Die Toten vom Hafen - Anke Cibach - E-Book
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Die Toten vom Hafen E-Book

Anke Cibach

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Beschreibung

Wenn die See dich holt … Der Kriminalroman „Die Toten vom Hafen“ von Anke Cibach jetzt als eBook bei dotbooks. Die eingeschworene Gemeinschaft der Hamburger Hafenlotsen wird durch eine Reihe mysteriöser Todesfälle erschüttert – hat es ein Serienmörder auf sie abgesehen? Und wieso ist an jedem Tatort das alte Seemannslied La Paloma zu hören? Kriminalkommissar Bruno Bär und seine junge Kollegin Sylvia Prüss beginnen zu ermitteln – und stoßen auf eine Mauer aus Schweigen. Doch ihnen bleibt nicht viel Zeit, denn der Täter hat bereits sein nächstes Opfer im Auge – und kommt ihnen dabei gefährlich nahe … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Toten vom Hafen“ von Anke Cibach – so spannend wir Klaus-Peter Wolf, so hanseatisch wie Henrik Siebold! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 265

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Über dieses Buch:

Die eingeschworene Gemeinschaft der Hamburger Hafenlotsen wird durch eine Reihe mysteriöser Todesfälle erschüttert – hat es ein Serienmörder auf sie abgesehen? Und wieso ist an jedem Tatort das alte Seemannslied La Paloma zu hören? Kriminalkommissar Bruno Bär und seine junge Kollegin Sylvia Prüss beginnen zu ermitteln – und stoßen auf eine Mauer aus Schweigen. Doch ihnen bleibt nicht viel Zeit, denn der Täter hat bereits sein nächstes Opfer im Auge – und kommt ihnen dabei gefährlich nahe …

Über die Autorin:

Anke Cibach (1949 – 2012) studierte Psychologie und Anthropologie in Hamburg. Als Diplom-Psychologin interessierte sie sich nicht nur für die Schokoladenseiten der Menschen, sondern auch für die geheimen, psychopathischen Anteile eines jeden. Sie liebte schwarzen Humor, Vogelspinnen und das Meer. Ihr Motto: Bücher sind Schokolade für die Seele!

Anke Cibach veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romane »Das Haus hinter dem Deich« und »Das Haus auf der Insel« sowie ihre Krimis »Der Tote vom Leuchtturm« und »Mörderische Kaffeefahrt«.

***

eBook-Neuausgabe August 2017

Dieses Buch erschien bereits 2006 unter dem Titel »La Paloma für den Mörder« im Verlag MCE (Medien Contor Elbe).

Copyright © der Originalausgabe 2006 Verlag MCE (Medien Contor Elbe)

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: HildenDesign, München, unter Verwendung mehrerer Motive von shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mh)

ISBN 978-3-96148-048-7

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Anke Cibach

Die Toten vom Hafen

Kriminalroman

dotbooks.

Für die Schellfische

Die Handlung des Buches ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Kapitel 1

In der Straße von Malakka durfte man nachts nicht schlafen. Das wusste keiner besser als John Eysing, seit über zehn Jahren als deutscher Kapitän in diesem Revier unterwegs. Mit Herzklopfen, wofür er sich nicht einmal schämte.

Dreizehn Männer mit durchschnittenen Kehlen hatte man vor nicht zu langer Zeit aus einem Fischernetz geborgen, das in Küstennähe trieb. Eine komplette Mannschaft, bis auf den Kapitän, den fand man später in der Kühlkammer des verlassenen Schiffes. Kopflos, vielleicht hatte er vorher noch den Helden spielen wollen.

Auch ganze Frachter oder Tanker waren in diesem Gebiet schon verschwunden. Die Ladung auf Bestellung geraubt, die Schiffe versenkt. Oder sie dienten unter neuem Namen und neuer Flagge als Basisstation für weitere Verbrechen.

Die achtzehn Kilometer lange Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia galt nicht ohne Grund als gefährlichstes Gewässer der Welt. Die Piraten hatten hier leichtes Spiel. Und mit der indonesischen Marine war nicht zu rechnen, jedenfalls nicht im guten Sinne, die steckten doch alle unter einer Decke, wusste Eysing.

Es war nicht besonders schwer, ein Schiff zu stürmen. Manchmal gab es auf den Handelsschiffen nur einen Mann auf der Brücke, drei weitere unter Deck, an den Besatzungen wurde von Jahr zu Jahr mehr gespart.

Außerdem verfügten moderne Piraten heute über Schnellfeuergewehre, Raketenwerfer und Speed-Boote. Was nutzte die Empfehlung, Hochdruckschläuche und Blendscheinwerfer einzusetzen, wenn es keine Leute zu deren Bedienung gab?

Eysing stand auf der Brücke, war auf der Hut. Noch zwei Stunden bis zum Tagesanbruch und Wachwechsel. Die rötliche Mondsichel verzog sich gerade hinter einer Wolke, als die Piraten im Schutz der Dunkelheit mit ihren wendigen, kleinen Booten längsseits gingen, Hakenseile warfen und im Nu das Schiff enterten, begleitet von kurzen, gezischten Kommandorufen in einer nasalen Sprache.

