Die Unterwelt macht keinen Urlaub! 7 Krimis im Bundle - Alfred Bekker - E-Book

Die Unterwelt macht keinen Urlaub! 7 Krimis im Bundle E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: (599) Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Mordkünstler von Marseille Earl Warren: Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten Earl Warren: Bount Reiniger und die Yukon-Gang Earl Warren: Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon Thomas West: Die zur Hölle fahren Pete Hackett: Trevellian und der Blutschwur Jan Gardemann: Trevellian und der Triaden-Killer An einem Strand werden die Leichen von zwei jungen Chinesen gefunden. Die Art der Verletzungen lassen erkennen, dass beide Männer totgeprügelt wurden. Auffällig ist, dass es keine Abwehrspuren bei den Opfern gibt. Kurz nachdem die Morde publik werden, wird ein Boss der Chinesen-Mafia ermordet. Auch er wurde schwer misshandelt. Die FBI-Agenten Jesse Trevellian und Milo Tucker versuchen zu ermitteln, aber die Mitglieder der Organisation verweigern jede Aussage und sind zu keiner Mithilfe bereit. Dann wird wieder ein toter Chinese gefunden, und dann noch einer. Nach und nach verlieren die Triaden ihre Bosse.

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Earl Warren, Alfred Bekker, Thomas West, Jan Gardemann, Pete Hackett

Die Unterwelt macht keinen Urlaub! 7 Krimis im Bundle

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Inhaltsverzeichnis

Die Unterwelt macht keinen Urlaub! 7 Krimis im Bundle

Copyright

​Commissaire Marquanteur und die Mordkünstler von Marseille

Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten

1.

2.

3.

4.

5.

Bount Reiniger und die Yukon-Gang

1.

2.

3.

4.

5.

Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Die zur Hölle fahren

Trevellian und der Blutschwur

Trevellian im Visier der Triaden-Killer

Die Unterwelt macht keinen Urlaub! 7 Krimis im Bundle

Earl Warren, Alfred Bekker, Thomas West, Jan Gardemann, Pete Hackett

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Mordkünstler von Marseille

Earl Warren: Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten

Earl Warren: Bount Reiniger und die Yukon-Gang

Earl Warren: Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon

Thomas West: Die zur Hölle fahren

Pete Hackett: Trevellian und der Blutschwur

Jan Gardemann: Trevellian und der Triaden-Killer

An einem Strand werden die Leichen von zwei jungen Chinesen gefunden. Die Art der Verletzungen lassen erkennen, dass beide Männer totgeprügelt wurden. Auffällig ist, dass es keine Abwehrspuren bei den Opfern gibt. Kurz nachdem die Morde publik werden, wird ein Boss der Chinesen-Mafia ermordet. Auch er wurde schwer misshandelt. Die FBI-Agenten Jesse Trevellian und Milo Tucker versuchen zu ermitteln, aber die Mitglieder der Organisation verweigern jede Aussage und sind zu keiner Mithilfe bereit. Dann wird wieder ein toter Chinese gefunden, und dann noch einer. Nach und nach verlieren die Triaden ihre Bosse.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

