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Der Kampf um die Vorherrschaft im All ist voll entbrannt! Das kleine Sternenkönigreich von Manticore hat sich nicht nur erfolgreich gegen die Solare Liga, seinen Erzfeind, gewehrt, sondern gewinnt im Verbund mit der Großen Allianz immer mehr an Oberhand. Um andere Systeme davon abzuschrecken, sich der Allianz anzuschließen, startet die Solare Liga das Unternehmen Freibeuter: Die Zerstörung von unabhängigen Randwelten unter Inkaufnahme hoher ziviler Opfer. Honor Harrington kann dies nicht hinnehmen und zieht in ihren erbittertsten Kampf!
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Seitenzahl: 872
Der Kampf um die Vorherrschaft im All ist voll entbrannt! Das kleine Sternenkönigreich von Manticore hat sich nicht nur erfolgreich gegen die Solare Liga, seinen Erzfeind, gewehrt, sondern gewinnt im Verbund mit der Großen Allianz immer mehr an Oberhand. Um andere Systeme davon abzuschrecken, sich der Allianz anzuschließen, startet die Solare Liga das Unternehmen Freibeuter: Die Zerstörung von unabhängigen Randwelten unter Inkaufnahme hoher ziviler Opfer. Honor Harrington kann dies nicht hinnehmen und zieht in ihren erbittertsten Kampf!
David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der Honor-Harrington-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.
Aus dem Amerikanischen vonDr. Ulf Ritgen
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2018 by Words of Weber, Inc.
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Uncompromising Honor, Teil 2«
Originalverlag: Published by Arrangement with
BAEN BOOKS, Wake Forest, NC 27587 USA
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Beke Ritgen, Bonn
Titelillustration: © Arndt Drechsler, Leipzig
Umschlaggestaltung: Thomas Krämer
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0368-0
luebbe.de
lesejury.de
»Reichen Sie mir doch bitte die Brötchen, Mr. Harahap.«
»Selbstverständlich, Skipper.«
Damien Harahap gab den Korb mit frischen Hefebrötchen an Lieutenant Xamar weiter, der ihn seinerseits der auffallend kleinen, dunkelhäutigen und extrem attraktiven Frau am Kopfende des Tisches aushändigte.
»Vielen Dank«, sagte Commander Naomi Kaplan und machte sich daran, eines der Brötchen mit Butter zu bestreichen. Harahap lehnte sich in seinem Sessel zurück und verkniff sich gerade eben noch ein Lächeln.
Seine gesamte Dienstzeit hatte er in der Solaren Liga bei der Gendarmerie abgeleistet, nicht bei der Flotte oder der Marineinfanterie. Dennoch hatte er sich hin und wieder an Bord solarischer Kriegsschiffe aufgehalten, meist auf kleineren Schiffen, vornehmlich Zerstörern und Kreuzern. Was er dort an Erfahrungen gesammelt hatte, reichte aus, um in der HMS Tristram ein Schiff zu erkennen, größer als die größten jemals gebauten Zerstörer aus solarischer Fertigung, größer sogar als einige der ihm bekannten Leichten Kreuzer – und das mit einer merklich kleineren Besatzung. Falls Harahap sich nicht gewaltig täuschte, besaß die Tristram auch noch ein viel tödlicheres Potenzial als jedes, wirklich jedes andere Schiff, das er je persönlich hatte in Augenschein nehmen können.
An Bord wurde Harahap mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. Trotzdem war er hier kein gern gesehener Gast.
Nein, gewiss nicht, dachte er, aber wenigstens lebe ich noch. Das ist doch schon was, sogar eine ganze Menge!
Über den Tisch hinweg blickte er Indiana Graham an, den ebenso jungen wie gefährlichen Anführer der Unabhängigkeitsbewegung von Seraphim. Es hatte Harahap überrascht, dass sich Indy dafür entschieden hatte, ihn nach Manticore zu ›begleiten‹, statt ihn einfach an Ort und Stelle über den Haufen zu schießen. Dann hätten sich alle Beteiligten diese Mühe sparen können, und an Indys Stelle hätte Harahap sich eher dafür entschieden. Warum er sich also noch bei bester Gesundheit befand, war und blieb ihm ein Rätsel. Dass man ihn nun auf dem Weg nach Manticore bei bester Gesundheit erhalten wollte, leuchtete ihm hingegen durchaus ein. Seit mehr als zwei T-Wochen ›Gast‹ der Manticoraner, hatte er fest damit gerechnet, das Suizid-Protokoll, das ihm seine derzeitigen Auftraggeber, ihres Zeichens Mesaner, implantiert hatten, würde das bereits auf drastische Art unmöglich gemacht haben. Es mochte natürlich sein …
»Noch Kaffee, Mr. Harahap?«, fragte ihn Chief Steward Clorinda Brinkman leise gleich neben seinem Ohr.
Harahap nickte. »Gern.«
Brinkman goss ihm ein, wandte sich dann der attraktiven Offizierin zu seiner Linken zu.
»Lieutenant Hearns?«
»Ja bitte, Chief.«
Hearns trug eine anders geschnittene und andersfarbige Uniform als alle anderen am Tisch. Das und ihr andersartiger, weicher Akzent hatten Harahap schnell vermuten lassen, sie müsste eine Grayson sein, von den Verbündeten der Royal Manticoran Navy im Jelzin-System zu selbiger abkommandiert. Faszinierend für Kenner der Bräuche und Gepflogenheiten auf Grayson war bereits, auf einen weiblichen Offizier zu treffen; noch faszinierender aber war für Harahap Hearns’ Akzent. Einen sehr ähnlichen hatte er schon vor einigen Jahren gehört, allerdings nicht von einer Grayson: Hearns klang für ihn wie eine jüngere Version von Colonel Bronwen Prydderch, einer der wenigen Alterden-Bürgerinnen, mit denen er beruflich zu tun bekommen hatte. Prydderch gehörte zu den fähigsten Leuten, für die er je tätig gewesen war, wenngleich sie dazu geneigt hatte, unablässig und stundenlang über die Schönheit ihrer Heimatstadt zu reden, einem Ort namens Llandovery auf der Alterden-Insel England. Bei diesem Gedanken angekommen, fiel Harahap wieder ein, wie unglaublich erbost Prydderch reagiert hatte, als er England ihre Heimat genannt hatte.
Im Gegensatz zu Prydderch sprach Lieutenant Hearns – Gott sei Dank! – nicht allzu viel über ihre Heimat. Ein paar Kleinigkeiten hatte er trotzdem schon aufgeschnappt. Mittlerweile wusste er, dass sie nicht nur eine der verschwindend wenigen Frauen bei der Grayson Space Navy war, sondern auch die Tochter eines Gutsherrn, was sie zu einer Art Prinzessin machte. Für jemanden aus Harahaps Branche, besser: seiner bisherigen Branche, war dies das Faszinierendste an dieser Frau. Seiner Erfahrung mit den Mächtigsten der Mächtigen der Solaren Liga nach riskierte man in diesen Kreisen nicht den eigenen Hintern, nicht für die eigene und schon gar nicht für eine andere Sternnation. Das verriet wohl einiges über die soziale Dynamik von Grayson und Manticore.
»Lieutenant Simpkins hat mich informiert, dass wir in etwa sechsunddreißig Stunden Manticore erreichen, Mr. Harahap«, ließ sich Kaplan nun vernehmen, da sie das Brötchen zu ihrer Zufriedenheit gebuttert hatte. Ohne Selbstkontrolle wäre Harahap jetzt zusammengezuckt, so aber blieb er ungerührt, von einer höflich hochgezogenen Augenbraue einmal abgesehen. »Unser Geheimdienst dürfte sehr daran interessiert sein, sich mit Ihnen zu unterhalten.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen, Commander.« Harahap gestattete sich ein leichtes Lächeln.
Über den Tisch hinweg warf ihm Graham einen scharfen Blick zu, und Harahap zuckte kurz die Achseln. Wenn er sich nicht täuschte, wirkte Indy besorgt – eigentlich rührend, wenn man bedachte, welch falsches Spiel Harahap im Dienste des Mesanischen Alignments mit dem jungen Burschen getrieben hatte. Das war natürlich nie persönlich gemeint gewesen. Harahap hoffte aufrichtig, dass Indy das verstand … und vor allem, dass seine Schwester Mackenzie es verstand.
