Die Unanwesenden - Christina Corente - E-Book

Die Unanwesenden E-Book

Christina Corente

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Beschreibung

Milliardäre haben den weit entfernten Planeten Daddy zum Luxusnest ausgebaut und sich den Traum ewiger Jugend erfüllt, indem sie ihre Gehirne in Klone transplantierten, die sie der Erde abgepresst haben. Das ist vorbei und lange her. Wirtschaftlich sind die Daddy's Bewohner längst durch den Gesundheitstourismus von der Erde saniert, doch im Bauch des Planeten verfällt das Paradies. Als am schlimmsten aber könnte man die Verbannung vieler junger, natürlich geborener Revolutionäre an die ungeschützte Oberfläche einschätzen, wo sie jämmerlich leben und extrem früh vergreisen. Am schlimmsten? Ein junger Ermittler, der zunächst keine Ahnung hat, wer er ist und woher er kommt, versucht, rätselhafte Todesfälle unter den Touristen aufzuklären und erfährt dabei, dass der gesamte Planet bedroht ist. Was nun?

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Wo du bist, bin ich nicht weit

Inhaltsverzeichnis

Die Vorgeschichte

Weitere Personen

Ist das Zorro? Und wie geht es ihm?

Alles erschien ihm denkwürdig

„Werfen Sie doch einen Blick hinauf!“

Es war überwältigend hier oben

Die Spur des prominenten Gastes

Seine zweite Begegnung mit Island

Scylla

Er musste sich jemandem anvertrauen

Im Reich der Klon-Forscher

Ist Zorro tatsächlich tot?

Sprich nicht so über meine Mutter

Gewiss nicht sein Sohn

Pentheus, Verächter der Götter

Der Scherge des Generals

Eine unter Milliarden Frauen

Alison

Alles anders als gedacht

Island in the Sun

Die Vorgeschichte

Die Nachricht trifft die Besiedler des Lichtjahre entfernten Planeten Daddy unvorbereitet: Auf der Erde stoppt man die sogenannten „Klon-Transporte“ und setzt damit einer Praxis ein Ende, bei der alte Gehirne in zwanzigjährige, über die Reise hinweg in Tiefschlaf versetzte Menschen-Kopien transplantiert wurden. Eigene Nachzuchten auf Daddy verbieten sich, weil das erforderliche Wissen bei dem Forscher-Ehepaar Pabst auf der Erde verblieb.

Dank der Klon-Technik konnte der Anführer der Besiedler, General S.T. Shepard, seiner milliardenschweren Klientel immerwährende Jugend garantieren. Zugleich nährte es seinen Anspruch, dass der Mensch sich läutert, wenn er ewig lebt. Er selbst hat so nach einem Mord zu innerem Frieden und schließlich sein privates Glück gefunden. Seine Zeitgenossen hingegen sind die geblieben, die sie waren.

Die natürlich geborene Mandy Grace Johnson bringt sich nach einer Affäre mit einem Erdling Zorro auf spektakuläre Weise um. Bei vielen anderen, natürlichen Kindern des Planeten Daddy gibt das den Ausschlag, um gegen die geklonten Eltern zu revoltieren.

Das Who is Who auf dem Planeten Daddy

Weitere Personen

Jonathan Armstrong Wardley, Gehirnchirurg (mit den Besiedlern zum Planeten Daddy ausgewandert)

Alison Ivy (geb. Maddock) und Gerald Donovan Pabst, beide Klon-Forscher auf der Erde

Arnold W. Pabst, Leiter des Planetariums, und Jocelyn Ivy Pabst, Leiterin des Klon-Instituts auf dem Planeten Daddy, Nachfahren der Klon-Forscherin Alison Ivy Pabst (s.o.)

stärker verformter Wissenschaftler, Klon-Forscher auf Daddy

weniger stark verformter Wissenschaftler, ebenfalls Klon-Forscher auf Daddy

Ist das Zorro? Und wie geht es ihm?

