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Eine Suche quer durch die Galaxis
Die Dinge stehen gut auf Terminus, soeben wurde sehr erfolgreich eine Seldon-Krise gelöst. Golan Trevize, Mitglied des Rates, glaubt jedoch, dass die Zweite Foundation nach wie vor existiert und die Ereignisse manipuliert. Als er seine Überzeugungen öffentlich macht, wird er von Bürgermeisterin Harla Branno aufgefordert, Terminus zu verlassen und die Zweite Foundation zu suchen. Ihm zur Seite steht der Althistoriker Janov Pelorat, der den sagenumwobenen Ursprungsplaneten der Menschheit, die Erde, sucht. Könnte der verschollene Mutterplanet die Heimat der Zweiten Foundation sein? Trevize und Perolat begeben sich auf eine beispiellose Suche, die sie an die Grenzen des bekannten Universums führen wird …
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Seitenzahl: 747
Das Buch
Fünfhundert Jahre nach ihrer Gründung floriert die Foundation auf Terminus in jeder Hinsicht und scheint allen Krisen gewachsen zu sein. Besonders der Sieg über die Zweite Foundation festigte die Macht der Regierung auf Terminus. Doch Ratsherr Golan Trevize glaubt, dass die Zweite Foundation nach wie vor existiert und die Ereignisse manipuliert. Als er seine Überzeugungen öffentlich macht, wird er von Bürgermeisterin Harla Branno auf eine Strafexpedition geschickt: Er soll die Zweite Foundation suchen. Ihm zur Seite steht der Althistoriker Janov Pelorat, der den sagenumwobenen Ursprungsplaneten der Menschheit, die Erde, finden will. Könnte der verschollene Mutterplanet die Heimat der Zweiten Foundation sein? Trevize und Perolat begeben sich auf eine Suche, die sie an die Grenzen des bekannten Universums führen wird …
Mit dem Foundation-Zyklus schuf Isaac Asimov das wohl bekannteste Werk der Science Fiction des 20. Jahrhunderts: eine umfangreiche Geschichte der Zukunft, die bis heute tief in das Nachdenken über die Entwicklung unserer Zivilisation hineinwirkt. Die Suche nach der Erde ist die unmittelbare Fortsetzung der Foundation-Trilogie, dem zentralen Werk in Asimovs Future History. Sie wird fortgesetzt in Die Rückkehr zur Erde.
»Wer immer sich an der nie endenden Diskussion über die Zukunft beteiligt, weiß, was wir Isaac Asimov zu verdanken haben.«
The New Yorker
Der Autor
Isaac Asimov zählt gemeinsam mit Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein zu den bedeutendsten SF-Autoren, die je gelebt haben. Er wurde 1920 in Petrowitsch, einem Vorort von Smolensk, in der Sowjetunion geboren. 1923 wanderten seine Eltern in die USA aus und ließen sich in New York nieder. Während seines Chemiestudiums an der Columbia University begann er, SF-Geschichten zu schreiben. Seine erste Story erschien im Juli 1939, und in den folgenden Jahren veröffentlichte er in rascher Folge die Erzählungen und Romane, die ihn weltberühmt machten. Neben der Science Fiction hat Asimov auch zahlreiche populärwissenschaftliche Sachbücher zu den unterschiedlichsten Themen geschrieben. Er starb im April 1992.
Mehr über Isaac Asimov und seine Romane auf:
ISAAC ASIMOV
DIESUCHE NACHDER ERDE
ROMAN
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
FOUNDATION’S EDGE
Deutsche Übersetzung von Horst Pukallus
Taschenbuchausgabe 01/2015
Copyright © 1982 by Nightfall Inc.
Copyright © 2015 der Taschenbuchausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Titelillustration: Fred Gambino
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-14563-7
INHALT
Prolog
1. Ratsherr
2. Bürgermeisterin
3. Historiker
4. Weltraum
5. Sprecher
6. Erde
7. Farmer
8. Farmerin
9. Hyperraum
10. Tafel
11. Sayshell
12. Agent
13. Universität
14. Vorwärts!
15. Gaia-S
16. Konvergenz
17. Gaia
18. Kollision
19. Entscheidung
20. Schluss
Prolog
Das Erste Galaktische Imperium zerfiel. Seit Jahrhunderten war es in Verfall und Zusammenbruch begriffen gewesen, und nur ein Mensch erlangte über diese Tatsache volle Klarheit.
Sein Name war Hari Seldon, der letzte große Wissenschaftler des Ersten Imperiums, und er war es, der die Psychohistorik vervollkommnete – jene Wissenschaft, die das menschliche Verhalten auf mathematische Gleichungen reduziert.
Der Einzelmensch ist unberechenbar, aber Seldon erkannte, dass die Reaktionen von Menschenmassen sich statistisch voraussagen ließen. Je größer die Massen, desto genauer die Voraussage. Und die Größe der Menschenmassen, mit denen Seldon sich beschäftigte, umfasste nicht weniger als die Bevölkerung all der Millionen von bewohnten Welten der Galaxis.
Seldons Gleichungen verrieten ihm, dass das Imperium, sich selbst überlassen, zerfallen musste, und dass dreißigtausend Jahre menschlichen Elends und Leidens verstreichen würden, ehe aus den Ruinen ein Zweites Imperium auferstehen konnte. Und doch ließ das Interregnum, falls er auf einige der gegebenen Bedingungen einzuwirken vermochte, sich auf ein einziges Millennium verkürzen, auf nur tausend Jahre.
Um dieses Ziel zu erreichen, gründete er zwei Wissenschaftlerkolonien, die er »Foundations« nannte. Mit Absicht begründete er sie an »entgegengesetzten Enden der Galaxis«. Die Erste Foundation, die sich auf die Naturwissenschaften konzentrierte, entstand im vollen Licht der Öffentlichkeit. Die Existenz der anderen, der Zweiten Foundation, einer Welt der Psychohistoriker und »Geistes«-Wissenschaftler, blieb unter dem Mantel des Schweigens verborgen.
Die Galaktische Trilogie – sie umfasst die Werke Foundation, Foundation und Imperium und Zweite Foundation* – erzählt die Geschichte des ersten Drittels des Interregnums. Die Erste Foundation (im Allgemeinen einfach als »die Foundation« bekannt, weil von der Existenz einer anderen Foundation nur sehr wenig Menschen wussten) machte den Anfang als kleine, in der Leere der äußeren Peripherie der Galaxis verlorene Gemeinschaft. Sie sah sich in periodischen Abständen Krisen ausgesetzt, in deren Verlauf die Variablen der menschlichen Wechselbeziehungen, der gesellschaftlichen und ökonomischen Strömungen ihrer Zeit ihr Schranken auferlegten. Ihr Handlungsfreiraum lag lediglich in einer bestimmten Richtung, und nur wenn sie diese Richtung einschlug, eröffnete sich ihr ein Horizont neuer Entwicklungsmöglichkeiten. Alles war von Hari Seldon geplant worden, nun seit Langem tot.
Die Erste Foundation errang dank ihrer überlegenen Wissenschaft die Vorherrschaft über die in die Barbarei zurückgefallenen Planeten in ihrem Umkreis. Sie stellte sich den anarchischen Sternenherzögen entgegen, die sich vom im Niedergang befindlichen Imperium lossagten, und überwand sie. Ebenso stellte sie sich der Auseinandersetzung mit den Resten des Imperiums, geführt von dessen letztem starkem Kaiser und seinem letzten tüchtigen General, und siegte erneut.
Es hatte den Anschein, als ließe sich der »Seldon-Plan« reibungslos verwirklichen, als könne nichts die Errichtung des Zweiten Imperiums zum vorgesehenen Zeitpunkt verhindern, als solle es in der Zwischenzeit bei einem Minimum an Zerstörungen bleiben.
Aber die Psychohistorik ist eine statistische Wissenschaft. Immer gibt es eine kleine Chance, dass etwas missrät, und so kam es in der Tat – etwas geschah, das Hari Seldon nicht hatte voraussehen können. Aus dem Nichts tauchte ein Mann auf, den man »Maultier« nannte. Er allein verfügte über gewisse Geisteskräfte, die es sonst in der ganzen Galaxis nicht gab. Er war dazu imstande, die menschlichen Gefühle zu beeinflussen, den Geist der Menschen so zu lenken, dass seine erbittertsten Gegner sich in seine ergebensten Diener verwandelten. Armeen konnten, mochten nicht gegen ihn kämpfen. Die Erste Foundation verfiel ihm, und Seldons Plan schien nur noch aus Scherben zu bestehen.