»Ich darf Sie noch an etwas erinnern, Sir«, fuhr Kaplan im gleichen ruhigen Tonfall fort. »Sie haben uns Ihr Ehrenwort gegeben. Mir ist natürlich bewusst, dass Lüge und Betrug für einen Geheimagenten Teil seiner Aufgabenbeschreibung ist. Ich erwähne das auch nur …«, sie lächelte ihn an, und Harahap musste unwillkürlich an eine schöne, große Raubkatze wie einen Tiger denken, »… weil ich Offizierin der Flotte bin. Als solche nehme ich, anders als ein Geheimagent, Versprechen, Ehrenworte und Eide sehr ernst. Es würde mir überhaupt nicht gefallen, wenn dieses Ehrenwort gebrochen würde. Und was mir nicht gefällt, wird Ihnen noch viel weniger gefallen.«
»Verstanden, Commander.« Er erwiderte ihr Lächeln; das seine fiel sogar ein wenig breiter aus. »Wir Geheimagenten sind von der pragmatischen Art: Wir halten es meist für keine gute Idee, jemandem, der einen ohnehin schon erschießen will, auch noch einen guten Grund zum Abkrümmen zu geben. Ich bin ganz brav, versprochen.«
Abigail Hearns nahm einen Schluck aus der frisch gefüllten Kaffeetasse und musste sich zur eigenen Überraschung ein belustigtes Kopfschütteln verkneifen.
Damien Harahap war ein äußerst gefährlicher Mann. Falls er tatsächlich Firebrand war und im Talbott-Sternhaufen die Anti-Anschluss-Bewegung organisiert hatte, war er indirekt für den Tod Hunderter Angehöriger der Royal Manticoran Navy verantwortlich, viele von Abigails Freunden darunter. Sie selbst hielt ihn für Firebrand, aber so oder so: Er war eindeutig der Agent provocateur, der Indiana und Mackenzie Graham die Lüge aufgetischt hatte, ihre Rebellion gegen die korrupte Regierung ihres Sonnensystems erhielte Unterstützung durch die Flotte von Manticore. Außer im Seraphim-System hatte er im Dienste des Mesanischen Alignments sicher noch anderswo Lügengeflechte wie dieses erschaffen. Wie viele Menschen in direkter Folge seines Handelns mittlerweile das Leben verloren hatten, wusste Gott allein.
Trotzdem mochte Abigail den Mann, zumindest ein bisschen. Er war charmant, hochintelligent und hatte viel Sinn für Humor. Er war eindeutig verantwortlich für sehr viel Tod und Leid, und dennoch spürte sie bei ihm nicht einmal eine Spur Böswilligkeit. Das machte ihn umso gefährlicher: Er war jemand, der seinen Job machte wie viele andere auch, jemand, der nichts weiter als sein Handwerk beherrschte, und nicht die Verkörperung des Bösen. Sein Handwerk jedenfalls beherrschte er ausgezeichnet. Abigail wusste nicht, was Harahap zu dem gemacht hatte, was er nun einmal war. Was blieb, war die Frage, ob sein Talent, ohne jegliche Bösartigkeit viele tausend, ja, sogar Millionen Menschen zu manipulieren und zu täuschen, den ›Gast‹ an Bord der Tristram zu einem ausgewachsenen Soziopathen machte.
Das wiederum glaubte Abigail nicht. Nun, was sie von ihm halten sollte, wusste sie allerdings auch nicht, und zweifellos machten erfolgreiche Soziopathen andere Menschen glauben, es eben nicht mit einem Soziopathen zu tun zu haben. Allerdings: Mateo Gutierrez, Abigails persönlicher Waffenträger, schien Harahap zu mögen, und Mateo besaß immense Menschenkenntnis. Natürlich würde seine Sympathie für Harahap ihn nicht davon abhalten, ihm einen Schuss genau zwischen die Augen zu verpassen, sollte Harahap etwas tun, was auch nur so aussah, als bedrohe er Abigail – oder irgendjemanden sonst an Bord der Tristram. Doch wo sie nun darüber nachdachte … Vielleicht entschlösse sich Mateo in diesem Fall, Harahap nur zu verwunden, um ihn aufzuhalten. Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich sogar.
Über den Tisch hinweg ging ihr Blick hinüber zu Indiana Graham: ein junger Mann, ein paar Jahre jünger als Abigail selbst, gesegnet mit einem dichten, widerspenstigen braunen Schopf Haare und mit einem Selbstbewusstsein, abzulesen an Auftreten und Körpersprache, das mehr Erfahrung verhieß, als sein Lebensalter vermuten ließ. Für Abigail selbst, dessen war sie sich bewusst, galt das in jedem Fall – und wahrscheinlich sogar aus sehr ähnlichen Gründen. Niemals hätte sie sich vorstellen können, in den bewaffneten Widerstand zu gehen, um ihr Sonnensystem aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Knechtschaft zu befreien. Es stand aber zu vermuten, dass dies denselben klärenden Effekt auf Verstand und Gefühlslage hatte wie das Wissen darum, dass man höchstwahrscheinlich in einer aussichtslosen Schlacht für einen anderen als den eigenen Planeten fallen würde.
Jeder Blick in Grahams Augen verriet Abigail, mit welch quälenden Gedanken er sich unablässig herumschlug.
Nun, sie hatte auch feststellen müssen, dass sie ihn noch deutlich mehr mochte als Harahap. Indy erinnerte sie an jede Menge Landsleute: Anders als ihr Heimatsystem versuchte das Seraphim-System zwar nicht, menschliches Leben bei jedem Atemzug zu vergiften, doch auch auf Indys Heimatwelt war zu überleben stets aufs Neue eine Herausforderung. Für ihn galt das in besonderem Maße seit der Festnahme seines Vater und seit seine Schwester die Organisation der Unabhängigkeitsbewegung von Seraphim übernommen hatte. Ansonsten aber war Indiana Graham ganz anders als die Menschen in Abigails Heimat oder alle Mantys, denen sie je begegnet war. Am ehesten erinnerte er sie noch an ihre Freundin Helen Zilwicki – und wahrscheinlich gehörte auch noch eine gehörige Portion Helga Boltitz dazu. Indy verströmte die gleiche nachgerade respektlose Unabhängigkeit, das gleiche Bewusstsein dafür, woher er stammte und welche Widerstände er bereits überwunden hatte, und auch die gleiche Entschlossenheit, mit allem fertigzuwerden, was das Universum an Widrigkeiten aufzubieten hatte … oder bei dem Versuch, damit fertigzuwerden, den Tod zu finden. Noch größer konnte der Unterschied zu ihrem eigenen Werdegang, ihrer behüteten Kindheit in einem wohlhabenden, privilegierten Elternhaus – oder vielmehr: Elternpalast – nicht sein, und doch gehörten Indys auffallende braune Augen jemandem, den Abigail Hearns wirklich gern näher kennenlernen würde.
Aber in sechsunddreißig Stunden erreichten sie Manticore, und er ginge von Bord der Tristram. Wahrscheinlich sähe Abigail ihn dann nie wieder.
Hin und wieder zweifelte sie ernstlich an des Prüfers Humor.
Indiana Graham lauschte dem Gespräch und versuchte, sich darüber klar zu werden, was er gerade empfand.
Ein Teil von ihm freute sich bei der Vorstellung, Firebrand an die Mantys und deren Verbündete auszuliefern, seinen Freund. Denn dafür hatte Indy den Mann gehalten, bis Commodore Zavala mit seiner Zerstörer-Flottille in Seraphim eingetroffen war. Auch weiterhin war dieser Mann, der in Wirklichkeit Damien Harahap hieß, sofern das überhaupt sein richtiger Name war, für ihn Firebrand. Aber weil Indy die ganze Zeit über in Firebrand einen echten Freund gesehen hatte, fiel es ihm schwer, herauszufiltern, wie er zu dieser ganzen Situation stand: Ein Teil von ihm sah in Firebrand immer noch den Freund, und zwar nicht irgendeinen Freund, sondern den Mann, dem er die Waffen verdankte, die der Unabhängigkeitsbewegung von Seraphim zum Erfolg verholfen hatten. Bei einem Hochrisiko-Einsatz nach dem anderen hatte dieser Mann Stoßtrupps der UBS angeführt und mindestens viermal sein Leben dabei riskiert, verwundete UBS-Aktivisten selbst noch unter schwerem Beschuss in Sicherheit zu bringen. Bis tief in die Nacht hatte Indy mit diesem Mann zusammengesessen, Kaffee getrunken, Karten studiert und mit Kenzie und ihm darüber nachgedacht, wie die UBS ihre Ressourcen am besten nutzte. Dieser Mann hatte einen der drei Stoßtrupps angeführt, die in das Hochsicherheitsgefängnis Terrabore eingedrungen waren, um Bruce Graham und all die anderen dort inhaftierten politischen Gefangenen zu befreien.
