Die Stunde des Assassinen - R.J. Barker - E-Book

Die Stunde des Assassinen E-Book

R.J. Barker

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Beschreibung

Um einen Mörder zu fangen, musst du einen Mörder schicken

Girton Klumpfuß ist kurz davor, einer der besten Auftragsmörder des Landes zu werden, schließlich geht er bei Meister Karn in die Lehre, einer lebenden Legende im Geschäft mit dem Tod. Eines Nachts werden Girton und sein Meister jedoch an den Königshof gerufen: Innerhalb der dicken Steinmauern von Burg Maniyadoc wispert man hinter vorgehaltener Hand von einem geplanten Attentat auf den Kronprinzen. Getreu dem Motto "Um einen Mörder zu fangen, musst du einen Mörder schicken" heuert die Königin die beiden Assassinen an, um das Attentat zu verhindern. Weder Girton noch Meister Karn ahnen, dass der Anschlag auf den Prinzen erst der Beginn einer Reihe von Verschwörungen und Intrigen ist, die das gesamte Königreich in einen grauenhaften Krieg stürzen könnten, der auch vor loyalen Assassinen nicht haltmacht ...

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R. J. Barker

DIE STUNDE DES

ASSASSINEN

Roman

Aus dem Englischen übersetzt

von Beate Brammertz

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Das Buch

Girton Klumpfuß ist noch ein Kind, als er wie ein Sack Getreide auf dem Sklavenmarkt feilgeboten wird. Doch niemand hat Verwendung für einen kleinen Jungen mit einem verkrüppelten Fuß – bis auf Meister Karn, Assassine und eine lebende Legende im Geschäft mit dem Tod. Meister Karn nimmt ihn in die Lehre und nun, Jahre später, ist Girton kurz davor selbst einer der besten Auftragsmörder seiner Zeit zu werden.

Eines Nachts werden Girton und sein Meister an den Königshof gerufen: Innerhalb der dicken Steinmauern von Burg Manyiadoc wispert man hinter vorgehaltener Hand von einem geplanten Anschlag auf den Kronprinzen. Getreu dem Motto »Willst du einen Mörder fangen, musst du einen Mörder schicken«, heuert Adran Mennix, Königin von Maniyadoc und den Langen Flüssen, die beiden Assassinen an, um den Angriff auf ihren Sohn zu verhindern. Also wird Girton als Knappe bei Hofe eingeschleust und soll dort seinem Meister Aug und Ohr sein. Weder Girton noch Meister Karn ahnen jedoch, dass der Anschlag auf den Kronprinzen erst der Beginn einer Reihe von Intrigen und Verschwörungen ist, die das ganze Königreich in einen furchtbaren Krieg stürzen könnte …

Der Autor

R.J. Barker war schon als kleiner Junge eine absolute Leseratte und hatte stets ein Buch in der Tasche. Er war Mitglied in einer Rockband, bevor er beschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Das Fantasy-Epos Die Stunde des Assassinen ist sein erster Roman. Der Autor lebt mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn in Leeds.

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Titel der englischen Originalausgabe:

AGE OF ASSASSINS – THE WOUNDED KINGDOM 1

Deutsche Erstausgabe 02/2018

Redaktion: Joern Rauser

Copyright © 2017 by R.J. Barker

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, unter Verwendung

eines Motivs von Algol/Shutterstock

Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich

ISBN: 978-3-641-21127-1V002

www.heyne.de

Für Lindy und Rook,

meine beiden Lieblingsmenschen

Prolog

Darik, der Schmied, war der Letzte der Trostlosen. Der Landjunker brachte ihn mit einem Tritt in die Kniekehle zu Boden und riss seinen Kopf nach unten, sodass er kniete und die Linie zwischen dem saftigen grünen Gras und der verrotteten gelben Wüste der Fäulnis anstarrte. Nichts wuchs in dieser Fäulnis. Zugunsten seiner Magie hatte ein Zauberer vor vielen Jahren, noch bevor Dariks Eltern geboren worden waren, dem Land jegliches Leben ausgesaugt, und heute fand sich dort nichts als … Tod. Ein widerlich stinkender Wind blies Darik die langen braunen Haare ins Gesicht, und zehn Schritte von ihm entfernt weinte die erste Trostlose, während sie auf die Klinge wartete – Kina, das Hirtenmädchen, kaum älter als ein Kind und die einzige andere aus seinem Dorf. Die Stimme des Landjunkers, der sich riesig und stark in seiner grasgrünen Rüstung vor ihnen aufbaute, klang überraschend sanft, als er zu ihr sprach, mit einem Flüstern, das kaum lauter war als das Messer, das aus seiner Scheide glitt.

»Schsch, mein Kind. Gleich ist’s vorbei«, wisperte er, dann zog er das Messer durch ihren Hals, und ihre Tränen versiegten für immer. Darik spähte zwischen seinen zerzausten Haarsträhnen hindurch und sah Kinas Körper zucken, während schwallartig das Blut aus ihrer Kehle spritzte und dunkle, sich windende rote Muster auf dem stinkenden gelben Boden zeichnete – Silhouetten des Todes und des Lebens.

Er hatte gehofft, Kina zu heiraten, sobald sie mündig war.

Darik fror, aber es war nicht der Wind, der ihn zittern ließ. Ihm war kalt gewesen, seit die Zaubererjäger ihn geholt hatten. Es war das erste Mal seit fünfzehn Jahren gewesen, dass der Schweiß auf seiner Haut nicht von der unerbittlichen Hitze des Schmiedens stammte. Die Feuchtigkeit, die nun an ihm haftete, gehörte einer anderen Sorte Schweiß an, einem neuen Schweiß, einem kalten, verängstigten, animalischen Schweiß, der unaufhaltsam geflossen war, seit sie seine Handgelenke in Ketten gelegt hatten. So viel Zeit schien seitdem vergangen zu sein. Die Wochen, in denen sie durch das Müde Land marschiert waren, hatten sich wie ein einziger Traum angefühlt, aber im Nachhinein war der traumähnlichste Augenblick derjenige gewesen, als sie seinen Namen aufgerufen hatten. Es hatte ihn nicht überrascht – es war, als hätte er sich vor langer Zeit an einen Heckengeist verkauft und sein ganzes Leben lang nur darauf gewartet, dass jemand kam und seine Schuld eintrieb.

»Schsch, mein Kind. Gleich ist’s vorbei.« An einem weiteren Trostlosen tat das Messer seine Arbeit, und ein zweites Gewirr aus blutigen Sigillen spritzte auf den dreckigen gelben Boden. War dort ein Zeichen versteckt? Gab es eine Botschaft an ihn? An diesem Ort zwischen Leben und Tod, kurz bevor er die wässrige Dunkelheit umarmen würde, die die toten Götter verschluckt hatte, sprachen sie da nun mit ihm?

Oder war es einfach nur Blut?

Und Tod.

Und Angst.

»Schsch, mein Kind. Gleich ist’s vorbei.« Der Nächste flehte um sein Leben, genau in der Sekunde, bevor die Klinge zustach. Darik kannte seinen Namen nicht, hatte ihn nie danach gefragt, nie einen Sinn darin gesehen, denn sobald du einer der Trostlosen bist, bist du auch schon tot. Es gab keinen Ausweg, es war zwecklos, fliehen zu wollen. Das Brandmal auf deiner Stirn zeigte, was sie von dir hielten – Magienutzer, Zerstörer, Abschaum, Zauberer. Du bist zu nichts weiter zu gebrauchen, als auf der trockenen, toten Erde auszubluten, ein Blutopfer, um das Land zu heilen. Niemand würde dich verstecken, niemand würde dich bemitleiden, wo Magie die Erde so ausgelaugt hatte, dass die Menschen ihre Kinder kaum ernähren konnten. Er hörte ein Keuchen, ein Sich-Wehren, ein Flehen, während das Messer seine Arbeit vollführte und der durstige Boden sich das Leben einverleibte, das ihm geraubt worden war.

Fühlte Darik etwas – in diesem Augenblick des Todes? Spürte er ein Vibrieren? Ein Kitzeln, das von seinen Knien ausstrahlte, sich einen Weg sein Bein hinauf durch sein Blut bahnte und sich in seinem Magen zusammenzog? Oder war es nur Angst?

»Schsch, mein Kind. Gleich ist’s vorbei.«

Das Aufschlitzen, das Röcheln, das Blut auf dem Boden, und diesmal war es unverkennbar – etwas, das durch seinen Körper peitschte. Es ließ seine Zähne klappern, pulsierte schmerzend in seinen Haarwurzeln. Alles um ihn herum fing an, sich zu verändern: Das Land wurde zu einer Linse und er zu ihrem Brennpunkt, sein Geist war ein hell flackernder Lichtfleck. Was war dieses Gefühl? Was war es denn? Hatten sie recht?

Haben sie recht?

Eine Hand auf seiner Stirn.

Dunkle Würmer, die sich durch sein Fleisch winden.

Das Zischen einer Klinge, die aus ihrer Scheide gezogen wurde.

Er schwitzt, heiß wie in seiner Schmiede.

Sein Kopf wurde zurückgerissen, sein Hals überdehnt.

Als er die Augen schließt, sieht er eine Welt voller silberner Linien und Schatten.

