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Freiheit auf dem Rücken der Pferde
England, 1914: Die junge Lady Amelie Livsey führt ein behütetes Leben auf Gestüt Brightlead. Eigentlich hat sie hier alles, was sie sich nur wünschen kann - doch eine Sache fehlt: Freiheit. Als Tochter eines Earls hat sie einzig die Aufgabe, hübsch auszusehen und eine gute Partie zu machen. Dabei liebt Amelie nichts mehr, als die Pferde und das Reiten.
Ohne auf die Bedürfnisse seiner Tochter einzugehen, stellt der Earl ihr schon bald einen wohlhabenden Heiratskandidaten vor, der ihr eine sichere Zukunft bietet und dem Gestüt im Gegenzug eine wertvolle Zuchtstute überlassen will. Er drängt sie zu einer schnellen Heirat, aber Amelie weiß, dass eine Ehe ohne Liebe sie nur unglücklich machen würde. Einzig und allein Ted Gillies, der Sohn des Stallmeisters, steht ihr in dieser Zeit zur Seite - und schon bald entwickeln sich Gefühle zwischen den beiden. Doch die Verbindung ist nicht standesgemäß, und Amelie hat eine Verpflichtung gegenüber ihrer Familie. Kann sie jemals wirklich frei sein?
Der Auftakt zur mitreißenden und romantischen Familiensaga über das Gestüt Brightlead.
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Über dieses Buch
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Danksagung
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Impressum
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England, 1914: Die junge Lady Amelie Livsey führt ein behütetes Leben auf Gestüt Brightlead. Eigentlich hat sie hier alles, was sie sich nur wünschen kann – doch eine Sache fehlt: Freiheit. Als Tochter eines Earls hat sie einzig die Aufgabe, hübsch auszusehen und eine gute Partie zu machen. Dabei liebt Amelie nichts mehr, als die Pferde und das Reiten.
Ohne auf die Bedürfnisse seiner Tochter einzugehen, stellt der Earl ihr schon bald einen wohlhabenden Heiratskandidaten vor, der ihr eine sichere Zukunft bietet und dem Gestüt im Gegenzug eine wertvolle Zuchtstute überlassen will. Er drängt sie zu einer schnellen Heirat, aber Amelie weiß, dass eine Ehe ohne Liebe sie nur unglücklich machen würde. Einzig und allein Ted Gillies, der Sohn des Stallmeisters, steht ihr in dieser Zeit zur Seite – und schon bald entwickeln sich Gefühle zwischen den beiden. Doch die Verbindung ist nicht standesgemäß, und Amelie hat eine Verpflichtung gegenüber ihrer Familie. Kann sie jemals wirklich frei sein?
SALLYNOLAN
Schicksalszeiten
Mai 1914, Brightlead, England
Vor Sonnenaufgang eilte ich im Laufschritt durch den Hof. Kieselsteine knirschten unter den schweren Männerstiefeln. Schwaches Licht schimmerte durch das Fenster des kleinen Steinhauses neben den Stallungen.
Beim Gedanken, Mister Gillies könnte mich erwischen, raste mein Herz. Er würde mich bestimmt verraten. Du hast es gleich geschafft, Amelie! Sei nicht feige, redete ich mir gut zu und schloss die Stalltür leise hinter mir. Augenblicklich stieg mir der Geruch von Mist, Heu und Leder in die Nase.
Hercules wieherte bei meinem Anblick.
»Sch, sch, mein Großer!« Ich versuchte, ihn zu besänftigen, damit er mit seinem wilden Stampfen nicht die anderen Pferde im Stall beunruhigte.
»Wen haben wir denn da? Eine Pferdediebin?« Obwohl ich die Stimme gleich erkannte, zuckte ich zusammen und drehte mich um.
Ted Gillies, der Sohn des Stallmeisters, stand mit einem breiten Lächeln hinter mir. Er hielt Zaumzeug und einen Sattel, den ich nicht kannte, in der Hand. Hercules’ schwarzes Fell war gestriegelt und glänzte wie wertvoller Samt.
Weiß Ted über meine Pläne Bescheid? Habe ich ihm zu viele Fragen über Männersättel gestellt?
Ted legte zuerst eine dunkelgrüne Satteldecke, dann den schweren Sattel auf Hercules’ Rücken. Geschickt zog er den Bauchgurt fest, sah mich kurz an und wandte sich daraufhin den Steigbügelriemen zu, während ich meinem geliebten Vollblut das Zaumzeug anlegte. Ratlos betrachtete ich die zwei Steigbügel.
»Lady Livsey, haben Sie vielleicht Schwierigkeiten beim Aufsteigen?«
Hitze schoss in meine Wangen, aber bevor ich etwas erwidern konnte, stellte sich Ted vor mich und machte mir eine Räuberleiter. Meine Reitstiefel berührten seine Hände, und er beförderte mich schwungvoll in den Sattel. Unsicher suchten meine Füße Halt. Mein ganzer Körper zitterte vor Aufregung.
»Amelie, du musst jetzt los, wenn du nicht willst, dass dich jemand sieht!« Die Sorge, die in Teds Stimme mitschwang, ließ mein Vertrauen in ihn wachsen. Von ihm würde keiner etwas erfahren.
»Wünsch mir Glück, Ted! Und du hast mich nicht gesehen.« Ich warf ihm einen flehenden Blick zu.
Sanft drückte ich nur mit dem linken Unterschenkel gegen den Pferdebauch, woraufhin sich Hercules langsam vorwärtsbewegte. Mein sonst perfekt ausbalancierter Sitz war wackelig, mein rechter Fuß rutschte immer wieder aus dem Steigbügel, weil mir diese Art der Bewegung fremd war. Der Zügel lag fest in meinen Händen. Allem Anschein nach zerrte ich manchmal zu heftig daran, da Hercules öfter abrupt stehen blieb.
Je weiter ich mich vom Anwesen entfernte, desto sicherer saß ich im Sattel. Doch ohne meine Reitgerte konnte ich Hercules nicht die richtigen Anweisungen geben. Auf der Weide beschleunigte er seine Schritte und trabte freudig los.
Ich flog im Sattel hin und her, da ich seine Bewegung nicht aufnehmen konnte. Es war so leichtsinnig von mir gewesen. Panik breitete sich in mir aus. Hektisch zog ich am Zügel, und Hercules bliebt sofort stehen.
