zukunftsprognosen gehen jedoch nicht davon aus.
Dematerialismus – Kleiderkreisel, MyTaxi, Airbnb, Bike-Sharing und Uber sind digitale Plattformlösungen für das Teilen physischer Produkte.
Aus all dem geht hervor: Es gibt zum einen Generationenunterschiede und zum anderen Altersunterschiede. In der Diskussion um die Generation Y wird dieser wichtige Unterschied oftmals außer Acht gelassen. Natürlich verhalten sich junge Menschen IMMER anders als alte Menschen. Die wichtige Frage ist nur: Welche Differenzen resultieren aus einem Generationenunterschied und eben nicht aus einem Altersunterschied?
Wenn wir also von der Generation Y als erster Vertreterin der neuen Sharing Economy sprechen, dann ist es falsch zu glauben, wir sharen (nur), weil wir die altruistischere Generation sind. Wir sharen viel mehr, weil es für uns eine neue Form und vor allem auch kostengünstigere Form der Freiheit bedeutet. Freiheit misst sich eben mehr an dem Zugang zu Dingen als am Besitz der Dinge – und zwar an einem Zugang genau dann, wenn wir ihn haben wollen, und das in unterschiedlichen Variationen. Wir gönnen uns lieber das neuste iPhone, das einen hohen Nutzwert hat und viele Dinge kann.
Das Smartphone ermöglicht uns immer mehr, unterschiedliche Services und Dinge digital über Apps abzurufen.
Dank der Kombination aus moderner Technologie und dem Zugang zum Internet entstehen neue Möglichkeiten, die diesem Bedürfnis nach Freiheit nachkommen. Hierunter fallen die für den Nutzer kostenfreien Sharing-Modelle wie Soundcloud, YouTube, foodsharing.de sowie all die kostenfreien Social-Media-Plattformen wie Facebook, der Kurznachrichtdienst Twitter oder das Job-Portal LinkedIn. Darüber hinaus entwickeln sich Sharing-Geschäftsmodelle, die für den Nutzer mit Kosten verbunden sind wie Bike-Sharing, der Musikanbieter Spotify, Airbnb oder die Taxi-Skandal-Plattform Uber – alles kommerzielle Angebote, die auf Kundenwünsche individuell und situationsbedingt angepasst werden. Diese Modelle münden nach Zukunftsforscher Sven Gábor Jánsky nicht in einer »Sharing Economy«, sondern in einer »Adaptive Economy«. Denn »das Neue«, so Jansky, »ist […] nicht das Teilen, sondern die Fähigkeit, durch Datenanalyse die Produkte für jeden Kunden individuell und situativ passend zu machen.«2 Ich selbst habe beispielsweise mein Auto verkauft, meinen Stellplatz in der Kölner Innenstadt weitervermietet und nutze nun häufiger öffentliche Verkehrsmittel, mein Fahrrad, und ich habe mir die Bahncard 25 zugelegt. Zudem mache ich Car-Sharing mit DriveNow, Car2go und Cambio. Damit bin ich kein Einzelfall. Eine Studie von elf führenden Car-Sharing-Unternehmen kam zu dem Ergebnis, dass 80 Prozent der befragten Car-Sharing-Nutzer vorher selbst ein Auto besaßen. Und wenn ich in Großstädten unterwegs bin, düse ich hin und wieder mit gemieteten Bikes durch die Stadt. Wohlgemerkt: Diese Entwicklungen bezüglich Car- und Bike-Sharing sind vermehrt in Ballungszentren zu beobachten. Aktuell noch weniger in ländlichen Regionen. Nichtsdestotrotz hat Jeremy Rifkin bereits vor Jahren in seinem Buch »Access – Das Verschwinden des Eigentums« die folgende These aufgestellt: »Die Ära des Eigentums geht zu Ende, das Zeitalter des Zugangs beginnt.« Teilen wird zum neuen Haben. Und das wird Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, Wirtschaft und Arbeitswelt haben. Dazu aber später mehr.