​Commissaire Marquanteur und die Mordkünstler von Marseille

von Alfred Bekker

: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
In eine Marseiller Galerie wird eingebrochen. Der Besitzer scheint ermordet worden zu sein – seine Leiche ist aber unauffindbar. Commissaire Pierre Marquanteur und sein Team beginnen mit ihren Ermittlungen und stellen schnell fest, dass der Galerist in höchst dubiose Geschäfte verwickelt war. Innerhalb kurzer Zeit werden weitere Personen aus seinem Umfeld ermordet. Dann meldet sich ein Kollege aus Russland, und der Fall bekommt eine Wendung …
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Alfred Bekker
© Roman by Author /
COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
1
Marseille – im Jahr 2007 …
»Und das soll nun Kunst sein!«, sagte der Mann im Bistro, in dem mein Kollege Commissaire François Leroc und ich uns gerade stärkten. »Wissen Sie, was ich denke, Monsieur Marquanteur?«
»Naja …«, sagte ich, denn ehrlich gesagt wusste ich nicht so genau, worauf der Bistro-Mann hinauswollte. Aber die Croissants, die er anbot, schmeckten gut. Und darauf kam es an.
Er deutete auf die Vogelscheuche, die an einem Laternenpfahl hing und durch den letzten Regen ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war.
»Die lassen dies da nun vergammeln und keiner hängt den Müll weg, weil es ja eine Kunstaktion ist. Ich weiß nicht, das soll wohl den menschlichen Verfall und das Vergehen der Zeit illustrieren oder sowas.«
»Kann schon sein«, sagte ich kauend.
»Ja, kann sein oder ist wirklich so, Monsieur Commissaire?«
François und ich waren in letzter Zeit öfter hier gewesen. Deswegen kannte er unsere Namen. Ich seinen allerdings nicht. Eine Schande. Aber man kann nicht alles behalten.
»Habe ich mir noch keine Gedanken drüber gemacht, muss ich jetzt ehrlich gestehen.«
»Also wenn ich meinen Sperrmüll zur falschen Zeit an die Straße stelle, kriege ich eine Verwarnung. Aber wenn ich Künstler wär‘, dann könnte ich jeden Mist einfach irgendwo lassen und das wär‘ in Ordnung?«
»So würde ich das jetzt nicht sehen«, sagte ich.
»Ja, aber ich sehe das so! Und richtig ist das nicht! Das kann mir keiner erzählen!«
»Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet.«
»Sollten Sie vielleicht mal, Monsieur Commissaire Marquanteur. Sie sind doch Commissaire?«
»In der Tat, ja.«
»Dann frage ich jetzt mal den Commissaire Marquanteur, mit seiner große Kenntnis von den Paragraphen und so: Kann man sowas nicht verbieten?«
Ich hatte mich verschluckt und irgendwie ein Stück Croissant in den falschen Hals gekriegt. Mein Kollege François haute mir auf den Rücken. Nach einem Moment war es wieder gut.
»Geht‘s wieder?«, fragte der Bistro-Mann.
»Alles in Ordnung«, sagte ich.
»Und meine Frage?«
»Wie?«
»Ja, die Antwort fehlt: Kann man so eine Verschandelung der Stadt, wie die da, nicht verbieten?«
»Also, genau genommen fällt das nicht in unsere Zuständigkeit«, sagte ich.
»Ah, ja«, sagte der Bistro-Mann.
»Gutes Croissant«, meinte François kauend. »Echt!«
»Gibt keine Besseren«, ergänzte ich.
»Das hört man gerne«, sagte der Bistro-Mann und streckte dann die Hand in Richtung der Vogelscheuche aus. »Aber davon kriegt man Augenkrebs!«
2
St. Petersburg, Russland
Das Café Rasputin war ein beliebter Szene-Treff, wo sich Künstler, Intellektuelle und alle, die sich dafür hielten einfanden, um über den Niedergang Russlands zu diskutieren oder der Performance eines experimentellen Dichters zu lauschen. An den Wänden hingen großformatige Gemälde in grellen Farben. Wladimir Basilov fiel in seinem biederen, dreiteiligen Anzug sofort auf. Er ließ suchend den Blick über die Gäste schweifen. Stimmengewirr erfüllte den Raum.
Und Zigarettenrauch.
In kalten Schwaden hing er über den Tischen und machte Basilov klar, wie sehr ihn zwanzig Jahre Marseille geprägt hatten. In Frankreich war das Rauchen beinahe überall verboten, und so war Basilov den in Augen und Nase beißenden Qualm nicht gewöhnt.
Sein Blick blieb an einem Mann im dunklen Rollkragenpullover haften, der allein an seinem Tisch saß.
Basilov ging an seinen Tisch.
Der Mann im Rollkragenpullover zog an seiner filterlosen Zigarette und blies Basilov den Rauch entgegen. »Na, endlich! Ich dachte, du kommst nicht mehr! Setz dich!«
Basilov nahm Platz. »Wir müssen miteinander reden, Sergej!«
Der Mann im Rollkragenpullover beugte sich nach vorn und sprach nun in gedämpftem Tonfall. »Ich steige aus, Wladimir! Die Sache ist zu heiß geworden. Und wenn du schlau bist und am Leben bleiben willst, tust du dasselbe!«
3
»Was ist passiert?«, fragte Basilov.
»Genug, um in Zukunft die Finger von der Sache zu lassen. Das Geschäft läuft nicht mehr, und ich habe keine Lust, mir die Finger zu verbrennen. Vor zwei Tagen wurde Korzeniowskij erschossen, und ich möchte nicht der Nächste zu sein.«
Basilov verengte die Augen.
»Korzeniowskij?«, echote er. »Das wusste ich nicht …«
»Du scheinst so manches nicht zu wissen, Wladimir!«
»Dann erkläre es mir, Sergej!«
»Ich sehe zu, dass ich mein Geld in die Schweiz bekomme, und dann bin ich weg!«, erklärte der Mann im Rollkragenpullover.
Er lehnte sich zurück und ließ den filterlosen Glimmstängel aufglühen.
Basilov wedelte mit der Hand, um den Rauch zu vertreiben.
Sergej grinste schief. »Verweichlichter Franzose!«, murmelte er verächtlich.
»Was den Pass betrifft, stimmt das«, konterte Basilov.
»Na, das wird es für dich ja etwas leichter machen, mit der neuen Situation fertig zu werden.«
Basilov lachte heiser. »Du hast gut reden, Sergej! Ich bin schließlich Verpflichtungen eingegangen! In Marseille gibt es Leute, die auf die nächste Lieferung so sehnsüchtig warten wie ein Junkie auf seinen Stoff! Die werden ziemlich sauer reagieren.«
