Die Rückkehr zur Erde - Isaac Asimov - E-Book

Die Rückkehr zur Erde E-Book

Isaac Asimov

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Beschreibung

Die Suche nach der Erde geht weiter

Golan Trevize und Janov Pelorat sind bei ihrer Suche nach der sagenumwobenen Ursprungswelt der Menschheit auf dem Planeten Gaia gelandet, wo sie einige Hinweise entdecken. Die Spur führt nach Comporellon, eine Welt, die von sich behauptet, die älteste von Menschen besiedelte zu sein. Sie hoffen, in den umfangreichen historischen Aufzeichnungen dort Hinweise auf noch ältere Kolonien zu entdecken und sich so Schritt für Schritt der Erde zu nähern. Doch nicht alle Welten sind den Suchenden friedlich gesinnt …

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Das Buch

Golan Trevize, in Ungnade gefallener Ratsherr von Terminus, und der Historiker Janov Pelorat sind bei ihrer Suche nach der sagenumwobenen Ursprungswelt der Menschheit auf dem Planeten Gaia gelandet. Doch auch hier finden sie keinerlei Informationen zur Erde. Etwas – oder jemand – scheint alle Hinweise auf sie aus den Archiven gelöscht zu haben. Die Spur führt nach Comporellon, eine der am längsten von Menschen besiedelten Welt. Trevize und Pelorat hoffen, in den umfangreichen historischen Aufzeichnungen dort Hinweise auf noch ältere Kolonien zu entdecken und sich so Schritt für Schritt der Erde nähern zu können. Tatsächlich entdecken sie die Spacerwelten, uralte Kolonien der Menschheit, die der Erde nahe sein müssen – doch nicht alle Welten sind den Suchenden friedlich gesinnt …

Mit dem Foundation-Zyklus schuf Isaac Asimov das wohl bekannteste Werk der Science Fiction des 20. Jahrhunderts: eine umfangreiche Geschichte der Zukunft, die bis heute tief in das Nachdenken über die Entwicklung unserer Zivilisation hineinwirkt. Die Rückkehr zur Erde knüpft unmittelbar an Die Suche nach der Erde an und beschließt Asimovs große Future History.

»Wer immer sich an der nie endenden Diskussion über die Zukunft beteiligt, weiß, was wir Isaac Asimov zu verdanken haben.«

The New Yorker

Der Autor

Isaac Asimov zählt gemeinsam mit Arthur C. Clarke und Robert A. Heinlein zu den bedeutendsten SF-Autoren, die je gelebt haben. Er wurde 1920 in Petrowitsch, einem Vorort von Smolensk, in der Sowjetunion geboren. 1923 wanderten seine Eltern in die USA aus und ließen sich in New York nieder. Während seines Chemiestudiums an der Columbia University begann er, SF-Geschichten zu schreiben. Seine erste Story erschien im Juli 1939, und in den folgenden Jahren veröffentlichte er in rascher Folge die Erzählungen und Romane, die ihn weltberühmt machten. Neben der Science Fiction hat Asimov auch zahlreiche populärwissenschaftliche Sachbücher zu den unterschiedlichsten Themen geschrieben. Er starb im April 1992.

Mehr über Isaac Asimov und seine Romane auf:

ISAAC ASIMOV

DIERÜCKKEHRZUR ERDE

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

FOUNDATION AND EARTH

Deutsche Übersetzung von Heinz Nagel

Copyright © 1986 by Nightfall Inc.

Mit freundlicher Genehmigung der Erben des Autors

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung von shutterstock/romrf

Umsetzung E-Book: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN 978-3-641-14562-0

www.diezukunft.de

INHALT

VORWORT

Die Geschichte hinter der Foundation

ERSTER TEIL   GAIA

1.   Die Suche beginnt

2.   Nach Comporellon

ZWEITER TEIL   COMPORELLON

3.   An der Einreisestation

4.   Auf Comporellon

5.   Kampf um das Schiff

6.   Die Natur der Erde

7.   Abschied von Comporellon

DRITTER TEIL   AURORA

8.   Die Verbotene Welt

9.   Das Rudel

VIERTER TEIL   SOLARIA

10. Roboter

11. Im Untergrund

12. Zur Oberfläche

FÜNFTER TEIL   MELPOMENIA

13. Zur nächsten Welt

14. Der tote Planet

15. Moos

SECHSTER TEIL   ALPHA

16. Das Zentrum der Welten

17. Neu-Erde

18. Das Musikfest

SIEBENTER TEIL   ERDE

19. Radioaktiv?

20. Die Nahe Welt

21. Die Suche endet

Vorwort

Die Geschichte hinter der Foundation

Am 1. August 1941, als junger Mann von einundzwanzig Jahren, ich lehrte an der Columbia University Chemie und schrieb seit drei Jahren berufsmäßig Science Fiction, war ich in großer Eile zu John Campbell, dem Herausgeber von Astounding, unterwegs, dem ich bis zu diesem Zeitpunkt fünf Stories verkauft hatte. Es drängte mich danach, ihm eine neue Idee vorzutragen, die ich für eine Science-Fiction-Story hatte.

Meine Idee war, einen historischen Roman der Zukunft zu schreiben, die Geschichte des Niedergangs eines galaktischen Imperiums zu erzählen. Meine Begeisterung muss ansteckend gewesen sein, denn Campbell erregte der Gedanke ebenso wie mich. Er wollte nicht, dass ich nur eine Story schreiben sollte; er wollte eine Serie, in der die ganze Geschichte der tausend Jahre des Chaos zwischen dem Niedergang des ersten galaktischen Imperiums und dem Aufstieg des zweiten galaktischen Imperiums skizziert werden sollte. Das Ganze sollte durch die Wissenschaft der »Psychohistorik« aufgehellt werden, die Campbell und ich miteinander ausarbeiteten.

Die erste Geschichte erschien in der Maiausgabe des Jahres 1942 von Astounding, die zweite in der Juniausgabe 1942. Die Stories waren sofort populär, und Campbell sorgte dafür, dass ich sechs weitere schrieb, ehe das Jahrzehnt endete. Länger wurden die Geschichten auch. Die erste war nur zwölftausend Wörter lang, die beiden letzten der drei Stories umfassten je fünfzigtausend Wörter.

Als das Jahrzehnt um war, hatte ich die Lust an der Serie verloren, ließ sie fallen und wandte mich anderen Dingen zu. Um die Zeit freilich fingen verschiedene Verlagshäuser an, fest gebundene Science-Fiction-Bücher herauszubringen. Ein solches Haus war eine halbprofessionelle Firma: Gnome Press. Sie verlegten meine Foundation-Serie in drei Bänden: Foundation (1951), Foundation und Imperium (1952) und Die zweite Foundation (1953).1 Zusammen wurden die drei Bücher als die Foundation-Trilogie bekannt.

Die Bücher waren kein besonderer Erfolg, da Gnome Press nicht über die Mittel verfügte, um sie werblich entsprechend zu unterstützen. Ich bekam von ihnen weder Lizenzgebühren noch Abrechnungen.

Anfang 1961 teilte mir mein damaliger Herausgeber bei Doubleday, Timothy Seldes, mit, er hätte von einem ausländischen Verlag, der die Foundation-Bücher nachdrucken wolle, eine Anfrage erhalten. Da es sich nicht um Doubleday-Bücher handelte, gab er die Anfrage an mich weiter. Ich zuckte die Achseln. »Nicht interessiert, Tim. Ich bekomme für diese Bücher keine Lizenzen.«

Seldes war erschüttert und machte sich sofort daran, sich die Rechte an den Büchern von Gnome Press (die damals bereits im Sterben lagen) zu beschaffen, worauf diese im August jenes Jahres (zusammen mit Ich, der Roboter) Eigentum von Doubleday wurden.

Von diesem Augenblick an erklomm die Foundation-Serie die Erfolgsleiter und begann ständig wachsende Lizenzeinnahmen zu verdienen. Doubleday verlegte die Trilogie in einem einzigen Band und vertrieb sie durch den Science-Fiction-Buchklub. Dadurch wurde die Foundation-Serie enorm bekannt.