Die aufgehende Sonne färbte den Himmel erst seit einem Augenblick. Keine Spur von dem dichten Nebel, in welchen England einen großen Teil des Jahres hindurch gehüllt ist. Tau glänzte auf den Gräsern in der Morgensonne. In langen Zügen atmete ich die frische feuchte Luft ein.
Ich betrachtete Brightlead in der Ferne. Mein Blick wanderte über die Wiese, die Felder, und mir kam der Gedanke, wie anders die Welt von oben aussah.
Dann schluckte ich meine Angst hinunter, drückte fest beide Fußballen in den Steigbügel, richtete mich im Sattel auf und galoppierte über die schier endlose Wiese. Der prächtige Hengst rannte unter dem Sattel, als würde sein Leben von diesem Galopp abhängen. Ein unbeschreibliches Gefühl beflügelte mich, und ich ritt vor meinen Sorgen augenblicklich davon.
Mein geflochtener Zopf löste sich bei der Geschwindigkeit, mein dunkles lockiges Haar tanzte im Wind. Nun erstrahlte die Sonne in ihrem vollen Glanz.
Zu schnell war die Zeit in der Freiheit vergangen. Wehmütig steuerte ich Hercules zurück nach Brightlead. Währenddessen eilte Ted aus den Stallungen in meine Richtung, nachdem er mich auf dem grauen Kieselweg erblickt hatte. Seine Gesichtszüge wirkten angespannt, was nur bedeuten konnte, dass meine Mutter meine Abwesenheit bemerkt hatte.
»Beeil dich, Amelie! Deine Mutter sucht überall nach dir!« Er griff hastig nach dem Zügel.
»Wie soll ich absteigen?«, fragte ich ihn nervös.
»Spring runter, wie es die richtigen Reiter tun!« Ein schiefes Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.
Bewusst weihte ich Ted nicht in meine Pläne ein, damit er meinetwegen keinen Ärger bekam. Ted war ein herzensguter junger Mann. Als kleines Mädchen hatte ich seinem Vater und ihm oft bei den Pferden Gesellschaft geleistet. Damals störte es niemanden. Mein Vater war erfreut darüber gewesen, dass ich mich im Gegensatz zu meinen Brüdern für die Pferdezucht interessierte. Erst seit ich erwachsen geworden war, wurde meine Leidenschaft für die Pferde nicht mehr gern gesehen.
»Eine Lady reitet nicht aus Vergnügen, Amelie!«, sagte mir meine Mutter immer in einem herablassenden Tonfall.
»Komm, Amelie! Mary wartet in deinem Zimmer auf dich!«, trieb mich Ted an.
Mary, mein Hausmädchen, wusste, dass sie in Schwierigkeiten geraten könnte, aber sie war von Ted so angetan, dass sie ihm ihre Hilfe nicht abschlug.
Henrys viel zu große Reitstiefel klapperten laut auf dem Steinboden. Durch die niedrige Tür gelangte ich in die Küche. Dorothea, die Köchin, und Ivy, das jüngere Küchenmädchen, erstarrten augenblicklich.
»Lady Amelie!«, rief Dorothea mit schriller Stimme.
»Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, Dorothea. Ich muss schnell in mein Zimmer, bevor Mister Hudgens oder meine Mutter mich erwischen!«
Sobald ich den Satz beendet hatte, erschien Bernhard Hudgens in der Küche. Weil der aufgeblasene oberste Kammerdiener und Spitzel meiner Mutter sich selten mit dem übrigen Personal abgab, war ich mir sicher, dass ich der Grund seines Erscheinens war.
»Lady Amelie! Ihre Mutter erwartet Sie im Salon.«
Mit gesenktem Kopf folgte ich Mister Hudgens, der in seiner makellosen schwarzen Uniform vor mir entlangstolzierte.
Meine Mutter stand vor der aus dunklem Holz geschnitzten Kaminumrandung und starrte das Porträt meiner Urgroßmutter an. Sie warf mir einen missbilligenden Blick zu, rollte die Augen und wandte sich ab.
»Mylady, mit Eurer Erlaubnis lasse ich Eure Ladyschaft mit Eurer Tochter allein!«
Es geht ihn sowieso nichts an, was Mutter mir mitteilen will.
Mutter schwieg weiterhin und würdigte mich keines Blickes.
Ich räusperte mich leise, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Mutter –«
»Nicht, Amelie!«, fiel sie mir ins Wort. In einer langsamen Bewegung drehte sie sich mit ihrem gesamten Körper in meine Richtung. Ihr Blick trug etwas Verächtliches in sich.
»All die Jahre Erziehung und Bildung haben bei dir nichts gebracht. Du gibst dich mit dem Personal ab, schleichst dich in aller Früh in den Stall und machst einen Ausritt ohne Begleitung. Als wäre das nicht genug, trägst du eine Hose und reitest im Spreizsitz! Was für eine Schande!« Ihre Finger stützten ihren gesenkten Kopf.
Mich zu wehren war sinnlos. Mutters Ansicht nach war ich der Familie nicht würdig.
»Hoffentlich hat dich niemand gesehen! Es wird kaum einen Mann geben, der dich noch heiraten will, wenn an die Öffentlichkeit kommt, dass du in Männerkleidung allein herumreitest.« Meine Mutter unterstrich mit missbilligendem Kopfschütteln ihre Aussage.
»Darum geht es dir nur! Mich zu verheiraten«, stieß ich empört hervor.
»Natürlich geht es darum. Was hast du dir gedacht? Dein Bruder Robert macht eine seinem Titel angemessene militärische Ausbildung, und für Henry werden wir auch eine sinnvolle Tätigkeit finden.« Bei der Erwähnung ihrer Söhne veränderte sich plötzlich ihre gleichgültige Miene, und ihre Augen fingen an zu glänzen.
In meinem bisherigen Leben war ich stets bemüht gewesen, die Erwartungen meiner Mutter zu erfüllen, doch statt Lob erntete ich nur Missbilligung von ihr.
Meine Mutter schritt steif zum Sofa und ließ sich auf der beigefarbenen und mit zartrosa Blumen gemusterten Sitzfläche nieder. Sie hielt die Knie zusammen und überkreuzte ihre Beine am Knöchel, streckte ihren Rücken durch und straffte ihre Schultern. Mit einer sanften Bewegung strich sie über den Rock ihres hochgeschlossenen tiefblauen Samtkleides.
