Die Tochter der Raubritterin - Kari Köster-Lösche - E-Book

Die Tochter der Raubritterin E-Book

Kari Köster-Lösche

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Beschreibung

Johanna von Falkenstein kämpft um ihre Tochter - und um die Ehre des Hauses Falkenstein Der Taunus, 14. Jahrhundert: Johanna von Falkenstein sucht ihre Tochter Gesche, die von der intriganten Katherine, künftige Ehefrau von Johannas Vater, festgehalten wird. In ihrer Verzweiflung lässt sich Johanna einen wagemutigen Plan einfallen, um ihre zukünftige Stiefmutter Katherine als ehemalige Hure zu entlarven. Doch Katherine zieht ihren Trumpf: Sie präsentiert Johannas Tochter als ihr eigenes Mündel. Wie kann Johanna nur erreichen, dass die falsche Eintragung im Kirchenbuch rückgängig gemacht wird? Glücklicherweise hat sie ihre Helfer: den exkommunizierten Ritter Roland von Brobergen, einen wackeren Kanonenmeister und Phillip, Kathrines liebenswerten, behinderten Sohn ... Endlich wieder zu lesen - der dritte Roman der erfolgreichen Raubritterin-Trilogie! Die Raubritterin (Band 1) Tod allen Reichen (Band 2) Die Tochter der Raubritterin (Band 3)

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Die AutorinKari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Bücher, bevor sie mit ihren historischen Romanen ein begeistertes Publikum fand. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit arbeitet sie in ihrer Wahlheimat Nordfriesland als Tierärztin.

Das BuchWas bisher geschah:Taunus, im 14. Jahrhundert: Mit dem Einzug ihrer intriganten Stiefmutter Katherine auf Burg Königstein verändert sich Johannas ganzes Leben – vorbei ist es mit den unbeschwerten Tagen. Als sie nach einer Vergewaltigung auch noch schwanger wird, verbannen die Eltern sie in ein Kloster. Doch die fromme Klostermagd Johanna gibt nicht auf und beginnt ein Doppelleben: Als gefürchteter Raubritter Johann und Kopf einer Räuberbande kämpft sie gegen die herrschende Ungerechtigkeit und begibt sich mit Hilfe des jungen exkommunizierten Ritters Roland Brobergen auf die Suche nach ihrer kleinen Tochter Gesche. Aber sie und ihre Räuberbande werden verraten und eingekerkert…

Auf Burg Königstein herrscht mittlerweile Katherine, die Johannas kleine Tochter Gesche in ihrer Gewalt hat. Johanna lässt sich einen wagemutigen Plan einfallen, um Katherine als ehemalige Hure zu entlarven. Doch Katherine präsentiert Gesche als ihr eigenes Mündel. Wird es Johanna gelingen, die falsche Eintragung im Kirchenbuch rückgängig zu machen? Zum Glück stehen ihr Roland Brobergen, der unsterblich in Johanna verliebt ist, ein wackerer Kanonenmeister und der liebenswerte Philipp, Katherines buckliger Sohn, zur Seite.

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Neuausgabe bei ForeverForever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH März 2015 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2001/2015Umschlaggestaltung:ZERO Werbeagentur, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95818-030-7

Alle Rechte vorbehalten.Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

KAPITEL 1

»Gott verdamme ihre sündige Seele! Ich werde selbst dafür sorgen, dass meine Verwandte Johanna sich wegen ihrer Ketzerei verantworten muss! Ich bin ein frommer Mann!« Philipp von Falkenstein, Hausherr der Burg Königstein und gerade von seiner langen Reise aus Rom zurückgekehrt, stemmte die massigen Unterarme auf den Tisch und richtete seine vorstehenden Augen erzürnt auf Ritter Bernburg.

Bernburg ließ sich von seinem Lehnsherrn nicht einschüchtern. Nur wenige kannten ihn so gut wie er. Eben darum hatte er gewagt, für Johanna um Gnade zu bitten, die sich am Aufstand der Bürger von Königstein gegen ihren ungeliebten Herrn beteiligt hatte. Aber die Zustimmung, die Philipp lautstark von seinen ohnehin meistens lärmenden Gefolgsleuten im Saal erhielt, ließ ihn zögern, den Sachverhalt erneut darzulegen. Philipp würde sich nicht scheuen, das Strafmaß zu erhöhen, wenn er seinen Männern derart leicht eine Freude bereiten konnte. Manche von ihnen kannte Bernburg nicht einmal; Philipp musste sie aus der Heimat seiner Familie irgendwo im Süden mitgebracht haben.

Die Veränderungen machten Bernburg Sorgen. Der Himmel mochte wissen, was dieser unbeherrschte Eroberer der Reichsburg Königstein in Zukunft anrichten würde. Philipps Blick ruhte jedenfalls auf ihm, als ob er persönlich für die Taten der mutigen jungen Ritterstochter verantwortlich wäre.

»Warum hat Johanna von Falkenstein-Butzbach mich nie wegen ihres Vaters aufgesucht? Sagt, Ritter, warum hat sie mich nicht angefleht, ihn freizulassen?«

»Das entspräche wohl nicht ihrem Charakter«, murmelte Bernburg voll böser Ahnungen.

»Bringt sie her, Bernburg. Ich will sie sehen. Ich will sehen, wie eine Frau aussieht, der Ihr Charakter zusprecht.« Philipp lachte träge und sah sich beifallheischend unter seinen Mannen um. Ihr schallendes Gelächter ließ sein Gesicht glänzen, als hatte er es in Salböl gebadet.

Bernburg hörte das Knacken seines eigenen Kiefers im Ohr, bewahrte aber Haltung und hütete sich, das selbstgefällige Gefasel des Burgherrn zu unterbrechen.

»Man behauptet, Ihr wüsstet, wo sie sich versteckt.«

Bernburg sah keinen Sinn darin zu leugnen, dass er gelegentlich zu Johanna Kontakt hatte. Er nickte schweigend.

»Ihr könntet damit einiges von dem gutmachen, was Ihr Euch in meiner Abwesenheit habt zuschulden kommen lassen.«

Eine leise, aber unüberhörbare Anklage, die Bernburg nicht auf sich sitzen lassen konnte. »Ich habe die Burg für Euch gerettet, Philipp von Falkenstein«, entgegnete er ruhig. »Mit Unterstützung des damals schon sehr kranken Ritters Oppenrod. Eure Herzensdame Katherine war dabei, Stadt und Burg während Eurer Abwesenheit zugrunde zu richten. Die Königsteiner Bürger jedenfalls wären dieser Meinung, und ohne mein Dazwischentreten hätten sie den Burghauptmann und seine wenigen Männer über die Zinnen geworfen.«

»Was fällt Euch ein, Bernburg! Legt gefälligst mehr Respekt vor der Edeldame Katherine an den Tag! Sie hat mir übrigens die Vorgänge ganz anders geschildert.« Der Burgherr stieß heftig die Luft durch die Nase und atmete schwer. Unverkennbar stand er kurz vor einem Wutausbruch.

Die jungen Ritter, die mit Philipp am hohen Tisch zechten, schielten erwartungsvoll zu ihm hin. Die Erfahrenen grinsten und hielten die vollen Krüge fest, damit sie nicht von der Tischplatte springen konnten.

Bernburg sah sich ernüchtert in der Runde derer um, die Philipp am nächsten standen. Keiner von ihnen war auf Burg Königstein gewesen, als die Bürger zum Sturm auf die Burg ansetzten; niemand konnte bezeugen, dass es ausschließlich seinem diplomatischen Geschick zu verdanken wär, wenn die Burg heute noch Philipp gehörte.

»Nun?« fragte Philipp aggressiv. »Wollt Ihr Euch entschuldigen?« Bernburg seufzte. Was er Philipp jetzt noch mitzuteilen hatte, würde ein Dolchstoß in das Herz des Mannes sein, der dieser Frau restlos verfallen wär. Aber er sah keinen Ausweg. »Nein«, sagte er. »Es gab turbulente Ereignisse auf der Burg. Ich werde sie Euch zu anderer Zeit ausführlich schildern. Unter anderem erfuhren wir dabei, wer die Edeldame Katherine in Wahrheit ist: Sie ist keine Edeldame. Sie heißt Katherine Yss und wuchs in bettelarmen Verhältnissen in der Gilergasse von Frankfurt auf. Wenn man es genau nimmt, ist sie nichts als eine Hure, die gegen das Gebot der Heiligen Mutter Kirche ohne den gelben Schleier herumläuft.«

Das Gesicht des Burgherrn rötete sich bis zu den Wurzeln der schon sehr gelichteten kinnlangen Haare. Die wässerigen blauen Augen traten noch mehr hervor als gewöhnlich. Ein Löffel, den er, ohne es zu bemerken, zwischen den Händen gebogen hatte, zerbrach. Philipp schleuderte beide Teile von sich.

