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Die Polizei von Los Angeles steht vor einer Katastrophe: Sieben Morde und Mordversuche ohne eine einzige brauchbare Spur!
Oder hält Lieutenant Mendoza den Schlüssel zur Lösung der Verbrechen bereits in der Hand? Es klingt verrückt, aber jedes der Opfer kam gelegentlich oder häufig durch eine ganz bestimmte Straße...
Der Roman Die Straße der Vergeltung von Dell Shannon (ein Pseudonym der US-amerikanischen Bestseller-Autorin Elizabeth Linington - * 11. März 1921; † 05. April 1988) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im Jahr 1970.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
DELL SHANNON
Die Straße der Vergeltung
Roman
Signum-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DIE STRASSE DER VERGELTUNG
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Die Polizei von Los Angeles steht vor einer Katastrophe: Sieben Morde und Mordversuche ohne eine einzige brauchbare Spur!
Oder hält Lieutenant Mendoza den Schlüssel zur Lösung der Verbrechen bereits in der Hand? Es klingt verrückt, aber jedes der Opfer kam gelegentlich oder häufig durch eine ganz bestimmte Straße...
Der Roman Die Straße der Vergeltung von Dell Shannon (ein Pseudonym der US-amerikanischen Bestseller-Autorin Elizabeth Linington - * 11. März 1921; † 05. April 1988) erschien erstmals im Jahr 1966; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte im Jahr 1970.
Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.
Alles begann lange bevor die Beamten der Mordkommission in Los Angeles davon erfuhren. Einige von ihnen gehörten damals noch anderen Dezernaten an. Mendoza war erst kürzlich zur Mordkommission versetzt worden; er war noch Sergeant Mendoza und ahnte nicht einmal, dass er später Alison Weir heiraten und Vater von Zwillingen werden würde. Und es geschah lange bevor Hackett - damals noch nicht Sergeant - seinen Engel kennenlernte, sich um ihn Sorgen machte und sich schließlich in ihn verliebte.
Bert Dwyer war damals noch nicht zur Mordkommission versetzt worden, aber er befand sich bereits auf dem Weg, der mit einem blutigen Tod auf dem Marmorfußboden der Schalterhalle einer Bank enden würde. Und George Higgins war vor kurzem zur Mordkommission gestoßen; er war überzeugter Junggeselle und hätte es sich nicht träumen lassen, dass er eines Tages Bert Dwyers Witwe heiraten würde. Tom Landers fuhr noch einen Streifenwagen, Galeano bearbeitete Autodiebstähle, und John Palliser hatte sich erst um Aufnahme in die Kriminalpolizei beworben.
Es hatte vor langer Zeit begonnen. Matt Piggott und Rory Farrell gehörten damals noch nicht zur Mordkommission. Sergeant Lake, der jetzt in Mendozas Vorzimmer saß, hatte noch Jagd auf Scheckfälscher gemacht, und Jason Grace, dessen schmaler Schnurrbart sich kaum von seiner kaffeebraunen Haut abhob, hatte eben erst um seine Versetzung zur Kriminalpolizei gebeten. Auch Schenke, Thoms und Glasser arbeiteten damals noch in anderen Dezernaten. Einige andere Männer waren inzwischen pensioniert worden. Und Im Übrigen betraf der Anfang gar nicht die Mordkommission; sie hatte nie etwas davon erfahren.
Die Beamten der Mordkommission waren damals wie immer mit Routineaufgaben beschäftigt gewesen, die Los Angeles ihnen täglich stellte. Rauschgiftsüchtige starben an einer Überdosis, Männer wurden im Streit niedergestochen, Raubüberfälle endeten tödlich, Kinder starben an Misshandlungen, Selbstmörder setzten ihrem Leben ein Ende, Einbrecher schossen sich den Weg frei, wenn sie ertappt wurden, und Betrunkene lagen morgens tot im Rinnstein. Solche Fälle waren das tägliche Brot der Mordkommission, aber es gab auch andere...
