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Christof Dörr

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Beschreibung

Ein Blick hinter die Kulissen deutscher Castingshows

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Seitenzahl: 331

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Christof Dörr

Die Superstar Industrie

Ein Blick hinter die Kulissen deutscher Castingshows

Contents

Vorwort

1. Kapitel

ALEXANDER KLAWS

2. Kapitel

JUDITH LEFEBER

3. Kapitel

BARBARA STOECKER

4. Kapitel

DOROTHEA PROSCHKO

5. Kapitel

THOMAS STEIN

6. Kapitel

MATHIAS ALBERT

7. Kapitel

ALLAN GARNELIS

Nachwort

Der Autor

Landmarks

Cover

Table of Contents

Dörr, Christof: Die Superstar Industrie. Ein Blick hinter die Kulissen deutscher Castingshows. Hamburg, Charles Verlag 2021

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-948486-56-3

Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ISBN: 978-3-948486-54-9

Lektorat: Bianca Weirauch, WeidaUmschlaggestaltung: © Annelie Lamers, HamburgUmschlagmotiv: © nagaets/stock.adobe.com; designed by ­vectorpocket/freepik.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der Charles Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH,Hermannstal 119k, 22119 Hamburg

_______________________________

© Charles Verlag, Hamburg 2021

Alle Rechte vorbehalten.

www.charlesverlag.de

Dieses Buch widme ich

meinen Töchtern Carlotta und Matilda,

die gerade anfangen, sich für Castingshows zu interessieren.

Sie mögen es nicht, wenn Heidi Klum ihre ­Entscheidungen scheinbar endlos lang hinauszögert

und wenn Dieter Bohlen die Kandidaten unfair behandelt.

Noch haben sie kein Interesse daran,

mal selber an einer Castingshow teilzunehmen.

Noch ….

»We Have A Dream«

Deutschland sucht den Superstar (2003)

We have a dream – music is our life

We have a hope – music will survive

We’ll take the chance – we had it all

We feel like heroes – we’re standing tall

»Leider interessieren sich die Zuschauer nur für Skandale, Tränen und Probleme, sodass sich immer wieder etwas Neues ausgedacht wird, um Einschaltquoten zu bekommen, aber dabei werden die Teilnehmer und teilweise deren Zukunft zerstört. Ich werde nichts ändern können, aber ich kann nicht verstehen, wie die Menschen, die dahinterstecken, noch ruhig schlafen können und kein schlechtes Gewissen haben.«

(16-jährige DSDS-Kandidatin 2004, Rückmeldung an das Produktionsteam)

Vorwort

Es war der Schock-Moment der 15. Staffel von Germany’s Next Topmodel. Im Finale stieg Kandidatin Lijana Kaggwa plötzlich aus. Sie warf Heidi Klum sprichwörtlich die High Heels vor die Füße und ging. Dabei hatte sie doch scheinbar bis dahin schon so viel erreicht. Sie war unter den Top 4, ihrem großen Traum ganz nah. In 180 Minuten könnte sie zur Siegerin, zum Top­model 2020 gekürt werden. Was war passiert?

Ganz einfach: Die Realität hatte die Schau im TV entlarvt. Um das zu verstehen, muss man wissen, wie die Sender ihre Castingshows produzieren. Bei Germany’s Next Topmodel ist es so, dass die einzelnen Folgen aufgezeichnet werden, zum Beispiel von September bis November. Anschließend werden sie zusammengeschnitten. Die 15. Staffel, in der ­Lijana mitgemacht hatte, wurde dann ab 31. Januar 2020 gesendet. Nur das Finale war noch nicht fertig, ProSieben strahlte es am 21. Mai live aus. Lijana ­Kaggwa war also nach dem Abschluss der Dreh­arbeiten bis zum großen Finale im Mai zu Hause und schaute sich natürlich die zusammengeschnittenen Folgen ihrer Staffel an. Was sie zu sehen bekam, schockierte die damals 24-Jährige und veränderte ihr Leben. Denn Lijana wurde nicht als hübsches Mädchen dargestellt, die Topmodel-­Qualitäten hat. Sie wurde über viele Folgen als die ehrgeizige Zicke abgebildet. Der Zusammen­schnitt ihrer Aussagen zeigte den Zuschauern eine vom Ehrgeiz zerfressene Lijana, die scheinbar ständig über ihre Konkurrentinnen lästerte und sich selbst für den strahlenden Mittelpunkt der Show hielt. Mit jeder ausgestrahlten Folge wurde es schlimmer, so entwickelte sich Lijanas großer Traum immer mehr zum Alptraum. Ganz Deutschland sprach über sie, lachte über sie, begann sie zu hassen.

Das Ergebnis: Lijana erlebte einen Shitstorm im Netz, wurde als »Bitch«, »Dreck«, »abartig«, »Schlampe« beschimpft, bekam sogar eine Morddrohung. Aber auch ihr reales Leben wurde zu einem Spießrutenlauf. Ein Mann erkannte sie auf der Straße und bespuckte sie. Sie war am Ende ihrer Kräfte und beschloss: So bin ich nicht! Das will ich nicht! Ich steige aus! In einem Interview mit der Zeitschrift BUNTE im Februar 2021 erzählte Lijana, dass sie damals den Sender sogar kontaktiert und darum gebeten hatte, sie nicht mehr so einseitig darzustellen, weil sie den ganzen Hass nicht mehr aushalten würde:

»Selbstverständlich habe ich dann während der Ausstrahlung angerufen und gesagt: Leute, wir waren alle dabei und wir wissen alle, wie es abgelaufen ist, und ich finde nicht, dass der Zuschauer das richtige Bild vermittelt bekommt. Es wurde mir versichert, die Leute fänden das trotzdem spannend, was bei GNTM passiert, und ich sei einer der Hauptgründe. Aber das hat mir natürlich nicht wirklich geholfen. Meine Enttäuschung war riesig. (…) Aus Sicht der Produktion verstehe ich, dass man Quote braucht. Aber manchmal habe ich das Gefühl, man vergisst einfach, dass junge Frauen dahinterstecken mit Gefühlen.«

Der zugespitzte Zusammenschnitt durch ProSieben hatte dafür gesorgt, dass Millionen Fernsehzuschauer Woche für Woche ein Zerrbild von ihr vorgeführt bekamen, das den Hass schürte. So wurde sie den anonymen Hatern im Netz zum Fraß vorgeworfen.