Einer der wenigen älteren Ritter an der Tafel wurde von dem einen Löffelteil an der Braue getroffen. Der heftige Schmerz ließ ihn zusammenzucken. Bernburg, der es aus dem Augenwinkel bemerkte, wartete auf den Protest des Mannes, aber dieser wischte nur verstohlen das Blutrinnsal aus den borstigen grauen Haaren, damit es ihn nicht die Sicht nahm.

Es bestätigte Bernburg, was er längst geahnt hatte: Philipp war ein tückischer und unberechenbarer Herrscher; Männer, die ihm treu gedient hatten, wurden schnell zu Feinden erklärt. Aber vor seiner Romreise hatten die Ritter wenigstens gewagt, Philipp Widerstand zu leisten.

Philipp stemmte sich aus seinem Lehnstuhl hoch. »Bernburg!« Die Schärfe in seiner Stimme war ätzend. Er wartete auf ein Zeichen der Unterwerfung.

Bernburg verlagerte sein Gewicht auf das Schwert, dessen Spitze zwischen seinen Füßen stand, und beugte den Nacken kaum spürbar.

Philipp musterte ihn kalt. »Das hättet Ihr nicht sagen sollen, Lehnsmann! Die Dame Katherine hat ein feines Gespür für Feinde und ist unversöhnlich. Ich kann Euch getrost ihr überlassen. Ihr werdet Euch noch wünschen, Eure Strafe nur aus meiner Hand zu empfangen.«

»Ich habe Euch geschworen, Euer Leben, Eure Ehre und Euer Hab und Gut zu verteidigen, Herr«, sagte Bernburg förmlich und ließ sich hinter seinem Schwert auf ein Knie nieder. »Das habe ich getan. Jetzt aber bitte ich Euch, mich aus Eurem Dienst zu entlassen; ich habe Euer Vertrauen nicht mehr und kann Euch nicht mehr von Nutzen sein.«

»Nein, Lehnsmann!« Philipp ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken. In seinem Gesicht wechselten Verblüffung und Verärgerung einander ab.

Niemand wagte, sich zu rühren, und es war still im Saal; nur im Stroh in der Nähe der Heizungsschächte raschelten die Mäuse.

Es dauerte eine Weile, bis Philipp zu einem Entschluss gekommen war. »Ihr werdet mir weiterhin in Treue und mit Eifer dienen, Bernburg. Ich gestatte Euch nicht, Euch einfach Eurer Schuldigkeit zu entziehen! Dagegen mag Oppenrod sich zurückziehen; seine Knochen zerbröseln allmählich, hat man mir erzählt. Und jetzt erspart mir den Anblick Eurer mürrischen Miene und entfernt Euch.«

Ritter Bernburg erhob sich, verneigte sich stumm und wandte sich zur Saaltür. Bevor er sie erreicht hatte, zwang die Stimme seines Herrn ihn, sich nochmals umzuwenden.

»Ich erwarte, dass Ihr Johanna innerhalb der nächsten drei Tage herschafft, ganz gleich, wo und in welch übler Gesellschaft sie sich herumtreibt! Solltet Ihr versagen, werdet Ihr im Kerker darüber nachdenken, wie Ihr Euch bessern könnt.«

»Ich nehme an, dass Ihr für Johannas Sicherheit bürgt und sie unbehelligt wieder gehen lasst?« erkundigte Bernburg sich kühn.

Philipp achtete längst nicht mehr auf ihn; möglicherweise überhörte er Bernburgs Frage aber auch mit Absicht.

Bernburg überdachte noch, ob es zweckmäßig wäre, auf einer Antwort zu beharren, als er grob von hinten angerempelt wurde. Ein Hüne stand hinter ihm, zu dem er aufsehen musste, obwohl er selber nicht klein war. »Seht Euch vor, Heinzenburg«, sagte er grollend.

Ritter Heinzenburg, ein vierschrötiger Klotz von Mann mit einem breitflächigen, nichtssagenden Gesicht, grinste vieldeutig. »Ich glaube nicht, dass ich derjenige bin, der sich vorsehen muss. Wie es scheint, kommt Ihr an diesem Hofe allmählich aus der Mode. Es wurde auch Zeit.«

»Während Ihr immer beliebter werdet«, versetzte Bernburg. »Vor allem bei der Edeldame Katherine Yss aus dem Bettler- und Hurenviertel von Frankfurt, nicht wahr?«

»Hütet Eure Zunge, Bernburg«, zischte Heinzenburg. »Ich könnte sonst versucht sein, Eurem Herrn zu empfehlen, sich dieser Zunge zu entledigen. Es gäbe da verschiedene Methoden, musst Ihr wissen …« Mit klirrenden Beinschienen machte er sich auf den Weg zur hohen Tafel an der Stirnseite des Saals.

»Ach. Seid Ihr der neue Ratgeber unseres Burgherrn?« fragte Bernburg spöttisch hinter ihm her.

Aber weder Heinzenburg noch die übrigen Männer beachteten Bernburg. Sie starren fasziniert auf den Zwerg, der von irgendwo aus dem Verborgenen hervorschoss und wie eine rollende Kugel Heinzenburg den Weg bis zur hohen Tafel durch das schmutzstarrende Stroh bahnte.

Man könnte meinen, Heinzenburg fühlte sich als der Herr im Haus, dachte Bernburg verdrießlich und verließ den Saal.

Johanna von Falkenstein kauerte hinter dichtem Gebüsch an der Straße zwischen Eppstein und Königstein und lauschte mit zunehmender Verwunderung. »Was mag das nur sein, das mit solchem Lärm durch den Wald gekarrt wird?« fragte sie beunruhigt.

»Vielleicht hat sich unser geliebter Burgherr wieder etwas neues Schönes ausgedacht«, mutmaßte Ritter Brobergen, ihr ständiger Begleiter und unauffälliger Beschützer. »Man kann ziemlich sicher sein, dass kein anderer innerhalb seines Herrschaftsbereiches es wagen würde, solchen Krach zu machen.«

Auf Johannas Lippen stahl sich ein Lächeln, das schnell wieder verschwand, als sie daran dachte, dass sie sich immer noch im Wald verstecken mussten, gejagt wie vor dem Aufstand der Königsteiner gegen Philipp. »Wir waren so nah dran, Königstein wieder für den Kaiser zurückzuerobern«, seufzte sie zusammenhanglos. »Ohne Katherine hätte Philipp sich möglicherweise geschlagen gegeben, auf die Burg verzichtet und lieber den Grafentitel angenommen. Wahrscheinlich hat sie ihm eingeredet, dass er beides haben kann.«

»Davon ist wohl auszugehen«, murmelte Roland Brobergen und spähte über die Sträucher hinweg.

Was immer es wär, es musste jetzt ganz nahe herangekommen sein. Gequälte Ochsen brüllten unter den knallenden Geräuschen der Peitschen, Wagenräder knarrten, und eine Männerstimme erteilte widersprüchliche Befehle.

Johanna wechselte mit Brobergen einen ratlosen Blick. Er zog die Schultern hoch. Ein Ochsengespann kam in Sicht. Vier Tiere zogen einen tiefliegenden Karren, begleitet von Knechten in den Farben des Falkensteiners, die hin und wieder in die Speichen griffen und halfen, die ungewöhnliche Ladung in den Fahrspuren zu halten.