Das alles hätte Firebrand alias Harahap nicht zu tun brauchen. Er hätte im rechten Moment die Hände in Unschuld waschen und Seraphim den Rücken kehren können – und auch diesen rechten Moment hatte er nicht selbst herbeigeführt. Niemand, auch nicht Firebrand, hatte das Attentat auf Präsident McCready vorhersehen können, ebenso wenig wie die Gelegenheit, die dieses Attentat der UBS verschaffte. Und niemand hätte es diesem Mann verdenken können, wenn er sich zurückgezogen hätte, als der Aufstand begonnen hatte. Keiner der auf Seraphim geborenen Aktivistinnen und Aktivisten hatte härter gegen das unterdrückerische System gekämpft oder war größere Risiken eingegangen als dieser Mann. Sein Verstand sagte Indy, dem Mann sei halt daran gelegen gewesen, der Rebellion zum Erfolg zu verhelfen – und sich zu einem Schiff, mit dem er das System verlassen könnte, bevor der vom OFS unvermeidlich herbeigerufene Kampfverband einträfe. Schließlich hatte er, anders als Mackenzie oder Indiana selbst, genau gewusst, dass kein manticoranischer Kampfverband erschiene und eingriffe.
Dass und wie Firebrand, oder wie immer er hieß, die Sache der UBS unterstützt hatte, ließ Indy uneins mit sich selbst sein, was den angeblichen – oder doch tatsächlichen? – Freund betraf. Deshalb hatte er es seinem Vater Bruce, seiner Schwester und Tanawat Saowaluk überlassen, unter dem Schutz von Zavalas anderen vier Zerstörern eine Interimsregierung zu etablieren, während er selbst an Bord der Tristram gegangen war, um Firebrand nach Manticore zu begleiten. Was konkret er sich davon erhoffte, hätte er niemandem zu erklären vermocht, nicht einmal sich selbst. Vielleicht wollte er Firebrand vor Gericht als Freund beistehen, was vermutlich äußerst dämlich von ihm wäre. Denn ungeachtet dessen, was nach Ausbruch der Kampfhandlungen geschehen war: Ursprünglich hatte es Firebrand ganz offensichtlich darauf angelegt gehabt, dass die solarischen Truppen die Aufständischen von Seraphim nach Strich und Faden erledigten.
Andererseits: Wenn ich nicht äußerst dämlich wäre, hätte ich wohl genug Grips im Kopf gehabt, um keine hoffnungslose Rebellion vom Zaun zu brechen, oder? Außerdem …, sein Blick wanderte zu der schlanken jungen Frau hinüber, die ihm am Tisch genau gegenübersaß und sich gerade kurz durch das brünette Haar strich, … wenn ich nicht mitgekommen wäre, wäre ich auch nie Abigail begegnet.
Ein unscheinbarer Mann war das, ein außerordentlich unscheinbarer Mann sogar.
Honor hätte niemanden zu benennen gewusst, der noch unscheinbarer gewirkt hätte. Schon beim ersten Betrachten des Bildmaterials über ihn war ihr das durch den Kopf gegangen, und danach hatte es sie wieder und wieder beschäftigt. Wie außergewöhnlich schwierig es doch für jemanden sein musste, so viel Schlimmes zu verantworten und dabei doch so … harmlos zu wirken! Der Mann war ihr damals so unscheinbar erschienen, dass man ihn sehen und gleich darauf wieder vergessen konnte. Seitdem hatte sich Honor immer wieder vorgestellt, auf dem Bürgersteig an ihm vorbeizugehen, ihn dabei so anzurempeln, dass ihm beispielsweise seine Einkäufe heruntergefallen wären: Selbst wenn sie ihm anschließend noch geholfen hätte, seine Siebensachen wieder zusammenzuklauben, hätte sie ihn kaum im Gedächtnis behalten.
Bis eben, bis zu dem Moment, wo er durch die Tür den schwerbewachten Konferenzsaal betrat, hatte sie das geglaubt. Sie hatte sich täuschen lassen, das ging ihr schlagartig auf, als sie ihn nun auf sich zukommen sah.
Diese unvermittelte Erkenntnis verlangte ihr jedes erdenkliche Quäntchen Selbstbeherrschung ab. Anders hätte sie nicht ruhig an diesem Tisch sitzen bleiben und zuschauen können, wie die wachsamen Sergeants des Queen’s Own ihn hereinführten, bis hin zu dem Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches. Die Sergeants verhielten sich höflich, blieben aber unverkennbar wachsam. Kurz zog Honor in Erwägung, die Angehörigen der Royal Manticoran Army darauf hinzuweisen, sie seien immer noch nicht wachsam genug. Sie konnte das Geistesleuchten der Männer und Frauen in Uniform schmecken, sie wusste, dass sie alle maximale Professionalität walten ließen, und dennoch wusste Honor, dass sie allesamt sich von dieser nur oberflächlichen Unscheinbarkeit einlullen ließen.
Sie alle hatten keine Ahnung, wer – oder vielmehr: was – dieser Mann in Wirklichkeit war. Doch den Angehörigen des Queen’s Own fehlte, was Honor Alexander-Harrington zugutekam: mit der Sinnesschärfe einer Baumkatze jene oberflächliche Unscheinbarkeit zu durchdringen.
Der Mann, den sie hereingeführt hatten, war so unscheinbar, dass es schon auffiel, auffallen musste.
Es war gut, dass ihre Waffenträger nicht die gleichen Sinne zu nutzen vermochten wie Honor. Niemals wäre es ihr gelungen, ihre Beschützer davon zu überzeugen, vor der Tür des Konferenzsaals auf sie zu warten, hätten sie geahnt, was dieser Mann in Wahrheit war. Honor spürte, dass Nimitz empfand, wie sie empfand: Sie fühlte es als so liebevolles wie geliebtes Echo irgendwo tief in ihrem Geist. Sie wusste, dass ihr Gefährte ihre Einschätzung des Mannes teilte. Anders als sonst meistens hockte der Baumkater nicht auf ihrer Schulter; er hatte es sich auf der Kante ihrer Rückenlehne bequem gemacht. Dennoch spürte Honor, welch wachsame Anspannung von dem lang gestreckten, geschmeidigen Baumkatzenkörper ausging, der sich sanft an ihren Nacken schmiegte. Was auch immer Wachen oder Waffenträger glaubten: Nimitz war jederzeit zum Angriff bereit, innerhalb eines einzigen Herzschlags vermöchte er vorzuschnellen, ein von der Sehne auf sein Ziel schnellender Pfeil.
Ihr Besucher blieb hinter dem ihm zugewiesenen Stuhl stehen, den Kopf leicht schräg geneigt, eine Augenbraue gewölbt.
Honor lächelte ihn an. »Bitte nehmen Sie Platz, Mr. Harahap«, lud sie ihn ein.
»Danke sehr.«
Mit einer Geschmeidigkeit, die es mit der einer Baumkatze hätte aufnehmen können, ließ er sich auf die Sitzfläche gleiten. Das war die erste Abweichung von der so kunstvoll aufrechterhaltenen Fassade der Unscheinbarkeit. Von der langen Jahren des Trainings geschuldeten Geschmeidigkeit hatte er sich beim Durchqueren des Raums nichts, nicht das Geringste anmerken lassen. Honor allerdings betrieb nun schon seit einem halben Jahrhundert Coup de Vitesse. Wie dieser Mann sich gesetzt hatte, wie bedächtig er jeden Schritt gewählt hatte, wie er nun genau in der Mitte der Sitzfläche des Stuhls saß, das alles verriet jemandem von Honors Erfahrung eine ganze Menge.
Honor lehnte sich zurück, die Ellenbogen auf den Armlehnen, die Fingerspitzen beider Hände aneinandergelegt, das Kinn auf die Zeigefinger gestützt, blickte sie ihren ›Gast‹ nachdenklich an, ehe sie zu den Unteroffizieren aufblickte. »Das wäre alles«, sagte sie.
Der ranghöchste wollte schon widersprechen oder zumindest Zweifel an der Ratsamkeit dieser Entscheidung anmelden, doch bevor er auch nur das erste Wort über die Lippen zu bringen vermochte, schüttelte Honor kaum merklich den Kopf, und so schloss der Mann den Mund wieder.
»Sehr wohl, Hoheit«, sagte er stattdessen. »Falls Sie uns brauchen sollten: Wir befinden uns bei Ihren Waffenträgern vor der Tür.«
»Ich danke Ihnen«, sagte sie und spürte Damien Harahaps Belustigung, der natürlich wusste, wem dieser letzte Satz eigentlich gegolten hatte.
Die Sergeants zogen sich zurück, die Tür schloss sich hinter ihnen, und Honor widmete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Mann, der ihr gegenübersaß. Gemäß dem digitalen Display in einer Ecke des Blickfelds ihres künstlichen linken Auges hatte sie ihn exakt fünfundzwanzig Sekunden lang aufmerksam studiert, bevor sie sich an ihn wandte. »Ihnen sind die guten Gründe dafür bewusst, Sie hinrichten zu lassen, Mr. Harahap, nicht wahr?«, fragte sie dann sehr freundlich.
