Die stillen Wasser von Amberley - Dorothée Heck - E-Book

Die stillen Wasser von Amberley E-Book

Dorothée Heck

4,8

Beschreibung

Die Aufklärung eines Mordes war nicht das Ziel der Journalistin Julia, als sie nach England reist, um das Leben der Hutterer kennenzulernen. Doch dann gibt es einen Toten und die Spur führt zu den frommen Bruderhöfern. Julia beschleicht der Verdacht, dass diese mehr wissen, als sie zugeben wollen. Sie recherchiert auf eigene Faust. Ihr Noch-Ehemann führt die offiziellen Ermittlungen. Ist das auch eine neue Chance für die Liebe?

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ISBN 978-3-7751-7189-2 (E-Book)ISBN 978-3-7751-5510-6 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2014SCM Hänssler im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · 71088 HolzgerlingenInternet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung 2006, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

Umschlaggestaltung: OHA Werbeagentur GmbH, Grabs, Schweiz; www.oha-werbeagentur.chTitelbild: Bianca Capello: Gemälde von Alessandro Allori (1535–1607);Nonne: Gemälde von Anthonis Mor (1517–1577);übrige Elemente: Archiv OHA Werbeagentur GmbHSatz: Satz & Medien Wieser, StolbergWappen-Illustration: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch

Für meinen Mann Andreasund für meine KinderJohanna, Elischa und Noah

Inhalt

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Nachwort

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Prolog

Die plappernden hellen Stimmen wurden über den See ans Ufer getragen. Sie waren schon von Weitem zu hören, noch bevor die Kinder zu sehen waren.

Ein tiefer Zug, und die Zigarette wurde in die Erde gedrückt zu den anderen. Früher oder später hatte jemand vorbeikommen müssen. Naheliegend, dass es die Kinder sein würden. Ahnungslos und unverdorben. Dies war bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Rebekkas Hand kribbelte vom langen Ziehen und sie schwitzte. Im Gehen wechselte sie die Seite. Gleich war das Gefährt leichter. Die Bewegung hielt sie warm, doch es war nicht mehr zu leugnen: Das rot gefärbte Laub klammerte sich nur noch mit Mühe an die Eichenbäume und erinnerte Rebekka daran, dass die Stunde der letzten goldenen Herbsttage geschlagen hatte. Alles wirkte gedämpft. Tau hatte sich wie eine Decke über die Wiesen gelegt, als wolle er sie leise in den Winterschlaf lullen. Bald würden die zwitschernden und summenden grünen Hügel von Amberley verstummen.

Rebekka schob die bedrückenden Gedanken beiseite und erlaubte ihnen nicht, der Leichtigkeit der hellen Tage ein verfrühtes Ende zu bereiten. Sie würde die letzten Strahlen der Oktobersonne in sich aufsaugen und so lange wie möglich festhalten, um die kommenden Monate davon zu zehren. Rebekka schloss für einen Moment die Augen, spürte einen Windhauch ihre Wangen streifen und atmete tief ein.

Jetzt kam es darauf an, ruhig zu bleiben. Und unsichtbar. Keine hastigen Bewegungen, keine unbedachten Schritte auf morsche Äste. Nur noch ein Augenblick. Nur noch einmal durch das Dickicht spähen, verborgen wie hinter einem Schlüsselloch, die Nase ganz nah an den dornigen Zweigen. Hin- und hergerissen zwischen dem, was die Augen fesselte, und dem Verstand, der mahnte, endlich zu verschwinden.

»Becky«, wurde Rebekka jäh aus ihren Gedanken gerissen. »Becky, dürfen wir heute noch einmal schwimmen gehen?« Das kleine Mädchen fasste sie an der Hand und sah sie unter ihrem weißen Häubchen mit großen Augen erwartungsvoll an.

Rebekka schüttelte bedauernd den Kopf.

»Bitte, bitte, dann wenigstens mit den Füßen«, versuchte die Kleine zu verhandeln.

»Tut mir leid, Sarah! Dafür ist es nicht mehr warm genug.«

»Aber die Sonne scheint, und fühl mal, wie warm meine Hand ist. Ich schwitze schon fast«, startete die Fünfjährige einen weiteren Überredungsversuch.

Rebekka lächelte sie liebevoll an. Sie konnte das Kind gut verstehen. Ihr ganzes fast zweiundzwanzigjähriges Leben hatte sie hier verbracht und es wie Sarah Sommer für Sommer genossen, im türkisfarbenen Wasser des Sees zu baden. Manchmal hatte ihr Vater gerade von draußen Holznachschub geholt, wenn Rebekka mit den anderen Kindern unten am Gatter der angrenzenden großen Wiese vorbeigelaufen war. Er hatte seine Tochter immer inmitten all der bunt geblümten Kleider, weißen Schürzen und langen Zöpfe entdeckt und ihr fröhlich zugewinkt. Rebekka blickte versonnen zu Boden.