Sergej zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.«
»Was ist mit Lebedew?«
»Der ist schon vor Wochen von der Bildfläche verschwunden. Offenbar hat er den Braten etwas früher gerochen als der Rest von uns und zugesehen, dass er seine Schäfchen ins Trockene bekommt.«
»Verdammt!« Basilov ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Eine dunkle Röte überzog sein Gesicht.
Sergej wirkte gelassener. »So ist das nun mal. Jeder muss jetzt sehen, dass er so gut wie möglich aus dem Schlamassel herauskommt.«
»Na, großartig!«
Sergej drückte den Rest seiner Zigarette im Aschenbecher aus, trank seinen mit Wodka vermengten Kaffee aus und erhob sich.
Basilov war bleich wie die Wand geworden.
Sergej sah ihn an und verzog das Gesicht. »Hey, bist du wirklich schon so ein französisches Weichei geworden, Wladimir? Ich dachte, ihr würdet den Unternehmergeist immer besonders groß schreiben!«
Basilov verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
»Das tun wir auch.«
»Da wird der deinige ja wohl nicht gleich versagen, nur, weil die Zeit der Riesenjackpots für dich jetzt erst mal eine Weile vorbei ist!«
»Sehr witzig!«
»Immerhin lebst du noch – das ist mehr, als man von so manch anderem sagen kann, der bei der Sache mitgemacht hat!« Gönnerhaft klopfte Sergej seinem Gesprächspartner auf die Schulter. »Nichts für ungut, Wladimir! War ‘ne schöne Zeit, und ich denke, wir werden dem warmen Euro-Regen noch lange nachtrauern.«
Basilov bleckte die Zähne wie ein Raubtier. »Du kannst mich mal!«, fauchte er.
»Wie auch immer. Vielleicht machen wir ja irgendwann, wenn sich die Lage beruhigt hat, mal wieder zusammen Geschäfte. Man sollte ja immer optimistisch bleiben!« Er grinste schief und setzte noch hinzu: »Außerdem kommen Ikonen nie aus der Mode!«
Sergej sah auf die Uhr.
Dann nickte er Basilov zu und ging in Richtung Ausgang.
Gerade hatte ein Mann in dunkler Lederjacke, dazu passenden Stiefeln und grauer Strickmütze den Raum betreten.
Sergej erstarrte, als er ihn sah.
Der Mann in Leder griff unter seine Jacke und riss eine Pistole hervor.
Er drückte sofort ab.
Sergej bekam einen Treffer in den Brustbereich, taumelte zwei Schritte zurück und wurde anschließend noch in Kopf und Hals getroffen.
Mit einem dumpfen Geräusch schlug der Getroffene auf den Holzboden. Blut sickerte aus den Wunden.
Überall im Café brach Panik aus. Entsetzensschreie gellten durch den Raum.
Basilov erhob sich vom Platz, drehte sich herum und griff unter seine Jacke.
Der Mann in Leder schwenkte den Lauf seiner Automatik in Basilovs Richtung. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich kurz. Dann leckte erneut das Mündungsfeuer wie eine rote Drachenzunge aus dem Lauf der Automatik hervor.
Basilov bekam einen Schuss in die Brust, der ihn gegen die Wand taumeln ließ. Ein zweiter Treffer erwischte ihn nur Zentimeter daneben – genau dort, wo sich das Herz befand.
Basilov rutschte an der Wand hinunter, versuchte sich festzuhalten, und riss dabei eines der großformatigen Gemälde von den Haken.
Er ächzte und rang nach Luft.
Der Mann in Leder drängte sich derweil bereits durch die von Panik erfüllten Gäste des Café Rasputin in Richtung Ausgang.
Rechts und links stoben die Leute vor ihm zur Seite, so gut sie konnten. Niemand wollte schließlich mit der Waffe in seiner Rechten angeschossen werden.
Augenblicke später war er draußen in der Menge der Passanten verschwunden.
Inzwischen stöhnte Basilov schmerzerfüllt auf.
Er versuchte sich zu bewegen, aber er hatte das Gefühl, von mehreren Messern durchbohrt zu werden.
Er rang noch immer nach Luft. Das Atmen tat höllisch weh. Vorsichtig betastete er die Stellen, an denen er getroffen worden war. Die Projektile hatten seine Kleidung aufgerissen. Unter dem edlen Tuch seines Marseiller Schneiders kamen die ersten Lagen grauen Kevlars zum Vorschein.
Immerhin, dachte er, die Weste hat gehalten, was der Hersteller verspricht, auch wenn die Treffer trotzdem sehr schmerzhaft gewesen sind.
Aber die Kevlar-Weste hatte das Eindringen der Kugeln in den Körper verhindert und Basilov damit das Leben gerettet. Ein paar blaue Flecken würden ihm von der Attacke bleiben – wenn er Pech hatte, vielleicht auch eine angeknackste Rippe. Basilov berührte eine der Stellen ein zweites Mal. Er war sich noch nicht ganz sicher, wie schwer die Verletzungen tatsächlich waren.
Vorsichtig stand er auf und stützte sich dabei auf einen der Tische.
Im Café Rasputin herrschte jetzt vollkommenes Chaos. Alle rannten durcheinander und versuchten, sich irgendwie in Sicherheit zu bringen.
Da auch Basilov eine Waffe in der Hand hielt, wich ihm jeder aus.
Nur weg, so lange die Miliz noch nicht hier ist!, ging es ihm durch den Kopf.
Er hatte keine Lust, sich den langwierigen Fragen der Polizei zu stellen und am Ende noch ein kleines Vermögen investieren zu müssen, um die betreffenden Beamten zu schmieren.
Vielleicht hat Sergej recht gehabt und es ist wirklich Zeit, dass ich aussteige!, überlegte Basilov, als er ins Freie taumelte.
4
»Na, gewöhnst du dich langsam an den neuen Dienstwagen?«, fragte mich mein Kollege François Leroc, als ich ihn an diesem Morgen abholte. Wie üblich hatte François an der bekannten Ecke gewartet. Es regnete Bindfäden, und er war ziemlich durchnässt.
»Ich versuche es«, erwiderte ich. François hatte einen wunden Punkt angesprochen.
Der Porsche, den ich die letzten Jahre über gefahren hatte, war mir gestohlen worden. Wir fanden ihn später in einer Schrottpresse als handliches Päckchen wieder, und es stellte sich im Laufe der Ermittlung heraus, dass die Diebe es auf den Inhalt des installierten Dienstrechners abgesehen hatten. Die darauf gespeicherten Daten waren für die Gangster ein Hilfsmittel gewesen, um einen groß angelegten Cyberangriff auf die Polizei zu starten.