Ihre dunklen Haare waren nach der letzten Mode in dicken lockigen Strähnen mit Dutzenden Haarnadeln festgesteckt, wobei eine Strähne vom Nacken über die Schulter fiel. Nur ihr kühler Blick trübte ihre makellose Erscheinung.
»Wenn du schon unglücklicherweise als Mädchen geboren bist, müssen wir das Beste aus dieser Situation machen. Du benötigst einen reichen Ehemann, der dich auch mit wenig Mitgift heiraten würde. Dann bleibt unser Vermögen in der Familie, und du bist dann auch kein Problem mehr.« Ihre Stimme klang sachlich. Meine Mutter redete über meine Zukunft, als wäre sie eines von Vaters Geldgeschäften.
»Also das bin ich für dich. Ein Problem.«
»Dein Benehmen ist ein Problem, meine liebe Tochter! Ted Gillies hat einen schlechten Einfluss auf dich. Bestimmt hat er dich zu diesem unmöglichen Ausritt überredet.«
»Mutter, Ted hatte damit nichts zu tun! Er wusste nicht von meinem Vorhaben.«
Mutter achtete gar nicht auf meine Worte und redete weiter: »Es scheint mir unglaubwürdig, dass du das Pferd alleine aufgesattelt hast. Außerdem hat er uns Hercules’ Abwesenheit nicht gemeldet. Ab heute hast du den Kontakt mit dem Stallknecht zu meiden, und Ausreiten ohne Begleitung ist für dich nicht mehr erlaubt!«
Sie verbot mir das Einzige, was mich glücklich machte. Die Wände meiner kleinen Welt wackelten bedrohlich. In meinem Hals bildete sich ein Knoten, und nur mit viel Mühe konnte ich meine Tränen zurückhalten. Das Vergnügen, mich weinen zu sehen, wollte ich meiner Mutter nicht gönnen.
So viel hätte ich noch zu sagen gehabt, aber mir verschlug es die Sprache. Hätte es überhaupt einen Sinn? Ich stand noch immer mit gesenktem Blick vor der Tür.
Ohne ein weiteres Wort wandte sich meine Mutter ihrer Handarbeit zu und gab mir damit zu verstehen, dass das Gespräch für sie beendet war.
Mister Hudgens stand draußen auf dem Gang unweit der Salontür und betrachtete zufrieden meine Niederlage.
Wie kann meine Mutter mich dermaßen einschüchtern? Wenn mein Leben für die Familie nur ein Problem ist, warum kann ich nicht machen, was mir wichtig ist?
Aus Marys Gesicht wich, als sie mein zerzaustes Aussehen bemerkte, jegliche Farbe. Manchmal schien sich das Hausmädchen mehr um mein Äußeres zu sorgen als ich selbst. Mein Haar war verknotet und Henrys sandbraune Reitkleidung hing an meiner schmalen Gestalt wie die Lumpen, die auf den Feldern Vogelscheuchen bedecken.
Sie lächelte höflich. »Oje, Lady Amelie! Ted erwähnte, dass Sie ausreiten, aber mit solch einer Katastrophe habe ich nicht gerechnet.«
Nachdem ich mich im eiskalten Wasser sauber gemacht hatte, steckte Mary meine widerspenstigen Locken auf meinem Kopf fest und half mir beim Ankleiden.
»Hast du gewusst, dass Arbeiterfrauen kein Korsett tragen müssen?«, fragte ich Mary, während sie sich mit der Schnürung des gehassten Kleidungsstücks beschäftigte.
»Diese Frauen haben aber sicher nicht Ihre Figur, Mylady!«, wandte Mary höflich ein.
»Unsinn, Mary! Ich kann kaum atmen in diesem Ding. Es war so befreiend, ohne diesen starren, einengenden Panzer zu reiten. Kannst du dir das vorstellen?«
»Nein, Lady Amelie, ich bin noch nie geritten!«, antwortete das Mädchen schamerfüllt.
Für einen Moment wurde mir bewusst, wie privilegiert ich war.
Da ich das Frühstück schon verpasst hatte, beeilte ich mich beim Ankleiden nicht allzu sehr. Für einen weiteren langweiligen Tag auf Brightlead wählte ich einen schieferblauen ausgestellten und hochtaillierten Rock, dessen Saum beinahe den Boden berührte, dazu eine weiße, blau bestickte Baumwollbluse mit Spitzeneinsätzen und einem hohen Stehkragen.
Ich begriff nicht, warum ich mich nach der letzten Mode aus London ankleiden sollte, wenn ich das Anwesen gar nicht verließ. Mary musste mir an manchen Tagen dreimal beim Umziehen helfen. Tageskleider, Ausgehkleider, Abendkleider. Es gab sogar Teekleider.
Mary war verliebt in all die schönen Stoffe. Am liebsten hätte ich ihr einen Teil meiner Garderobe geschenkt, aber wahrscheinlich hätte sie dann Schwierigkeiten bekommen. Ihre hellblauen Augen strahlten jedes Mal, wenn sie ein Kleid von mir vor ihre Uniform hielt und sich im Spiegel betrachtete.
Marys lange engelsblonde Haare waren sorgfältig unter ihrer Magdhaube festgesteckt. Ihr schlanker Körper, von dem schwarzen Hausmädchenkleid mit langer weißer Schürze verhüllt, schien sich nach den bunten, reich verzierten Kleidern in meinem Schrank zu sehnen.
Ich bat Mary, mir einige Sandwiches zu organisieren, da mir die morgendliche Bewegung einen ordentlichen Hunger beschert hatte. Um dem Personal keine Umstände zu bereiten, eilte ich Richtung Küche.
Die Stimme meines Vaters ertönte aus der Bibliothek: »Amelie, Liebes!«
Ich trat in den beeindruckenden Raum. Mit goldener Schrift verzierte Buchrücken aus dunklem Leder reihten sich in den Bücherregalen aus Mahagoni aneinander.
Mein Vater erhob sich von seinem Stuhl und kam mir einige Schritte entgegen.
»Guten Morgen, Vater!«, grüßte ich ihn fröhlich.