»Oh, ich bezweifle, dass ich sämtliche Gründe kenne«, erwiderte er, »aber aus dem Stegreif wüsste ich mindestens … zwei Dutzend zu nennen. Oder vielleicht auch drei? Aber ich vermute, Ihre Leute sind zu dem Schluss gekommen, ich sei lebendig und des Sprechens fähig doch möglicherweise mehr wert denn als totes Anschauungsobjekt. Und sollte dem so sein, so liegt es mir fern, dem zu widersprechen, Herzogin Harrington.«
»Man hat Ihnen gesagt, wer ich bin?«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Mir wurde lediglich gesagt, ich würde von einem fähigen Vernehmer befragt. Ich muss zugeben, ich hatte nicht damit gerechnet, dass es sich um einen Admiral der Flotte handeln würde. Eher hatte ich jemanden wie … ach, zum Beispiel Mr. Zilwicki erwartet. Oder vielleicht jemanden mit ein paar Fläschchen interessanter Drogen und dazu noch einem oder zwei Gummischläuchen – nur für den Fall, es mit einem Traditionalisten zu tun zu haben. Aber, bitte verzeihen Sie mir meine Offenheit, Sie und Ihr Freund hier«, mit dem Kinn deutete er auf Nimitz, »… erfreuen sich in solarischen Kreisen einer gewissen Berühmtheit, wenngleich nicht gerade Beliebtheit. Und beinahe hätten Sie mich auch hinters Licht geführt: Jetzt, wie Sie da so sitzen, habe ich gar nicht bemerkt, dass Sie in Wirklichkeit drei Meter groß sind.«
»Drei Meter?« Mit einem milden Lächeln schüttelte Honor den Kopf. »In Wirklichkeit sind es nicht einmal ganz zwo.«
»Das ist mir nicht entgangen. Aber das würde niemand glauben, der sich auf solarische Nachrichten verlässt. Wo ich allerdings jetzt so darüber nachdenke, würde man sich dort jetzt fragen, wo die Hörner abgeblieben sind.«
»Vermutlich würde sich jemand, der mit Ihrer Erfolgsbilanz vertraut ist, Ähnliches fragen, Mr. Firebrand. Von unserer Warte aus betrachtet sind Sie ein ganz besonders schlimmer Finger.«
»Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sagte, dass nichts davon persönlich gemeint war?«, erkundigte er sich.
Honor neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Sein Tonfall klang beinahe schon verschmitzt, doch darunter verbarg sich … »Ja, Mr. Harahap, das würde ich wohl.«
Damien Harahap erstarrte. Die Veränderung war kaum merklich, eigentlich hatte Honor sie eher gespürt als gesehen, und ihr Gegenüber kniff die Augen zusammen.
»Sehr freundlich von Ihnen, das zu sagen«, gab er dann leichthin zurück. »Allerdings bezweifle ich aus irgendeinem unerfindlichen Grund doch, dass das noch einen Unterschied hinsichtlich meines letztendlichen Schicksals machen wird.«
»Wissen Sie«, widersprach Honor, »was bei diesem Gespräch herauskommt, wird sogar einen großen Unterschied machen.«
»Ach?« Nun war es an Harahap, den Kopf zur Seite zu neigen. »Sie werden mir hoffentlich verzeihen, wenn ich das so unverblümt anmerke, aber sind Sie nicht eigentlich eine Flotten-Befehlshaberin und mitnichten Geheimdienstlerin?«
»Ebenso wie Sie selbst, Mr. Harahap, bin ich ein Mensch mit vielen Facetten. Für Sie persönlich dürfte derzeit vor allem von Interesse sein, dass ich nicht nur die Oberkommandierende der Grand Fleet bin. Ich gehöre auch der Peerage des Sternenkönigreichs an, bin auf Grayson Gutsherrin, die Cousine des Systemvorsitzenden von Beowulf und eng befreundet mit Ihrer Majestät Kaiserin Elizabeth, Protector Benjamin und Präsidentin Pritchart. Ach, und mit Chien-lu von Ravenheim, Dritter in der Thronfolge der Andermaner.« Dieses Mal hätte Honors Lächeln einer Baumkatze zur Ehre gereicht. »Ich will auf Folgendes hinaus: Ich verfüge über einen gewissen Einfluss bei den Leuten, die meinem Urteilsvermögen vertrauen, und zwar gerade hinsichtlich der Frage, ob gewisse Personen etwas ernst meinen oder nicht. Daher rate ich Ihnen, tunlichst bei mir einen guten Eindruck zu hinterlassen.«
Lange blickte Harahap sie schweigend an, dann lachte er leise auf. Sein Geistesleuchten verriet Honor, dass seine Belustigung echt war.
»Aus irgendeinem Grund«, gab er schließlich zurück, »erscheint mir das sogar eine ausgezeichnete Idee. Also, Herzogin Harrington, dann sagen Sie mir doch: Wie könnte ich es denn wohl anstellen, einen guten Eindruck bei Ihnen zu hinterlassen?«
»Und?«, erkundigte sich Elizabeth Winton, als Honor unmittelbar hinter Colonel Ellen Shemais den privaten Salon Ihrer Majestät der Kaiserin betrat. Spencer Hawke und Joshua Atkins waren vor der Tür stehen geblieben, gleich neben den dort bereits wartenden Wachposten aus den Reihen des Queen’s Own Regiment.
»Wäre es dir recht, wenn ich mich hinsetze, bevor wir mit dem Kreuzverhör beginnen?«, erkundigte sich Honor lächelnd, und die meisten im Raum versammelten Baumkatzen lachten bliekend. Auch Ariel, Elizabeths Gefährte, stimmte ein.
»Wenn du darauf bestehst …«, sagte die Kaiserin mit einem Schnauben und deutete auf den Lehnsessel, der ihrem eigenen genau gegenüberstand.
Mit einem genüsslichen Seufzen ließ sich Honor in das bequeme Möbelstück sinken. Sie bedeutete Nimitz, sich auf ihrem Schoß zusammenzurollen, damit sie ihn umarmen könnte, statt ihn, wie sonst, auf die Rückenlehne des Sessels zu schicken. Dann blickte sie sich nachdenklich in dem Salon um.
Außer Elizabeth und Ariel waren auch Hamish und Samantha anwesend. Dazu kamen Patricia Givens und deren Leibwächter-Baumkater Jagt-Gedanken sowie deren zivile Gegenstücke vom Special Intelligence Service, Sir Barton Salgado und Schiefer-Zahn. Weiterhin im Salon befanden sich Thomas Theisman und Springt-von-droben ebenso wie Thomas Caparelli und Klarer-Geist, Sir Anthony Langtry und Mondentänzer. Den Abschluss bildeten Sir Tyler Abercrombie, der Innenminister des Sternenkönigreichs von Manticore, und dessen pelzige Leibwächterin Erklimmt-Steine. Damit waren Samantha und Erklimmt-Steine die einzigen weiblichen Baumkatzen im Raum.
Nach derart vielen Jahrzehnten, in denen Nimitz stets die einzige Baumkatze im Raum gewesen war, erforderte eine derart dichte Baumkatzen-Population doch ein wenig … Gewöhnung.
Außerdem wurde im Salon weidlich Sellerie gekaut.
»Trotz allem, was der Palastschutz und das Queen’s Own gleichermaßen Mr. Harahap weisgemacht haben: Ich bin in Wahrheit nun wirklich kein fähiger Vernehmer«, sagte Honor schließlich, kaum dass Nimitz auf ihrem Schoß Platz genommen hatte.
»Sie mögen vielleicht kein ausgebildeter und damit ausdrücklich qualifizierter Vernehmer sein, Hoheit, aber Sie sind eindeutig einer der fähigsten Vernehmer, denen ich jemals begegnet bin«, widersprach Patricia Givens.
»Auch ich muss zugeben, dass ich es nicht wagen würde, Sie anzulügen, Honor«, warf Theisman ein. »Gleiches gilt, das weiß ich, für sämtliche anderen Kabinettsmitglieder ebenso wie für alle Senatorinnen, Senatoren und Kongressabgeordnete, denen Sie in Nouveau Paris begegnet sind. Und die meisten sind zu diesem Schluss schon lange vor der Erkenntnis gekommen, dass Sie eine halbe Baumkatze sind.«
In das neuerliche Gelächter aller Baumkatzen im Raum hinein räumte Honor ein: »Das kann man wohl so ausdrücken.«
»Deswegen haben wir ja alle so viel Wert darauf gelegt, dass du mit ihm sprichst.« Elizabeths Tonfall war ebenso wie ihre Miene ernst. »Unsere ’Katzen können sich uns mittlerweile mitteilen. Sie können uns sagen, was sie spüren, und wir wissen mittlerweile alle, wie nützlich das Leuten wie Admiral Givens und Sir Barton schon geworden ist.«
Mit einer Kopfbewegung wies sie in Richtung des SIS-Leiters und Patricia Givens’, und Honor nickte. Ein unerwarteter Vorteil – der verdammt noch eins gar nicht so unerwartet hätte sein dürfen! –, den es hatte, Baumkatzen als Leibwächter einzusetzen, bestand in dem gewaltigen Vorteil, den sie der Spionageabwehr verschafften. Genug Baumkatzen-Leibwächter hatten sie längst nicht: Baumkatzen standen als Raubtiere ganz oben in der Nahrungskette, weswegen ihre Population stets recht klein gewesen war. Doch schon die vorhandenen hatten viel verändert. Die Überprüfung befand sich immer noch in der Frühphase, doch die Menschen/Baumkatzen-Teams hatten schon jetzt nicht weniger als elf Spione in den obersten Rängen des Ministeriumspersonals enttarnt. Vier davon waren ›eines natürlichen Todes‹ gestorben, kaum dass sie bemerkt hatten, aufgeflogen zu sein, was nur wenig Zweifel daran gestattete, für wen sie tätig gewesen waren. Die sieben Überlebenden kannten ihre Auftraggeber nicht.