Neben Wohlstand und materiellem Überfluss ist die Generation Y auch geprägt von dem Phänomen der Multioptionalität. Gefühlt in allen Lebensbereichen können wir zwischen Tausenden von Optionen auswählen: bei Sporthosen, Turnschuhen, Lebensmitteln, Studiengängen, Partnern, Möbelstücken, Sportangeboten, Urlaubszielen, Nagellackfarben, Schmuck, Biersorten, Versicherungen, Bankinstituten – einfach bei allem! Und es gibt heute schon erste Geschäftsmodelle, über die sich Kunden individuelle Wünsche erfüllen können: Turnschuhe im eigenen Farbdesign oder Müsli angepasst an den eigenen Geschmack. Diese grenzenlose Vielfalt führt uns gleichzeitig in die Qual der Wahl. Ständig verfolgen uns Ungewissheit und Angst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Die Generation-Y-Vertreterin Kerstin Bund hat es in ihrem Buch »Glück schlägt Geld« treffend formuliert: »Wir sind die freieste Generation aller Zeiten, doch wir bezahlen diese Freiheit mit Unsicherheit.« Und ständig streben wir danach, diese Unsicherheit in den Griff zu kriegen. Manchmal erfolgreich. Oftmals nicht. Besonders weil die Ausbildungs- und Studienzeit die entscheidungsreichste Zeit des Lebens ist. #Multioptionalität #DieQualDerWahl
Steffi, du bist 28, hast promoviert, bloggst, schreibst für die Huffington Post und arbeitest als Beraterin. Eine Sinnkrise stelle ich mir irgendwie anders vor …
(Lacht.) Ich bin permanent in einer Sinnkrise und frage mich, ob mein aktueller Weg der richtige ist. Früher hat mir diese Frage Energie geraubt, mittlerweile habe ich den Zustand aber akzeptiert und kann viel Positives aus der Reflexion über das eigene Leben ziehen.
Warum stellt sich die Sinnfrage gerade in unserer Generation?
Das ist natürlich keine neue Frage, aber wir haben viel mehr Möglichkeiten als beispielsweise unsere Eltern. Das fängt schon bei den Studienrichtungen an, die immer spezieller werden. Dazu kann ich problemlos ins Ausland gehen, mich für ganz unterschiedliche Berufe oder die Selbstständigkeit entscheiden. Diese Freiheit wird für uns zur Herausforderung und zukünftig sicher nicht kleiner.
Heißt das, wir haben Angst uns zu binden, weil irgendwo noch ein besserer Partner oder spannenderer Job warten könnte?
Das ist eine Erfahrung, die ich lustigerweise gerade in einem Eigenversuch sammle: Hab mich jetzt mal über Internet auf Partnersuche begeben. Ich hatte drei verschiedene Dates in einer Woche und kann trotzdem keine Entscheidung fällen. Also neigt man dazu, sich alle Personen warmzuhalten, um keine Option zu verlieren. Total bescheuert! Unsere Eltern hatten nicht die Möglichkeit, sich unter Tausenden von potenziellen Partnern einen auszusuchen, und es deshalb zugleich einfacher. Wir müssen lernen, trotzdem Entscheidungen zu treffen und eine Zufriedenheit im Jetzt und Hier zu entwickeln. Wer nach immer mehr Perfektion strebt, kommt nicht zur Ruhe.
Wie ist das auf der beruflichen Ebene?
Ähnlich. Wenn ich mir zum Beispiel meinen bisherigen Berufsweg anschaue, verlief der ja eigentlich ganz erfolgreich. Weil wir aber dazu neigen, uns zu vergleichen, gibt es immer jemanden, der noch schneller, noch erfolgreicher geworden ist als wir selbst. Ich habe lange Zeit immer andere Menschen nach ihrem Alter gefragt und dann gedacht: »Scheiße, der ist zwei Jahre jünger und schon viel weiter.« Ich für mich muss lernen, dass es wichtig ist, sich auf den eigenen Weg zu besinnen.