»Eine Kanone«, flüsterte Brobergen andächtig. »Ich ahnte doch, dass Philipp noch einen Trumpf im Ärmel haben musste. Seine früheren Eroberungen hat er ja auch

zustande gebracht, ohne von einer Katherine Yss gedrängt zu werden.«

»Wo die Kanone wohl herkommt?« fragte Johanna und ging hastig in Gedanken durch, was sie bisher über Kanonen gehört hatte. Nicht viel. In den ritterlichen Kreisen, zu denen sie durch Geburt gehörte und aus denen sie sehr unfreiwillig hinauskatapultiert worden wär, sprach man über Kanonen nicht. Noch mehr: Man überging ihre Existenz mit verächtlichem Schweigen. Sie klopfte auf den Malchus, den sie statt eines Schwertes an der Seite trug, wie auf die Schulter eines Freundes. »Bestimmt von weit her. Selbst in Eppstein, wo sie auf Hiebwaffen und Rüstungen spezialisiert sind, habe ich nie jemanden etwas über Kanonenwerkstätten sagen hören. Es gab so etwas einfach nicht …«

Der Ritter lächelte trübe. »Es wäre fahrlässig, sie weiterhin zu ignorieren. Diese Kanone könnte das Ende deiner Träume bedeuten, Johanna. Selbst der Kaiser wird es sich jetzt überlegen, ob er versuchen soll, Königstein zurückzuerobern.«

»Aber die Wetterauer Truppen hatten doch im ersten Krieg um Königstein schon eine Kanone«, wandte Johanna ein.

»Von der Burg herab könnte man eine Kanone zerstören, noch bevor die Wetterauer ihre in Stellung gebracht haben. Und die Bedienungsmannschaft dazu, Ochsen, Pferde, Ritter …« Brobergen schüttelte den Kopf.

Johanna, die ihn gut kannte, griff schnell nach seiner Hand und drückte sie herzhaft. Er durfte sich nicht entmutigen lassen! Wer sollte ihr sonst helfen, ihren gefangenen Vater zu befreien und ihre Tochter Gesche zu finden? Ihr Bruder würde es niemals schaffen; er hatte seine Schwächen. Allmählich erst wurde ihr klar, wie sehr die Kanone ihre Feinde begünstigte. Vorübergehend wuchs ihr Hass auf Katherine, deren Ehrgeiz die Ursache für all dieses Unglück wär.

Roland Brobergen entzog ihr seine Hand, und Johanna war dankbar dafür, dass ihre vertrauliche Geste so unbemerkt geblieben war. Er hatte nur Augen für den Karren mit der Kanone, der in quälend langsamem Schritttempo an ihnen vorbeigezogen wurde.

Johanna war überrascht, wie klein sie war, gemessen an der Tiefe der Spuren, die sie hinterließ. Die sechs Knechte waren vollständig davon in Anspruch genommen, sie im Gleichgewicht zuhalten. Ein Mann ging mit einem Arm voller Knüppel neben der Deichsel einher, um Löcher im Weg auszufüllen. Zur Zeit der kaiserlichen Burgmannen war die Straße niemals in so schlechtem Zustand gewesen.

Angeführt wurde der Transport von Burghauptmann Hans Praun, an den sie sich noch gut erinnerte. Er war ein eifriger, dienstbeflissener Mann, genau der richtige, um ein solches Ungetüm sicher zur Burg zu bringen. Er saß auf seinem schweren zottigen Hengst, derart verbissen auf die kostbare Fracht konzentriert, dass er nichts von der Anwesenheit der heimlichen Zuschauer bemerkte.

Und das ist gut so, dachte Johanna. Wer konnte schon genau wissen, wie die Stimmung des Burgherrn derzeit war: ob er sie suchen oder ihr die Gnade der Nichtbeachtung zuteil werden ließ.

Als die Kanone hinter einer Biegung verschwunden war, klopfte sich Brobergen die Erde von den Knien und richtete sich auf. »Vor allem möchte ich wissen, woher Philipp das Geld hat«, überlegte er laut. »Wer kann sich schon eine Kanone leisten? Die Eppsteiner Burgherren mitsamt ihrem Verwandten, dem Mainzer Erzbischof, werden ihm nicht einfach aus nachbarlicher Freundschaft so viel Geld stunden, könnte ich mir denken. Sie gelten als schlaue, aber vorsichtige Geschäftsleute.«

Johanna nickte und stülpte sich wortlos die Kettenhaube über den Kopf. Wenn die Kanone derart entscheidend für den Ausgang des Streites zwischen Philipp von Falkenstein und dem Reich war, war es für Philipp nicht schwer, an Geld zu kommen. Ein zukünftiger Sieger konnte sich jede Kanone leisten.

»Ich glaube, ich weiß es«, sagte Brobergen plötzlich und klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter.

»Wirklich?« Johanna sah ihn zweifelnd an.

Brobergens fröhliche Miene wirkte ansteckend. »Ja! Sie plündern Opferstöcke und ähnliches aus. Komm, lass uns zu deinem Bruder reiten und ihm die Neuigkeit erzählen. Ich schätze, er wird ein ganz neues Arsenal an Flüchen erfinden müssen!«

Als Johanna und Roland Brobergen bei der Hütte im Wald anlangten, in die sie sich nach dem Aufstand in Königstein zurückgezogen hatten, um in sicherer Entfernung die weitere Entwicklung abzuwarten, hatte Vico Besuch. Ein fremdes Pferd weidete die noch spärlichen grünen Halme ab, die in seiner Reichweite wuchsen. Schon draußen hörte Johanna der Stimme ihres Bruders an, dass es ein willkommener Besucher sein musste.

»Ritter Bernburg!« rief sie froh, sprang aus dem Sattel und warf, schon im Laufen, Astors Zügel über einen Busch.

Bernburg stand gemessen auf, als sie hereinstürmte, und verneigte sich. »Johanna von Falkenstein!«

»Ach, so lasst doch die Förmlichkeiten, Ritter! «Johanna umarmte ihn kurz entschlossen. »Bringt Ihr uns Neuigkeiten? Oder wollt Ihr feststellen, ob wir noch leben?«

»Gut, dass Ihr Euren Mut noch nicht verloren habt«, antwortete Bernburg mit ernstem Gesicht. »Ihr werdet ihn brauchen. Philipp von Falkenstein will Euch sprechen. Auf der Burg.«

»Oje.« Johanna ließ sich auf einen Hocker sinken und starrte erschrocken zu ihrem Gast hoch. »Jetzt schon? Ich dachte, er hatte zunächst andere Sorgen. Na ja. Es wäre zu schön gewesen, wenn er uns einfach vergessen hatte.«

»Er hat Euch keineswegs vergessen, Johanna. Im Gegenteil. Er will Euch der Ketzerei anklagen lassen, allerdings erst, wenn er sich der Sache voll und ganz widmen kann. Im Augenblick möchte er Euch nur sprechen; er interessiert sich für Euch. Worum es geht, weiß ich leider nicht.«

»Gesche?« fragte Johanna zögernd, um sich in Windeseile einzureden, dass es das sein musste. »Vielleicht hat er endlich eingesehen, dass sie zu ihrer Mutter gehört!«

»Macht Euch nicht zu viel Hoffnung«, riet Bernburg sanft. »Es sieht nicht so aus, als ob er sich mit Euch versöhnen und Euch Eure Tochter überlassen wollte, eher im Gegenteil. Er hat Heinzenburg an meiner Stelle zu seinem Ratgeber gemacht, und das sieht nach dem Beginn harter Zeiten für uns alle aus. Wappnet Euch also lieber innerlich, damit Ihr nicht enttäuscht werdet.«

»Heinzenburg, der Minneritter von Katherine! Ausgerechnet er!« schnaubte Johanna. »Was meinst du, Roland? Soll ich hinreiten?«

Die Männer wechselten besorgte Blicke. Vico zuckte mit den Schultern.

