4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Eine Liebe, die nicht sein darf
England, 1937: Kurz nach dem Tod ihres Bruders kehrt Amelie mit ihren beiden Kindern nach Brightlead zurück. Auf das Gestüt, das sie einst so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte. Jetzt muss sie dessen Geschicke gegen ihren Willen lenken, um das Vermächtnis ihrer Familie zu bewahren.
Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Tochter Rosalie. Diese hat ein gutes Gespür für Pferde, ist aber - genau wie ihre Mutter - auch ein echter Wildfang und träumt von einem Leben außerhalb der Pferdezucht. Als sie auf einer Tanzveranstaltung den sympathischen Adrian kennenlernt, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn. Aber es gibt ein Problem: Seine adelige Familie billigt jemanden wie Rosalie nicht in ihren Reihen. Das liegt vor allem an der nicht standesgemäßen Verbindung, aus der die junge Frau stammt. Im Widerstreit zwischen Pflichtgefühl und der Liebe zueinander versuchen Adrian und Rosalie einen Weg zu finden, um zusammen zu sein. Doch dafür zahlen sie einen hohen Preis ...
Band 2 der mitreißenden und romantischen Familiensaga über das Gestüt Brightlead.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 334
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
24.
25.
26.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
48.
49.
50.
51.
52.
53.
54.
55.
56.
57.
58.
59.
60.
61.
62.
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an: be-heartbeat.de/newsletter
Viel Freude beim Lesen und Verlieben!
Dein beHEARTBEAT-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
England, 1937: Kurz nach dem Tod ihres Bruders kehrt Amelie mit ihren beiden Kindern nach Brightlead zurück. Auf das Gestüt, das sie einst so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte. Jetzt muss sie dessen Geschicke gegen ihren Willen lenken, um das Vermächtnis ihrer Familie zu bewahren.
Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Tochter Rosalie. Diese hat ein gutes Gespür für Pferde, ist aber – genau wie ihre Mutter – auch ein echter Wildfang und träumt von einem Leben außerhalb der Pferdezucht. Als sie auf einer Tanzveranstaltung den sympathischen Adrian kennenlernt, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn. Aber es gibt ein Problem: Seine adelige Familie billigt jemanden wie Rosalie nicht in ihren Reihen. Das liegt vor allem an der nicht standesgemäßen Verbindung, aus der die junge Frau stammt. Im Widerstreit zwischen Pflichtgefühl und der Liebe zueinander versuchen Adrian und Rosalie einen Weg zu finden, um zusammen zu sein. Doch dafür zahlen sie einen hohen Preis …
SALLYNOLAN
Heimkehr
Mitte Mai 1937, Ritchfield
Ihre Züge entglitten ihr augenblicklich. Um einen Schrei zu unterdrücken, hielt sie sich eine Hand vor den Mund. Sie ließ sich unsanft in den Armsessel neben dem Beistelltisch im Salon sinken, ihre Hände klammerten sich am Hörer des Telefons fest. Die ersten Tränen fanden den Weg auf ihr Gesicht, doch sie brachte kein Wort heraus.
So aufgelöst hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. Sie hängte den Hörer zurück auf den Apparat und starrte geistesabwesend vor sich hin. Binnen Minuten alterte ihr schönes Gesicht um Jahre. Tiefrote Flecken leuchteten auf ihrem ebenmäßigen, hellen Teint.
Mein leises Krächzen riss sie augenscheinlich aus ihren Gedanken.
»Robert ist mit seinem Wagen verunglückt«, sagte sie mit brüchiger Stimme.
»Ist er …?«
Meine Mutter nickte stumm.
Seltsam war es zu sehen, wie sie ihre Fassung verlor. Gewiss hatte ich gewusst, dass sie ihren trunksüchtigen Bruder trotz seines untragbaren Verhaltens liebte. Doch als mein Großvater vor einigen Jahren von uns ging, hatte meine Mutter still getrauert. Keine ihrer Regungen hatte ihre Emotionen verraten. Ein Gefühlsausbruch wie dieser war untypisch für die starke Frau, die sie war.
Sie saß weiterhin im Armsessel. Ihr Schweigen wog schwer im Raum und wurde nur von meinen flachen, kaum hörbaren Atemzügen und dem leisen Ticken der Kaminuhr unterbrochen. Unruhig, beinahe nervös knackte sie mit den Fingern.
Ist es doch nicht die Trauer, die sie übermannt?
Schluchzen, hemmungslose Tränen wären Zeichen dafür gewesen, dass ihr Verlust sie schmerzte. Aber diese Unruhe in ihr hatte sicherlich andere Gründe.
Der Himmel hatte sich mittlerweile dunkelrot gefärbt, und wir saßen noch immer schweigend da. Die unterschiedlichen Schattierungen tauchten den Salon in ein unwirkliches Licht.
Wie immer verbrachte ich den ganzen Nachmittag im Salon und steckte meine Nase in ein Buch – wie eine Adelstochter vor hundert Jahren. Durch die Geschichten sah ich Welten, ohne mich aus dem Zimmer zu bewegen, und lebte durch die Bücher Hunderte von anderen Leben. Nur mein eigenes war eintönig und wenig aufregend, seit das Sommersemester am Newnham College zu Ende war.
Als ob das nicht genug gewesen wäre, sprach nun meine Mutter seit Stunden kein Wort. Nur ihr Blick verriet, dass ihre Gedanken rasten.
Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach die Stille, und mein Vater betrat den Raum. Gewöhnlich hielt er sich unter der Woche in Sandhurst auf, wo er seine Kadetten unterrichtete, jedoch hatte ihn der Secretary of State for Air die letzten Wochen nach London bestellt. Es ging um die Luftrüstungsplanung, worüber er natürlich keine Einzelheiten verriet. Da er an einem Mittwoch in Ritchfield auftauchte, wurde meine Vermutung bestärkt, dass Roberts Tod weitreichendere Konsequenzen besaß.
»Ted!«, rief meine Mutter überrascht. »Was machst du zu Hause?«
»Ich dachte, du könntest jetzt meine Unterstützung brauchen«, erwiderte mein Vater mit ruhiger Stimme.
Woher weiß er, was passiert ist?
Wenn meine Mutter ihn benachrichtigt hatte, wäre es mir nicht entgangen. Aber sie saß seit dem Anruf im selben Armsessel.