Lieutenant Mendoza hatte an einem Juniabend eben erst die Tür seines Hauses in der Rayo Grande Avenue hinter sich geschlossen, als das Telefon klingelte. Er nickte Alison zu, erwiderte ihr Lächeln und ging an den Apparat. »Mendoza.«
»Wir haben hier einen merkwürdigen Fall, Lieutenant«, erklärte Sergeant Farrell ihm. »Galeano und Piggott haben die Ermittlungen aufgenommen, und Nick hat eben angerufen, um uns zu sagen, wir sollten Sie verständigen. Die Sache ist irgendwie komisch, wissen Sie.«
»Oh? In welcher Beziehung?«
»Vor einer halben Stunde ist auf der Old Plaza ein Toter gefunden worden; ein Mann hat die Funkstreife benachrichtigt, und die Besatzung des Streifenwagens hat uns verständigt. Nick und Matt sind hingefahren und finden die Sache ziemlich merkwürdig. Der Mann scheint mit einem Draht oder einer Wäscheleine erwürgt worden zu sein und hatte eine Karte in der Brusttasche seiner Jacke...«
»Eine Geschäftskarte? Das ist...«
»Nein, nein. Nick hat nur ganz allgemein von einer Karte gesprochen. Aber auf ihr steht: Die Rache ist gerecht. Nick meint deshalb, Sie müssten...«
»Natürlich!«, unterbrach Mendoza ihn. »Ruft er noch einmal an, Rory?«
»In fünf Minuten«, antwortete der Sergeant.
»Gut, dann können Sie ihm ausrichten, dass ich bereits unterwegs bin«, entschied Mendoza. Er legte auf, drehte sich nach Alison um und küsste sie. »Ich muss leider wieder fort«, entschuldigte er sich dann. »Aber wahrscheinlich dauert es nur eine Stunde. Ich beeile mich jedenfalls.«
»Ja, ich weiß«, meinte seine Frau resigniert lächelnd. »Du bist eben ein geborener Polizist, Liebling. Sagst du wenigstens den Kleinen gute Nacht, bevor du gehst?«
Mendoza konnte später nicht behaupten, schon zu diesem Zeitpunkt etwas geahnt zu haben; er hielt sich auch keineswegs für einen besonders eifrigen Kriminalbeamten. Aber Luis Mendoza besaß eine für Polizisten nützliche Eigenschaft. Er interessierte sich für alles, was irgendwie ungewöhnlich war.
Auf der Old Plaza, dachte er, während er in seinem roten Lancia unterwegs war. Eigentlich ein ungewöhnlicher Platz für eine Leiche. Und noch dazu am Samstagabend. Unter den alten Bäumen ist es natürlich dunkel, aber auf den Bänken sitzen oft Liebespaare. Hat die Leiche also nicht lange dort gelegen? Die Gegend ist nachts ziemlich einsam, doch in den letzten zehn Jahren ist auf der Plaza keine Leiche gefunden worden. Merkwürdig.
Mendoza erreichte den ältesten Teil von Los Angeles, der zu einem kleinen Park ausgestaltet worden war. Die alte Missionskirche nahm eine Seite des Platzes ein; an der anderen standen sorgfältig restaurierte Häuser aus der Gründungszeit der Stadt. Mendoza sah einen Streifenwagen, Galeanos Ford und einen Krankenwagen am Rand des hübschen Parks im Halteverbot stehen. Zwischen den Bäumen leuchtete ein starker Scheinwerfer, der Mendoza zu der Leiche führte.
Lieutenant Mendoza hatte sieben Männer vor sich, als er den Lichtkreis des Scheinwerfers erreichte. Die beiden Sanitäter standen etwas abseits und rauchten; der untersetzte, schwarzhaarige Galeano suchte die Umgebung nach Spuren ab; der hagere, ernste Piggott sprach mit der Besatzung des Streifenwagens. Der Tote lag vor einer Bank im Gras.