Ein zweites Beispiel: Wenn man Deutschland sucht den Superstar bei YouTube eingibt, bekommt man »DSDS 2019 Fabrizio Giordano mit Rehab von Amy Winehouse« als eines der ersten Videos angezeigt. Dieses Video aus dem Januar 2019 zeigt einen jungen Mann mit Lippenstift und High Heels. Der ­21-Jährige bekennt freimütig, dass er homo­sexuell ist. Im Schnitt hat RTL ein Lied mit dem Text »Homo Dance, alle tanzen den Homo Dance!« unter diese Szene gelegt. Pietro Lombardi und Dieter Bohlen werden gezeigt, wie sie sich anlächeln. Als ­Fabrizio ­Giordano anfängt zu singen, steht schnell fest, dass er ganz offen­sichtlich nicht singen kann. Er trifft keinen Ton. Aber anstatt ihn einfach zu verabschieden, stürzt sich die Jury auf ihn. Minutenlang wird Fabrizio lächer­lich gemacht. Pietro ­Lombardi sagt: »Meinst du das ernst, oder willst du uns verarschen hier? (…) Du singst komplett scheiße! Du singst scheiße. Punkt!«

Fabrizio Giordano ist sauer und verlässt das Casting. Zu seinem Abgang wird das Lied: »My Baby, Baby, Balla Balla« eingespielt. Dazu der hämisch vorgetragene Sprechertext: »Mann, das war knapp! Du warst wirklich kurz davor, es in den Recall zu schaffen!«

Dieses Video wurde mehr als 13,6 Millionen Mal aufgerufen und man fragt sich beim Anschauen: Gab es im Fall von Fabrizio nicht eine Vor-Jury, die ihm diese öffentliche Bloßstellung hätte ersparen ­können? Musste man in der Nach­bearbeitung mit der wertenden Musik und dem ironischen Sprechertext wirklich noch so auf den Kandidaten eindreschen? Hätte man ihn nicht vor sich selbst schützen müssen? Oder wollten die Verantwortlichen bei RTL diese Blamage vor einem Millionenpublikum bewusst herbeiführen? Denn sicher ist: Die peinlichsten Auftritte bringen die beste Quote und die meisten Klicks im Internet. Hätte RTL nicht trotzdem so viel Verantwortungs­bewusstsein haben müssen, Fabrizio zu ersparen, dass dieses Video jetzt für alle Zeit unter seinem Namen zu finden sein wird?

Es sind zwei Beispiele von unzähligen, die man auflisten könnte. Sie zeigen, um was es den Sendern wirklich geht. Sie wollen keine Topmodels, Superstars, Popstars oder Supertalente hervorbringen. Sie wollen möglichst viele Zuschauer vor dem Fernseher versammeln, damit die Einschaltquote steigt und sie viel Geld mit Werbung verdienen können. Selbstverständlich ist das nichts Verwerfliches, ganz im Gegenteil: Für Privat­sender ist es das natürliche Geschäftsmodell. Aber wenn man zu DSDS, TVOG, GNTM usw. geht, dann muss man das wissen. Man muss wissen, dass Menschen wie Fabrizio Giordano, die sich einfach fürchterlich überschätzen, nicht vor sich selbst geschützt, sondern gnadenlos zur Schau gestellt werden. Man muss wissen, dass Menschen wie Lijana Kaggwa, die vielleicht etwas zu ehrgeizig ist und die sich ganz sicher zu einigen Kommentaren hat hinreißen lassen, die sie besser unterlassen ­hätte, nicht einfach aus der Sendung entfernt werden, sondern dass ihre Fehltritte genüsslich ausgekostet werden. Sie werden vorgeführt. Wäre sie einfach nur ein hübsches Mädchen, das sich gut auf dem Catwalk bewegen kann, hätte sie niemals so viel Sendezeit bekommen.

Mit ihrem Zusammenschnitt appellieren die Sender an die niedrigsten Instinkte ihrer Zuschauer: Missgunst, Schaden­freude, Voyeurismus, Bosheit, Sensationslust. Wer möglichst viel weint, wenn ihm die Haare abgeschnitten werden sollen. Wer möglichst viel kreischt, wenn er mit Schlangen, Spinnen oder anderen Klassikern des Castingfernsehens ­fotografiert werden soll. Wer möglichst viel Heimweh hat, kurzum, wer dem Zuschauer möglichst viele Emotionen präsentiert, der bekommt die meiste Sendezeit. Ein solcher Kandidat kommt selbst bei überschau­barem Talent deutlich weiter, als es ihm aufgrund seiner natürlichen Begabung eigentlich ­zustehen würde. Aber ist es das wirklich wert? Denn selbst wenn man vielleicht unter die Top 3 gekommen ist, ist man in ganz Deutschland bekannt als »die Zicke«, »die Heulsuse« oder der, der von Dieter ­Bohlen immer beschimpft worden ist.