Bei der World Science Fiction Convention des Jahres 1966, die in Cleveland abgehalten wurde, forderte man die Fans auf, ihre Stimme über eine Kategorie der »besten Serien aller Zeiten« abzugeben. Das war das erste Mal (und bis jetzt auch das letzte Mal), dass diese Kategorie bei den Bewerbungen um den Hugo Gernsback Award, dem begehrtesten Preis auf dem Gebiet der Science Fiction, aufgenommen worden war. Die Foundation-Trilogie gewann den Preis, was weiter zur Popularität der Serie beitrug.

Immer wieder wurde ich von Lesern aufgefordert, die Serie fortzuführen. Ich war zwar höflich, blieb aber in meiner Ablehnung standhaft. Dennoch faszinierte es mich, dass Leute, die noch nicht auf der Welt gewesen waren, als die Serie ihren Anfang nahm, von ihr begeistert waren.

Doubleday freilich nahm diese Wünsche viel ernster als ich. Zwanzig Jahre lang hatten mir die Leute nachgegeben. Aber als die Wünsche an Eindringlichkeit und Zahl zunahmen, verlor der Verleger schließlich die Geduld. 1981 teilte er mir mit, dass ich einen weiteren Foundation-Roman schreiben müsse, und bot mir, um die Forderung entsprechend zu versüßen, einen Vertrag mit dem Zehnfachen meiner üblichen Vorauszahlung an.

Etwas nervös stimmte ich zu. Seit ich das letzte Mal eine Foundation-Story geschrieben hatte, waren zweiunddreißig Jahre vergangen, und diesmal hatte man mich angewiesen, eine von hundertvierzigtausend Wörtern zu schreiben, also den doppelten Umfang der früheren Bände und fast den dreifachen Umfang irgendeiner der vorangegangenen Einzelstories. Ich las die Foundation-Trilogie aufs Neue, atmete tief durch und stürzte mich auf die Aufgabe.

Das vierte Buch der Serie, Die Suche nach der Erde, wurde im Oktober 1982 veröffentlicht. Und dann geschah etwas sehr Seltsames: Es tauchte sofort auf der Bestsellerliste der New York Times auf. Tatsächlich blieb es sogar, zu meinem allergrößten Erstaunen, fünfundzwanzig Wochen auf dieser Liste. Mir war so etwas noch nie zuvor widerfahren.

Doubleday nahm mich sofort unter Vertrag, um weitere Romane zu schreiben. Und ich schrieb zwei, die einer anderen Serie angehörten, den Roboter-Romanen. – Und dann war es Zeit, zur Foundation zurückzukehren.

So schrieb ich Die Rückkehr zur Erde,einen Roman, der in dem Augenblick beginnt, in dem Die Suche nach der Erde endet. Und das ist das Buch, das Sie jetzt in der Hand halten. Es könnte vielleicht hilfreich sein, wenn Sie einen Blick in Die Suche nach der Erde werfen würden, um Ihr Gedächtnis aufzufrischen, aber notwendig ist es nicht. Die Rückkehr zur Erde steht auf eigenen Füßen. Ich hoffe, es macht Ihnen Spaß.

Isaac Asimov

New York City, 1986

1 In deutscher Sprache erstmals erschienen unter dem Titel Der Tausendjahresplan, Der galaktische General und Alle Wege führen nach Trantor. Die drei Romane sind zusammengefasst in dem Band Die Foundation-Trilogie.

ERSTER TEIL

GAIA

1.   Die Suche beginnt

1

»Warum hab ich es getan?«, fragte Golan Trevize.

Die Frage war nicht neu. Er hatte sie sich seit seinem Eintreffen auf Gaia häufig gestellt. Manchmal erwachte er in der angenehmen Kühle der Nacht aus tiefem Schlaf und fand die Frage vor, wie sie lautlos in seinem Bewusstsein klang, wie der Schlag einer winzigen Trommel: Warum hab ich es getan? Warum hab ich es getan?

Aber jetzt hatte er es das erste Mal geschafft, sie Dom, dem Alten von Gaia, zu stellen.

Dom war sich der Spannung, unter der Trevize stand, wohl bewusst, denn er konnte den Geist des Ratsherrn fühlen. Er gab keine Antwort auf die Frage. Gaia durfte niemals in irgendeiner Weise Trevizes Bewusstsein antasten, und die beste Art, dieser Versuchung gegenüber immun zu bleiben, war es, sorgfältig das, was er fühlte, zu ignorieren.

»Was getan, Trev?«, fragte er. Es fiel ihm schwer, mehr als eine Silbe zu benutzen, wenn er zu jemandem sprach, doch das war nicht wichtig. Trevize begann sich daran zu gewöhnen.

»Die Entscheidung, die ich getroffen habe«, sagte Trevize. »Die Entscheidung, Gaia als die Zukunft zu wählen.«

»Sie hatten recht, so zu handeln«, sagte Dom, der vor dem Mann von der Foundation saß und mit seinen uralten, tief liegenden Augen zu ihm aufblickte.

»Sie sagen,dass ich recht habe«, meinte Trevize ungeduldig.

»Ich/wir/Gaia wissen, dass es so ist. Das macht Ihren Wert für uns aus. Sie besitzen die Fähigkeit, aufgrund unvollständiger Daten die richtige Entscheidung zu treffen. Und Sie haben die Entscheidung getroffen. Sie haben Gaia gewählt! Sie haben die Anarchie eines Galaktischen Imperiums, das auf der Technologie der Ersten Foundation aufbaut, abgelehnt und ebenso die Anarchie eines Galaktischen Imperiums, das auf der Mentalik der Zweiten Foundation gegründet ist. Sie haben entschieden, dass keines von beiden lang stabil sein könnte. Also haben Sie Gaia gewählt.«

»Ja«, sagte Trevize. »Genau! Ich habe Gaia gewählt, einen Superorganismus; einen ganzen Planeten mit einem gemeinsamen Bewusstsein und einer gemeinsamen Persönlichkeit, sodass man ›ich/wir/Gaia‹ als Pronomen dafür erfinden muss, um das nicht Ausdrückbare auszudrücken.« Er schritt unruhig auf und ab. »Und am Ende wird Galaxia daraus werden, ein Super-Superorganismus, der den ganzen Sternenschwarm der Milchstraße umfasst.«

Er blieb stehen und drehte sich abrupt, beinahe brüsk zu Dom herum und sagte: »Ich fühle, dass ich recht habe, so wie Sie das fühlen. Aber Sie wollen,dass es zu Galaxia kommt, und sind deshalb mit der Entscheidung zufrieden. Aber in mir ist etwas, dass das nicht will, und aus diesem Grund kann ich nicht so ohne Weiteres hinnehmen, dass die Entscheidung richtig wäre. Ich will daher wissen, warum ich die Entscheidung getroffen habe. Ich möchte das abwägen und beurteilen können und damit zufrieden sein. Nur das Gefühl zu haben, dass sie richtig war, reicht nicht. Wie kann ich wissen,dass ich recht habe?«

»Ich/wir/Gaia wissen nicht, wie es dazu kam, dass Sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Ist es denn wichtig, das zu wissen, solange wir doch die Entscheidung haben?«

»Sie sprechen für den ganzen Planeten, nicht wahr? Für das gemeinsame Bewusstsein eines jeden Tautropfens, eines jeden Kieselsteins, ja sogar des glutflüssigen Kerns des Planeten?«

»Ja, das tue ich, und das kann jeder Teil des Planeten, in dem die Intensität des gemeinschaftlichen Bewusstseins groß genug ist.«

»Und all dieses gemeinschaftliche Bewusstsein ist damit zufrieden, mich als eine Black Box zu benutzen, einen geistlosen Mechanismus, von dem man nur weiß, dass er funktioniert? Ist es deshalb unwichtig, zu wissen, was sich in dieser Black Box befindet? – Mir passt das nicht. Es macht mir keinen Spaß, eine Black Box zu sein. Ich will wissen, was drinnen ist. Ich will wissen, wie und weshalb ich Gaia und Galaxia als die Zukunft gewählt habe, damit ich Ruhe und inneren Frieden finden kann.«

»Aber warum empfinden Sie für Ihre Entscheidung solche Abneigung und solches Misstrauen?«

Trevize atmete tief und sagte dann langsam, mit leiser und eindringlicher Stimme: »Weil ich nicht Teil eines Superorganismus sein möchte. Ich will kein jederzeit verzichtbares Teil sein, das man einfach entfernt, wenn der Superorganismus zu dem Schluss gelangt, dass es für das Wohl des Ganzen nützlich wäre, es zu entfernen.«

Dom sah Trevize nachdenklich an. »Wollen Sie denn dann Ihre Entscheidung ändern, Trev? Sie wissen, dass Sie das können.«

»Ich sehne mich danach, die Entscheidung zu ändern, aber ich kann das nicht nur deshalb tun, weil ich sie nicht mag. Um jetzt etwas zu tun, muss ich wissen,ob die Entscheidung falsch oder richtig ist. Es reicht einfach nicht aus, sie als richtig zu empfinden.«

»Wenn Sie die Empfindung haben, recht zu haben, haben Sie auch recht.« Und die ganze Zeit diese langsam sprechende, sanfte Stimme, die Trevize durch ihren Kontrast zu seinem inneren Aufruhr immer wilder machte.