Gibt es also die durch die amerikanischen Autorinnen Abby Wilner und Alexandra Robbins populär gewordene Quarterlifecrisis?
Absolut, ich finde es auch wichtig, dass man darüber spricht. In den Mittzwanzigern gibt es vor allem zwei kritische Phasen. Wenn ich das Studium beende und unsicher bin, wie es weitergehen soll, und dann noch einmal einige Jahre nach dem Berufseinstieg. Dann kommt schnell die Frage auf »War das jetzt alles?«. Das Wichtige ist, Lösungsansätze zu suchen.
Wie lautet dein persönlicher Notfallplan?
Mir hat es sehr viel geholfen, dass ich mir Vorbilder für ganz unterschiedliche Bereiche gesucht habe. Denen höre ich zu und versuche, ihre Entscheidungen auf meine Situation zu übertragen und zu überlegen, welche Aspekte ich für mich übernehmen möchte und welche nicht.
Genug gejammert. Die Multioptionalität bietet uns auf der anderen Seite ein Leben voller Möglichkeiten. Es gab keine Generation zuvor, die sich in Bezug auf Karrierewege, Lebensstile und auch Konsumgüter so verwirklichen konnte wie die Generation Y. Individualität in der Berufs- und Lebensgestaltung wird als Patchwork-Lebenslauf bezeichnet. Multigrafien3 junger Menschen sind oftmals viel komplexer als die Biografien ihrer Eltern. Damit haben wir es mit einem weiteren neuen Phänomen zu tun, das in erster Linie die junge Generation auf dem Arbeitsmarkt betrifft. Und diese Multigrafie ist nicht nur von der Generation Y selbst gewünscht, sondern wird auch immer mehr von einem dynamischen Arbeitsmarkt gefordert. Das führt dazu, dass Eltern mittel- und langfristig keine beruflichen Vorbilder und Austauschpartner mehr sein können. Ich erlebe das recht häufig – auch bei mir selbst. #PatchworkLebenslauf
Ich liebe meine Eltern. Das schon mal vorweg. Sie leben in einem Vorort, mit 50 Einwohnern. Mein Papa hat mit Mitte 20 die Handwerksfabrik seines Vaters übernommen. Zu der Zeit war meine Schwester drei Jahre alt, und mein Bruder und ich waren in der Pipeline. Mama war schwanger und damals Anfang zwanzig. Als mein Papa die Fabrik übernommen hat, stand fest, die Frau schmeißt das Büro. Nicht ihr Traumjob, aber so war es halt. Für den Job war sie gut qualifiziert, sie hatte eine bankkaufmännische Ausbildung absolviert. Um Kindererziehung und Arbeit unter einen Hut zu kriegen, wurde das Büro ins Haus verlagert, das mein Papa zur damaligen Zeit gerade gebaut hatte. Ein großes Haus. Eine richtige Familienidylle.
Heute noch steht in diesem Büro eine alte Schreibmaschine – als Kind habe ich es geliebt, dort in die Tasten zu hauen. Die Fabrik vom Papa steht direkt neben dem Wohnhaus. Die Rollenverteilung? Klassisch! Papa war fürs Geldverdienen verantwortlich und meine Mama hat sich um den Haushalt gekümmert. Frühstück gab es immer zur gleichen Zeit. Mama hat für Papa und die Kinder Brote geschmiert und uns für die Schule fertig gemacht. Papa war dann immer Punkt 7 Uhr in der Fabrik. Punkt 12 Uhr war das Mittagessen vorbereitet. Als wir später von der Schule nach Hause kamen, wurde das Mittagessen auf 12.30 Uhr verlagert. Nach dem Essen gab es für Papa ein Mittagsnickerchen und danach gings wieder weiter mit dem Arbeiten. Um 18.30 Uhr stand dann das Abendessen auf dem Tisch. Auch wieder von Mama zubereitet. Jeden lieben Tag war sie damit beschäftigt, Wäsche zu waschen, uns als Kinder zum Sport oder Klavierunterricht zu bringen, das Haus zu putzen. Nur samstags mussten wir immer alle mithelfen. Meine Schwester und ich in der Küche beim Kuchenbacken oder beim Hofkehren. Mein Bruder durfte Rasen mähen oder dem Papa in der Werkstatt helfen.