Seinem heiteren Gesichtsausdruck nach hielt er mein kleines Abenteuer nicht für eine Todsünde. »Warum ist es so, dass meine Söhne nichts mit Pferden am Hut haben, ich aber meine einzige Tochter kaum aus dem Stall bekomme?« Er lächelte.
»Bekomme ich Ärger, Vater?«, fragte ich unsicher.
»Von mir nicht. Ich bewundere dich sogar für deinen Mut. Aber deine Mutter ist außer sich. Sie will dich so schnell wie es geht verheiraten, damit du ihren Ruf nicht ruinieren kannst.«
»Sie und ihre Probleme.« Ich seufzte.
»Amelie, ich weiß, dass ihre Erziehungsmethoden für dich nicht immer nachvollziehbar sind, aber deine Mutter will dein Bestes.«
»Mein Bestes? Mich mit irgendeinem reichen Fremden verheiraten soll mein Bestes sein?« Unwillkürlich erhob ich meine Stimme. »Warum drängt sie Robert nicht zu einer Heirat?«
»Amelie, Robert ist ein Mann, und als mein ältester Sohn der Erbe meines Titels und des Großteils meines Vermögens. Der zukünftige Earl of Surrbury kann sich aus den zahlreichen heiratswürdigen Frauen eine aussuchen.«
»Wie könnte ich jemanden heiraten, für den ich keine Gefühle habe?«, fragte ich meinen Vater.
»Meine Tochter, du liest zu viele Liebesromane. Eine Heirat in unseren Kreisen ist wie ein Vertrag. Wenn das Schicksal es gut mit dir meint, lernst du deinen Partner mit der Zeit lieben.« Vater konnte mit seiner sanften, beruhigenden Stimme schlechte Neuigkeiten heiter klingen lassen.
»Und wenn ich mich in jemanden ohne Titel und ohne Vermögen verliebe und ihn heiraten will?«, erkundigte ich mich vorsichtig.
»Diese Möglichkeit steht dir leider nicht offen, meine liebe Tochter.«
Ein Streit mit meinem Vater war unnötig. Er war genauso traditionell gesinnt wie meine Mutter, aber dank seiner diplomatischen Fähigkeiten schilderte er mir meine Zukunft in einem freundlichen Ton.
»Amelie, es wäre leichter für dich, wenn du nicht dagegen ankämpfen würdest. Mit siebzehn Jahren bist in einem Alter, in dem du baldigst über eine Heirat nachdenken solltest. Wenn du ständig rebellierst, hast du keine Chance, glücklich zu sein.«
»Glücklich? Klingt das aus deinem Mund nicht falsch?«, murmelte ich kaum hörbar.
Mein Vater richtete sein graugrünes Jackett. Sein auffälliges Räuspern ließ erahnen, dass er diesem Gespräch ein Ende setzen wollte. »Nun gut, meine Liebe! Wenn du mich entschuldigen würdest?« Ohne ein weiteres Wort schritt er zurück an den Schreibtisch und widmete sich seinen Papieren.
»Einen schönen Tag, Vater!«
Ehe ich mich versah, trugen meine Füße mich wie von allein zu den Stallungen und zu Ted.
Beide Flügel des Stalltors standen offen. Wenn mein Vater nicht auf die Jagd ging, verbrachten die meisten Tiere den Tag auf der Weide. Neben einer Mutterstute und der trächtigen Fuchsstute Geneva standen nur zwei Kutschpferde in den Boxen. Seitdem unsere Familie ein Automobil besaß, wurden die Kutschen weniger benötigt. Ein Gespann reichte völlig aus.
Um ihr den Kopf zu streicheln, blieb ich kurz bei Geneva stehen. Ein lautes Wiehern ertönte. Hercules! Es war ungewöhnlich, dass er nicht mit der Herde auf der Weide stand.
Draußen erblickte ich Ted, wie er ihn striegelte. Er wischte sich gerade die Schweißperlen auf seiner Stirn mit einem verschmutzten Baumwollhemd ab. Dunkelblonde Strähnen fielen ihm ins Gesicht.
Überrascht trat er einen großen Schritt zurück, dann grüßte er laut und höflich: »Guten Tag, Lady Amelie.« Seine eisblauen Augen erhellten sein verschmiertes Gesicht.
»Du kannst damit gleich aufhören, Ted Gillies! Keiner sieht uns!«
»Es wird gemunkelt, dass deine Mutter dich erwischt hat.« Er lächelte.
»Gerüchte verbreiten sich ziemlich schnell in Brightlead.«
»Mary erzählt mir alles!« Ted zwinkerte mir angeberisch zu.
»Ja, aber nur, weil sie von dir so angetan ist«, erwiderte ich trotzig.
Nicht nur Mary. Seitdem ich denken kann, habe ich für Ted Gillies geschwärmt. Anfangs war er mein Spielkamerad gewesen, der für jeden Streich zu haben war. Später teilten wir die gleiche Leidenschaft: Reiten.
Unermüdlich hetzten wir unsere Pferde durch die Wiesen und Wälder unweit von Brightlead. Für Ted war ich nie die Tochter der Herrschaften oder eine Lady. Es war keine lästige Pflicht für ihn, mich beim Reiten zu begleiten. Wir waren Rivalen, wie Verbündete. Er sah mich, Amelie, wie ich war.
»Hör ich da etwa Eifersucht in deiner Stimme?« Ted schmunzelte.
»Ganz gewiss nicht auf das Hausmädchen!« Meine Stimme klang herablassender, als ich es beabsichtigt hatte.
Doch ich war neidisch auf Mary. Nicht wegen Ted, sondern weil sie sich frei in ihn verlieben durfte. Als kleines Mädchen, als meine Zukunft noch nicht von Bedeutung war, hatte ich mit Ted viel Zeit im Stall verbracht. Beneidet hatte ich auch den zwei Jahre älteren Stallmeistersohn schon immer. Doch unsere Liebe für die Pferde, trotz des Klassenunterschiedes, verband uns bereits in den Kindheitsjahren.
Er hielt es geheim, wenn ich mich nicht wie eine Lady verhielt, und ich behielt es für mich, wenn er die Vollblüter meines Vaters ritt. Ted war der beste Reiter unseres Hauses, was den geschulten Augen meines Vaters nicht entgangen war. Natürlich hätte er nie zugegeben, dass der Sohn eines Knechts der begabteste Reiter in Brightlead war. Doch Ted durfte ihn bei der Zucht und bei der Ausbildung unserer Pferde unterstützen.