Und dann sagte Trevize halb im Flüsterton, als könne er damit aus den unlösbaren Schranken zwischen Fühlen und Wissen ausbrechen: »Ich muss die Erde finden.«

»Weil sie etwas mit Ihrem leidenschaftlichen Bedürfnis, alles genau zu wissen, zu tun hat?«

»Weil sie ein weiteres Problem ist, das mich unerträglich quält, und weil ich fühle,dass es eine Verbindung zwischen den beiden gibt. Bin ich denn keine Black Box? Ich fühle,dass es eine Verbindung gibt. Reicht das für Sie nicht aus, um es als Tatsache zu akzeptieren?«

»Vielleicht«, sagte Dom gleichmütig.

»Auch wenn Tausende von Jahren – zwanzigtausend vielleicht – vergangen sind, seit die Menschen der Galaxis sich um die Erde gekümmert haben, wie kann es da möglich sein, dass wir alle den Planeten vergessen haben, auf dem unser Ursprung lag?«

»Zwanzigtausend Jahre ist länger, als Ihnen bewusst ist. Es gibt viele Aspekte des frühen Imperiums, von dem wir wenig wissen; viele Legenden, die fast sicher in den Bereich des Märchens gehören, die wir aber immer aufs Neue wiederholen und sogar glauben, weil wir nichts anderes an ihre Stelle setzen können. Und die Erde ist älter als das Imperium.«

»Aber es muss doch ganz sicher irgendwelche Aufzeichnungen geben. Mein guter Freund Pelorat sammelt Mythen und Legenden der frühen Erde; alles, was er aus irgendwelchen Quellen zusammentragen kann. Das ist sein Beruf und – noch wichtiger – sein Hobby. Aber jene Mythen und Legenden sind alles, was es gibt. Echte Aufzeichnungen gibt es nicht und auch keine Dokumente.«

»Dokumente, die zwanzigtausend Jahre alt sind? Die Dinge zerfallen, gehen unter, werden durch Ungeschicklichkeit oder Krieg vernichtet.«

»Aber es sollte Aufzeichnungen der Aufzeichnungen geben – Kopien, Kopien der Kopien und Kopien der Kopien der Kopien; nützliches Material, das viel jünger als zwanzig Millenien ist. Man hat sie entfernt. Die Galaktische Bibliothek in Trantor muss Dokumente besessen haben, die die Erde betreffen. In bekannten historischen Aufzeichnungen gibt es Hinweise auf jene Dokumente; aber die Dokumente selbst existieren nicht mehr in der Galaktischen Bibliothek. Die Hinweise auf sie mögen vielleicht existieren, aber keine Zitate daraus.«

»Sie sollten daran denken, dass Trantor vor ein paar Hundert Jahren geplündert worden ist.«

»Die Bibliothek ist dabei unberührt geblieben. Das Personal der Zweiten Foundation hat sie beschützt. Und dieses Personal hat in jüngster Zeit entdeckt, dass kein Material in Bezug auf die Erde mehr existiert. Das Material ist in letzter Zeit bewusst entfernt worden. Warum?« Trevize hörte auf, hin und her zu gehen, und sah Dom eindringlich an. »Wenn ich die Erde finde, werde ich auch finden, was sie verbirgt …«

»Verbirgt?«

»Ja, was sie verbirgt. Oder was verborgen wird. Und sobald ich das herausgefunden habe, werde ich auch wissen – das fühle ich –, weshalb ich Gaia oder Galaxia den Vorzug vor unserer Individualität gegeben habe. Und dann, so glaube ich, werde ich wissen – nicht nur fühlen –, dass ich recht habe. Und wenn ich recht habe«, er hob hilflos die Schultern, »dann möge es so sein.«

»Wenn Sie fühlen, dass es so ist«, sagte Dom, »und wenn Sie fühlen, dass Sie nach der Erde suchen müssen, dann werden wir Ihnen natürlich nach besten Kräften behilflich sein. Aber diese Hilfe ist beschränkt. So wissen ich/wir/Gaia beispielsweise nicht, wo die Erde sich in der ungeheuren Wildnis von Welten befinden mag, aus der die Galaxis besteht.«

»Trotzdem«, sagte Trevize, »ich muss suchen. Selbst wenn der endlose Staub der Sterne in der Galaxis die Suche hoffnungslos erscheinen lässt – und selbst wenn ich ganz allein suchen muss.«

2

Trevize war von der Zahmheit Gaias umgeben. Die Temperatur war wie stets behaglich, und die Luft bewegte sich angenehm; erfrischend, aber nicht kühl. Wolken zogen über den Himmel und bedeckten hie und da die Sonne. Und wenn an diesem oder jenen Ort der Wasserdampfgehalt pro Meter offener Landfläche hinreichend absank, dann würde es ohne Zweifel genug Regen geben, um wieder das normale Niveau herzustellen.

Die Bäume wuchsen in regelmäßigen Abständen, wie in einem Hain, und dies ohne Zweifel auf der ganzen Welt. Das Land und die See waren in der richtigen Zahl und der richtigen Vielfalt mit pflanzlichem und tierischem Leben versehen, um ein angemessenes ökologisches Gleichgewicht zu liefern. Und sie alle vermehrten oder verminderten sich ohne Zweifel in langsamem Wandel, sodass stets die angemessene Toleranz beiderseits der einmal als richtig erkannten optimalen Zahl erhalten blieb, so wie es bei der Zahl menschlicher Wesen auch der Fall war.

Von allen Gegenständen in Trevizes Gesichtskreis war der Einzige, der diese Harmonie störte, sein Schiff, die Far Star.

Das Schiff war von einer Anzahl der menschlichen Komponenten Gaias effizient und gut gesäubert und überholt worden. Man hatte seine Vorräte an Lebensmitteln und Getränken aufgefrischt, seine Einrichtung erneuert oder ersetzt und seine einwandfreie mechanische Funktion noch einmal überprüft. Trevize selbst hatte den Schiffscomputer sorgfältig überprüft.

Auch neuen Treibstoff brauchte das Schiff nicht, denn es war eines der wenigen gravitischen Schiffe der Foundation und bezog seine Energie aus dem allgemeinen Gravitationsfeld der Galaxis, und das reichte aus, um alle möglichen Flotten der Menschheit in all den Äonen ihrer wahrscheinlichen Existenz zu versorgen, ohne dass es zu einem messbaren Nachlassen seiner Intensität kommen würde. Vor drei Monaten noch war Trevize ein Ratsherr von Terminus gewesen; mit anderen Worten, er war ein Mitglied der gesetzgebenden Körperschaft der Foundation gewesen und somit ex officio einer der Großen der Galaxis. Lag das erst drei Monate zurück? Ihm schien es, als wäre die Hälfte seines zweiunddreißigjährigen Lebens verstrichen, seit das seine Position gewesen war und seit es seine einzige Sorge gewesen war, ob der große Seldon-Plan nun gültig war oder nicht; ob der glatte Aufstieg der Foundation von einem planetarischen Dorf zu galaktischer Größe im Voraus richtig geplant worden war oder nicht.