Dieses Muster haben wir dann bis zu unserem 20. Lebensjahr so (oder so ähnlich) eingehalten, bis wir ausgezogen sind. Der Lebensabschnitt Kindererziehung war vollbracht! Ein neuer Abschnitt für meine Eltern begann. Heute sind mein Bruder und ich 29. Das Fabrikinventar ist verkauft. Meine Mama hat sich einen neuen Job gesucht und fängt jetzt immer mehr an, ihr eigenes Leben zu leben. Papa nennt sich jetzt Rentner und genießt es, all den Projekten nachgehen zu können und Träume zu verwirklichen, die sich über die letzten fast 30 Jahre aufgestaut haben.
Meine Geschwister und ich hingegen stellen immer öfter fest: Ratschläge unserer Eltern sind sehr traditionell und passen nicht immer zu unserem Großstadtleben. Und bei persönlichen Treffen ist es häufig so, dass nicht nur wir noch von unseren Eltern lernen, sondern Mama und Papa interessiert zuhören, wenn wir von neuen Entwicklungen, Werten und unseren Lebenswegen erzählen.
Was junge Menschen demnach brauchen, sind neue Vorbilder als Orientierungshilfe. Doch wo sollen wir hinschauen? Welche Vorbilder haben wir? Uli Hoeneß? Karl-Theodor zu Guttenberg? Alice Schwarzer? Theo Sommer? Josef Ackermann? Die katholische Kirche? Den Vorgesetzten, der sich mit Ellbogenmentalität und Angepasstheit nach oben bringt? »Bück dich hoch, ja!«4 Scharf formuliert: Wir sollen aufschauen zu einer Generation, die selbst viel Dreck am Stecken hat?
Passend zum Thema gab es ein spannendes Interview der Huffington Post Deutschland mit dem Ex-Telekom-Personalvorstandsvorsitzenden Thomas Sattelberger5, auf welches Tim Kaltenborn und ich im Anschluss eine Replik verfasst haben.6
Einleitend schrieb die Huffington Post von einer »Generation Y, die auf den kollektiven Burn-out zusteuert«. Ex-Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger wurde vorgestellt als »ein Spitzenmanager, der sich wie kaum ein anderer in seiner Berufslaufbahn so intensiv mit Fragen wie ›Was wollen die jungen Menschen wirklich?‹, ›Welche Fehler machen sie?‹, ›Wie können sie wirklich ein erfülltes Leben führen?‹ auseinandergesetzt hat«.
Herr Sattelberger, es heißt ja immer, die jüngste Generation von Berufseinsteigern verändere den Arbeitsmarkt dramatisch. Wegen ihrer Ansprüche an den Job, die Suche nach dem wirklichen Sinn der Arbeit. Was ist das für eine Generation?
In der Tat, viele Menschen, die heute ins Berufsleben starten, unterscheiden sich grundlegend von ihren Vorgängern vor zehn Jahren. Doch sie sind längst nicht alle kreative Freigeister, die viele unter der Generation Y verstehen.
Sondern?
Ich erlebe eine zutiefst verunsicherte oder rückwärtsgewandte Generation. Wenn ich sehe, wie viele junge Hochschulabsolventen am liebsten für den Staat arbeiten wollen, beschleicht mich das kalte Grauen. Und wenn sie nicht zum Staat wollen, flüchten sie unter das Dach großer Konzerne. Ich beobachte, dass etwa 75 Prozent der jungen Menschen ihre Karriere auf den Prinzipien Sicherheit oder Prestige aufbauen.