Und man darf nicht vergessen: Das Internet vergisst nie. Die peinlichsten Momente werden für alle Zeit im Netz auffindbar sein und die Kollegen lachen auch dann noch über sie, wenn man sie für sich selbst schon längst als Jugendsünde abgehakt hat. Aus diesem Grund warnen Experten seit vielen Jahren vor Castingshows. Die Kommission für Jugendmedienschutz hat in Bezug auf Deutschland sucht den Superstar bereits mehrfach Befürchtungen geäußert: »Die Präsentation beleidigender Äußerungen und antisozialen Verhaltens, die Häme und Herab­würdigung anderer als legitim darstelle, könne bei Kindern eine desorientierende Wirkung haben.«

Der Begriff des Castingshow-Opfers ist längst im alltäglichen Sprachgebrauch angekommen und als solches schafft man es vielleicht noch ins Dschungelcamp, wie Gisele Oppermann, die seit ihrer Teilnahme an Germany’s Next Topmodel bundesweit als Heulsuse bekannt ist, oder wie Menderes Bağcı, der laut Juror Kay One »trashige Teil von DSDS«. Viele andere landen aber mit Depressionen in einer Klinik und leiden vielleicht ein Leben lang unter ihrem gescheiterten Versuch, in die Glamourwelt zu gelangen.

Denkt mal drüber nach, warum es in Deutschland mittlerweile 18 Superstars, 16 Topmodels, 11 Popstars und 14 Super­talente geben müsste, man aber von keinem etwas hört, das dem Titel auch nur annähernd gerecht werden würde.

1. Kapitel

Das Genre braucht »menschliches Material«, das sich entsprechend inszenieren lässt.

64 % derjenigen, die meistens oder immer DSDS sehen, stimmen der Aussage zu: »Von Dieter Bohlen kann man lernen, wie man Kritik übt«. Das heißt nicht, dass sie die Art der Kritik oder seine Sprüche direkt übernehmen, es zeigt aber, wie bereit­willig sie abwertende und beschämende Kritik als Teil im »System Castingshow« hinnehmen und für sich beispielsweise zum Ablästern nutzen können. Gerechtfertigt durch das »System Castingshow« erscheint es als moralisch erlaubt, über die Unfähigen zu lästern und sich lustig zu machen. Nicht zuletzt die Urteile der Jury (…) legitimieren einen Umgang, der die Grenzen der sonst üblichen Anstandsregeln überschreitet.

Castingshows prägen in verschiedenen Dimensionen die Werte und Orientierungen von Mädchen und Jungen, sei es in Bezug auf Vorbilder, Heimatbilder oder Zukunftsbilder, die Konstruktion von Geschlechterbildern und Schönheitsidealen.

Quelle: Maya Götz, Christine Bulla, Caroline Mendel: »Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme«, Buch der Landesanstalt für Medien NRW, 2013.

»Ne Stimme zum Niederknien, aber nur, damit man sich nicht auf die Füße kotzt.«

(Dieter Bohlen)

ALEXANDER KLAWS

»DSDS-Sensation: Alexander Klaws wieder da!«

(BILD, 12.02.2020)

Das erfolgreichste Castingshow-Format weltweit – und auch in Deutschland – ist Pop Idol, das 2001 erstmals in ­Großbritannien auf Sendung ging. Die deutsche Variante heißt Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Das Finale der ersten Staffel im Frühjahr 2003 verfolgten durchschnittlich 12,8 Millionen Menschen. Alexander Klaws wurde damals erster deutscher Superstar. Es folgten zwei Nummer-1-Alben. Dann kündigte er die Zusammen­arbeit mit Dieter Bohlen auf und machte Karriere als Musical-Darsteller. Heute ist Alexander Klaws zweifacher Vater und lebt in Hamburg. 2020 hat er die Liveshows der 17. Staffel von Deutschland sucht den Superstar auf RTL moderiert.

Alexander Klaws: Moin, hier ist Alex Klaws! Das war eine schwere Geburt, aber wirklich. Sorry noch mal für diese ganzen kurzfristigen Verschiebungen, Absagen, whatever. Das ist eigentlich gar nicht meine Art, aber zurzeit, das habe ich Dir ja geschrieben, sind mir da einfach so ein bisschen die Hände gebunden. Ich weiß, dass viele schnell die Kinder auch mal vorschieben, weil sie dann eine gute Ausrede haben, aber so war es bei mir wirklich nicht. Geplant ist die Geburt für den 20. Februar, also in 16 Tagen. Ich habe aber so den Eindruck, dass es nicht mehr so lange auf sich warten lässt. Also schauen wir mal. Eine sehr spannende Zeit. Aber lass uns doch mal loslegen!

Christof Dörr: Nach so vielen Jahren kann man das ja mal fragen: Siehst du dich noch als Superstar? Als der Alex Klaws, der mal bei DSDS gewonnen hat? Oder ist das mittlerweile zu lange her und zu weit weg?

Alexander Klaws: Der Begriff Superstar ist in meinem Leben immer präsent und ziemlich sicher wird er es auch immer bleiben. Einfach weil die Show so heißt, die ich als Erster gewonnen habe. Dadurch ist das auch so eine Art Spitzname für mich geworden. Viele Leute, die mich so nennen, sagen aber auch direkt dazu, dass sie es als Kompliment meinen, weil es zu meiner Zeit noch etwas Besonderes war, diese Show zu gewinnen. Die heutigen Sieger würden sie dagegen eher ironisch Superstar nennen, wenn überhaupt. Viele Leute, die mich auf der Straße erkennen, höre ich sagen: »Schau mal, das ist der Alexander Klaws, einer der wenigen, die eine Castingshow gewonnen und es anschließend zu was gebracht haben.« Bis heute höre ich das immer wieder. Ich bin auch immer wieder fasziniert davon, wie viele Leute mich nach so vielen Jahren noch als den DSDS-Alex erkennen und ansprechen. Auf der Straße, beim Bäcker oder beim Shopping.