»Becky!« Ungeduldig zog Sarah an ihrer Hand. »Sag schon, dürfen wir?«

Rebekka ging in die Hocke und fasste das Mädchen sanft an den Schultern. »Hör zu, Sarah, es geht wirklich nicht. Aber wir machen etwas anderes: Ich habe die Lupenbecher dabei und …«

»Ja, ja!«, riefen die Kinder voller Begeisterung. »Insekten sammeln, Insekten sammeln.«

Rebekka lachte. »Genau. Und die untersuchen wir dann mit unseren Vergrößerungsgläsern.«

»Aber hinterher lassen wir sie wieder frei«, meldete sich der fast sechsjährige Philipp besorgt zu Wort.

»Na klar! Wir wollen nur etwas über die kleinen Tierchen lernen und uns ganz genau anschauen, wie Gott sie gemacht hat. Dann entlassen wir sie wieder in die Freiheit«, beruhigte Rebekka ihn.

Philipp nickte zufrieden.

»So, und nun kommt, Kinder! Wir haben noch viel vor heute.« Sie erhob sich, nahm nun Louise bei der Hand, umfasste den Knauf des Ziehwagens, und die kleine Gruppe setzte sich wieder in Bewegung.

Es war nicht mehr weit. Hinter dem Hügel lag der See. Von da aus musste man nur noch wenige Meter auf dem schmaler werdenden Schotterweg entlanglaufen, um dann an der großen Eiche zum alten Bauernhaus abzubiegen. Dort standen Holzbänke und -tische bereit, die zum Picknicken einluden, während man den herrlichen Blick über den See und die weitläufigen Ländereien von Amberley genießen konnte. Rebekka konnte es kaum erwarten.

»Legen Regenwürmer wirklich Eier?«, fragte Tim, der Älteste ihrer Vorschulgruppe, nun interessiert.

»Haben wir doch in dem großen Buch gesehen«, antwortete Philipp vorwurfsvoll.

»Das stimmt«, schaltete sich Rebekka ein. »Aber vorstellen kann man sich das trotzdem nicht so richtig, oder? Vielleicht finden wir heute welche. Ich bin gespannt, wer so gute Augen hat. Wir könnten die Eier mitnehmen und im Kindergarten unter dem Mikroskop anschauen.«

Sie waren nun am höchsten Punkt des Weges angekommen.

»Becky, meine Nase läuft.«

Rebekka blieb stehen und kramte ein Taschentuch aus ihrer Umhängetasche hervor, um der kleinen Mary die Nase zu putzen, während die anderen Kinder weitergingen.

»Becky, schau mal, ist der Mann tot?«

»Timothy, du weißt genau, dass ich solche Scherze nicht mag! Noch mal schnäuzen, Mary, ganz fest!«

»Nein, wirklich. Schau doch, Rebekka!«

Rebekka wirbelte herum und riss die Augen auf. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. »Kommt her, Kinder!«, befahl sie den Kleinen, die dastanden und den leblosen Körper am Wasser anstarrten.

»Ist der wirklich tot?«, fragte jemand.

»Wo denn? Ich sehe nichts«, maulte Mary, die vom Wagen geklettert war und sich zwischen den anderen Platz verschaffte.

»Mausetot«, war sich Philipp sicher. »So wie der daliegt.«

»Kommt schon!«, fuhr Rebekka dazwischen. Mit hastigen Schritten und ausgebreiteten Armen versuchte sie den Kindern den Blick zu versperren und sie den Weg zurückzutreiben. Nur widerstrebend ließen sie sich bewegen, sodass Rebekka schließlich die Geduld verlor. »Sofort zurück, alle! Macht schon!«

Die Kleinen wandten sich zum Gehen, während sie weiter neugierig die Hälse reckten und versuchten einen letzten Blick an Rebekka vorbei zu erhaschen. Sie bemühte sich, genau das mit ihrem Körper so gut es ging zu verhindern und gleichzeitig die Jüngsten wieder in den Wagen zu verfrachten.

»Schnell, lauft! Wir müssen Hilfe holen«, scheuchte Rebekka die Größeren, obwohl sie ahnte, dass für den Mann jede Hilfe zu spät kam. Aber was sollte sie tun? Sie musste die Kinder von hier wegbringen.

»O Gott, hilf mir!«, betete sie im Stillen und setzte den Wagen wieder in Bewegung. Wer war der Mann und was war passiert? Ob die Kinder jemals dieses Bild vergessen konnten? Dieser leblose, seltsam verdrehte Körper.

Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Sie musste ruhig bleiben.

»Rebekka, ist der Mann wirklich tot?«, fragte Sarah erneut.