Ted wirkte mit seinem athletischen Körper auch ohne Zylinder und Reitjackett auf dem Pferderücken herrschaftlich. Seine Haltung verriet niemandem, dass er nur der Sohn eines Knechtes war.
»Du solltest Gespräche mit deiner Mutter vermeiden, sonst klingst du noch wie sie!« Teds Worte rissen mich aus meinen Gedanken.
»So meinte ich das nicht«, entschuldigte ich mich schnell.
»Also bist du doch eifersüchtig auf Mary.« Ted lächelte selbstzufrieden.
»Meine Entschuldigung bezieht sich auf meine Wortwahl, aber nicht auf meine Aussage. Als wäre es mir nicht gleichgültig, welche arme Seele dir verfallen ist.« Um meinen Sätzen Nachdruck zu verleihen, nickte ich kurz und hob meine Nase.
Ted blickte zuerst im Hof umher, dann in den Stall. Nachdem er sich versichert hatte, dass außer uns niemand in der Nähe war, griff er nach meiner Hand und zog mich hinter das offene Stalltor.
Sein Blick forderte einen Beweis, dass mein Desinteresse nur gespielt war. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ted verkürzte den Abstand zwischen uns um einen weiteren Schritt. Unsere Blicke verfingen sich für den Bruchteil einer Sekunde, aber ich entzog ihm meinen und schaute verlegen zu Boden. Eine unbekannte Hitze stieg in mir auf, als Teds Atem sanft meine Wangen streifte.
»Schau mich an, Amelie!«
Auf Teds Befehl hob ich langsam meinen Kopf. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich bewegt hatte, aber sein Gesicht war plötzlich so nah, dass ich die kleinen grauen Strahlen in seinen blauen Augen sehen konnte.
Mein Herz hämmerte wie wild gegen meinen Brustkorb. Teds Finger streichelten über meinen Handrücken, während ich seinem durchbohrenden Blick standhielt. Die Berührung seiner Hand sandte Schauer durch meinen ganzen Körper.
»Oh, Amelie, dich zu sehen, ohne dich berühren zu können, ist die grausamste aller Strafen.« Ted atmete schwer.
»Dann berühre mich!«, erwiderte ich sofort. »Wenn du dich nur um den Schmutz auf meinem Kleid sorgst, ich werde die Schuld auf Hercules schieben.«
»Ich kann es nicht! Du bist die Tochter eines Lords und ich ein Knecht.« Seine Stimme klang traurig. Dieser aufregende Moment der Spannung zwischen uns war allzu schnell vorüber.
Seine Zurückweisung fühlte sich wie ein Schlag ins Gesicht an. Ich kniff meine Lider zusammen. Es dauerte einen Augenblick, bis ich Teds Worte begriff. Doch als ich meine Augen öffnete, stand er bereits an Hercules’ Seite und setzte seine Arbeit fort.
Wortlos saß ich im Salon beim Nachmittagstee meiner Mutter gegenüber. Meine Gedanken kreisten noch immer um Teds Worte. Nachdenklich fuhr ich mit dem Finger über den Rand meiner Tasse.
Die schrille Stimme meiner Mutter riss mich aus den Gedanken. »Amelie! Dein Benehmen gleicht dem eines Küchenmädchens.«
»Entschuldige, Mutter, ich war in Gedanken.«
Sie schüttelte missbilligend ihren Kopf. »Hoffentlich passiert dir kein solches Missgeschick, wenn wir die Herren der Jagdgesellschaft am Wochenende zum Tee einladen.«
»Gewiss nicht.«
Meine Mutter blickte mich verwundert an. Mit der Antwort hatte sie sicher nicht gerechnet. Normalerweise hätte ich gegen ihre Verkupplungsversuche lautstark rebelliert. Diesmal wollte ich nicht, dass irgendein neuer Gedanke den Platz der Erinnerung an den Vormittag übernahm.
Ich errötete, sobald ich an Teds Berührung dachte.
In den nächsten Tagen hoffte ich, Ted erneut allein in den Stallungen anzutreffen. Enttäuscht stellte ich fest, dass er mir aus dem Weg ging.
Ich passierte die leeren Boxen, bis ich Hercules erreichte. Mein schwarzer Prachthengst tänzelte vor Freude. Lange kraulte ich seine Stirn, streichelte die weichen Nüstern, fühlte den warmen Atem auf meinen Händen.
Mister Gillies ließ sofort seine Arbeit stehen und bot mir seine Dienste an. »Hercules verlor nach Ihrem letzten Ausritt ein Hufeisen. Ich wollte mich gerade um ihn kümmern, Mylady.«
»Vielen Dank, Mister Gillies. Bitte richten Sie Ted aus, dass er Hercules für die Jagd übermorgen vorbereiten soll.«
Ich gab selten Anweisungen, aber Ted sollte erfahren, dass ich ausdrücklich nach ihm verlangte. Sein Vater war ein sehr netter, pflichtbewusster Mann, der mir keinen Wunsch abgeschlagen hätte.
Der nächste Tag war einer dieser langweiligen Tage in Brightlead, an denen nichts passierte. Begleitet von meines Vaters bestem Jagdhund Barry schlenderte ich durch den Park des Anwesens. Plötzlich entdeckte ich meinen Vater, und mein Herz machte einen Sprung. Er unterhielt sich mit Ted. Seiner Miene nach zu urteilen, hatte Ted keine guten Neuigkeiten für ihn.
Vielleicht hatte es damit zu tun, dass die Vormachtstellung der Livsey-Rennpferde in Gefahr war. Seit einiger Zeit kamen in der Zucht meines Vaters keine potenziellen Rennpferde auf die Welt. Seine große Hoffnung war Hercules gewesen.
Vor einigen Jahren verliebte ich mich in seine schwarze Schönheit und ritt auf ihm heimlich im Hof herum. Weil ich ihn nicht entsprechend trainierte, hatte er sein Rennpferdpotenzial endgültig verloren.
Für die Qualität des Nachwuchses konnte ich nichts, doch Mutter gab, wie bei allem, was ihr in ihrem Leben nicht gefiel, mir die Schuld.
Zuerst bemerkte mich Ted, doch er entzog mir sofort seinen Blick.