Er hatte keine Zeit, Angst zu empfinden, da war nur das Gefühl, gelähmt zu sein. Handlungsunfähig. Diese Männer gehörten nicht zur Sorte der technisch hochgerüsteten Verbrecherbanden, auch wenn sie bis an die Zähne bewaffnet waren. Altmodische Macheten und Messer, dazu Pistolen, die wahrscheinlich nur zur Abschreckung dienten.

Der Anführer trug ein Halstuch vor dem Gesicht, fuchtelte mit der Waffe und wirkte wie der Held eines zweitklassigen Wildwestfilms. Trotzdem befolgte Eysing seine Anordnungen, betrachtete sich als Geisel, zeigte unter Deck den fast leeren Safe und ignorierte die Schreie seiner Leute, vermengt mit denen der Piraten.

Als ein Schuss fiel, zuckte er nur kurz zusammen, erlebte alles wie im Traum. Im Gegensatz zu dem Banditen, der nervös wurde und »Money, Money« forderte.

Ein hundsnormaler Raubüberfall, nur, dass er auf See stattfand. An Wertgegenständen gab es nichts außer der persönlichen Habe der Mannschaft. Mit der Ladung – Schüttgut – konnten diese Piraten nichts anfangen.

Der Mann forderte in gebrochenem Englisch, ihm Armbanduhr und Brieftasche auszuhändigen, und als Eysing sich dabei Zeit ließ, stieß ihn der Pirat mit der Pistole roh vor die Brust.

Das Gefühl der Lähmung wich. Verdammtes Schlitzauge, dachte Eysing, und riss dem Mann in einem Reflex das Tuch herunter.

In diesem Moment stürmten zwei weitere Piraten in den Raum und packten ihn auf Geheiß des Anführers an den Armen. Sie schossen ihn nicht sofort über den Haufen, aber mit der Machete an seiner Kehle wusste Eysing, dass er keine Chance hatte.

Der Anführer war ein Sadist, ritzte ihm zunächst nur halbkreisförmig die Haut am Hals auf, bis das Blut in einem Rinnsal floss, warm und feucht. Vielleicht wollte der Mann sich dafür rächen, dass es so wenig Beute gab.

Eysing wünschte sich nur noch einen schnellen und schmerzarmen Tod. Einfach die Augen schließen und dann wegsacken können. Aber er schaffte es nicht, seinen Blick von dem des Piraten zu lösen.

Der verstärkte jetzt den Druck der Machete, die ohnehin schmalen Augen zogen sich zu Schlitzen zusammen, und in dem zum sardonischen Lächeln verzogenen Mund zeigten sich schwarze Zahnstummel. Eysing hasste jede weitere Verzögerung und spuckte dem anderen ins Gesicht. Eine primitive Geste, deren Aussage international verstanden wurde, und die Folgen haben würde. Er schloss die Augen und wartete auf das, was nun unmittelbar eintreten musste. Aber sie waren noch lange nicht mit ihm fertig …

»John, aufwachen, Bereitschaft.« Sein Kollege beugte sich über ihn. »Was ist los? Der Wachleiter hat dich schon aufgerufen. Du sollst gleich in den Radarraum. Nebelberatung.«

Eine spartanische Schlafkammer in der Lotsenstation auf Seemannshöft. Ich bin an meinem Arbeitsplatz als Hafenlotse in Hamburg und nicht im Chinesischen Meer, registrierte Eysing schlaftrunken. Diese elenden Albträume. Er fühlte sich wie gerädert.

Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es zwei Uhr nachts war. Er hatte drei Einsätze vor sich, würde später warm vermummt auf eine Barkasse steigen, die ihn bis an die haushohe Bordwand eines Schiffes brachte.

Wenn er Glück hatte, gab es eine Gangway, wenn nicht, musste er bei Nebel, Kälte und Wind eine freihängende Lotsenleiter erklimmen, die selbst im April nachts noch vereist sein konnte. An-, Ablegen oder Verholen, die Arbeit war abwechslungsreich, aber der ständige Wechsel zwischen Rufbereitschaft, Tag- und Nachtschichten zehrte an seiner Gesundheit, die – da wollte er sich nichts vormachen – nicht zum Besten stand.

Trotzdem, Eysing hatte es in den vergangenen elf Jahren nicht bereut, sich der Hafenlotsenbrüderschaft angeschlossen zu haben. Der Verdienst war in Ordnung, und nach über zwanzig Jahren auf See tat es gut, sesshaft zu sein. Ein Haus in Oevelgönne, fast schon abbezahlt, dazu ein Segelboot, das praktisch vor der Haustür an der Elbe lag.

Ob er für seine Frau zu Hause eine Bereicherung darstellte, vermochte er nicht zu sagen. Sie waren kinderlos und redeten nicht mehr viel zusammen, außerdem hatten seine Albträume schon längst dazu geführt, dass sie getrennt schliefen. Offiziell nur vorübergehend, aber im Grunde genommen war er erleichtert, sich nicht mehr beweisen zu müssen.

Die Radarbildschirme in dem abgedunkelten Raum waren bis auf einen besetzt. Bei Nebel bestand erhöhte Kollisionsgefahr, da forderten auch kleinere Schiffe häufig einen Lotsen an. Nachts bei Flut war die Verkehrsdichte auf der Elbe besonders hoch.