Wieso war ihm die unvergleichliche Schönheit dieser Frau bislang nicht aufgefallen? Das leuchtende Haar umspielte ihr Gesicht, in dem türkisblaue Augen und perlmuttglänzende Zähnen um die Wette schimmerten. Dazwischen bebten die beinahe durchscheinenden Nasenflügel so zart, als hätte der Wind Blütenblätter geküsst. Dabei regte sich hier unten im Bauch des Planeten Daddy kein Lüftchen.

Der mutmaßliche Zorro kam ihr so nahe, dass er zusah, wie die rote Farbe ihrer Schminke in den winzigen Rinnen ihrer Lippen verlief. Sie bemerkte es und ließ ihre Zungenspitze kreisen. „Geht es so?“, fragte sie ihn spitzbübisch neckend und zugleich unsicher, was ihren Reiz noch erhöhte.

„Sicher“, sagte er nach einer langen Pause, in der ihm allmählich der Atem ausblieb. Und er fragte sich, wie lange er es wohl noch schaffte, sich nicht über sie zu neigen, um sie zu küssen und endgültig und für immer in diesem saftigen, duftenden Blütenbett zu versinken.

Und sicherlich wusste er, wie sehr es ihn eben noch vor dem dreckigen, grau und schaumig schwappenden Meer geekelt hatte, deren Wellen eine nach der anderen an den unterirdischen Strand gerollt kamen. Wie ihn das fahle, fackernde Licht verstörte und die ganze Gegend dazu durchdringend und abgestanden roch, nach algenzerfressenem Rost.

Doch als hätte ihn jemand betäubt, war ihm das alles auf einmal herzlich gleichgültig. Er beachtete auch nicht länger die reglose Gestalt, die unweit von ihnen auf der Terrasse des Strandhauses unter einem stark verblassten und zerlöcherten Sonnenschirm saß und fortwährend auf das Meer hinauszublicken schien - und von der er inzwischen fast sicher war, dass sie nicht mehr lebte. Oder da saß eine Puppe.

Alles erschien ihm denkwürdig

Er öffnete ganz langsam den Mund, um Leslie Fiona Jenkins nach der hinter ihnen kauernden Person zu fragen. Doch wie in einem Albtraum brachte er es nicht über sich zu sprechen. Statt dessen stöhnte er leise und fortwährend vor sich hin, während Leslie Fiona ihn sehr aufmerksam betrachtete. Er fühlte sich wie ein zappelnder Fisch am Haken, angsterfüllt und in vollem Bewusstsein dessen, dass sie mit ihm jederzeit etwas anstellen konnte, das ihm alles andere als gut täte. Zugleich erfüllte ihn eine nie gekannte Hingabe. Ja, er war sogar voller Hoffnung, endlich von dem brennenden Verlangen, das ihn wie ein tropisches Fieber durchtobte, erlöst zu werden.

„Sieh mich doch an, mein Schatz“, sagte plötzlich und unvermutet eine auch nach über dreißig Jahren vertraute Stimme ganz nahe an seinem Ohr. „Schau' einfach auf diese Dreckslake von einem Meer. Und wende deinen Schädel endlich her zu mir, das kriegst du doch hin. Nun komm' schon!“ Die Worte erklangen spöttisch und zärtlich zugleich, was ihm das Herz zusammenzog und es ihn dennoch sich öffnen ließ und frei fühlen ließ.

Wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen drehte er den Kopf – und da war sie tatsächlich. Es war zweifellos Mandy Grace Johnson, die ihn da unverwandt anblickte. Die ohne Mühe über dem dreckigen Wasser schwebte und dabei so mütterlich beschützend wirkte, wie sie im echten Leben keine Sekunde lang gewesen war. Unwichtig, dachte er. Sie ist verlassen worden. Sie hat sich daraufhin das Leben genommen. Da kann ich doch wohl ein einziges Mal tun, was ihr Geist von mir verlangt.