Meine Mutter blickte ihn überrascht an. Sie schien sich auch Gedanken darüber zu machen, wer meinen Vater über Roberts Tod informiert haben könnte.
Er legte seine Schildmütze auf den kleinen Beistelltisch, fuhr sich mit einer Hand über die Haare, wie um zu überprüfen, ob die Pomade seine mittelblonden Strähnen noch zusammenhielt.
Mein Vater nahm neben mir auf dem Sofa Platz, strich das Jackett seiner tiefblauen Uniform glatt und richtete seine eisblauen Augen auf meine Mutter. Ich fühlte mich fehl am Platz, keiner von beiden schien mich wirklich zu beachten.
»Wieso bist du nicht in London?«, fragte meine Mutter.
»Deine Mutter hat mich benachrichtigt, dass du auf Roberts Ableben keinerlei Reaktion gezeigt hast. Und natürlich, um sich zu beschweren, dass sie auf deine Unterstützung nie zählen kann«, erklärte mein Vater mit sanfter Stimme.
»Sie wird wohl eine Beerdigung selbst organisieren können«, erwiderte Mutter.
»Bereitet dir denn die Zukunft von Brightlead keine Gedanken?«, erkundigte sich mein Vater.
»Die Zukunft meines Elternhauses liegt nicht in meiner Hand. Nicht seit ich dich und das Leben mit dir gewählt habe.« Ihre Stimme klang sachlich, der Blick, den sie meinem Vater zuwarf, wirkte vorwurfsvoll.
Trotzdem war ich mir sicher, dass ihre Worte nicht der Wahrheit entsprachen. Der Tod ihres Bruders allein konnte sie unmöglich so aus der Fassung bringen. Mein Vater blickte zwischen ihr und mir hin und her. Seine Unruhe bestätigte nun meine Vermutung, dass es um viel mehr als nur um einen Todesfall ging.
»Rosalie, Liebes, würdest du uns für einen Moment allein lassen?«, forderte mich mein Vater höflich auf.
Wortlos ließ ich meine Eltern im Salon zurück, blieb aber vor der Tür stehen. In der Hoffnung, einen weiteren Grund für Mutters merkwürdiges Verhalten zu erfahren, presste ich mein Ohr gegen die weiße Holztür. Die Gesprächsfetzen waren zu leise, als dass ich irgendetwas hätte verstehen können. Doch das Flüstern wurde immer wieder von Vaters lauter Stimme unterbrochen, wenn er ihren Namen rief, offenbar um meine Mutter zurechtzuweisen.
An diesem Frühsommertag war ich voller Vorfreude aufgewacht und hatte kaum erwarten können, mit Cousine Isabell eine Tanzveranstaltung in Dailyville zu besuchen. Isabell war siebzehn, zwei Jahre jünger als ich, aber sie besaß ein beachtliches Gesellschaftsleben. Sie war bei Partys und Bällen ein gern gesehener Gast. Mit ihrem frischen, freundlichen Gemüt verzauberte sie jeden.
Mir graute zwar ein wenig vor den vielen Menschen, aber ich wollte wie Isabell sein: weltoffen, freundlich und unterhaltsam. Kein schüchternes Mauerblümchen, an dessen Gesellschaft niemand interessiert war.
Ich wurde immer aus Höflichkeit oder aus Respekt meiner Mutter gegenüber eingeladen. Jedoch schlug meine Mutter die Einladungen oft aus. Amelie Livsey ließ verlauten, dass die Pferdezucht und die Pferderennen ihr nicht erlaubten, dass sie auf albernen Veranstaltungen ihre Zeit verschwende. Wenn sie keinen Nutzen aus einer Veranstaltung ziehen konnte, lehnte sie die Einladung höflich ab.
Andere Mütter waren bemüht, für ihre Töchter den passenden Ehemann zu finden. Meine Mutter lief stattdessen tagsüber in Reithosen herum und verbrachte ihre Zeit in den Stallungen. Nicht dass es mein Wunsch war, meine Mutter hätte mich um jeden Preis verheiraten wollen, jedoch hätte ich ihren Rat für meine Zukunft gebraucht.
Obwohl meine Großmutter darauf beharrt hatte, hielt es meine Mutter nicht für wichtig, mich in London der Gesellschaft vorzustellen. Isabell hingegen wurde von männlichen Vertretern des britischen Hochadels angehimmelt. Sie hatte eindeutig die Schönheit und die Eleganz ihrer Mutter geerbt.
Tante Mary war die eleganteste und feinfühligste Frau, die ich kannte. Kaum vorstellbar, dass sie vor vielen Jahren als Hausmädchen bei meinen Großeltern gedient hatte. Sie hatte sogar in Diensten meiner Mutter hier in Ritchfield gestanden, bevor sie Onkel Taylor, den Viscount Chamberlain heiratete.
Da ihre Familie eher als unkonventionell galt, hatte Isabell alle Freiheiten. Sie durfte bis in die frühen Morgenstunden in der Dorfkneipe tanzen, keiner nahm es ihr übel. Sie war nicht nur äußerlich eine schöne Erscheinung, sondern verfügte über eine gute Bildung, galt als belesen und zeigte Interesse für Gesprächsthemen jeglicher Art.
Falls meine Mutter mir erlaubte, Isabell zu begleiten, würde ich mich eher im Hintergrund halten. Nicht weil mich Isabells Offenheit einschüchterte, vielmehr beruhte dies auf meiner Erziehung.
Meine Mutter hatte ihre Zucht allein mit wenigen Pferden aufgebaut. Sie liebte ihre Unabhängigkeit und war stolz auf ihren hart erkämpften Erfolg. Sie behauptete sich durch harte Arbeit und ihren Ehrgeiz in einer Welt, die von Männern dominiert wurde.
Deswegen wollte sie, dass auch ich mich nicht durch mein Aussehen definiere. Als sie erkannte, dass ich ihre Leidenschaft für Pferde teilte, nahm sie mich jeden Tag mit in die Stallungen. Jedoch ließ mein Interesse irgendwann nach, was sie unverzeihlich fand.
Meine Eltern erlaubten mir, die neue Girls’ Grammar School in Dailyville zu besuchen, statt von einem Hauslehrer unterrichtet zu werden. Meiner Bitte, Anglistik am Newnham College der University of Cambridge zu studieren, gaben sie aber trotz einer Zusage von der Universität erst nach einem Jahr nach.