Es wäre natürlich nett gewesen, jemanden lebendig aufzugreifen, der die Existenz des Alignments hätte bestätigen können, doch diese vier ›natürlichen‹ Todesfälle waren den Mitgliedern der Großen Allianz Beweis genug. Und wenigstens konnten sie nun nach und nach all die undichten Stellen versiegeln, von deren Existenz sie zuvor nicht einmal etwas geahnt hatten.
»Aber so nützlich uns die ’Katzen und ihre Berichte sind: Niemand von uns vermag das selbst zu spüren«, fuhr Elizabeth fort. »Außer dir. Deswegen hat auch niemand dir gegenüber bislang unsere eigenen Eindrücke erwähnt, bis wir dich von deinem Flaggschiff gezerrt und dazu genötigt hatten, persönlich sein ›Geistesleuchten zu schmecken‹, wie du das nennst. Und, nachdem das jetzt passiert ist, was für einen Eindruck hast du?«
»Das Erste, was mir aufgefallen ist«, setzte Honor nachdenklich zu einer Antwort an, »dürfte wohl sein, dass ich jetzt verstehe, wie er so verwünschenswert effektiv hat sein können. Wahrscheinlich die Einzigen, die im Spionagegeschäft in der gleichen Liga spielen wie er, wenngleich in einer etwas anderen Art und Weise, dürften …«, sie zählte es an den Fingern ab, »… Anton Zilwicki, Victor Cachat, mein Onkel Jacques und Kevin Usher sein.«
Bemerkenswerte Stille folgte.
Schließlich meinte Theisman: »Dann, Honor, befindet er sich aber in beeindruckender Gesellschaft.«
»Richtig. Wir reden hier von einem äußerst gefährlichen Mann. Er ist hochintelligent, sehr geschickt und geht außerordentlich methodisch vor. Das allein sind bereits drei Qualitäten, die in dieser Kombination einen jeden Menschen gefährlich machen würden, aber Mr. Harahap ist zudem noch ein … man könnte wohl sagen: ehrlicher Handwerker. Ein besserer Begriff ist mir bislang nicht eingefallen. Wenn er einen Job annimmt, ganz egal, welchen, es geht nicht nur darum, ganze Sonnensysteme in die Luft zu jagen, dann erledigt er diesen Job voll und ganz.«
»Wollen Sie damit sagen, er wäre ein Söldner?«, erkundigte sich Givens.
Honor zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie so wollen. Andererseits: Wenn er sagt, nichts davon sei in irgendeiner Weise persönlich gemeint, meint er das auch so. Nicht, dass seine Aussagen ganz korrekt und vollständig gewesen wären. Er wollte das zwar nicht zugeben – ich vermute, weil er annimmt, ich würde ihm das nicht glauben –, aber was in Seraphim passiert ist, das hat sich letztendlich doch als persönlich herausgestellt. Für ihn selbst.«
Ein Schulterzucken folgte, während Honor nach den richtigen Worten suchte. Dabei ging ihr Blick konzentriert in eine Ferne, in die nur sie blicken konnte.
»Die Wahrheit ist – und ich möchte noch einmal betonen: Nichts davon hat er gesagt, ich habe das lediglich hinter seinen Worten geschmeckt –, dass er bei jeder der Rebellionen, die er angefacht hat, dem dortigen Widerstand Erfolg gewünscht hat.«
»Es … fällt mir schwer, das zu glauben«, meinte Sir Tyler langsam und bedächtig. Von allen im Raum Anwesenden kannte er Honor und Nimitz am wenigsten, und so schmeckte sie auch sofort seine Skepsis: Er glaubte, irgendwie wäre es Harahap gelungen, auch Honor einzuwickeln, trotz ihrer Fähigkeit, die Emotionen der Menschen in ihrer Nähe zu schmecken.
»Ich bezweifle, dass Ihnen das jetzt, bei meinem Bericht, schwerer fällt als seinerzeit mir selbst, und ich habe es aus erster Hand gespürt«, erklärte sie ihm und schenkte ihm dabei jenes leicht schiefe Lächeln, das sie ihren künstlichen Nervenenden verdankte. »Aber es stimmt. Genau das hat er getan.«
»Warum?«, setzte Theisman nach. »Und gilt das auch für seine Aktivitäten in Talbott?«
»Die Frage nach dem Warum vermag ich nicht mit Gewissheit zu beantworten«, erwiderte Honor gedehnt. »Also, ich kann Ihnen nicht sämtliche seiner Beweggründe nennen, aber eine Rolle dabei hat auf jeden Fall gespielt, dass der Stratege in ihm der Ansicht war, den Mesanern wäre etwas Wichtiges entgangen. Er selbst fand, es würde uns viel mehr Schaden zufügen, wenn zumindest die eine oder andere Rebellion, von denen der ganze Rest der Galaxis glaubte, das Sternenimperium hätte sie unterstützt, auch Erfolg hätte. Das würde dann ganz zu der von Abruzzi vorangetriebenen Propaganda über unseren ›skrupellosen Imperialismus‹ passen. Aber das ist nur ein Teil des Ganzen. Ich glaube, hauptsächlich hat Harahap auf Erfolge gehofft, weil er die Grenzsicherheit aus tiefstem Herzen verabscheut.«
»Honor, er hat doch für die Grenzsicherheit gearbeitet«, gab Hamish zu bedenken.
»Nein, für die Gendarmerie, und die hat ihn dann an die Grenzsicherheit ausgeliehen«, korrigierte Honor ihren Mann. »Und tief unter all seiner unerschütterlichen Gelassenheit verborgen, so tief, dass ich nicht einmal weiß, ob ihm dies selbst bewusst ist, schwärt unfassbare Wut auf das OFS.« Sie sah, wie einige ihrer Zuhörer ob dieser Aussage die Augenbrauen wölbten. »Er selbst hält diese Wut wahrscheinlich bloß für Verachtung. Schließlich sind die Leute dort allesamt schludrig und unfähig, Hamish. Aber genau da täuscht sich Harahap. Was er spürt, ist in Wahrheit viel stärker … und die Gründe für seine Emotionen sind viel, viel persönlicher, als er glaubt.«
»Warum?«, fragte Theisman erneut.
»Weil er aus dem Startman-System stammt.«
Bei diesem kurzen Satz klang Honors Stimme sonderbar tonlos, was ihren Mann sofort die Stirn runzeln ließ. Auch Patricia Givens war die Veränderung des Tonfalls nicht entgangen.
»Warum ist das von Bedeutung, Hoheit?«, erkundigte sie sich. Honor blickte zu ihr hinüber und sah echte Überraschung in der Miene des Zweiten Raumlords der Admiralität. »Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich kann ihn nicht einordnen.«
»Ich halte das für bedeutsam, weil dieses System in den Protektoraten liegt. Harahap war sieben Jahre alt, als das OFS seine Heimatwelt StratoCorp überlassen hat«, erläuterte Honor mit der gleichen tonlosen Stimme.
Theisman kniff die Augen zusammen.
»StratoCorp?«, wiederholte Givens unverkennbar scharf. »Davon steht aber nichts in seinem Dossier!«
»Entschuldigung, Pat«, meldete sich nun Caparelli in seinem trockenen Tonfall, »ich bin davon ausgegangen, wir wären noch damit beschäftigt, ein Dossier über ihn anzulegen.«
»Na ja … stimmt schon.« Givens blickte ein wenig verärgert drein. »Aber so viel hätte uns doch schon vorliegen müssen! Wenn Ihre Hoheit das derart rasch aus ihm herausholen konnte …«
»Wenn ich mich nicht irre, waren Commander Kaplan und ihre Leute ausdrücklich angewiesen worden, ihn während der Überfahrt hierher nicht zu vernehmen«, merkte Theisman an. »Das wiederum dürfte es doch recht schwierig gemacht haben, etwas aus ihm herauszuholen, finden Sie nicht?«
Givens nickte. Sonderlich glücklich wirkte sie dabei nicht. Sie verstand sehr wohl, warum Jacob Zavala diese Anweisung ausgegeben hatte; sie war sich nur nicht sicher, was sie davon halten sollte. Aber zumindest ein wirklich schlagendes Argument hatte Zavala vorgebracht: Es sei vermutlich besser, Harahap angesichts einer für ihn ganz und gar unbestimmten Zukunft im sprichwörtlichen eigenen Saft schmoren zu lassen – falls dieser unerträglich kaltblütige Dreckskerl überhaupt wusste, was das war –, ohne ihm eine Gelegenheit zu verschaffen, sich ein überzeugendes Narrativ zurechtzulegen und damit Leute zu täuschen, die nie darin geschult worden waren, einen derart leistungsstarken Agenten wie ihn zu vernehmen.