Das wäre das Gegenteil von der angeblich freiheitsliebenden Generation Y.
Ja. Ich glaube auch, dass die in weiten Teilen gehypt wird. Vor allem in Deutschland existiert sie so nicht. Nur wenige akademisch qualifizierte Berufseinsteiger versuchen, wirklich ihr eigenes Ding zu machen. Diese Menschen wissen, dass sie ihr Leben viel stärker in die Hand nehmen müssen, weil ihre Renten nicht sicher sind, weil sie für sich selbst sorgen müssen und weil die Wirtschaft vor dramatischen Veränderungen steht. Sie wissen: Eigentlich ist nichts sicher.
Große Worte, in einer Zeit, in der die Deutschen so staatsgläubig sind wie selten zuvor.
Das ist ja genau das Problem. Die junge Generation sucht nach Kontinuität und Sicherheit – und sieht dabei nicht, dass dieser Weg der gefährlichste ist.
Woher kommt diese Suche nach Sicherheit?
Es ist die Krisenstabilität Deutschlands in den letzten zehn Jahren – und natürlich ist es das Ausbildungssystem, das nur noch wenig Raum gibt, Dinge auszuprobieren.
Jahrelang hat die Wirtschaft die Verkürzung der Schul- und Studienzeiten gefordert.
Das war sicher so absolut nicht klug. Gleichzeitig ist diese Generation auch das Produkt der Erfolgsverwöhntheit dieses Landes. Der Spaß am Risiko, am Ausprobieren und an Neuem ist dem ganzen Land abhandengekommen. Doch die Suche nach Sicherheit ist das eigentliche Risiko.
Das müssen Sie erklären!
Unsere Wirtschaft steht vor dramatischen Veränderungen – ganze Branchen stehen vor einem disruptiven Tsunami.
Wie sieht der aus?
Die deutsche Wirtschaft hat sich zu sehr auf Felder wie Maschinen, Anlagen und Automobilbau spezialisiert. Diese Branchen stehen vor dramatischen Veränderungen. Die USA sind das Digital House der Welt geworden und China das Maschinenhaus der Welt. Damit ist Deutschland im Sandwich zwischen digitaler Innovation und effizienter Produktion aus Asien. Zugleich entwickeln sich neue Felder wie IT, Biotech und Big-Data-Management in dramatischer Geschwindigkeit. Hier spielt Deutschland kaum eine Rolle.
Was heißt das?
Wenn sich Branchen verändern, macht das die Welt des arbeitenden Menschen turbulenter.
Abertausende Menschen könnten ihre Jobs verlieren. Und neue Jobs entstehen.
Völlig richtig. Aber nur für diejenigen, die nicht nur auf Sicherheit gesetzt haben. Was mich bei alledem am meisten besorgt: Um den deutschen Unternehmergeist steht es nicht mehr viel besser als um den der Franzosen.
Damit verlieren wir unseren Innovationsmotor.
Nicht nur das. Wir erleben gerade, dass eine ganze Generation die Lust am Risiko verliert. Damit verlieren die jungen Menschen aber die Fähigkeit, sich auf neue Bedingungen einzustellen. Die Angst vor dem Scheitern überschattet alles. Zu viele handeln nach der Maxime: »Ich gehe zu BMW und dann in den Ruhestand.« Kurz: Die junge Generation bereitet sich auf die gigantischen Umwälzungsprozesse der nächsten Jahrzehnte nicht vor.
Wo liegt hier das Risiko?
Im Schnitt haben Menschen heute vier Arbeitgeber im Leben. In ein paar Jahren werden Jobwechsel durch die Veränderungen der Wirtschaft deutlich zunehmen.
