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Mit Witz und Verstand gegen die Mannkos der deutschen Sprache. Keltinnen, Langobardinnen, Sächsinnen, Burgunderinnen und Römerinnen … Im Geschichtsbuch und im Comic werden sowohl die Erobernden als auch die Eroberten gern zur Hälfte vergessen - ein Missstand, der bis heute anhält. Segelt das Flüchtlingsproblem unter falscher Flagge, wenn eine flüchtende Frau, die in Deutschland ankommt, sprachlich erneut vertrieben wird? Hat die Verpartnerung ausgedient? Ist Kinderfreiheit schöner als Kinderlosigkeit? Brauchen wir die Frauenquote fürs Cockpit? Was ist zu tun gegen den Sexismus im Paarlauf? Luise F. Pusch nimmt politische Fragen unter die feministische und sprachliche Lupe, deckt Alltagssexismen auf und hilft, die Sprache zurückzuerobern.
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Seitenzahl: 150
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Luise F. Pusch
Die Spracheder Eroberinnen
und andere Glossen
WALLSTEIN VERLAG
Vorwort: Was ist und will eine Glosse?
Ehe und Familie
»Homo-Ehe«, »Verpartnerung« und andere Unwörter
Kinderlos oder kinderfrei?
Ein anderes Wort für »alleinerziehend«
Hiermit erkläre ich Sie zu Frau und Frau
Social freezing: Was ist sozial am Eier-Einfrieren?
Film und Fernsehen
Übersetzungsvorschläge für »Boyhood«
Fragen über Fragen: Kein Platz für die wichtigen Fragen bei »Wer wird Millionär?«
Gerechte Sprache
Können Schwule auch lesbisch sein?
Bläblä
Sprachliche Diskriminierung hat viele Gesichter – welches ist das schlimmste? Teil 1
Sprachliche Diskriminierung hat viele Gesichter – welches ist das schlimmste? Teil 2
The P!nk solution: Mit Ausrufungszeichen für gerechte Sprache
Die Sprache der Eroberinnen: Ganz neue Erkenntnisse zur deutschen Sprachgeschichte
Neues zum Frauenübermannungsgesetz
Gesundheit
Einfach jünger aussehen
My Heart belongs to Addyi
Gewalt
Moralschaden (Moral Injury)
Incelkoller: Aus dem Wörterbuch des Frauenfeinds
Delethalisierung im Alltag
Der Familienauslöscher
»Sexualisierte« oder »sexuelle Gewalt«?
Manslamming, Mansplaining, Manspreading und andere Flegeleien
Der Ochsenziemer und seine Verwandten
Kunst, Musik und Literatur
Die Epigone oder: Frauen in der Kunst
Mannbar
B natural: Parallelen zwischen Gender- und Musiktheorie
Feministische Anmerkungen zur »Schönen Magelone«
Mode
Frauen in Männerkleidung oder Der Boyfriend Blazer
Herrenlose Damenunterwäsche gesichtet
Kutte, Kopftuch, Tschador – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Politik
Was fehlte beim Festakt und in der Merkelrede zum Nationalfeiertag?
Männerfreie Zone (fast): Die neue Regierung von Rheinland-Pfalz
Über »Meinungsfreiheit«, »free speech« und »liberté d’expression«
Biodeutsche
Wenn der Flüchtling eine Frau ist
Endorsements für Hillary
Brexit, Brexitus oder Braustritt? Sollte Englisch EU-Arbeitssprache bleiben?
Shitstorm oder Eine Glosse sorgt für Aufruhr
Frauenquote fürs Cockpit
Aufräumen nach dem Shitstorm, 1. Teil
Aufräumen nach dem Shitstorm, 2. Teil: Dürfen Frauen um Frauen trauern?
Sport
Unsere Männerfußball-WM: Notizen einer Minifan über das »Rooten«
Wider den Sexismus im Paarlauf
Verzeichnis der Glossen
Als ich 1982 mit dem Glossenschreiben anfing, tat ich es in der Absicht, die Erkenntnisse der feministischen Linguistik einem nichtwissenschaftlichen Publikum »in netter Form« nahezubringen und verständlich zu machen. Julia Penelope (1941-2013), eine ebenso scharfsinnige wie unerschrockene Pionierin der feministischen Linguistik in den USA, hatte mich indirekt dazu angeregt. Sie legte sich nämlich regelmäßig und gern mit dem Sprachkolumnisten des New York Times Magazine, William Safire (1929-2009), an. Die Kolumne des konservativen Sprachkritikers erschien von 1979 bis 2009 und machte ihn zum »inoffiziellen Schiedsrichter des Sprachgebrauchs und zu einem der meistgelesenen Sprachkommentatoren«, wie die New York Times in ihrem Nachruf schrieb.