»Ein gutes Argument, Sir«, sagte sie, »sogar zwo.« Dann wandte sie sich wieder an Honor. »Trotzdem überrascht mich, dass Sie das aus ihm herausgeholt haben, Hoheit. Wenn Sie mit Ihrer Annahme recht haben, wie sehr ihn das geprägt hat, dann reden wir hier von genau jener Sorte Schwachstelle, die ein Agent seines Kalibers mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vor seinen Gegnern würde geheim halten wollen.«
»Wie gerade erst angemerkt, genieße ich einige äußerst unfaire Privilegien.« Ein Lächeln huschte über Honors Gesicht. »Ich glaube nicht, dass er begriffen hat, worauf dieser Teil des Gesprächs hinauslaufen würde, bis wir den Punkt erreicht hatten. Aber vielleicht war das auch einfach nur eine Freud’sche Fehlleistung, wie man das früher genannt hat. Außerdem hat Harahap ganz offensichtlich nicht gewusst, dass mir der Name seines Heimatsystems tatsächlich etwas sagt.« Ihr Lächeln verschwand. »Den meisten Manticoranern sagt er nämlich nichts.«
»Ich glaube, den Schuh muss ich mir auch anziehen«, gestand Hamish. »Aber wie Pat schon gesagt hat: Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.« Mit gerunzelter Stirn fragte er: »Ist der vielleicht irgendwie im Zusammenhang mit Laokoon schon einmal gefallen?«
Seine Frau nickte. »Könnte sein. Das System liegt auf der anderen Seite von Sol, ungefähr hundertsechsundsiebzig Lichtjahre von Alterde entfernt.« Honor zuckte mit den Schultern. »Eine sonderlich starke Wirtschaft hat es da nie gegeben, aber das System liegt nur ungefähr hundert Lichtjahre vom Titania-Wurmloch entfernt – und weniger als sechsundzwanzig Lichtjahre von Franzeki. Das allein dürfte StratoCorps Interesse geweckt haben.«
Hamish nickte, auch wenn seine Miene immer noch Verwirrung verriet.
Die Lage des Startman-Systems und vor allem dessen Nähe zu Franzeki mochten ja erklären, warum es zumindest beiläufig bei einer Laokoon-Besprechung erwähnt worden war. Von StratoCorp hatten schon die meisten Manticoraner gehört, die mit der Solaren Liga zu tun hatten. Ursprünglich hatte der Konzern Stratosphere Services Incorporated geheißen; er existierte schon seit geraumer Zeit. Tatsächlich war er sogar älter als die Solare Liga, damals, zur Zeit seiner Gründung, trug er noch den Namen Stratosphere Enterprises. Die Firma war noch profitorientierter als die meisten anderen transstellaren Konzerne mit Hauptsitz auf dem Territorium der Solaren Liga – vermutlich, weil diese Firma wirklich harte Zeiten durchgemacht hatte … und das mehrere T-Jahrhunderte lang. Die ganze Zeit über hatte der Konzern ums Überleben gekämpft und auch nur dank seiner skrupellosen und außergewöhnlich raublustigen Führungsebene überlebt. Das hatte die Unternehmenskultur nachhaltig geprägt.
Über das Startman-System wusste Hamish nichts Genaueres. Ihm war lediglich bekannt, dass StratoCorp seit etwa den letzten dreihundert T-Jahren stetig sein Portfolio in Knechtschaft gehaltener Sonnensysteme ausbaute. Und dann war da die Lage des Systems zur Franzeki-Bessie-Hyperbrücke: Diese überwand zwar nur eine vergleichsweise kurze Distanz, kaum mehr als einhundertfünfundzwanzig Lichtjahre, aber das Bessie-System lag nur dreißig Lichtjahre vom Clarence-Terminus der Clarence-Artesia-Hyperbrücke entfernt, die ihrerseits fast dreihundertsiebzig Lichtjahre lang war. Dazu kam die Titania-Mullins-Hyperbrücke von mehr als neunhundert Lichtjahren Länge, und die Bevölkerung der Sonnensysteme im Mullins-Sternhaufen wuchs rasch. Daher konnte sich Hamish durchaus vorstellen, warum jemand wie StratoCorp Interesse daran haben könnte, ein System in seine Klauen zu bekommen, das all diesen Termini nahe genug lag, um eine äußerst nützliche Basis abzugeben.
Das allerdings erklärte immer noch nicht, warum Honor darüber Bescheid wusste. Und was auch immer sie nun wissen mochte: Es schien ihr wirklich bedeutsam zu sein.
Honors Mundwinkel zuckten, als sie die Neugier ihres Mannes schmeckte. »Ich weiß darüber dank Onkel Jacques Bescheid, Hamish«, erklärte sie. »StratoCorp steckt schon seit langer Zeit mit Manpower unter einer Decke. Unter anderem haben die bei ihren Fahrten von und nach Clarence Sklavenschiffe durch Startman geschleust. Die Führungsebene des Sklavenumschlagdepots auf Startman war schlimmer als die meisten anderen, aber sie war auch zu weit entfernt, als dass das BSC etwas hätte unternehmen können. Vor fünfzehn T-Jahren haben sie dann allerdings unerwarteten Besuch vom Ballroom erhalten. Das war … nicht sonderlich schön.«
Einige der Anwesenden nickten verständig; Abercrombie hingegen schien sich recht unwohl zu fühlen angesichts dieser dezenten Erinnerung daran, wie enge Kontakte zu einer als solche anerkannten terroristischen Vereinigung eine gewisse manticoranische Herzogin pflegte.
»Wie dem auch sei: Harahap mag ja noch ein Kind gewesen sein, als das OFS in Startman einmarschiert ist. Aber er war alt genug, um sich zumindest zum Teil daran zu erinnern, wie das Leben vorher gewesen ist – für seine Familie und ihn, meine ich jetzt. Er hat mitbekommen, welche Folgen das Eintreffen von StratoCorp für seine Eltern hatte. Da war er zwölf. Die System-Manager von StratoCorp gehen ziemlich brutal vor, selbst für Protektoratsverhältnisse. Wie jeder, dessen Verstand auch nur halbwegs funktioniert, wollte Harahap dort nur noch weg, und als er gerade neunzehn war, hat ihm die Gendarmerie genau den ersehnten Ausweg verschafft. Ich glaube nicht, dass er sich zum damaligen Zeitpunkt allzu viele Gedanken darüber gemacht hat, was er dafür alles würde tun müssen. Und dann hat sich eben herausgestellt, dass er über gewisse Talente verfügt.«
»Das alles hat er Ihnen erzählt?«, fragte Abercrombie nach.
Honor warf ihm einen kühlen Blick zu. »Nein, hat er nicht. Das brauchte er auch nicht. Was auch immer Harahap sagen mag, Sir Tyler, seine Emotionen kann er genauso wenig verschwinden lassen wie jeder andere auch. Das Ausmaß, in dem er verhindert, sich von ihnen beherrschen zu lassen, ist geradezu beängstigend, aber das bedeutet nicht, dass er sie nicht hat. Ich habe fast sechs Stunden lang mit ihm gesprochen.« Honor schüttelte den Kopf. »Glauben Sie mir: Er hat keine Ahnung, wie viel ich dem entnehmen konnte, was er nicht gesagt hat.«
Abercrombie wirkte sehr skeptisch, doch Erklimmt-Steine raunte ihm einen tadelnden Laut ins Ohr und gab ihm einen sehr sanften Klaps auf den Hinterkopf. Erstaunt zuckte der Innenminister des Sternenimperiums zusammen, seufzte und warf Honor ein Lächeln zu. Sein Geistesleuchten verriet ihr, dass seine damit wortlos ausgesprochene Bitte um Entschuldigung ganz und gar aufrichtig gemeint war.
»Natürlich haben gerade einmal sechs Stunden nicht ausgereicht, um seine ganze Lebensgeschichte in Erfahrung zu bringen«, fuhr Honor fort. »Aber wie schon gesagt: Ich glaube, ich habe mehr erfahren, als er weiß. Also: Wollen Sie wirklich hören, welchen Eindruck ich davon habe, wer und was er ist?«
»Selbstverständlich«, entgegnete ihre Regentin nur.