Christof Dörr: Ich habe das Gefühl, dass sich DSDS mit jeder Staffel etwas weiter weg vom Gesangscasting und etwas mehr in Richtung Unterhaltungsshow ent­wickelt hat. Wie empfindest du den Weg, den die Sendung seit deinem Sieg genommen hat?

Alexander Klaws: Ich glaube, dass ich unter den Superstar-Siegern tatsächlich eine Sonderstellung habe, weil sich die Show in den letzten Jahren ja so entwickelt hat, dass die Leute heute, wenn sie von einem Superstar-Sieger sprechen, nicht mehr an einen erfolgreichen Musiker denken, der länger als drei Hits im Geschäft bleibt. Das gab es nach mir eigentlich nicht mehr. Ich meine das jetzt gar nicht selbstverliebt oder so, aber so habe ich die Entwicklung der Show über die Jahre wahrgenommen.

Christof Dörr: Heute sagen die Jugendlichen ganz locker: Mein Ziel ist es, Superstar zu werden. Oder Top­model. Hättest du das damals vor deinem Sieg in der ersten Staffel auch so formuliert?

Alexander Klaws: Superstar, dieser Begriff. Der ist schon irgend­wie komisch. Klar, die Show heißt halt so und aus diesem Grund ist er zur Massenware geworden. Wir haben uns daran gewöhnt, dass jedes Jahr automatisch ein Superstar dazukommt. Aus diesem Grund ist es eigentlich keine privilegierte Bezeichnung mehr, sondern nur noch eine Schublade, in die einer nach dem anderen gesteckt wird. Mit dem Namen Deutschland sucht den Superstar hat RTL einfach ein Riesenfass aufgemacht, denn der Begriff Superstar ist ja kein Titel, den man wie zum Beispiel einen Doktortitel erst nach jahrelangem Studium und anschließenden Prüfungen verliehen bekommt. Es ist eher ein gefühlter Titel, den man sich durch jahrelange Arbeit hart erarbeiten muss, den man eigentlich erst bekommt, wenn man etwas wirklich Großes geschafft hat oder etwas kann, das nicht viele können. Bono zum Beispiel ist ein Superstar. Wenn ich das behaupte, stimmen mir die meisten Menschen vermutlich zu. Und zwar auch die, die seine Musik nicht mögen, einfach weil er etwas Einzigartiges und Großes in seinem Leben aufgebaut hat. Durch das Format Deutschland sucht den Superstar wurde das wie so ein Titel, wie eine Anrede, die man durch die Teilnahme an der Sendung einfach so dazubekommen hat, ohne viel dafür tun zu müssen. Das ist schwer zu beschreiben. Wenn man ein Formular ausfüllen muss, dann kann man doch immer angeben, wie man angesprochen werden möchte. Herr oder Frau. Doktor oder Professor. Und durch DSDS kam halt noch Superstar oder Normalo hinzu. Klar, das ist jetzt extra überspitzt und plakativ dargestellt von mir, aber so kommt es mir manchmal vor. Und weil sich jeder Hans und Franz heutzutage einfach Superstar schimpfen kann, hat der Begriff natürlich auch extrem an Glanz verloren. Dementsprechend ist der Titel Superstar, den ich damals durch meinen Sieg in der Sendung ja bekommen habe, für mich Fluch und Segen zugleich. Denn die einen, meistens die etwas älteren Leute, kennen ihn noch, wissen, was er bedeutet, dass da auch viel Arbeit und Können dahinterstecken. Und die anderen, oft die Kids von heute, sagen einfach und lapidar daher: »Klar, Mann, ich will Superstar werden. Ist doch ganz easy!« Das ­hätte ich mich in dem Alter, mit 13 oder 17 Jahren, nie getraut. Das hätte ich niemals so gesagt, weil der Begriff für mich ganz einfach eine andere Bedeutung hatte. Ich bin jetzt 36 Jahre alt, als ich in der Schule war, gab es noch keine Smartphones. Als ich mit 19 Jahren DSDS gewonnen habe, gab es kein iTunes, keine iPods, gar nichts. Das kam alles erst im Nachhinein. Damals hatte der Begriff Superstar einfach noch eine andere Wertigkeit. Natürlich ist er auch für die Leute, die ihn heute benutzen, noch was wert, aber halt nicht mehr so viel wie für mich damals. Ein Superstar zu sein war etwas, das für mich ganz weit in den Sternen stand, wovon ich träumen konnte. Heute bezeichnet sich ja jeder als Superstar, der mal drei Runden in einer Castingshow weiterkommt.

Christof Dörr: Wenn du die erste DSDS-Staffel, in der du mitgemacht hast, mit den letzten fünf oder sechs Staffeln vergleichst, erkennst du die Sendung dann noch wieder?

Alexander Klaws: Ich habe für mich beschlossen, da einen ganz klaren Strich zu ziehen. Ich distanziere mich von allen, die nach mir dieses Format gewonnen haben, ja sogar von allen, die nach mir bei diesem Format mitgemacht haben. Der Grund dafür ist ganz einfach: Die haben DSDS alle unter völlig anderen Gegebenheiten kennengelernt als ich. Alleine schon, was heutzutage alles über Social Media läuft. Das gab es bei mir in der ersten Staffel einfach noch nicht. Die heutigen Teil­nehmer haben ganz andere Möglichkeiten. Auch die ganze Aufmachung der Sendung hat sich völlig verändert. Die treten auf einer Led-Bühne auf, da leuchtet und strahlt alles. Wir hatten noch Glühbirnen hinter uns in den Lampen. Klar klingt das heute vorsintflutlich, aber für uns war das damals etwas ganz Besonderes. Es hat sich einfach alles verändert. Nicht nur der Begriff Superstar und seine Bedeutung, sondern auch der Stellenwert der Sendung. Der ganze Musikmarkt hat sich völlig verändert, alles ist anders. Zum Beispiel die Downloadcharts gab es damals einfach noch nicht. Es gab Singlecharts und Album­charts, das wars. Ob man das gut findet, muss jeder für sich entscheiden.