Und wie durch einen Gegenzauber brach der Bann. Als er auf Leslie Fiona Jenkins hinunterblickte, war diese lediglich eine Frau, die sich ihm anbot. Brauchte er das? Und brauchte er es jetzt und hier? Angesichts solch unsäglichen Elends rundherum? „Nein“, hallte Mandy Grace's Stimme in seinem Kopf. „Das gab es unweit von hier schon einmal besser. Das wissen wir doch beide nur zu genau!“

Sie konnte nichts anderes meinen als ihre einzige Liebesnacht unter dem künstlichen Erdhimmel des Planetariums. Der Mann, der ihrem Geist jetzt lauschte, fürchtete sich davor, wie es dort inzwischen aussehen mochte. Wo doch schon der künstliche Strand im Bauch des Planeten, an dem er sich befand, derart heruntergekommen wirkte. Vielleicht sollte er die Orte unter der Oberfläche des Planeten Daddy besser meiden. Ja, er war sogar sicher, dass er das sollte.

Die Erinnerung immerhin schützte ihn vor Verlockungen wie der unheimlichen Schönheit vor ihm. Er merkte, wie Leslie Fiona ihn mit sanfter Gewalt wieder zu sich drehen wollte. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, lassen wir das jetzt lieber“, bemerkte er laut und sorgte, indem er sich aufwärts wand, für ausreichend Abstand zwischen ihnen. „Denn es wird vor Ihnen gewarnt, schöne Frau! Nach allem, was man so hört, soll die Sterberate unter Ihren Liebhabern reichlich hoch sein.“

„Du liebe Güte, Sie werden doch kindischen Gerüchten keinen Glauben schenken.“ Leslie Fionas Augenlider fatterten nun auf Augenhöhe. „Und wenn Sie nicht deswegen gekommen sind, warum sind Sie denn dann überhaupt hier, wenn man fragen darf?“ Was machen Sie dann hier?, fragten ihre arrogant empor gezogenen Augenbrauen. Und wenn ihm nicht bald ein guter Grund einfel, warum er hier war, würde sie ihn so schnell wieder hinaus katapultieren wie er gekommen war.

„Ich … ich ermittle wegen der ...“ - Unwillkürlich wanderte sein Blick zu der leblosen Gestalt unter dem Sonnenschirm - „... wegen der vielen ungeklärten Todesfälle hier, unter den Touristen von der Erde in jüngerer Zeit, meine ich.“ Er drehte den Kopf und schaute über das Meer, auf dem von der geisterhaften Mandy Grace Johnson nichts mehr zu sehen war und welches nun leer und öde vor sich hin schaukelte. „Die Lage hier wirft doch tatsächlich einige Fragen auf, Miss Jenkins. Meinen Sie nicht?“

„Todesfälle unter den Touristen?“, echote sie in sich gekehrt, ohne sich um seine letzte Frage zu kümmern. Und meinte dann stirnrunzelnd: „Das spielt sich doch meines Wissens nach alles im Schloss oben ab. Was versprechen Sie sich denn bitte davon, hier unten zu ermitteln?“

Als er nicht antwortete, hob Leslie Fiona mit spitzen Fingern etwas vom Strand auf und warf es angewidert ins Wasser zurück. „Was hier geschieht oder wie es hier aussieht, spielt schon lange keine Rolle mehr. Das kann ich Ihnen versichern!“, sprach sie mit leicht schriller Stimme weiter. „Versuchen Sie mal, einen Handwerker zu bekommen, der sich um den Dreck hier kümmert. Ist er alt, vergisst er sofort, wozu er her gekommen ist und die Jungen verstehen nichts mehr von der Technik und bekriegen sich ohnehin nur die ganze Zeit. Zustände sind das, nicht zum Aushalten ...!“ Mit einem Mal wirkte sie wie zurückverwandelt in eine ganz normale Frau von Anfang Vierzig, die ein Haufen Sorgen umtrieb.