Inzwischen fuhr ich einen handgefertigten Hybriden aus einer Dodge Viper SRT-10, auf die man die Karosserie eines Porsche aufgesetzt hatte.
Die technische Innenausstattung mit integriertem TFT-Bildschirm und Computer entsprach dem Standard, den auch der alte Porsche gehabt hatte.
Seit einiger Zeit war der Zwitter aus Porsche und Dodge nun fertig gestellt, und ich hatte Gelegenheit, die Fahreigenschaften kennen zu lernen.
Bis jetzt war ich vollauf zufrieden, auch wenn ich dem alten Porsche immer noch etwas nachtrauerte. Aber das hatte wohl eher sentimentale Gründe, die wohl auch verantwortlich dafür waren, dass ich vom neuen Porsche sprach – und nicht etwa vom neuen Dodge.
Kollege François Leroc schnallte sich an.
»Na, dann zeig mal, was der Neue kann!«, meinte er.
»Witzbold.«
»Wieso?«
»So lange wir uns im Großraum Marseille aufhalten, dürfte das wohl kaum praktikabel sein, wenn wir nicht eine unangenehme Begegnung mit unseren Kollegen in Uniform riskieren wollen. Schließlich gibt es ja auch für unsereins keine gesonderten Verkehrsregeln.«
»Zumindest, solange nicht irgendein gerechtfertigter Notfall vorliegt«, gestand ich zu.
Der Regen wurde so heftig, dass es selbst die unermüdlich hin und her schwingenden Wischblätter kaum schafften, einen klaren Durchblick zu gewährleisten.
»Wieso bist du ausgerechnet heute so spät dran, Pierre?«, fragte François, als wir wenig später an einer Ampel halten mussten. »Ich bin fast aufgeweicht bei der verdammten Nässe!«
»Ich war heute Morgen noch in der Werkstatt und hatte dort einen Sondertermin außerhalb der Geschäftszeiten.«
François grinste.
»Ach, hat das gute Stück schon seine Mucken?«
Ich schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Es waren nur noch ein paar Feineinstellungen vorzunehmen. Routinekram eben.«
»Wer es glaubt, wird selig. Mal ehrlich, ich weiß nicht, ob ich diesem zusammengeschraubten Zwitter trauen soll!«
5
Als wir das Präsidium erreichten, ließ der Regen zum Glück endlich nach.
Noch bevor wir unser gemeinsames Dienstzimmer erreichten, lief uns Kollege Maxime Valois über den Weg. Der Innendienstler aus der Fahndungsabteilung grüßte knapp und wies uns darauf hin, dass unser Chef in einer halben Stunde eine Besprechung in seinem Büro angesetzt hatte.
»Du bist doch sicher informiert, worum es geht, Maxime«, vermutete ich.
Maxime nickte. »Das wird eine groß angelegte Operation mit internationaler Zusammenarbeit und so weiter …«
»Drogen?«
»Nein. Schon mal was von der Eremitage gehört?«
»Ist das nicht ein Museum in St. Petersburg?«
»Richtig.«
»Dann geht es um illegalen Kunsthandel?«
»Lass dich einfach überraschen, Pierre! Ich muss noch mal ein Dossier für euch zusammenstellen.«
»Bis nachher.«
Der illegale Kunsthandel hatte finanziell gesehen längst Dimensionen wie der Handel mit Drogen, Waffen oder Müll erreicht und war zu einem wichtigen Zweig des organisierten Verbrechens geworden, ohne dass die Öffentlichkeit davon besonders Notiz genommen hatte.
Wir fanden uns zusammen mit einer Reihe weiterer Beamter pünktlich im Besprechungszimmer von Monsieur Jean-Claude Marteau, Commissaire général de police, ein und nahmen Platz.
Seine Sekretärin Melanie grüßte uns knapp.
Sie servierte Kaffee für alle. Außer uns waren unter anderem die Kollegen Stéphane Caron und Boubou Ndonga anwesend. Die Commissaire Josephe Kronbourg und Léo Morell trafen kurz nach uns ein.
Maxime Valois schlich sich erst auf leisen Sohlen in den Raum, als Monsieur Jean-Claude Marteau bereits zu sprechen begonnen hatte.
»Über die Bedeutung des illegalen Kunsthandels für das organisierte Verbrechen brauche ich wohl kaum noch ein Wort zu verlieren«, erklärte unser Chef. »Da werden Milliarden umgesetzt, und wir kommen an die Hintermänner noch schwerer heran als im Drogenhandel. Jetzt erreichte uns eine Bitte des Innenministeriums der Russischen Föderation um Zusammenarbeit, die für uns möglicherweise die Chance bietet, einige dieser mafiösen Strukturen endlich aufzudecken. Wir kommen auf diese Weise an Informationen heran, die uns da weiterhelfen werden. Sie haben vielleicht von dem Skandal um die Kunstgüter der Eremitage in St. Petersburg gehört. Offenbar sind dort seit Jahren massenhaft Kunstgegenstände verschwunden und auf dem schwarzen Markt verkauft worden. Vom Wachpersonal bis zur Kuratorin steckten maßgebliche Teile des Museumspersonals mit den Kriminellen unter einer Decke. Die Ware tauchte später zu einem Teil auch hier in Marseille auf. Und das geht nun schon seit Jahren so. Jetzt ist dieser Connection der Kopf abgeschlagen worden. Aber an dieser Stelle übergebe ich das Wort besser an Commissaire Marcel Duval.«
Monsieur Marteau deutete auf einen Mann in den Fünfzigern. Außer einem schmalen, dunklen Haarkranz hatte er keine Haare mehr am Kopf. »Kollege Duval wurde uns als Experte für den internationalen Kunsthandel zugeteilt und wird uns mit seiner Sachkenntnis unterstützen. Bitte Marcel, Sie haben das Wort.«