Christof Dörr: Heute fliegen die Kandidaten schon für den Recall auf die Malediven oder nach Mykonos. War das damals bei euch auch schon so glamourös?

Alexander Klaws: Wir hatten damals ein Haus in Köln, heute fahren die Teilnehmer schon nach dem ersten Casting in ein Luxushotel. Wir hatten damals den Recall in Düsseldorf und heute fliegen die dafür um die halbe Welt. Wir haben uns in den krassesten stinkenden Katakomben die Texte in den Kopf gehauen, ohne zu wissen, ob wir gleich weiterkommen oder überhaupt eine Ahnung davon zu haben, was als Nächstes passiert. Das hatte aber den großen Vorteil, dass man sich aufs Wesentliche konzentrieren konnte, und das war die Musik. Man wurde nicht durch Traumstrände abgelenkt oder durch tolle Hotels. Den Teilnehmern von heute wird ja schon durch die Orte, an die sie mit DSDS reisen, vorgegaukelt, dass sie bereits Stars sind. Wir saßen damals in Düsseldorf unter der Feuertreppe der Halle, in der aufgezeichnet worden ist, und haben die Lieder vor uns her geträllert. Dadurch wussten wir ganz genau, worum es geht und vor allem, wo wir stehen. Uns war klar, dass wir noch ganz unten sind und uns hocharbeiten müssen, wenn wir Stars werden wollen. Rückblickend fand ich das extrem charmant und schön, weil es doch genau ­darum geht. Jeder Weltstar, der heute vor zehntausend Menschen spielt, ist irgendwann zum Start seiner Karriere mal durch dreckige Kata­komben gegangen. Der hat nicht auf schönen weißen Sandstränden angefangen. Von daher ist das Gefühl, mit dem heute ein Gewinner aus der Sendung rausgeht, ein ganz anderes als das Gefühl, das ich damals hatte. Uns wurde kein Glamour vorgegaukelt, sondern von Anfang an gesagt: »Jungs, Mädels, das wird jetzt richtig harte Arbeit. Aber die wird sich am Ende lohnen!« Heute sitzen die Kandidaten in der ­Business Class und man fragt sich: Okay, die haben noch nicht mal drei Töne gesungen und trotzdem wird denen schon alles hinterher­getragen. Ich glaube, das ist das große Problem. Die Form, in der der Weg zum Superstar heute in der Sendung dargestellt wird, ist aus meiner Sicht unpassend. Das war bei uns noch stimmiger, bodenständiger, vielleicht kann man sogar sagen: ehrlicher und realistischer.

Christof Dörr: Wie hat das bei dir mit der Musik eigentlich angefangen?

Alexander Klaws: Ich wollte schon immer Sänger werden. Solange ich zurückdenken kann, war ich musikverrückt. Ich habe mich über Musik definiert, mit ihr meine jeweiligen Launen verstärkt oder, wenn ich schlechte Laune hatte, versucht, sie zu ändern. Wenn ich zum Beispiel Liebeskummer hatte, hatte ich immer den passenden Soundtrack dabei, damals noch auf meinem Discman beziehungsweise noch davor sogar auf dem Walkman. Ich habe mir stundenlang einfach Tapes zusammen­gestellt, eins für jede Lebenssituation. Damals hat man sich bei so was noch richtig Mühe gegeben, weil man es ja nicht mehr ändern konnte, wenn man erst mal ein Lied auf­genommen hatte. Heute hat man in 5 Sekunden 80 Listen angefertigt und mit einem Klick schmeißt man einen Song, den man nicht mehr will, einfach wieder raus. Das ging früher natürlich nicht. Da musste man Songs, die man nicht mehr mochte, entweder ertragen oder vorspulen. Wobei man beim Vorspulen nie genau das Ende des Songs getroffen hat, sondern immer der Anfang des nächsten Liedes auch verloren ging. Kurz gesagt: Musik war für mich absoluter Lebensinhalt. Ich bin morgens mit Musik aufgestanden und abends mit Musik ins Bett gegangen. Meine Eltern haben diese Begeisterung natürlich gespürt und mich immer unterstützt. Mit 10 Jahren stand ich dann zum ersten Mal auf der Bühne und habe diese Magie gespürt. Das fühle ich bis heute, als wäre es gestern gewesen und nicht vor 26 Jahren. Die Magie hat mich in dem Moment erfasst, in dem ich die Bühne betreten habe und vor dem Publikum stand. Das war mein erster größerer Auftritt, übrigens auch bei RTL, in der Mini-Playback-Show. Das Gefühl ist aber bis heute gleichgeblieben. Immer, wenn ich etwas darbiete, was die Leute begeistert oder mit dem ich sie in meinen Bann ziehe. Seitdem habe ich das im Blut, so sehr hat mich das damals umgehauen und fasziniert. So doof es sich anhört: Es ist, als hätte ich einen krassen Magneten in mir, der mich immer wieder zurück auf die Bühne zieht.

Christof Dörr: Als du dich bei DSDS beworben hast, konnte niemand ahnen, was für ein riesiger Hype das werden würde. Warum hast du es trotzdem getan?

