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Eine traum- und rätselhafte Novelle von Heinrich Mann: Immer wieder erscheint Leo Cromer seine verstorbene Liebe, die einst eine gefeierte Schauspielerin war. Schon bald sind die Übergänge zwischen Traum, Vorstellung und Realität fließend. Sehnsucht, Trauer und Schuldgefühle lassen ihn lange Zeit nicht zur Ruhe kommen, und unerklärliche Ereignisse und Erscheinungen beunruhigen ihn...-
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Seitenzahl: 31
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Heinrich Mann
Saga
Die Tote
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1921, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726885637
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Als am Ende des Sees der Zug hielt, stieg Leo Cromer, ohne die Gedanken an die gehabte Beratung abzubrechen, aus, ging in dem Mondlicht um den Schuppen herum, der eine Bahnhofshalle bedeutete, und betrat den dunklen Baumgang. Einmal erhob er den Kopf; hinter den Stämmen das Wasser lag weiß wie Gewebe des Lichts, die Ufer schienen unwirklich, die Stille ein Geschrei von Geistern . . . Dies war der dichtere Schatten seines eigenen Grundes, er stand und atmete die verborgene Wärme, das tiefe Alleinsein. Dahinten, zu Wolken versilberten Laubes hinab, stieg die flimmernde Treppe seines Hauses, die Vasen rannen über von Licht, die Stufen hernieder ging es wie eine Schleppe. Sie ward bewegt! Aus ihren Falten neigte sich ein Fuß! . . . „Was heißt das?“ dachte Cromer. „Jetzt habe ich also Gesichte? Ich scheine nicht eben glücklich zu sein — wenn gerade sie sich mir zeigt?“ Er fragte noch: „Wäre ich es denn zufrieden, daß sie, wie früher, wenn ich aus der Stadt heimkam, bei dem Busch dort auf mich zuträte? Bin ich schon alt und müde genug, um billig zu sein und mich zu bescheiden? . . . Sie hat wohl gebüßt,“ sagte er; aber er hob die Schultern. „Buße? Ein Wesen wie sie, stirbt aus Zorn, seiner Selbstachtung zuliebe, oder einfach um des guten Abgangs willen. Nicht für mich ist sie gestorben! Ich habe ihr nicht zu danken gehabt. Ich habe nichts bereut.“
Auf der Terrasse angelangt, wendete er sich nochmals um; er sah aufwärts und hinab, zu dem Garten, der dunkel duftete, und in die breiten Sternenströme des Augusthimmels. „Wer schlafen geht, versäumt viel, — aber auch, wer denken und handeln geht . . . Unsereiner weiß dies von vormals; ganz erfaßlich sind solche Nächte nicht mehr für uns . . . Was für Gedanken übrigens bei jemand, der geradeswegs aus einer Versammlung von Machtmenschen kommt! Ich kenne mich längst, die Fragen sind erledigt, ich habe nichts versäumt, was mir gegeben war. Erfolge: ich habe sie gekannt. Ich habe mit Menschen übergenug zu tun gehabt, ich habe Frauen und Männer erobert und niedergekämpft, habe vielen die Spur meines Daseins aufgedrückt, die mich hassen oder lieben mußten. Ich habe selbst gehaßt, selbst geliebt.“
Er zog sich gegen die Fassade zurück, in den Schatten eines Pilasters. „Wie dies alles schal wird, sobald man es sich rühmen möchte! Wie es zerrinnt! Menschen: habe ich denn mehr bei ihnen erfahren, als ein kraftloses und schmerzliches aneinander Hingleiten? Das Leben ist vergangen wie eine Diskussion im Klub; man hat einander amüsiert oder weh getan, zum Schluß aber steht jeder auf, mit seiner Meinung. In Wahrheit habe ich keinen Mann überzeugt, keine Frau ganz gewonnen, habe niemand je zu mir herübergebracht.“
Angstvoll folgte sein Blick der Bahn der Sterne, die herabstürzten aus dem wimmelnden Schein, und die, bevor das Auge sie erfaßte, schon im Dunkel waren. „Die Menschen halten einander nicht. Ich habe Lida nicht gehalten. Woher der bittere Geist, der Seelen nehmen will und doch nicht an sie glaubt! Ich habe lieber verworfen als standgehalten, und bessere Augen für den Verrat gehabt als für die Hingabe. Lida wenigstens ist mir die Antwort nicht schuldig geblieben, die Toten haben das letzte Wort. Da stehe ich nun . . .“