Doch es blieb die geheimnisvolle Zweite Foundation, die vom plötzlichen Auftreten des Maultieres unvorbereitet überrascht worden war, nun jedoch langsam einen Gegenzug vorbereitete. Ihr wichtigster Schutz bestand in dem Faktum, dass niemand ihren Sitz kannte. Das Maultier wollte sie finden, um seine Eroberung der Galaxis zu vollenden. Die treuen Anhänger dessen, was von der Ersten Foundation übrig war, suchten sie, um Hilfe zu erhalten.
Keiner von beiden fand sie. Zuerst hielt die tapfere Tat einer einzelnen Frau namens Bayta Darell das Maultier auf, und infolgedessen fand die Zweite Foundation genug Zeit, um geeignete Maßnahmen zu ergreifen und dem Maultier endgültig Halt zu gebieten. Sie bereitete die allmähliche Wiederaufnahme des Seldon-Planes vor.
In gewisser Hinsicht aber war die Zweite Foundation um ihren Schutz gekommen. Die Erste Foundation wusste nunmehr über die Existenz der Zweiten Foundation Bescheid, und die Erste Foundation wünschte keine Zukunft, in der die »Mentalisten« über sie wachten. Bezüglich der rein naturwissenschaftlichen Machtfülle war die Erste Foundation überlegen, wogegen die Zweite Foundation nicht allein dadurch im Nachteil war, sondern zudem vor einer doppelten Aufgabe stand: Sie musste nicht nur der Ersten Foundation in den Arm fallen, sondern auch ihre Anonymität wiederherstellen.
Unter ihrem bedeutendsten »Ersten Sprecher«, Preem Palver, gelang es der Zweiten Foundation, diese doppelte Aufgabe zu lösen. Zum Schein gestattete man der Ersten Foundation einen Sieg, ließ sie die Zweite Foundation scheinbar vernichten, und die Erste Foundation errang in der Galaxis immer mehr Macht, ohne auch nur zu ahnen, dass die Zweite Foundation noch existierte.
Jetzt sind seit dem Entstehen der Ersten Foundation vierhundertachtundneunzig Jahre verstrichen. Sie befindet sich auf der Höhe ihrer Macht, aber da ist ein Mann, der sich mit Scheinbarkeiten nicht abfinden will …
* Die drei Romane sind zusammengefasst in dem Band Die Foundation-Trilogie.
1. Ratsherr
1
»Natürlich glaube ich’s nicht«, sagte Golan Trevize, der auf den breiten Stufen vor der Seldon Hall stand und über die Stadt schaute, die in der Sonne gleißte.
Terminus war ein Planet mit mildem Klima und hohem Wasser/Land-Verhältnis. Die Einführung der Wetterkontrolle hatte es noch angenehmer auf ihm gemacht – und erheblich weniger interessant, befand Trevize häufig.
»Ich glaube kein Wort davon«, wiederholte er. Die weißen, regelmäßigen Zähne glänzten in seinem jugendlichen Gesicht.
Sein Begleiter und Ratskollege Munn Li Compor, der im Gegensatz zu aller Tradition auf Terminus einen Mittelnamen angenommen hatte, schüttelte unbehaglich den Kopf. »Was glaubst du nicht? Dass wir die Stadt gerettet haben?«
»Oh, das glaube ich. Wir haben’s ja, stimmt’s? Und Seldon hat es vorausgesagt, dass es uns gelingt, und er hat gesagt, er wusste vor fünfhundert Jahren sowieso schon alles.«
»Hör mal«, sagte Compor mit gesenkter Stimme, halb im Flüsterton, »ich habe nichts dagegen, dass du so zu mir redest, denn ich fasse Gerede als Gerede und sonst nichts auf, aber wenn du dergleichen in aller Öffentlichkeit laut verkündest, wird man es hören, und um ehrlich zu sein, ich möchte ungern in deiner Nähe stehen, wenn dich der Blitz trifft. Ich weiß nicht, wie genau er gezielt wird.«
Trevizes Lächeln blieb unbeeinträchtigt. »Soll es falsch sein«, meinte er, »zu sagen, dass die Stadt gerettet worden ist? Und dass wir’s ohne Krieg geschafft haben?«
»Es wollte niemand Krieg führen«, sagte Compor. Er besaß strohblonde Haare, himmelblaue Augen und widersetzte sich stets allen Modeerscheinungen, diese unmodischen Farbtöne zu ändern.
»Hast du noch nie von Bürgerkrieg gehört, Compor?«, fragte Trevize. Er war hochgewachsen, hatte schwarzes Haar und die Angewohnheit, beim Gehen die Daumen in den Gürtel aus weichen Fasern, den er stets trug, einzuhaken.
»Ein Bürgerkrieg um den Sitz der Hauptstadt?«
»Die Frage war heikel genug, um eine Seldon-Krise heraufzubeschwören. Sie hat Hannis’ politische Laufbahn zerstört. Du und ich, wir sind beide dadurch bei der letzten Wahl in den Rat gelangt, und die Sache hing sehr in der Schwebe …« Bedächtig bewegte er eine Hand hin und her, als pendle sie sich ins Gleichgewicht ein.
Er blieb auf den Stufen stehen, achtete nicht auf die anderen Mitglieder der Regierung, die Leute von den Medien und erst recht nicht auf die feschen Typen aus der feinen, vornehmen Gesellschaft, die eine Einladung zum Anlass von Seldons Wiederkehr hatten ergattern können (oder jedenfalls der Wiederkehr seines Abbilds). Alle schritten sie die Treppe hinunter, plauderten, lachten, schwelgten in der Richtigkeit all dessen, was sie umgab, kosteten Seldons nachträgliche Billigung aus.
Trevize stand reglos da und ließ die Menge vorüberwimmeln. Compor, zwei Schritte voraus, verharrte nun ebenfalls, als erstrecke sich zwischen ihnen ein unsichtbares Band. »Kommst du nicht mit?«, wollte er wissen.
»Kein Grund zur Eile. Die Ratssitzung wird nicht anfangen, bevor Bürgermeisterin Branno in ihrer üblichen, völlig ausdruckslosen Eine-Silbe-nach-der-anderen-Sprechweise die Situation erläutert hat, und ich lege wenig Wert darauf, noch einer hochtrabenden Rede zuzuhören. Schau dir die Stadt an!«
»Ich sehe sie. Gestern habe ich sie auch schon gesehen.«
»Ja, aber hast du sie vor fünfhundert Jahren gesehen, als man sie gegründet hat?«
»Vierhundertachtundneunzig Jahren«, berichtigte Compor unwillkürlich. »In zwei Jahren wird die Fünfhundertjahrfeier stattfinden«, fügte er hinzu, »und Bürgermeisterin Branno wird noch im Amt sein und sich damit befassen, Geschehnissen von – wie wir hoffen – geringer Wahrscheinlichkeit vorzubeugen.«
»Wie wir hoffen«, sagte Trevize auf trockene Weise. »Aber was war hier denn nun damals vor fünfhundert Jahren, als man sie gegründet hat? Eine Kleinstadt! Eine kleine Stadt, bewohnt von einer Anzahl Menschen, die eine Enzyklopädie vorbereiteten, die nie fertiggestellt worden ist.«
»Selbstverständlich ist sie fertiggestellt worden.«
»Meinst du die Encyclopedia Galactica,die wir heute haben? Was wir haben, ist nicht das, woran sie damals gearbeitet haben. Was wir besitzen, ist in einem Computer und wird täglich revidiert. Hast du dir jemals das unvollendete Original angesehen?«
»Du meinst das im Hardin-Museum?«
»Im Salvor-Hardin-Museum des Ursprungs. Da du so versessen auf exakte Daten bist, wollen wir bitte auch hier die vollständige Bezeichnung verwenden. Hast du’s dir angesehen?«
»Nein. Sollte ich?«
»Nein, es lohnt die Mühe nicht. Aber auf jeden Fall … damals waren sie … eine Gruppe von Enzyklopädisten, die den Kern eines Städtchens bildeten – eine kleine Ortschaft auf einer Welt, die buchstäblich ohne Metalle war, um eine weitab vom Rest der Galaxis gelegene Sonne kreiste, am Rand, ganz am Rand. Und heute, fünfhundert Jahre später, sind wir eine suburbane Welt. Alles ist ein großer Park, wir haben so viel Metall, wie wir wollen. Wir befinden uns heute im Mittelpunkt von allem.«
»Nicht wirklich«, sagte Compor. »Wir umkreisen noch immer eine Sonne, die vom Rest der Galaxis abgesondert ist, nach wie vor ganz am Rand der Galaxis.«
»Ach nein, du sagst das, ohne darüber nachzudenken. Das war nämlich der wesentliche Punkt dieser kleinen Seldon-Krise. Wir sind mehr als eine einzelne Welt namens Terminus. Wir sind die Seldon-Stiftung, die Foundation, die ihre Tentakel in der gesamten Galaxis hat, die diese Galaxis von ihrer Position an deren Rand aus beherrscht. Wir sind dazu in der Lage, weil wir nicht abgetrennt sind, außer in Bezug auf unsere Position, und das zählt nicht.«
»Na schön. Mit dieser Beweisführung bin ich einverstanden.« Compor zeigte reichlich Desinteresse und tat einen weiteren Schritt abwärts. Das unsichtbare Band zwischen ihnen dehnte sich noch mehr.