Die kalte Berührung der Klinge an seiner Kehle.

Eine Pause, wie das Zischen von heißem Metall in Wasser, wie der Augenblick, bevor der Geysir von versengendem Dampf um seine Haut faucht und die Klinge angelegt wird.

Das Brennen eines scharfen Gegenstands auf seiner Haut.

Und das Gras flüstert und das Land redet und die Bäume sprechen und alle in einer Sprache, die er nicht versteht. Doch gleichzeitig weiß er genau, was gesagt wird. Hört sich so ein Heckenlord an?

Das Ächzen einer Lederrüstung.

»Ich werde dich retten.« Ist das die Stimme von Fitchgras auf den Feldern?

»Nein!«

»Hör nur zu …« So nah an der Fäulnis, ist es Coil der Gelbling?

»Schsch, mein Kind.« Die Stimme des Landjunkers, beruhigend, versöhnlich. »Gleich ist’s vorbei.«

»Ich kann dich retten.« Zu fern von den Flüssen für den Blauen Watta.

»Nein.« Doch Dariks Wort war ein Flüstern, übertönt von der Angst vor der Leere, die sich näherte. Die Zeit verlangsamte sich noch mehr, als sich das Messer durch seine Haut zog, eine Schicht nach der anderen durchtrennte auf der Suche nach den schwarzen Gefäßen seines Lebens.

»Lass mich dich retten.« Oder ist es der Schlimmste von allen? Höre ich dort den Dunklen Ungar?

»Nein«, sagte er. Aber das Wort war schwach, sein Kampfeswille gebrochen.

»Darf ich?«

»Ja!«

Eine Explosion von … von etwas?

Irgendetwas.

Irgendetwas, das er weder kannte noch verstand, das ihm aber dennoch nicht völlig fremd war – es hatte schon immer in ihm geschlummert. Es ist etwas, wogegen er angekämpft und das er verleugnet hatte, wovor er davongelaufen war. Eine vertraute Stimme aus seiner Kindheit, der eingebildete Freund, der seine Mutter geängstigt und den zu vergessen sie ihn genötigt hatte, weshalb er ihn weit weggeschoben hatte, sehr weit weg. Doch nun, da er ihn am meisten brauchte, war er gekommen.

Die Klinge presste sich nicht länger an seinen Hals.

Er öffnete die Augen.

Die Welt war verschwommen – ein Nebel aus Gelb – und ein schrilles Jammern erfüllte seine Ohren, genau wie damals, als sein Vater ihn wegen »gefährlichem Gerede« verprügelt hatte. Das grüne Gras unter Dariks Knien war verschwunden, ersetzt durch gelbes Farnkraut, das bei seiner Berührung zerbröselte wie die morgendliche Asche in der Schmiede. Er starrte auf seine Hände hinab. Sie waren wie immer – dieselben Narben, dieselben nicht ganz verheilten Schnitte, dieselben alten Verbrennungen und Schwielen.

Um ihn herum bemerkte er einen vollendeten Halbkreis aus abgestorbenem Gras, als hätte sich das Faulige Land einen Bissen der saftigen Weide einverleibt.

Seine Handgelenke waren nicht mehr durch kaltes Metall gefesselt.

War er fort, tot? War er einen Handel mit etwas Schrecklichem eingegangen? Doch so fühlte es sich nicht an. Er hatte das Gefühl, als habe es immer in ihm gesteckt, wäre ein Teil von ihm gewesen, der nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hatte.

Die Fäulnis konnte er wie einen Schmerz spüren.

Vier Landjunker hatten die fünf Trostlosen bewacht. Jetzt glichen die Wachen verschwommenen Flecken aus geborstenem, verbogenem Metall, sie waren rotes Fleisch und scharfe weiße Knochen.

Darik rieb sich die Augen und zwang sich mit Gewalt auf die Beine, wo er taumelnd dastand wie ein Mann, der aus einem viel zu langen Schlaf erwacht war. Eine Bewegung aus dem Augenwinkel bannte seine Aufmerksamkeit. Einer der Landjunker war immer noch am Leben, lag auf dem Rücken und versuchte verzweifelt, auf den Ellbogen vor Darik wegzukrabbeln. Der Schmied kniete sich neben den Junker und legte ihm die großen Hände auf beide Seiten des Kopfes. Es wäre ein Leichtes, ihn zu töten, nur eine einzige, rasche Drehung seiner muskulösen Arme, und der Hals des Junkers würde wie ein verkohlter Stock zerbrechen. Darik bot all seine Willenskraft auf, um seine Arme zu bewegen, stattdessen starrte er aber den Landjunker nur an. Nicht viel älter als er selbst und verängstigt, so schrecklich verängstigt. Die Lippen des Junkers bewegten sich, und zuerst war das Geräusch ein unmenschlich hohes Wimmern, dann folgten die Worte wie nahender Donner von Pferdegetrappel, das auf ihn zugaloppierte.

»EstutmirleidEstutmirleidEstutmirleidEstutmirleid …«

»Das ist falsch«, sagte Darik, »das ist alles falsch.« Doch die Augen des Junkers waren in die Ferne gerichtet, entrückt vor Angst und jenseits jeder Vernunft. Sein Mund bewegte sich weiter.

»EstutmirleidEstutmirleidEstutmirleid …«

Darik starrte ihn noch eine Weile an, während sich die zum Töten verkrampften Muskeln in seinen Armen lösten. Nun, da sich seine Sicht geklärt hatte, sah er hinter den zermalmten Leichen der anderen Landjunker die toten Trostlosen, die neben ihm gestorben waren. Sie waren vom Sturm seines Zorns gepackt und beiseitegeschleudert worden.

Darik beugte sich zum Landjunker hinab.

»Das hier muss aufhören«, sagte er und ließ den Kopf des Mannes los. Die Worte des Landjunkers waren nicht aufzuhalten.

»EstutmirleidEstutmirleidEstutmirleid …«

Er konnte Kinas Leichnam sehen, getötet durch die Hand des Ritters, dann von seiner Magie zu einem Haufen Rot geschreddert.

»Ich vergebe dir«, sagte Darik durch die Tränen hindurch. Der Landjunker sackte in sich zusammen, die Augen weit aufgerissen vor Schock, als der Schmied fortging.

In den dicken Muskeln von Dariks Armen kreischten schwarze Venen auf.

1

Wir wollten durch das nächtliche Aborttor in die Burg Maniyadoc gelangen, und mein Meister war derart übellaunig, wie es nur ein Assassine sein kann, der gezwungen ist, durch eine Wochenladung Exkremente zu waten. Ich war um einiges zuversichtlicher, was unsere Lage betraf. Als Lehrjunge eines Assassinen hatte man sich längst an widerlichen Dreck gewöhnt. Er war dein Schicksal.

»Girton«, sagte Merela Karn. Das ist der echte Name meines Meisters, aber wenn ich sie jemals mit etwas anderem als »Meister« angesprochen hätte, wäre ich unverzüglich und schmerzlich zurechtgewiesen worden. »Girton«, sagte sie, »falls ein weiterer König, eine Königin oder irgendein anderes Mitglied der gesegneten Klasse glaubt, das Aborttor wäre der beste Weg, sich unbemerkt Eintritt in eine Burg zu verschaffen, so darfst du sie erstechen.«

»Wirklich, Meister?«

»Nein«, flüsterte sie in die Nacht, ihr Atem bildete eine neblige Wolke in der kühlen Luft. »Natürlich nicht. Du darfst ihnen höflich unterbreiten, dass es viel weniger auffällig wäre, in der Verkleidung eines Priesters der toten Götter durch das Haupttor zu spazieren. Zeig mir einen Gesegneten, der nicht weiß, dass das Aborttor ein leichter Weg für den Feind ist, sich heimlich hineinzuschleichen, und ich zeige dir einen Toten.«

»Ihr habt mir schon viele Tote gezeigt, Meister.«

»Sei still, Girton!«

Mein Meister ist kein Freund der Ironie. Das trifft auf viele Assassinen zu. Es ist ein Gewerbe, das die Unglücklichen und Melancholischen anzieht. Ich würde mich in keine dieser Kategorien einordnen, aber ich bin in dieses Gewerbe eingekauft worden und habe es nicht freiwillig gewählt.

»Tote Götter in ihren wässrigen Gräbern!«, zischte mein Meister in die Nacht. »Sie haben nicht mal den Rost für uns geöffnet.« Sie machte einen flinken Schritt zur Seite und flüsterte: »Na los, Girton!« Ich stolperte und schlitterte im Krebsgang über das dreckige Gras des Abhangs, der vom Fluss unter uns zum Fuß der hoch aufragenden Burgmauern führte. Fauliger Dreck waberte aus dem Gitterrost und sickerte in den unaufhaltsamen Strom an Exkrementen, der an dem Berghügel hinabquoll und sich schließlich mit dem Fluss vermischte.