Was lag also näher, als William Safire nachzueifern, aber sozusagen mit umgekehrtem Vorzeichen, nicht um die Sprache vor dem Verfall zu bewahren, sondern vor patriarchaler Verknöcherung und männlichem Imponiergehabe?
Die Sprachglosse war (und ist) auch in Deutschland ein beliebtes Genre – Grund genug, es mal feministisch gegen den Strich zu bürsten.
Das Wort »Glosse« hat verschiedene Bedeutungen, die bei meinen Glossen alle irgendwie mit hineinspielen. Zuallererst bedeutet es »Sprache«, sodann »Erklärung (schwieriger, unbekannter) Wörter und Ausdrücke« und schließlich »satirisch zugespitzter journalistischer Kommentar«. Für solche kann es dann noch zu »Sprachglosse« erweitert werden, wenn nämlich der Spott sich gegen gewisse sprachliche Erscheinungen richtet.
Auf das Satirische hatte ich es anfangs nicht so sehr angelegt, es ergab sich allerdings automatisch durch meinen feministischen Blick auf unsere Männer-, um nicht zu sagen Herrensprache. Feministisch betrachtet ist vieles an dieser Sprache komisch, und in den Anfangsjahren waren die Reaktionen ihrer männlichen Verfechter noch viel komischer. Das schrie einfach nach Satire!
Ende März 2015, nach dem Mord eines Lufthansapiloten an 149 Menschen, die er mit voller Absicht in den südfranzösischen Alpen zerschellen ließ, schrieb ich eine Glosse mit dem Titel »Frauenquote fürs Cockpit«, in der ich vorschlug, die Airlines sollten mehr Pilotinnen beschäftigen, das sei nicht nur gerechter, sondern auch sicherer, da Frauen weit weniger als Männer zu »erweitertem Selbstmord« neigen, wie solche Massenmorde verharmlosend genannt werden. Dass noch niemand auf diese naheliegende Idee gekommen war, schrieb ich derselben Frauenvergessenheit zu, die die getöteten 14 Schülerinnen und 2 Schüler aus Haltern in den Medien durchgehend zu »16 Schülern« gemacht hatte.
In den Sozialen Medien wie auch in den Printmedien brach daraufhin eine Flut unflätigster Beschimpfungen gegen mich los, die 10 Tage lang anhielt. Ein Shitstorm, eher wohl noch ein Tsunami. Es wäre vielleicht noch schlimmer geworden, wenn nicht viele gemeint hätten »Das ist nur eine Glosse! Die Pusch meint das nicht ernst, ist nur eine Satire!« Und ob ich das ernst meinte. Was an der Frauenquote fürs Cockpit komisch sein soll, ist mir unerfindlich. Manchmal sind meine Glossen eben auch sehr ernst. Dann heißen sie »Glosse« nicht, weil sie komisch sind, sondern weil sie (u. a.) den Sprachgebrauch thematisieren.
Die Cockpit-Glosse und meine beiden Antwort-Glossen finden Sie in diesem Band.
Vorbemerkung: Das Unwort »Homo-Ehe« geistert in letzter Zeit derart häufig unwidersprochen durch alle medialen Kanäle, dass mir die Ohren wehtun. Ich plädiere dafür, es als »Unwort des Jahrzehnts« zu brandmarken. Würden die Medien plötzlich das alte Wort »Mischehe« für Ehen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Menschen oder zwischen Schwarzen und Weißen wieder aufwärmen – der Aufschrei »Unwort« würde auf dem Fuße folgen, zu Recht.
Alternativen zu »Homo-Ehe« habe ich vor bald 12 Jahren in meiner Glosse »Verpartnerung« vorgeschlagen und diskutiert. Damals schien das Wort »Homo-Ehe« durch die »kleine Lösung« der »Verpartnerung« überholt und abgeschafft. Nun aber wird die »Verpartnerung« überholt und abgeschafft, und die »Homo-Ehe« steht uns ganz offiziell ins Haus. Dagegen sollten wir uns verwahren. Ich bringe im Folgenden meine alte Glosse von 2001 in ihrer ursprünglichen Form und schließe dann noch einen aktuellen Vorschlag an.