Alexander Klaws: Irgendwann habe ich eine Annonce in den Westfälischen Nachrichten gesehen. Da stand: RTL kürt Superstar. Nichts weiter. Also auch nicht, wer in der Jury sitzen wird. Trotzdem habe ich mich auf diese Annonce einfach beworben. Irgendwann, Wochen später, habe ich dann in einem Zeitungsartikel gelesen, was es mit dem Format auf sich hat, dass es in England und Amerika schon ein Riesenerfolg sei und jetzt halt nach Deutschland geholt werde. Da wurde aber nichts von einer Jury gesagt, geschweige dann davon, wer da drinsitzt. Das habe ich alles tatsächlich erst erfahren, als ich beim Casting vor dem Raum stand und die Teilnehmer, die ihren Auftritt schon hinter sich hatten, erzählt haben, was da drin gleich passieren werde und wer da auf einen warte. »Mensch, da drin sitzt der Bohlen!«, haben die gesagt. Man muss aber dazu wissen, dass Dieter Bohlen damals nicht den Status hatte, den er heute hat. Denn durch DSDS ist der natürlich auch noch mal so richtig durchgestartet. Dieter sagt ja auch, dass DSDS ihn ein Stück weit gerettet hat. Das, was ich damals miterlebt und auch mitgeprägt habe, war der Anfang von dem ganzen Wahnsinn. Echt unfassbar, was sich im Laufe der Jahre daraus entwickelt hat. Rückblickend finde ich es aber gut, dass ich einfach null Ahnung hatte, was da auf mich zukam. Ich hatte keinen Vergleich und bin da deshalb ohne große Erwartungen reingegangen. Mein Anreiz war einfach, dass es zum ersten Mal eine Castingshow gab, in der ein Solokünstler gesucht wurde. Die Castingshow Popstars gab es ja schon vorher, aber für mich war immer klar, dass ich da auf keinen Fall hinwill, weil ich kein Bandmitglied bin. Ich war schon immer der Entertainer, der vorne steht und seine Band im Rücken hat, egal ob in der Schulband oder in den zig Bands, die ich in meiner Jugend hatte. Das war immer schon so, ich war der Frontmann und habe die Show geschmissen. Aus diesem Grund klang die Ausschreibung dieses großen Senders RTL damals in der Zeitung für mich auch so interessant. Aber auch hier ist der Vergleich zu heute wichtig. Wenn man heute die Jugendlichen fragt, warum sie in die Sendung gehen, dann sagen sie: »Weil ich Superstar werden will! Ich will ein Star werden. Ich will berühmt werden.« Für mich wäre das damals definitiv nicht die passende Antwort auf diese Frage gewesen. Ich hätte einfach nur geantwortet: »Ich möchte auf der Bühne stehen und ich möchte Musik machen, und das vor möglichst vielen Menschen!« Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich bin mir absolut sicher: Die Antwort auf die Frage nach der Intention, aus der heraus man an einer solchen Sendung teilnimmt, ist absolut entscheidend für den späteren Erfolg. Sie legt den Grundstein für alles, was folgt. Der Grund dafür, warum du vor der Jury stehst und ob er so gut, so elementar ist, dass du bereit bist, für ihn Grenzen zu sprengen, den entscheidenden Schritt weiter zu gehen, wird die ganze ­Karriere prägen. Hat der Kandidat das Zeug dazu, Schmerzgrenzen auszutesten und zu überschreiten? Prioritäten mal komplett an den Hut zu stecken und einfach nur Künstler zu sein? Darum ging es für mich damals, ich wollte endlich einfach nur Künstler, Sänger sein. Mir ging es wirklich nicht um dieses Berühmtsein oder wie auch immer. Dass es dann später dazugehört, habe ich irgendwann am eigenen Leib erfahren, aber das, was man kann, also das, für das man berühmt ist, das ist das Entscheidende. Bei mir ist ganz klar, dass nicht ich im Vordergrund stehe, sondern die Musik, die ich mache. Das Wichtigste ist die Magie, die durch die Lieder auf der Bühne entsteht und durch die ich den Menschen etwas Besonderes mit auf den Weg nach Hause, in ihren Alltag gebe. Ob das jetzt eine Show ist oder ein Musical. Für mich war der Superstar immer derjenige, der mit seinem Können glänzt, und nicht der, der irgendwohin geht und sagt, dass er einfach nur ein Star werden will, egal wie, und wenn er sich nackig ausziehen muss dafür. Das war nie mein Anreiz.

Christof Dörr: Dein Sieg bei DSDS ist in diesem Jahr 20 Jahre her. Erinnerst du dich noch an deinen Weg zum Sieg?