„Tja ja“, - bevor ihn jetzt Mitgefühl für sie einnahm, fel ihm wieder die weiterhin völlig unbewegliche Gestalt unter dem Sonnenschirm ein. „Ist das da drüben Ms Clarke? Ruby Mayella Clarke?“, fragte er mit einer leichten Kopfbewegung in deren Richtung.

„Sicherlich – und natürlich ist sie tot. Das wollten Sie doch wissen und ach, dann sind Sie wohl deshalb hier?“ Bei diesen Worten lächelte Leslie Fiona spöttisch und wurde dann schnell wieder ernst. „Diesen Platz unter dem Schirm hat Ruby Mayella geliebt. Ich bringe es nicht über mich, sie von hier fortzuschaffen. Sie hat den Tod ihrer Tochter Mandy Grace nie verwunden. Aber das können Sie sich doch denken, oder etwa nicht – Zorro?“

Ihr Blick schnellte zu ihm herüber. „Auch wenn Sie es irgendwie geschafft haben, so jugendlich zu wirken, machen Sie mir nichts vor. Sie sind dieser Erdling Zorro!“ (Leslie Fiona spuckte das Wort beinahe aus). „Sie haben nicht nur Ruby Mayellas Tochter gevögelt, sondern auch sie selbst besser gekannt, als ihr lieb war. Oder etwa nicht?“ Es entstand eine äußerst unbehagliche Pause, in der sie ihn offen anstarrte.

„Sie hat mir mal dieses „Z“ in ihrer Po-Falte gezeigt“, fuhr Leslie Fiona schließlich fort, ohne ihre Tonlage zu verändern. „Wie charmant, sich so zu verewigen, Mr Zorro. Sie sind es doch?“ - Und ergänzte, als der sich immer noch nicht rührte, „oder haben Sie sich seinerzeit etwa nicht ihres betäubten Klons während der Reise von der Erde hierher bedient? Tz-tzz, schlafende Klone vergewaltigen, Sie sind mir ja einer!“ - Stille. - „Damals waren Sie aber viel weniger zaghaft als heute, das fnde ich wirklich bemerkenswert. Aber zweifellos sind Sie es, auch wenn Sie so jung wirken, dass Sie wie konserviert erscheinen! Oder Sie sind Zorro's Sohn oder sein Klon. Wollen Sie sich dazu nicht einmal langsam äußern?“

Doch der vor ihr stehende Mann sagte noch immer kein Wort. Er zog nur hörbar die schlechte Luft ein und hörte nicht auf, über das gallige Wasser zu starren.

„Möchten Sie mir im Gegenzug nicht erst einmal verraten, wie Sie es geschafft haben, selbst so jung auszusehen?“, fragte er sie später, ohne das seltsame, bunte Getränk anzurühren, das sie unaufgefordert vor ihn hingestellt hatte. „Als die Erde vor über dreißig Jahren die Klon-Transporte einstellte, müssen Sie in einem vielleicht eben so alten Jahre alten Klon gesteckt haben, Miss Jenkins. Dieser Klon müsste also heute so um die sechzig sein. So sehen Sie aber überhaupt nicht aus. Also, bevor Sie mich nun aller möglichen Dinge verdächtigen und dazu Auskünfte von mir wünschen, möchte ich wissen, was Ihr Geheimnis ist!“ Er blickte hoch und sah ihr geradewegs in die Augen.

Sie warf den Kopf zurück und lachte schallend. „Geheimnis“, murmelte sie, ihr Getränk lautstark durch einen Strohhalm schlürfend. „Was denn für ein Geheimnis?“, fragte sie dann. „Ich hatte noch einen Klon übrig, eine Sonderbestellung. Und ich habe mich dann leider recht schnell transferieren lassen, weil ich dachte, er kriegt das wieder hin.“ - „Bitte? Von wem sprechen sie? Und wovon?“

„Na, von wem schon. Ich meine unseren General, unser Staatsoberhaupt, S.T. Shepard, offziell seit gefühlten Ewigkeiten mein offizieller Lebensgefährte!“