Am 3. August 2001 besuchten wir unseren schwulen Freund Jürgen in Altona. Er war noch ganz erfüllt von den vielen lesbischwulen Eheschließungen bzw. Registrierungen, die am 1. August im Rathaus Altona unter reichlichem Aufgebot an Prominenz stattgefunden hatten. Als wir ankamen, saß er grade da und ordnete triumphierend seine Zeitungsausschnitte; die Regenbogenfahne an seinem Dachfenster flatterte fröhlich im Winde.
»Ja, es war ein historisches Datum«, sagten wir, etwas schwunglos.
»Und ihr, was habt ihr am 1. August gemacht?«
»Nix weiter. Irgendwie ist das historische Datum an uns vorübergegangen. Wir haben aber auch soo viel zu tun mit dem Band Berühmte Frauenpaare, den wir herausgeben, weißt du.«
»Das ist keine Entschuldigung«, fand er. Zu Recht.
»Wenigstens musst du dann eine Glosse schreiben.« Ich versprach es reumütig – aber nichts inspirierte mich so richtig, bis ich im Deutschlandradio diese Sendung über das neue Lebenspartnerschaftgesetz anhörte. Da redeten doch diese juristischen Experten dauernd wie selbstverständlich von der »Verpartnerung« der Lesben und Schwulen.
»Also der Zivilstand ist dann nicht mehr ledig, sondern verpartnert?«, erkundigte sich der (wohl eher heterosexuelle) Moderator nochmal ungläubig.
»Ja, ganz recht.« Der Jurist blieb völlig ungerührt.
Seither geht mir das Unwort im Kopf herum. »Wir schließen heute den heiligen Bund der Verpartnerung« – wie hört sich denn das an?!
Ich hatte, bevor die Juristen das Problem sprachlich erledigt hatten, selbst schon mal herumgebastelt. Frau soll ja nicht immer nur meckern, sondern auch mal Positives zur Debatte beitragen. Damals kämpfte ich noch gegen das andere Unwort, »Homo-Ehe«, auf das der Volksmund sich geeinigt zu haben scheint.
Da ich viel in den USA bin, wo sie alles abkürzen, versuchte ich es mit dieser Methode und kam schließlich auf Ho-Ehe oder, ganz kurz, Höhe:
Wir schließen heute den heiligen Bund der Höhe.
Die Höheleute Emilie Butter und Ottilie Kuchen
Höhescheidungen sind viel seltener als Ehescheidungen.
Die frische Höhenluft tut gut!
Funktioniert prima und hat auch gewissermaßen noch was Gehobenes, was uns Lesben und Schwulen ja gewöhnlich komplett abgeht.
Aber das ist Schnee von gestern, wenn auch niedlicher. Mit der Verpartnerung werden wir wohl erst mal leben müssen. Die meisten scheinen sich schnell daran gewöhnt zu haben. Auch »beim Institut für deutsche Sprache in Mannheim stößt das Kunstwort auf Sympathie. Sein Direktor, Professor Gerhard Stickel, kann sich mit dem Begriff anfreunden, plädiert aber dafür, die homosexuellen Paare auf ihren Sprachgebrauch hin zu befragen«, meldete der Mannheimer Morgen einen Tag vor der Großen Verpartnerung am 1. August.
Stickel möchte vielleicht politisch korrekt sein (»Lasst die Betroffenen selbst zu Wort kommen!«), aber seine Empfehlung ist nur eine leere Floskel. Wie sollen homosexuelle Paare bitte einen Sprachgebrauch entwickelt haben für eine soeben erst geschaffene Institution? Auch weiß der Direktor des Instituts für deutsche Sprache natürlich sehr gut, dass die Vorsilbe ver- es in sich hat und bei Lesben und Schwulen Unbehagen auslösen muss, das die meisten allerdings nicht recht benennen und begründen können.
Sehen wir uns deshalb mal ein paar Wörter mit ver- an:
Diese versoffene, versiffte und verkommene Person hat mein ganzes Geld verspielt.
Er verrechnet, verspricht, verhört und verschreibt sich dauernd.