»Ah ja?« Erneut lächelte Honor. »Also gut: Ich halte ihn für genau das, was zu sein er Zavala und Kaplan bereits erklärt hat. Ja, er ist ein Söldner, in dem Sinne, dass er für Geld Aufträge annimmt. Aber bei der Frage, ob er das Angebot von Mesa nun annehmen sollte oder nicht, hatte er eigentlich gar keine Wahl.« Sie zuckte mit den Schultern. »Er hat sich auf jeden Fall nicht aktiv darum bemüht. Er ist zur Gendarmerie gegangen, um Startman verlassen zu können, und was er bei der Gendarmerie getan hat, das hat er getan, weil er sehr gut darin ist, zu tun, was die Gendarmerie tut … und weil er Teil eines Systems geworden ist, in dem Menschen das tun, was die Gendarmerie tut.« Eine andere Art Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Vielleicht möchten Sie an dieser Stelle an eine gewisse Frau namens Palane denken?«
Kurz wurde Elizabeths Blick unstet. Dann nickte sie, beinahe schon widerwillig; Honor erwiderte die Geste.
»Nachdem wir den Lynx-Terminus entdeckt hatten, haben Harahaps Vorgesetzten ihn an Manpower ausgeliehen, eigentlich an das Alignment, auch wenn das keinem der Beteiligten bewusst war. Er sollte unsere Bemühungen im Talbott-Quadranten sabotieren oder diesen destabilisieren«, führte sie nun aus. »Er war uns nicht das Geringste schuldig, stand uns gegenüber in keinerlei Pflicht, er hatte seine Befehle, und er hat seinen Auftrag ausgeführt. Übrigens hält er Nordbrandt für wahnsinnig und ist der Ansicht, je früher wir sie einfangen und hängen, desto besser.
Und dann, nachdem Terekhov Harahaps Einsatz im Talbott-Quadranten für alle offensichtlich gemacht hat, ist Harahap zu einem unerledigten Problem geworden, um das sich jemand zu kümmern versucht hat. Ich selbst vermute ja, dass Kalokainos dahintersteckt.« Honor verzog das Gesicht. »Harahap wollte mir diesen Namen nicht nennen, aber da habe ich nicht lockergelassen.«
»Warum sollte er so etwas denn verbergen wollen?«, erkundigte sich Theisman.
»Weil ich glaube, dass er sich vorstellt, sich beizeiten persönlich mit Mr. Kalokainos zu befassen.«
»Weil er glaubt, Kalokainos habe den Auftrag erteilt, ihn umzubringen?«
»Nein, Tom, weil er glaubt, Kalokainos habe im Zuge dessen gleich einen seiner wenigen echten Freunde umgebracht«, widersprach Honor leise. »In seiner ganz eigenen Art und Weise atmet Harahap ebenso sehr den Geist des Alten Testaments wie den der Highlander von Gryphon.«
Theisman blickte sie nachdenklich an, und Honor wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihrer Kaiserin zu.
»Das Alignment hat ihm Arbeit verschafft und dazu die Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Die Bezahlung war gewiss gut, und Harahap ist niemand, der über diese Art ›Job‹ die Nase rümpft. Das ist kaum überraschend, wenn man sich anschaut, wie seine Kindheit und Jugend ausgesehen haben. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ihn vornehmlich vor Kalokainos geschützt zu sein dazu getrieben hat, sich für das Alignment zu verdingen – nebst der Aussicht, so eines Tages selbst die noch offene Rechnung mit Kalokainos zu begleichen. Dazu kommt noch, dass er sich ziemlich sicher war, das Alignment würde ihn ebenfalls als unerledigtes Problem ansehen, um das sich jemand würde kümmern müssen, sollte er ihr Angebot ausschlagen. Hinter Manpower noch einen anderen Auftraggeber, also das Alignment, zu vermuten hat es ihm leichter gemacht. Denn meines Erachtens hat er nicht gern mit Manpower zusammengearbeitet, schon nicht zu seinen Zeiten als Gendarm in Talbott und noch viel weniger seit seinem Wechsel in das Metier eines … na, sagen wir: freischaffenden Agenten. Ihn davon abgehalten, den Auftrag anzunehmen, hätte das nicht, das möchte ich auch gar nicht behaupten. Schließlich stand sein Leben auf dem Spiel, und die gute Bezahlung war verlockend genug. Ich möchte nur noch einmal unterstreichen, dass angesichts der Geschichte von Startman eine Tätigkeit für Manpower niemals seine erste Wahl gewesen wäre, zumindest nicht ohne wirklich schlagende Argumente. Mit Mesa und den transstellaren Konzernen im Großen und Ganzen hat er kein Problem.«
Theisman nickte bedächtig, doch Patricia Givens runzelte die Stirn. »Schön und gut, Hoheit, und sicher stimmig. Aber eine Sache beunruhigt mich doch, sehr sogar.«
Mit einem Hochziehen beider Augenbrauen lud Honor sie zum Weitersprechen ein.
Die Leiterin des Office of Naval Intelligence zuckte mit den Schultern und erklärte: »Die Tatsache, dass er noch lebt. Der mesanische Agent, den Van Hale und Dschingis auf Torch vor dem Anschlag enttarnt haben, war offenkundig mit einer Art Suizidprogramm ausgestattet. Den nur äußerst lückenhaften Berichten gemäß, die wir von Alterde erhalten haben, hat Rajampet Selbstmord begangen, kaum dass es so aussah, als würde seine Verbindung zu Mesa ans Tageslicht kommen. Wahrscheinlich steckt ebenfalls dortige ›Killer-Nanotechnologie‹ dahinter. Dann wäre da noch, was auf Smoking Frog mit ›Ellingsen‹ und ›Abernathy‹ passiert ist, zuzüglich der vier von ’Katzen enttarnten Spione hier im Alten Königreich. Für mich sieht das danach aus, als ob jeder Agent, der weiß, für wen er arbeitet, im gleichen Moment, da er enttarnt wird, tot umfällt. Ich habe Schwierigkeiten zu glauben, das Alignment würde gerade bei einem Söldner, also jemandem, der nicht zu den eigenen Leuten gehört, darauf verzichten, ihn mit derselben … Sicherheitssoftware auszustatten.«
»Sie glauben, Harahap ist ein Spitzel«, stellte Honor fest.
»Ich glaube zumindest, er könnte es sein.« Es folgte ein neuerliches Schulterzucken. »Es ist gut möglich, dass alles, was er Ihnen erzählt hat, nichts als die Wahrheit ist, aber es ist ebenso gut möglich, dass alles, was man ihm erzählt hat, und alles das, was er selbst hat in Erfahrung bringen dürfen, im Vorfeld sehr sorgsam orchestriert wurde.«
»Warum?«, fragte Theisman ein drittes Mal.
»Ich habe keine Ahnung«, räumte Givens offenherzig ein. »Und es ist schlichtweg unvorstellbar, dass die gesamte Ereigniskette, die letztendlich dazu geführt hat, dass wir ihn in Gewahrsam haben nehmen können, von langer Hand genau so geplant wurde. Ich bin ja durchaus bereit, genetischen Übermenschen alle möglichen abseitigen oder nachgerade überwelthaften Talente zuzubilligen, aber ich bin mir doch ziemlich sicher, dass eine solche Operation wirklich jeden überfordern würde. Das heißt aber noch lange nicht, dass man es nicht gezielt darauf angelegt haben könnte, Harahap letztendlich irgendjemandem zuzuspielen. Deswegen habe ich derzeit auch noch keine Arbeitshypothese anzubieten, was die möglichen Motive dafür sein könnten. Anzubieten habe ich lediglich eine einfache Frage: Warum lebt dieser Mann noch?«
»Ich vermute, die Antwort auf diese Frage heißt Jack McBryde«, sagte Honor und schmeckte die Überraschung sämtlicher Anwesenden; sie alle wandten sich ihr zu. »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass Harahap ein hochintelligenter und geschickter Bursche ist«, rief sie ihnen ins Gedächtnis zurück. »Meinen Sie etwa, er hätte sich diese Frage nicht längst selbst gestellt? Natürlich! Und er glaubt auch die Erklärung gefunden zu haben. Mein Gespräch mit ihm lässt mich vermuten, Ladys und Gentlemen, er habe, als er Vollzeit-Agent für das Alignment geworden ist, eine ganze Reihe physischer Updates erhalten. Mir scheint es ratsam, sich diese Modifikationen, die man ihm hat angedeihen lassen, sehr genau anzuschauen, die klingen nämlich allesamt ziemlich interessant … und bei den wenigsten davon handelt es sich um genetische Modifikationen. Wie dem auch sei: Er hat diese Modifikationen im Gamma Center erhalten, und das unmittelbar, bevor man ihn auf seinen ersten Einsatz als vollwertigen Alignment-Mitarbeiter geschickt hat. Es war vorgesehen, dass er nach seiner Rückkehr nach Mesa erneut das Gamma Center aufsucht, um weitere Upgrades zu erhalten. Bloß gab es das Gamma Center dann plötzlich nicht mehr, und nach all dem Durcheinander im Nachgang von Green Pines war Harahap auch nicht sonderlich überrascht darüber, dass sich niemand die Mühe machen wollte, das Bonus-Paket eines dahergelaufenen Agenten zu optimieren.