»Danke.« Marcel Duval erhob sich und aktivierte den Beamer des Laptops, das vor ihm auf dem Tisch stand. Auf Knopfdruck wurde das Bild einer Frau von Mitte fünfzig projiziert. »Sie sehen die Kuratorin der Eremitage in St. Petersburg. Nachdem eine Revision der Bestände angekündigt wurde, traf sie buchstäblich der Schlag. Die Revision ergab dann auch den Grund. Es fehlten erhebliche Teile des Bestandes, die offenbar über ein kriminelles Netzwerk auf den Markt gebracht wurden. Eine Reihe von Personen wurde verhaftet, darunter der Ehemann und der Sohn der Kuratorin. Der festgestellte Schaden ist kaum abzuschätzen, denn ein Teil des Eremitage-Bestandes ist noch nicht einmal richtig katalogisiert gewesen. Man weiß bis heute nicht, wie viele Stücke wirklich verschwunden sind. Tatsache ist, dass eine Art Panikwelle durch den illegalen Kunstmarkt fegte, die einmal um den ganzen Globus schwappte und wohl noch nicht ganz abgeebbt ist. Selbst hier in Marseille waren ein paar Ausläufer davon zu spüren. So verzeichnen wir seit einiger Zeit ein deutlich erhöhtes Angebot an Kunsthandwerk, Ikonen und Schmuck, die genau zum Bestand der Eremitage passen. Hin und wieder haben wir Glück und können die Herkunft nachweisen. Häufiger ist das jedoch nicht der Fall, und es bleibt nur die Vermutung, dass mit der Herkunft etwas nicht stimmt.«
Marcel Duval betätigte noch einmal den Beamer. Das Gesicht eines Mannes im dunklen Rollkragenpullover wurde sichtbar. »Wir haben im Zusammenhang mit dem Auftauchen von inflationär vielen Ikonen in Marseille, Düsseldorf, New York und London einige wertvolle Hinweise des Innenministeriums der Russischen Föderation erhalten, die es uns vielleicht möglich machen, auch bei uns ein paar Leuten das Handwerk zu legen, die schon seit Jahren den illegalen Kunsthandel als organisiertes Verbrechen betreiben und dabei bereit sind, über Leichen zu gehen. Der Mann, den Sie hier sehen, heißt Sergej Sergejewitsch Michailov. Er arbeitet für ein Kunsthandels-Syndikat in St. Petersburg. Letzte Woche wurde er dort im Café Rasputin von einem Killer erschossen, als er sich mit einem Mann namens Wladimir Basilov traf.«
Duval sorgte dafür, dass der Beamer das nächste Bild zeigte. Ein Mann im konservativen Dreiteiler war zu sehen. Er wirkte so bieder wie ein Bankangestellter. »Basilov lebt seit zwanzig Jahren in Marseille. Davor war er Angestellter der russischen Botschaft und KGB-Agent. Wir nehmen an, dass seine Verbindungen zu dieser Organisation auch noch fortbestanden, nachdem sich der KGB in FSB umbenannt hatte und Basilov aus dem Botschaftsdienst ausschied. Offiziell übrigens deswegen, weil er Mitglied der Kommunistischen Partei war, die Boris Jelzin kurz nach dem Putsch gegen Gorbatschow verbieten ließ. Aber seine angebliche Treue zum Kommunismus hat ihn nicht daran gehindert, anschließend nach allen Regeln der Kunst zu einem kapitalistischen Geschäftsmann zu werden. Er blieb in Marseille, hatte offenbar gute Fürsprecher bei den Behörden, und ist inzwischen Franzose.«
»Hat er vielleicht ein paar KGB-Geheimnisse verraten, damit jemand die Hand über ihn hält?«, fragte Stéphane Caron.
Duval drehte sich zu ihm um und nickte. »Daran habe ich auch gedacht. Und ich habe versucht, etwas darüber in den Archiven zu finden. Zumindest, was FoPoCri betraf, waren sie mir zugänglich. Bisher Fehlanzeige! Aber das muss nichts heißen. Möglicherweise schlummert da noch etwas beim Geheimdienst. Oder Basilov hat es sogar geschafft, dass dort alles verschwunden ist, was ihn irgendwie hätte kompromittieren können. Denn eins ist klar: Ohne seine alten KGB-Verbindungen hätte er nicht der wichtige Verbindungsmann im illegalen Kunsthandel werden können, der er zweifellos ist.« Duval atmete tief durch. »Leider konnte man ihm nie etwas nachweisen, aber das könnte sich nun ändern.«
FoPoCri - das war die Force spéciale de la police criminelle.
Unsere Abteilung.
»Inwiefern?«, hakte Monsieur Marteau nach.
»Nun, ich erwähnte ja gerade die Ermordung von Sergej Michailov. Einen Tag zuvor starb Boris Korzeniowskij in seiner Datscha unweit von St. Petersburg. Korzeniowskij stand auch mit Basilov in Kontakt und gehörte derselben Szene an. Er residierte normalerweise am Genfer See und sorgte für die Geldwäsche der Gewinne aus den illegalen Deals. Offenbar findet da gerade eine Säuberungsaktion innerhalb der Kunstmafia statt, die durch die Aufdeckung des Eremitage-Skandals verursacht wurde. Jeder, der irgendwie in der Sache drinhängt, versucht jetzt erstens Kunstobjekte, die er noch auf Lager hat, möglichst schnell abzustoßen und zweitens diejenigen loszuwerden, die ihn als Mitwisser kompromittieren würden.«
»Und Basilov soll dahinter stecken?«, fragte Monsieur Jean-Claude Marteau.
»Das wissen wir nicht«, bekannte Duval. »Wir wissen nur, dass es eine Verbindung zwischen Basilov und den bisherigen Opfern gibt.«
»Dann könnte es durchaus sein, dass er selbst auch auf der Todesliste steht«, folgerte ich.
»Durchaus«, stimmte Duval zu. »Falls jemand, der über ihm in der Organisation steht, ihn als Gefahr ansieht.«
»Jedenfalls wird Monsieur Basilov uns einige Fragen zu beantworten haben«, stellte Monsieur Marteau fest. »Bei unserem Vorgehen geht es in erster Linie darum, Basilovs Hintermänner zu ermitteln, die offenbar schon seit Jahren ihr Geschäft auch hier in Marseille betreiben.«
Duval ergriff noch einmal das Wort und ergänzte: »Um das von Monsieur Marteau skizzierte Ziel dieser Operation zu erreichen, wurde uns die Unterstützung des russischen Innenministeriums zugesagt. Sie schicken einen hochrangigen Ermittler, der sich auf dieses Gebiet spezialisiert hat. Sein Name ist Valerij Markov, und eigentlich sollte er bereits eingetroffen sein.«
»Es wundert mich, dass ich nichts davon gehört habe«, erklärte Monsieur Marteau, während sich auf seiner Stirn eine Falte bildete.
Duval hob die Augenbrauen. »Ich habe keine Ahnung, wo Markov bleibt. Dass Sie noch nicht informiert wurden, liegt wohl einfach daran, dass diese Art von internationaler Zusammenarbeit auf höchster Ebene im Präsidialamt und im Außenministerium verhandelt wird.«
»Möglich«, brummte unser Chef.