„Und was sollte er hinkriegen? – und wo ist er überhaupt?“

„Er schläft. Ach, dann sind Sie seinetwegen hier? Ich hole ihn gleich. Und ich meine natürlich die Klon-Transporte. Zehn Jahre höchstens, dann schicken Sie wieder welche, habe ich gedacht. Aber daraus wurde dann ja nichts. Oh, da ist er ja! Schau mal, Shaun Trevor, du hast Besuch.“

¤ ¤ ¤ ¤ ¤

Ja, da war er. S.T. Shepard, ranghöchster General und seit weit über hundert Jahren der Quasi-Regent des Planeten Daddy. Oder anders ausgedrückt - und das Leben so kompliziert wiederspiegelnd, wie es sich schwerlich jemand hätte ausdenken können - , der Machthaber eines extraterrestrischen Klon-Imperiums, in dem einst ausgewanderte Milliardäre die verbliebenen Erdbewohner zwangen, sie in regelmäßigen Abständen mit bestellten und auf der Erde gezüchteten Klonen zu versorgen, in die sie nach deren Ankunft ebenso regelmäßig ihre Gehirne transplantieren ließen.

Der Mann, der nun durch die windschiefe Tür des heruntergekommenen Strandhauses ins Freie trat, war dabei eine Legende. Auf Daddy ohnehin, aber auch auf Erden. Und er sah auch immer noch so aus.

Gut natürlich. Um nicht zu sagen fantastisch, trotz seines hohen Alters (er musste um die neunzig Jahre alt sein). Volles silbernes Haar bedeckte den kantigen Schädel. Sein strahlendes Lächeln entblößte makellose Zahnreihen und während er sich aus seiner bestens erhaltenen Uniform schälte, zeigte er einen gebräunten, immer noch sportlichen Körper. Kein Vergleich zu den gewöhnlich etwas gummiartig wirkenden Zeitgenossen, denen Zorro (oder der Mann, der möglicherweise Zorro war) hier sonst im allgemeinen begegnete.

„Sir, es ist mir eine Ehre“, murmelte der unwillkürlich und nahm Haltung an, was Leslie Fiona mit einem frechen Grinsen und hochgezogenen Brauen quittierte.

„Später, junger Mann, später, ich hoffe, Sie haben etwas Zeit mitgebracht. Geben Sie mir noch einen Moment!“, rief der Alte gut gelaunt aus, der sich mittlerweile bis auf die Badehose ausgezogen hatte. „Wenn es Ihnen recht ist, drehe ich erst noch eine Runde!“

Und dann verschwand er vor den Augen seines fassungslosen Besuchers und einer sichtlich amüsierten Leslie Fiona geradewegs in der schaumigen Brühe vor ihnen, um dort auch noch tief unterzutauchen.

„Werfen Sie doch einen Blick hinauf!“

Als S.T. Shepard anschließend wieder bei ihnen saß, ließ der alte Mann behagliche Blicke über die triste Umgebung gleiten. „Wir dürfen doch froh sein, wie wir das alles hinbekommen haben“, rief er voller Stolz aus. „Haben Sie sich denn oben schon unsere schönen Touristenzentren angesehen? Viele kranke Menschen von der Erde kommen uns besuchen, um durch ihren maßvollen Aufenthalt an Daddy's strahlender Oberfläche zu genesen. Bis es soweit ist, fehlt es ihnen in unseren Zentren an nichts. Oh, wenn Sie wüssten, wie es dort noch vor ein paar Jahrzehnten ausgeschaut hat! Sie könnten es nicht glauben, was wir dort in kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben.“

Er beendete die kurze Pause, die im Anschluss folgte, mit einer kurzen, wegwerfenden Geste. „Aber was sollen die alten Geschichten. Halten wir uns doch lieber an das, was wir schwarz auf weiß haben, nicht wahr, junger Mann? Immer vorwärts - wir schauen uns das da oben jetzt mal gemeinsam an.“