»Ich habe gleich gewusst, dass Sie kommen würden«, behauptete Galeano. »Ein merkwürdiger Fall, was?«
»Allerdings!«, stimmte Mendoza zu. »Wissen Sie schon, wie der Mann heißt?«
»Nelson Edward Jamison«, antwortete Galeano prompt. »Er hatte genügend Ausweise in der Brieftasche: Sozialversicherungskarte, Führerschein, Kreditkarten und so weiter. Er hatte auch Geld bei sich - siebenundvierzig Dollar in Scheinen und etwas Kleingeld.«
»Hmmm, das macht die Sache noch seltsamer«, meinte der Lieutenant.
»Jamison hat in Pasadena in der Belvedere Street gewohnt«, berichtete Galeano weiter. »Er muss ziemlich wohlhabend gewesen sein, denn seine teure Kleidung passt zu dieser erstklassigen Adresse.«
Mendoza nickte zustimmend und ließ sich neben dem Toten auf die Knie nieder.
»Wir haben ihn in dieser Lage gefunden«, erklärte Galeano. »Ich habe nur seine Taschen durchsucht und ihn dabei kaum bewegt.«
Der Tote war offensichtlich erdrosselt worden. Bainbridge, der Polizeiarzt, würde mehr darüber sagen können, aber für einen erfahrenen Kriminalbeamten wie Mendoza war auf den ersten Blick klar, dass der Mörder einen Strick, ein Kabel, einen Draht oder dergleichen benutzt hatte.
»Wir haben nichts gefunden«, sagte Galeano, der Mendozas Blick verfolgt hatte.
Das Gesicht des Toten war blau verfärbt, seine Zunge war zwischen den Lippen zu sehen, und die Augen quollen aus ihren Höhlen. Aber Jamison konnte selbst unter normalen Umständen nicht sehr sympathisch gewirkt haben: Er hatte ein schmales Gesicht mit zurückweichender Stirn, spitzer Nase und fliehendem Kinn. Seine blonden Haare waren strähnig, und die gelblichen Zähne zeigten, dass der Tote zu viel geraucht hatte. Jamison war etwa einsachtzig groß und zwischen fünfunddreißig und vierzig; er trug einen eleganten Anzug, ein frischgebügeltes Seidenhemd mit dezent gemusterter Krawatte und handgearbeitete englische Schuhe. Alles elegant und teuer.
»Hier ist die Karte, Boss«, sagte Piggott und zeigte Mendoza einen Plastikbeutel, in der die Karte aufbewahrt wurde, bis sie auf Fingerabdrücke untersucht werden konnte. »Jemand hat ihn aus Rache ermordet.«
»Okay, schafft ihn fort«, wies Mendoza die beiden Sanitäter an und stand auf. »Bainbridge soll sich gleich an die Arbeit machen.« Er nahm Piggott den Plastikbeutel aus der Hand. Auf einer weißen Karteikarte stand in Druckschrift; Die Rache ist gerecht.
»Das Motiv ist eindeutig genug«, meinte Galeano. »Aber was hatte Jamison in dieser Gegend zu suchen? Oder ist er anderswo erdrosselt und erst später hierher gebracht worden? Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich auch nicht«, stimmte Mendoza zu. »Er ist kein Leichtgewicht, Nick, und es hätte einige Anstrengung gekostet, ihn hierher zu schaffen. Außerdem fahren nachts oft Streifenwagen über die Plaza, so dass der Täter hätte entdeckt werden können. Nein, das wäre selbst um diese Zeit zu riskant gewesen - und ich glaube nicht, dass Jamison länger als eine Stunde tot ist.«
»Das habe ich mir auch gedacht«, bestätigte Galeano. »Ich habe die beiden jungen Leute, die Jamison gefunden haben - Manuel Garcia und Rita Ortiz -, mit einem Streifenwagen ins Präsidium geschickt, damit sie dort aussagen können. Die beiden waren im Kino, sind auf dem Rückweg durch den Park gegangen und haben dort die Leiche entdeckt. Als Täter scheiden sie meiner Meinung nach mit Sicherheit aus.«
Der Tote wurde auf eine Tragbahre geladen und fortgetragen.