Ein silbriger Fleck verunstaltete das Flussufer in der Ferne, und in der Dunkelheit erinnerte er an einen riesigen aufgemalten Daumen, der dort einen Abdruck hinterlassen hatte. Im Mondlicht wirkte er wunderschön, aber wir hatten ihn aus der Nähe gesehen, als wir uns an die Burg herangeschlichen hatten, und ich wusste, dass es dasselbe aschfahle Gelb war wie bei den anderen Auswüchsen der Fäulnis, die das Müde Land entstellten. Wer konnte schon mit Gewissheit sagen, wie alt diese Fäulnis war, und ich fragte mich, wie groß sie ursprünglich gewesen und wie viel Blut vergossen worden war, um sie zu ihrer gegenwärtigen Größe zu schrumpfen. Ich blickte zur Feste hinauf. Auf dieser Seite gab es wenige Fenster, und ich vermutete, dass die kleine faule Stelle neu war. Doch das war ein törichter, kindischer Gedanke. Die Waffen der Landjunker beschützten uns vor den Zauberern und der Magie, die dem Land das Leben aussaugten. Im Müden Land war kaum mehr Magie benutzt worden, seit sich der Schwarze Zauberer erhoben hatte, und der war bereits vor meiner Geburt gestorben. Nein, was ich sah, war schlicht und ergreifend eine der vielen faulen Stellen im Land – ein Ort, so tot wie der uralte Zauberer, der sie geschaffen hatte. Ich wandte mich von den Auswüchsen der Fäulnis ab und gab mein Bestes, mir einzureden, dass sie überhaupt nicht da war, die Fäulnis, obwohl ich sicher war, sie riechen zu können, selbst über den widerlichen Gestank des Abwassers aus dem Aborttor hinweg.

»Jemand wird dafür bezahlen, dass er mir das hier eingebrockt hat, Girton, das schwöre ich«, sagte mein Meister. Ihr Kopf verschwand in der Dunkelheit, als sie sich hinabbeugte, um den Gitterrost genauer in Augenschein zu nehmen. »Er ist mit einem einfachen Hebelschloss gesichert.« Sie atmete nicht einmal schwer, obwohl ihr gesamtes Gewicht allein auf einem Arm und einem Bein ruhte, eingekeilt ins Mauerwerk. »Öffne du das, Girton. Du brauchst bei Schlössern so viel Übung, wie du nur bekommen kannst.«

»Vielen Dank, Meister«, sagte ich – doch ich meinte es nicht ernst. Es war kalt, und ein Schloss zu knacken ist viel schwieriger, wenn es kalt ist.

Und voller Exkremente.

Im Gegensatz zu meinem Meister bin ich kein großer Akrobat. Ich bin mit einem Klumpfuß geschlagen, weshalb ich meine Kraft einsetzen musste, um mich am Gitter festzuhalten, auch wenn das bedeutete, dass ich über und über mit Dreck besudelt wurde. Auf den Steinsäulen zu beiden Seiten des Gitterrosts waren die tristen Überreste der niederen Götter fast gänzlich abgesplittert. Zu meiner Rechten waren nichts weiter als zwei aufwendig gemeißelte Geweihstangen übrig und zu meiner Linken ein Paar Hörner und ein strenges Auge, das mich eindringlich anstarrte. Ich wandte mich von diesem Auge ab und holte meinen Dietrich heraus, schob ihn mit zitternden Fingern ins Schloss und drehte ihn behutsam, bis ich die schmale metallene Zunge ertastete.

»Und wenn es Hunde gibt, Meister?«

»Dann schlagen wir sie tot, Girton.«

Ein Schloss zu knacken ist eine dankbare Aufgabe. Es hat etwas tief Befriedigendes an sich, das Klicken der Metallstifte zu hören, wenn der Druck deinen geschickten Fingern nachgibt. Es ist allerdings keine ganz so dankbare Erfahrung, wenn man es tut, während sich der Abort einer ganzen Burg über deinen Körper ergießt, aber ein glückliches Leben ist eines, bei dem selbst aus den kleinsten Dingen noch Freude gezogen wird.

»Es ist offen, Meister.«

»Gut. Du hast zu lang gebraucht.«

»Danke, Meister.« In der Dunkelheit konnte ich es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich war überzeugt, dass sie lächelte, bevor sie mich mit einem Nicken zum Weitergehen aufforderte. Ich zögerte am Rand des stockfinsteren Abwasserkanals.

»Es wirkt wie einer der Orte, an dem der Dunkle Ungar zu finden ist, Meister.«

»Heckengeister sind dasselbe wie Götter, Girton – Geschichten, um die Willensschwachen zu erschrecken. Dort drinnen gibt es nichts als Gestank und Dreck. Dir ist bestimmt schon Schlimmeres widerfahren. Geh weiter!«

Ich schlängelte mich durch das Tor und hinein in den Tunnel, der durch die äußere Ringmauer der Feste führte, ohne dass auch nur ein Zentimeter Haut oder Kleidung sauber geblieben wäre. Irgendwo in der Ferne konnte ich das breiige Klatschen des Nachtaborts hören, der in den Bach geschaufelt wurde. Die Gewöhnlichen bewahrten ihre Pisse und Exkremente auf und verkauften sie an die Gerbereien und Färber, doch die gesegneten Klassen waren viel zu gut für einen solchen Handel, und ihre Burgen schippten ihren Dreck einfach in den Fluss, als wäre es ein Geschenk an das gemeine Volk. Im Laufe meiner fünfzehn Jahre war ich schon durch jede Menge Schmutz der Dankbaren, der Gewöhnlichen und der Gesegneten gekrochen – alles roch gleich schlimm.

Sobald wir uns durch die Öffnung gequetscht hatten, konnten wir aufrecht stehen, und mein Meister entzündete eine Leuchtkäferlampe, einen kleinen Docht, der ein fahles Licht ausstrahlte, das von geschickt ineinander verwobenen Spiegeln verstärkt oder gelöscht werden konnte. Dann hob sie eine behandschuhte Hand und zeigte auf ihr Ohr.

Ich lauschte.

Über dem heiteren Gurgeln des Bächleins, das den Abwasserkanal hinabrann – das Wasser interessiert sich nicht für das Medium, durch das es läuft –, hörte ich die Stimmen von Männern bei der Arbeit. Wir hatten abzuwarten, bis sie fertig waren, bevor wir tiefer in die Burg vordringen konnten, und wann immer wir warten, zähle ich die Sekunden, wie es mich mein Meister gelehrt hatte – eins, mein Meister … zwei, mein Meister … drei, mein Meister. Und die Sekunden verstreichen in meinem Bewusstsein wie die Tropfen einer Wasseruhr, während ich untätig dastehe, mir Dreck um die Knöchel wabert und mein Herz einen nervösen Takt schlägt.

Man gewöhnt sich an den Gestank. Das zumindest wird gern behauptet.

Es stimmt aber nicht.

Acht Minuten und neunzehn Sekunden vergingen, bevor wir schließlich hörten, wie die Männer lachend abzogen. Ein weiteres Zeichen von meinem Meister, und ich begann wieder zu zählen. Diesmal fünf Minuten. So, wie die menschliche Natur beschaffen war, konnte man nicht garantieren, dass keiner von ihnen etwas vergessen hatte und es später holen würde.

Als die fünf Minuten vorüber waren, bahnten wir uns einen Weg den nächtlichen Abortkanal hinauf, bis wir ein schwaches Licht ausmachten, das über Wänden tänzelte, die mit jahrhundertealtem Dreck verkrustet waren. Meine eigene Körpergröße und noch einmal die Hälfte davon über uns lag der Schaufelraum. Es quietschte eine Tür, dann hörten wir Schritte, gefolgt von Stimmen.

»… sind jetzt erledigt, und Alsa ist in der Leibgarde des Thronfolgers. Schicke Rüstung und bessere Bezahlung.«

»Is’n Geschäft mit dem Heckenlord. Eher würd ich mir die Augen ausstechen und Magie zulassen, als diesem fetten Bären zu dienen, er is’n echter Gelbling.«

»Die Mutter würd’ ich aber nich’ von der Bettkante schubsen!«

Es folgte Gelächter. Mein Meister spähte durch das Loch, während sie auf ihrer Lippe kaute. Sie hielt zwei Finger hoch, bevor sie im Flüstern-das-zum-Ohr-fliegt zu mir sprach, damit nur ich sie hören konnte.

»Wachen. Du wirst dich um sie kümmern müssen«, sagte sie. Ich nickte und rührte mich. »Töte sie nur, wenn dir absolut keine andere Wahl bleibt.«

»Das erschwert die Sache.«

»Ich weiß«, sagte sie, beugte sich vor und legte die Hände zusammen, um einen Steigbügel zu formen. »Aber ich werde hier sein.«

Ich atme aus.

Ich atme ein.

Rasch setzte ich den Fuß in ihre Hände, und mit einem Ruck hievte sie mich in den Raum. Ich sprang aus dem Loch und landete mit dem Rücken zu den beiden Männern. Siebzehnte Technik: Die Drehung des Betrunkenen. Nach einer Rolle vorwärts und einer Drehung kam ich direkt vor den Wachen zum Stehen, die einen kiltähnlichen Rock, Lederhelme und einen schlecht gepflegten Brustharnisch aus gekochtem Leder trugen, der mit roter Farbe gesprenkelt war. Sie starrten mich stumm an, als wäre ich der Heckenlord Blauer Watta höchstpersönlich, der aus den Tiefen aufgestiegen war. Beide hielten Knüppel in der Hand, obwohl Kurzschwerter an ihrer Seite steckten. Ich fragte mich, ob sie nicht eher hier waren, um die Burg vor Ratten zu schützen – und nicht vor Eindringlingen.