Die Gäste sind verspätet, der Gastgeber vergreist, die Dienerschaft verblödet, die Suppe versalzen, die Brötchen verschimmelt und der Wein vergiftet.
Die Vorsilbe ver- hat eine Reihe von Bedeutungen, aber die produktivste ist »einen Fehler machen« wie bei
sich verlaufen, verkalkulieren, etwas verlegen, verkramen
Das Wort verklingeln steht nicht im Wörterbuch, aber man versteht sofort, wenn eine sagt, »Entschuldigung, ich habe mich verklingelt.«
Natürlich gibt es auch verliebt, verlobt, verheiratet, die Vereinigung und die Verbrüderung, und daran werden die wortschöpfenden JuristInnen vermutlich gedacht haben, vielleicht sogar arglos. Aber ich bin sehr skeptisch. Außerdem sind Lesben weder Brüder noch Partner – aber Verpartnerinnung bringt’s wohl auch nicht.
Was die Heteras und -ros wohl dazu sagen würden, wenn sie demnächst miteinander vergattet würden? »Nach der Vergattung schritten die frischgebackenen Gatten zur Begattung.«
Sie würden es sich verbitten. Aber sie haben’s ja nicht nötig.
Kurz, mit dem Wort Verpartnerung sind wir schön verhohnepipelt, verarscht und vergackeiert worden.
So weit mein sprachpflegerisches Votum im Jahre 2001. Heute bin ich ein Stück weiter und finde, für die Ehe zwischen Frauen oder zwischen Männern brauchen wir keine besondere Bezeichnung. Das Wort »Ehe« reicht doch – hat es doch auch das Unwort »Mischehe« ersetzt, als die Gesetze gegen »Rassenschande« abgeschafft waren. Solange die »gleichgeschlechtliche Ehe« aber gesellschaftlich noch diskutiert wird, braucht es dafür ein griffigeres Wort, und wir können sie »gay marriage« nennen. Oder »neue Ehe« im Gegensatz zur »alten Ehe«.
Mai 2013
Kaum in Boston angekommen, hörte ich beim Spülen wieder die USA-weite Diskussionssendung »On Point with Tom Ashbrook«. Am 30. Dezember brachten sie eine Wiederholung vom August, betitelt »The Choice to be childfree«, zu Deutsch etwa »freiwillig kinderlos« oder »absichtlich kinderfrei«.
In Tom Ashbrooks Sendung wurde die Wortwahl – childless oder childfree – kaum kommentiert. Ashbrook selbst schien offensichtlich bemüht, freiwillig kinderlose Menschen nicht zu diffamieren, und sprach immer von »childfree«, während seine Gesprächspartnerinnen in der Mehrheit das Wort »childless« benutzten.
Für mich war das Wort »childfree« neu, genau wie die Übersetzung »kinderfrei«. Im Internet fand ich das Wort »kinderfrei« hauptsächlich in Bezug auf Hotels; es wurde diskutiert, ob »kinderfreie« Hotels für kinderempfindliche Erwachsene nicht ein kinderfeindlicher Skandal seien. Und ich fand einen 20 Jahre alten Beitrag in der Zeit und darin folgende Passage:
Unfruchtbarkeit und die meist vergeblichen Versuche, eine Schwangerschaft durch medizinische Behandlung einzuleiten, lösen oft Verzweiflung und Trauer aus. Die Carters haben all das durchgemacht. Heute sagen sie: »Wir konnten kinderlos sein und unser Leben durch das definieren, was uns fehlte, oder kinderfrei und damit die Vorteile betonen. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Statt erfolglose Möchtegerneltern zu sein, sind wir erfolgreiche Nicht-Eltern.«
»Childfree« bzw. »kinderfrei« mag »die Vorteile betonen« und damit gegenüber freiwillig kinderlosen Erwachsenen (besonders Frauen) die politisch korrekte Wortwahl sein, sicher jedoch nicht gegenüber Kindern. Die werden durch diese Wortwahl als Belastung kategorisiert, von der die Erwachsenen lieber frei, »unbehelligt« wären.