Eysing grüßte flüchtig die Kollegen. Die Arbeit verlangte hohe Konzentration. Es reichte nicht, anhand der gestrichelten Radarlinie zu kontrollieren, ob das Schiff in der tiefen Fahrrinne blieb, man musste vor allem dem Fahrlotsen an Bord die Empfehlungen über Funk entsprechend vermitteln können. Bei der Beratung war sinnvolle Teamarbeit gefragt.

Diesmal verlief alles ganz nach Routine, und nach zwei Stunden verließ Eysing seinen Platz am Bildschirm und machte sich für den nächsten Einsatz bereit.

Zum Rausfahren trug er wie alle Kollegen warme, wasserdichte Kleidung und Handschuhe, auch rutschfeste Schuhe waren wichtig, die Rettungsweste war freiwillig. Er selber verzichtete nie darauf.

Vorab warf Eysing noch einen Blick auf die Bört- und Abstreichliste im Wachleiterraum. Er gab die Versetznummer des Schiffes in den Computer ein und druckte sich den Lotszettel aus, der die genaue Order enthielt.

Auf der Höhe von Teufelsbrück musste er zunächst den Elblotsen ablösen, der einen russischen Stückgutfrachter ab Brunsbüttel fuhr. Dieses Schiff würde Eysing zum SW-Terminal bringen, anschließend ein Containerschiff aus Panama vom Athabaskakai aus seewärts lotsen.

Dann Feierabend, theoretisch könnte er zum Frühstück zu Hause sein. Eysing schaute auf den nächtlichen Strom mit seinen bewegten Lichtern. Zu Hause, was hieß das schon? Auf dem Wasser? Die Elbe war nicht so faszinierend wie die offene See, aber dafür überschaubar, und sie wurde in allen Abschnitten kontrolliert.

Wenn etwas Unvorhergesehenes passierte, gab es genügend Leute, die die Verantwortung mit trugen.

Kamm war heute der Wachleiter. Er stand kurz vor der Pensionierung und wollte sich dann ganz seinem Garten widmen, undenkbar für Eysing, der noch gut zehn Jahre Dienst vor sich hatte.

Jeder von ihnen übernahm der Reihe nach einmal die Funktion des Leiters, nicht umsonst waren sie eine Brüderschaft, siebzig Lotsen, fast alle ehemalige Kapitäne auf Großer Fahrt. Alle für einen, einer für alle? Das wohl kaum, aber die Lotsgelder wurden zu gleichen Teilen ausgezahlt, man war abgesichert, und im Großen und Ganzen kamen sie miteinander klar.

Eysing holte sich aus der Gemeinschaftsküche einen Kaffee und nahm ihn mit in den schmucklosen Aufenthaltsraum. Im Hintergrund lief Musik im Radio, ausgerechnet La Paloma, ein Lied, das er früher geliebt hatte, aber inzwischen nur noch hasste. Kurzerhand stellte er einen neuen Sender ein.

Zwischen den Einsätzen gab es reichlich Wartezeit, eine Gelegenheit, um sich über fachliche Themen auszutauschen.

Wie jetzt aktuell über das neue Sicherheitssystem ISPS zur Abwendung von Terrorgefahr.

»Immer neue Auflagen für uns«, knurrte ein Kollege. »Ich hab zwei Stunden gebraucht, bis ich auf dem Schiff war. Biometrische Datenkontrolle. Was werden sie wohl als Nächstes planen? Ist doch pure Augenwischerei.«

Eysing hielt sich aus der Diskussion raus, der Traum wirkte noch nach, er fühlte sich aufgewühlt. Obwohl er froh sein musste, dass es diesmal nicht der andere Traum gewesen war.

Bevor er die Dienstbarkasse bestieg, nahm Eysing eine seiner Pillen. Nervenflattern konnte man beim Lotsen nicht gebrauchen.

Das Versetzschiff schaukelte unruhig, als sie sich dem Frachter näherten. Eysing streifte seine Handschuhe über. Es gab keine Gangway, nur eine etwa zehn Meter lange Strickleiter, im Nebel schemenhaft zu erkennen. Schlechte Sichtverhältnisse, aufkommender Wind und Dauerregen, schlimmer konnte es nicht werden, aber Eysing kannte keine Angst. Davor nicht.

Erst als er den schwierigen Übergang auf die schwankende Lotsentreppe gemeistert und fast schon den Aufstieg bewältigt hatte, fingen seine Hände an zu zittern. Er sah noch, wie sich der wachhabende Offizier über ihn beugte. Hinter ihm ein Gesicht, das nur einem Toten gehören konnte. Dann spürte er, wie sich seine Finger einzeln lösten, und fiel mit einem Schrei in das aufgewühlte Fahrwasser.

Kapitel 2

»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.« Der Mann musste es wissen, schließlich hatte er gerade erst das Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft und ihr seinen tätowierten Brustkorb gezeigt, auf dem Ratten durch entsprechende Muskelbewegungen ein unter vollen Segeln fahrendes Schiff verließen. Um dann bei der Gegenbewegung erneut an Bord zu springen.