»Guten Tag, Vater! Ted.« Mit gespielter Fröhlichkeit und einem breiten Lächeln grüßte ich die zwei Männer, die meinetwegen ihre Unterhaltung abbrachen.
»Störe ich euch, Vater?«, fragte ich höflich.
Teds Blick war noch immer zum Boden gerichtet.
»Nein, meine Liebe. Ted zweifelt an unserem diesjährigen Erfolg bei der Royal-Ascot-Rennwoche. Unsere Rennpferde altern, und die Fohlen sind nicht gut genug.«
»Können wir nichts dagegen machen?«
»Hercules war meine große Hoffnung«, erwiderte mein Vater. Sein Blick schweifte zu den Hügeln in der Ferne.
»Er ist schnell, Vater. Nimm ihn mit nach Ascot.«
»Er ist zu alt für ein Rennpferd.« Er klang, als wollte er mich belehren. »Aber mit der richtigen Stute könnte er für Nachwuchs sorgen«, fügte er sanft hinzu.
Ted stand noch immer still neben uns. Das war nicht ungewöhnlich, da es unhöflich gewesen wäre, sich an einem Gespräch zwischen seiner Lordschaft und deren Tochter zu beteiligen.
»Den Gerüchten zufolge ist Lord Davingtons Stute Nessa der diesjährige Favorit bei den Zweijährigen. Wenn er mir die Stute vor ihrem ersten Sieg verkauft, sind wir gerettet.« Vaters Augen strahlten vor Aufregung.
»Deswegen hast du diesen unmöglichen Mann zur Jagd eingeladen.« Mit einem Augenrollen verlieh ich meinem Missfallen Nachdruck.
»Amelie, so redet eine Lady nicht über den zukünftigen Gast des Hauses!«, ermahnte mich mein Vater.
Ted presste seine Lippen zusammen, aber seine Augen verrieten, dass er sich über meine Aussage amüsierte.
»Es tut mir leid, Vater«, erwiderte ich und verdrehte erneut die Augen.
»Wenn Eure Lordschaft nichts dagegen hat, würde ich mich an die Arbeit machen«, warf Ted höflich ein.
»Machen Sie nur, Ted! Richten Sie bitte Taylor aus, dass er das Automobil in einer Stunde vorfahren soll. Ich habe etwas in Dailyville zu erledigen.«
»Natürlich, Mylord!« Mit eiligen Schritten entfernte sich Ted von uns.
»Warten Sie, Ted! Ich bräuchte Ihre Hilfe bei Hercules«, rief ich ihm nach.
Teds Wangen liefen tiefrot an. »Natürlich, Lady Amelie!«
Nachdem er einige Schritte auf mich zugekommen war, sagte ich zu ihm: »Gehst du mir aus dem Weg, Ted Gillies?«
Teds Antwort kam sofort: »Ja.«
»Darf ich fragen, warum?« Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und kniff die Augen zusammen.
Kein Laut verließ Teds Lippen. Schweigend schritten wir nebeneinander zurück zu den Stallungen. Taylors Silhouette zeichnete sich neben dem Automobil ab. Ted ließ mich allein und eilte in seine Richtung, wahrscheinlich um ihm die Anweisung meines Vaters mitzuteilen.
Vergeblich wartete ich auf Teds Rückkehr. Ich sah, wie er die Flucht ergriff und seinem Vater auf die Weide folgte.
Ständig musste ich an Teds raue Finger auf meiner Haut denken. Ich wollte sie erneut spüren, doch Ted hatte anscheinend nicht dieses Bedürfnis.
Nervös schob Mary den Reitzylinder mit dem schwarzen Netzschleier auf meinem Kopf zurecht. Mein geflochtener Zopf wurde seitlich zu einem Dutt festgesteckt, der dem Zylinder Halt verlieh.
Diesmal vorbildlich in einen an einer Seite eng anliegenden schwarzen Reitrock gekleidet, schloss ich mich verspätet der Jagdgesellschaft an. Zu dem langen Rock trug ich eine weiße hochgeschlossene Bluse und ein schwarzes langes Reitjackett.
Bereit für die Jagd liefen im Hof kleine und große Hunde umher und jaulten. Hercules galt als das prächtigste aller Pferde. Sein tiefschwarzes Fell glänzte wie Seide in der Vormittagssonne. Er war aber nicht die einzige Wohltat für meine Augen.
Ted stand in seiner tadellosen Uniform neben dem Pferd. Zu seiner sandbraunen Hose trug er diesmal ein helles Baumwollhemd mit einer grünen Weste. Seine widerspenstigen blonden Strähnen hatte er sorgfältig zur Seite gekämmt. Er lächelte. Sein Blick fing sofort meinen ein. »Guten Tag, Lady Amelie!«
Ich trat auf die hölzerne Aufstiegshilfe, und er hielt mir seine Hand entgegen. Seine Finger berührten meine nur durch die Lederhandschuhe, doch ich erzitterte unter der Berührung.
Nachdem mein Vater die Teilnehmer herzlich willkommen geheißen hatte, ritten wir hinter der bunten Hundeschar los.
Bis die Damen den Herren den Vortritt ließen und in einem gemütlichen Tempo der Jagdgesellschaft folgten, hielt ich auf Hercules mit den Männern Schritt. Was hätte ich für eine gemütliche Reithose gegeben.
Hercules galoppierte ganz vorn durch die Wiese, als plötzlich ein umgestürzter Baum den Weg versperrte. Zum Anhalten blieb mir keine Zeit mehr. Nach einem flotten Schrittwechsel stemmte Hercules kurz vor dem Hindernis seine Hinterhufe energisch gegen den Boden und sprang mit einem großen Satz über den Baumstamm.
Verzweifelt suchte ich mit meinem Fuß im Steigbügel Halt. Doch der Sattelgurt löste sich während des Sprunges. Instinktiv griff ich nach der Pferdemähne, als ich samt Sattel seitlich vom Pferderücken rutschte. Mit meiner ganzen Kraft zog ich mich wieder hoch, aber der Sattel landete im Unterholz. Rittlings saß ich nun auf dem Pferderücken und hielt die Zügel wieder in der Hand. Erleichtert brachte ich Hercules zum Schritt.
Lord Davington tauchte mit seinem Pferd unerwartet neben mir auf. »Lady Amelie, warum überlassen Sie nicht den Gentlemen das Springen? Eine Lady sollte gemütlich hinter der Jagdgesellschaft reiten und sich nicht mit Männern messen.« Er lächelte selbstzufrieden.