»Assassine?«, sagte die linke Wache. Er war kleiner als sein Freund, auch wenn beide größer waren als ich.

»Oh«, sagte der andere, ein Hüne von einem Mann. »Assassine.« Sein Griff um den Knüppel wurde fester.

Sie hätten zur Tür laufen und nach Verstärkung rufen müssen. Nur für alle Fälle schwebte meine Hand über den Wurfmessern an meinem Gürtel. Stattdessen grinste der kleinere Mann und entblößte fehlende Zähne und schwarze Stümpfe.

»Ich könnte mir vorstellen, dass es ein gutes Kopfgeld auf einen Assassinen gibt, Joam, selbst wenn er ein verkrüppeltes Kind ist.« Er stürzte vor. Der größere Mann feixte und folgte dem Beispiel seines Freundes. Sie teilten sich auf, um das Loch in der Mitte des Raums zu umgehen, und ich setzte zum Angriff an. Zweite Technik: Der Schnellschritt. Mit einem raschen Satz nach vorne wählte ich den kleineren der beiden als mein erstes Ziel – der andere hatte seine Waffe noch nicht gezogen. Er schwang seinen Knüppel nach mir, und als ich den Luftzug des Hartholzes auf der Haut spürte, trat ich geschwind beiseite. Gleichzeitig stieß er mit seinem Dolch nach mir, war aber zu weit entfernt, um mich zu treffen. Als ihm sein Schlag misslang, sprang er zurück, wohl in dem Glauben, ich würde mit einem Gegenangriff antworten. Doch ich verharrte regungslos. Ich hatte nichts weiter gewollt, als mir ein Bild von seinen Fähigkeiten zu machen, bevor ich mich um ihn kümmerte. Er beeindruckte mich nicht, sein Freund sogar noch weniger. Anstatt sich dem Angriff anzuschließen, sah er uns mit weit aufgerissenem Mund zu, als würden wir eine Vorstellung für ihn geben.

»Joam«, rief mein Gegner, »steh nicht einfach nur blöd rum!« Der größere Mann trottete vor, ohne die geringste Eile an den Tag zu legen. Ich hatte keine Lust, gegen zwei Wachen gleichzeitig zu kämpfen, wenn es nicht unbedingt nötig war, weshalb ich entschied, den kleineren Mann rasch zu überwältigen. Erste Technik: Der Präzise Schritt. Hinein in die Reichweite seiner Waffen. Er stieß mit dem Kurzschwert zu. Neunte Technik: Der Bogen. Die Leibesmitte nach hinten beugen, um der Klinge auszuweichen. Mit der anderen Hand schwang er den Knüppel nach mir. Ich duckte mich. Als sein Arm über meinem Kopf war, packte ich seinen Ellbogen und schubste ihn, woraufhin er das Gleichgewicht verlor, und während er versuchte, sich zu fangen, packte ich den Rand seines Brustharnischs. Zehnte Technik: Der Besen. Mit einem ausholenden Tritt fegte ich ihm die Füße unter dem Körper weg. Dann gab ich ihm einen festen Stoß, sodass er wild mit den Armen rudernd in das Loch stürzte und sich auf dem Weg nach unten den Kopf an der Steinmauer stieß.

Nun wandte ich mich seinem Freund Joam zu.

Hätten die toten Götter Joam auch nur mit einer Prise Verstand gesegnet, so hätte er erkannt, wie mühelos ich seinen Freund geschlagen hatte, und er wäre geradewegs zur Tür geflohen. Stattdessen nahm Joams Gesicht denselben Ausdruck an, den ich schon bei Stieren gesehen hatte, die in dem vergeblichen Versuch, hinter einer Wand zu einer Färse zu gelangen, mit dem Kopf gegen selbige rannten – das war der Ausdruck von etwas, das zu dumm und wütend war, um zu erkennen, dass es in einem aussichtslosen Kampf steckte.

»Ich bring dich um, Assassine«, brüllte er und trottete langsam vor, während er den Knüppel laut gegen seine Hand schlug. Ich hatte keine Zeit, auf ihn zu warten. Je länger wir kämpften, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass jemand uns hörte und weitere Wachen rief. Ich machte einen Satz über das Loch hinweg und landete hinter Joam. Er drehte sich um und schwang den Knüppel. Fünfzehnte Technik: Das Ruder. Die Hüfte beugen und den Körper nach unten und zur Seite reißen, um seinem Schlag auszuweichen. Am tiefsten Punkt setzte ich zu einem Faustschlag an und landete bei Joam einen Volltreffer mitten zwischen den Beinen. Er kreischte auf, ließ seine Waffe fallen und krümmte sich von Schmerz gepeinigt. Mit einem Ruck brachte ich meinen Körper nach oben, sodass mein Hinterkopf mit voller Wucht gegen sein Gesicht knallte, was den großen Mann taumeln ließ. Blut strömte ihm aus der gebrochenen Nase. Es war ein Schlag, der die meisten Menschen in die Knie gezwungen hätte, aber Joam war stark. Obwohl seine Augen glasig waren und der Blick ohne Richtung schien, stand er immer noch. Achtzehnte Technik: Die Wasseruhr. Ich stürzte mich auf ihn, packte seinen dicken Gürtel und setzte ihn als Hebel ein, um mich in die Höhe zu schwingen und ihm die Beine um die Kehle zu pressen. Joams Hand tastete blind nach der Klinge an seiner Hüfte. Ich zog sie und schleuderte sie weg, bevor er sie erreichte. Auf der Suche nach meinem Hals krabbelten seine Hände an meinem Körper hinab und drückten mir die Luftröhre zu, doch Joams Stärke, auch wenn sie beeindruckend war, entfleuchte ihm, als er zu ersticken drohte. Ich drängte meinen Daumen unter seine Finger, packte seinen kleinen Finger samt Mittelfinger und brach sie. Eigentlich hatte ich ein schmerzgepeinigtes Grunzen erwartet, während er mich losließ, doch der Mann hatte bereits das Bewusstsein verloren und knallte rücklings gegen die Wand, wo er langsam nach unten auf den Boden rutschte. Ich schlängelte mich unter seinem Gewicht hervor und überprüfte, ob er immer noch atmete. Sobald ich mich überzeugt hatte, dass er am Leben war, rollte ich seinen Körper zum Loch.

»Zurück, Meister«, flüsterte ich, dann schob ich den schlaffen Körper über den Rand. Ich gönnte mir einen Augenblick, nur eine kurze Sekunde, um zu überprüfen, ob meine Warnung gehört worden war, dann kniete ich mich hin, um meinen Meister nach oben zu ziehen.

Sie war nicht schwer.

Zum ersten Mal hatte ich einen Augenblick Ruhe, um mich umzublicken, und der Raum, in dem wir standen, machte einen eigenartigen Eindruck. Klein, was seine Länge und Breite betraf, aber viel höher, als es nötig gewesen wäre. Mir blieb kaum genügend Zeit, um diesen Gedanken an die Oberfläche meines Bewusstseins zu ziehen, bevor mein Meister schrie: »Ein Hinterhalt, Girton! Zurück!«

Genau wie sie sprang ich blitzschnell in Richtung der rettenden Öffnung, aber bevor einer von uns sie erreichen konnte, rastete ein verstecktes Gitter laut scheppernd über dem Loch ein. Vier Pikeniere mit breitkrempigen Helmen, in ausgekochten Lederrüstungen und Röcken, in die Metallstücke eingenäht waren, zwängten sich in den Raum. Unter den Knien trugen sie Beinschienen aus Leder, in die Metallplatten eingearbeitet waren, um ihre Schienbeine zu schützen, und als sie ihre Waffen drohend hochrissen, attackierten sie uns mit dem beißenden Geruch ihrer ungewaschenen Körper und dem ranzigen Fett, mit dem sie ihre Rüstung einschmierten. In einem derart kleinen Raum war ihr Gestank eine wirksamere Waffe als ihre langen Speere. Außerdem wäre es viel sinnvoller gewesen, lange Schilde und Kurzschwerter mitzubringen. Das würden sie schon bald erkennen.

»Geiseln«, sagte mein Meister, als ich nach der Klinge an meinem Rücken griff.

Ich ließ das Heft los.

Und stürzte mich auf die Wachen. Mit bloßen Händen und eisernem Willen. Das unverkennbar fleischige Knacken, als eine Nase gebrochen wurde, gefolgt von einem Mann hinter mir, der wie ein kastrierter Hengst jaulte, als mein Meister die restlichen Pikeniere angriff. Ich schob einen Speer beiseite und rammte dem Mann vor mir den Ellbogen in die Kehle – das war zwar kein Todesstoß, aber hart genug, um die Wache außer Gefecht zu setzen. Der zweite Pikenier, eine Frau, hatte das Gleichgewicht verloren, und es war ein Leichtes, sie so herumzuwirbeln, dass sie wie ein Schild vor mir stand, mit meinem rasiermesserscharfen Daumennagel an ihrer Kehle. Mein Meister hielt ihren Pikenier in einer ähnlichen Umarmung umklammert. Blut rann an seinem Gesicht herab, und eine weitere Wache lag bewusstlos auf dem Boden neben dem Mann, dem ich einen gezielten Schlag gegen die Luftröhre verpasst hatte.