Ich wäre gern eine reizvolle junge Frau wie Isabell gewesen, aber meine Mutter riet mir immer zur Zurückhaltung. Dieses Verhalten konnte ich in der Anwesenheit Fremder nur schwer ablegen.
Seit dem Frühstück wartete ich auf den passenden Moment, in dem ich meine Mutter fragen konnte, ob ich mit Isabell an der Tanzveranstaltung in Dailyville teilnehmen dürfe. Doch der Anruf hatte all meine Hoffnungen zunichte gemacht. Auch wenn ich ihn kaum kannte, war es bedauerlich, dass Mutters Bruder sein Leben verloren hatte.
Mein Vater ließ mich aus meinen Gedanken schrecken, als er mit energischen Schritten den Salon verließ. Ich rechnete mit einer Ermahnung, weil ich das Gespräch im Salon zu belauschen versucht hatte. Aber er eilte an mir vorbei, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Seinem Gemütszustand nach kann ich auf seine Unterstützung bei meinem Vorhaben kaum zählen.
Ich musste Isabell benachrichtigen. Sonst würde sie vergeblich auf mich warten. Aber da meine Mutter sich noch immer im Salon aufhielt, kam es nicht infrage, dort einen Anruf zu tätigen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Butler, Mr Gilmore, zu fragen, um meine Cousine von seinem Büro aus zu erreichen.
Mr Gilmore war ein äußerst eleganter Mann Anfang fünfzig, dessen Großvater ebenfalls in Ritchfield in Diensten meiner Urgroßmutter gestanden hatte. Er war ein höchst respektabler Mann, sein Verhalten immer vornehm, und er erfüllte seine Aufgaben stets gewissenhaft.
Trotzdem drückte er ein Auge zu, wenn mein Benehmen nicht ganz angemessen war. Nie verriet er mich, falls er Isabell und mich bei einem Streich erwischte. Er schüttelte zwar mit zusammengekniffenen Augenbrauen den Kopf, jedoch behielt er das Gesehene stets für sich. Wir teilten diese kleinen Geheimnisse, die uns zu einer Art von Komplizen machten. Deswegen war ich mir sicher, dass er mir den Anruf erlauben würde, ohne meine Eltern davon in Kenntnis zu setzen.
»Isabell?«, hauchte ich in den Hörer.
»Bist du schon bereit? Papa hat uns seinen Chauffeur zur Verfügung gestellt.« Ihre Stimme brach fast vor Aufregung.
»Ich befürchte, dass ich dich nicht begleiten kann«, sagte ich kaum hörbar.
»Hat es dir deine Mutter doch nicht erlaubt?«
»Ich habe sie gar nicht gefragt«, erwiderte ich traurig.
»Rosalie!« Sie klang wütend.
»Es ist nicht so, dass ich es nicht wollte, aber mein Onkel ist heute bei einem Autounfall verunglückt, und nach dieser Nachricht fand ich keinen passenden Moment, sie zu fragen. Und wenn, wäre es nicht taktlos, wenn wir heute ausgehen? Da es sich um einen nahen Verwandten handelt, muss ich bestimmt Trauerkleidung tragen.«
»Mit mir war er ebenfalls verwandt, liebe Cousine. Aber ich lasse mir meine Laune nicht von einem verbitterten, trunksüchtigen Mann verderben. Außerdem ist es keine Dinnerparty des Hochadels. Bei einem Tanzabend in Dailyville wird es keinen kümmern, ob du in Trauer bist.« Isabell gab nicht auf. Obwohl ich ihre Argumente vollkommen nachvollziehen konnte, bestand weiterhin das Problem, dass ich das Anwesen ohne Erlaubnis meiner Eltern unmöglich verlassen konnte.
»Du könntest recht behalten, dass mich niemand auf diesem Fest besonders beachten würde, aber ich kann meine Mutter nicht um Erlaubnis bitten.«
Isabells Antwort kam unverzüglich: »Dann frag sie nicht!«
»Und wie soll ich das deiner Meinung nach anstellen? Wenn du mit deinem Chauffeur auf dem Anwesen aufkreuzt, wird meine Mutter davon sofort in Kenntnis gesetzt.«
»Dann musst du dich beim Dienereingang rausschleichen und zu Fuß bis zum Tor des Anwesens gelangen!«, wies mich Isabell an. Zugegeben, ihr Plan hätte durchaus funktionieren können, aber ich hatte Bedenken.
»Warum habe ich das Gefühl, dass dein Vorschlag auf deinen eigenen Erfahrungen beruht?« Solange ich ihr eine Gegenfrage stellte, kam sie nicht dazu, mir das Versprechen abzunehmen, auf sie bei dem Schmiedeeisentor in Ritchfield zu warten.
»Daher weiß ich, dass er funktioniert«, konterte sie.
»Und wenn mich Mr Gilmore erwischt?« Ich suchte noch immer nach einem Grund, das Abenteuer mit meiner Cousine nicht wagen zu müssen.
»Der Gute würde dich nie verraten. Und wenn? Du könntest deine Mutter fragen, wie oft sie sich aus ihrem Elternhaus rausgeschlichen hat.«
»Isabell!«, ermahnte ich sie.
Von meiner Cousine wusste ich zwar, dass die Beziehung zwischen meinen Eltern verboten gewesen war und meine Mutter alles dafür getan hatte, um meinen Vater in den Stallungen zu treffen, jedoch würde ich meine Mutter nie mit meinem Wissen konfrontieren.
Ein leises Klopfen an der Bürotür schreckte mich auf. Mr Gilmores höfliches Krächzen wies mich an, das Gespräch zu beenden.
»Na gut. Ich werde um sieben beim Tor auf dich warten. Aber jetzt muss ich auflegen«, erwiderte ich unüberlegt.
Ich verfluchte mich für meine voreilige Zusage. Vielleicht hätte ich mich erkundigen sollen, wie man sich für eine Veranstaltung wie diese in Dailyville kleidete. Ich nahm ein bodenlanges ecrufarbenes Satinkleid aus dem Kleiderschrank, das am Rücken tief dekolletiert und mit schwarzen Perlen besetzt war.