»Ich weiß nicht«, antwortete Rebekka vage. »Los, wir müssen weiter.«

»Vielleicht hatte er einen Unfall«, vermutete Philipp.

»Ja, vielleicht«, murmelte Rebekka.

»Und wenn es kein Unfall war?«, wandte Tim ein. »Vielleicht hat ihn jemand abgemurkst.«

»Sei still, Timothy!«, fuhr Rebekka ihn schärfer als beabsichtigt an. Nervös warf sie einen Blick über die Schulter.

»Was ist abgemurkst?«, fragte Sarah.

»Jemanden töten.«

»Tim, Schluss jetzt!«, zischte Rebekka. Sie schwitzte und lockerte das Kopftuch, ohne ihre Schritte zu verlangsamen. Sie hätte den Ponywagen nehmen sollen!

»Ich kann nicht mehr! Es sticht in meiner Seite«, fing Louise an zu klagen und blieb stehen.

»Nur noch ein bisschen, Schatz, bitte! Im Wagen ist kein Platz mehr«, redete Rebekka ihr gut zu.

»Nein, ich kann nicht mehr!«, schluchzte das Kind und wollte sich hinsetzen.

»Warte, ich trage dich ein Stück.« Rebekka hob das weinende Mädchen hoch und setzte es auf ihre Hüfte.

»Ich habe Angst.«

Rebekka versuchte die kleine Mary zu beruhigen, während sie sich wieder in Bewegung setzten.

»Meine Füße tun so weh. Wenn du Louise trägst, will ich auch nicht weiterlaufen. Das ist unfair«, jammerte Sarah.

Rebekka stöhnte. Da erkannte sie von Weitem die Pferdekutsche, mit der die Männer auf dem Weg zu den Feldern waren. Erleichtert seufzte sie und schickte ein schnelles Dankgebet zum Himmel. Sie setzte hastig das Kind ab und fuchtelte mit den Armen: »Thomas, John! Kommt schnell!«, schrie sie, so laut sie konnte, und bedeutete ihnen, sich zu beeilen.

[Zum Inhaltsverzeichnis]

1

Julia sah auf die Uhr und fluchte leise. Sie klappte ihr Notebook zu, schnappte sich ihre Tasche und lief zum Fahrstuhl.

»Julia, hast du einen Moment?«, hörte sie Volkers Stimme hinter sich.

»Tut mir leid. Ich bin schon spät dran«, rief sie, wandte sich um und hob entschuldigend die Arme.

»Es geht ganz schnell.«

Sie blickte ihren Chef eindringlich an und schüttelte den Kopf. »Volker, wirklich, ich muss Ben abholen.«

»Na schön. Aber morgen und übermorgen bin ich den ganzen Tag unterwegs, und du bist ab Donnerstag zwei Wochen weg. Bevor du fliegst, sollten wir noch besprechen, wie wir deine Reportage …«

»Ich komme nachher noch mal rein, in Ordnung?«, unterbrach sie ihn, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.

»Aber nicht später als drei. Um halb vier sitze ich mit den Leuten vom Bauausschuss zusammen.«

Julia nickte und bemühte sich, souverän zu klingen. »Ich bin pünktlich.«

Sie hatte keine Ahnung, wie sie es schaffen sollte, in knapp drei Stunden wieder in der Redaktion zu sein.

Als sich die Fahrstuhltür geschlossen hatte, machte sie ihrem Ärger Luft. Sie kramte ihr Handy aus der Tasche und stieß die Glastür zur Straße auf. Anrufbeantworter, so ein Mist!

Ihre Absätze hallten durch die Unterführung. Sie nahm immer zwei Stufen auf einmal, drückte oben die Fernbedienung und rannte an die Stelle, wo die Blinker aufleuchteten.

Julia riss die Autotür auf. Sie ließ sich auf den Sitz fallen, steckte den Zündschlüssel ins Schloss und legte den Rückwärtsgang ein. Mit Schwung fuhr sie vom Parkplatz und schaffte es, bei Gelb über die Ampel zu kommen, doch schon bei der nächsten musste sie warten. Während sie sich durch die Heidelberger Innenstadt quälte, warf sie nervöse Blicke auf die Uhr und trommelte ungeduldig mit den Fingern aufs Lenkrad.

Am Kindergarten wurde sie mit vorwurfsvollen Worten empfangen: »Frau Maybach, Sie wissen, dass wir heute um zwölf Uhr schließen. Das haben wir lange genug im Voraus angekündigt und …«

»Sie haben recht, Frau Mack, es tut mir leid.« Vielleicht nahm ihr eine schnelle Entschuldigung den Wind aus den Segeln.

»Wissen Sie, auch wir haben Termine, und da kann es einfach nicht angehen, wenn immer wieder dieselben … es ist schließlich nicht das erste Mal!«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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