»Öffnet das Gitter«, rief sie die Mauern hinauf. »Lasst uns gehen, oder wir töten die Wachen.«

Das Kichern eines Mannes kam von oben, und der Grund für die eigentümliche Höhe des Raums erklärte sich, als Schießscharten in den Mauern geöffnet wurden, jede groß genug für eine Armbrust, sodass acht Waffen mit gespannten Bogen und breiten, kleinen Bolzen, die mühelos durch Rüstungen hindurchpassten, auf uns gerichtet waren.

»Öffnet das Gitter. Wir werden verschwinden, und die Soldaten werden leben«, rief mein Meister.

Weiteres Gelächter.

»Wohl eher nicht«, sagte die Stimme. Männlich, selbstsicher, amüsiert.

Eins, mein Meister. Zwei, mein Meister …

Das Zischen von Armbrüsten, das wie das Geräusch von Felsblöcken, die in einem ruhigen Wald einen Steilhang hinunterstürzten, in der Stille dröhnte. Bolzen gruben sich in die bewusstlose Wache auf dem Boden vor uns. Gelächter von oben.

»Zusammen«, fauchte mein Meister, und ich riss meinen Gefangenen herum, damit sie und ich hinter den Körpern der Wachen Deckung fanden.

»Lass mich bitte gehen«, flehte mein Schutzschild, während ihre Stimme zitterte – ebenso wie mein Körper. »Aydor schert sich einen feuchten Dreck um uns Wachen. Er ist schlimmer als der Dunkle Ungar und wird uns alle umbringen, wenn es ihm gefällt.«

»Sei still!«, sagte ich und drückte meinen rasiermesserscharfen Daumen gegen ihren Hals, sodass ein Rinnsal an Blut floss. Im nächsten Augenblick spürte ich etwas Warmes auf meinem Oberschenkel, als sich ihre Blase vor Angst entleerte.

»Seht sie euch nur an«, dröhnte es von oben. »Feige, kleine Meuchelmörder, die sich hinter mutigen Soldaten verstecken, die dem Tod wie echte Krieger mit hoch erhobenem Haupt entgegentreten.«

»Coils Pisse, nein«, murmelte die Wache in meinen Armen.

»Eure loyale Ergebenheit wird in guter Erinnerung bleiben«, kam erneut die Stimme.

»Nein!«

Die Armbrüste spuckten Bolzen aus, und die Frau in meinen Armen versteifte und wölbte sich schmerzgepeinigt. In diesem einen Augenblick war sie am Leben und dann, fast wie von Geisterhand, zitterte ein Bolzen vor meiner Nase wie eine Pumpe, die ihr das Leben aus dem Leib saugte.

»Meister?«, fragte ich. Ihre Wache krampfte zuckend, als er starb. Ein Bolzen ragte aus seinem Hals, und Blut ergoss sich über den Boden. »Sie spielen mit uns, Meister.«

Gelächter kam von oben, und die Armbrüste feuerten eine weitere Salve Bolzen ab, die sich in den Körper bohrten, der in meinen Armen lag, und mich veranlassten, noch tiefer hinter dem Leichnam Deckung zu suchen. Das Kichern erstarb, und eine zweite Stimme, weiblich, gebieterisch, sagte etwas, auch wenn ich die Worte nicht verstand. Dann rief die Frau zu uns herab.

»Wir wollen nur dich, Merela Karn. Leg dich auf den Boden, und lass dich widerstandslos abführen, andernfalls wird dein Gefährte erschossen.«

Zuckte etwa ein Muskel im Gesicht meines Meisters, als sie den Klang ihres Namens hörte, der von einer Fremden ausgesprochen wurde? War sie überrascht? Nahm ihre dunkle Haut vor Schreck einen leichten Grauton an? Ich hatte niemals, in all unserer gemeinsamen Zeit, meinen Meister entsetzt erlebt. Obwohl ich mir sicher war, dass sie überall im Müden Land bekannt war – Merela Karn, der beste aller Assassinen –, hatte kaum jemand ihr Gesicht gesehen oder wusste überhaupt, dass sie eine Frau war.

»Lass die Wache fallen, Girton«, sagte sie und schubste ihre mit dem Gesicht nach unten auf den gefliesten, blutigen Boden. »Es ist nicht so, wie es scheint.«

Wie immer tat ich, was sie mir befahl, obwohl sich in Erwartung eines spitzen Bolzens, der nicht kam, jeder Muskel in meinem Körper anspannte.

»Legt euch auf den Boden, beide«, sagte die männliche Stimme von oben.

Wir kamen seinem Befehl nach, und mit einem Mal schwirrte der Raum vor Wachen. Ich bekam ein paar Tritte in die Rippen, und die Besitzer dieser Beine konnten von Glück reden, dass ich ihre Gesichter nicht sehen und sie mir für eine spätere Vergeltung merken konnte. Wir wurden rasch gefesselt – ganz passabel für Amateure – und vor einem jungen Mann auf die Füße gestellt, der so groß und breit wie kein zweiter war, den ich jemals gesehen hatte, obwohl an ihm genauso viel Fett wie Muskeln waren.

»Soll ich ihnen die Masken herunterreißen?«, fragte die Wache zu meiner Linken.

»Nein. Nehmt ihnen sämtliche Waffen ab, und steckt sie in den Kerker. Dann könnt ihr alle gehen, euch ihre Scheiße abwaschen und vergessen, dass das hier jemals passiert ist.«

»Ich denke eher, dass es Eure Scheiße ist«, murmelte ich. Mein Meister starrte kopfschüttelnd zu Boden, und der Mann verpasste mir mit dem Handrücken eine Ohrfeige. Es war ein mickriger Schlag. Kinder haben mich mit harschen Worten schon mehr verletzt.

»Du solltest nicht vergessen«, sagte er, »dass wir dich nicht brauchen. Wir brauchen nur sie.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, wurden uns Säcke über den Kopf gestülpt für den raschen, dunklen und holprigen Weg zum Kerker. Fünfhundert Schritte geradeaus über Stein. Nach links abbiegen und zwanzig Schritt über dicken Teppich. Zwei Wendeltreppen hinab zu einem Ort, der nach menschlichem Leid riecht.

Kerker sind normalerweise mit dem Abschaum der Menschheit gefüllt, aber dieser klang abgesehen von meinem Meister und mir vollkommen leer. Wir wurden in schmutzige Zellen geschubst, die Hände immer noch verbunden, auch wenn die Stricke meinem Geschick nicht lang standhalten würden. Sobald ich mich befreit hatte, zog ich mir den Sack vom Kopf und hustete ein Stück Draht heraus, das ich halb verschluckt und in meiner Speiseröhre versteckt hatte. Es war ein Kinderspiel, den Arm durch den vergitterten Fensterschlitz zu stecken und das Schloss zu knacken. Ich stand nun in einem überraschend geräumigen Raum mit einem Tisch, Stühlen und einer Feuerschale, die kalt war. Auf Zehenspitzen schlich ich zur Zellentür meines Meisters.

»Meister, ich bin draußen.«

»Gut gemacht, Girton, aber geh in deine Zelle zurück«, sagte sie leise. »Verhalt dich ruhig. Und warte.«

Einen Augenblick lang stand ich wie erstarrt vor ihrer Zelle. Ein Assassine kann nicht mit viel Mitleid rechnen, sobald er gefasst wird. Vielleicht mit einem Blutgalgen oder einer öffentlichen Hinrichtung. Auf jeden Fall mit etwas Schmerzhaftem, das der Pein wegen gerne in die Länge gezogen wird. Das ist unser Schicksal, wenn wir geschnappt werden, falls ein anderer Assassine uns nicht zuerst in die Finger bekommt – mein Meister sagt, der lose Bund an Assassinen, der auch als Offener Zirkel bekannt ist, würde seine Geheimnisse wie seinen Augapfel hüten. Es wäre ein Leichtes gewesen, in den Bergfried zu schlüpfen und einen Diener zu überwältigen. Ich hätte seine Kleidung stehlen und mich im Gewühl der Burg unsichtbar machen und später aufs Land fliehen können. Ich kannte die Geheimschrift der Assassinen und hätte die versteckten Kästen finden können, um mir Arbeit zu beschaffen. Viele in meiner Lage hätten genau das getan.

Aber mein Meister hatte mir befohlen, zurück in meine Zelle zu gehen und zu warten, weshalb ich auch genau das tat. Ich sperrte die Tür hinter mir ab, stülpte mir den Sack über den Kopf und verband mir die Hände. Ich stellte mir einen Kreis vor, der mit Luft gefüllt war, dann öffnete ich das obere Viertel des Kreises und atmete die Luft aus. Ich ließ jegliche Angst los und war nichts weiter als ein Instrument, eine Waffe.

Ich wartete.

»Eins, mein Meister. Zwei, mein Meister. Drei, mein Meister …«

2

Ich war bei zwölftausendneunhundert, mein Meister.

Der Mann, der mich abholte, blickte vor seinem Eintreten nicht einmal durch die Gitterstäbe, was mir verriet, dass es sich bei ihm um einen Gesegneten handeln musste. Wenige im Müden Land sind so leichtsinnig oder selbstsicher, was ihr eigenes Leben betrifft.