Alexander Klaws: Na klar! Ich erinnere mich an mein erstes Vorsingen bei Deutschland sucht den Superstar, als sei es gestern gewesen. Ich habe Heaven gesungen, von Bryan Adams. Sorry, aber dass ich hier meine DSDS-Geschichte erzähle, ist wie eine kleine Therapiestunde für mich. Dieses ganze Drüber­reden und Erinnern und so. Das meine ich aber im positiven Sinne. Die erste Runde war noch nicht vor der richtigen Jury, sondern vor einem Auswahlgremium von RTL. Das waren irgend­welche Redakteure, die dann entschieden haben, ob man gut beziehungsweise skurril genug war, um vor die Jury zu kommen oder nicht. Obwohl Bohlen, Stein und Co. in diesem Moment für mich noch in weiter Ferne waren, habe ich damals kurz vor meinem ersten Auftritt bei DSDS gedacht: »Wow, hier passiert gerade etwas ganz Großes, oder zumindest etwas, das groß werden könnte!« Also das war schon sehr spannend. Während ich das alles durchgemacht habe, war mir ja noch nicht bewusst, wie wichtig und entscheidend diese ganzen Momente für den Rest meines Lebens sein würden. Ich habe erst im Nachhinein bemerkt, was da eigentlich passiert ist und was das mit mir gemacht hat. Erst mit dem nötigen Abstand habe ich realisiert, welche Momente ganz besonders waren. Zum Beispiel wenn ich bei einem Casting eine Runde weitergekommen bin und noch eine Runde weiter und noch eine. Ohne dass man es merkt, brennen sich bestimmte Momente einfach für immer in die Seele ein. Genauso wie in meinem späteren Leben die Treffen mit Phil Collins oder mit Roman Polanski. Wie auch immer. Das realisiert man in dem Moment, in dem es passiert, oft gar nicht, das wird einem erst im Nachhinein klar. Ich weiß noch ganz genau, wie ich an meinem ersten Tag bei Deutschland sucht den Superstar aussah. Ich weiß noch, was ich für ein Shirt anhatte, dass ich eine schlimme Frisur hatte. Das sind alles Sachen, die später so entscheidend für mich geworden sind, dass ich sie niemals vergessen werde. Das alles hat mich damals ausgemacht und wenn es nicht genau so geschehen wäre, wäre ich heute nicht der, der ich bin. Das erste Casting war in Köln, im Hilton, in der Nähe vom Bahnhof. Ich weiß noch ganz genau, wie die Räume rochen, das sind alles Eindrücke, die habe ich aufgesaugt. Die Räume haben nicht etwa nach Schweiß oder Adrenalin oder Parfum gerochen, sondern nach muffigen TV-Lampen. Das waren damals ja noch richtige Strahler und wenn die drei oder vier Stunden an sind und man kommt in so einen Raum rein, dann hatten die so einen ganz typischen Geruch. Ich kann den gar nicht genauer definieren, ganz sicher war aber ein bisschen der Geruch nach verschmortem Plastik dabei, weil vor den Strahlern Folien angebracht waren, damit man von den Lampen nicht zu sehr geblendet wurde. Ich weiß echt nicht, wie die Jury das damals den ganzen Tag lang in dem Raum ausgehalten und trotz des Miefs noch hoch konzentriert hunderttausend Kandidaten gelauscht hat, von denen der eine die Töne trifft und der nächste nicht.

Christof Dörr: Hast du damit gerechnet, dass du die Sendung gewinnen kannst, oder hat dich dein Sieg selbst überrascht?

Alexander Klaws: Vom ersten Augenblick, vom ersten Casting an hatte ich das Gefühl, dass ich die Sendung gewinnen werde. Sonst hätte ich auch gar nicht hinfahren müssen. Ich fahre nie irgendwo mit der Einstellung hin, dass ich da einfach nur dabei sein will. Ich muss immer schmunzeln, wenn die Plattenbosse, die damals dabei waren, sagen: »Mensch, den Alexander, den hatten wir ja gar nicht auf dem Schirm! Der kam plötzlich irgend­wie durch die Hintertür.« Gut, wenn die das so sehen, aber ich bin zum ersten Casting gefahren und habe mir gesagt: »Ich haue die jetzt alle an die Wand.« Für mich war es auch wichtig, diese Einstellung zu haben, sonst hätte ich gleich zu Hause bleiben können. So gesehen gab es auch keinen Schlüsselmoment für mich, an dem ich realisiert habe, dass ich es schaffen kann. Natürlich war es in jeder Sendung ein tolles Gefühl, dass ich gemerkt habe, dass das gut ankommt, was ich mache, und dass ich von Runde um Runde auch ziemlich problemlos weiter­gekommen bin. Dass die Leute sich immer gefreut und gejubelt haben, wenn ich auf die Bühne kam. Das nimmt man mit und das macht einen stärker. Dieser ganze verrückte Hype war auch wirklich heftig damals, aber immer, wenn es um die Wurst ging, habe ich es irgendwie geschafft, das auszublenden. Also immer dann, wenn es wirklich ums Talent ging. Schließlich kann es ja nicht sein, dass man sagt: »Ich will Superstar werden!«, und dann dasteht und alle Töne verkackt oder so nervös ist, dass man gar nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Das war also auch ein Stück weit die Kunst, im entscheidenden Moment voll da zu sein. So habe ich dann einfach immer weitergemacht und mich auf dieser Welle treiben lassen. Einfach geschaut, wo sie mich wohl hinführen wird. Dass es mich dann zum Sieg geführt hat, das war natürlich der Wahnsinn.

Christof Dörr: Es gibt ja immer wieder viel Kritik an RTL und der Machart der Sendung. Wie hast du die Zeit erlebt? Hattest du auch das Gefühl, dass du vorgeführt wirst?