Doch dann hielt ich es für übertrieben. Gewiss wäre es meiner Mutter aufgefallen, wenn ich für das Abendessen eines meiner schönsten Kleider angelegt hätte. Da ich mit der Abendgarderobe der Dailyviller Frauen wenig vertraut war, wählte ich ein schlichtes Puffärmelkleid aus hellblauer Spitze. Um es nicht allzu schlicht erscheinen zu lassen, platzierte ich eine Saphirbrosche oberhalb meiner rechten Brust.
Wenn das Kleid elegant genug für das Dinner mit meinen Eltern ist, wird es für eine Tanzveranstaltung in Dailyville auch passen.
Später bat ich das Hausmädchen, meine langen blonden Locken zu einem lockeren Chignon hochzustecken, wobei sie einige Strähnen in mein Gesicht fallen ließ, was zugegebenermaßen meinem Gesicht schmeichelte. Ich betrachtete meine blonde Haarpracht, die ich zweifelsohne von meinem Vater geerbt hatte, im Spiegel und war ganz zufrieden mit dem Anblick. Doch gewiss würde mich Isabell in den Schatten stellen.
Meine Sorge, dass meine Aufmachung meinen Eltern auffallen würde, verflüchtigte sich sofort, als ich das Speisezimmer betrat. Alle starrten mit gesenktem Blick auf die leeren Teller vor sich.
Das Abendessen verging in erdrückender Stille, keiner von uns sagte etwas. Sogar mein jüngerer Bruder Oliver merkte mit seinen acht Jahren, wie angespannt die Atmosphäre war.
Mit rasendem Herzschlag eilte ich nach dem Essen die Treppe hinunter in Richtung Dienereingang. Geschäftiges Treiben herrschte noch in der Küche und im Speisezimmer der Bediensteten, und ich konnte unbemerkt an den Räumen vorbeihuschen.
Draußen blendete mich die tief stehende Sonne, und ich musste blinzeln. Die Strahlen tauchten die Gartenanlage in ein goldgelbes Licht. Trotz der Wärme fröstelte ich. Eine leichte Gänsehaut überzog meinen Körper, während sich in meinem Inneren freudige Erwartung ausbreitete.
Ich lehnte mich gegen die kühle Steinmauer und atmete einige Male tief durch. Unsicher, was ich gerade tat, lief ich an den Wirtschaftsgebäuden und an den Stallungen vorbei. Lautes Wiehern ertönte, als ich die Koppeln passierte. Obwohl es nicht mein Traum war, eines Tages die Pferdezucht von meiner Mutter zu übernehmen, liebte ich doch Pferde und das Reiten.
Eine Fuchsstute hob aufmerksam ihren Kopf und trabte freudig in meine Richtung. Sparkle war meine Lieblingsstute, sie war kein Galopper, sondern ein elegantes Warmblut aus den Niederlanden. Da Dressurreiten immer populärer wurde, hatte meine Mutter die Idee gehabt, mit der Zucht dieser weniger temperaturvollen Pferderasse anzufangen.
Schnell streifte ich meine weißen Handschuhe ab und berührte sanft Sparkles Nüstern. Zufrieden schnaubte sie, während ich sie zwischen den Ohren kraulte und am kräftigen Hals entlangstrich. Ihre Nähe beruhigte mich.
Ich merkte erst, dass ich womöglich zu viel Zeit bei Sparkle verbracht hatte, als ich einen Wagen am Tor vorbeifahren sah. Ich stöckelte langsam durch den Garten, da meine Absätze immer wieder im weichen Rasen versanken.
»Um Gottes willen, Rosalie, du riechst nach Pferd!«, rief Isabell, statt mich zu begrüßen. Sie verzog angewidert ihre Nase, als ich mich neben ihr auf den Sitz fallen ließ.
»Und du behauptest, dass du mit deiner Mutter keine Gemeinsamkeiten hast!«
»Es tut mir leid, ich habe nur bei den Koppeln Halt gemacht«, erklärte ich ihr.
Hastig wühlte sie in ihrer Tasche und zog ein Glasfläschchen heraus. »Hier, benutze das!« Sie reichte mir das Parfüm, das ich mir auf die Handgelenke und auf meinen Hals sprühte. Der intensive blumige Duft füllte den Wagen, und ich musste husten. Nachdem das Fläschchen wieder in ihrer Tasche verschwunden war, drückte sie einen weinroten Lippenstift in meine Hand.
»Danke, aber ich denke nicht, dass ich das brauche.«
»Jede Frau braucht rote Lippen. Sei nicht albern!« Isabells Tonfall duldete keine Widerrede.
Um das klarzustellen: Ich fand rote Lippen sehr hübsch, jedoch hatte ich das Gefühl, dass das Tragen eines roten Lippenstiftes zu aufreizend für meine Persönlichkeit gewesen wäre. Eine, die sich eher im Hintergrund hält, braucht nicht unbedingt rote Lippen.
Bevor ich etwas erwidern konnte, hielt der Wagen auf einer breiten mit Kies bedeckten Einfahrt. Isabell konnte nicht warten, bis der Chauffeur ausstieg. Sie riss die Tür auf und sprang aus dem Auto. Ich folgte ihr wenig euphorisch. Nachdem sie mit dem Chauffeur abgesprochen hatte, wo er auf uns warten würde, griff sie nach meiner Hand und zog mich auf dem Weg hinter sich her. Glücklicherweise hatte sie vor lauter Aufregung den Lippenstift vergessen, und ich ließ ihn unauffällig in meiner Tasche verschwinden.
Swingmusik schallte aus den Lautsprechern. Schon von Weitem nahm ich die tanzenden Paare in dem beleuchteten Veranstaltungsraum wahr. Mit jedem Schritt wuchs mein Unbehagen. Es war einfach nicht meine Welt. Kurz vor dem Eingang blieb ich abrupt stehen. Isabell blickte mich verständnislos an.
»Es tut mir leid, Isa! Ich kann das nicht.« Mein Blick schweifte zum Boden.
»Stell dich nicht so an!« Sie funkelte mich an.
Ich wusste, dass sie es gut mit mir meinte, aber ich war nicht so wie sie. Nicht dass ich Menschen scheute, doch ich war gern allein. Meine Mutter wünschte sich, dass ich für die Pferdezucht mehr Interesse aufbrächte, Isabell, dass ich durch die Nächte tanzte wie sie.