»Na«, sagte er im Türrahmen, wobei er das spärliche Licht mit seiner massigen Gestalt abschirmte. »Noch hier, Meuchelmörder?« Ich erwiderte nichts. Nichts ist immer die beste Wahl. Es bringt insbesondere die Gesegneten zur Weißglut, die glauben, die Welt gehöre allein ihnen. »Ich habe dir eine Frage gestellt«, sagte er. Ich gab weiterhin keinen Ton von mir und würde mein Schweigen nicht brechen, es sei denn, sie fingen an, mich zu foltern. Dann würden schrecklich viele Worte aus mir heraussprudeln, während ich dennoch nichts sagte.

Der Mann machte in seinen gestiefelten Füßen einen vorsichtigen Schritt nach vorne, um nicht in den Unrat auf dem Boden der Zelle zu steigen. Wegen der rauen Sackleinen über meinem Gesicht konnte ich einen kleinen Ausschnitt kreuzweise schraffierter Welt ausmachen. Er trug gute Stiefel, weiches Leder mit dicken Sohlen. Mein Klumpfuß bereitet mir häufig Schmerzen, darum habe ich mich zu einem wahren Kenner der Schusterkunst entwickelt. Ich beneide Menschen um gute Stiefel.

Es war derselbe junge Mann, der befohlen hatte, dass unsere Masken nicht abgenommen werden sollten, als mir die Soldaten in die Rippen getreten hatten. Er starrte mich an, dann glitt sein Blick an mir herab, bevor er mir den Sack vom Kopf riss und die Maske nach unten schob, die meine Nase samt Mund bedeckte. Wenn ich dich getötet habe, dachte ich, hole ich mir deine Stiefel.

»Ich glaube nicht, dass du ein Meuchelmörder bist«, sagte er. »Die andere vielleicht, aber du?« Er hatte den Atem der Gesegneten, durchdrungen von ranzigem Mundgeruch nach zu viel gutem Essen und dem schweren Duft von Nelkenöl, um den Zahnschmerz zu lindern. Er spuckte auf den Boden neben meinen Klumpfuß und beugte sich zu mir, um mir theatralisch ins Ohr zu flüstern: »Was für ein Meuchler bist du? Ein verkrüppeltes Kind gibt einen schlechten Assassinen ab.«

»Vielleicht habt Ihr recht«, wisperte ich ihm ins Ohr. »Wäre ich ein echter Assassine, könnte ich meine Ketten ebenso leicht abschütteln und Euch die Kehle durchschneiden, wie ich Euch auf die Wange küsse.« Ich drehte den Kopf und drückte meine Lippen auf die Bartstoppeln seines Kinns. Wie von der Tarantel gestochen, sprang er nach hinten, und ich sah Angst in seinen Augen und kurz darauf auch Wut.

Dann schlug er mich. Er benutzte einen kleinen Holzknüppel, und wenngleich er kein Experte war, machte er sein fehlendes Geschick mit Übereifer wett. Während er mich verprügelte, dachte ich darüber nach, dass – obwohl Schweigen für gewöhnlich die bessere Wahl war – es gelegentlich auch dienlich sein mochte, etwas zu sagen. Nachdem er seinem Zorn freien Lauf gelassen hatte, stülpte er mir die Maske und den Jutesack wieder über den Kopf und zerrte mich danach durch die Burg.

Zur Zellentür und dann dreißig Schritte nach links. Eine enge Wendeltreppe hinauf. Einen hallenden Korridor in westliche Richtung hinab und zwei weitere Treppen hoch in einen großen Raum, wo das Trampeln meiner Füße auf dem Steinboden von einer hohen Decke widerhallt. Dann zwei hölzerne Stufen empor, wo ich auf eine Art provisorischen Holzboden geschubst werde, der sich unter meinen Füßen hohl anhört – ein Spiegelbild des Echos von gerade eben – und mir wird schwindlig, als würde ich mit einem Mal kopfüber stehen.

Eine Schlinge wird um meinen Hals gelegt.

Eis pulsiert in meinen Adern.

Ein Schafott. Ich stand unter einem Galgen und hatte so große Angst vor Xus, dem Gott des Todes, wie all jene, denen ich dieses unliebsame Geschenk überbracht hatte.

Mir wurde der Sack vom Kopf gerissen.

Eine Halle lag vor mir, ein riesiger Versammlungssaal, der erbaut worden war, bevor Magie und ihre Zauberer uns mit der Fäulnis bestraft hatten, in einer Zeit, als Menschen Reichtümer besaßen und große Fortschritte erzielt worden waren. Der Raum war vier-, vielleicht fünfmal so hoch wie ein Mensch, und die schwarzen Steinmauern waren verputzt und weiß gestrichen. An einigen Stellen war der Putz abgebröckelt und vergilbt, und höchstwahrscheinlich bedeckten die riesigen, farbenfrohen Wandteppiche, die sich in der sanften Brise leicht kräuselten, größere Löcher. Die schwache Sonne des Jahresabends strömte durch Kristallfenster, die hoch oben in den Wänden eingelassen waren, und fing Staubkörner ein, die träge im Sonnenschein schwebten, so wie Insekten, die an Honig klebten. Ich kam mir wie ein Schauspieler in einem Theaterstück vor.

Mein Meister und ich reisen häufig in der Verkleidung von Narren, da diese bei den Niedrigsten und Höchsten im Land gern gesehen sind. Die Tradition will es, dass ein Narr mit niemandem redet, der gesellschaftlich über ihm steht, weshalb er häufig übersehen wird und unbemerkt durch Burgen oder Dörfer schleichen kann. Gleichzeitig ist ein Narr ein Statussymbol, und der Todesnarr meines Meisters ist landauf, landab berühmt und sie – mehr als Narr denn als Assassine – ist eine äußerst gefragte Attraktion. Ich selbst verfüge ebenfalls über ein gewisses Maß an Talent. Mein Klumpfuß macht mich zu einem Narren zweiter Klasse – einem missgebildeten Clown –, aber obwohl ich ein Zauberkrüppel bin und mein Fuß von der Fäulnis verdreht wurde, mit der Magier das Land schändeten, verstehe ich Wortspiele und stolpere fast so gut wie alle anderen. In meinem Leben gibt es wenige Dinge, die mich glücklicher machen, als anderen Menschen Freude zu bereiten, und meine Träume handeln häufig vom Theater und einer Zeit, wenn ich Xus, den Gott des Todes, loslasse, hinaus auf die Bühne trete und mir die anerkennende Hand des Publikums gereicht wird.

Doch in meinen Träumen habe ich keine Schlinge um den Hals oder spiele vor einem grimmigen Publikum, das allein aus zwei Menschen besteht – einer davon ist mein Meister, die an einen Stuhl gefesselt ist. Der andere ist eine Frau in ähnlichem Alter, aber in eine mit Goldfäden durchzogene Hose und ein feines, weit fallendes Wams gekleidet, die meinem Meister eine Klinge an den Hals hält. Beide werden von einem Sonnenstrahl erleuchtet und sind vollkommen still, so wie Schauspieler, kurz bevor sich der Vorhang hebt. Ich fragte mich, ob das Absicht war. Wenn dem so war, dann hatten unsere Entführer ein echtes Händchen für Dramatik.

»Aydor«, sagte die Frau mit belegter Stimme, als wäre sie erregt, »spann das Seil um den Hals des Jungen straffer, anderenfalls wird Merela nicht glauben, dass es mir ernst ist.« Die Schlinge um meinen Hals zog sich zu, und die Luft in der Halle wurde dickflüssig. »Guter Junge«, sagte sie.

Aydors fauliger Atem umhüllte mich, während er mir ins Ohr flüsterte: »Diesen Kuss wirst du noch bereuen, wenn du mich um Luft anflehst, Zauberkrüppel. Niemand behandelt mich wie eine Frau. Ich bin der zukünftige König.«

Die Frau wandte sich ab und riss meinem Meister die Maske vom Gesicht. »Nun denn, Merela Karn …« Sie stolzierte um den Stuhl meines Meisters herum. »Wen sollst du hier umbringen?«

Stille legte sich über uns. Eine lange Stille. Die Sorte Stille, die dazu dient, die Dramatik in schlechten Theaterstücken zu unterstreichen, die beim Festival gezeigt werden, in der großen herumreisenden Handelskarawane, die durch das Müde Land zieht. Für mich als Krüppel war das ein schlechtes Omen. Eine eiserne Regel der Dramen im Müden Land lautete, dass der wohlmeinende, verkrüppelte Freund des Helden so früh wie möglich im ersten Akt stirbt. Dies liefert dem Helden einen Grund, weiterzumachen, und gibt ihm den nötigen Schubs. Ich habe die einfallslose Arbeit der Schreiberlinge nie persönlich genommen, bis ich mit einer Schlinge um den Hals auf einer Bühne stand.

»Du kennst mich, Merela«, sagte die Frau. »Du weißt genau, dass du mich wegen deines Gewerbes nicht an der Nase herumführen kannst. Erspar deinem Lehrling unnötiges Leid. Sag mir, wen du umbringen sollst!«

Mein Meister schwieg.