Und doch hatte sich in mancher Hinsicht nichts verändert. Er war immer noch ein Ratsherr. Sein Status und seine Privilegien blieben unverändert, nur dass er nicht damit rechnete, jemals nach Terminus zurückzukehren, um jenen Status und jene Privilegien zu beanspruchen. Er würde ebenso wenig in das ungeheure Chaos der Foundation passen wie in die kleine Ordentlichkeit von Gaia. Er war nirgendwo zu Hause, überall eine Waise.

Sein Kinn straffte sich, und er fuhr sich mit den Fingern zornig durch das schwarze Haar. Ehe er Zeit damit vergeudete, sein Schicksal zu bejammern, musste er die Erde finden. Wenn er die Suche überlebte, würde immer noch genug Zeit sein, sich hinzusetzen und zu flennen. Vielleicht würde er dann sogar einen besseren Grund dafür haben.

Und er fing an, entschlossen und hartnäckig zurückzudenken, sich zu erinnern …

Vor drei Monaten hatten er und Janov Pelorat, dieser fähige, naive Gelehrte, Terminus verlassen. Die Begeisterung des Antiquars hatte Pelorat getrieben, die längst vergessene Erde wiederzuentdecken, und Trevize war mitgereist, hatte Pelorats Ziel als Tarnung für das benutzt, was er selbst für das seine hielt. Sie fanden die Erde nicht, aber sie fanden Gaia, und dann hatte Trevize sich selbst unter dem Zwang gesehen, seine schicksalhafte Entscheidung zu treffen.

Und jetzt war er selbst es, Trevize, der sich herumgedreht, eine Kehrtwendung um 180 Grad vollführt hatte und die Erde suchte.

Was Pelorat anging, so hatte auch er etwas gefunden, was er nicht erwartet hatte. Er hatte Wonne gefunden, eine schwarzhaarige, dunkeläugige, junge Frau, die Gaia war, genauso wie Dom das war – und so wie es jedes Sandkorn und jeder Grashalm war. Pelorat hatte sich mit jener eigenartigen Glut der Lebensmitte in eine Frau verliebt, die nur die Hälfte seiner Jahre zählte, und die junge Frau schien seltsamerweise damit zufrieden.

Es war seltsam – aber Pelorat war ganz sicher glücklich, und Trevize dachte resigniert, dass jede Person ihr Glück auf ihre eigene Art finden müsse. Das war das Wesen der Individualität – Individualität, die Trevize aus eigener Wahl im Begriff war, überall in der Galaxis (mit genügend Zeit) abzuschaffen.

Der Schmerz kehrte zurück. Jene Entscheidung, die er getroffen hatte, die er hatte treffen müssen, fuhr fort, ihn ständig zu quälen und würde …

»Golan!« Die Stimme drängte sich in Trevizes Gedanken, und er blickte in Richtung zur Sonne auf, blinzelte.

»Ah, Janov«, sagte er herzlich – umso herzlicher, weil er nicht wollte, dass Pelorat erriet, wie säuerlich seine Gedanken im Augenblick waren. Er brachte sogar ein joviales »Wie ich sehe, haben Sie sich von Wonne losreißen können« zustande.

Pelorat schüttelte den Kopf. Die sanfte Brise zerzauste sein seidig weißes Haar, und sein langes, würdevolles Gesicht behielt dabei seine volle Länge und auch seine volle Würde. »Tatsächlich war sie es, alter Junge, die mir vorschlug, Sie aufzusuchen, wegen – wegen dem, was ich besprechen möchte. Nicht, dass ich Sie nicht auch aus freien Stücken hätte aufsuchen wollen, aber sie scheint schneller zu denken als ich.«

Trevize lächelte. »Ist schon recht, Janov. Sie sind hier, um sich zu verabschieden, nehme ich an.«

»Nun, eigentlich nicht. Tatsächlich ist es sogar eher das Gegenteil. Golan, als wir Terminus verließen, Sie und ich, drängte es mich, die Erde zu finden. Ich habe praktisch mein ganzes Leben als Erwachsener mit dieser Aufgabe verbracht.«

»Und ich werde sie weiterführen, Janov. Es ist jetzt meine Aufgabe.«

»Ja, aber die meine auch; immer noch die meine.«

»Aber …«, Trevize hob die Hand, es war eine vage, alles umfassende Geste, die die ganze Welt rings um sie einschloss.

»Ich möchte mitkommen«, drängte es aus Pelorat plötzlich in einem eindringlichen, keuchenden Satz hervor.

Trevize war verblüfft. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Janov. Sie haben jetzt Gaia.«

»Ich werde eines Tages zu Gaia zurückkehren, aber ich kann Sie nicht alleine gehen lassen.«

»Sicher können Sie das. Ich kann für mich selbst sorgen.«

»Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, Golan, aber Sie wissen nicht genug. Ich bin derjenige, der die Mythen und Legenden kennt. Ich kann Sie lenken.«

»Und Sie wollen Wonne verlassen? Jetzt kommen Sie!«

Eine schwache Röte überzog Pelorats Wangen. »Das will ich eigentlich nicht tun, alter Junge. Aber sie hat gesagt …«

Trevize runzelte die Stirn. »Dann will Wonne vielleicht Sie loswerden, Janov. Sie hat mir versprochen …«

»Nein, Sie verstehen mich nicht. Bitte hören Sie mir zu, Golan! Sie haben diese unangenehme, explosive Art, vorschnelle Schlüsse zu ziehen und einen nicht zu Ende anzuhören. Das ist Ihre Spezialität, das weiß ich, und ich scheine gewisse Schwierigkeiten damit zu haben, mich knapp auszudrücken, aber …«

»Nun«, sagte Trevize sanft, »wie wäre es, wenn Sie mir einfach sagten, was Wonne im Sinn hat, ich meine, wenn Sie es mir auf Ihre Art sagen. Ich verspreche Ihnen auch, dass ich sehr geduldig sein werde.«

»Danke. Und nachdem Sie geduldig sein wollen, glaube ich, kann ich es Ihnen auch gleich sagen. Sehen Sie, Wonne möchte nämlich auch mitkommen.«

»Wonne möchte mitkommen?«, sagte Trevize. »Nein, jetzt explodiere ich schon wieder. Ich werde nicht explodieren. Sagen Sie mir, Janov, warum sollte Wonne mitkommen wollen? Ich frage es auch ganz ruhig.«

»Das hat sie nicht gesagt. Sie hat gesagt, sie möchte mit Ihnen reden.«

»Warum ist sie dann nicht hier, wie?«

»Ich denke … ich denke,habe ich gesagt …«, meinte Pelorat, »sie meint wohl, dass Sie sie nicht mögen, Golan, deshalb zögert sie, Sie unmittelbar anzusprechen. Ich habe mir die größte Mühe gegeben, alter Junge, um ihr zu versichern, dass Sie nichts gegen sie haben. Ich kann einfach nicht glauben, dass man sie nicht mögen kann. Trotzdem, sie wollte, dass ich das Thema mit Ihnen sozusagen anreiße. Darf ich ihr sagen, dass Sie bereit wären, mit ihr zu sprechen?«

»Natürlich, sie kann mich sofort sprechen.«

»Und Sie werden vernünftig sein? Wissen Sie, sie hat da ziemlich ausgeprägte Vorstellungen. Sie sagte, die Angelegenheit sei von großer Wichtigkeit, und sie müsse einfach mit Ihnen gehen.«

»Warum das so ist, hat sie Ihnen nicht gesagt, oder?«

»Nein, aber wenn sie glaubt, dass sie muss, dann muss Gaia auch.«

»Was bedeutet, dass ich nicht Nein sagen darf. Stimmt das, Janov?«

»Ja, ich glaube, das dürfen Sie nicht, Golan.«

3

Zum ersten Mal in der kurzen Zeit seit seiner Ankunft auf Gaia betrat Trevize Wonnes Haus – in dem jetzt auch Pelorat wohnte.