Brobergen überlegte sich seine Antwort gut. »Ich glaube, es gibt hier keine Wahl, Johanna. Du musst Philipp gehorchen. Im Augenblick lässt er uns nur ungeschoren, weil er alle Hände voll zu tun hat, sein Gebiet nach dem Aufstand wieder neu zu ordnen und sich gleichzeitig auf einen neuen Krieg vorzubereiten.«

»Was?« Ritter Bernburg, der inzwischen Haube und Kettenhandschuhe ausgezogen hatte, machte ein ungläubiges Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch sein graues Haar. Er beugte sich vor, um Brobergen am anderen Ende der Wandbank schärfer ins Auge zu fassen. »Sagt das noch mal, Brobergen!«

»Philipp rüstet für einen neuen Krieg. Mit neuesten Waffen. Wusstet Ihr es nicht?«

Bernburg schüttelte entgeistert den Kopf. »Wie ich schon andeutete: Ich habe Philipps Vertrauen nicht mehr. Ich habe immer für eine gütliche Einigung und Verhandlungen zwischen ihm und der Gegenpartei plädiert. Ich war sein Mann für den Frieden. Er hat sich für den Krieg entschieden, ohne mir Gelegenheit zu geben, auch nur meine Meinung vorzubringen.« Er seufzte tief. »Heinzenburg ist Philipps Mann für den Krieg. Philipp handelt also nur konsequent, wenn er mich aus seiner unmittelbaren Umgebung fernhält.«

»Heinzenburg ist leider mehr als nur ein Ritter, der den Krieg liebt. Er ist brutal, skrupellos und verlogen«, warf Brobergen sorgenvoll ein, bevor er sich an Johanna wandte. »Solange Philipp unsere Beteiligung am Aufstand der Königsteiner mit Schweigen übergeht, lässt er sich jede Möglichkeit offen. Er kann so tun, als hatten wir gar keinen Anteil daran gehabt – er kann uns aber auch als Rädelsführer suchen lassen. Wir dürfen ihm keinen Vorwand liefern, Praun ein zweites Mal nach uns auszuschicken.«

»Ganz genau«, sagte Bernburg zustimmend.

Vico sprang so hastig auf, dass sein Hocker polternd umfiel. »Es ist unglaublich«, versetzte er böse, »wir waren so nah dran am Sieg. Nur Philipps unselige Leidenschaft zu dieser Hure hat verhindert, dass er sich geschlagen gab.

Es wäre besser gewesen, Katherine auf der Stelle totzuschlagen …«

»Nur sie weiß, wo Gesche ist«, erinnerte Johanna ihn mit gequältem Gesichtsausdruck »Wir mussten dafür sorgen, dass ihr nichts Ernstliches passierte …«

»Ja, Schwesterchen. Wir müssen uns eben damit trösten, dass Katherine einige Wochen in der Gesellschaft von Ratten hungern durfte. Welch ein Ergebnis eines Aufstandes! Es ist nicht zum Aushalten!« Vico warf ihr einen grollenden Blick zu und verließ ungestüm die Hütte.

Bernburg erhob sich. »Ich werde auch wieder gehen.«

»Was ist aus Ritter Oppenrod geworden?« erkundigte Johanna sich, als sie alle schon draußen standen. »Wie geht es ihm?«

Bernburg, der im Begriff war, in den Sattel zu steigen, drehte sich zu ihr um. »Gottlob, es geht ihm ganz gut. Er hat sich daran gewohnt, die Medizin nach Eurer Vorschrift einzunehmen. Philipp hat ihn aus seinem Dienst entlassen, so dass sein Leben jetzt in ruhigen Bahnen verlaufen wird.«

»Und Kurt?«

»Oh, Kurt.« Bernburg lachte, schwang sich auf sein Pferd und setzte sich im Sattel zurecht. »Der ist nach Hause geeilt, um seine Hochzeit in die Wege zu leiten, und wird danach wiederkommen. Eigentlich müsste Philipp ihn zum Ritter schlagen. Verdient hat er es. Die Turbulenzen seines Lebens haben ihn nun lange genug aufgehalten, finde ich.«

»Wie schön! Dann werden wir ihn ja bald wiedersehen. Vielleicht sogar seine Schwertleite miterleben. «Johanna lächelte verloren und malte sich in Gedanken das feierliche Gelöbnis eines aufrechten und tapferen jungen Mannes aus, der mit allem gebrochen hatte, was in seinem Stand üblich war, um eine Bauerntochter zu heiraten. Sie winkte Bernburg nach, als sie Rolands skeptische Miene bemerkte. »Glaubst du, dass wir bei Kurts Schwertleite nicht anwesend sein dürfen?«

»Ich glaube nicht, dass Philipp ihn zum Ritter schlagen wird«, widersprach Brobergen. »Was er getan hat, dürfte in Philipps Augen ein unentschuldbares Vergehen darstellen. Es sei denn, es träten Umstände ein«

»Dann will ich hoffen, dass sie eintreten«, versetzte Johanna schroff und hörte auf zu winken.

Bevor Bernburg in den Wald eintauchte, rief er ihr noch zu: »Bitte erscheint spätestens in zwei Tagen auf der Burg, Johanna. Philipp wird nicht zögern, mich vierteilen zu lassen, wenn Ihr nicht kommt. Mit seinen beiden Ratgebern Heinzenburg und Katherine wird er alle Hemmungen verlieren.«

Johanna zuckte zusammen und sah zu Brobergen hoch. »Glaubst du, dass er recht hat?«

»Ich fürchte, ja«, antwortete der bedächtig. »Es könnte sein, dass Philipp uns nur scheinbar unbehelligt lässt. Irgendwann muss der Kampf zwischen den Falkensteinern von Lich und von Butzbach entschieden werden. Mit Katherines und Heinzenburgs bösen Einflüsterungen wird es Philipp nicht darum gehen, Frieden zwischen den Familien zu schaffen, sondern Ruhe. Endgültige, tödliche Ruhe.«

»Aber dann wären wir ja in größerer Gefahr als bisher«, sagte Johanna betroffen. »Vielleicht mit Ausnahme von Gesche.«

Brobergen nickte und legte tröstend seinen Arm um ihre Schultern. »Ich werde alle Hände voll zu tun haben, um euch zu schützen. Am besten wäre, du willigst endlich ein, mich zu heiraten …«

»Davon kann überhaupt nicht die Rede sein«, schnaubte Johanna und entwand sich Brobergens Umarmung. »Außerdem hast du selbst gesagt, dass ich warten soll, bis du dich mir vor die Füße wirfst! Ich weiß allerdings nicht, was ich mit einem Ehemann anfangen sollte, der mir ständig im Weg liegt …« Sie wusste, dass sie zu scharf geantwortet hatte. Aber sie verabscheute Mitleid und Schutz. Hilfestellung war das einzige, das sie akzeptierte. Hocherhobenen Hauptes rauschte sie davon.

Zwei Tage später stand Johanna vor dem Saal der Feste Königstein. Während der Knappe zu Philipp von Falkenstein ging, um sie zu melden, begann ihr Herz gewaltig zu klopfen. Sie war ihrem Verwandten von nahem bisher nur einmal begegnet, aber damals saß sie im Zisterzienserhof von Eppstein unter einem Tisch und sah nur seine Füße. Peinlich genug, um es niemandem zu erzählen. Später hatte sie Philipp bei zwei Turnieren gesehen, und beide wären so aufregend gewesen, dass sie von ihn nur einen ungefähren Eindruck bekommen hatte.

Der Knappe, der Johanna zwischen den Tischen an den Längswänden vorbei zur hohen Tafel führte, duldete achselzuckend, dass Roland Brobergen ihr wie ein Schatten folgte. Sie war froh, ihn bei sich zu wissen, als sie verstohlen den Blick über die Ritter schweifen ließ und fast nur fremde Gesichter sah. Aber dann wäre sie vor Überraschung beinahe über einen der herumliegenden Knochen gestolpert.

Lettel, der Lehnsmann ihres Vaters, der ihr das Reiten und den Turnierkampf beigebracht hatte, befand sich im Saal. Er stand bei einer Gruppe von jungen Leuten, die noch nicht alt genug wären, um Ritter zu sein. Sie unterhielten sich lebhaft miteinander, zogen aber den alten Mann nicht ins Gespräch, vielmehr schien er sich nur als geduldet zu betrachten. Vorübergehend litt sie mit ihm, bis ihr einfiel, dass ausgerechnet er jetzt dem neuen Herrn diente. Hatte er seine frühere Verbundenheit zu ihrer Familie völlig aus dem Gedächtnis getilgt?

Die Aufmerksamkeit, die die Neuankömmlinge erweckten, veranlasste Lettel, sich umzudrehen. Seine Miene blieb ausdruckslos, aber irgendwie vermittelte er den Eindruck, geblinzelt zu haben. Ein Gruß für sie oder eine Warnung? Oder gar eine Drohung?

Beunruhigt setzte Johanna ihren Weg fort, noch mehr auf der Hut als bisher schon. Aber sie fand keine Zeit zum Grübeln: Philipp von Falkenstein wurde plötzlich auf sie aufmerksam.