Welche Chance haben Arbeitnehmer?
Sie müssen sich selbst als Talentunternehmer, als Ich-AG verstehen. Sie müssen versuchen, zu einer Marke zu werden, und entscheiden, für welches Thema oder welche Fähigkeit sie stehen wollen. Die Generation, die sich da gerade verträumt auf ein schönes Leben vorbereitet, braucht dringend einen Weckruf. Wenn sie so weitermacht, werden viele von ihnen beruflich böse Überraschungen erleben.
Jahrelang wurde den Studenten gesagt, sie sollten auf einen stringenten Lebenslauf achten.
Viele Unternehmen haben verstanden, dass sie mit gleichförmigen Bewerbern nicht mehr weiterkommen.
Was raten Sie Berufseinsteigern, um der Gleichförmigkeit zu entgehen?
Vor allem: Lassen Sie sich nicht vom Herdentrieb der Kommilitonen anstecken, die in die großen Unternehmen streben. Fragen Sie sich lieber, was Sie wirklich wollen. Das werden Sie aber nur herausfinden, wenn Sie sich Zeit zum Experimentieren lassen. Und geben Sie sich Zeit zum Scheitern. Nehmen Sie sich ein paar Jahre zum Ausprobieren anderer sozialer Realitäten.
Wie das?
Unterrichten Sie Migrantenkinder, gründen Sie Unternehmen, gehen Sie an eine Behindertenschule, ins Ausland oder arbeiten Sie in den Slums von Kalkutta. Verlassen Sie Ihren Weg, damit Sie wirklich herausfinden können, was Sie wollen. Das ist wichtiger denn je. Ich sehe zu viele junge Menschen, die ein Leben in einem falschen Film führen. Sie laufen einer Sache hinterher, hinter der sie nicht wirklich stehen.
War das früher wirklich besser?
In den Neunzigerjahren herrschte Aufbruch. Da hatten junge Menschen Lust, etwas zu gründen, etwas zu unternehmen. Das war aber auch der Start des Turbokapitalismus in Deutschland. Mitte vergangenen Jahrzehnts kam dann die Trendwende.
Was ist da passiert?
Da kam vieles zusammen. Sicher spielt die Bildungsreform nach urdeutscher DIN-Norm eine Rolle, die den Menschen nur noch wenig Freiraum gibt. Aber die jungen Menschen sind auch weniger bereit, sich diesen Freiraum zu nehmen.
Was ist die Folge dieser Entwicklung?
Ich schätze, dass fast jeder zweite Berufseinsteiger die falsche Entscheidung trifft. Und das hat dramatische Folgen. Studien zeigen, dass Burn-out vor allem bei Menschen im Alter zwischen 35 und 45 zunimmt. Arbeitsbelastung ist hier oft gar nicht das Hauptproblem.
Das heißt, wir werden eine ausgebrannte Generation erleben?
Die Menschen laufen zu lange den falschen Göttern hinterher. Denn wer seiner Bestimmung folgt, dem fallen Stress und das Verkraften von Niederlagen nicht so schwer.
Im Interview mit Sattelberger gab es mehrere Aussagen bzw. Thesen, zu denen Tim Kaltenborn und ich gerne Stellung nehmen wollten: Generation Y lebt erstens zu stromlinienförmig und regelkonform, ist zweitens geprägt von Unsicherheit, der Angst vorm Scheitern und einer geringeren Risikobereitschaft und strebt drittens nach einer Festanstellung im Staatsdienst oder in großen Konzernen …
Nehmen wir mal an, die Behauptung von Sattelberger, viele junge Menschen leben zu angepasst und stromlinienförmig, trifft zu, dann gilt doch zu hinterfragen, warum das so ist. Und hierbei fallen uns mehrere Motive ein:
Wir sind das Resultat der Babyboomer-Generation (zu der Sattelberger selbst auch gehört), also unserer Lehrer-, Dozenten-, Vorgesetzten- und Eltern-Generation. Jetzt über uns zu urteilen, ist auch gleichzeitig ein Urteil über euch. Denn ihr habt uns in Schule, Ausbildung und Studium zu angepassten, braven, unkreativen Ja-Sagern mit stringentem Lebenslauf erzogen. Wer sich euren Vorschiften und Denkmustern nicht unterordnen wollte, wurde doch in den meisten Fällen mit schlechten Noten bestraft. Raum für eigene Ideen, Kreativität, Experimentieren, kritisches Mit- und Querdenken, Fächer zur Förderung des unternehmerischen Denkens waren bzw. sind in unserem Bildungssystem, dem ihr zugestimmt habt, gar nicht erwünscht.