Trevize sah sich kurz um. Die Häuser auf Gaia neigten zur Einfachheit, da es praktisch keine extremen Wetterschwankungen gab, die Temperaturen in dieser Breite praktisch stets mild waren und sich selbst die tektonischen Platten glatt verschoben, wenn sie sich überhaupt verschieben mussten. Es hatte wenig Sinn, Häuser zu bauen, die für besonderen Schutz bestimmt waren, oder auch nur, um eine behagliche Umgebung inmitten einer unbehaglichen zu erzeugen. Der ganze Planet war sozusagen ein Haus, dazu bestimmt, seinen Bewohnern Unterkunft zu bieten.

Das Haus Wonnes innerhalb jenes planetarischen Hauses war klein, die Fenster nur mit Gittern statt mit Glas versehen, und das Mobiliar spärlich und auf anmutige Art zweckmäßig. Die Wände zierten holografische Bilder; eines davon zeigte Pelorat, der ziemlich erstaunt und verlegen dreinblickte. Trevizes Lippen zuckten, aber er gab sich Mühe, seine Amüsiertheit zu verhehlen, und machte sich daran, seine Schärpe sorgfältig zurechtzuzupfen.

Wonne beobachtete ihn. Sie lächelte nicht auf ihre übliche Art. Vielmehr blickten ihn ihre schönen, dunklen Augen groß und ernst an, und das Haar fiel ihr in einer sanften schwarzen Woge bis auf die Schultern. Nur ihre vollen Lippen, auf die sie einen Hauch Rot aufgelegt hatte, verliehen ihrem Gesicht etwas Farbe.

»Ich danke Ihnen, dass Sie zu mir gekommen sind, Trev.«

»Janov hat seine Bitte sehr eindringlich vorgebracht, Ywonnobiarella.«

Wonne lächelte kurz. »Eine gute Antwort. Wenn Sie Wonne zu mir sagen wollen, anständig kurz, dann will ich mir Mühe geben, Ihren Namen voll auszusprechen, Trevize.« Sie stolperte kaum merkbar über die zweite Hälfte des Namens.

Trevize hob die Hand. »Das wäre eine gute Übereinkunft. Ich weiß, dass man auf Gaia dazu neigt, die Namen abzukürzen. Ich werde also ganz bestimmt nicht beleidigt sein, wenn Sie gelegentlich Trev zu mir sagen sollten. Trotzdem werde ich mich behaglicher fühlen, wenn Sie so oft wie möglich versuchen, Trevize zu sagen – und ich werde Wonne sagen.«

Trevize studierte sie, so wie er das immer tat, wenn er ihr begegnete. Als Individuum war sie eine junge Frau, Anfang Zwanzig. Als Teil Gaias freilich war sie Tausende von Jahren alt. In ihrem Aussehen machte das keinen Unterschied, aber in der Art und Weise, wie sie sprach, manchmal schon, in der Atmosphäre, die sie unweigerlich umgab. Wollte er wirklich, dass es für jeden Menschen im ganzen Universum so wurde? Nein! Ganz sicher nicht, und doch …

»Ich will zur Sache kommen«, sagte Wonne. »Sie haben betont, dass Sie den Wunsch haben, die Erde zu finden …«

»Ich habe mit Dom gesprochen«, sagte Trevize, der entschlossen war, Gaia nicht nachzugeben, ohne dabei immer wieder seinen eigenen Standpunkt hervorzuheben.

»Ja, aber indem Sie mit Dom gesprochen haben, haben Sie auch zu Gaia und jedem Teil davon gesprochen. So haben Sie auch zu mir gesprochen.«

»Haben Sie mich gehört?«

»Nein, weil ich nicht zugehört habe. Aber wenn ich nachher aufgepasst hätte, könnte ich mich an das erinnern, was Sie sagten. Bitte, akzeptieren Sie das und lassen Sie uns fortfahren. – Sie haben betont, wie wichtig es für Sie ist, die Erde zu finden. Ich kann diese Wichtigkeit nicht nachempfinden, aber Sie haben dieses eigentümliche Talent recht zu haben, und so müssen ich/wir/Gaia das, was Sie sagen, akzeptieren. Wenn diese Mission für Ihre Entscheidung bezüglich Gaias von so großer Bedeutung ist, dann ist sie von großer Bedeutung für Gaia, und dann muss Gaia sie begleiten, und wäre es nur, um zu versuchen, Sie zu beschützen.«

»Wenn Sie sagen, dass Gaia mit mir gehen muss, dann meinen Sie, Sie müssen mit mir gehen. Habe ich recht?«

»Ich bin Gaia«, sagte Wonne einfach.

»Aber das gilt auch für alles andere auf und in diesem Planeten. Warum also Sie? Warum nicht ein anderer Teil Gaias?«

»Weil Pel den Wunsch hat, mit Ihnen zu gehen, und wenn er mitgeht, wäre er mit keinem anderen Teil Gaias als mir glücklich.«

Pelorat, der ziemlich unauffällig auf einem Stuhl in einer anderen Ecke (sodass er seinem eigenen Bild den Rücken zuwandte) saß, sagte leise: »Das ist richtig, Golan. Wonne ist mein Teil Gaias.«

Plötzlich lächelte Wonne. »Es ist recht aufregend, wenn jemand so von einem denkt. Es ist natürlich auch sehr fremdartig.«

»Nun, wir wollen sehen.« Trevize verschränkte die Hände hinter dem Kopf und begann sich in seinem Stuhl nach hinten zu lehnen. Dabei ächzten die dünnen Beine, sodass er schnell entschied, dass der Stuhl für dieses Spiel nicht kräftig genug gebaut war, und ihn wieder auf alle vier Füße setzte. »Werden Sie immer noch ein Teil Gaias sein, wenn Sie sie verlassen?«

»Das brauche ich nicht. Ich kann mich isolieren, beispielsweise dann, wenn der Verdacht besteht, dass ich in Gefahr bin, ernsthaften Schaden zu erleiden. In dem Fall kann ich verhindern, dass der Schaden nach Gaia übergreift. Aber das trifft nur in ganz wichtigen Fällen zu. Im Allgemeinen werde ich ein Teil Gaias bleiben.«

»Selbst wenn wir durch den Hyperraum springen?«

»Selbst dann, obwohl das die Dinge etwas verkompliziert.«

»Irgendwie wirkt das beunruhigend auf mich.«

»Weshalb?«

Trevize rümpfte die Nase, so wie man das gewöhnlich tut, wenn einem ein Geruch nicht behagt. »Das bedeutet, dass alles, was auf meinem Schiff gesagt und getan wird und das Sie hören und sehen, von ganz Gaia gehört und gesehen werden wird.«

»Ich bin Gaia, also wird Gaia, das, was ich sehe, höre und empfinde, ebenfalls sehen, hören und empfinden.«

»Genau. Selbst jene Wand wird sehen, hören und empfinden.«

Wonne sah die Wand an, auf die er deutete und zuckte die Achseln. »Ja, jene Wand auch. Sie besitzt nur ein winziges Bewusstsein, sodass ihr Empfinden und Verstehen nur winzig ist, aber ich nehme an, dass es beispielsweise auf das, was wir jetzt sagen, gewisse subatomare Verlagerungen gibt, die sie befähigen, sich zielgerichteter zum Nutzen des Ganzen in Gaia einzufügen.«

»Aber was ist, wenn ich für mich allein sein möchte? Vielleicht mag ich es nicht, wenn die Wand das wahrnimmt, was ich sage oder tue.«

Wonne hob verzweifelt die Brauen, und Pelorat schaltete sich plötzlich ein. »Wissen Sie, Golan, ich will mich ja nicht einmischen, da ich ja ganz offensichtlich nicht sehr viel über Gaia weiß. Aber ich bin immerhin mit Wonne zusammen gewesen und habe daher einiges von alldem in mich aufgenommen. Wenn Sie auf Terminus durch eine Menschenmenge gehen, hören und sehen Sie viele Dinge und erinnern sich vielleicht auch an einiges davon. Unter entsprechender cerebraler Stimulation könnten Sie vielleicht sogar imstande sein, sich an alles das zu erinnern, aber größtenteils ist es Ihnen gleichgültig. Sie lassen es einfach an sich vorbeirauschen. Selbst wenn Sie irgendeine gefühlsbetonte Szene zwischen Fremden beobachten und selbst wenn Sie sich dafür interessieren; Sie lassen das trotzdem, wenn es Sie nicht sehr betrifft, an sich vorbeigehen – Sie vergessen sie. Auf Gaia muss es auch so sein. Selbst wenn ganz Gaia alles, was Sie betrifft, auf die intimste Weise kennt, bedeutet das nicht, dass Gaia notwendigerweise daran Anteil nimmt. Ist das nicht so, Wonne, meine Liebste?«