Trübsinnig starrte die Kriminalkommissar-Anwärterin Sylvia Prüss auf den Grund ihres Cocktailglases. Zombie, dieses widerliche Gesöff, das haute so richtig rein, wahrscheinlich würde sie schon bald Mühe haben, auf elegante Art von dem hohen Barhocker an der Theke abzusteigen.

Aber das hatte noch Zeit, und außerdem war sie vorübergehend nicht im Dienst. Vielleicht auch zukünftig nicht mehr, mit dem Gedanken spielte sie schon länger.

»Das Kunstwerk stammt von einem Meister aus Shanghai. Schon zwanzig Jahre her, und immer noch wie neu«, setzte der Seemann, der sich mit einem schnellen Griff um ihre Hüfte als »Hans, aber nicht der blonde« vorgestellt hatte, das Gespräch fort.

Er schien nicht abgeneigt, ihr weitere Tätowierungen zu zeigen, vermutlich auch in den unteren Körperregionen.

»Schadet nie, seinen Body zu schmücken«, murmelte Sylvia.

Der Mann sah attraktiv aus, auf seine Art. Dunkle, gewellte Haare, zigeunerhaft. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, rückte aber trotzdem samt Hocker ein wenig von ihm ab. Wehret den Anfängen, dachte sie. Aus Frusttrinken gepaart mit Katzenjammer konnte nichts Gutes entstehen.

Im Blauen Hering herrschte Hochbetrieb. Eine der letzten, authentischen Seemannskneipen in Hamburg-Altona, ganz in der Nähe der Großen Elbstraße. Am Wochenende standen die Leute hier wie die Ölsardinen. Weil das Bier billig war, und wohl auch wegen der Atmosphäre: Verstaubte Schiffsmodelle unter der Decke, in den Ecken Netze mit präparierten Kugelfischen und anderem Seegetier. Minikrokodile mit schwefelgelben Glasmurmelaugen lauerten auf einem abgebrochenen Mast im Schatten eines dunklen Balkens, und als Krönung thronte ein echter Schrumpfkopf auf dem Regal hinter der Theke. Ganz oben, unter einem Glassturz, sogar indirekt beleuchtet. Zugegeben, das gab es nicht überall!

An den Wänden Fotos der Elbprominenz. Nicht nur der vergilbte blonde Hans oder ein angestaubter Freddy waren vertreten, nein, auch die Darsteller des »Großstadtreviers«, allen voran Jan Fedder, ein echter Hamburger Jung.

Sylvia Prüss war erst seit kurzem Stammgast im Blauen Hering. Genauer gesagt, seit sie aus einem der anonymen Hochhäuser am Grindel in eine Altbauwohnung im dritten Stock nach Altona gezogen war. Gleich um die Ecke, ohne Fahrstuhl, aber mit Aussicht aufs Wasser.

Wenn schon Hamburg, dann wenigstens am Hafen unter Menschen leben. Nicht mehr wie ein Hund vor Einsamkeit jaulen, sobald die Wohnungstür hinter ihr zufiel. Einfach rausgehen.

Aber ihr beschissener Dienstplan erlaubte bisher keine regelmäßigen Freizeitaktivitäten, blieb also das Abhängen in der Kneipe nebenan. See- und Sehleute studieren, das hatte was und füllte sie aus. Seit ihrer Krise.

»Vielleicht hab ich den falschen Beruf gewählt«, erzählte Sylvia ihrem neuen Bekannten und entschied sich nun doch, näher zu rücken. »Womöglich sollte ich was ganz anderes machen. Mit Psychologie oder so.«

Sie hatte mehrere Fortbildungen in dieser Richtung auf eigene Kosten besucht, und als es im letzten Jahr darum ging, einen durchgedrehten Mörder, das »Phantom vom Fischmarkt«, festzunehmen, hatte das von ihr entworfene Täterprofil entscheidend zur Lösung des Falles beigetragen.

Fand zumindest Sylvia, aber ihr Chef, Hauptkommissar Bruno Bär, wusste das bis heute nicht zu würdigen. Ein unnahbarer Holzklotz von Mann, mit dem sie im Rahmen des polizeilichen Austauschdienstes Berlin-Hamburg hier hängen geblieben war. Null Flirt möglich, sie hatte es wiederholt getestet.

Also musste sie sich für den Alltag etwas anderes suchen, vielleicht sogar einen urigen Seemann, Sylvia mochte Männer ohne Berührungsängste. So wie ihren brandneuen Freund Hans, der sich gerade als guter Gesprächspartner beim Thema Berufsprobleme erwies.

»Warum keine Umschulung? Ich selber habe das nie bereut.« Er schaute ihr intensiv in die Augen. »Noch mal dasselbe?«

Im Blauen Hering bestellte man durch Handzeichen, und ehe Sylvia ablehnen konnte, stand ein weiterer Zombie vor ihr. Hans wollte gerne als Gegenleistung Brüderschaft mit ihr trinken, wurde aber von Rolf, dem ehemaligen Wirt, der hier immer noch mal aushalf, abgelenkt.

Er stand hinter der Theke und hielt triumphierend eine Ratte am Schwanz hoch. »Na, was sagst du? Endlich habe ich das Biest gefangen.«

»Nur eine ordinäre Hausratte.« Wie Hans das sagte, klang es abwertend.