Ich liebte hingegen Bücher. Nichts war mir lieber, als in fremde Welten einzutauchen und die Welt um mich herum zu vergessen. Meine Mutter beharrte nicht darauf, mich in ihre Kreise einzuführen, daher war mein gesellschaftliches Leben mehr als überschaubar. Wir besuchten nur Partys oder gaben Dinner-Partys, wenn meine Mutter daraus einen Nutzen zu ziehen vermochte.
Sie war keine schlechte Mutter, aber sehr ehrgeizig. Sie betonte immer, dass wir in Kreisen des Hochadels nur wegen ihres Namens geduldet wurden und dass wir nicht dazugehörten. Daher müssten wir ihre Bräuche nicht weiterführen.
Schließlich erfüllte sich mein Wunsch, auf einer Universität studieren zu dürfen. Zu studieren war bei Frauen zwar noch immer keine gern gesehene Beschäftigung, aber es bot mir die Möglichkeit, meiner Langeweile zu entkommen. Ich wollte es weder aus Trotz noch aus Überzeugung. Es war schlicht ein Zeitvertreib, während ich herauszufinden versuchte, welche Richtung ich in meinem Leben einschlagen sollte. Doch obwohl ich Bücher liebte, konnte ich meine Tage nicht ausschließlich mit Lesen verbringen.
Ich war so in meine eigenen Gedanken vertieft gewesen, dass mir zuerst gar nicht aufgefallen war, dass Isabell schon längst den Eingang erreicht hatte. Sie stampfte ungeduldig mit einem Fuß. »Lady Gillies-Livsey braucht wohl eine besondere Einladung.« Sie rollte undamenhaft mit den Augen.
Beim Eintreten verschlug es mir schier den Atem. Der Geruch von Alkohol vermischte sich mit würzigem Zigarrenrauch.
Der Tanzsaal war erfüllt von volltönenden Swingklängen. Mir gefiel die Musik. Sie hatte Schwung und Rhythmus, ganz anders als die klassischen Klänge, die ich von unseren Dinner-Partys kannte. Junge Männer und Frauen tanzten miteinander. Die Kleider der Frauen bildeten einen bunten Reigen in dem spärlich beleuchteten Raum. Röcke flogen, und die Körper rieben sich mit verdrehten Bewegungen aneinander.
Bevor wir uns einen Platz an einem der Tische aussuchen konnten, kam eine Schar junger Männer auf uns zu. Nach Isabells herzlicher Begrüßung zu urteilen, waren sie meiner Cousine nicht fremd.
Ein großer dunkelhaariger Mann packte Isabell am Handgelenk und zog sie energisch auf das Tanzparkett. Sie löste sich von ihm, drückte ihre Handtasche in meine Hand und folgte ihrem Partner. Isabell musste meinen verzweifelten Gesichtsausdruck aus der Ferne bemerkt haben, doch statt zu mir zurückzukehren, lächelte sie mich entschuldigend an und verschwand in der Menge.
Verkrampft drückte ich ihre Tasche an meinen Bauch und starrte vor mich hin. Erst als ich mich nach einem Sitzplatz umsah, bemerkte ich, dass zwei junge Männer aus der Gruppe noch immer neben mir standen.
»Willst du tanzen?«, fragte der eine. Soweit ich es einschätzen konnte, war er jünger als ich. Sein helles Haar war durchtränkt von Pomade und wirkte stellenweise dunkel. Er erweckte mit seinen ausdruckslosen Augen und den schmalen zusammengepressten Lippen keinen besonders begeisterten Eindruck. Die Hose, die er trug, war nicht maßgeschneidert und flatterte um seine dünnen Beine. Ohne seine Hosenträger hätte er sie bestimmt verloren. Sein weißes Baumwollhemd war an den Armen hochgekrempelt, damit wirkte seine Erscheinung noch weniger elegant.
Kurz überlegte ich zu fliehen, doch rasch nahm er mir die Taschen ab, hängte sie auf einen leeren Stuhl und zerrte mich auf das Parkett. Auf der Tanzfläche gab es kaum Platz. Ehe ich mich versah, wirbelte er mich wild herum. Er war kein besonders guter Tänzer, und da ich die Schritte selbst nicht kannte, musste unser Gehopse ein seltsames Bild abgeben. Es dauerte drei Tänze lang, bis er begriff, dass es mir kein Vergnügen bereitete.
»Ich werde uns Bier holen!«, rief er, als die Musik kurz verstummte.
»Danke, aber ich möchte keins«, erwiderte ich.
»Dann halt nicht!« Mein Tanzpartner, der weder Anstalten machte, sich vorzustellen noch mich zum Stuhl zurückzubegleiten, verschwand und ließ mich allein stehen. Aber bevor ich meinen Platz erreichen konnte, stand der nächste Tanzanwärter vor mir. Ich verfluchte mich stumm, weil ich Isabells Bitte nicht hatte abschlagen können. Und ich verfluchte auch sie, weil sie meine Anwesenheit völlig vergaß.
»Darf ich bitten?«, fragte der junge Mann, der offenbar seinen Freund abgelöst hatte.
»Vielleicht hast du es nicht bemerkt, aber bedauerlicherweise kenne ich die Schritte nicht. Also wäre es besser, wenn wir es nicht versuchen.« Augenblicklich wechselte die Musik, und es erklang eine langsame Melodie.
»Dieser Walzer kommt wie gerufen!«, rief er begeistert.
Zögernd reichte ich ihm meine Hand und lächelte unsicher. Sämtliche Muskeln verkrampften sich, als ich seine Handfläche an meinem Rücken spürte. Als er mich eng an sich heranzog, vergaß ich einige Herzschläge lang zu atmen und versteifte mich noch mehr unter seiner Berührung. Ruckartig zerrte er mich aus meiner Starre und begann, mich langsam zu bewegen. Jede einzelne Bewegung war aus dem Takt. Der Raum begann sich vor meinen Augen zu drehen, und Übelkeit stieg in mir auf.
Als die Musik für einen Augenblick verklang, löste ich mich blitzschnell von ihm, schnappte meine Tasche von der Stuhllehne und bahnte mir durch ein Gewühl ineinander verschlungener Tanzpaare einen Weg zum Ausgang.
Ich blieb vor der offenen Scheunentür stehen und atmete mehrmals tief durch. Draußen standen einige Paare und Gruppen, aber keiner schenkte mir Beachtung. Hastig entfernte ich mich vom Eingang.