»Kinderfrei« klingt in meinen Ohren nicht nur positiv nach »erfolgreichen Nicht-Eltern«, sondern auch etwas herzlos. Ich habe nicht vergessen, dass ich selbst mal ein Kind war. Vielleicht war ich nicht sehr willkommen, in den vierziger Jahren gab es ja die Pille noch nicht, und Frauen mussten gebären, ob sie wollten oder nicht. Vielleicht wäre meine Mutter lieber »kinderfrei« geblieben, aber sie hatte keine Wahl. Und wo ich nun schon mal da bin, hoffe ich doch, dass der Wunsch, von der Last meiner Existenz »befreit« zu sein, bei ihr nicht allzu ausgeprägt war.
Aber wie kommt es, dass mit »kinderlos« die Kinder als eher neutral, mit »kinderfrei« hingegen als eindeutig lästig eingeordnet werden?
Es liegt nicht nur an den positiven Konnotationen von frei und Freiheit in unserer Kultur (vgl. Terrorist vs. Freiheitskämpfer, Selbstmord vs. Freitod), sondern auch an der normalen Umgebung der beiden Wortbestandteile -los und -frei.
Da haben wir einerseits geschmacklos, lustlos, machtlos, mittellos, mutlos, mutterlos, obdachlos, respektlos, rücksichtslos, schamlos, schutzlos, sinnlos, skrupellos. Geschmack, Lust, Macht, Mittel, Mut, Mutter, Obdach, Respekt, Rücksicht, Scham etc. – all dies ist wünschenswert, wir sollten nicht ohne sie auskommen müssen oder wollen. Wer Obdachlose zu »Obdachfreien« schönreden wollte, würde zu Recht als zynisch verurteilt.
Auf der anderen Seite haben wir alkoholfreies Bier, atomfreie Zonen, autofreie Sonntage, barrierefreie Gebäude und Webseiten, bleifreies Benzin, coffeinfreien Kaffee, FCKW-freie Kühlschränke, glutenfreie Lebensmittel, keimfreie Nadeln, schadstofffreies Spielzeug, staubfreie Räume und rückstandsfreie Verbrennung. Unsere Nahrung ist fettfrei, lactosefrei, glutenfrei, salzfrei und überhaupt völlig geschmacksfrei.
Wir sehen, die Wörter auf -frei sind wesentlich jünger als die auf -los, und sie bezeichnen in der Regel Produkte oder Zustände, die durch menschliches Einwirken von unerwünschten Bestandteilen oder Eigenschaften »befreit« wurden. Viele dieser Freiheiten ermöglichte erst der technische Fortschritt – wie ja auch die »Kinderfreiheit« erst seit einem halben Jahrhundert dank der Pille von Frauen auch dann geplant werden kann, wenn es dem Partner nicht gefällt.
Schließlich gibt es noch den ironischen Gebrauch von -frei wie in »geschmacksfreie Nahrung« (s. o.), »sinnfreie Prosa«, »männerfreie Zone«, »textilfreie Mode« usw.
Sosehr ich die Möglichkeit selbstgewählter Kinderlosigkeit für Frauen begrüße, muss ich doch gegen das Wort »kinderfrei« Bedenken anmelden. Zwar gönne ich gestressten Eltern jede Menge »kinderfreie Wochenenden«, aber freiwillige Nicht-Eltern als »kinderfrei« zu bezeichnen ist unzart gegenüber dem zarten Kindergemüt. Kinder haben was Besseres verdient.
Wie wäre es z. B. mit »ok« (ohne Kinder): »Ich bin ok, du bist ok«.
Januar 2014
Im März las ich an der Uni Leipzig aus meinem neuen Buch, Gerecht und Geschlecht. In der anschließenden Diskussion fragte mich eine Zuhörerin nach meiner Meinung über das Wort »Alleinerziehende«, es hätte so negative Assoziationen. Ihr Verein SHIA (Selbsthilfe für Alleinerziehende) sei verzweifelt auf der Suche nach einer besseren Bezeichnung. Ich hatte mir dazu noch kaum Gedanken gemacht und konnte nur beisteuern, dass der Verband ja ursprünglich »Verband lediger Mütter« hieß. Erst später nannten sich die »ledigen Mütter« um in »alleinstehende« und schließlich in »alleinerziehende Mütter«. Und schließlich haben sich die Männer hineingedrängt und noch dazu verlangt, sie gefälligst im Verbandsnamen zu berücksichtigen. Ich erinnere mich noch gut an die heftigen Debatten in der Frauenbewegung pro und kontra Zulassung »alleinerziehender Väter«. Auch dass der Verbandsname durch die herrische 10-Prozent-Minderheit der Männer noch länger wurde, missfiel gründlich. »Verband lediger Mütter« war wenigstens kurz und griffig gewesen. Inzwischen läuft der Verband auch unter dem Namen VAMV, aber was das bedeutet, wissen wohl nur die Mitglieder selber.