Trevize streckte eine Hand aus, als wolle er seinen Begleiter an dem Band wieder die Stufen heraufziehen. »Begreifst du denn nicht die Bedeutung, Compor? Hinter uns liegen enorme Veränderungen, aber wir stellen uns nicht darauf ein. In unseren Herzen wünschen wir uns die kleine Foundation zurück, das kleine Ein-Welt-Unternehmen, das wir in den alten Zeiten hatten, den Tagen stahlharter Helden und edelmütiger Heiliger, die für immer dahin sind.«
»Komm jetzt!«
»Ich meine es ernst. Wirf einen Blick auf die Seldon Hall! Am Anfang, zur Zeit der ersten Krise, zu Lebzeiten Salvor Hardins, befand sich hier nur ein kleines Auditorium, in dem ein holografisches Bild Seldons erschien. Das war alles. Jetzt steht hier ein kolossales Mausoleum, aber hat es etwa eine Kraftfeldrampe? Eine Gleitstraße? Einen Gravo-Lift? Nein, nur diese Treppe, und wir steigen sie hinauf und hinab, genauso wie Hardin es tun musste. Bei seltsamen, unvorhersehbaren Anlässen klammern wir uns furchtsam an die Vergangenheit.«
Leidenschaftlich breitete er die Arme aus. »Ist hier irgendwo eine bauliche Komponente sichtbar, die aus Metall besteht? – Nein. So was wäre uns nicht recht, weil es zu Salvor Hardins Zeiten ja kein einheimisches Metall in nennenswertem Umfang und kaum importiertes Metall gab. Beim Bau dieses Riesenkastens haben wir sogar Altplastik verwendet, vom Alter schon rosa, damit Besucher von anderen Welten stehen bleiben und krähen: ›Gütige Galaxis, was für wundervolles altes Plastik!‹ Ich sage dir, Compor, das ist Schwindel!«
»Ist es das, woran du nicht glaubst? Die Seldon Hall?«
»Und alles, was darin ist«, antwortete Trevize in heftigem Flüstern. »Ich zweifle daran, dass es irgendeinen Sinn hat, sich hier am Rand des Universums zu verstecken, nur weil unsere Vorfahren es getan haben. Ich glaube, wir sollten drinnen sein, im Mittelpunkt von allem anderen.«
»Aber Seldon widerlegt deine Auffassung. Der Seldon-Plan bewährt sich wie bezweckt.«
»Ich weiß. Ich weiß. Und jedes Kind auf Terminus wird im Glauben aufgezogen, dass Hari Seldon vor fünfhundert Jahren einen Plan ausgetüftelt hat, in dem er alles voraussah, dass er die Grundlagen der Foundation auf eine Art und Weise legte, die es ihm erlaubte, gewisse Krisen abzusehen, und dass er dafür gesorgt hat, dass zurzeit dieser Krisen sein holografisches Bild erscheint und uns das Minimum dessen mitteilt, was an Wissen erforderlich ist, um uns bis zur nächsten Krise durchzuschlagen, und das tausend Jahre lang, bis es uns sicher gelingt, ein größeres Zweites Imperium auf den Ruinen des zerfallenen Imperiums zu errichten, das vor fünf Jahrhunderten zusammengebrochen und seit fast dreihundert Jahren verschwunden ist.«
»Golan, weshalb erzählst du mir das alles?«
»Weil ich dir klarmachen will, dass das ein Schwindel ist. Das alles ist ein Schwindel. Oder falls es anfangs eine reale Bedeutung hatte, dann ist es jedenfalls heute ein Schwindel!«
Compor musterte den anderen mit forschendem Blick. »Du hast derartige Äußerungen schon einige Male getan, Golan, aber ich dachte immer, du redest nur lächerliches Zeug daher, um mich zu reizen. Bei der Galaxis, jetzt glaube ich, du meinst es tatsächlich ernst!«
»Natürlich ist es mein Ernst!«
»Das kann doch unmöglich sein. Entweder ist dies ein ziemlich schwer verständlicher Scherz auf meine Kosten, oder du bist verrückt geworden.«
»Weder das eine noch das andere«, sagte Trevize und hakte die Daumen in den Gürtel, als meine er, nun die Gestik seiner Hände nicht länger zu brauchen, um seiner Ernsthaftigkeit Ausdruck zu verleihen. »Weder das eine noch das andere. Ich gestehe, ich habe schon früher derartige Spekulationen betrieben, aber nur aufgrund von Intuition. Dank dieser Farce hier heute Morgen ist mir plötzlich alles völlig klar, und ich habe meinerseits die Absicht, es auch vor dem Rat klarzustellen.«
»Du bist verrückt«, sagte Compor.
»Wenn du meinst. Komm mit und hör es dir an!«
Die beiden gingen die Treppe hinunter. Einzig sie waren zurückgeblieben; sie verließen als Letzte die Treppe. Und als Trevize seinem Begleiter ein wenig vorausstrebte, bewegten sich Compors Lippen stumm, hauchten lautlos ein Wort in die Richtung von Trevizes Rücken: Narr!
2
Bürgermeisterin Harla Branno rief die Teilnehmer der Sitzung des Verwaltungsrates zur Ordnung. Ihre Augen hatten die Versammlung ohne ersichtliches Anzeichen von Interesse gemustert; dennoch bezweifelte keiner der Anwesenden, dass sie alle bemerkt hatte, die zugegen waren, und genauso festgestellt hatte, wer noch fehlte.
Ihr graues Haar war mit Sorgfalt in einer Weise frisiert, die weder deutlich feminin wirkte, noch männlichen Stil imitierte. Das war nun einmal die Art, wie sie ihr Haar zu tragen pflegte, mehr nicht. Ihr stets sachliches Gesicht war nicht für besondere Schönheit bekannt, aber irgendwie kam es, dass man darin auch nicht nach Schönheit suchte.
Sie war der fähigste aller Administratoren auf dem Planeten. Niemand konnte ihr die Brillanz eines Salvor Hardin oder Hober Mallow nachsagen, deren abenteuerliche Lebensgeschichten dem ersten Jahrhundert im Dasein der Foundation einen gewissen schillernden Charakter gaben, und daher tat es auch niemand, aber ebenso wenig wäre jemand auf den Gedanken verfallen, ihr die Dummheit der Indburs vorzuwerfen, die das Amt des Bürgermeisters zum Erbamt gemacht und nacheinander in der Zeitspanne unmittelbar vor dem Auftreten des Maultiers geherrscht hatten.
Ihre Reden brachten die Gemüter der Menschen keineswegs in Wallung, sie besaß keine Begabung für dramatisches Gehabe, doch sie verfügte über die Fähigkeit, in aller Ruhe klare Entscheidungen zu treffen und dabei zu bleiben, solange sie die Sicherheit hegte, richtig entschieden zu haben. Ohne jede erkennbar charismatische Eigenschaft, verstand sie es dennoch, die Wähler davon zu überzeugen, dass jene ohne Aufsehen gefällten Entscheidungen richtig sein mussten.
Weil nach Seldons Lehre historische Veränderungen größtenteils schwer abzuwenden sind (immer unter Ausschluss des Unvorhersehbaren, wie die meisten Seldonisten trotz des einschneidenden Zwischenspiels mit dem Maultier vergessen), durfte die Foundation vielleicht ihre Hauptstadt auf Terminus belassen, ganz unabhängig von den Umständen. Auf »vielleicht« jedoch lag die Betonung. Seldon hatte die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf Terminus blieb, während seines soeben beendeten Erscheinens als fünfhundert Jahre altes Simulacrum gelassen mit 87,2 % eingeschätzt.