»Dass der Typ hier nicht aufgetaucht ist, liegt wahrscheinlich mal wieder an der schlechten Organisation der Russen«, äußerte sich unser Kollege Josephe Kronbourg.
Duval warf dem ehemaligen Beamten der Schutzpolizei einen tadelnden Blick zu. »Haben Sie Vorurteile?«, fragte er kühl.
»War ja nur eine Vermutung«, meinte Josephe.
»Was auch immer Sie für Vorurteile gegen Russen haben mögen – auf Markov treffen sie wohl kaum zu. Er ist ein hervorragender Ermittler und durch kompromissloses Vorgehen gegen die alten Seilschaften hervorgetreten.«
Duval deutete auf unseren Kollegen Maxime Valois. »Ihr Kollege Valois war so freundlich, heute noch in aller Schnelle ein paar Dossiers über die Leute zusammenzustellen, von denen seit Langem bekannt ist, dass sie auf dem illegalen Kunstmarkt in Marseille irgendeine Rolle spielen. Wir werden nicht umhin kommen, einen Großteil dieser Leute abzuklappern und zu befragen, um ein klareres Bild darüber zu bekommen, was gegenwärtig in der Szene so los ist. Ich bin überzeugt davon, dass es uns mit dem entsprechenden Einsatz auch gelingen wird, die verschlungenen Pfade der Ikonen zurückzuverfolgen, die gegenwärtig den Markt überschwemmen.«
»Gut«, nickte Monsieur Marteau. »Ich schlage vor, dass Sie die Befragung von Basilov vornehmen.«
Duval lächelte dünn. »Das hatte ich mir auch so vorgestellt.«
»Pierre und François werden Sie dabei begleiten«, ergänzte unser Chef. »Und die Dossiers gehen an alle Mitarbeiter, die ich für diesen Fall abstelle.«
6
Wenig später saßen François und ich im Porsche. Der Motorenklang kam mir immer noch ziemlich fremd vor. Aber was die Leistung anging, konnte es die Dodge Viper mit jedem Original-Porsche aufnehmen.
Marcel Duval benutzte seinen eigenen Wagen. Es handelte sich um einen Renault, der ihm von der Fahrbereitschaft unseres Präsidium für die Dauer seines Aufenthalts zur Verfügung gestellt worden war.
Basilov wohnte in einem umgebauten Bürogebäude, das jetzt vornehmlich Eigentumswohnungen enthielt. Wir stellten den Wagen auf einem der wenigen Parkplätze ab, die es in der Umgebung gab, und mussten die letzten fünf Minuten bis zur Haustür zu Fuß laufen.
Dort trafen wir Duval, der ebenfalls zugesehen hatte, dass er seinen Wagen irgendwo in der Gegend abstellen konnte.
»Ich habe bereits geklingelt«, erklärte Duval. »Leider macht niemand auf. Weder in der Galerie, noch in der Privatwohnung.«
»Versuchen wir es noch mal«, schlug François vor. »Um Basilov in die Fahndung zu geben, ist es vielleicht noch ein bisschen früh, oder?«
Duval drückte erneut auf die Klingel.
Wir warteten ab.
Im Untergeschoss war seine Galerie untergebracht. Darüber bewohnte er eine Etage, die mindestens zweihundert Quadratmeter hatte und damit für Marseiller Verhältnisse schon fast unverschämt groß war.
Die Galerie machte erst am frühen Nachmittag auf.
Offenbar konnte sich ihr Besitzer nicht vorstellen, dass es Kunstfreunde gab, die bereits am Vormittag Interesse daran hatten, sich ein paar Stücke anzusehen.
»Die Galerie ist mehr oder minder zur Tarnung da!«, erklärte Marcel Duval. »Da finden Sie ein paar Gemälde von ausgeflippten modernen russischen Künstlern, die Basilov zu exorbitanten Preisen einkauft.«
»Na, wenn er Sie hier in Marseille mit Gewinn verkaufen kann …«, gab François zurück.
»Genau das ist der Punkt«, erklärte Duval. »Wahrscheinlich kann er das nicht.«
»Geldwäsche?«, fragte ich.
»Ich würde sagen, ja – nur ist ihm das bisher vor Gericht nicht bewiesen worden. Aber der Verdacht liegt natürlich nahe.«
Eine ziemlich breit gebaute Frau in den Fünfzigern kam zu uns an die Tür. Sie musterte uns.
»Wer sind Sie?«
Ich hielt ihr meinen Ausweis unter die Nase. »Pierre Marquanteur, FoPoCri. Dies sind meine Kollegen François Leroc und Marcel Duval. Wir suchen Monsieur Wladimir Basilov.«
»Da sind Sie hier leider verkehrt«, behauptete sie und drängte sich zwischen uns hindurch zur Tür.
»Wieso, wohnt Monsieur Basilov seit Neuestem nicht mehr hier?«, fragte Duval überrascht.
»Doch, das tut er schon. Aber Monsieur Basilov ist ein sehr arbeitsamer Mann. Der steht um fünf Uhr auf und erledigt seine Büroarbeit.« Sie sah auf ihre Uhr. »Jetzt treffen Sie ihn zwei Straßen weiter im Café Capute an. Da frühstückt er für gewöhnlich. Und zwar ziemlich ausgedehnt. Das ist auch gut so, dann stört er mich nicht dabei, wenn ich alles in Ordnung bringe.«
»Die Galerie und die Wohnetage?«
»Ja. Da muss man schon im Akkord arbeiten, wenn alles sauber sein soll. Aber Monsieur Basilov kann es nicht leiden, wenn er dabei ist und durch den Staubsauger oder ähnliches aus seinen Gedanken herausgerissen wird. So was geht ihm unheimlich auf die Nerven!« Die korpulente Frau atmete tief durch. »Aber ich will nicht meckern, schließlich bezahlt er mich hervorragend. Ich bin jetzt schon seit zehn Jahren bei ihm. Damals kam unsere Jüngste ins Collège und wir konnten das Geld gut …«
»Schon gut«, sagte François. »Wir werden es mal bei diesem Café Capute versuchen.«
»Einfach fünf Minuten die Straße entlang, dann können Sie das Schild gar nicht verfehlen!«
»Danke.«
Sie schloss die Tür auf. »Falls wir noch Fragen haben: Wie ist denn Ihr Name?«, fragte ich.
Sie musterte mich erneut von oben bis unten. »Florentine Masperone. Was wollen Sie eigentlich von Monsieur Basilov?«
»Nur ein paar Routinefragen«, sagte ich, schrieb mir anschließend noch Florentine Masperones Adresse auf und hinterließ ihr meine Karte. Madame Masperone studierte sie eingehend, bevor sie das Stück Papier in ihrer Manteltasche verschwinden ließ, die Tür vollends öffnete und in der Galerie verschwand.
»Also auf zu diesem Laden, der sich Café Capute nennt«, forderte Duval uns auf.