Leider wusste ich nicht, wo und für welche Uhrzeit Isabell den Treffpunkt mit ihrem Chauffeur vereinbart hatte. Da ich keinen Wagen in der Nähe ausmachen konnte, suchte ich nach einem ruhigen Plätzchen, wo ich den restlichen Abend ohne aufdringlichen Tanzpartner verbringen konnte. Unweit, doch in einem sicheren Abstand von der Scheune entdeckte ich einen viereckigen offenen Gartenpavillon.
Ich tastete mich vorsichtig den dunklen schmalen Pfad entlang, der neben dem Gebäude zu dem Pavillon hinauflief.
Fahles Mondlicht drang durch die Wolken. Für einen Moment wirkte der kleine See hinter dem Pavillon unheimlich.
Ich blickte in Richtung der alten Scheune in die warme Sommernacht hinaus. Bruchstückhaft drang die Musik nach oben. Ich war nicht wie Isabell, ich hatte keine Freude daran, mit all den jungen Männern zu tanzen. Jede noch so kleine Berührung von einem Fremden bereitete mir Unbehagen.
Lesen und Reiten waren meine großen Leidenschaften. Während der Ausritte über die endlosen Weiden, bei einem beglückenden Galopp über Stoppelfelder konnte ich ich selbst sein. Ich liebte den Wind, wenn er durch mein Haar wehte und ein prickelndes Gefühl in meinem Gesicht hinterließ.
Eine laue sanfte Brise kam auf, und der Windhauch strich über meine Unterarme. Ich schloss die Augen, und eine große Ruhe durchströmte mich.
Schritte knirschten über den Kies. Ich schreckte hoch und schaute angespannt in die Richtung, aus der sich jemand näherte. In der Dunkelheit nahm ich eine große Gestalt wahr. Die Angst ließ mich erstarren. Ich war unfähig zu atmen, unfähig, mich zu bewegen, geschweige denn wegzulaufen.
Augenblicklich teilten sich die Wolken, und der Vollmond tauchte die Gegend in silbriges Licht. Ein junger Mann blieb abrupt vor mir stehen und erschrak selbst, als er mich auf der Bank entdeckte. Seine Haare waren hell, soweit ich es erkennen konnte.
Ich blickte ihm angestrengt ins Gesicht und entdeckte nun seine ebenmäßigen Züge, glatte Haut und schmale Lippen. Seine grünen Augen leuchteten im Mondlicht. Der Fremde war ungefähr in meinem Alter, ein Mann von feinem Geschmack. Sein dunkelblauer Anzug war nach der letzten Mode geschneidert. Zweifelsohne wohlhabend. Ich hatte das Gefühl, ihn schon mal gesehen zu haben, was durchaus möglich war, wenn er dem Hochadel angehörte.
Sekunden verstrichen, aber wir starrten uns weiterhin schweigend an.
»Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.« Seine Stimme klang sanft und freundlich.
»Das hast du aber gerade getan«, erwiderte ich pikiert, doch dann warf ich ihm ein unsicheres Lächeln zu.
»Als ich den Pavillon von unten entdeckt hatte, rechnete ich nicht damit, dass jemand hier oben sein könnte. Was tust du hier ganz allein?«, fragte er.
»Ich bin geflüchtet«, gab ich verlegen zu.
»Du auch?« Seine Lippen verzogen sich zu einem freundlichen Lächeln. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich noch eine Weile hier oben bleiben. Dürfte ich mich zu dir setzen?«
Ich war mir sicher, dass es sich nicht schickte, dass ich mit einem Fremden in der Dunkelheit weit weg von der Öffentlichkeit auf einer Bank saß, trotzdem nickte ich. Er ließ sich auf der Bank nieder, achtete aber auf genügend Abstand zwischen uns. Mein Gedanke, dass der attraktive Fremde mich in Schwierigkeiten bringen konnte, verflüchtigte sich augenblicklich.
Er nestelte in den Taschen seines Anzugs und zog schließlich ein Zigarettenetui und ein silbernes Feuerzeug heraus. »Darf ich dir eine Zigarette anbieten?« Er hielt mir das Etui vor die Nase.
Es wäre nicht das erste Mal, dass ich eine Zigarette rauchte. Mit Isabell stahl ich mich oft davon, und wir rauchten heimlich, wenn sie mich in Ritchfield besuchte. Jedoch entsprach es nicht meinem Wesen, diese Heimlichkeit mit einem völlig Fremden zu teilen.
Einige Sekunden starrte ich auf das Etui. Dann hob ich meinen Blick, um sein Angebot höflich abzulehnen. Doch unsere Blicke verfingen sich eine ganze Weile lang ineinander. Ich spürte, wie eine angenehme Hitze in mir aufstieg und meine Wangen zu glühen anfingen. Wie von selbst griffen meine Finger nach der Zigarette.
Der Unbekannte neben mir rutschte ein Stück in meine Richtung, um mir Feuer zu geben. Normalerweise hätte in mir bei solcher Nähe das wohlbekannte Unbehagen hochkommen müssen, doch seltsamerweise erweckte er das Gegenteil in mir.
»Wenn du mir schon eine Zigarette anbietest, könntest du mir auch deinen Namen verraten.« Mein plötzliches Selbstvertrauen überraschte mich selbst.
»Erkennst du mich nicht?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Du kommst mir zwar bekannt vor, aber ich bedauere …«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.
»Ich heiße Adrian. Und du bist …?«
Adrian, wiederholte ich stumm. Also doch kein Adelssprössling. Wenn er aus einer einflussreichen Familie stammen würde, hätte er keine Möglichkeit ausgelassen, um seinen wohlklingenden Nachnamen zu nennen.
»Ich bin Rosalie.«
»Verrätst du mir, warum du ganz allein hier oben sitzt? Hat dich dein Tanzpartner sitzen lassen?« Er wandte sich kurz zur Seite und stieß eine Rauchwolke aus.
Wenn ich ihm erzähle, dass ich mich von der tanzenden Menge eingeengt und von den aufdringlichen jungen Männern angeekelt fühle, hält er mich gewiss für eine seltsame Frau, war mein erster Gedanke. Jedoch kannte er mich nicht, und wir würden uns wahrscheinlich nicht erneut begegnen. Bevor ich weiter nachdenken konnte, machten sich meine Worte selbstständig.