»Ich habe nie so darüber nachgedacht, Pel, aber an dem, was du sagst, ist etwas. Trotzdem, dieses Alleineseinwollen, wovon Trev spricht – ich meine, Trevize –, ist etwas, worauf wir nicht den geringsten Wert legen. Tatsächlich finden ich/wir/Gaia es unbegreiflich. Nicht Teil sein zu wollen – seine Stimme nicht hören zu lassen – keine Zeugen dessen zu haben, was man tut – Gedanken zu haben, die kein anderer fühlt …« Wonne schüttelte heftig den Kopf. »Ich sagte, dass wir uns in Fällen von Gefahr abblocken können, aber wer würde denn so leben wollen, und sei es nur für eine Stunde?«

»Ich würde das«, sagte Trevize. »Deshalb muss ich die Erde finden – den einen bestimmenden Grund, wenn es einen solchen gibt, der mich dazu getrieben hat, für die Menschheit dieses schreckliche Schicksal auszuwählen.«

»Es ist kein schreckliches Schicksal, aber wir wollen nicht darüber debattieren. Ich werde mit Ihnen kommen, nicht als Spion, sondern als Freund und Beschützer. Gaia wird bei Ihnen sein, nicht als Spion, sondern als Freund und Beschützer.«

Trevize sagte ernst: »Gaia könnte mir am besten helfen, indem sie mir den Weg zur Erde weist.«

Wonne schüttelte langsam den Kopf. »Gaia kennt die Position der Erde nicht. Das hat Dom Ihnen bereits gesagt.«

»Das glaube ich nicht ganz. Sie müssen doch Aufzeichnungen haben. Warum habe ich diese Aufzeichnungen während meines Aufenthalts hier nicht zu Gesicht bekommen? Selbst wenn Gaia wirklich nicht weiß, wo die Erde sein könnte, dann könnte ich vielleicht diesen Aufzeichnungen doch irgendwelche Hinweise entnehmen. Ich kenne die Galaxis in vielen Einzelheiten, ohne Zweifel viel besser als Gaia. Ich könnte in Ihren Aufzeichnungen vielleicht Andeutungen finden und begreifen, die Gaia möglicherweise verschlossen bleiben.«

»Aber was sind das denn für Aufzeichnungen, von denen Sie sprechen, Trevize?«

»Irgendwelche Aufzeichnungen. Bücher, Filme, Bänder, Holografien, Artefakte, was auch immer Sie haben. In der Zeit, die ich jetzt hier war, habe ich keinen einzigen Gegenstand zu Gesicht bekommen, den ich irgendwie als Aufzeichnung betrachten würde – Sie etwa, Janov?«

»Nein«, sagte Pelorat zögernd, »aber ich habe auch nicht danach gesucht.«

»Ich aber schon, auf meine stille Art«, sagte Trevize, »und ich habe nichts gesehen. Nichts! Ich kann nur vermuten, dass man diese Aufzeichnungen vor mir versteckt. Ich frage mich nur, weshalb? Würden Sie mir das sagen?«

Die glatte, junge Stirn Wonnes runzelte sich verblüfft. »Warum haben Sie diese Frage nicht schon früher gestellt? Ich/wir/Gaia verbergen nichts und lügen auch nicht. Ein Isolat – das ist ein Individuum, das sich isoliert hat – könnte lügen. Er ist begrenzt, und weil er begrenzt ist, ist er ängstlich. Gaia andererseits ist ein planetarischer Organismus mit großen mentalen Fähigkeiten und kennt daher keine Furcht. Für Gaia ist es völlig unnötig zu lügen oder Beschreibungen zu schaffen, die von der Realität abweichen.«

Trevise schnaubte. »Warum hat man mich dann sorgfältig davon abgehalten, irgendwelche Aufzeichnungen zu sehen? Nennen Sie mir einen Grund, der Sinn macht.«

»Natürlich.« Sie streckte beide Hände aus, sodass die Handflächen nach oben wiesen. »Wir haben keinerlei Aufzeichnungen.«

4

Pelorat erholte sich als Erster von dem Schock. Er schien weniger verblüfft als Trevize.

»Meine Liebe«, sagte er sanft, »das ist völlig unmöglich. Ohne Aufzeichnungen irgendeiner Art gibt es keine vernünftige Zivilisation.«

Wonne hob die Brauen. »Das verstehe ich. Ich meine lediglich, dass wir keine Aufzeichnungen von der Art haben, die Trev – Trevize – meint. Und deshalb konnte er auch keine finden. Ich/wir/Gaia haben keine Schriften, keine Drucke, keine Filme, keine Computerdatenbänke, nichts. Wir haben, was das betrifft, nicht einmal in Stein gehauene Ornamente. Das ist alles, was ich sage. Natürlich hat Trevize von alldem nichts gefunden, da wir davon nichts haben.«

»Was haben Sie dann?«, fragte Trevize, »wenn Sie keine Aufzeichnungen besitzen, die ich als Aufzeichnungen erkennen würde?«

Und Wonne sagte, als würde sie zu einem Kind sprechen, jede Silbe sorgfältig betonend: »Ich/wir/Gaia haben ein Gedächtnis. Ich erinnere mich.«

»Woran erinnern Sie sich?«, fragte Trevize.

»An alles.«

»Sie erinnern sich an alle Referenzdaten?«

»Sicherlich.«

»Auf wie lange? Wie viele Jahre reicht diese Erinnerung in die Vergangenheit?«

»Unbestimmte Zeit.«

»Sie könnten mir historische Daten, biografische, geografische, wissenschaftliche Daten geben? Selbst den lokalen Klatsch wiedergeben?«

»Alles.«

»Und alles in dem kleinen Kopf«, meinte Trevize und deutete grinsend auf Wonnes rechte Schläfe.

»Nein«, sagte sie. »Gaias Erinnerungen beschränken sich nicht auf den Inhalt meines Schädels. Sehen Sie [einen Augenblick lang wurde sie formell und sogar etwas streng, da sie aufhörte, nur Wonne zu sein, und einen Zusammenschluss weiterer Einheiten vertrat], es muss einmal eine Zeit gegeben haben, vor dem Anfang der Geschichte, als die menschlichen Wesen so primitiv waren, dass sie, obwohl sie sich an Ereignisse erinnern konnten, nicht sprechen konnten. Die Sprache wurde erfunden und diente dazu, Erinnerungen auszudrücken und sie von Person zu Person weiterzugeben. Schließlich erfand man die Schrift, um Erinnerungen aufzuzeichnen und sie über die Zeit hinweg von Generation zu Generation weiterzugeben. Seit damals haben alle technischen Fortschritte dazu gedient, mehr Platz für die Übertragung und die Speicherung von Erinnerungen zu schaffen und es einfacher zu machen, gewünschte Dinge abzurufen. Aber als sich die Individuen zusammenschlossen, um Gaia zu bilden, war das mit einem Mal alles überholt. Wir konnten zum Gedächtnis zurückkehren, jenem grundlegenden System, Aufzeichnungen aufzubewahren, auf dem alles andere aufbaut. Verstehen Sie das?«

»Wollen Sie sagen, dass die totale Summe aller Gehirne auf Gaia wesentlich mehr Daten als ein einzelnes Gehirn bewahren kann?«, fragte Trevize.