Er sah ihr mit zusammengekniffenen Augen entgegen, als ob er seinen Augen nicht traue. Johanna staunte ebenfalls. Er hatte eine imposante Figur gehabt, als sie ihn auf dem Turnierplatz gesehen hatte, aber massig wie ein schlachtreifer Ochse war er noch nicht gewesen. Seine Haare wären schütter, obwohl er keineswegs alt wär, und in dem hellen Tageslicht schimmerten sie rot.

»Mein Vetter Lienhart aus Butzbach pflegt oft fremdzugehen, wie man hört«, sagte Philipp in feindlichem Ton, »aber Ihr stammt zweifelsohne von ihm.«

»Da bin ich sicher«, sagte Johanna mit hocherhobenem Kinn und versuchte vergeblich, in den sie anstarrenden wässerigblauen Augen des Burgherrn verwandtschaftliche Gefühle zu erkennen. »Obwohl ich meine roten Haare von meiner Mutter geerbt habe, nicht etwa von den Falkensteinern, wie Ihr zu glauben scheint.«

»Die Kratzbürste mit der schlechten Erziehung! Dame Katherine erwähnte es einmal. Ich erkenne, wie recht sie hat.« Philipp begann Johanna demonstrativ vom Kopf bis zu den Füßen zu mustern. »Ich erwartete Euch nicht in Knappenkleidern«, sagte er kalt. »Es gehört sich nicht für ein Edelfräulein und lässt auf fehlende Frömmigkeit schließen. Es ist unnatürlich und mindestens genau so verwerflich wie eine Hure ohne Kennzeichnung.«

»Und wie ein Priester in geschlitzter Kutte«, sagte Johanna zustimmend. »Wir beide können bestimmt noch mehr verwerfliche Dinge dieser Welt zusammentragen, wenn wir uns Mühe geben, Philipp von Falkenstein. Gewiss gehört auch das Zusammenleben mit einer verheirateten Frau dazu. Mit einer, die mit einem anderen Mann verheiratet ist, meine ich.«

Der Falkensteiner kniff die Augenlider zusammen. Er hatte sie unterschätzt und schnell gelernt.

In ihrem Rücken spürte Johanna den warnenden Druck von Brobergens Hand. Aber sie dachte nicht im Traum daran, sich fügsam zu geben. Schließlich hatte Philipp die Attacke begonnen, und außerdem war sie ihm von Geburt her ebenbürtig.

»Macht das freche Weib einen Kopf kürzer!« mischte ein Ritter sich plötzlich ein. »Sollte sie mir einmal im Wald begegnen, ich würde nicht zögern..«

Jetzt erst wurde Johanna gewahr, dass Heinzenburg neben Philipp saß. Bernburg hatte recht gehabt: Der schreckliche Kerl war zum Ratgeber Philipps aufgestiegen.

Der Hausherr wischte den Einwurf mit einem unwirschen »noch nicht« beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Sein Mittelfinger begann rhythmisch zu trommeln, und seine Lippen spitzten sich zu einem unhörbaren Flöten.

Seine Ritter, die sich offenbar auf einen Streit wie auf den Auftritt einer Gauklertruppe gefreut hatten, lauschten verdutzt. Einer grinste; sein unter dem Tisch ausgestreckter Fuß wippte im Takt, während auch er lautlos zu flöten begann. Unterdrücktes Gelächter machte sich breit.

Johanna stand hilflos da. Vermutlich war es ein unflätiges Lied aus der Gosse, und es machte sie rasend zu bemerken, dass alle Trinkkumpane von Philipp es zu kennen schienen. Ihr war es unbekannt. Sie ballte die Fäuste.

»Jetzt weiß ich, was Bernburg mit Charakter meinte«, sagte Philipp, als auch der letzte Knappe im Saal begriffen hatte, was gespielt wurde. »Wenn nicht der Tisch wäre, würde sie auf mich losgehen. Sie ist weiter nichts als ein wildes Tier. Man muss es zähmen.«

»Was wollt Ihr von mir?« fragte Johanna grob, als sie die unwürdige Situation nicht mehr ertragen konnte. Sie war geradezu erleichtert, als die Lüsternheit in seiner Miene unverzüglich in Hohn umschlug.

»Um auf die verheiratete Frau zurückzukommen«, begann Philipp, »Katherines vorige Ehe wurde vom Heiligen Vater in Rom für ungültig erklärt. Es kann also gar keine Rede davon sein, dass ich mit einer verheirateten Frau in Sünde lebte. Außerdem lebte sie bei mir, nicht mit mir. Ich gewährte ihr Schutz vor ihren missgünstigen Stiefkindern, die ihr nach dem Leben trachteten.«

Johanna stieß einen Laut der Verachtung aus. Es war ihr nicht klar, ob Philipp auch nur ein Wort von dem glaubte, was er behauptete.

Philipp erhob seine Stimme. »Jetzt aber, da alles geklärt ist, werde ich mit der schönen Dame Katherine Hochzeit feiern. Ich habe Euch hierhergebeten, um Euch höchstpersönlich die Einladung zu unserer Feier zu übermitteln, Johanna.«

Er machte Johanna im ersten Augenblick sprachlos. Sie hatte mit allem Möglichen gerechnet, sogar mit ihrer Gefangennahme – aber damit nicht.

»Natürlich nur in weiblicher Kleidung.« Philipp grinste schmierig, verzichtete aber wenigstens auf den Gassenhauer. »Lasst Euch in der Stadt ein Kleid anfertigen, wenn Ihr keines mehr habt. Eine Ausrede lasse ich nicht gelten.«

Genau danach suchte Johanna fieberhaft. Es war einfach ein entsetzlicher Gedanke, die Hochzeit ihrer ehemaligen Stiefmutter, die ihren Ehemann auf so schmähliche Weise ausgenutzt hatte, mitfeiern zu müssen. Dann fiel ihr etwas ein. »Wenn aber Katherine mit meinem Vater nicht verheiratet war, bin ich mit ihr nicht verwandt und sehe keinen Anlass, zu ihrer Hochzeit zu kommen«, sagte sie fest.

»Ich lade Euch nicht als Stieftochter von Katherine ein, sondern als meine Verwandte. Es wird Zeit, dass die beiden Zweige der Falkensteiner die verwandtschaftlichen Bindungen wieder aufleben lassen, findet Ihr nicht, Johanna? Werdet Ihr also kommen?«

Der innere Kampf schnürte Johanna förmlich den Hals zu. »Nein!« hatte sie am liebsten gerufen. Aber möglicherweise verhinderte sie damit die Freilassung ihres Vaters Lienhart aus der Gefangenschaft. Und die Rückgabe ihrer Tochter Gesche. »Ja«, presste sie mühsam heraus. »Wenn mein Bruder und Ritter Brobergen ebenfalls eingeladen werden.«

»Das lässt sich machen! Meine Vermählung findet am Johannistag statt.« Philipp von Falkenstein begann leise Worte mit Heinzenburg zu wechseln. Er hatte das Interesse an Johanna sichtlich verloren. Johanna schwenkte den mit Perlen besetzten, vornehmen Hut, den sie seit dem Eintritt in den Saal in der Hand hielt. »Dürfen wir uns jetzt zurückziehen?« fragte sie der Form halber und versuchte, ihre Erleichterung aus der Stimme herauszuhalten.

Philipp, der den Blick missbilligend auf ihren Hut geheftet hatte, kehrte zu Johannas Haaren zurück. Seine Züge wurden weicher. »Nein«, sagte er.

Johanna zuckte erschrocken zusammen.

»Das war erst die eine Hälfte der Botschaft. Die zweite lautet folgendermaßen: Mein Hochzeitstag ist zugleich der letzte Tag, den Ihr verbringen werdet, wie es Euch als Tochter eines Ritters in die Wiege gelegt war. Ab dem Tag danach seid Ihr zur Strafe für Eure Vergehen vogelfrei. Ich werde es in Königstein und sämtlichen Dörfern ausrufen lassen. Jeder wird Euch ungestraft erschlagen und ausplündern dürfen, der dazu Lust verspürt. Wie findet Ihr das?«

Johanna sah ihn starr vor Entsetzen an.