»Meine Cousine ist schuld, dass ich überhaupt hergekommen bin. Wenn sie mich nicht überredet hätte …« Mein Schnauben war kaum hörbar. »Aber sie verschwand gleich nach unserer Ankunft auf dem Tanzparkett oder sonst wohin und ließ sich seitdem nicht blicken.« Ich nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette und warf sie auf den Boden.
»Hast du sie hier oben gesucht?«, neckte er mich.
»Es freut mich, dass ich dich amüsiere.« Meine Schlagfertigkeit überraschte mich selbst.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Nachdem er seine Zigarette ausgedämpft hatte, drehte er sich mit seinem Oberkörper in meine Richtung. Zögernd sah ich ihn an.
»Also?« Er wackelte mit den Brauen, und ich musste lachen. Dann wurde sein Gesicht ernst, doch gleichzeitig blieben seine Züge weich. Plötzlich hielten seine Augen meinen Blick gefangen. In meiner Magengegend breitete sich ein unbekanntes, aber angenehmes Kribbeln aus.
»Ich habe dir schon gesagt, dass sie gleich verschwand, vermutlich mit ihrem Verehrer«, erklärte ich ihm, ohne meinen Blick abzuwenden.
»Und du willst mir weismachen, dass keiner der jungen Männer dich zum Tanzen aufgefordert hat?«
»Will ich nicht!«, antwortete ich wie aus einer Pistole geschossen. »Genau das war das Problem. Sie hatten ihre widerlichen Finger überall.« Ich erschauderte allein bei dem Gedanken daran. »Außerdem, es war bestimmt lächerlich anzusehen.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, dass irgendetwas an deinem Anblick lächerlich wäre!«
Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Mir blieb augenblicklich der Atem weg, und mein Herz schlug so heftig, dass ich mich geradezu fürchtete, es würde meinen Brustkorb verlassen. Wie konnte mir dieser attraktive Fremde eine solch heftige Reaktion entlocken?
»Ich kenne die Schritte nicht.« Ich räusperte mich und entzog ihm meinen Blick.
Daraufhin lachte er laut auf. »Warst du nicht in der Tanzschule?«
»Ich bedauere, aber meine Erziehung ist eher klassisch.« Diesmal war ich es, die laut lachte.
»Es ist nichts Verwerfliches daran, wenn du streng erzogen wurdest.« Seine Stimme klang mitfühlend.
»Nein, ich wurde keinesfalls streng erzogen. Vielleicht wäre ›traditionell‹ die richtige Bezeichnung dafür«, versuchte ich ihm zu erklären.
»Hielt es denn deine Mutter nicht für wichtig, dass du tanzen lernst?«
»Ich kann durchaus tanzen, nur keinen Foxtrott. Und Lady Amelie Livsey legt nur auf Dinge wert, aus denen sie ihren Nutzen ziehen kann. Meine Tanzkünste gehören definitiv nicht dazu. Aber jetzt bist du mir auch eine Erklärung schuldig, wenn ich schon meine Seele vor dir entblößt habe.« Meine Offenheit und Wortgewandtheit erstaunten mich erneut. Bis jetzt hatte ich mich nur in Isabells Anwesenheit so aufgeweckt und selbstbewusst gefühlt.
»Wie komme ich zu dieser Ehre?« Der Blick, den er mir zuwarf, war gleichermaßen amüsiert wie herausfordernd und ließ mein Herz unweigerlich höherschlagen. Eine Antwort bekam ich jedoch nicht. Eine Weile hüllte er sich in nachdenkliches Schweigen.
»Also Tanzveranstaltungen gehören nicht zu den Dingen, für die dein Herz schlägt. Aber es gibt bestimmt andere Tätigkeiten, die dir mehr Vergnügen bereiten.« Seine Worte lenkten unsere Unterhaltung in eine neue Richtung. Keine Aufdringlichkeit war in Adrians Ton, sondern ehrliches Interesse.
Wenn ich es mir recht überlegte, hatte mich niemand je gefragt, was mir Freude bereitete. Nicht einmal Isabell. Sie nahm an, dass jede junge Frau für Tanzen oder ähnliche gesellschaftliche Veranstaltungen brannte. Ich ließ mich von ihr oft mitreißen, um nicht als seltsam bezeichnet zu werden.
Kurz überlegte ich, wie viel ich Adrian über mich preisgeben wollte. Es war sehr wahrscheinlich, dass ich ihm nie wieder begegnen würde, daher konnte ich ihm die Wahrheit sagen. Schließlich wusste ich nicht, wann mich erneut jemand nach meinen Interessen fragte.
In den Kreisen meiner Familie wurden Frauen noch immer wenig beachtet. Männer übertrumpften sich mit ihren Vermögen, Reitkünsten, die Generation meines Vaters sogar mit Heldentaten während des Großen Kriegs. Aber was Rosalie Gillies-Livsey Vergnügen bereitete, interessierte niemanden.
»Ich liebe Bücher, Reiten und besonders die Jagd«, platzte es schließlich aus mir heraus.
»Hm, interessant!«, erwiderte Adrian.
Na, großartig Rosalie! Du hättest noch erwähnen können, dass du gern Klavier spielst. Dann hätte er den perfekten Einblick in dein aufregendes Leben, ärgerte ich mich in Gedanken.
»Deine Begeisterung für Bücher kann ich bedauerlicherweise nicht teilen, aber die für das Reiten.« Adrian sah mich verschwörerisch an, und ein ehrliches Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit. Ich war erleichtert, dass er mich doch nicht so seltsam fand.
»Nichts bereitet mir mehr Vergnügen als die Freiheit im Sattel oder das Hetzen von Wild«, sprach ich entschlossen weiter. Ich war sicher, dass es nicht unbedingt von Zurückhaltung zeugte, aber ich liebte die Jagd.
»Es ist äußerst ungewöhnlich, dass so eine sanfte junge Lady wie du das Hetzen aufregend findet.« Ich hatte mich vor Entsetzen in seiner Reaktion gefürchtet, doch zu meiner Überraschung klang eine Art Begeisterung in seinen Worten mit.
»Mir ist durchaus bewusst, dass Frauen bei der Jagd immer noch als ansehnliche Begleitpersonen betrachtet werden, aber es hindert mich nicht daran, an der Spitze mitzureiten. Es gewinnt der bessere Reiter.«
»Den meisten Frauen, denen ich bisher begegnet bin, grauste es vor der schweren körperlichen Anstrengung, und den Anblick des toten Tieres fanden sie sogar entsetzlich.« Es war noch immer eine reine Feststellung, keine Verurteilung, mit der er meine Worte kommentierte.