»Haben Sie hier schon alles abgesucht?«, wollte Mendoza wissen. Als Galeano nickte, schlug er vor: »Am besten sperren wir die nähere Umgebung ab und suchen bei Tageslicht weiter. Wissen Sie schon, wen wir von Jamisons Tod benachrichtigen müssen?«
»Auf einer Karte in seiner Brieftasche steht, dass bei Unfällen oder dergleichen Mrs. Constance Jamison zu benachrichtigen ist - seine Frau oder seine Mutter, nehme ich an, weil die gleiche Adresse angegeben ist.«
»Keine angenehme Aufgabe«, murmelte Mendoza vor sich hin.
»Sie brauchen nicht mitzukommen«, antwortete Galeano, »aber ich sehe Ihnen an, wie neugierig Sie sind.«
»Okay, ich gebe zu, dass Mr. Jamison mich reizt«, antwortete der Lieutenant ungerührt. »Ich habe das Gefühl, dass er hier auf dieser Parkbank überfallen und ermordet worden ist. Sein Anzug ist kaum staubig, und er hatte...«
»Er hatte sein ganzes Geld noch bei sich«, warf Galeano ein. »Das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?«
Mendoza nickte und zündete sich eine Zigarette an. »Im Augenblick können wir uns nur auf Mrs. Jamison verlassen. Sobald sie sich von ihrem Schock erholt hat, kann sie uns vielleicht sagen, ob jemand gedroht hat, Nelson zu ermorden - wegen einer Frau, Spielschulden oder gar politischen Interessen.«
»Oder sie hat keine Ahnung«, murmelte Piggott pessimistisch.
»Okay«, sagte Mendoza abrupt, »Sie sorgen dafür, dass niemand der Bank zu nahe kommt, Matt. Fordern Sie einen Mann vom nächsten Revier an, der die Absperrung bis morgen bewacht. Nick, Sie und ich fahren jetzt zu Mrs. Jamison.«
Als sie die Belvedere Street in Pasadena gefunden hatten, sahen sie ihre ursprüngliche Vermutung bestätigt: Wer sich dort ein Haus leisten konnte, war bestimmt reich. Mendoza und Galeano mussten mehrmals klingeln, bis die Tür vorsichtig einen Spalt breit geöffnet wurde. Als sie ihre Dienstausweise vorzeigten und Jamisons Tod erwähnten, wurde die Frau, die sich als Mrs. Jamisons Haushälterin vorstellte, plötzlich sehr gesprächig.
»Um Gottes willen!«, rief sie aus. »Tot? Ermordet? Nelson ist ermordet worden? Und Sie kommen von der Kriminalpolizei?« Sie schüttelte den Kopf. »Mein Gott, das bringt die alte Dame bestimmt ins Grab! Sie ist nämlich schon über achtzig, leidet an Arthritis und hat ein schwaches Herz. Was?... Richtig, ich bin Madge Hooper, ihre Haushälterin. Na, mich wundert es jedenfalls nicht, dass Nelson so ums Leben gekommen ist. Seine Mutter hat ihn immer verzogen - und er hat sich auf seine Weise dafür revanchiert.«
Mendoza und Galeano ließen sich von der Haushälterin in die altmodische Eingangshalle der Villa führen.
»Mrs. Jamison ist also seine Mutter?«, erkundigte Mendoza sich. »Könnten Sie uns...«
Aber Mrs. Hooper, die einen blauen Bademantel und einen Kopf voller Lockenwickler trug, kam jetzt erst richtig in Fahrt. »Ich arbeite schon seit fünfzehn Jahren hier, wissen Sie, aber ich kann Ihnen sagen, dass Nelson es von Jahr zu Jahr schlimmer getrieben hat. Sein Vater ist gestorben, als der Junge noch klein war, und seine Mutter hat ihn gründlich verzogen. Sie war immer froh, wenn er ein paar Tage lang zu Hause blieb, anstatt sich herumzutreiben, und sie hat ihm nie einen Wunsch abgeschlagen. Und was war er schließlich? Ein arbeitsscheuer Herumtreiber, der sogar einmal gesessen hat. In San Quentin, weil er ein Mädchen vergewaltigt hatte. Und jetzt ist er ermordet worden! Mein Gott, ich weiß gar nicht, wie ich Mrs. Jamison das beibringen soll...«
Mendoza und Galeano wechselten einen Blick.