»Nee, das ist ’ne echte Wasserratte. Die kommen aus dem Keller. Bei der letzten Überschwemmung stand das Wasser einen halben Meter hoch in den Toiletten.«

Rolf berichtete es gelassen, und die Ratte wurde von den Gästen mit gebührendem Ekel bewundert.

»Gib mal her.« Hans schnappte sich das tote Tier und ließ es vor Sylvias Gesicht baumeln.

»Hab mehr von den Biestern vernichtet als andere Fliegen erschlagen haben.«

»Rattenhans kennt sich aus. Er lebt davon.« Rolf nahm seine Trophäe wieder an sich.

Sylvia schüttelte sich und kippte den Zombie runter.

»Ich dachte du wärst ein Seemann. Wegen der Tätowierung und so.«

Rattenhans verneinte. »Früher mal.« Er zog sein Hosenbein hoch. »Trümmerbruch, mehrfach. Die Narbe reicht bis zum Knie. Da war nichts mehr mit Großer Fahrt. Inzwischen hab ich mich aufs Ungeziefer verlegt, kann ich nur empfehlen. Es lebt sich nicht schlecht davon.«

Am Lotsenstammtisch ging es hoch her. Hoffentlich nicht wieder das Thema Elbvertiefung, das hatte die Herren bereits letzten Monat beschäftigt.

»Eine Wasserstraße ist wie eine Autobahn. Da werden auch keine Gänseblümchen geschützt«, zitierte Sylvia halblaut aus dem Gedächtnis, und Hans grinste.

Aber diesmal diskutierten die Männer über einen Unfall, der sich vor wenigen Tagen auf der Elbe ereignet hatte. Sylvia erinnerte sich flüchtig, darüber im Abendblatt gelesen zu haben: Ein Hafenlotse war beim nächtlichen Einsatz verunglückt und im eiskalten Wasser gelandet.

Sie persönlich würde es nicht wundern, wenn dabei Alkohol eine Rolle gespielt hätte, denn auch Lotsenbrüder waren normale Sterbliche.

»Wenn ihr mich fragt, war John schon vorher angeschlagen«, verkündete der Mann mit der blauen Schirmmütze »Hamburg Pilot« und bahnte sich einen Weg vom Stammtisch zur Musikbox. Die war nach dem Geschmack der Gäste bestückt.

»Ein Win-nd weht von Süd und zieht mich hinaus auf See-e, mein Kin-nd, sei nicht traurig, tut auch der Abschied we-eh …«

Hans Albers auf dem ersten Platz, Kopf an Kopf mit Freddys Version von »La Paloma ohé«. Gefolgt von »Hamburger Deern« und deutschen Schnulzen. Hauptsache, zum Mitgrölen oder fürs Herz. Am besten beides. Die reifere Jugend drückte auch schon mal Elvis oder die Beatles.

Der Lotse mit der Schirmmütze wählte La Paloma, sang mit und steuerte dann auf Sylvia zu. »Ist hier noch frei?« Er konnte nur einen Stehplatz meinen, trotzdem geriet Sylvias Hocker gefährlich ins Schwanken.

Noch ehe Hans eingreifen konnte, kam Ellen Altmann, die Wirtin, aus der Küche und wurde mit großem Hallo begrüßt.

»Nun lasst mal das arme Mädchen zufrieden, ihr quetscht sie doch platt wie eine Flunder«, mahnte sie die Männer und zwinkerte Sylvia dabei aufmunternd zu.

Ellen wohnte direkt über der Kneipe und betrachtete diese als ihr zweites Wohnzimmer. Sie arbeitete am Tresen und hatte »ihren Jungs« gegenüber eine mütterliche, ruppige Art. Ein weibliches Urgestein mit schütteren, dottergelb gefärbten Haaren, die zu einer Art Hahnenkamm auf dem Kopf zusammengesteckt waren. Verwitwet, hieß es, aber das wusste keiner so genau, Ellen hatte es schon immer gegeben.

Die Kleidung stark figurbetont, aber eine Seemannskneipe war nun mal kein Mädchenpensionat, wie Ellen gerne herausfordernd unter rauem Lachen sagte. Ihr Alter war nur schwer zu schätzen, vielleicht Anfang sechzig?

Sylvia verstand sich gut mit Ellen. Sie hatten sich bei einer Kneipen-Lesung über den Autostrich der 60er Jahre kennen gelernt. Eine ziemlich versaute Angelegenheit, aber als Kultur-Event besser als das Blasorchester am Tag der offenen Polizeistation, da waren sich Sylvia und Ellen gleich einig gewesen.

»Vorsicht, jetzt kommt Nachschub.« Ellen balancierte ein volles Tablett über dem Kopf und setzte es am Lotsen-Stammtisch ab. »Endlich mal wieder La Paloma, gut gewählt.«

»Also mir geht das auf die Blase.« Sylvia kletterte vorsichtig vom Hocker. Klowärts, da war nichts mehr aufzuschieben.