Philipp grinste und winkte ungeduldig mit seiner fleischigen Hand. »Jetzt dürft Ihr Euch zurückziehen.«

KAPITEL 2

Vico von Falkenstein drehte das Dokument, das ihm ein Knecht des Königsteiner Burgherrn auf dem Marktplatz übergeben hatte, um und um. Es war zweifelsohne echt; Philipps Siegel mit den drei Hechten bewies es. Und trotzdem war keiner von ihnen bereit, die Bedingung zu glauben, die Philipp für die Freilassung ihres gefangenen Vaters stellte.

»Vielleicht hat sich der Schreiber vertan. Sein Sohn hat das Kindbettfieber, und seine Ehefrau ist beim Spielen in den Teich gefallen«, murmelte Johanna bedrückt. Mit den Gedanken bei ihrem Vater Lienhart im Verlies einer ihnen unbekannten Burg, starrte sie auf die Zeilen, die die Höhe des Lösegeldes bekanntgaben. Es war einfach unfassbar hoch.

»Entweder Philipp stellt die Forderung nur zum Schein, weil Katherine Lienhart gar nicht freigeben will«, mutmaßte Roland Brobergen nüchtern, »oder er braucht Unmengen von Geld und erpresst jeden, der ihm dafür tauglich erscheint.«

»Wofür braucht er soviel Geld?« warf ihr Bruder ein. »Glaubst du, er will sich den Grafentitel kaufen?«

»Verflucht soll er sein«, sagte Johanna unbeherrscht. »Das Geld braucht er für Kanonen!«

»Genau. Für die Kanone«, sagte Brobergen zustimmend. »Aber dafür wird Philipp wohl noch mehr Gefangene machen müssen.«

»Vielleicht hat er genau das vor. Zum Glück würde niemand für uns zahlen«, warf Johanna ein. »Ich glaube allmählich, dass er uns auch aus diesem Grund einstweilen schont. Außerdem sind wir die einzigen, die das Lösegeld für Vater aufbringen würden.«

»Aber wie?« fragte Vico düster.

Sie sahen sich schweigend an. Johanna konnte in den Augen der beiden Männer erkennen, was sie selbst dachte: Es war unmöglich. Sie konnten es nicht schaffen. Ohne größeren Landbesitz und regelmäßige Einnahmen kam niemand an hundert Mark. »Philipp traut uns offenbar zu, dass wir ausreichend gewitzt sind.«

»Leihen ist das einzige, was mir einfällt«, murmelte Vico.

»Aber bei wem? Und gegen welche Sicherheit?«

Vicos Kiefer mahlten. »Wie wär’s mit unserer netten kleinen Familienburg?«

»Sie ist nicht unsere Burg. Sie ist das rechtmäßige Erbe von Vaters älterem Bruder. Und der hat zehn Kinder.«

»Und fünf Mägde, zwanzig Kühe und eine Gänseherde. Na und? Er hat die ganze Zeit in Saus und Braus gelebt, während wir gejagt wurden.«

»Vico!« sagte Johanna energisch. »Vater wurde uns nie verzeihen, wenn wir die Burg verpfänden.«

Roland Brobergen räusperte sich, als die feindliche Stille nicht mehr auszuhalten war. »Ich schlage vor«, sagte er, »dass wir nach Eppstein zur Schwertschmiedin Ennel reiten. Erstens hindert es uns, Trübsal zu blasen, zweitens haben wir im Augenblick sowieso nichts Besseres vor …«

Johanna schielte zu Vico, der mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte trommelte. Ein unangenehmes Geräusch. Es erinnerte sie an den scheußlichen Augenblick, in dem Philipp sie mit den Augen fast ausgezogen hatte.

Vico hörte auf zu trommeln. »Und drittens?«

Brobergen zuckte entschuldigend mit der Schulter. »Die Ennelin hat immer gute Ideen, sogar, wenn mir meine ausgehen.«

Vico verdrehte die Augen.

»Vielleicht kennt sie jemanden, der uns unbedingt Gold im Wert von fünfzig schlachtreifen Ochsen aufdrängen möchte.«

»Hinzu kommt, dass wir uns bis Sankt Johannis frei bewegen dürfen, ohne dass uns jemand behelligt«, fügte Johanna hinzu und stand entschlossen auf. »Zur Abwechslung ist es ein sehr erfreulicher Zustand, einmal nicht mit den Augen am Hinterkopf reiten zu müssen. Vielleicht hat Ennel inzwischen etwas über Gesche erfahren.«

Die Straße zwischen Königstein und Eppstein lag friedlich und einsam im Sonnenschein; immer noch mieden die Bauern die Stadt aus Furcht vor den Rittern des Burgherrn. Nur am Markttag kamen sie notgedrungen; dann aber immer mehrere zusammen mit ihren Karren oder Maultieren.

An diesem Tag hatten die Reiter freie Bahn, und Johanna nutzte die Gelegenheit zu einem forschen Jagdgalopp. Hinter sich hörte sie das Schnauben und die gleichmäßigen Huftritte von Brobergens und Vicos Pferden. Es dauerte nicht lange, bis sie die aufgestaute Wasserfläche des Fischbachs zwischen den Bäumen glänzen sah und dahinter das Osttor von Eppstein.

Johanna parierte zum Schritt durch und ließ Brobergen aufschließen. »Ich bin neugierig, wie es Ennel geht. Und dem Lehrling Claus«, meinte sie versonnen. »Ihn habe ich zuletzt gesehen, als er Astor sattelte, nachdem die Zisterzienser mich hinausgeworfen hatten. Weißt du noch? Da liefen ihm die Tränen. Er hat ein weiches Herz und ist ein lieber Junge.«

»Und sehr geschickt mit den Händen. Er zeigte mir seinen ersten eigenhändig geschmiedeten Malchus, als ich das letzte Mal dort wär«, sagte Brobergen und duckte sich unter das Torgewölbe, um nicht mit dem Kopf an die Steine zu stoßen.

»Halt!« brüllte ein Wachsoldat und senkte mit wütendem Gesicht seine Helmbarte so schnell, dass Brobergens Hengst mit der Brust dagegen prallte. »Wozu, glaubt Ihr wohl, stehe ich hier, Ritter?«

»Keine Ahnung«, sagte Brobergen ehrlich und musterte ihn erstaunt. »Hast du denn einen Grund? Noch dazu mit spitzem Kriegsgerät! An deiner Stelle würde ich damit ganz vorsichtig umgehen, damit niemand zu Schaden kommt.«

»Wärt Ihr ein Bauer, würde ich Euch wegen Eurer Unverschämtheit einsperren lassen«, schnauzte der Soldat und trat aus dem Halbrund, in dem er zu stehen hatte, neben Basileus, der nervös mit dem Schweif schlug. »Sagt, wer Ihr seid und wohin Ihr wollt! Wenn Ihr Glück habt, erhaltet Ihr bald Bescheid, ob Ihr in die Stadt dürft.«

Brobergen wandte sich kopfschüttelnd an Johanna und Vico. »Hat es so etwas schon einmal in Eppstein gegeben? Man könnte meinen, wir wären ein feindliches Heer.«

Johanna lächelte nur. Ihr hitziger Bruder schickte sich bereits an, dem Wachmann den Kopf zurechtzusetzen.

Die Augenbrauen zu einem einzigen buschigen rotbraunen Strich zusammengezogen, stieß er seinem Pferd die Hacken in die Seite, bis dessen Stirn den Soldaten berührte. »Ich bin Vico von Falkenstein, Kerl, und ich bin ganz sicher, dass deine Aufgabe nicht darin besteht, vornehme Reisende zu belästigen. Ich könnte versucht sein, mich bei deinem Burghauptmann zu beschweren!«

»Ihr könntet auch beim Mainzer Erzbischof vorstellig werden, es würde Euch nichts nützen, Vico von Falkenstein. Meine Befehle lauten, jeden Fremden zu überprüfen, und das tue ich. Wer sind die anderen …

Bevor Vico Gelegenheit fand, seinem Ärger noch weiter Luft zu machen, hob Brobergen beschwichtigend die Hand. »Schon gut, Wachsoldat. Wir wussten es nicht, denn bisher wurde an den Eppsteiner Toren nie scharf kontrolliert. Wir sind hier zwei Jahre lang aus und eingegangen, wie wir wollten. Mein Name ist Roland Brobergen, und er heißt Johann von Falkenstein.«

»Und Ihr wollt wohin?«

»Ach so. Zur Schwertfegerin Ennel«, antwortete Brobergen, auch er langsam am Ende seiner Geduld, aber noch höflich.