Alexander Klaws: Einige der Kandidaten haben sich damals ja darüber beschwert, dass es RTL angeblich nur um die Jagd nach Emotionen, nach Tränen und Zickereien gehen würde. Dass man für die Sendung in Klischees gepresst und gar nicht so gezeigt würde, wie man wirklich ist. Diese Kritik habe ich bis heute nicht verstanden. Natürlich habe ich gemerkt, dass es diese Versuche gab. Aber ich habe das einfach nicht mit mir machen lassen. So einfach war das. Ich mache doch nichts mit, worauf ich keine Lust habe, vor allem dann nicht, wenn ich anschließend von Millionen Menschen im Fernsehen zu sehen sein werde. Die Zuschauer lernen ja dann nicht mich, ­Alexander Klaws, kennen, sondern jemanden, der zwar aussieht wie ich und so heißt wie ich, der sich aber ganz anders verhält. Darauf hatte ich definitiv keine Lust. Ich glaube aber, dass die Kandidaten, die sich hinterher am lautesten darüber beschwert haben, wie gemein RTL zu ihnen war, ziemlich genau wussten, worauf sie sich einlassen. Bei einigen würde ich sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Die haben sich im Nachhinein über etwas beschwert, das sie während der Aufzeichnungen für die Sendung bewusst zugelassen haben. Sie haben also eigentlich gerne die ihnen zugedachte Rolle gespielt, um mehr Sendezeit zu bekommen als die anderen. Ich habe tatsächlich oft beobachten können, dass die, die hinterher, wenn die Kameras weg waren, gesagt haben: »Boah, das wollte ich eigentlich gar nicht so sagen, da hat RTL mich zu gezwungen«, immer die Ersten waren, die aufgesprungen sind, wenn die Kameras an waren, um zum Beispiel aus heiterem Himmel einen Streit anzufangen. Weil sie wussten: Einen Streit mit schönen Zickereien, den senden die bestimmt und je mehr Sendezeit ich bekomme, desto bekannter werde ich und desto größer sind meine Chancen auf den Sieg. Ich musste dann immer schmunzeln, weil es schon irgendwie völlig absurd ist, dass die erst zwei völlig unterschiedliche Gesichter von sich zeigen und sich dann darüber beschweren, dass RTL das falsche zeigt. Meine Erfahrungen mit dem RTL-Team sind ganz klar, dass ich während der Dreharbeiten zu jeder Zeit hätten sagen können, dass ich bestimmte Dinge nicht will. Und ganz im Ernst: Wenn einer vor mir gestanden und mir vorgeschrieben hätte, was ich zu sagen oder zu machen habe oder mir sogar gesagt hätte, dass ich eine bestimmte Rolle spielen muss und dass ich rausfliege, wenn ich es nicht tue, dann hätte ich ihm geantwortet: »Ja gut. Dann bin ich halt raus. Machs gut!« Ich war schon immer so selbstbewusst und so gefestigt in dem und mit dem, was ich mache, dass ich denen mitten ins Gesicht gesagt hätte: »Gut, dann bin ich halt weg!« Komisch nur, dass ich nie weg war. Also das sind so Sachen, die ich nie verstanden habe. Das ist aber vielleicht auch dem sozialen Umfeld geschuldet, aus dem ich komme. Ich bin sehr gut verankert, in einer heilen Familie, die mich immer unterstützt und mir hilft, wenn ich mal nicht sicher bin, welchen Weg ich gehen soll. Oder wenn ich einfach mal Hilfe bei einer Entscheidung brauche. Das ist extrem viel wert. Außerdem hatte ich schon immer Freunde, die fest hinter mir stehen. Die kenne ich schon ewig und die wissen ganz genau, was ich kann und was nicht. Aus diesem Grund schmieren sie mir auch nicht nur Honig um den Mund, sondern sagen mir ganz klar und sehr deutlich, wenn ich mal Mist baue oder eine Idee von mir Quatsch ist. Das ist eine großartige Situation, die ich sehr zu schätzen weiß und die nicht viele Kandidaten haben. Nach meiner Beobachtung sind die, die weniger Ratgeber haben und vielleicht keinen stützenden familiären Background, in Sendungen wie DSDS oder ­Germany’s Next Topmodel dann auch die, die etwas mehr ausgenutzt werden, weil es mit denen einfacher ist. So was riechen die Fernsehleute sofort. Es gibt noch einen weiteren Punkt, über den ich im Anschluss an die Ausstrahlung sehr viel Quatsch gehört habe. Viele haben sich im Nachhinein plötzlich über den Song beschwert, den sie angeblich singen mussten. »Eigentlich wollte ich den Song gar nicht singen! Der passt nicht zu mir!« Meist kamen die Beschwerden dann, wenn die Performance auf der Bühne nicht so gut war. Da habe ich mich immer gefragt, warum sie den Song dann überhaupt gesungen haben. Ich kann sicher sagen: Es wäre kein Problem gewesen, mit dem Team zu sprechen und den Song zu tauschen – natürlich im Rahmen der Songs, die für die entsprechende Sendung auf der Liste standen. Ich habe mich auch wirklich sehr darüber gewundert, welche Kandidaten sich in Interviews über diesen Punkt beschwert haben. Bei einigen bin ich mir sicher, dass sie nur nach einer Erklärung beziehungsweise einer Entschuldigung für einen schlechten Auftritt gesucht haben. Ein paar sind sogar dabei, die haben sich während der Aufzeichnung für die Sendung mir gegenüber noch ganz anders geäußert. Die fanden den Song vorher gut und nachher plötzlich schlecht. Dazwischen lag dann eigentlich immer ein schlechter Auftritt, für den sie viel negative Kritik bekommen haben. Ich möchte hier keine Namen nennen, aber viele waren mit ihren Songs eigentlich zufrieden und zuversichtlich, dass sie mit dem Titel problemlos in die nächste Runde einziehen werden. Nachdem sie von der Jury gehört hatten, dass sie bei ihrem Auftritt keinen Ton getroffen haben, hieß es plötzlich: »Die Song­auswahl war auch schlecht, das Lied musste ich nehmen, weil es keine Alternativen mehr gab. Hätte ich Auswahl gehabt, hätte ich mich niemals für diesen Song entschieden!« Da denke ich mir dann, okay, da muss man real bleiben, und real heißt für mich, Leuten ehrlich die Meinung zu sagen. Einfach Eier zu zeigen. Und auch die Eier zu haben, jemandem vom Fernsehen zu sagen: »So, pass mal auf. Der Song passt nicht zu mir, das geht so nicht. Entweder ich singe einen anderen Song oder gar keinen!« So hat das bei mir eigentlich immer geklappt und das Team hat diese Art akzeptiert. Deshalb kann ich gewisse Beschwerden, von denen ich im Nachhinein gehört habe, auch nicht verstehen. Ich habe das schlicht anders erlebt. Hinterher den Song zum Sündenbock zu machen, ist Blödsinn.

Christof Dörr: Du warst während der Staffel ja nicht immer der absolute Publikumsliebling, woran lag das deiner Meinung nach?

Alexander Klaws