Nichtsdestotrotz besagte das auch für Seldonisten, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 12,8 % eine Verlagerung an eine dem Zentrum der Foundation-Föderation nähere Position bevorstand, mit allen herben Konsequenzen, die Seldon für diesen Fall aufgezeigt hatte. Dass diese mit 12,8 % wahrscheinliche Aussicht sich nicht bewahrheitete, war gewiss auf Bürgermeisterin Branno zurückzuführen.
Es stand fest, dass sie so etwas ganz einfach nicht erlaubt hätte. Selbst in Perioden beträchtlicher Unbeliebtheit hatte sie an dem Beschluss festgehalten, dass Terminus der traditionelle Sitz der Foundation war und deshalb da bleiben musste. Ihre politischen Gegner hatten ihr ausgeprägtes Kinn (und zugegebenermaßen mit einiger Wirksamkeit) als unter ihren Kopf geschobenen Granitklotz karikiert.
Und nun hatte Seldon ihrem Standpunkt Rückhalt geliefert – zumindest bis auf Weiteres – und ihr damit gleichzeitig zu einer übermächtigen politischen Vorrangstellung verholfen. Es hieß, sie habe ein Jahr zuvor geäußert, dass sie, falls Seldon bei seinem nächsten Erscheinen ihre Auffassung unterstützte, ihre Aufgabe als erfolgreich abgeschlossen betrachten werde. Dann gedenke sie sich zurückzuziehen und in die Rolle einer älteren Repräsentanzperson zu schlüpfen, statt weiterhin ihr Ansehen mit den dubiosen Resultaten politischer Auseinandersetzungen zu riskieren.
Niemand hatte ihr so recht geglaubt. Sie war zu sehr auf dem Feld der politischen Auseinandersetzungen verwurzelt und daheim, in einem Maß, wie nur wenige vor ihr, und nun, da Seldons Abbild erschienen und wieder verschwunden war, ließen sich ihr keinerlei Anzeichen eines tatsächlichen Rückzugs aus der Politik anmerken.
Sie sprach mit klarer Stimme und verhohlenem Foundationakzent (sie war einmal als Botschafterin auf Mandress tätig gewesen, hatte aber nie die alte imperiale Rhetorik angenommen, die inzwischen so in Mode gekommen war – und Bestandteil eines quasi-imperialen Drangs in die inneren Provinzen).
»Die Seldon-Krise ist vorüber«, sagte sie, »und es ist unser überlieferter Brauch – den ich für sehr klug halte –, dass weder mit Worten noch mit Taten gegen jene vorgegangen werden darf, die auf der falschen Seite gestanden haben. Viele ehrbare Leute glaubten aufrichtig, gute Gründe dafür zu besitzen, etwas zu wollen, das Seldon nicht wünschte. Es wäre unvernünftig, sie zu demütigen und dadurch letztendlich zur Opposition gegen den Seldon-Plan selbst zu treiben. Andererseits ist es ein nachhaltig eingebürgertes, befürwortenswertes Brauchtum, dass die Anhänger der unterlegenen Seite ihre Niederlage gern und ohne weitere Diskussionen hinnehmen. Die Auseinandersetzung liegt hinter uns – für beide Seiten und für immer.«
Sie legte eine Pause ein, den Blick einen Moment lang auf die Gesichter der Versammelten gerichtet. »Die Hälfte der gesetzten Frist ist verstrichen, Mitglieder des Rates«, sprach sie weiter, »die Hälfte der tausendjährigen Zeitspanne zwischen dem Bestand zweier Imperien. Sie ist eine Zeit voller Probleme gewesen, aber wir haben einen langen Weg zurückgelegt. In der Tat, wir sind schon fast ein Galaktisches Imperium, und wir kennen keine äußeren Feinde von größerer Bedeutung mehr. Ohne den Seldon-Plan hätte das Interregnum dreißigtausend Jahre gedauert, und nach dreißigtausend Jahren der Auflösung wäre möglicherweise am Ende nicht genug Kraft verblieben, um ein neues Imperium aufzubauen. Womöglich wären nur voneinander isolierte, zum Untergang verurteilte Welten übrig geblieben. Was wir heute sind, das verdanken wir Hari Seldon, und es muss im Sinne seines längst dahingeschiedenen Geistes geschehen, wenn wir danach streben, zu vollbringen, was noch zu tun ist. Die künftige Gefahr, Mitglieder des Rates, geht von uns selbst aus, und deshalb darf es von dieser Stunde an keine öffentlichen Zweifel am Wert des Seldon-Plans mehr geben. Lasst uns heute entschieden und mit allem Nachdruck dahingehend übereinkommen, dass es in Zukunft keine öffentliche Kritik, keine Zweifel am Plan geben soll, keine Ablehnung! Wir müssen ihn uneingeschränkt unterstützen! Fünf Jahrhunderte lang hat er sich bewährt. Er ist der beste Schutz der ganzen Menschheit, und deswegen darf er nicht aufs Spiel gesetzt werden. Sind wir darin einer Meinung?«
Gedämpftes Gemurmel ertönte. Die Bürgermeisterin blickte kaum auf, um nach sichtbaren Beweisen der Zustimmung zu suchen. Sie kannte jedes einzelne Mitglied des Rates und wusste, wie jedes davon zu reagieren pflegte. So kurz nach ihrem Triumph würde niemand Einwände vortragen. Vielleicht nächstes Jahr. Heute nicht. Sie beabsichtigte die Schwierigkeiten des nächsten Jahres allerdings erst im nächsten Jahr anzugehen.
Aber man musste immer mit einer Ausnahme rechnen …
»Gedankenkontrolle, Bürgermeisterin Branno?«, fragte Golan Trevize, der durch den Mittelgang schlenderte und so laut sprach, als wolle er für das Schweigen der anderen einen Ausgleich schaffen. Er zog es vor, nicht an seinem Platz zu bleiben, der sich – weil er ein neues Mitglied war – in der letzten Reihe befand.
Nach wie vor blickte die Branno nicht auf. »Ratsherr Trevize«, erkundigte sie sich, »wie lauten Ihre Ansichten?«
»Dass die Regierung nicht das Recht der freien Meinungsäußerung antasten darf, dass alle Individuen – und zweifelsfrei auch die Ratsherren und Ratsdamen, die man zu eben diesem Zweck gewählt hat – das Recht besitzen, politische Tagesfragen zu diskutieren, und dass möglicherweise keine politische Angelegenheit mehr ohne Berücksichtigung des Seldon-Plans behandelt werden kann.«
Die Branno faltete die Hände und hob den Blick. Ihr Gesicht war ausdruckslos. »Ratsherr Trevize«, sagte sie, »Sie sind in diese Debatte ohne Beachtung der Form und außer der Ordnung eingetreten. Aber ich habe Sie gebeten, Ihre Ansichten zu äußern, und deshalb will ich Ihnen nun antworten. Im Kontext des Seldon-Plans ist eine Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht beabsichtigt. Nur der Plan selbst erlegt uns aufgrund seiner Natur gewisse Beschränkungen auf. Man kann Ereignisse auf mancherlei Weise interpretieren, ehe das Seldon-Image schließlich eine Entscheidung herbeiführt, sobald sie jedoch feststeht, kann es darüber im Verwaltungsrat keine weiteren Diskussionen geben. Man kann die Entscheidung auch nicht vorher infrage stellen, etwa indem man sagt: ›Falls Hari Seldon dies und jenes konstatiert, wird’s ein Irrtum sein.‹«
»Und wenn jemand aufrichtig so empfindet, verehrte Bürgermeisterin?«
»Dann darf er es als Privatperson und in privatem Rahmen sagen.«
»Sie meinen also, dass die Einschränkung der Meinungsäußerung, die Sie vorschlagen, mit ausdrücklicher Ausschließlichkeit für Vertreter der Regierung gelten soll?«
»Genau! Und dabei handelt es sich keineswegs um ein neuartiges Prinzip der Foundation-Gesetze. Es ist vielmehr bereits von Bürgermeistern aller Parteien angewendet worden. Eine Privatmeinung ist unwichtig. Eine offiziöse Meinungsäußerung dagegen hat Gewicht und kann gefährlich sein. Wir sind nicht so weit gekommen, um uns überflüssigen Gefahren auszusetzen.«
»Darf ich darauf hinweisen, Bürgermeisterin, dass das von Ihnen erwähnte Prinzip nur äußerst selten und bei besonderen Gelegenheiten zur Anwendung gelangt ist? Nie ist es auf etwas von solcher Tragweite und Undefinierbarkeit wie den Seldon-Plan angewendet worden.«
»Der Seldon-Plan muss am dringendsten gesichert werden, denn er ist genau der Punkt, wo Kleinmut sich am verhängnisvollsten auswirken kann.«
»Möchten Sie sich nicht wenigstens einmal mit dem Gedanken befassen, Bürgermeisterin …« Trevize drehte sich um und wandte sich nun an die übrigen Ratsmitglieder, die in den Sitzreihen auf ihren Plätzen saßen und die anscheinend alle den Atem anhielten, als warteten sie auf den Ausgang eines Duells. »Möchten Sie, werte Ratskollegen, sich nicht wenigstens einmal ernsthaft mit dem Gedanken befassen, dass aller Grund zu der Annahme besteht, es gibt gar keinen Seldon-Plan?«
»Wir alle haben heute mitansehen können, wie sehr er sich bewährt«, entgegnete Bürgermeisterin Branno, die im gleichen Maß immer klarere Ruhe ausstrahlte, wie sich Trevize erhitzte und seine Rednerkünste bemühte.