Nachdem er sich erhoben und federnd einige Schritte vorausgegangen war, hielt er noch einmal inne, um sich zu Leslie Fiona umzudrehen. „Ach, mein liebes Kind, - du bist doch so nett und erklärst es unserer lieben Ruby Mayella, dass wir zwei noch einmal fort mussten?“ Und auf ihr müdes Nicken hin, „sehr aufmerksam von dir, meine Kleine, hab' Dank dafür. Du sorgst mir gut für unsere Ruby Mayella, wie stets!“

Er nahm seinen forschen Schritt unverzüglich wieder auf und Zorro (oder der Mensch, der ihm ähnelte) folgte ihm ergeben wie ein Schüler und tauschte nur im Vorbeigehen einen langen Blick mit der Frau, die einfach sitzen blieb.

¤ ¤ ¤ ¤ ¤

Die Oberfäche des Planeten sah tatsächlich komplett verändert aus. Nachdem S.T. Shepard und der vorgebliche Zorro über einen provisorischen Zugang nach oben geklettert kamen, weil die horizontalen Hochgeschwindigkeits-Aufzüge anscheinend aufgrund von Streckenproblemen gerade nicht fuhren, staunte letzterer nicht schlecht über den Anblick, der sich ihm bot. Sie befanden sich im Inneren einer riesigen, wie aus geschliffenem Glas geschaffenen, funkelnden Schloss-Anlage.

„Aluminium!“, krähte der Alte vor ihm. „Das ist alles blan-kes Alu-mi-ni-um! Das wurde gründlich bearbeitet, damit es so schönen Durchblick gewährt. Herrlich, nicht wahr?“

Das wundersame Gebilde wurde so sanft und durchdringend beleuchtet, dass man sich im Bauch eines gewaltigen Diamanten wähnte, - welcher sich in zahllosen, langgestreckten und gleichfalls hell erleuchteten Gewächshäusern wie in Strahlen fortsetzte, die auf sämtlichen Seiten weit in die immer noch recht düster anmutende Umgebung hinein ragten.

So unglaubwürdig und unbekümmert das Verhalten des Generals unter der Oberfläche des Planeten gewirkt hatte angesichts der verheerenden Zustände dort, so untertrieben erschienen seine Schilderungen nun von dem, was sie hier oben vorfanden.

Mit irritierend ähnlichem Besitzerstolz jedoch führte der Alte den Jungen durch die ganze, alle Sinne ansprechende und anregende Pracht, wies einmal hier auf die marmornen, unter den Füßen angenehm temperierten Böden hin und dort schon gleich auf die funkelnden Kronleuchter, die überall von den Decken herabhingen und in denen sich das fantastische, unwirkliche Licht brach, welches sie anscheinend sogar selbst erzeugten.

Es konnte sein, dass der General ihm dies gerade genau erklären wollte, doch war Zorro oder der Mann, der sich für ihn ausgab, zu abgelenkt von all den prächtigen Gewächsen, die in ungeahnter Vielfalt um sie herum aus Edelstein-übersäten Trögen empor wuchsen. Da dufteten edelste Rosen mit lichtem Jasmin um die Wette, um nur für einen Moment die Aufmerksamkeit des Betrachters zu erringen, während sich Hibiskus, mit Unmengen riesiger orangener, pinkfarbener, violetter oder königlich weißer Blüten bestückt, mit ebenso gewaltigen, aufrecht stehenden und geradezu madonnenhaft wirkenden Lilien einen optischen Wettstreit lieferte.

Niemand schien zu wissen, wohin er zuerst den Blick richten, als nächstes die Nase wenden sollte und den paar Leuten, die sich in den ewig langen Gängen verloren oder die auf den verschnörkelten Bänken herumsaßen, schien es kaum anders zu gehen als ihnen.

Sprachlos geworden wollte der Mann, der vielleicht Zorro war, sich auf eine dieser Bänke sinken lassen, doch sein Begleiter ließ ihn nicht, zog ihn unnachgiebig am Arm wieder hoch, wies auf das nächste umwerfende Gewächs in seinem Glitzertrog hin, zeigte unentwegt auf flatternde, balzende Paradiesvögel und warf den jungen Schönheiten, die in bunten, schimmernden Gewändern vorüber fanierten, Kusshände zu.