»Ausgerechnet zur Ennelin?« Der Wachsoldat rümpfte die Nase und überlegte. »Wartet hier«, sagte er schließlich und fügte drohend hinzu: »In Eurem eigenen Interesse.« Er drängte sich zwischen Johanna und Vico hindurch und verschwand in dem Häuschen, das sich an das Tor schmiegte. Drinnen setzte Murmeln ein.

»Sehr merkwürdig, dies alles«, sagte Brobergen leise.

»Als ich noch im Zisterzienserhof lebte, guckten die Wachen höchstens den Bauern in die Karren wegen des Zolls«, flüsterte Johanna, »für Ritter ohne Gepäck haben sie sich nie interessiert. Zum Glück. Ein gewisser Raubritter Johann hätte sonst nie in Eppstein kommen und gehen dürfen, wie es ihm beliebte.«

Brobergen lachte unterdrückt. »Das Gesicht des Hofmeisters würde ich gerne sehen, wenn du ihm eröffnetest, dass sein Stadthof für einige Zeit ein Raubritterhorst war.«

»Na ja, ganz so war es ja auch nicht«, sagte Johanna etwas geniert. »Die beiden Männer, die ich erschlug, hatten es verdient. Ich nehme an, sie schmoren jetzt in der Hölle.«

»Sei dankbar«, murmelte Brobergen, plötzlich in sich gekehrt. »Es gibt Situationen, in denen man jemanden in die Hölle befördern muss, obwohl man es gar nicht will …«

Johanna sah ihn forschend an. Er trug sein Herz nicht auf der Zunge, sie ahnte nicht einmal, ob er jemanden Bestimmten meinte. Aber sie war ganz sicher, dass besondere Umstände vorliegen mussten, wenn er einen Feind tötete … Roland war anders als andere Männer und ganz sicher ein Ritter mit jeder Faser seines Herzens.

»Dass wir zur Ennelin wollen, schien dem Kerl auch nicht besonders zu passen.«

Vico riss Johanna aus ihren Gedanken, gerade als der Soldat wieder aus der Wachstube trat. Sein Widerwille gegen sie schien sich noch verstärkt zu haben. »Pst«, warnte sie.

»Ihr dürft passieren«, knurrte der Soldat. »Aber wir raten Euch dringend, keine Schwerter von Ennel zu kaufen!«

»Das haben wir auch nicht vor«, versetzte Brobergen knapp und trieb seinen Hengst unverzüglich an.

Johanna und Vico folgten ihm. Jenseits des Torbogens brachte Brobergen Basileus sofort in einen schnellen Trab, so dass es Johanna unmöglich wär, mit ihm über die eigenartige Anweisung zu sprechen.

Und dann standen sie auch schon vor der Schmiede, deren Tor in diesem Augenblick geöffnet wurde.

»Johanna ist da, Meisterin!« brüllte Claus so begeistert, dass die Schwertschmiedin aus ihrer Werkstatt herausstürzte. Sie legte schützend die Hand über die Augen und starrte die Besucher der Reihe nach an.

Plötzlich lächelte sie breit. »Ihr seid es wirklich! Dass ich das noch erlebe«, sagte sie warmherzig.» Es hieß, sie

hatten Euch alle drei wegen Ketzerei verurteilt, und einer wollte das Edelfräulein Johanna schon brennen gesehen haben. Gottlob, dass die Gerüchte schlimmer wären als die Tatsachen.«

»Ich nehme Euch Astor ab«, rief Claus dazwischen und hielt den Hengst, bis Johanna abgesprungen war. »Ich reibe sie alle drei trocken und tränke sie.«

»Fein, Claus, danke«, sagte Johanna und stellte lächelnd fest, dass Claus wie früher dahinschmolz, wenn er mit ihr sprach. Mit Verwunderung aber registrierte sie, dass Ennel zum Tor ging und den Querbalken vorlegte, obwohl es nicht einmal Mittag war und ganz sicherlich noch Kundschaft kommen würde. »Was das Brennen betrifft, kann es dazu durchaus noch kommen. Immerhin werde ich in absehbarer Zeit für ehrlos und vogelfrei erklärt werden und darf mich nach Johannis im Gebiet des Falkensteiners nicht mehr blicken lassen.«

Ennel kehrte mit betroffener Miene zurück. »Was Ihr nicht sagt! Die Zeiten sind wirklich hart. Leider werden sie noch härter werden. Kommt mit ins Haus. Hier draußen …« Sie ging voraus zur Treppe, und Johanna schlüpfte an ihre Seite.

»Gibt es irgend etwas über meine Tochter Gesche, das Ihr möglicherweise gehört hättet?« fragte sie zögernd.

»Nichts. Gar nichts«, sagte Ennel bedauernd. »Im Augenblick reden alle nur noch über den Krieg.«

Johanna nickte beklommen. Ihre Hoffnung war nur klein gewesen, und sie war nicht besonders enttäuscht.

Als sie Platz in Ennels kleinem Geschäftsraum gefunden hatten, wo wie früher Muster von allen Waffenarten an den Wänden hingen, die in dieser Werkstatt gefertigt wurden, deutete Brobergen mit dem Daumen in den Hof. »Was ist draußen los, Ennel? Lauscher?«

Die Ennelin zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht genau. Ich befürchte es. Mag sein, dass ich schon Nachtmahre sehe, wo sich nur Wolken ballen.«

»Aber immerhin zu einem Gewitter. Wir wurden bereits vor Euch gewarnt, jedenfalls davor, bei Euch Schwerter zu kaufen.« Vico klopfte auf das Schwert, das an seinem Gürtel hing, und grinste. »Der Wachsoldat am Tor fand es wohl nicht mehr gut genug für einen gutaussehenden Ritter.«

Ennel lächelte flüchtig. »Es freut mich, dass Ihr Euren Humor noch nicht verloren habt, Ritter Vico. Meiner kommt mir allmählich endgültig abhanden. Ich wusste nicht, dass sie jetzt auch schon meine möglichen Kunden bedrohen …«

»Wer sind sie?« wollte Brobergen wissen.

»Das sind die Eppsteiner Herren, Roland, zu denen auch der Mainzer Erzbischof gehört, wie du weißt. Die Edeldame Johanna hatte mich kaum von dem verbrecherischen Leiter des Zisterzienserhofes befreit, da begannen die Eppsteiner Burgherren mich zu drangsalieren. Ich vermute, Philipp von Falkenstein verbündete sich umgehend mit ihnen, als Vater Gottfried seines Amtes enthoben wurde und Philipp die Unterstützung der Zisterzienser verlor. Kurz gesagt: Er versucht, sämtliche Waffen der renommierten Schmieden in die Hand zu bekommen.«

Vico begann schon wieder zu grinsen. »Man darf also die Drohung des Wachsoldaten als höchstes Lob für Eure Schmiedekunst betrachten, Meistern Ennel! Ist es nicht so?«

»Oh, Ritter Vico«, brach Ennel aus und musste ein Lachen unterdrücken. »Ich könnte gut ohne solche Schmeichelei auskommen. Philipp bezahlt die Schwerter ja, wenn auch grundsätzlich erst am letzten Zahltag, aber er macht den Preis, und der ist niedriger, als wenn ich ihn mache.«

»Warum lehnt Ihr nicht einfach ab«, fragte Johanna verwundert. »Geht nicht«, sagte Ennel grimmig. »Er hat die Landesherren auf seiner Seite. Die können mich bis zur Ausweisung unter Druck setzen. Es ist das gleiche wie früher mit den Mönchen. Die Bürger müssen gehorchen, und wenn es noch so ungerecht ist..«

Das Schweigen lastete drückend auf ihnen, während Johanna an den Aufstand zurückdachte, der eben diese Ungerechtigkeit hatte beenden sollen.