»Warum sollte eine Frau nicht genauso gut reiten können wie ein Mann?«, fragte ich spöttisch.
»Weil Jagen eben ein Vergnügen für Herren ist. Damen sollten nicht aktiv an der Jagd teilnehmen.«
»Lord Davington, vielleicht ist Ihnen entgangen, dass ich es war, die Sie nicht einholen konnten«, erwiderte ich stolz.
»Ja, aber nur, weil Sie nun mal das schnellste Pferd reiten. Was für eine Verschwendung für dieses Prachttier.« Er schüttelte seinen Kopf.
Der Mann war mindestens zwanzig Jahre älter als ich, aber nicht sein Aussehen machte ihn so abstoßend. Sicherlich sorgte seine arrogante Art dafür, dass er noch immer Junggeselle war.
»Welche Verschwendung, Lord Davington?« Ich war aufgewühlt, aber ich hatte meinem Vater versprochen, dass ich das Geschäft mit meinem Verhalten nicht gefährden würde.
»Dieser Hengst gehört auf die Rennbahn. Er ist kein Spielzeug für junge Damen, die kaum einen Sprung bewältigen können.«
Meine Wut gegenüber diesem unangenehmen Mann drohte überzukochen. »Ich denke, den Sprung habe ich wohl bewältigt, und das ganz ohne die Vorteile eines Herrensattels«, teilte ich ihm selbstsicher mit.
Da mich seine Worte keineswegs eingeschüchtert hatten, wechselte er offenbar seine Strategie, um mich loszuwerden. »Sie sollten lieber schnell zurück nach Brightlead reiten. Es ist nicht sehr damenhaft, wie Sie gerade auf dem Pferd sitzen.« Seine Stimme klang missbilligend.
»Sie haben recht, Lord Davington! Es wäre schrecklich, wenn mich die feine Gesellschaft im Spreizsitz reiten sieht. Nie würde ich eine solche Schande über meine Familie bringen.« Ich lächelte aufgesetzt.
»Ich freue mich, Sie später am Abend zu sehen«, rief er beim Davongaloppieren über seine Schulter.
»Gewiss. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen«, murmelte ich vor mich hin. Im Hintergrund hörte ich die Geräusche der anderen Pferdehufe auf dem Boden. Weil ich Vaters Ansehen in keiner Weise gefährden wollte, bog ich rechts ab und begab mich auf den Weg zurück nach Brightlead.
Meine Kopfbedeckung, die ohnehin nur mit einer Haarnadel in meinen offenen Haaren befestigt gewesen war, hatte ich schon auf dem Weg verloren. Wahrscheinlich war das der Grund, dass Ted, statt mich zu begrüßen, in lautes Gelächter ausbrach.
»Ihre Jagd scheint erfolglos verlaufen zu sein, Lady Livsey«, verspottete er mich.
»Mister Gillies, Sie amüsieren sich ja prächtig auf meine Kosten.«
Er kam einen Schritt näher und bemerkte offenbar, dass der Sattel vom Pferd fehlte. Auf einmal wirkte er besorgt.
»Was ist passiert, Amelie? Bist du verletzt? Wo ist dein Sattel?«
»Es ist sehr nett, dass du dir meinetwegen Sorgen machst. Wie du sehen kannst, geht es mir aber blendend. Aber den Sattel werden wir wohl bei der Kreuzung nach Dailyville abholen müssen.« Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern.
Ted lächelte mich an und griff nach dem Zügel. Er stand so dicht bei Hercules, dass mir der Platz zum Absteigen fehlte. Ted blickte flüchtig herum, legte seine Hände an meine Taille und hob mich mit Leichtigkeit runter. Er zog meinen Körper eng an seinen und ließ mich langsam auf den Boden sinken. Ich versank in seinen strahlend blauen Augen.
Diesmal wandte ich meinen Blick nicht ab. Seinen Körper an meinem zu spüren, rief erneut diese unbekannte, doch sehr angenehme Wärme hervor. Er konnte bestimmt fühlen, wie heftig mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmerte. Ted atmete schnell und laut, dann aber löste er plötzlich seine Hände von mir und eilte mit Hercules in den Stall.
Erstarrt blieb ich einige Sekunden lang im Hof stehen, aber schließlich folgte ich ihnen. Das Klappern meiner Stiefelabsätze verriet mich sicherlich sofort. Aufgewühlt stürmte ich zwischen den roten Backsteinmauern der Stallgasse zu Ted. Die Pferdeköpfe, die sich über die grün bemalten Boxentüren reckten, nahm ich kaum wahr.
Er band Hercules bereits am Eisenring an, um ihn leichter putzen und striegeln zu können.
Ich eilte in die Box. »Ted Gillies! Es war das zweite Mal, dass du mich einfach stehen gelassen hast. Warum benimmst du dich so merkwürdig?« Meine Stimme überschlug sich.
Er würdigte mich keines Blickes und tat beschäftigt.
Ich schritt zu ihm und riss ihm die Pferdebürste aus der Hand. »Und jetzt antworte mir! Warum?«
»Weil ich nicht leiden will!«, sagte Ted kaum hörbar.
»Du willst nicht leiden? So schlimm ist es also in meiner Nähe?« Tränen sammelten sich in meinen Augen.
»Sei nicht albern, Amelie! Mir ist es nicht erlaubt, mich in deiner Gesellschaft wohlzufühlen.« Diesmal wurde Ted laut.
Ich überlegte erst, wie ich kontern konnte, doch schließlich wechselte ich die Taktik. Mit einem großen Schritt gelangte ich so nah an ihn heran, dass unsere Körper sich beinahe berührten. Langsam hob ich meinen Kopf und blickte in Teds hell funkelnde Augen.
Er regte sich kaum, obwohl ich seine Erregung spürte. Instinktiv schmiegte ich meinen Körper an seinen und flüsterte ihm ins Ohr: »Aber ich erlaube es dir!« Meine Lippen streiften sanft seine Wange, während ich sprach.
Ted atmete einige Male tief ein und aus, griff nach meiner Taille und zog mich enger an sich, ehe ein raubtierhaftes Knurren seine Lippen verließ. Dann drückte er sich mir entgegen und zwang mich mit seinem Körper einen Schritt zurück.