Wir hatten schon ein paar Schritte hinter uns gebracht, als wir aus der Galerie einen furchtbaren Schrei hörten.
Instinktiv ging unser Griff sofort zur Dienstwaffe.
7
Wir kehrten zur Haustür zurück.
Madame Masperone öffnete sie.
Kreidebleich trat sie uns entgegen.
»Kommen Sie!«, flüsterte sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich das Monsieur Basilov beibringen soll.«
»Wovon sprechen Sie, Madame Masperone?«, fragte ich.
»Es ist eingebrochen worden. Die Galerie ist ein einziges Chaos. Seien Sie vorsichtig! Vielleicht sind die Täter noch da drin!«
Mit der Waffe in der Hand drangen wir in die Galerie ein. Madame Masperone folgte uns.
In der Galerie waren mehrere Vitrinen für Ausstellungsstücke zerschlagen worden. Außerdem hatten die Täter Gemälde von den Wänden gerissen und auf den Boden geschleudert. An anderen Stellen gab es leere Haken. Moderne russische Kunst schien den oder die Eindringlinge nicht besonders interessiert zu haben, denn sie hatten sie achtlos liegengelassen.
François rief per Handy Verstärkung.
In sämtlichen Räumen der Galerie sah es ähnlich aus. Ein in die Wand eingelassener Safe stand offen. Er war leer.
Neben einer zerschlagenen Glasvitrine fand sich eine deutliche Blutspur auf dem Boden.
»Scheint, als wäre Monsieur Basilov der nächste auf der Todesliste der Kunstmafia gewesen«, meinte Duval.
»Sie setzen voraus, dass das Blut von Basilov stammt«, erwiderte ich.
»Ich finde, das liegt nahe.«
»Jedenfalls dürfte das vorhandene Spurenmaterial ausreichen, um einen DNA-Test durchzuführen«, stellte François fest und steckte seine Waffe ein. »Abgesehen davon werden die Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier zweifellos jeden Millimeter unter die Lupe nehmen. Mal sehen, was noch so an Spuren hinterlassen wurde.«
»Wenn es sich um die Leute handelt, die ich in Verdacht habe, wird man gar nichts weiter finden«, stellte Duval klar. »Zumindest nichts, was wir nicht finden sollten. Das sind nämlich Profis.«
»Warten wir es ab«, schlug ich vor.
Madame Masperone war uns gefolgt.
Die Blutlache sah sie jetzt offenbar auch zum ersten Mal. Sie war ganz bleich geworden. »Mein Gott«, flüsterte sie. »Monsieur Basilov wird doch wohl nichts passiert sein …«
»Haben Sie auch einen Schlüssel für die Wohnung?«, fragte ich.
»Ja. Da muss ich schließlich auch saubermachen, und Monsieur Basilov ist oft für längere Zeit auf Geschäftsreisen … Zum Lift kommen Sie über die Tür dahinten!«
»Und das Treppenhaus?«
»Ist direkt daneben.«
»Gibt es hier eigentlich eine Alarmanlage?«
Madame Masperone nickte. »Ja, aber sie war ausgeschaltet.«
»Hat Sie das nicht gewundert?«
»Ehrlich gesagt nein. Es kommt öfter vor, dass Monsieur Basilov vergisst, sie wieder einzuschalten, wenn er hier ist. Ich habe ihn schon des Öfteren deswegen angesprochen. Schließlich nützt es nichts, eine Direktleitung zu einem privaten Sicherheitsdienst zu haben, wenn die Anlage gar nicht aktiviert ist.
»Kennen Sie den Code?«, fragte ich.
Madame Masperone runzelte die Stirn. »Natürlich kenne ich den Code, der eingegeben werden muss …«
Ich wandte mich an François. »Sehen wir uns in der Wohnung um.«
»Okay«, nickte mein Kollege.
Madame Masperone gab mir den Schlüssel für die Wohnung.
Wir gingen durch die Tür, die sie uns gezeigt hatte, während Duval bei ihr blieb.
Die Chance, dass sich der oder die Täter noch im Gebäude aufhielten, schätzten wir zwar gering ein. Aber auszuschließen war es nicht.
»Wer von uns nimmt den Lift und wer das Treppenhaus?« fragte François.
»Das Treppenhaus ist immer für den, der fragt!«, erwiderte ich grinsend.
»Ich würde sagen, du lässt mich den Lift nehmen.«
»Wieso?«
»Schließlich bist du mir noch was schuldig.«
»Habe ich da was verpasst, François?«
»Schon vergessen? Du hast mich heute Morgen im Regen stehen lassen, nur, damit noch irgendwas an deinem Wagen herumgeschraubt werden konnte!«
»Porsche!«
»Wie auch immer, Pierre.«
Ich seufzte. »Okay. Ich will mal nicht so sein.«
8
Ich pirschte mich über das Treppenhaus ein Stockwerk höher und stand sogar schneller vor der Wohnungstür als François, was daran lag, dass er die Liftkabine erst aus dem obersten Stock hatte holen müssen.
Neben dem Ausgang durch die Galerie gab es auch noch einen separaten Zugang für die Wohnungen in den oberen Stockwerken, die deutlich kleiner ausfielen als der von Basilov bewohnte Bereich.
Die Wohnungstür war nicht abgeschlossen. Ein Kameraauge war auf den Flur gerichtet. Allerdings war es starr. Ich fragte mich, ob die Überwachungsanlage abgeschaltet war.
Mit der Dienstwaffe in der Hand gingen wir hinein und sahen uns um. Schon im Eingangsbereich waren die Spuren des Einbruchs zu sehen. Die Schubladen waren ausgezogen und der Inhalt auf dem Boden verstreut worden. In dem sehr großen Wohnzimmer fanden wir die Polstermöbel aufgeschlitzt vor. Zum Teil großformatige Gemälde mit moderner Kunst waren ebenso wie in der Galerie von den Wänden gerissen und achtlos auf dem Boden liegen gelassen worden.
Auf einer der Leinwände war etwas zu sehen, was vielleicht Fußabdrücke waren.
Hinter einem der Bilder war ein weiterer Safe verborgen gewesen, dessen Stahltür weit offen stand. Er war genauso leer wie der Safe in der Galerie.
Nachdem wir alle Räume durchsucht hatten, steckten wir die Dienstwaffen ein. Hier war niemand mehr.
François fand ein Display samt Tastatur, von dem aus die gesamte Überwachungsanlage für die Wohnung die Galerie zu regeln war.
»Abgeschaltet«, stellte François fest.
»Wie praktisch für den Einbrecher.«
»Da es von Basilov keine Spur gibt, müssen wir das Schlimmste befürchten, Pierre.«