»Eben das, was wir heute erlebt haben, ehrenwerte Ratsherren und Ratsdamen, zeigte uns, dass der Seldon-Plan, so wie er uns eingetrichtert worden ist, nicht existieren kann!«
»Ratsherr Trevize, Sie reden hier außerhalb der Ordnung und dürfen Ihre Ausführungen daher jetzt nicht fortsetzen.«
»Ich kann mich auf die Befugnisse meines Amtes berufen, Bürgermeisterin.«
»Die Amtsbefugnisse sind Ihnen soeben entzogen worden, Ratsherr.«
»Die Befugnis zum Reden vor dem Rat können Sie mir nicht entziehen. Ihre Darlegungen bezüglich der Einschränkung der Redefreiheit besitzen als solche keinerlei Gesetzeskraft. Im Rat hat keine Abstimmung über diese Sache stattgefunden, Bürgermeisterin, und selbst wenn es so wäre, hätte ich das Recht, ihre Rechtmäßigkeit anzuzweifeln!«
»Der Entzug Ihrer Amtsbefugnisse, Ratsherr, steht in keinem Zusammenhang mit meinen Anregungen zur Absicherung des Seldon-Plans.«
»Mit was haben sie denn zu tun?«
»Sie werden des Verrats beschuldigt, Ratsherr. Ich möchte dem Verwaltungsrat ungern die Unhöflichkeit zumuten, Sie hier im Beratungssaal festnehmen zu lassen, aber am Ausgang warten Angehörige der Sicherheit, um Sie in Gewahrsam zu nehmen, sobald Sie den Saal verlassen. Ich bitte Sie, nun ohne weiteres Aufsehen zu gehen. Sollten Sie sich jedoch unbedachte Handlungen erlauben, müssen sie als akute Bedrohung aufgefasst werden, und die Leute der Sicherheit müssen den Saal betreten. Ich hoffe, Sie werden so etwas nicht erforderlich machen.«
Trevize stand wie versteinert da. Im Saal herrschte absolute Stille. (Hatten alle das erwartet – alle außer ihm selbst und Compor?) Er schaute hinüber zu den Türen. Im Moment war nichts zu sehen, aber er war sicher, dass Bürgermeisterin Branno keineswegs bluffte.
»Ich … ich bin Vertreter ei-eines bedeutenden Teils der Wählerschaft, Bürgermeisterin Branno …«, stammelte er voller Wut.
»Bestimmt werden Ihre Wähler von Ihnen enttäuscht sein.«
»Anhand welcher Beweise erheben Sie diese groteske Anschuldigung?«
»Die Beweise werden zu gegebener Zeit vorgelegt. Sie dürfen sicher sein, dass wir alles haben, was wir brauchen. Sie sind ein recht indiskreter junger Mann und sollten sich merken, dass jemand Ihr Freund sein kann und doch nicht dazu bereit, mit Ihnen zusammen Verrat zu begehen.«
Trevize fuhr herum und starrte in Compors blaue Augen. Sie hielten seinem Blick stand, als seien sie aus Stein.
»Ich rufe alle Anwesenden zu Zeugen dafür auf«, sagte Bürgermeisterin Branno ruhig, »dass sich nach meiner letzten Feststellung Ratsherr Trevize umgedreht und Ratsherr Compor angeschaut hat. Werden Sie nun gehen, Ratsherr, oder gedenken Sie uns zu der Würdelosigkeit einer Festnahme in diesem Beratungssaal zu zwingen?«
Golan Trevize wandte sich ab, stieg die Stufen hinauf, und als er den Ausgang erreichte, traten ihm zwei bewaffnete Männer in Uniform entgegen.
»Narr«, flüsterte Harla Branno durch kaum geöffnete Lippen, während sie ihm mit gleichgültiger Miene nachblickte.
3
Seit Bürgermeisterin Brannos Amtszeit begonnen hatte, war Liono Kodell Direktor des Sicherheitsbüros.
Seine Tätigkeit war nicht allzu aufreibend, wie er zu äußern pflegte, aber man konnte nicht sagen, ob er log oder die Wahrheit sprach. Er sah nicht wie ein Lügner aus, doch das musste nicht unbedingt etwas bedeuten.
Er wirkte wie ein gemütlicher und freundlicher Mensch, und möglicherweise war ein solches Aussehen gerade für seinen Posten am angebrachtesten. Seine Körpergröße lag unter dem Durchschnitt, wogegen sein Körpergewicht überdurchschnittlich war; er hatte einen struppigen Schnurrbart (sehr ungewöhnlich für einen Bürger von Terminus), mehr weiß als grau, braune Augen, und er wies an der äußeren Brusttasche seines ansonsten einfarbigen Overalls eine Kennzeichnung in einer Grundfarbe auf.
»Nehmen Sie Platz, Trevize!«, sagte er. »Wir wollen uns, wenn’s geht, auf freundschaftlicher Basis unterhalten.«
»Freundschaftlich? Mit einem Verräter?« Trevize hakte beide Daumen in seinen Gürtel und blieb stehen.
»Bis jetzt sind Sie nur des Verrats beschuldigt. Wir sind noch nicht dahin gekommen, dass eine Anschuldigung, auch wenn sie von der Bürgermeisterin selbst erhoben wird, bereits eine Verurteilung ist. Ich nehme an, dazu wird’s nie kommen. Meine Aufgabe ist es, Sie von dieser Anschuldigung zu entlasten, wenn ich kann. Ich würde das gerne so schnell wie möglich erledigen, solange noch kein Schaden entstanden ist – außer vielleicht, was Ihren Stolz angeht –, statt es auf eine öffentliche Verhandlung dieser Angelegenheit ankommen zu lassen. Ich hoffe, wir sind uns diesbezüglich einig.«
Trevize regte sich keineswegs ab. »Verschwenden wir keine Zeit mit Höflichkeiten! Es ist Ihre Aufgabe, mich zu behandeln, als wäre ich ein Verräter. Ich bin keiner, und mir ist die Notwendigkeit, Ihnen das erst beweisen zu müssen, bis Sie zufrieden sind, sehr zuwider. Warum sollten nicht Sie Ihre Loyalität zu meiner Zufriedenheit beweisen müssen?«
»Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Es ist jedoch eine traurige Tatsache, dass auf meiner Seite Macht steht, auf Ihrer Seite dagegen keine. Deshalb habe ich das Recht, Ihnen Fragen zu stellen, und deshalb ist’s nun einmal nicht umgekehrt. Falls auf mich der Verdacht der Untreue oder des Verrats fällt, muss ich sicherlich davon ausgehen, dass man mich von meinem Amt suspendiert, und ich müsste einem anderen meinerseits Fragen beantworten, und ich hoffe sehr, dass derjenige mich nicht schlechter behandelt, als ich jetzt Sie zu behandeln beabsichtige.«
»Und wie beabsichtigen Sie mich zu behandeln?«
»Wie einen Freund und Gleichrangigen, würde ich sagen, wenn Sie sich mir gegenüber auch so verhalten.«
»Soll ich Ihnen einen Drink spendieren?«, fragte Trevize erbittert.