»Es ist nicht Verwerfliches daran, über die endlosen Weiden zu galoppieren. Die Empfindungen, die mich im Sattel durchfluten, lassen sich mit nichts vergleichen. Das grenzenlose Vertrauen zum Pferd, die Geschwindigkeit und vor allem die Freiheit. Und ja, in der Tat tun mir die Tiere etwas leid. Aber mein Großvater hat mir als Kind erklärt, dass Jagd nicht nur ein Privileg des Adels ist, sondern eine Hilfe für die Natur. Füchse haben keine natürlichen Feinde. Die Jagd hilft dabei, eine Überpopulation zu verhindern.« Mein Redeschwall erschreckte mich selbst. Noch nie im Leben war ich so gesprächig wie in der letzten Stunde gewesen.
Adrians Miene war schwer zu deuten. Er betrachtete mich mit zusammengekniffenen Augen. Sein Mund war leicht geöffnet.
»Mir kommt diese Unterhaltung ziemlich einseitig vor. Es ist Zeit, nach Isabell zu suchen.« Ich ertrug sein Schweigen nicht länger. Hastig sprang ich auf, ohne mich zu verabschieden, und wandte mich zum Gehen.
Adrian holte mich nach einigen Schritten ein. »Warte!« Er griff nach meinem Handgelenk. Da ich seinen Atem auf meinem Rücken spürte, wusste ich, dass er eng hinter mir stand. Zögerlich drehte ich mich um und richtete meinen Blick auf ihn. Auch diesmal wich er mir nicht aus, sah mir direkt in die Augen.
»Ich habe noch niemanden mit solcher Begeisterung über das Reiten reden hören. Und ich habe noch nie so eine faszinierende Frau wie dich getroffen«, hauchte er. Mein Herz drohte aus meinem Brustkorb zu springen. Es war, als würde ich sogleich in Ohnmacht fallen.
»Verrätst du mir, warum du dich hier oben versteckst?« Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Sein Gesicht näherte sich meinem. Mein Puls raste, mein Herz schlug mir bis zum Hals, und das nervöse Flattern, das ich zuvor in meiner Brust gefühlt hatte, sackte hinab in meinen Magen. Mir wurde von all den heftigen Empfindungen leicht schwindelig, ich konnte Adrians Blick nicht mehr standhalten und drehte mich von ihm weg.
»Ich wollte mit dir tanzen, deswegen bin ich hier«, flüsterte er mir ins Ohr.
Es war eine Lüge, und ich wollte mich gerade über seine Unehrlichkeit aufregen, als ich seine andere Hand sanft auf meinem Kreuz spürte. Sie brannte sich durch den Stoff meines Kleids, erhitzte mich bis ins Innere. Meine Knie begannen zu beben, als er mich eng an sich heranzog.
»Du bist ein miserabler Lügner!«, hauchte ich.
Er löste seinen Griff von meinem Handgelenk, ließ seine Hand sinken und verschränkte seine Finger mit meinen.
»Ich weiß!«, erwiderte er kaum hörbar. Seine Fingerspitzen strichen lose Haarsträhnen hinter mein Ohr, ehe er sich vorbeugte und knapp vor meinem Mund verharrte. Mein Atem wurde flacher, und mein Blick wanderte unweigerlich zu seinen Lippen.
Augenblicklich überbrückte er den letzten Abstand zwischen uns und senkte seine Lippen sanft auf meine. Sein Kuss setzte mich in Flammen, ließ mich ihn mit einem Gefühl erwidern, das mir fremd war. Ein Gefühl, das mich im gleichen Maße ängstigte, wie es mich anstachelte. Seine Zunge glitt in meinen Mund, sanft, lockend, schmeichelnd. Dieser Kuss ließ die Zeit stillstehen, bis uns Stimmen von unten erreichten.
»Adrian!«, hörte ich zwei Männer rufen, die ohne Zweifel auf dem Pfad in unsere Richtung hinaufstiegen.
Adrian löste sich hastig von mir. »Es tut mir leid, Rosalie!« Er drückte noch einen sanften Kuss auf meine Lippen und verschwand in der Dunkelheit, bevor ich etwas erwidern konnte.
Vor Überraschung musste ich blinzeln. Ist das jetzt tatsächlich passiert? Hat er mich geküsst und ist einfach verschwunden?
Adrian musste all meine Sinne beherrscht haben, da ich nicht bemerkt hatte, dass die Musik schon längst verstummt war.
Wie konnte ich so dumm sein? Ich habe mich dem ersten Mann an den Hals geworfen, der mich nett angelächelt hat. Einem Fremden, den ich wahrscheinlich nie wiedersehen werde. Es mag vielleicht Isabells Art sein, aber nicht meine.
Noch immer wie benebelt stieg ich mit wackeligen Beinen zu der Scheune hinunter. Von Weitem entdeckte ich Isabell, die aufgebracht zwischen den draußen versammelten Menschen herumlief. Sie suchte vermutlich nach mir.
Es geschieht ihr recht.
»Herrgott, Rosalie! Wo hast du gesteckt?« Ihre piepsige Stimme tat mir in den Ohren weh.
»Ich war spazieren«, log ich.
»Die ganze Zeit?«, fragte sie ungläubig.
»Tu nicht so, als wäre es dir aufgefallen. Dazu warst du viel zu beschäftigt«, konterte ich.
Isabel senkte den Blick, doch ich merkte selbst auf dem spärlich beleuchteten Hof, dass ihr die Röte vor Scham ins Gesicht stieg.
Wir schwiegen uns an, obwohl meine Wut weniger ihr, sondern mehr mir selbst galt.
Dankbar stellte ich fest, dass ihr Chauffeur gerade in die Einfahrt bog und dieser Abend endlich ein Ende hatte.
Wortlos setzte ich mich als Erste in den Wagen. Kurz darauf ließ sich Isabell unelegant ebenfalls auf den Rücksitz plumpsen. Ihr Atem roch nach Alkohol und Zigaretten. Ich wandte meinen Blick in Richtung Fenster, woraufhin sie mich an der Schulter schüttelte.
»Sei nicht so! Ich kann nichts dafür, dass du dich nicht amüsieren kannst.« Sie kicherte.