»Hoppla.« Sie klammerte sich kurz an Hans fest. Rattenhans, ihr Gefährte der Nacht. Wenn sie wollte. Und er Lust hatte. Nein, irgendwie umgekehrt. Zunächst wollte sie mit ihm über seine Umschulung reden. Dann über ihre. Pelztiere, warum nicht? Vielleicht war das weniger stressig als Menschenjagd. Plötzlich spürte sie wieder das Zittern, das sie manchmal überkam.

»Wollen wir Zwei mal an die frische Luft gehen?« Auch Hans musste es bemerkt haben. Er klang fürsorglich, das gab ihr fast den Rest.

»Später.« Sylvia konzentrierte sich fest auf ihr Nahziel, die Tür mit dem Bullauge. Dahinter, das wusste sie, führte eine steile Holztreppe abwärts zu den Toiletten. Die bei Sturmflut unter Elbwasser standen, dann bekam man von der Wirtin Gummistiefel geliehen. Und für alle, die am nächsten Tag beim Aufräumen halfen, gab es Freibier.

Dumpf und feucht, ein wahres Rattenparadies. Argwöhnisch nahm Sylvia Stufe um Stufe und inspizierte dabei Boden und Wände.

Die Tür zum Männerklo stand natürlich wieder weit offen.

Die Damenabteilung verfügte über den Luxus eines Vorraums mit Spiegel, aber Sylvia strebte ihrem eigentlichen Ziel, der Kabine, zu, denn jetzt ging es um Sekunden.

Wie ärgerlich, die Toilette war besetzt. Genauer, die Tür wurde von innen zugehalten, denn die Verriegelung funktionierte schon ewig nicht mehr.

»Entschuldigung, dauert es noch lange?« Sie hatte keine Lust, für kleine Jungs zu gehen, das hätte noch gefehlt!

Kurz, bevor ihr die Tür vor den Kopf knallte, sprang sie noch automatisch zurück, aber der Schmerz machte sie trotzdem für einen Moment benommen, und so konnte sie nur den beißenden Geruch des Mannes wahrnehmen, der mit tief in die Stirn gezogener Kapuze an ihr vorbei zur Treppe stürmte.

Angstschweiß, der Geruch war ihr vertraut.

»Festhalten«, murmelte sie und wusste doch, dass sie keinen mehr festhalten konnte. Langsam ging sie in die Hocke und lehnte ihr Gesicht an die kalten Fliesen.

»Ich bekomme eine Beule«, erzählte sie Hans, als sie viel später von der Toilette zurückkam, aber der interessierte sich nur für den Lotsen mit der Schirmmütze, der am Stammtisch plötzlich zusammengesackt war. Offenbar konnte ihn der Notarzt nicht wieder beleben.

Kapitel 3

»Ganz ruhig. Ich tu dir nichts. Du bist hier sicher, Wer hat dich zu mir geschickt?« Ellen streckte vorsichtig die Hand aus und gab dabei kleine Schnalzlaute von sich.

So, wie sie es bei einem in die Enge getriebenen Tier machen würde, um es zu beruhigen. Sie hatte keine Ahnung, ob der Mann sie verstand. Er musste vom Hof aus die Hintertür zur Küche genommen haben und dann die brüchige, hölzerne Wendeltreppe, die aus der alten Speisekammer direkt in ihre Wohnung führte. Ein Weg, der nur wenigen bekannt war, und der ohne Schlüssel oben vor einer eisernen Verbindungstür endete.

»Hast du Hunger?« Sie wandte dem Mann ihren Rücken zu und nahm ein Stück Schinken aus dem Kühlschrank. »Eier? Ham and eggs?«

Es war immer wieder dasselbe. Illegal eingeschleust, Asylantrag abgelehnt, wenn er überhaupt gestellt worden war. Keine Arbeit, Verzweiflung. Hunger rief nackte Existenzangst hervor, das vergaß man auch in einem angeblichen Sozialstaat nur zu gerne.

»By ship?«, fragte Ellen, als sie dem Mann das Essen hinstellte. Das war nur so eine Vermutung, denn vorhin hatte man im Blauen Hering über einen blinden Passagier geredet, der der Wasserschutzpolizei auf dem Kommissariat am Rossdamm entwischt war.

Peinlich für die Jungs, aber Kapitän und Reeder konnten sich freuen. Der Kapitän, weil er den Einschleicher nicht mehr an der Backe hatte, und der Reeder, weil er im Falle eines Asylantrags selbst bei Ablehnung noch weitere drei Jahre für die Folgekosten hätte aufkommen müssen.

Als ihr Besucher den ersten Hunger gestillt hatte, zog er einen Zettel aus der Brusttasche und reichte ihn Ellen.

Wie sie vermutet hatte, eine Botschaft von Sunjang, der ihrem privaten Komitee zur Betreuung blinder Passagiere in Hamburg angehörte.

Das Komitee arbeitete so manches Mal jenseits der Legalität. Aber was sollte sonst aus diesen armen Schweinen werden, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Container, Lagerraum oder einer Luke die Überfahrt nur knapp überlebt hatten? Abschieben ins Heimatland, wo sie weder Chance auf Arbeit noch auf eine lebenswerte Zukunft hatten, das war in ihren Augen keine echte Alternative. Ellen konnte nicht anders, als armen Kreaturen zu helfen.