Die Geschichte der Bezeichnungen von »ledige Mütter« über »alleinstehende Mütter« zu »alleinerziehende Mütter« ist ein klassisches Beispiel für das, was die Linguistin Muriel R. Schulz schon 1975 als »The Semantic Derogation of Woman« (Die semantische Beeinträchtigung der Frau) diagnostizierte: Damit ist die fatale Tendenz weiblicher Bezeichnungen gemeint, semantisch »abzurutschen«, durch Männer immer negativer aufgeladen zu werden, bis schließlich eine neue Bezeichnung hermuss. Die Entwicklung von »Weib« über »Frau« zu »Dame« ist das bekannteste deutsche Beispiel für diese Tendenz.
Nun also soll ein neues Wort für »Alleinerziehende/r« gefunden werden. Wäre eine reuige Rückkehr zu »ledig« denkbar? 1967, als Luise Schöffel ihren Verband gründete, blickte die Gesellschaft noch verächtlich auf »ledige Mütter« herab, aber das hat sich in den letzten 50 Jahren ja völlig geändert. »Ledig« trifft heute allerdings nicht mehr das, was »alleinerziehend« bedeutet. Viele Paare heiraten nicht, kümmern sich aber gemeinschaftlich um die Kinder und sind also nicht »alleinerziehend«.
»Ledig« kennen wir sonst nur noch in der festen Wortverbindung »aller Sorgen ledig« (die ledige Mutter hat zwar jede Menge Sorgen, aber die Sorge mit dem Ehemann hat sie nicht). Stattdessen sagen wir auch »sorgenfrei«, und »frei« hat ja nur die allerbesten Konnotationen in unserer freiheitsliebenden Gesellschaft, bis hin zu den freilaufenden Hühnern. »Verband freilaufender Mütter und Väter«? Ich gebe zu, dass mir der Ausdruck gut gefällt, aber da bin ich wahrscheinlich die Einzige. Ich galt schon in der Schule als skurril.
Hier mein letztes Angebot: »Verband der Familienoberhäupter«. Ist kurz und hat sehr gehobene Konnotationen, die allerhöchsten sozusagen, denken wir nur an das nah verwandte »Staatsoberhaupt«. Das Wort mag uns etwas patriarchal vorkommen, aber gerade weil die patriarchale Institution des automatisch männlich gedachten Familienoberhaupts abgeschafft ist, ist das Wort wieder frei verfügbar geworden und kann sich in einem neuen Kontext neu bewähren.
Das Familienoberhaupt ist per definitionem allein und somit auch alleinerziehend, es hat keine anderen Familienoberhäupter neben sich. Und es ist grammatisch neutral, die lästige Doppelung für die männliche 10-Prozent-Minderheit entfällt also, und die paar Männer können sich trotzdem wiederfinden. Außerdem erzieht das Familienoberhaupt nicht nur, sondern es sorgt und macht und tut von früh bis spät und trägt die Verantwortung für die Familie. Das verdient Respekt, der mit der anspruchsvollen Selbstbezeichnung »Familienoberhaupt« auch deutlich eingefordert wird.
Ich erzählte Joey von meiner Idee. Sie kam gerade von einem sechsstündigen schweißtreibenden Babysitting bei unserem Enkelkind. »Familienoberhaupt?«, rief sie aus. »Familienoberhaupt ist das Kind, das steht mal fest.«
April 2014
Seit zwei Wochen dürfen in England und Wales lesbische und schwule Paare heiraten. Hetero- und homosexuelle Paare sind rechtlich vollkommen gleichgestellt. Über zwei frisch vermählte Herren meldete die Zeit aus diesem Anlass: »Das Paar ist seit sieben Jahren zusammen – und nun offiziell ›Mann und Mann‹«. Die Formel klingt komisch, und das ist wohl auch beabsichtigt. Auf Englisch sind sie nicht »man and man«, sondern »husband and husband«. Zwei miteinander verheiratete Frauen sind »wife and wife«. Auch das klingt recht ungewohnt.