Mein Atem raste, als ich zwischen den harten, kalten Steinen der Mauer und Teds warmem, muskulösem Körper gefangen war. Seine Lippen berührten sanft meine. Mein Herz schlug so heftig, dass es sich förmlich anfühlte, als würde es meinen Brustkorb verlassen. Ted drückte seinen Mund fester auf meinen, und ich schloss die Augen. Als ich seine Zunge zwischen meinen Lippen spürte, schlug ich erschrocken die Augen wieder auf.
Ted wich zurück. »Wurdest du noch nie geküsst?«
»Natürlich nicht! Was denkst du von mir?«
Er löste seine Hände von mir und trat einen Schritt zurück.
»Amelie, es ist besser, wenn du jetzt gehst!« Seine Stimme klang kühl.
»Ich will aber nicht!« Bevor er etwas erwidern konnte, presste ich meine Lippen auf seine und zog ihn zu mir zurück.
Seine Zunge bat erneut um Einlass, was ich ihr sofort gewährte. Er rieb seinen Unterleib grob an meinem. Selbst durch die vielen Schichten meines Kleides konnte ich seine Erregung spüren. Hitze durchflutete mich, während sich mein Unterleib zusammenzog. Die Spannung in meinem Körper ließ mich leise aufstöhnen. Sein Kuss wurde fordernder, genauso wie seine Bewegungen.
»Oh, Amelie!«, hauchte er.
Mir war fast schwindelig vor Lust. Schritte hallten in den Stallungen. Schwer atmend löste sich Ted von mir und griff nach der Pferdebürste. Bis Mister Gillies vor Hercules’ Box stand, widmete sich Ted der Pferdepflege.
»Da bist du ja!«, rief sein Vater. »Lady Amelie! Ich wusste nicht, dass Sie schon zurückgekehrt sind!«
»Mir ist ein kleines Missgeschick passiert. Ich musste mit Hercules über einen umgestürzten Baum springen. Dabei verlor ich den Sattel. Ted sollte ihn holen, wenn er Hercules versorgt hat.«
Weil ich meiner Mutter tagtäglich mein vornehmes Benehmen vorspielen musste, konnte ich auch Mister Gillies problemlos täuschen. Es war jedoch schwer zu beurteilen, ob mich meine geröteten Wangen und meine noch immer unregelmäßige Atmung nicht doch verraten hatten.
»Vielen Dank für Ihre Hilfe, Ted! Ich werde mich jetzt zurückziehen und mein Aussehen in Ordnung bringen.«
»Lady Amelie!« Mister Gillies hielt mir die Tür auf.
Qualvoll war jeder Schritt, mit dem ich mich von Ted entfernte. Er war so leidenschaftlich, so erfahren. Vergnügte er sich vielleicht mit den Zimmermädchen? Vielleicht auch mit Mary?
Die Gedanken darüber, wo Ted seine Erfahrungen gesammelt hatte, ließen mich den ganzen Nachmittag nicht in Ruhe.
Mein kleines Missgeschick auf der Jagd nutzte ich als Ausrede, mich am restlichen Nachmittag in meinem Zimmer zu verstecken. Mary fragte mich mehrmals, welches Kleid ich zur Dinnerparty tragen würde. Doch der Gedanke, dass Mary mit Ted dasselbe wie ich erleben könnte, schmerzte mich insgeheim. Ich musste es wissen, ohne mich dabei zu verraten.
Mary zog mit großer Begeisterung meine schönsten Kleider der Reihe nach aus dem Kleiderschrank. Vielleicht kann ich ihr in diesem begeisterten Zustand etwas entlocken.
»Oh, Mary, wofür diese schönen Kleider, wenn nur mein Name und die Mitgift zählen?« Ich stöhnte. »Du kannst dir nicht vorstellen, was für ein Glück du hast, den Mann, dem du dein Herz schenkst, frei zu wählen.«
Sie öffnete ihre Augen weit. »Dürfen Sie sich nicht frei entscheiden, Lady Amelie?«, fragte sie mich verlegen.
»Natürlich darf ich mich frei entscheiden zwischen den Gentlemen, die meine Mutter für mich aussucht.« Meine Stimme klang spöttisch genug, um Mary von weiteren Fragen abzuhalten. Schließlich wollte ich etwas von ihr erfahren und nicht umgekehrt.
»Und, hast du schon einen Verehrer?«, fragte ich mit zuckersüßer Stimme.
»Lady Amelie, ich denke nicht, dass es mir gestattet ist, mich mit Euch über solche Themen zu unterhalten.« Die Wangen des armen Mädchens glühten vor Verlegenheit.
Mein Verhalten war falsch, aber ich musste wissen, ob sie sich mit Ted vergnügte. »Es hört uns ja niemand. Gibt es jemand, der dein Herz höherschlagen lässt?« Ich lächelte freundlich.
»Sie bringen mich in Verlegenheit, Lady Amelie!«, protestierte sie höflich und leise.
»Was ist mit Ted Gillies? Du bist von ihm ziemlich angetan. Oder täusche ich mich?«
Jegliche Farbe wich aus Marys Gesicht. »Lady Amelie! Mylady, ich bin keines von Teds Mädchen!«, rief sie empört.
»Teds Mädchen? Wie viele hat er denn?« Meine Stimme verriet meine Panik.
»Wenn man die Gerüchte glauben kann, so wurde Ted schon einige Male mit verschiedenen Damen bei Schäferstündchen erwischt, sogar mit einer Lady.« Während sie die unschicklichen Worte aussprach, liefen ihre Wangen wieder tiefrot an.
Dieses Mädchen konnte sich nicht mit Ted vergnügen, wenn der pure Gedanke daran sie in Verlegenheit brachte. »Verzeih mir bitte, Mary! Es war sehr unangemessen von mir.«
Ted Gillies war allein schuld daran, dass ich die Beherrschung verloren hatte. Ich war also nur eine seiner Eroberungen. Warum wies er mich dann ab und nahm sich nicht, was er wollte?
»Lady Amelie, ich wollte Ted keinesfalls übel nachreden. Ich weiß, dass er auf Brightlead geboren ist und Sie ihn schon lange kennen, aber Ted ist kein Kind von Traurigkeit …« Sie konnte es nicht beschönigen, was mich ungemein enttäuschte.