»Libyen? Elfenbeinküste?«

Sie sah ihren Schützling fragend an. Vielleicht auch Lagos, Nigeria, man würde sich später darüber verständigen. Wenn der gehetzte Gesichtsausdruck dem einer normalen Erschöpfung und Müdigkeit gewichen war.

Sunjang war der einzige, dem sie einen Schlüssel anvertraute. Nur für Notfälle wie diesen, wenn bereits ein Tatbestand, zum Beispiel durch Flucht, vorlag. Sie wusste nicht, wo Sunjang die Menschen auflas, er musste einen sechsten Sinn für die Verstecke im Hafen haben.

Meist erfuhr sie nicht einmal, was später aus den Leuten wurde.

Manchmal half es, ein Asylbegehren zu stellen, dann konnten die blinden Passagiere aus politischen Gründen bleiben, zumindest vorübergehend. Aber wenn die Polizei bereits an Bord eine Zurückweisung ausgesprochen hatte, sah es schlecht aus, denn in diesem Fall konnten Passagiere an Land genommen werden, ohne sie formal in Deutschland einreisen zu lassen.

»Du bleibst heute Nacht hier.« Sie nahm eine Decke aus dem Schrank. »Kannst auf dem Sofa schlafen, ich lass auch ein Licht an.«

Wie verängstigte Kinder waren sie, ihre Gäste, wachten schreiend aus Albträumen auf, starrten mit weit aufgerissenen Augen zur Tür, sprungbereit, bis Ellen beruhigende Worte murmelte.

Sunjang hatte ihr nur das Nötigste aufgeschrieben. Usman, so hieß er also, hatte keine Papiere, kam aus Nigeria und hatte mit seiner Flucht vor der Polizei natürlich den größten Mist verzapft. Es war fraglich, ob man jetzt noch einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht stellen konnte, um das Schutzbegehren beim zuständigen Bundesamt prüfen zu lassen.

Ellen seufzte. Wieder einer, den man stützen musste. Nähren, kleiden, aufbauen – und dann? Nun gut, in den nächsten Tagen musste er in ihrer Wohnung bleiben.

Das würde keinen kümmern. Rolf, von dem sie die Kneipe vor einigen Jahren übernommen hatte, und die Aushilfskräfte, die ihr schon mal zur Hand gingen, respektierten ihr Privatleben. Und wehe, wenn nicht!

Sorgen machte ihr nur die Polizei: Ein Lotse, der eine Art Blutsturz hatte, sich den Magen hielt und die Augen verdrehte, dann tot zusammenbrach, offensichtlich unter Schmerzen. Dazu ein besonders pingeliger Arzt, der lange über dem Totenschein grübelte und sich nicht für »natürliche Todesursache« entscheiden konnte. Das stank zum Himmel.

Wenn sie mit ihrer Intuition richtig lag, würde es im Blauen Hering bald unangenehmen Besuch geben. Ein Jammer, dass Sylvie, das nette Kripomädel, zurzeit nicht im Dienst war. Die zeigte zwar Nerven aber auch Herz, ganz im Gegensatz zu ihrem Vorgesetzten, dem Kommissar mit den kalten Fischaugen.

Nur die Zombies, die waren in solchen Mengen nichts für eine junge Frau, das musste Ellen ihr mal beibringen. Aber Rattenhans war ein guter Mann. Sie hoffte, er würde sich um die beduselte Sylvia kümmern, ohne die Situation auszunutzen. Ellen hatte bemerkt, dass die beiden Arm in Arm aus der Kneipe gegangen waren, und es war eindeutig das Mädel, das gestützt werden musste.

Ellen gähnte. Feierabend, sie war nicht die Mutter der Nation, hatte schon genügend Menschen, um die sie sich kümmern musste. Wie um Usman, der vor Erschöpfung auf dem Sofa eingeschlafen war.

Sie hatten wirklich guten Sex gehabt. Was da im Detail abgelaufen war, hätte Sylvia nicht benennen können, aber sie fühlte sich so beschwingt wie seit Wochen nicht mehr, körperlich und seelisch entspannt. Irgendwie runderneuert, emotional geliftet.

»Ist das deine Wunderwaffe gegen Kater?« Sie stützte sich auf und strich Hans, der neben ihr auf dem Bauch lag, Wirbel um Wirbel über den Rücken, bis er ein wohliges Stöhnen von sich gab. Aber statt ihr im Gegenzug etwas ähnlich Gutes zu tun, sprang er überraschend aus dem Bett und öffnete weit die Fenster. Dampfertuten, Straßenlärm und das Quietschen der Ladekräne, der Hafen war schon lange vor ihnen erwacht.

Sylvia betrachtete den nackten Mann, dessen Figur gleichzeitig schlank und muskulös war. Reichlich behaart, unwillkürlich musste sie an ein Pelztier denken, das nur auf die Befriedigung seiner Grundbedürfnisse aus war, um dann wieder den Rückzug in den eigenen Bau anzutreten. Aber damit würde sie Hans nicht gerecht werden.