Es war überwältigend hier oben

Nicht lange und Zorro oder der Mann, der sich für jenen ausgab, hatte den Alten vollends aus den Augen verloren. Er sah sich nicht mehr in der Lage, dem General zu folgen und war auf eine Bank gesunken, ohne noch einen Laut von sich zu geben. Dort schaute er so benommen um sich, als stünde er unter dem Einfuss von Drogen.

Nur mit viel Mühe gelang es ihm, durch die mächtigen, oben abgerundeten Fenster nach draußen zu sehen, um die karge und von den zu schwachen oder weit entfernten Sonnen nur mäßig beleuchtete Umgebung des Planeten auszumachen. Schemenhaft sah er dort Reihen von etwas stehen, das aussah wie riesige Pilze (waren sie für seinen Zustand verantwortlich?), welche aus einer glänzenden Masse herausragten wie auf der Erde Bäume aus einer überschwemmten Auenlandschaft. Daneben war nur nackter Fels zu sehen, auf dem kleine Wesen hin und her huschten. Oder refektierte da bloß in einem fort etwas?

Ohne auch nur eines dieser Rätsel lösen zu können, starrte Zorro oder der, der ihn spielte, weiterhin angestrengt durch die Gegend, bis ihn ein Geräusch herumfahren ließ. Ein schillernder Kolibri ließ sich nach einigem Gefatter unweit von ihm nieder und beobachtete ihn nun still und beinahe unheimlich aus seinem sehr dunklem Vogelauge.

Träumte er das alles nur? Während der junge Mann, der vielleicht Zorro war, seinem eigenen Atem lauschte, welcher ihm sonderbar stürmisch durch die Gehörgänge brauste, nahm er nun nach abermaligem Kopfdrehen eine mannshohe, leuchtende Engelstrompete wahr, bei der man kaum hätte sagen können, ob sie nun Pfanze war oder nichts als ein gleißendes und wunderhübsch beschirmtes Licht, neben dem ein unscheinbarer Mann stand, der das lautlos schwankende Gewächs äußerst fürsorglich mit einer Erde umgab, in der in regem Wechsel goldschimmernde Krumen blinkten.

Fürsorglich – ach, wie fürsorglich, durchhallte es den überlasteten Schädel des Besuchers, während der Mann plötzlich aufsah und ihn, eine Hand auf dem Oberschenkel abstützend, scharf und direkt betrachtete und ihn mehrfach „Ist Ihnen nicht gut?“ und „Brauchen Sie Hilfe?“ fragte.

„Ist sie das?“, lallte der benommene Gast in die ungefähre Richtung der beiden. „Ich weiß doch ... ich weiß doch, dass-chi-gif-tig ist. Das ist doch ei-ne Engels-trom-pe-te - die-chind-gif-tig, die Dinger. Chöön, aber gif-tig ... weiß ich doch!“

Er schrak gewaltig zusammen, als der Mann auf einmal unmittelbar vor ihm stand und ihn nötigte, aus einem Becher etwas Heißes zu trinken. Dann aber tat er wie ihm geheißen, wenn auch unter gemurmeltem, kaum verständlichen Protest.

Bereits nach dem ersten Schluck zogen sich die irritierenden Geräusche und Eindrücke beinahe vollständig zurück und machten Platz für Ruhe, sanftes Licht und tiefe Gefühle der Geborgenheit. Sie ließen einen beschämten, jungen Mann zurück, der sich ratlos an den Kopf fasste.