San Quentin? Vergewaltigung? Rache.
*
Selbst zu diesem Zeitpunkt schien alles noch ganz normal zu sein. Der Fall musste sich durch geduldige Arbeit lösen lassen. Mendoza und seine Leute konnten sich sogar einbilden, einige gute Hinweise entdeckt zu haben.
Aber am Sonntagmorgen gegen neun Uhr rief ein Streifenbeamter die Mordkommission an, um einen weiteren Mord zu melden. Eine Miss Alice Bremmer in Hollywood hatte bei der Polizei angerufen. Ihr Bruder William Bremmer führte einen kleinen Laden in der Spring Street und war am vorigen Abend nicht nach Hause gekommen, so dass Miss Bremmer sich Sorgen machte. Der Wachhabende beruhigte sie mit der Versicherung, er werde sofort einen Mann in den Laden schicken, um dort nachsehen zu lassen.
Der Streifenbeamte hatte die Ladentür zu seiner Überraschung unverschlossen vorgefunden. Mr. Bremmer hatte tot in einem Nebenraum gelegen - er schien erdrosselt worden zu sein -, und der Polizist entdeckte noch etwas Seltsames.
»Ja?«, fragte Sergeant Lake.
»Auf seiner Brust hat eine Karteikarte gelegen«, antwortete der andere. »Die Aufschrift war irgendwie merkwürdig: Die Rache ist gerecht. Ich dachte, das...«
»Was?«, unterbrach Lake ihn. »Augenblick...« Er bedeckte die Sprechmuschel mit der linken Hand, während er nach Hackett rief.
»Was soll dieser verdammte Blödsinn?«, fragte Mendoza irritiert. »Sehen Sie einen Zusammenhang?«
»Nein«, gab Hackett zu. »Führt hier jemand eine Art Kreuzzug? Bei Jamison kann ich mir einen Mord aus Rache vorstellen, aber so viel wir bisher wissen, hatte Bremmer keine Feinde.«
Mendoza sah sich in dem kleinen Laden um. Er war sofort aufgebrochen, als Hackett ihn benachrichtigt hatte, und nur eine Viertelstunde später als seine Leute am Tatort erschienen. Zwei Morde aus gleichem Grund in einer Nacht? Das schien zu stimmen, denn die Karte glich der ersten in allen Einzelheiten.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte Mendoza vor sich hin.
»Was hier passiert ist, dürfte wohl ziemlich klar sein«, meinte Hackett.
»Natürlich«, stimmte Mendoza seufzend zu, »aber das hilft uns nicht weiter.« Marx und Horder suchten den Lagerraum, in dem der Tote entdeckt worden nach, nach Fingerabdrücken ab. Bremmer hatte einen kleinen Spezialitätenladen für Tabakwaren und Raucherbedarf geführt; er hatte zwanzig Jahre lang eigenwillige Pfeifen, goldene Feuerzeuge, Tabaksbeutel, Importzigarren, türkische Zigaretten und ähnliche Dinge verkauft. Er war an der Tür des Lagerraums erdrosselt worden - vor ungefähr achtzehn Stunden, schätzte der Polizeiarzt, der die Leiche flüchtig untersucht hatte. Und der Mörder musste den Laden in aller Ruhe verlassen und die Tür hinter sich geschlossen haben.
»Glauben Sie an eine Verbindung zwischen Bremmer und Jamison?«, wollte Hackett wissen.