»Hm, so recht Herr Sattelberger mit seiner Analyse auch hat – die junge Generation trägt daran die geringste Schuld. Wer sagt ihr denn, wie sie sich zu verhalten hat? Und wer lebt es ihr vor, was funktioniert und ›Erfolg‹ bringt? Das sind doch wir, die ›Alten‹.«
(Henrik Zaborowski)
Diese Stromlinienförmigkeit wurde in unserer Ausbildungszeit erwartet. Genauso wie von dem klassischen Personaler, der uns im Bewerbungsgespräch gegenübersitzt. Es scheint, als wäre dieser immer noch darauf geschult, Lebensläufe mit Ecken und Kanten auszusortieren und sich stattdessen auf Musterstudenten mit mehrjähriger Praktikumserfahrung, Auslandsaufenthalt, Bestnoten und einem Lebenslauf ohne Weiter- /Bildungslücken zu konzentrieren. Ein Dilemma, das ganz klar die Babyboomer-Generation mit verursacht.
Na ja, und diese Stromlinienförmigkeit zieht sich auch im Berufsleben so weiter durch. Weil eben auch viele Chefs der alten Schule – und hierbei sind wir schon wieder bei den Babyboomern, gewohnt sind, mit Anweisung und Kontrolle zu führen, und sich schwer damit tun, Neues, unkonventionelle Ideen und damit einhergehend auch Fehler zuzulassen.
Wer heute in großen Unternehmen Karriere machen möchte, muss sich dem bestehenden Regelwerk anpassen bzw. unterordnen. Was wiederum heißt, nicht die querdenkenden Leistungsträger, sondern angepasste Weicheier und Ja-Sager steigen auf.
Wir geben Herrn Sattelberger recht, dass wir junge Freigeister in jeder Position benötigen. Nur wenn wir es schaffen, Talente, die Bestehendes hinterfragen, die keine Angst davor haben, Fehler zu machen, sondern kreativ experimentieren und ihre Fehler reflektieren, in Unternehmen zu positionieren, haben diese eine Chance, am Markt zu überleben. Wenn die Chefs von heute weiterhin auf Effizienz als einziges Maß setzen, werden die wenigsten davon sich in 20 Jahren noch gegenüber den Start-ups von morgen behaupten können.
Das Fazit lautet: Wir Jungen sollten anfangen, mit mehr Mut zum Anderssein und Andersdenken die Arbeitswelt zu betreten. Keine Frage. Dazu brauchen wir aber die Unterstützung von oben – ihr sitzt aktuell noch in den jeweiligen Entscheiderpositionen und habt Einfluss darauf, ob wir sein dürfen, wie wir wollen, oder sein müssen, wie ihr es für richtig haltet! #AndersDenkenAndersSeinFreiSein
Mein Haus, mein Job, mein Auto … wie soll ich das bezahlen? Trotz der entspannten Haltung dieser Generation gegenüber Statussymbolen braucht jeder von uns ein Dach über dem Kopf. So ist das kein Wunder, dass auch viele Leute der Generation Y an Unsicherheit und Zukunftsängsten leiden. Hierbei gilt es zu hinterfragen, warum das so ist.