¤ ¤ ¤ ¤ ¤

„Na ja - Sie sind sicher nicht der erste, dem das hier so geht“, räumte der Gärtner ein, welcher sich für einen Moment auf eine große Schaufel gestützt zu ihm gesellt hatte, wohl um sich zu vergewissern, das es dem Besucher wieder besser ging. „Ist ja auch eine vollkommen andere Welt hier für die Gäste, vor allem nach den Anstrengungen der Reise. Das verkraften viele nicht.“

„Und die Einheimischen - und Sie selbst? Macht Ihnen das nichts aus, ich meine, diese Atmosphäre hier?“ Der junge Ermittler war in aller Schärfe geistig zurückgekehrt und nahm seinen Helfer nun streng ins Visier. Der wich seinem Blick sofort aus, sah verlegen zu Boden und schließlich vage in die Ferne. „Na ja, wir sind das ja gewöhnt, wissen Sie. Schwer zu sagen, ob einen das dann noch so überkommt, gelegentlich vielleicht“, sagte er. „Die Jüngeren sind da anfälliger, das stimmt schon. Ist schon richtig, dass wir uns manchmal fragen, warum sich hier auch alle jetzt immer so streiten und das bei der schönen Umgebung.“

Er setzte sich etwas schwerfällig neben den Gast, um dann fortzufahren: „Aber wenn Sie mich fragen, hat der ganze Reichtum durch den Tourismus unsere Gemeinschaft auch kaputt gemacht, hat halt alles nicht bloß seine schönen Seiten. Diese ganze Pracht hier ...“. Der Mann wies mit müder Geste zu seiner zart wankenden Engelstrompete, „... die gab es ja bis vor einiger Zeit noch gar nicht und hat dann eben lauter Begehrlichkeiten geschaffen. Hat eigentlich bloß Zwietracht gesät, wenn Sie mich fragen, gerade unter den Jungen! Klar haben jetzt alle hier Arbeit, das ist ja sicherlich viel wert, aber ... .“

Er hatte sich selbst unterbrochen und schaute auf den soeben vorbei eilenden General, dessen metallische Stimme aus einiger Entfernung zu ihnen herüberschallte. „Er ... „, sagte der Gärtner auf einmal so leise, dass Zorros alter ego Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen. „Er hat niemals solche Zustände erlebt, müssen Sie wissen. Dass ihm nicht wohl war oder etwas in der Art wie gerade eben bei Ihnen. Möglicherweise ist er der einzige von uns, dem es durchgehend gut geht. Wahrscheinlich, weil er immer gleich allen Ärger vergisst, so steinalt, wie er ja jetzt inzwischen sein muss. Oder er will von manchen Dingen einfach gar nichts mehr wissen, verstehen Sie, was ich meine? Ich bringe Sie jetzt zu ihm, Sie gehören doch zu ihm, oder? Für einen unserer Touristen sehen Sie mir ein bisschen zu jung aus!“

¤ ¤ ¤ ¤ ¤

Verstohlen schaute sich der Ermittler von der Erde seinen neuen Beschützer etwas genauer an. Er schien ein einfacher, bescheidener Mensch zu sein und stammte sicher nicht von den Milliardären ab, die den Planeten einst besiedelt hatten. Eher von dem Personal, dass diese seinerzeit mit sich führten und das an dem ganzen überspannten Lebensstil der Reichen, dem Klon-Zirkus, wie es der Besucher von der Erde heimlich bei sich nannte, niemals beteiligt worden war.

Die Unterwürfigkeit, mit der sich der Mann dem General nun näherte, sprach ebenfalls dafür. Denn die übrigen Bewohner des Schlosses und der angeschlossenen Gewächshäuser, denen sie begegnet waren, hatten auf das geschäftig umher eilende alte Oberhaupt kaum bis gar nicht reagiert und ihm allenfalls füchtig zugenickt.

Nein, was dieser bescheidene Arbeiter von den Vorgängen hier wusste, hatte er wohl mitgeteilt. Der Mann, der eventuell nur von sich behauptete, Zorro zu sein, wandte sich wieder S.T. Shepard zu, dankte dem Gärtner noch einmal und ließ ihn wieder an die Arbeit gehen.

Die Spur des prominenten Gastes