Er hatte sich ihr nicht aufgedrängt. Im Gegenteil, sie war die treibende Kraft gewesen, hatte ihn gebeten, sie nach oben in ihre Wohnung zu bringen. Was dann kam, war nur menschlich. Das »Allerweltlichste«, wie er ihr im Laufe der Nacht unter Liebkosungen beruhigend zugeflüstert hatte, als sie urplötzlich in Tränen ausgebrochen war.

Tränen, die etwas freigesetzt hatten, das gepanzerte Herz zum Klopfen gebracht und zu ihrer Überraschung die schlimmen Träume verjagt hatten, die sie in manchen Nächten heimsuchten.

»Es geht mir echt gut«, stellte sie noch einmal laut fest, diesmal an Hans gerichtet. »Trotz der Zombies.«

»Man weiß nie, wie das Zeug wirkt. Ist wie bei meinen Ratten. Die einen sprechen auf das Gift an, die anderen sind dagegen immun.«

»Na, dann bin ich wohl immun.« Sylvia streifte sich Hose und Sweatshirt über und trat zu Hans. Zögernd berührte sie seine Tätowierung mit den Fingerspitzen. »Danke.«

Wenn er jetzt etwas in der Art von »gleichfalls« oder »war mir ein Vergnügen« sagt, setze ich ihn vor die Tür und verkrieche mich für immer unter der Bettdecke, dachte sie.

Aber er nickte nur und fing an, seine Sachen zusammenzusuchen. »Manchmal bekommt es nicht, alleine zu sein. Ist doch allerweltlich.«

Sie musste über die Wiederholung seiner Wortschöpfung lachen. »Ich meine nicht, dass ich … wir … also das Allerweltlichste, wie du es nennst, das bereue ich nicht. Nur, ich hatte gestern einen Durchhänger.«

»Das passiert jedem einmal. Was macht die Beule?«

Überrascht fuhr sich Sylvia an die Stirn. Sie hatte völlig vergessen, was im Blauen Hering passiert war. Verdrängt, korrigierte sie.

Erst der flüchtende Mann in der Toilette, dann der zusammengebrochene Lotse.

»Was ist da eigentlich abgegangen?« Beide tranken sie den Kaffee schwarz.

»Schwer zu sagen. An dem Tisch wurde ganz schön gebechert, aber normalerweise können die alle was ab. Plötzlich bekam der Mann starkes Nasenbluten, hustete, riss die Augen auf und griff sich an den Hals. Dann torkelte er noch in Richtung Klo und brach zusammen.«

»Was hatte er denn getrunken?«

»Bier, wie alle anderen. Keinen Zombie, falls du diese Spur verfolgen willst. Bist ja auch der Gegenbeweis.«

»Ich habe nicht vor, eine Spur zu verfolgen«, sagte Sylvia abweisend, um dann zögernd hinzuzufügen: »Vorher hat der Lotse noch La Paloma gedrückt.«

»Für eine Seemannskneipe nicht ungewöhnlich, oder?«

»Der Mann, der mir die Tür vor den Kopf geknallt hat«, schnitt sie ein neues Thema an, »was war mit ihm, ist er geflüchtet?«

»Ich erinnere mich nur an einen dunklen Typ mit Kapuzenpullover und Turnschuhen, der vor dir hochkam. Aber gleichzeitig betrat ein Trupp Kiezgänger die Kneipe, und dann schrie Ellen nach einem Arzt, als sie aus der Küche kam, während Rolf schon am Telefon hing.«

»Wer auch immer der Mann in der Damentoilette war, er war in Panik.« Sylvia spürte, wie ihre gute Stimmung verflog.

»Vielleicht ein Zechpreller«, schlug Hans vor. »Oder einer, der nur das Klo benutzen wollte, ohne etwas zu bestellen. In jedem Fall hatte er nichts mit den Lotsen zu tun.«

»Wahrscheinlich.« Sollte der Chef sich den Kopf zerbrechen, wenn der Fall auf seinem Schreibtisch landete. Sie, Sylvia, nahm ihre Auszeit, basta!

»Dann werd ich mich mal auf den Weg machen.« Hans zögerte auf dem Weg zur Tür. »Kommst du klar?«

»Wie meinst du das?«, fragte Sylvia verärgert. Was bildete sich dieser Schädlingsbekämpfer ein, für sie das Kindermädchen zu spielen? Sie hasste es, bedürftig zu wirken – vor allem, wenn es ihrem aktuellen Zustand entsprach.

»Du hast im Traum geweint und um dich geschlagen«, sagte Hans. »Ich konnte dich nicht aufwecken.«

Also doch, dachte sie deprimiert. Die Träume waren nicht verschwunden. Schade, dass Hans sie nicht wach gerüttelt hatte. Das hätte ihr die Situation erspart, an einem Knebel fast zu ersticken. Oder mit der Waffe auf einen flüchtenden Mörder zu zielen, und dann nicht abdrücken zu können. Mit dem Ergebnis, dass ein unschuldiger Kollege daran glauben musste. Und das waren nur zwei der Fälle aus dem letzten Jahr.

In der Gruppentherapie hatte sie einiges davon bearbeiten können, aber das galt nicht für die Nächte.

»Hast du nie Albträume von deiner Arbeit?«, fragte sie zurück. Ihre Stimme zitterte, sie musste sich wieder in den Griff bekommen, verachtete ihre Stimmungsschwankungen.