»Natürlich.«

»Aber wenn Gaia alle Aufzeichnungen in dem planetarischen Gedächtnis verbreitet hat, was nützt das dann Ihnen als einem individuellen Teil Gaias?«

»So viel man sich wünschen kann. Was auch immer ich zu wissen wünschen könnte, befindet sich irgendwo in einem individuellen Bewusstsein, vielleicht auch in mehreren davon. Wenn es sich um etwas sehr Grundlegendes handelt, wie zum Beispiel die Bedeutung des Wortes ›Stuhl‹, dann ist das in jedem Bewusstsein. Aber wenn es etwas Esoterisches ist, das sich nur in einem kleinen Teil von Gaias Bewusstsein befindet, dann kann ich es abrufen, wenn ich es brauche, wenn auch ein solcher Abruf etwas mehr Zeit beanspruchen kann, als wenn die Erinnerung weit verbreitet wäre. Schauen Sie, Trevize, wenn Sie etwas wissen wollen, das nicht in Ihrem Bewusstsein ist, dann sehen Sie in irgendeinem geeigneten Buchfilm nach, oder Sie benutzen die Datenbänke eines Computers. Ich kann Gaias totales Bewusstsein absuchen.«

»Und wie verhindern Sie, dass all die Information sich in Ihr Bewusstsein ergießt und Ihren Schädel zum Platzen bringt?«, wollte Trevize wissen.

»Lassen Sie jetzt Ihrer sarkastischen Ader freien Lauf, Trevize?«

Und Pelorat meinte: »Kommen Sie, Golan, werden Sie nicht unangenehm!«

Trevizes Blick wanderte zwischen den beiden hin und her, und er gab sich Mühe, die Spannung in seinem Gesicht zu lösen. »Es tut mir leid. Ich spüre die Last einer Verantwortung, die ich mir nicht wünsche, und ich weiß nicht, wie ich sie loswerden soll. Mag sein, dass es manchmal unangenehm klingt, was ich sage, auch wenn ich das gar nicht will. Wonne, ich will es wirklich wissen. Wie zapfen Sie den Gehirninhalt anderer an, ohne das, was Sie aufnehmen, in Ihrem eigenen Gehirn abzulagern und damit seine Kapazität zu überlasten?«

»Ich weiß es nicht, Trevize«, sagte Wonne. »Ebenso wenig wie Sie wissen, wie Ihr eigenes Gehirn im Detail funktioniert. Ich nehme an, dass Sie die Entfernung von Ihrer Sonne zu irgendeinem benachbarten Stern kennen. Bewusst sind Sie sich dessen nicht immer. Sie lagern das irgendwo ab und können die Zahl jederzeit auffinden, wenn man Sie fragt. Wenn man Sie nicht fragt, könnte es sein, dass Sie sie mit der Zeit vergessen, aber dann können Sie sie immer wieder aus irgendeiner Datenbank abrufen. Wenn Sie das Gehirn Gaias als eine riesige Datenbank ansehen, ist das eine, die mir zugänglich ist, aber es besteht für mich keine Notwendigkeit, mir bewusst irgendwelche Dinge zu merken, die ich einmal genutzt habe. Sobald ich einmal eine Tatsache benutzt habe, kann ich zulassen, dass sie wieder aus meinem Gedächtnis verschwindet. Was das angeht, so kann ich sie auch bewusst sozusagen wieder an den Ort zurücktun, von dem ich sie geholt habe.«

»Wie viele Leute gibt es auf Gaia, Wonne? Wie viele menschliche Wesen?«

»Etwa eine Milliarde. Wollen sie die genaue aktuelle Zahl?«

Trevize lächelte bedrückt. »Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie die exakte Zahl beschaffen können, wenn Sie das wünschen, aber ein Näherungswert genügt mir.«

»Tatsächlich«, sagte Wonne, »ist die Bevölkerung stabil und schwankt um eine bestimmte Zahl, die knapp oberhalb einer Milliarde liegt. Um wie viel die Zahl über oder unterhalb des Durchschnitts liegt, kann ich Ihnen sagen, indem ich mein Bewusstsein ausdehne und – nun, sagen wir – die Grenzen fühle. Jemandem, der diese Wahrnehmung noch nie empfunden hat, kann ich es nicht besser erklären.«

»Mir scheint aber, dass eine Milliarde menschlicher Gehirne – darunter eine ganze Anzahl von Kindern – ganz sicherlich nicht ausreichen, um alle Daten im Gedächtnis zu behalten, wie sie eine komplexe Gesellschaft benötigt.«

»Aber menschliche Wesen sind nicht die einzigen Lebewesen auf Gaia, Trev.«

»Meinen Sie damit, dass die Tiere sich auch erinnern?«

»Nichtmenschliche Gehirne können Erinnerungen nicht mit der gleichen Dichte wie das menschliche Gehirn speichern, und ein Großteil des Platzes in allen Gehirnen, ob menschlich oder nichtmenschlich, muss persönlichen Erinnerungen überlassen sein, die nur selten nützlich sind, mit Ausnahme der einzelnen Komponente des planetarischen Bewusstseins, die sie beherbergt. Andererseits können signifikante Mengen von Daten in tierischen Gehirnen und auch im Pflanzengewebe und auch in der Mineralstruktur des Planeten gespeichert werden und werden das auch.«

»In der Mineralstruktur? Den Felsen und Bergketten meinen Sie?«

»Und dem Ozean und der Atmosphäre, wenigstens in Bezug auf manche Daten. Auch das alles ist Gaia.«

»Aber was können denn nichtlebende Systeme halten?«

»Eine ganze Menge. Die Intensität ist gering. Aber das Volumen ist so groß, dass ein großer Teil der totalen Erinnerung Gaias in ihren Felsen ruht. Es dauert ein wenig länger, Felserinnerungen aufzufinden und wieder an ihrem Platz zu verwahren, also nutzt man diesen Ort vorzugsweise, um tote Daten zu speichern – Dinge, die normalerweise nur sehr selten abgerufen werden.«

»Was geschieht dann, wenn jemand stirbt, dessen Gehirn Daten von beträchtlichem Wert gespeichert hat?«

»Diese Daten gehen nicht verloren. Sie werden langsam hinausgedrängt, wenn das Gehirn sich nach dem Tode desorganisiert. Aber es steht genügend Zeit zur Verfügung, um die Erinnerung auf andere Teile Gaias zu verteilen. In dem Maße, wie in Babys neue Gehirne auftauchen und im Laufe des Wachstums organisierter werden, entwickeln sie nicht nur ihre persönlichen Erinnerungen und Gedanken, sondern werden auch von anderen Quellen mit passendem Wissen gefüttert. Was Sie Erziehung nennen würden, ist bei mir/uns/Gaia etwas völlig Automatisches.«

Pelorat meinte: »Offen gestanden, Golan, mir scheint, diese Idee einer lebenden Welt hat eine ganze Menge für sich.«

Trevize warf seinem Landsmann von der Foundation einen kurzen Seitenblick zu. »Ganz sicher ist das so, Janov, aber ich bin nicht beeindruckt. Der Planet, so groß er auch ist und so vielfältig, repräsentiert ein Gehirn. Eins! Jedes neue Gehirn, das sich entwickelt, wird mit dem Ganzen verschmolzen. Wo ist da Gelegenheit zur Opposition, zum Widerspruch? Wenn man an die Geschichte der Menschheit denkt, denkt man an die einzelnen menschlichen Wesen, deren Minderheitsansicht vielleicht von der Gesellschaft verdammt wurde, die aber am Ende doch den Sieg davontrug und die Welt verändert hat. Welche Chance gibt es denn hier auf Gaia für die großen Revolutionäre der Geschichte?«

»Es gibt inneren Konflikt«, sagte Wonne. »Es ist nicht so, dass jeder Aspekt Gaias notwendigerweise die allgemeine Ansicht akzeptieren würde.«

»Aber das muss beschränkt sein«, sagte Trevize. »Man kann in einem einzigen Organismus nicht zu viel Aufruhr haben, sonst würde er nicht richtig funktionieren. Wenn Fortschritt und Weiterentwicklung schon nicht ganz zum Stillstand gebracht werden, dann muss man sie doch ganz sicher verlangsamen. Können wir das Risiko eingehen, so etwas der ganzen Galaxis aufzuzwingen? Der ganzen Menschheit?«

»Stellen Sie jetzt Ihre eigene Entscheidung infrage?«, fragte Wonne, ohne irgendwelche Gefühle zu zeigen. »Sind Sie dabei, Ihre Meinung zu ändern, und sagen Sie jetzt, Gaia sei eine unerwünschte Zukunft für die Menschheit?«