»Vielleicht später, aber nun setzen Sie sich bitte erst mal hin! Darum bitte ich Sie als Freund.«
Trevize zögerte, dann nahm er Platz. Plötzlich empfand er jeden weiteren Trotz als sinnlos. »Was nun?«, wollte er wissen.
»Darf ich nun die Bitte vortragen, dass Sie alle meine Fragen wahrheitsgemäß, vollständig und ohne Ausflüchte beantworten?«
»Und wenn nicht? Welche Drohung steckt dahinter? Psycho-Sonde?«
»Ich hoffe, das wird sich als überflüssig erweisen.«
»Das hoffe ich auch. So etwas kann man mit einem Ratsherrn nicht machen. Es käme dabei kein Verrat heraus, und sobald ich rehabilitiert wäre, könnte ich auf politischer Ebene Sie und vielleicht auch die Bürgermeisterin zu Fall bringen. Das könnte fast den Aufwand wert sein, Sie es mit der Psycho-Sonde versuchen zu lassen.«
Kodell runzelte die Stirn und schüttelte andeutungsweise den Kopf. »O nein, o nein. Die Gefahr eines Gehirnschadens ist zu groß. Manchmal verläuft die Heilung langwierig, möglicherweise würden Sie nutzlos viel Zeit verlieren. So viel steht für mich fest. Wissen Sie, bisweilen, wenn man die Psycho-Sonde übereilt anwendet …«
»Sie drohen mir, Kodell?«
»Ich stelle nur Tatsachen fest, Trevize. Bitte missverstehen Sie mich nicht, Ratsherr. Wenn ich die Psycho-Sonde anwenden muss, werde ich’s tun, und selbst wenn Sie unschuldig sind, haben Sie gegebenenfalls keinerlei Anspruch auf Entschädigung. Aber wollen wir nicht dieses Gerede über die Sonde unterlassen und uns stattdessen an die Vernehmung machen?«
»Was möchten Sie wissen?«
Kodell legte vor sich auf dem Tisch einen Schalter um. »Meine Fragen und Ihre Antworten werden in Bild und Ton aufgezeichnet«, sagte er. »Ich möchte von Ihnen keine unerbetenen Erklärungen und keine Abschweifungen. Nicht während ich Fragen stelle. Sicherlich haben Sie dafür Verständnis.«
»Wie ich es verstehe, wünschen Sie nur aufzuzeichnen, was Ihnen in den Kram passt«, sagte Trevize verächtlich.
»Das ist durchaus richtig, aber ich muss Sie nochmals bitten, mich nicht misszuverstehen. Ich habe nicht die Absicht, Ihre Aussagen irgendwie zu entstellen. Ich werde sie gegen Sie verwenden oder nicht, das ist alles. Aber Sie werden vorher wissen, was ich nicht verwende. Wenn wir so verfahren, vergeuden wir weder Ihre noch meine Zeit.«
»Wir werden sehen.«
»Wir haben Grund zu der Annahme, Ratsherr Trevize …« – die erhöhte Förmlichkeit seines Tonfalls war Beweis genug dafür, dass nunmehr die Aufzeichnung des Gesprächs angefangen hatte –, »… dass Sie bei mehreren Gelegenheiten öffentlich geäußert haben, nicht an den Seldon-Plan zu glauben.«
»Wenn ich das mehrmals und öffentlich gesagt habe«, meinte Trevize bedächtig, »was brauchen Sie noch mehr?«
»Lassen Sie uns keine Zeit mit Spitzfindigkeiten verplempern, Ratsherr. Sie wissen, was ich möchte, ist ein offenes Eingeständnis aus Ihrem eigenen Mund, unwiderleglich nachweisbar anhand Ihres Stimmprofils, gemacht in einer Situation, in der Sie vollständig Herr Ihres freien Willens sind.«
»Weil die Anwendung irgendwelcher Hypnomethoden, vermute ich, das Stimmprofil merklich beeinflussen würde?«
»Sehr deutlich.«
»Und Sie legen Wert darauf, eindeutig klarzustellen, dass Sie bei der Vernehmung eines Ratsherrn keine rechtswidrigen Methoden gebraucht haben? Daraus kann ich Ihnen wirklich keinen Vorwurf machen.«
»Freut mich zu hören, dass Sie mir keinen Vorwurf machen, Ratsherr. Also lassen Sie uns die Vernehmung fortsetzen! Sie haben öffentlich erklärt, und zwar mehrmals, dass Sie an die Existenz des Seldon-Plans nicht glauben. Geben Sie das zu?«
»Ich bezweifle«, sagte Trevize langsam, indem er seine Worte sorgsam wählte, »dass der sogenannte Seldon-Plan die Bedeutung besitzt, die wir ihm gewöhnlich beimessen.«
»Eine vage Erklärung. Würden Sie das genauer erläutern?«
»Meine Ansicht lautet, dass die übliche Vorstellung, Hari Seldon habe vor fünfhundert Jahren anhand der mathematischen Wissenschaft namens Psychohistorik den weiteren Verlauf der menschlichen Geschichte bis ins letzte Detail erarbeitet und dass wir nach Maßgabe der höchsten Wahrscheinlichkeit einem historischen Kurs folgen, der uns vom Ersten Galaktischen Imperium zum Zweiten Galaktischen Imperium bringt, ganz einfach naiv ist. Es kann nicht so sein.«
»Wollen Sie damit sagen, dass es nach Ihrer Meinung nie einen Hari Seldon gegeben hat?«
»Durchaus nicht. Natürlich hat es ihn gegeben.«
»Oder dass er die Wissenschaft der Psychohistorik niemals entwickelt habe?«
»Nein, natürlich meine ich nichts dergleichen. Sehen Sie mal, Direktor, ich hätte das alles ja dem Verwaltungsrat erläutert, wäre mir diese Möglichkeit zugestanden worden, und ich will es ohne Weiteres Ihnen darlegen. In Wahrheit meine ich schlichtweg das Folgende …«
Aber der Direktor des Sicherheitsbüros hatte soeben in aller Ruhe und doch völlig offensichtlich das Aufnahmegerät abgeschaltet.
Trevize verstummte. »Warum haben Sie das getan?«
»Sie vergeuden meine Zeit, Ratsherr. Ich habe Sie nicht um Ansprachen gebeten.«
»Sie wollten, dass ich meine Ansichten auseinandersetze, oder?«
»Keineswegs. Ich habe Sie darum ersucht, Fragen zu beantworten – mit einfachen, unumwundenen, direkten Antworten. Beantworten Sie nur meine Fragen, erzählen Sie mir nichts, wonach ich nicht frage! Beachten Sie diese Hinweise, und die Vernehmung wird nicht lange dauern!«
»Sie meinen«, sagte Trevize, »Sie möchten mir Äußerungen entlocken, die die offizielle Version dessen unterstützen, was ich getan haben soll.«
»Sie werden um wahrheitsgetreue Aussagen gebeten, und ich versichere Ihnen, dass sie nicht entstellt werden. Bitte lassen Sie’s uns noch einmal versuchen! Wir haben über Hari Seldon gesprochen.« Er setzte das Aufnahmegerät wieder in Betrieb. »Dass er die Wissenschaft der Psychohistorik nie entwickelt habe?«, wiederholte er gleichmütig.
»Selbstverständlich hat er die Wissenschaft entwickelt, die wir Psychohistorik nennen«, sagte Trevize, dem es nicht gelang, seine Ungeduld zu verheimlichen, mit einer übertriebenen Gebärde ungnädigen Nachdrucks.
»Und wie würden Sie sie definieren?«
»Bei der Galaxis! Üblicherweise definiert man sie als jenen Zweig der Mathematik, der sich mit den gesamtheitlichen Reaktionen großer Gruppen von Menschen auf unter gewissen Umständen erfolgte Stimuli beschäftigt. Anders ausgedrückt, sie soll gesellschaftliche und historische Veränderungen im Voraus erkennen.«
»Sie sagen, ›sie soll‹. Stellen Sie das vom Standpunkt mathematischer Überlegungen aus infrage?«
»Nein«, antwortete Trevize. »Ich bin kein Psychohistoriker. Ebenso wenig ist irgendein Mitglied der Foundationregierung, überhaupt irgendein Bürger auf Terminus oder …«
Kodell hob die Hand. »Ratsherr, ich bitte Sie!«, sagte er leise, und Trevize hielt den Mund.