»Ich bin jetzt die Königin, Merela. Adran Mennix, Königin von ganz Maniyadoc und den Langen Flüssen. Das weißt du. Du hast mir schließlich auf den Thron geholfen. Erfüllt dich das nicht mit Stolz?« Sie ging um meinen Meister herum, die sie ignorierte und starr geradeaus blickte. »Verbindet uns denn nichts, Merela? Hat unsere Vergangenheit uns nicht fest zusammengeschweißt?« Die Königin kniete sich hin und legte meinem Meister die Hand aufs Bein.

Mein Meister schwieg, und die Königin kniete weiter vor ihr, suchte mit den Augen in ihrem Gesicht und erhob sich schließlich. Als sie wieder zu reden ansetzte, lag ein sehnsüchtiges Verlangen in ihrer Stimme.

»Ist da überhaupt nichts, Merela? Steht in deinem Kodex der Mörder nicht, dass uns etwas verbindet?«

Mein Meister schwieg.

»Nun gut, du bist schon immer starrköpfig gewesen. Wollen wir doch mal sehen, ob wir nichts finden, das dir etwas bedeutet«, sagte die Königin. »Aydor, zieh an der Schlinge!«

»Warte.« Die Stimme meines Meisters war kaum mehr als ein Flüstern, aber sie füllte den gesamten Raum aus. Es war eine Fähigkeit, die sie mich in meinem zehnten Lebensjahr gelehrt hatte, die Art, von ganz tief aus dem Bauch zu reden und nicht nur aus der Kehle, was dein Blut mit einem energiegeladenen Zischen und einen Raum mit einem dröhnenden Ton durchdringt. Die Königin, die gerade in meine Richtung zeigte, lächelte gebieterisch und ließ die Hand sinken. Aydor, der augenscheinlich ihr Sohn war, da zwischen den beiden eine gewisse Ähnlichkeit bestand, zog mit gehässiger Häme an dem Seil, sodass ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste, um nicht zu ersticken. Ich wollte unbedingt hören, was diese Frau sagte, die sich selbst als Königin bezeichnete. Mein Meister hatte sich in Bezug auf ihre Vergangenheit stets sehr bedeckt gehalten, und nun offenbarte sich mit einem Mal, dass sie eine der mächtigsten Frauen im Müden Land bereits kannte, Königin Adran Mennix von Maniyadox. Sollte bald mein letztes Stündlein geschlagen haben, so wollte ich zumindest noch versuchen, meine Neugierde zu stillen.

»Nun gut, Merela, ich knie erneut vor dir«, sagte die Königin in einer höhnischen Verbeugung. »Ich hoffe, du weißt, welch eine Ehre das heutzutage ist.«

»Wir wurden hierher eingeladen, Königin Adran«, sagte mein Meister, »um eine Kontaktperson in der Burg zu treffen, die uns unser Ziel aufzeigen würde.«

»Du bist in meine Burg gekommen, um zu töten. Obwohl wir früher Freundinnen waren?«

»Ja, ich bin gekommen, jedoch – weil wir Freundinnen waren. Früher.«

»Und weißt du, wer dich hierhergeholt hat?«

»Das wissen wir beide.«

»Wirklich?«, fragte Adran.

»Natürlich wissen wir es beide. Du selbst hast mich gerufen.«

Erneut folgte eine dramatische Stille. Allerdings wusste ich, dass mein Meister recht hatte, denn sie hatte immer recht. Ich wusste ebenfalls, dass ich der einzige Mensch im Zimmer war, der nicht eingeweiht war, denn Aydor lockerte vor Überraschung, ertappt worden zu sein, ein wenig das Seil.

»Und«, fragte die Königin leise, »was verleitet dich zu dieser Annahme?«

»Ein Nachtabort, der als Falle fungiert. Das Beharren darauf, dass wir uns Einlass durch das Aborttor verschaffen sollen, obwohl wir doch alle wissen, dass die Gesegneten sie bewachen lassen. Und nicht zuletzt das Offensichtlichste, nämlich dass ich mit meinem vollen Namen angesprochen wurde.«

»Ist das so ungewöhnlich?«

»Ja, die Menschen, die meinen richtigen Namen und mein Gewerbe kennen, können an einer Hand abgezählt werden.« Mit einem breiten Lächeln im Gesicht blickte sie nun auf. Ich mag dieses Lächeln nicht. Für gewöhnlich verheißt es nichts Gutes. »Sie alle befinden sich in diesem Raum.«

Das Seil knirschte und straffte sich um meinen Hals, während Königin Adran meinen Meister anstarrte. Dann brach die Königin in Gelächter aus. Sie hatte ein wunderschönes Lachen, ein glockenreines, kindisches Lachen, voller Leben und Freude.

»Scharfsinnig wie eh und ja, Merela. Ich habe doch gewusst, es war die richtige Entscheidung, dich hierherzuholen.«

»Und du, Adran, machst alles unnötig kompliziert, wie eh und je. Du hättest mich einfach bitten können, zu dir zu kommen.«

»Du wärst meiner Bitte nicht gefolgt, Merela. Nicht für das, was ich zu bekommen wünsche.«

»Und das wäre?«

»Deinen Rat. Deine Hilfe.«

»Warum?« Mein Meister legte den Kopf schief. Sie schien wahrhaftig verwirrt zu sein.

»Wegen meines Sohns.«

»Deines Sohns?« Mein Meister hob eine Augenbraue. »Ich dachte, du wolltest nur Töchter?« Durch die plötzliche Spannung im Seil spürte ich, wie Aydors Muskeln zuckten.

»Was war es denn gleich, was du immer gesagt hast, Merela? Wir arbeiten mit dem, was wir haben?« Die Schlinge zog sich weiter zusammen. »Wie dem auch sei, ich liebe meinen Sohn, und irgendjemand am Hof möchte ihn umbringen.« Sie nickte Aydor zu, einem Jungen mit Mundgeruch, den nur eine Mutter lieben konnte.

»Natürlich wollen sie das«, sagte mein Meister, und das Seil um meinen Hals verengte sich noch weiter, sodass mir der Schweiß aus allen Poren trat.

»Dann weißt du also davon? Bist du sicher?« Adran – das Gesicht kantig und sorgenvoll.

»Ich bin eine Assassine, Adran …«

»Königin Adran«, fauchte sie.

»Ich bin eine Assassine, Königin Adran …« Obwohl sie den Titel benutzte, klang er aus dem Mund meines Meisters wenig respektvoll. »Und dein Sohn ist der Erbe der Krone, weshalb zumindest die Hälfte – wenn nicht gar mehr – deines Hofstaats einen Nutzen aus seinem Leichnam ziehen würde. Wenn deine Frage also lautet: ›Will irgendjemand den Tod meines Sohnes?‹, so ist die Antwort darauf ein klares Ja.« Aydor nahm die Nachricht nicht gut auf, und ich spürte seine Empörung sogleich am eigenen Leib, da sich die Schlinge noch fester um meine Luftröhre zusammenzog. »Die Frage, die du stattdessen stellen solltest, Königin Adran, lautet folgendermaßen: Hat jemand den Schneid, das Vorhaben auch in die Tat umzusetzen?«

Adran ging in die Hocke, um meinem Meister ins Gesicht zu blicken.

»Vielleicht ist das eine Frage, die du …« Die Königin bohrte meinem Meister einen Finger in die Brust, »du, Merela Karn, dir stellen solltest.«

»Ich?« Es kommt nur höchst selten vor, dass mein Meister überrascht klingt, aber hier war es der Fall. »Warum sollte ich?«

»Wer könnte einen Meuchelmord besser verhindern als ein Meuchelmörder?«

»Der König hat gewiss einen Herzgardisten für solche Dinge …«

Ich wartete, dass Adran etwas erwiderte. Es war normal, dass ein hoher Gesegneter einen Herzgardisten besaß, einen Mann oder eine Frau, der oder die ausgebildet war, Assassine aufzuhalten.

»Er hatte einen. Er ist allerdings bei seiner Pflichtausübung, Aydor zu schützen, gestorben, auch wenn die Burg glaubt, er wäre trunken die Treppe hinuntergestürzt. Wäre es allgemein bekannt, dass ein Meuchelmörder bereits unter uns weilt, so wärst du nicht gekommen. Aber nun rückt das Festival näher mit all seinen Schaustellern und Händlern, die in meine Burg strömen …«

»Hast du keinen Ersatz, der deinen Sohn bewachen kann?«

Adran starrte meinen Meister an, und ein Lächeln spielte auf ihren Lippen.

»Ich habe durchaus jemanden, der auf ihn aufpasst, aber niemanden, um die Person aufzuspüren, die den Befehl gegeben hat. Für diese Aufgabe wünsche ich mir dich.«

»Mich?«, fragte mein Meister.

Adran drehte sich zu mir um.

»Dein Junge ist wirklich talentiert – die Art, wie er die beiden Wachen ausgeschaltet hat, war beeindruckend. Ich hätte es zwar vorgezogen, wenn er sie getötet hätte, aber das lässt sich glücklicherweise nachholen.« Sie starrte mich an, dann lächelte sie, wie eine Katze lächelt, bevor sie sich auf eine Maus stürzt, und drehte sich zu meinem Meister zurück. »Lass uns unter vier Augen reden, Merela. Aydor!«, rief sie. »Zieh den Jungen hoch!«

Was zwischen ihnen gesprochen wurde, bekam ich nicht mit, da ich am Galgen baumelte. Ich weiß nicht, wie lang sie sich unterhielten, nur dass es weniger als sieben Minuten waren, da ich das Bewusstsein nicht verlor und dies die Zeitspanne ist, die ich ohne Luftholen überleben kann. Meine Augen quollen mir schon aus dem Kopf und meine Zunge schwoll an, bis sie meinen ganzen Mund füllte, während mein Meister und Königin Adran miteinander sprachen.