Trevize presste die Lippen zusammen; er zögerte. Dann sagte er langsam: »Das würde ich gern, aber – jetzt noch nicht. Ich habe meine Entscheidung auf irgendeiner Grundlage getroffen – einer Grundlage, die mir nicht bewusst ist. Und bis ich herausgefunden habe, was das für eine Grundlage war, kann ich nicht wahrhaft entscheiden, ob ich diese Entscheidung beibehalten oder ändern soll. Wenden wir uns also wieder der Erde zu.«

»Wo Sie Ihrem Gefühl nach die Grundlage Ihrer Entscheidung erfahren werden. Ist es das, Trevize?«

»Das ist mein Gefühl. Nun sagt Dom, Gaia wüsste die Position der Erde nicht. Und Sie stimmen darin, wie ich glaube, mit ihm überein.«

»Natürlich stimme ich mit ihm überein. Ich bin nicht weniger Gaia als er.«

»Und halten Sie Wissen vor mir zurück? – Bewusst, meine ich?«

»Natürlich nicht. Selbst wenn es Gaia möglich wäre, zu lügen, würden sie Sie nicht belügen. Wir sind ja von Ihren Schlüssen abhängig, und deshalb ist es für uns notwendig, dass sie genau sind, und das wiederum erfordert, dass sie auf der Realität beruhen.«

»In dem Fall«, sagte Trevize, »wollen wir Ihr Weltgedächtnis nutzen. Sondieren Sie in die Vergangenheit zurück, und sagen Sie mir, wie weit zurück Sie sich erinnern können.«

Ein kurzes Zögern. Wonne sah Trevize ausdruckslos an, als befände sie sich einen Augenblick lang in Trance. Dann sagte sie: »Fünfzehntausend Jahre.«

»Warum haben Sie gezögert?«

»Es hat Zeit in Anspruch genommen. Alte Erinnerungen – wirklich alte – liegen fast ausnahmslos im Herzen der Berge, und es nimmt Zeit in Anspruch, sie auszugraben.«

»Fünfzehntausend Jahre also? Ist das der Zeitpunkt, an dem Gaia besiedelt wurde?«

»Nein, nach unserem Wissen geschah das etwa dreitausend Jahre früher.«

»Warum sind Sie unsicher? Können Sie – oder Gaia – sich nicht erinnern?«

Wonne antwortete darauf: »Das war, ehe Gaia sich bis zu dem Punkt entwickelt hatte, wo das Gedächtnis zu einem globalen Phänomen wurde.«

»Aber Gaia muss doch ganz sicher, ehe sie sich auf ihr Kollektivgedächtnis verlassen konnte, Aufzeichnungen geführt haben. Aufzeichnungen im üblichen Sinne – geschrieben, gefilmt, auf Band und so weiter.«

»Das kann ich mir wohl vorstellen, aber solche Aufzeichnungen hätten doch unmöglich all die Zeit überstanden.«

»Man hätte sie kopieren oder, noch besser, in das globale Gedächtnis übertragen können, sobald dieses entwickelt war.«

Wonne runzelte die Stirn. Diesmal dauerte ihr Zögern länger. »Ich finde keine Spur dieser früheren Aufzeichnungen, von denen Sie sprechen.«

»Warum ist das so?«

»Das weiß ich nicht, Trevize. Ich nehme an, dass sie sich als unwichtig erwiesen hatten. Ich kann mir vorstellen, dass man zu der Zeit, als man erkannte, dass die früheren ›Nicht-Gedächtnis‹-Aufzeichnungen im Begriff waren, sich aufzulösen, entschied, dass sie archaisch geworden waren und nicht mehr gebraucht wurden.«

»Das wissen Sie aber nicht, Sie vermuten es und stellen es sich vor, wissen es aber nicht. Gaia weiß das nicht.«

Wonne senkte den Blick. »Es muss so sein.«

»Muss es? Ich bin kein Teil Gaias und brauche deshalb nicht das zu vermuten, was Gaia vermutet – und das ist ein Beispiel für Sie, welche Bedeutung die Isolierung hat. Ich als ein Isolat vermute etwas anderes.«

»Was vermuten Sie?«

»Zuallererst ist da etwas, dessen ich sicher bin. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass eine Zivilisation ihre frühen Aufzeichnungen vernichtet. Sie wird weit davon entfernt sein, sie für archaisch und unnötig zu halten. Sie wird sie viel eher mit übertriebener Hochachtung behandeln und sich die größte Mühe geben, sie zu bewahren. Wenn Gaias präglobale Aufzeichnungen zerstört wurden, Wonne, dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass diese Zerstörung freiwillig erfolgte.«

»Wie würden Sie es dann erklären?«

»In der Bibliothek von Trantor hat jemand oder jedenfalls irgendeine andere Macht als die Zweite Foundation von Trantor selbst alle Hinweise auf die Erde entfernt. Ist es denn dann nicht möglich, dass auch auf Gaia jemand anderer als Gaia selbst alle Hinweise auf die Erde entfernt hat?«

»Woher wissen Sie denn, dass diese frühen Aufzeichnungen die Erde betrafen?«

»Nach dem, was Sie mir gesagt haben, ist Gaia vor wenigstens achtzehntausend Jahren gegründet worden. Das führt uns in die Periode vor der Errichtung des Galaktischen Imperiums zurück, in die Periode, wo die Galaxis besiedelt wurde. Und jene Leute, die die Galaxis besiedelten, kamen von der Erde. Pelorat wird das bestätigen.«

Pelorat, sichtlich etwas überrascht, plötzlich aufgerufen zu werden, räusperte sich. »So lauten die Legenden, meine Liebe. Ich nehme diese Legenden ernst und denke ebenso wie Golan Trevize, dass die menschliche Spezies ursprünglich auf einen einzigen Planeten beschränkt war und dass jener Planet die Erde war. Die ersten Siedler kamen von der Erde.«

»Wenn aber Gaia in der Frühzeit der Hyperraumfahrt gegründet wurde«, sagte Trevize, »dann ist sie sehr wahrscheinlich von Erdenmenschen besiedelt worden oder möglicherweise von Eingeborenen einer nicht sehr alten Welt, die nicht lange zuvor von Erdenmenschen kolonisiert worden war. Aus diesem Grunde müssen die Aufzeichnungen über die Besiedlung Gaias und die über die ersten paar Tausend Jahre nachher eindeutig Hinweise auf die Erde und auf Erdenmenschen enthalten haben. Und diese Aufzeichnungen sind jetzt verschwunden. Irgendetwas scheint dafür zu sorgen, dass die Erde nirgends in den Aufzeichnungen der Galaxis erwähnt wird. Und wenn das so ist, dann muss es irgendeinen Grund dafür geben.«

Wonne meinte etwas indigniert: »Das ist nur eine Annahme, Trevize. Sie haben keine Beweise dafür.«

»Aber Gaia besteht doch darauf, dass mein spezielles Talent darin besteht, auf der Grundlage unzureichender Beweise die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn ich daher einen solchen festen Schluss ziehe, dann sollten Sie mir nicht sagen, dass mir die Beweise dafür fehlen.«

Wonne blieb stumm.

Und Trevize fuhr fort: »Ein Grund mehr also, die Erde zu finden. Ich beabsichtige abzureisen, sobald die Far Star bereit ist. Wollt ihr beide immer noch mitkommen?«

»Ja«, sagte Wonne sofort, und »Ja« sagte auch Pelorat.

2.   Nach Comporellon

5

Dünner Regen fiel. Trevize blickte zum Himmel auf, der von gleichmäßig grauweißer Farbe war. Er trug einen Regenhut, der die Tropfen abstieß und sie nach allen Richtungen von seinem Körper wegfliegen ließ. Pelorat, der außer Reichweite der fliegenden Tropfen stand, hatte keinen solchen Schutz.

»Ich verstehe nicht, warum Sie sich so nass regnen lassen, Janov«, meinte Trevize.

»Die Nässe stört mich nicht, alter Junge«, sagte Pelorat und blickte dabei so würdig, wie er es immer tat. »Es ist ein leichter, warmer Regen. Und fast kein Wind. Und außerdem, um das alte Sprichwort zu zitieren: Man soll in Anacreon tun, was die Anacreonten tun.« Er deutete auf die paar Gaianer, die bei der

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