Ennel unterbrach es mit einer energischen Geste und setzte eine fröhliche Miene auf. »Was führt Euch eigentlich zu mir?«

»Nichts Bestimmtes«, antwortete Brobergen ausweichend. »Ich schwatze gerne mit dir, wie du weißt …«

Ennel nickte ungläubig. »Und weil du gerne mit mir schwatzt, kommt ihr drei hier wie ein Spähtrupp angeritten, mit Mienen, in denen die Frage liegt, ob ihr die Lanze oder besser das Schwert bereithalten sollt. Glaubwürdig, Ritter Roland. Absolut glaubwürdig!«

Brobergen lachte leise. »Du hast ja recht. Wir waren nicht darauf vorbereitet, am Stadttor wie Feinde behandelt zu werden. Davon müssen wir uns erst erholen.«

»Das glaube ich«, sagte die Schwertschmiedin und stand auf. Auf den Tisch gestützt starrte sie Brobergen grimmig ins Gesicht. »Aber aus der Erholung wird wohl nichts werden. Kommt mit!«

Sie schob sich zwischen den Stühlen der Besucher hindurch zur Tür und stapfte die Treppe hinunter. Johanna wechselte fragende Blicke mit Roland und Vico und folgte der Schmiedin wortlos.

Zu ihrem Erstaunen verließ Ennel die Schmiede und marschierte in Richtung auf das sackartige Ende der Straße. Hier hatte es früher zwei Bauernhöfe gegeben; von der Gasse aus hatte man im Herbst Äpfel stibitzen können. Jetzt gab es eine neue, abweisende Mauer aus grauem Bruchstein, und statt der Baumäste kroch Lärm über die Mauerkrone. Die Ennelin stieß die Pforte in einem Tor von gewaltiger Breite auf und wartete ungeduldig auf ihre Besucher.

Ein solches Fauchen hatte Johanna noch nie gehört. Es war unerträglich.

Der Lärm kam von zwei Öfen, die mit Bergen von Holzkohle gefüttert wurden. Eine beträchtliche Anzahl von Männern mit geschwärzten Gesichtern und Händen schleppte sie wie ein unendlicher Lindwurm in Körben heran. Wahrend die Klappe geöffnet wurde, blickte Johanna in eine Glut, die auch für die Hölle ausreichend sein musste.

Die Ennelin winkte mit fragendem Gesicht einem der Handwerker zu, die sich geschäftig um eine aufrecht stehende Säule scharten, ein merkwürdiges Gebilde aus Ton, das von schrägstehenden Holzstempeln und Eisenstangen gestützt wurde. Johanna hatte sie gerne von nahem betrachtet, aber der Meister signalisierte sein Einverständnis, und Ennel zog Brobergen über den Hof mit sich in den Schutz einer Mauerecke, wo sie die Köpfe zusammenstecken konnten. Johanna kam gerade rechtzeitig, um zu hören, was Ennel sagte.

Sie deutete mit dem Daumen zu den Öfen hinüber. »Heute ist der zweite Tag«, schrie sie. »Morgen beginnen sie mit dem Guss der Kanone. Sie schmelzen gerade die Bronze.«

»Kanone«, formten Brobergens Lippen, ohne dass etwas zu hören war, aber er schien eigentlich nicht überrascht.

Johanna wusste nicht, wie Kanonen gefertigt wurden,

und fand es unerhört aufregend. Offensichtlich waren die Leute dabei, eine äußere und eine innere Röhre, zwischen die das Metall gegossen werden sollte, mit viel Holz zu stabilisieren.

Ennelin ließ sie zusehen, ohne weitere Erklärungen abzugeben. Als sie Brobergen nach einer Weile am Arm packte und zum Tor deutete, war Johanna dankbar, dem Lärm und der Hitze zu entkommen.

»Mein Gott, wie kann man nur eine solche Arbeit aushalten!« stieß auch Vico aus, als sie jenseits der Mauer standen und frische Luft schöpften.

»Wie Ihr ganz richtig sagt. Für Gott, den Herrn«, versetzte die Ennelin einsilbig und trat den Rückweg an.

»Wie meint Ihr das?« fragte Vico konsterniert.

»Die Zisterzienser bezahlen die Kanone.«

»Das würde Vater Lorenz nie tun«, widersprach Johanna überzeugt.

Ennel wandte sich mit spöttischem Gesichtsausdruck um. »Vater Lorenz doch nicht! Er ist ein ganz annehmbarer Leiter des Stadthofes; mit ihm hat es noch nie Schwierigkeiten gegeben. Aber erinnert Ihr Euch an Vater Gottfried, der zur Strafe nach Salem geschickt wurde?«

»Nur zu gut«, sagte Johanna und runzelte voll böser Vorahnungen die Stirn.

»Der streckt das Geld vor. Er ist hier gewesen und hat den Ablauf des Baus und den Preis persönlich mit dem Meister abgesprochen. Der Meister ist ein Freund von mir, deshalb.

Brobergen rieb sich die Nase. »Ich wusste ja, Meistern Ennel, dass du uns wieder einmal etwas Erheiterndes würdest mitteilen können. Zufällig haben Johanna und ich vor ein paar Tagen dem Transport einer Kanone durch den Wald zugesehen. Wir dachten, sie käme von weit her.«

»Nicht mehr nötig«, versetzte Ennel grimmig. »Eine Familie, die es versteht, sich einen erzbischöflichen Stuhl zu verschaffen, ist auch klug genug, im Waffenhandwerk auf dem Laufenden zu bleiben. Jetzt hat sie eben einen Kanonenhof in ihrem Herrschaftsbereich.«

»Wie schön«, sagte Brobergen heiter. »Die Kanonen werden viele Menschen in Lohn und Brot bringen! Von den Köhlern und Fuhrleuten bis zum Mainzer Erzbischof dürfte über das neue Gewerbe in Eppstein helle Freude herrschen.«

Vico verzog sein Gesicht zu einer verdrossenen Grimasse.

»O ja«, sagte Ennel zustimmend. »Und ich kenne noch mehr Menschen, die begeistert sein werden. Besonders

ihr drei. Deswegen habe ich euch in den Kanonenhof gebracht.«

Brobergen blieb alarmiert stehen. »Sag schon, Ennel. Wir sind dankbar für jede frohe Nachricht.«

»Kannst du es dir nicht denken, Roland? Der Käufer der zweiten Kanone ist ebenfalls Philipp von Falkenstein.«

Ein wenig später saßen sie wieder in Ennels kleinem Raum mit der Waffensammlung und sprachen dem Apfelwein zu. Die Meistern hob ihnen den Becher entgegen und versank in Gedanken. »Alles ändert sich«, sagte sie düster nach einigen Schlucken. »Wer braucht noch Schwerter, wenn mit Kanonen geschossen wird? Ich werde dazu übergehen müssen, nur noch Löffel herzustellen.«

Brobergen schüttelte den Kopf. »So schnell wird es sich nicht wandeln, Ennel. Du und Claus, ihr werdet noch euer ganzes Leben mit dem Waffenschmieden beschäftigt sein. Aber ich gebe dir recht, dass sich die Art der Waffen ändert. Sie werden gefährlicher.«

»Ich dachte, wir wären diesen Vater Gottfried endgültig los«, murrte Johanna zusammenhanglos. »Aber man hätte sich denken müssen, dass Philipp seine nützliche Verbindung zu den Zisterziensern nicht einfach aufgibt.«

»Bestimmt nicht. Sie sind die beste Geldquelle der Welt«, ergänzte Brobergen. »Außer Lombarden und Juden.«

»Wir hatten ja schon geahnt, warum das Lösegeld für Vater so unverschämt hoch ist«, sagte Vico. »Die Kanonen sind so unglaublich teuer.«

»Das ist die eine Sache«, sagte Brobergen nachdenklich. »Im Augenblick haben wir dafür keine Lösung. Eine ganz andere Sache ist, dass wir jetzt wissen, mit welch gefährlichen und mächtigen Partnern der Falkensteiner sich verbündet hat: mit einem Kirchenfürsten, dessen Einfluss bis nach Rom reicht, und mit einem kirchlichen Geldgeber, der, ohne mit der Wimper zu zucken, die weltlichen Fürsten des Reichs aufkaufen könnte. Ich glaube, es wird Zeit, das Lager des Kaisers zu benachrichtigen. Wenn Frankfurt und die Wetterauer Städte nicht bald eingreifen, ist die Burg Königstein für den Kaiser auf immer verloren.« Er stellte den Becher mit Nachdruck auf dem Tisch ab und erhob sich.

»Uns werden sie nicht glauben«, wandte Vico ein und schenkte sich in aller Gemütsruhe noch mal ein.

»Uns nicht. Aber Bernburg! Lass den Wein stehen und beeile dich!«