»Die Verbindung braucht nur für den Täter zu existieren«, antwortete der Lieutenant. »Vielleicht konnte er sie beide nicht ausstehen und hat plötzlich beschlossen, sich an ihnen zu rächen.«
»Sehr zweifelhaft«, wandte Hackett ein. »Bremmer war ein netter, alter Herr, ein Junggeselle, der sich den Haushalt von seiner Schwester führen ließ und seinen Laden so pünktlich öffnete und schloss, dass man die Uhr danach hätte stellen können. Das haben die Nachbarn übereinstimmend ausgesagt. Und Jamison, Luis? Ein reicher, verwöhnter Taugenichts!«
»Schon gut«, wehrte Mendoza ab. »Unser Mr. X fühlte sich von Bremmer betrogen und hat anschließend mit Jamison Krach in einer Bar bekommen.«
»Glauben Sie wirklich, dass es sich um Morde aus Rache handelt?«, wollte Hackett wissen. »Das ist doch Unsinn!«
»Vielleicht.« Mendoza zuckte mit den Schultern. »Kommen Sie, wir sehen uns an, was der Erkennungsdienst von Jamison weiß, bevor wir zu Bremmers Schwester fahren.«
Nelson Edward Jamison war vorbestraft, so dass Mendoza eingehende Informationen auf seinem Schreibtisch vorfand. Jamison war 1955 kurz nach seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag zum ersten Mal festgenommen worden - folglich war er achtunddreißig gewesen, als er ermordet wurde. Eine Frau hatte ihn angezeigt; Jamison hatte sie auf der Straße in der Nähe ihres Apartmenthauses Vergewaltigt. Die Frau hatte ihn eindeutig identifiziert, aber Jamison war trotzdem nicht verurteilt worden - vermutlich hatte seine Mutter einen sehr guten Anwalt gefunden. Schon ein Jahr später war er aus dem gleichen Grund nochmals verhaftet worden, aber das Mädchen, das er hatte vergewaltigen wollen, hatte keine Anzeige erstattet, so dass die Strafverfolgung unterblieben war. Wieder ein Jahr später war Jamison erneut angezeigt worden, war zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden und hatte seine Strafe fast vollständig abgesessen, was nur bewies, dass er kein Musterhäftling gewesen war.
»Der Kerl erinnert mich irgendwie an eine Ratte«, meinte Hackett, als er die Fotos vom Erkennungsdienst sah. »Sieht so ein Mann aus, der Frauen überfällt?«
»Nicht unbedingt«, gab Mendoza zu. Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Halten Sie es für möglich, dass eines seiner Opfer, von dem wir vielleicht gar nichts wissen, sich an ihm gerächt hat, Art?«
»Nach fünfzehn Jahren?«, fragte Hackett skeptisch. Er schüttelte den Kopf. »Und was hätte Bremmer damit zu tun?«
»Woher soll ich das wissen? Kommen Sie, wir fahren zu seiner Schwester.« Mendoza stand auf. Jason Grace und Palliser hatten ebenfalls Sonntagsdienst; der Lieutenant warf einen Blick in das Zimmer des Sergeanten. »Am besten macht ihr euch jetzt auf die Beine und versucht Mrs. Jamison zu sprechen«, schlug er vor. Die alte Dame hatte tatsächlich einen hysterischen Anfall bekommen, als Mendoza ihr die traurige. Nachricht schonend beibrachte; ihr Arzt, den Mrs. Hooper vorsorglich geholt hatte, hatte sie in eine Privatklinik bringen lassen. Aber Mendoza wollte wissen, ob Nelson Jamison seiner Mutter erzählt hatte, wohin er unterwegs war, und ob er seinen Cougar gefahren hatte, der nicht mehr in der Garage stand.
»Ein Taugenichts und Bremmer«, sagte Hackett, als sie in Mendozas Lancia saßen. »Das ist doch verrückt, Luis!«
»Vielleicht haben wir es mit einem Geistesgestörten zu tun, Art«, stimmte Mendoza gelassen zu. »Jedenfalls müssen wir Reportern gegenüber vorläufig den Mund halten. Können Sie sich die Schlagzeilen vorstellen?«
Hackett nickte seufzend. »Der Rächer geht durch unsere Stadt - Wer wird sein nächstes Opfer? Wenn dieser Mr. X. so weitermacht, werden wir bald solche Schlagzeilen lesen.«
»Kopf hoch, Art!«, forderte Mendoza ihn auf.
»Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass er Feinde gehabt hat«, sagte Alice Bremmer nachdrücklich. Sie war eine weißhaarige alte Dame; zehn Jahre älter als ihr Bruder, gut angezogen und sehr gepflegt. »Durchschnittsmenschen wie er oder ich haben keine Feinde, von denen sie ermordet werden könnten. Will war überall beliebt, das kann Ihnen jeder bestätigen, der ihn gekannt hat.«
»Miss Bremmer...«, begann Mendoza.
»Warum hätte ihm jemand etwas antun sollen?«, fragte sie plötzlich. »Er war keineswegs geldgierig, wie Sie vielleicht glauben, sondern hat im Gegenteil viel für wohltätige Zwecke gespendet. Mit seinem Laden, den er über zwanzig Jahre hatte, ist er nicht reich geworden, aber wir hatten immerhin...«
»Hat Ihr Bruder jemals den Namen Jamison erwähnt?«
Miss Bremmer überlegte. »Nein, daran kann ich mich nicht erinnern«, antwortete sie schließlich. »Weshalb fragen Sie danach?«
Weder Mendoza noch Hackett beantworteten ihre Frage.
»Hat Ihr Bruder je Schwierigkeiten mit irgendwelchen Kunden gehabt?«, wollte Hackett wissen.
Alice Bremmer schüttelte energisch den Kopf. »Nein, niemals! Will hat sich immer bemüht, seine Kunden - und er hatte fast nur Stammkunden - gut zu bedienen. Er war stolz darauf, dass sie ihn an Freunde und Bekannte weiterempfahlen.« Sie machte eine Pause. »Und Will war so unglaublich pünktlich«, fuhr sie dann etwas übergangslos fort. »Ich hätte meine Uhr nach ihm stellen können, so gewissenhaft hielt er sich an seinen Zeitplan. Deshalb bin ich auch unruhig geworden, als er gestern nicht wie üblich gegen halb sieben nach Hause kam. Ich habe das hiesige Polizeirevier angerufen, aber dort hieß es nur, ich solle mir keine Sorge machen, Will werde schon auftauchen. Aber heute Morgen habe ich dann doch...«
»Ja, ich weiß«, unterbrach Mendoza sie etwas ungeduldig. »Noch etwas, Miss Bremmer. Wir könnten uns notfalls einen Haussuchungsbefehl ausstellen lassen, aber das wäre überflüssig, wenn wir uns mit Ihrer Erlaubnis hier und im Laden Ihres Bruders umsehen dürften.«
»Selbstverständlich«, stimmte sie sofort zu. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Will absichtlich ermordet worden sein soll. Wahrscheinlich ist der Mörder ein Geisteskranker, der nicht wusste, was er tat. Ich muss Wills Tod als Gottes Fügung hinnehmen.«
Mendoza und Hackett sahen sich im Haus und anschließend auch in Bremmers Laden um, ohne einen Hinweis zu entdecken. Weder aus dem Verkaufsraum noch aus dem Lager schien etwas zu fehlen. Alles wies darauf hin, dass Mr. Bremmer das unauffällige Leben eines kleinen Geschäftsmannes geführt hatte. Leider konnte die Mordkommission sich nicht mit Alice Bremmers Begründung zufriedengeben; eine Fügung Gottes war etwas, was es in Ermittlungsakten nicht geben durfte.
Aber die beiden Kriminalbeamten fanden nichts, was sie auf die Spur des Mörders gebracht hätte.
Mendoza und Hackett kamen um zehn vor vier zurück; Grace und Palliser waren kurz vorher eingetroffen.
»Haben Sie mit Mrs. Jamison gesprochen?«, fragte Mendoza.
»Die arme Frau tut mir leid«, antwortete John Palliser bedrückt. »Ich habe mir Jamisons Vorstrafenregister angesehen. Seine Mutter müsste froh darüber sein, dass sie ihn endlich los ist. Der Kerl war unberechenbar, haltlos und regelrecht gefährlich. Ja, wir haben kurz mit ihr gesprochen. Wir haben uns den ganzen Quatsch angehört.«
»Und?«, fragte Mendoza gespannt.