Die Antwort ist: Weil wir als junge Generation uns nicht mehr wie die Generation von Herrn Sattelberger auf die Unterstützung vom Staat sowie die lebenslange Festanstellung in Unternehmen verlassen können – Eigenvorsorge wird wichtiger denn je, Steuern steigen immer weiter, Gehälter bleiben konstant oder mehr Arbeitszeit muss bei vergleichbarem Gehalt investiert werden. Uns werden oftmals nur noch befristete Verträge angeboten. Beide Elternteile müssen arbeiten, um Nachwuchs finanzieren zu können. Das Alleinversorgungsmodell ist heute fast nicht mehr realisierbar. Wie aber sollen wir Kindererziehung und Job gut balancieren, wenn in vielen Unternehmen das Versprechen einer »Work-Life-Balance« mehr Schein als Sein ist? Und wie sollen wir es zeitlich und finanziell stemmen können, unsere Eltern irgendwann zu pflegen und ihnen die Zuneigung und Liebe zurückzugeben, die wir jahrelang von ihnen erhalten haben? Wir haben es demnach zukünftig mit Lebensmodellen zu tun, die es bisher in der Form noch nicht bzw. nur selten gegeben hat.
Viele Jahre lang war (und ist immer noch) die Jobsicherheit eines der obersten Karriereziele von jungen Talenten. Doch es geht ihnen nicht mehr nur um eine sichere Anstellung, sondern vielmehr um die Sicherheit der eigenen Karriere bis zum Ende der Erwerbsfähigkeit. In dieser Zeit können wir uns nicht darauf verlassen, dass die Fähigkeiten, die wir während unserer Ausbildungsphasen erworben haben, noch in 40 Jahren gefragt sein werden.
Im Gegenteil, die Halbwertszeit von Fähigkeiten hat sich auf wenige Jahre reduziert. Das heißt für uns, wir müssen uns kontinuierlich auf den Prüfstand stellen sowie an neue Bedingungen anpassen. Dass wir in ein modernes Karriereverständnis immer wieder Lern- und Ausbildungsphasen einbauen müssen, das ist für uns okay. Aber wenn wir in einer Zeit der Unsicherheit leben, warum sollen wir dann nicht nach Unternehmen schauen, von denen wir uns einen Beitrag zum Erhalt unserer Beschäftigungsfähigkeit bis ins Rentenalter erhoffen?
Sowohl die Unwissenheit über Wirtschaft und Unternehmertum als auch die bestehende Unsicherheit führen dazu, dass viele junge Absolventen nach einem vermeintlich sicheren Job im Staatsdienst oder in großen Konzernen streben. Eine negative Entwicklung. Da stimmen wir Herrn Sattelberger zu. »[Junge Menschen] müssen sich selbst als Talentunternehmer, als Ich-AG verstehen. Sie müssen versuchen, zu einer Marke zu werden, und entscheiden, für welches Thema oder welche Fähigkeit sie stehen wollen. […] Wenn sie [die Generation] so weitermacht [wie bisher], werden viele von ihnen beruflich böse Überraschungen erleben.« Aber auch für diese Entwicklung gibt es Ursachen und Motive.
Insbesondere die großen Unternehmen haben in den letzten Jahren verstärkt ihre Arbeitgebermarken positioniert. Dabei fokussierten sie in ihrem Markenversprechen auf die Werte und Ziele, die in den jeweiligen Zielgruppen attraktiv sind. Offensichtlich stoßen diese Maßnahmen, die einen attraktiven Karriereeinstieg kommunizieren, in unserer ängstlichen und von Unsicherheiten geprägten Generation auf offene Ohren.
Weniger Algebra, Zweiter Weltkrieg und Freud. Mehr Wirtschaft, unternehmerisches Denken und politische Krisen. Noch immer wird der Fokus in der schulischen Ausbildung falsch gelegt. Entwicklungen und Alternativberufe