Aber nach dem, was uns Dr. Simões über McBrydes Notfallpläne berichtet hat, ist auch ein Großteil der Aufzeichnungen des Gamma Centers in Rauch aufgegangen, als er den Knopf gedrückt hat. Wir reden hier nicht nur von den Aufzeichnungen, die sich physisch vor Ort befunden haben: Simões hat gesagt, McBryde habe einen Angriff auf das gesamte Sicherheitsnetz des Alignments geplant. Ich glaube, dass ihm der auch gelungen ist. Harahap hat zwar nichts von McBryde oder dessen Plänen gewusst, aber als er dann nach seiner Festnahme nicht tot umgefallen ist, ist ihm der Gedanke gekommen, all seine ehemaligen Arbeitgeber müssen geglaubt habe, er wäre mit einem Suizid-Protokoll ausgestattet … was nicht zutraf.«
»Großer Gott«, hauchte Givens. »Glauben Sie wirklich, dass das so gelaufen ist?«
»Ja, tue ich. Und wenn ich recht habe …«
»Wenn du recht hast, dann haben wir jetzt tatsächlich jemanden hier, der uns einen Insider-Blick in dieses groß angelegte Unternehmen unter falscher Flagge gewähren kann«, beendete Elizabeth den Satz für sie. »Und zwar jemanden, den man für tot hält … und daher nicht mehr für eine Gefahr. Und wenn er keine Gefahr mehr ist, dann muss man sich auch keine Gedanken darüber machen, wie man vertuschen muss, was er uns berichten könnte.«
»Und das ist nur der Ausgangspunkt«, pflichtete Honor ihrer Monarchin bei und nickte entschlossen. »Ich glaube, wir halten hier das Ende eines Ariadnefadens in der Hand, der uns bis in die innersten Kreise des Alignments führen dürfte. Und wir brauchen jetzt nur noch …«, ihr Lächeln war nun unverkennbar verschmitzt, »… Mr. Harahap davon zu überzeugen, den Dollar Ihrer Majestät der Kaiserin zu akzeptieren. Dabei müssen wir natürlich auch noch dafür sorgen …«, ihr Lächeln wurde sehr viel kühler, »… dass er auch für uns ein ehrlicher Handwerker ist.«
»Sie haben Ihr Ziel erreicht, Sir«, verkündete das Flugtaxi.
Indiana Graham hörte auf, sich fast den Hals zu verrenken und wie ein Rotationssensorsystem den Kopf hin und her zu drehen, als das Taxi exakt vor dem Landesteg im einhundertundzwölften Stockwerk anhielt und dort reglos auf seinem Kontragrav in der Luft stehen blieb. Die Steuerbordluke öffnete sich, und Indiana wollte gerade schon die KI des Fahrzeugs fragen, ob sie sich sicher sei, wirklich das richtige Ziel angesteuert zu haben, konnte sich aber gerade noch beherrschen: Seines fremdartigen Akzents wegen hatte das Taxi zweimal nachgefragt, um sicherzugehen, ihn auch wirklich verstanden zu haben, als er besagtes Ziel genannt hatte. Indiana selbst war gar nicht bewusst gewesen, wie massiv sein Akzent war … bis zu seiner Ankunft auf Manticore. An Bord der Tristram war niemand so unhöflich gewesen, ihn darauf hinzuweisen, und bei der Überfahrt hierher hatte er andere Dinge im Kopf gehabt. Seitdem aber, seit dem Shuttleflug vom Orbit hinunter nach Landing, war es ihm recht deutlich vor Augen geführt worden – nicht, weil es diesbezügliche Bemerkungen gegeben oder man mit dem Finger auf den Mann gezeigt hätte, der so komisch sprach. Doch manticoranische KIs waren offensichtlich darauf programmiert, auch nicht-manticoranische Dialekte zu verstehen. Aber weil Fremde hier eben fremd waren, vergewisserten sich die KIs immer noch mindestens zweimal, auch wirklich alles richtig verstanden zu haben, und das vor allem dort, wo man in der Fremde eben so seine Probleme hatte, beispielsweise bei Adressen.
»Danke«, sagte Indy stattdessen. Natürlich handelte es sich beim Flugtaxi um eine Maschine, aber sich bei seiner Fahrerin oder Fahrer zu bedanken war ihm in seiner Heimat mit herzlich wenig KIs in Fleisch und Blut übergegangen. Außerdem schadete es nie, sich in Höflichkeit zu üben.
»Gern geschehen, Sir«, erwiderte das Taxi. »Bitte wenden Sie sich doch erneut an Circle City Taxis, sollten Sie ein weiteres Mal ein Transportmittel benötigen. Und bitte gestatten Sie, Ihnen im Name von Circle City einen angenehmen Tag zu wünschen.«
Indy lachte leise und trat – ein wenig zu behutsam – über den vielleicht einen halben Zentimeter breiten, dafür aber mehr als vierhundert Meter tiefen Spalt zwischen dem Fahrzeug und dem Landesteg des Sunrise Towers hinweg. Während sich sein Flugtaxi schon wieder flink in den peinlich genau überwachten Luftraum von Landing City einfädelte, verließ Indy den Landebereich. Er war mehrere Minuten zu früh eingetroffen. Deswegen schlenderte er, statt sich auf die Suche nach den Fahrstühlen zu begeben, zum Geländer des Landestegs hinüber, stützte beide Hände darauf, beugte sich dann ein wenig vor und blickte über die größte, beeindruckendste Stadt hinweg, die er je zu Gesicht bekommen hatte.
So hätte Cherubim auch aussehen können, dachte er und genoss den Anblick der gewaltigen Türme in ihren verschiedenen Pastelltönen.
Wie Berge aus Betokeramik erhoben sie sich über die Grüngürtel und Parks, die Fahrrad- und Fußwege und die breiten Alleen für den Bodenfahrzeugverkehr, der sich zu Füßen jener Riesen stetig seinen Weg bahnte. Die gesamte Bevölkerung der Hauptstadt des Seraphim-Systems hätte in einem dieser Türme Platz gefunden, allerhöchstens wären dafür zwei nötig gewesen. Und das nur, wenn sie es wirklich auf Abstand anlegen würden, ging es Indy durch den Kopf. Crystoplast funkelte und glitzerte im Schein der späten Morgensonne; einige der Türme waren mit Smart-Material beschichtet, das langsame Farbwechsel ebenso gestattete wie die Darstellung von Kunstwerken oder Landschaften anderer Regionen des Doppelsternsystems von Manticore. Die Jasonbai, die sich von seinem Standort aus weit nach Süden erstreckte, wirkte wie eine schier endlose, hochglanzpolierte Ebene blauen Marmors, hier und dort mit weißen Wirbeln durchzogen. Genüsslich sog Indy die kristallklare Luft ein. Er befand sich hier in der Hauptstadt der, wenn man das Pro-Kopf-Einkommen betrachtete, womöglich wohlhabendsten Sternnation der Menschheitsgeschichte. Natürlich stellte so etwas ein armes Sonnensystem wie Seraphim völlig in den Schatten! Aber da war noch mehr.
Es hat schon seinen Grund, dass Seraphim so arm ist, dachte er grimmig, und seine Freude am Ausblick war schlagartig getrübt. McCready und O’Sullivan waren Einheimische, und derartiger Abschaum braucht nun einmal keine Fremden, die ihnen beibringen, wie man sich als Abschaum verhält. Aber die Gelegenheit dazu haben ihnen Krestor und Mendoza verschafft, und es waren das OFS und die Sollys, die sich bedrohlich hinter den beiden aufgestellt und die Knüppel geschwungen haben. Und ohne Firebrand …
Er zwang sich, diesen Gedanken nicht weiterzuverfolgen – wieder einmal. Seit sie gemeinsam Manticore erreicht hatten, überwogen mehr und mehr gemischte Gefühle, was den Agent provocateur anging. Schon bevor Indy den ersten Blick auf Landing geworfen hatte, war es ihm schwergefallen, die Erkenntnis zu verdauen, sein Heimat-Sonnensystem verdankte die wiedergewonnene Freiheit einer zynischen List: Die Unabhängigkeitsbewegung von Seraphim hatte all die Waffen und wirtschaftliche Unterstützung einzig und allein zu dem Ziel erhalten, Manticore ein blaues Auge zu verpassen, wenn der Widerstand im Seraphim-System letztendlich doch niedergeschlagen würde.
Und ohne Zavala wäre genau das passiert. Die Augen des Seraphimianers verfinsterten sich.