Genau in dem Augenblick, als sich Dunkelheit um mich legen wollte, trafen die beiden wohl eine Abmachung. Aydor ließ das Seil los, und ich fiel, nach Atem ringend, auf den Boden des Schafotts, während der Thronerbe mich lachend einen nutzlosen Krüppel nannte und das Seil um meine Hände aufschlitzte.

»Geh und red mit deinem Meister«, sagte er. »Auf dich warten Pflichten.«

Als ich meinen Meister schließlich humpelnd erreichte, war sie ebenfalls verabschiedet worden. Hastig führte sie mich von der Königin und ihrem faulig riechenden Sohn weg.

»Wir sollen herausfinden, ob es ein Komplott gibt, um den Thronerben zu ermorden, und falls dem so ist, müssen wir den Plan durchkreuzen.« Sie sprach so laut, dass die Königin sie hören konnte.

»Aber der Offene Zirkel … Die anderen Assassinen werden …«, sagte ich und folgte ihrem Beispiel, indem meine Stimme gut hörbar war.

»Keine Sorge. Ich habe mein Wort gegeben, ihr zu helfen. Dafür müssen wir nun geradestehen.«

»Warum, Meister?« Meine Frage war aufrichtig gemeint. Weder gab sie ihr Wort leichtfertig, noch hatte sie es meiner Erfahrung nach jemals zurückgenommen.

»Die Königin hat gedroht, meine Identität preiszugeben, sollte ich nicht tun, was sie verlangt. Sie würde den Menschen erzählen, dass der große Merela eine Frau ist und dass ich ein Todesnarr bin.«

»Aber dann …«

»Sie würden jeden Todesnarr im ganzen Müden Land ausschalten, schon aus Sorge, sie wären Assassinen, und damit würde eine uralte Kunst aussterben. Das darf ich nicht zulassen.«

»Aber …«

»Ich habe einen Eid geschworen, Girton.« Scharfe Worte, die jede Erwiderung im Keim erstickten. Sobald sie eine Entscheidung getroffen hatte, gab es kein Zurück.

Wir wurden von einem Sklaven aus dem Saal in ein Zimmer geführt, in dem zwei vorgeheizte Badezuber uns erwarteten, sodass wir den Schmutz des Tages abwaschen konnten. Der Sklave blieb nicht bei uns. Offensichtlich kannte Adran meinen Meister gut genug, um ihrem Versprechen zu trauen. Es brannte mir unter den Nägeln, mehr zu erfahren, doch ich wusste, dass neugierige Fragen so willkommen waren wie ein Zauberer bei der Feldaussaat.

In dem Moment, als mein Meister sicher war, dass wir allein waren, lehnte sie sich über ihren Badezuber und sprach flüsternd meinen Namen.

»Hör mir zu, Girton. Adran wollte dich als Pfand in eine Zelle sperren. Ihr Sohn hat einen Krieger namens Celot, der ihn beschützt, und jetzt hat sie auch mich. Sie sehen keinen Nutzen in dir. Ich habe ihnen versichert, ich bräuchte dich, damit du für mich spionierst, wenn ich ihr Ziel erreichen soll, aber du kannst jederzeit von hier verschwinden, verstehst du? Ich habe nur für mich einen Treueeid abgelegt, und Adran interessiert sich gar nicht für dich. Sie will nur mich. Du kannst dich also in Sicherheit bringen und dich im Schutz der Nacht aus dem Staub machen, und solltest du dies tun, wirst du mit meinem Dank für viele Jahre guter Dienste gehen.«

»Ihr meint, Euch verlassen, Meister?«, fragte ich.

»Ja. Adran ist nicht durch sanfte Worte und weiche Hände Königin geworden. Sie ist niemand, mit dem man etwas zu tun haben will, wenn es sich vermeiden lässt.«

»Aber was sollte ich denn ohne Euch tun, Meister?«

»Menschen töten, Girton. Dazu wurdest du ausgebildet.«

»Aber ich bin immer noch ein Lehrling.«

»Spiel nicht den Dummkopf«, erwiderte sie wütend. »Du bist mehr als bereit und das schon seit einer geraumen Weile. Du bist doppelt so gut wie jeder Assassine, den ich je zuvor getroffen habe.«

»Selbst Ihr, Meister?«

»Girton«, sagte sie mit einem Kopfschütteln, und ihre Wut verflog so schnell wie die warme Brise, die in der Jahresfülle über das Land fegt. Sie streckte den Arm aus und strich mit einem kalten, nassen Finger an meiner Wange hinab. »Du hast immer einen Witz auf den Lippen.« Sie lächelte nun, das war ihr echtes Lächeln, ein verhaltenes, sprödes und seltenes Etwas. »Bleib nicht aus einem falschen Gefühl der Loyalität bei mir, Girton. Wir sind nicht loyal. Wir sind Boten des Todes, eiskalte Menschen.« Während ich ihr in die Augen sah, überkam mich dieselbe Angst, die mich gepackt hatte, als mir Aydor ap Mennix die Schlinge um den Hals gelegt hatte, dieselbe Angst, die ich schon einmal als verschrecktes Kind verspürt hatte, als mein Meister bei der Sklavenauktion zum ersten Mal meine Hand genommen hatte. Sie hatte mich gefunden, als ich sechs war, und in den vergangenen neun Jahren war sie alles gewesen, was ich kannte. Sie hatte mich in die Waffenkünste eingeführt, mich bei Krankheiten gepflegt, mich im Arm gehalten, als ich in Albträumen von Heckengeistern geholt worden war, und mir alles beigebracht, um in der Welt zu bestehen. »Wenn ich tue, was Adran will, Girton, wird der Offene Zirkel nicht eher ruhen, bis ich für meinen Frevel gesühnt habe. Sie werden über dein Handeln vielleicht hinwegsehen, zumindest am Anfang, aber je länger du bei mir bleibst, desto mehr werden sie dich als meinen Komplizen erachten. Wenn du bleibst, solltest du dir sicher sein.«

»Ich bin mir sicher.«

Diese Worte waren rasch ausgesprochen und ohne jeden Gedanken darüber, welchen Schaden sie mir bringen könnten. Ich frage mich häufig, nun, da ich älter und weiser bin, ob ich damals womöglich eine andere Entscheidung getroffen hätte, hätte ich einen Augenblick innegehalten und mir die wahre Bedeutung ihrer Worte vor Augen geführt. Denn was ich aufgrund der Selbstbezogenheit meines jugendlichen Alters nicht erkannte, war, dass Königin Adran nur eine Sache besaß, die sie gegen meinen Meister in der Hand hielt. Es war nicht ihre Identität als Todesnärrin – eine neue Verkleidung gab es für unsere Zunft wie Sand am Meer. Es ging nicht darum, dass eine Kunstform von der Welt verschwinden würde. Dies hätte meinen Meister mit Traurigkeit erfüllt – denn sie liebte ihre Arbeit –, doch sie war stets eine eiskalte Realistin gewesen.

Nein. Es gab nur eine einzige Sache, die für meinen Meister von so großer Bedeutung war, dass sie alles verraten hätte, wofür sie gelebt und gekämpft hatte. Damals habe ich es nicht gesehen, aber jetzt bin ich älter und erkenne es so deutlich wie die Nägel auf meinen Fingern.

Mich.

Ich war es.

Merela Karn, die bedeutendste Assassine, die ich jemals gekannt hatte, gab alles für mich auf. Bei allen toten Göttern! Ich hätte die Beine in die Hand nehmen und weglaufen sollen.

Um unserer beider wegen.

Ich hätte weglaufen müssen.

Zwischenspiel

Dies ist ein Traum von dem, was war.

Er hat Angst.

Er hat immer Angst.

Heute hat er mehr Angst als je zuvor in seinem Leben, denn heute hat sich alles verändert.

Sein Leben, auch wenn es klar geregelt und geordnet ist, ist nicht gut und war nie gut, aber er hat nie ein anderes gekannt, weshalb er auch nicht weiß, dass sein Leben nicht gut ist. Er existiert nur. Der Sklavenvater hat die Peitsche schnell bei der Hand, und der Junge fürchtet die Peitsche, aber werden nicht alle Kinder geschlagen? Und weil er ein Krüppel ist, ist er immer der Letzte, der etwas zu essen bekommt. Immer ist er der Kleinste und Hungrigste der Sklavenmeute, aber ist das nicht normal? Er hat den geringsten Wert für den Sklavenvater, weshalb sein Leben am schwersten ist. Womöglich wird er nicht einmal seine Investition einbringen, und sie werden ihn nur benutzen können, um Kriegshunde abzurichten. Er weiß nicht, was eine Investition ist, aber er weiß, dass es wichtig ist, sie zu erwirtschaften, und dass er es nicht kann.