»Haben Sie einen Grund, um zu vermuten«, fragte Kodell, »Hari Seldon habe nicht die erforderlichen Analysen vorgenommen, deren es bedurfte, um so effizient wie möglich die Faktoren der maximalen Wahrscheinlichkeit und kürzesten Dauer zusammenzufassen, die den Weg vom Ersten Imperium über die Foundation zum Zweiten Imperium weisen?«
»Ich war nicht dabei«, erwiderte Trevize sardonisch. »Wie kann ich es also wissen?«
»Können Sie wissen, dass er es nicht getan hat?«
»Nein.«
»Leugnen Sie vielleicht, dass das holografische Bildnis Hari Seldons, das sich im Laufe der vergangenen fünfhundert Jahre anlässlich jeder einer ganzen Reihe von Krisen gezeigt hat, eine tatsächliche, von ihm selbst in seinem letzten Lebensjahr, kurz vor der Gründung der Foundation, angefertigte Wiedergabe Hari Seldons ist?«
»Ich nehme an, das kann ich nicht leugnen.«
»Sie ›nehmen an‹. Würden Sie sagen, es handle sich um eine Täuschung, eine Irreführung, von jemandem in unserer früheren Geschichte ausgeheckt?«
Trevize seufzte. »Nein. Das behaupte ich nicht.«
»Sind Sie denn zu behaupten bereit, die Botschaften, die Hari Seldon uns aus der Vergangenheit übermittelt, seien irgendwie von irgendwem manipuliert worden?«
»Nein. Ich sehe keinen Anlass zu der Vermutung, eine derartige Manipulation sei möglich oder nützlich.«
»Aha, verstehe. Sie haben das allerneueste Erscheinen des Seldon-Imagos miterlebt. Finden Sie, dass seine Analyse, vorbereitet vor fünfhundert Jahren, den tatsächlichen Verhältnissen in der Gegenwart nicht weitgehendst entspricht?«
»Im Gegenteil«, entgegnete Trevize mit plötzlicher Schadenfreude. »Die Übereinstimmung geht sehr weit.«
Anscheinend machten seine Gefühlsregungen auf Kodell keinen Eindruck. »Und doch bleiben Sie auch nach Seldons Erscheinen bei der Behauptung, Ratsherr, es gäbe keinen Seldon-Plan?«
»Ja, freilich. Ich bleibe dabei, dass er nicht existiert, eben weil die Analyse den Verhältnissen so genau entspricht.«
Kodell hatte das Aufnahmegerät erneut ausgeschaltet. »Ratsherr«, sagte er mit einem Kopfschütteln, »Sie erlegen mir die Mehrarbeit des Löschens auf. Ich frage Sie, ob Sie bei Ihrer sonderbaren Ansicht bleiben, und Sie fangen an, mir Gründe zu nennen. Lassen Sie mich die Frage wiederholen!« Er tat es: »Und doch, Ratsherr, bleiben Sie auch nach Seldons Erscheinen bei der Behauptung, es gäbe keinen Seldon-Plan?«
»Woher wissen Sie das? Niemand hatte eine Gelegenheit, nach dem Erscheinen Seldons mit meinem falschen Freund Compor ein Wort zu wechseln.«
»Sagen wir einmal, wir haben’s erraten, Ratsherr. Außerdem wollen wir beachten, Sie haben schon ›Ja, freilich‹ gesagt. Wenn Sie das nochmals wiederholen, ohne irgendwelche Ergänzungen hinzuzufügen, kommen wir endlich weiter.«
»Ja, freilich«, sagte Trevize mit Ironie.
»Gut«, sagte Kodell. »Ich werde später entscheiden, welches ›Ja, freilich‹ natürlicher klingt. Vielen Dank, Ratsherr.« Wieder schaltete er das Aufnahmegerät ab.
»Wär’s das?«, erkundigte sich Trevize.
»Für das, was ich brauche, ja.«
»Was Sie brauchen, ist offenbar eine Reihenfolge von Fragen und Antworten, die Sie auf Terminus und überall, wo die Foundation-Föderation regiert, vorweisen können, um zu zeigen, dass ich das Märchen vom Seldon-Plan vorbehaltlos glaube. Dadurch wird jeder Zweifel, wie ich ihn am Schluss äußere, völlig rätselhaft, wenn nicht gar zur Verrücktheit.«
»Oder in den Augen einer erregten Menge, die den Seldon-Plan als grundlegend bedeutsam für die Sicherheit der Foundation hält, sogar zum Verrat. Vielleicht wird es unnötig sein, unsere Unterhaltung publik zu machen, Ratsherr, wenn wir zu irgendeiner Übereinkunft gelangen können. Sollte es sich aber als nötig erweisen, werden wir dafür sorgen, dass man überall in der Föderation Ihre Äußerungen erfährt.«
»Sind Sie so dumm, Direktor«, meinte Trevize mit finsterer Miene, »nicht das mindeste Interesse an dem zu hegen, was ich wirklich zu sagen habe?«
»Als Mitmensch bin ich stark interessiert, und falls sich zu irgendeiner Zeit eine geeignete Gelegenheit ergibt, werde ich Ihnen mit Interesse zuhören, allerdings auch mit einer gewissen Skepsis. In meiner Eigenschaft als Direktor des Sicherheitsbüros jedoch habe ich vorerst genau das, was ich brauche.«
»Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren, dass das Ihnen und der Bürgermeisterin schlecht bekommen wird.«
»Sonderbarerweise bin ich nicht dieser Auffassung. Sie werden nun gehen. Unter Bewachung, versteht sich.«
»Wohin werde ich gebracht?«
Kodell lächelte lediglich. »Auf Wiedersehen, Ratsherr. Sie waren nicht gänzlich kooperativ, aber es wäre wohl unrealistisch gewesen, so etwas von Ihnen zu erwarten.«
Er streckte seine Hand aus.
Trevize, der aufstand, missachtete sie. Er strich seinen Gürtel glatt. »Sie zögern das Unvermeidliche nur hinaus«, sagte er. »Andere dürften genauso wie ich denken, oder wenn nicht, werden sie später so wie ich denken. Wenn Sie mich einsperren oder umbringen, wird das die Leute nur dazu veranlassen, sich Fragen zu stellen, und damit beschleunigen Sie das Entstehen solcher Gedanken. Am Ende wird die Wahrheit den Sieg davontragen.«
Kodell senkte die Hand und schüttelte langsam den Kopf. »Wirklich, Trevize«, sagte er, »Sie sind ein Narr!«
4
Erst um Mitternacht kamen zwei Wächter, um Trevize aus einem Aufenthaltsraum zu holen, den er beim besten Willen nur als Luxuszimmer bezeichnen konnte, gelegen im Hauptquartier der Sicherheitsbehörde. Luxuriös, aber abgeschlossen. Im Wesentlichen also nichtsdestoweniger eine Gefängniszelle.
Über vier Stunden hatte Trevize zur Verfügung gehabt, um nachträglich bittere Überlegungen anzustellen, und während des längsten Teils dieser Zeitspanne war er ruhelos im Zimmer hin und her gewandert.
Warum hatte er Compor Vertrauen entgegengebracht?
Weshalb hätte er es nicht tun sollen? Er war so eindeutig der gleichen Meinung gewesen. Nein, das nun wieder nicht. Er hatte den Eindruck erweckt, er lasse sich bereitwillig überzeugen. Nein, auch das nicht. Er hatte so dümmlich gewirkt, so leicht beeinflussbar, als mangle es ihm zweifelsfrei an eigenem Verstand und eigenen Meinungen, und daher war Trevize die Gelegenheit nur willkommen gewesen, ihn als bequeme Resonanzfläche zu benutzen, die dazu diente, Trevizes versuchsweise Redensarten zu empfangen und wiederzugeben. Er hatte Trevize dabei geholfen, seine Meinungen abzuklären, sie besser zu formulieren. Compor war nützlich gewesen. Er hatte ihm aus keinem anderen Grund vertraut außer Bequemlichkeit.
Aber es war zwecklos, jetzt nachzugrübeln, ob er Compor hätte durchschauen müssen oder nicht. Er hätte sich an eine einfache Regel halten sollen: Traue niemandem.
Aber konnte man durchs Leben gehen, ohne irgendjemand zu trauen?
Offensichtlich musste er genau das tun.
Und wer hätte damit gerechnet, dass Branno die Frechheit aufbrächte, einen Ratsherrn aus dem Sitzungssaal zu weisen – und dass kein einziges anderes Ratsmitglied genug Zivilcourage besaß, um jemanden aus ihrer Mitte, einen ihresgleichen, dagegen zu schützen? Auch wenn sie im Grunde ihres Herzens Trevizes Ansichten ablehnten, auch wenn sie darauf, dass Branno recht hatte, ihr Blut verwetten würden – Tropfen für Tropfen –, für seine Begriffe hätten sie dennoch aus prinzipiellen Erwägungen zu seinen Gunsten einschreiten müssen, weil man mit der Verletzung seiner Befugnisse die Befugnisse aller Ratsmitglieder angetastet hatte. Branno die Bronzene, so nannte man sie manchmal; und so viel stand fest, sie handelte mit metallischer Härte …
Außer sie befand sich selbst in der Hand …
Halt! Diese Gedankengänge führten zur Paranoia!
Trotzdem … Sein Verstand ging noch immer im Kreise und hatte die engen Grenzen aussichtsloser Wiederholungen noch nicht durchbrochen, als die Wächter kamen.
»Sie werden mit uns kommen müssen, Ratsherr«, sagte der diensthöhere der beiden Männer mit unemotionaler Würde. Seine Rangabzeichen kennzeichneten ihn als Lieutenant. Seine rechte Wange wies eine kleine Narbe auf, und er sah abgeschlafft aus, als habe er schon zu lange gedient und im Laufe seines Dienstes zu wenig Nützliches getan – ganz wie man es von Soldaten erwarten konnte, deren Volk seit zwei Jahrhunderten in Frieden lebte.
Trevize blieb unbeeindruckt. »Wie ist Ihr Name, Lieutenant?«
»Ich bin Lieutenant Evander Sopellor, Ratsherr.«
»Sie sind sich darüber im Klaren, Lieutenant, dass Sie gegen das Gesetz verstoßen? Sie können einen Ratsherrn nicht verhaften!«
»Wir haben unmissverständliche Befehle erhalten, Sir«, antwortete der Lieutenant.
»Das spielt keine Rolle. Man darf Ihnen nicht befehlen, ein Ratsmitglied zu verhaften. Sie sollten berücksichtigen, dass Sie dafür zu gegebener Zeit vor ein Militärgericht gestellt werden können.«
»Sie sind nicht verhaftet, Ratsherr«, entgegnete der Lieutenant.
»Dann brauche ich ja auch nicht mit Ihnen zu gehen, oder?«
»Wir haben Anweisung, Sie nach Hause zu eskortieren.«
»Ich kenne den Weg.«
»Und Sie unterwegs zu schützen.«
»Wovor? Oder vielmehr, vor wem?«
»Vor einer Menschenmenge, die sich womöglich versammeln könnte.«
»Um Mitternacht?«
»Eben aus diesem Grund haben wir bis Mitternacht gewartet, Sir. Und nun müssen wir Sie bitten, zu Ihrem eigenen Schutz mit uns zu kommen. Ich will damit keine Drohung zum Ausdruck bringen, aber ich möchte Ihnen sagen, dass wir die Erlaubnis haben, falls nötig, Gewalt anzuwenden.«
Trevize hatte die Elektropeitschen, welche die zwei Männer bei sich trugen, längst bemerkt. Er erhob sich mit – wie er hoffte – würdevoller Gelassenheit. »Nun gut, also nach Hause. Oder werde ich zu guter Letzt doch feststellen müssen, dass Sie mich in ein Gefängnis transportieren?«
»Uns ist keineswegs befohlen worden, Sie zu belügen, Sir«, sagte der Lieutenant mit gewissem Stolz. Trevize begriff, dass er es mit einem Berufssoldaten zu tun hatte, also jemandem, der eines ausdrücklichen Befehls bedurfte, ehe er log; und wenn er log, würden sein Tonfall und seine Miene ihn verraten.
»Entschuldigen Sie, Lieutenant«, sagte Trevize. »Ich wollte nicht andeuten, dass ich an Ihrem Wort zweifle.«
Draußen wartete ein Wagen. Die Straße lag verlassen, nirgends war ein Mensch zu sehen, ganz zu schweigen von einem Mob. Aber der Lieutenant hatte die Wahrheit gesprochen. Er hatte nicht behauptet, draußen sei ein Mob. Nur von »einer Menschenmenge, die sich womöglich versammeln könnte«, hatte er geredet. »Womöglich könnte«, hatte er gesagt.
Der Lieutenant hatte Trevize wachsam zwischen sich und dem Wagen gehalten. Trevize hätte nicht losstürzen und davonrennen können. Unmittelbar nach ihm stieg der Lieutenant ein und setzte sich an seine Seite. Der Wagen fuhr ab.
»Ich nehme an«, sagte Trevize, »dass ich, sobald ich daheim bin, wieder ungehindert meinen Geschäften nachgehen kann – zum Beispiel fortgehen, wenn ich’s möchte.«
»Uns liegt kein Befehl vor, Ratsherr, Sie in irgendeiner Weise zu behindern, außer insofern, dass wir Befehl haben, Sie zu schützen.«
»Insofern? Was hat das in diesem Fall zu bedeuten?«
»Meine Anweisung lautet, Sie darüber aufzuklären, dass Sie Ihren Wohnsitz, sobald Sie erst einmal dort sind, nicht verlassen dürfen. Die Straßen sind für Sie zu unsicher, und ich bin für Ihre Sicherheit verantwortlich.«
»Sie wollen sagen, ich stehe unter Hausarrest.«
»Ich bin kein Anwalt, Ratsherr. Ich weiß nicht, was das heißt.«
Er blickte geradeaus, aber sein Ellbogen berührte Trevizes Seite. Trevize konnte keine noch so geringfügige Bewegung machen, ohne dass der Lieutenant sie bemerkte.
Der Wagen hielt vor Trevizes kleinem Haus im Vorort Flexner. Gegenwärtig lebte er ohne Gefährtin – Flavella war des unregelmäßigen Lebens, das die Ratsmitgliedschaft ihm abverlangte, schließlich überdrüssig geworden –, deshalb ging er davon aus, dass niemand ihn erwartete.
»Darf ich jetzt aussteigen?«, fragte Trevize.
»Ich steige als Erster aus, Ratsherr. Wir werden Sie hineinbegleiten.«
»Im Interesse meiner Sicherheit?«
»Ja, Sir.«
Drinnen, hinter der Tür, standen zwei Wachen. Die Nachtbeleuchtung brannte, aber war von draußen unsichtbar, weil man die Fenster verdunkelt hatte.
Im ersten Moment empfand er wegen dieses Eindringens Empörung, dann tat er den neuen Zwischenfall mit einem innerlichen Achselzucken ab. Wenn der Verwaltungsrat nicht einmal im eigenen Sitzungssaal seine Sicherheit gewährleistete, wie sollte er da erwarten, dass sein Heim sich als seine Burg bewährte?
»Wie viel sind denn schon hier?«, fragte Trevize. »Ein ganzes Regiment?«
»Nein, Ratsherr«, ertönte eine strenge, feste Stimme. »Nur eine weitere Person außer denen, die Sie sehen, und ich habe lange genug auf Sie gewartet.«
Harla Branno, Terminus’ Bürgermeisterin, stand auf der Schwelle zum Wohnzimmer. »Höchste Zeit, dass wir uns einmal in aller Ruhe unterhalten, finden Sie nicht auch?«
Trevize starrte sie an. »All dieser Popanz, nur um …«
»Schweigen Sie, Ratsherr!«, unterbrach die Branno ihn mit leiser Stimme, aber in nachdrücklichem Tonfall. »Und Sie treten ab!«, wandte sie sich an die vier Wachen. »Hinaus und draußen Posten gestanden! Hier drinnen wird alles seine Ordnung haben.«
Die vier Wachen salutierten und machten auf dem Absatz kehrt. Trevize und die Branno blieben allein zurück.
2. Bürgermeisterin
5
Branno hatte eine Stunde lang gewartet und müde über alles nachgedacht. Rein formal gesehen hatte sie sich des Einbruchs und Hausfriedensbruchs schuldig gemacht. Darüber hinaus – und das wog schwerer – hatte sie gegen die Verfassung verstoßen und die Rechte eines Ratsmitglieds angetastet. Auf der Grundlage der strengen Gesetze, die seit den Tagen Indburs III. und des Maultiers alle Bürgermeister zur Rechenschaft verpflichteten, konnte sie zur Verantwortung gezogen werden.
Am heutigen Tag jedoch – vierundzwanzig Stunden lang – konnte sie gar nichts falsch machen.
Doch das würde vorübergehen. Sie vollführte nervöse Bewegungen.
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