»Jedenfalls waren an den Türen keinerlei Spuren für ein gewaltsames Eindringen zu sehen«, gab ich zu bedenken. »Basilov könnte den Täter selbst hereingelassen haben. Der hat ihn dann umgebracht, die Wohnung durchsucht und anschließend die Leiche entsorgt.«
»Warum hat er dann nicht dafür gesorgt, dass der Blutfleck verschwindet?«, fragte ich.
»Gute Frage. Vielleicht wurde er gestört, und es war nicht mehr möglich, noch einmal in die Wohnung zu gehen.«
»Und was könnte der Täter hier gesucht haben?«
»Jedenfalls nicht die moderne russische Kunst, die hier überall hängt. Ich nehme an, es war der Inhalt der Safes.«
»Was könnte da drin gewesen sein?«
»Wenn unser Kollege Marcel Duval mit seiner Hypothese Recht hat und Basilov auf einer Säuberungsliste der Kunstmafia steht, würde ich sagen, dass nach belastendem Material gesucht wurde.«
Ich ließ den Blick schweifen.
Die zertrümmerte Telefonanlage fiel mir auf. Offenbar sollte es erschwert werden, herauszubekommen, mit wem Basilov zuletzt telefonischen Kontakt hatte. Aber früher oder später würden wir die Verbindungsdaten über die Telefongesellschaft schwarz auf weiß vor uns haben.
Ich streifte mir Latexhandschuhe über.
Die Kollegen des Erkennungsdienstes sehen es im Allgemeinen nicht gerne, wenn sich die Ermittler im Außendienst am Tatort allzu gründlich umsehen. Zu viele Spuren konnten dadurch vernichtet werden. Andererseits war der Zeitfaktor nicht zu unterschätzen, denn der arbeitete grundsätzlich für den Täter. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger wurde es, die Tat aufklären zu können.
Ich betrat einen Raum, der offenbar als Arbeitszimmer diente.
Bücher waren aus Regalen herausgerissen und auf dem Boden verstreut worden. Etwa ein Drittel davon war in russischer Sprache, der Rest auf Französisch und Englisch, einige wenige in Deutsch. Neben ein paar Science-Fiction-Romanen fanden sich dort vor allem Bücher zur Kunstgeschichte und Kataloge mit Werkverzeichnissen. Außerdem Werke zum Steuer- und Bilanzrecht Frankreichs, der Cayman Islands und der Schweiz.
Die Schubladen des Schreibtischs lagen umgedreht auf dem Boden.
Auf der Holzplatte war ein Abdruck zu sehen, der dafür sprach, dass hier noch vor Kurzem ein Computer gestanden hatte. Die Täter hatten ihn offenbar einfach mitgenommen.
»Eine Leiche und ein Computer sind verschwunden«, stellte ich fest. »Das muss doch jemandem aufgefallen sein, zumal man vor der Haustür nicht parken kann.«
»Das heißt, die Täter haben beides – und wer weiß, was sonst noch – mit dem Aufzug in die Parkgarage der Mieter gebracht. Wahrscheinlich haben sie dort auch ihren Wagen abgestellt, Pierre.«
»Was bedeutet, dass sie in irgendeiner Form registriert gewesen sein müssen, um dort hinein und wieder hinauszukommen!«, zog ich einen meiner Meinung nach logischen Schluss.
François war derselben Ansicht.
»Wir werden mit der Hausverwaltung und dem privaten Sicherheitsdienst sprechen müssen, der für dieses Haus zuständig ist, Pierre.« Mein Kollege schüttelte den Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Da wohnt jemand schon unter einer Adresse, die sicherheitstechnisch mit allen nur erdenklichen Schikanen ausgestattet ist, und dann geschieht so etwas!«
»Jedenfalls scheint der Sicherheitsdienst nichts bemerkt zu haben«, nickte François.
Wir nahmen uns anschließend noch das Schlafzimmer vor.
Sowohl der Inhalt der Kleiderschränke als auch die Utensilien im Bad zeigten, dass hier zumindest zeitweilig auch eine Frau gelebt haben musste.
»Wir werden Madame Masperone danach fragen«, schlug François vor. »Ich würde ja lachen, wenn Basilov gleich gesund und munter zurückkehrt, nach dem er im Café Capute gefrühstückt hat!«
»Den Laden werden wir uns auch noch vornehmen müssen«, kündigte ich an.
François nickte. »Das tun wir, sobald die Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst hier das Terrain übernommen haben.«
Ich hatte damit begonnen, systematisch die Taschen von Basilovs Anzügen zu durchsuchen. Ich fand einen Zettel mit einer Handynummer. »Mal sehen, vielleicht bringt uns das hier ja weiter, François.«
Ich tippte die Nummer in meine Handytastatur und wartete ab. Aber niemand nahm das Gespräch entgegen. »Der Teilnehmer ist vorübergehend nicht erreichbar«, wurde mir mitgeteilt.
Wir kehrten zu Duval zurück.
Unser Kollege deutete auf ein Loch in der Wand.
»Hier hat eine Kugel dringesteckt«, meinte er. »Sie muss durch den Körper Basilovs gegangen sein und ist dann hier gelandet.«
»Der Täter scheint ein Profi gewesen zu sein«, sagte François.
Ich hob die Augenbrauen. »Trotzdem ist es doch seltsam, dass die Kugel in der Wand und die Leiche beseitigt wurden und der Blutfleck nicht. Dafür gibt es einen Grund!«
»Warten wir ab, was die Kollegen dazu sagen!«, schlug François vor.
Nach fünf Minuten trafen Kollegen der Schutzpolizei ein, um den Tatort zu sichern. Nach zwanzig Minuten erreichten unsere Erkennungsdienstler Sami Opporte und Jean-Luc Duprée den Tatort.
Dieser Fall wurde auf Grund der internationalen Dimension mit besonderer Priorität behandelt. Aus diesem Grund sollten die Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst von unseren eigenen Erkennungsdienstlern unterstützt werden. Die Beamten des zentralen Marseiller Erkennungsdienstes hatten im Übrigen ihre Labors am Stadtrand und brauchten um diese Zeit entsprechend lange, um den Tatort zu erreichen. Wir rechneten erst eine Dreiviertelstunde später mit ihnen.
In der Zwischenzeit unterhielten wir uns noch einmal mit Florentine Masperone.
»Wir haben Anzeichen dafür gefunden, dass Monsieur Basilov mit einer Frau zusammengewohnt hat«, eröffnete ich ihr. »Was wissen Sie darüber?«
»Eigentlich lebte Monsieur Basilov immer sehr zurückgezogen«, erklärte sie. »Aber vor zwei Monaten zog eine junge Frau bei ihm ein. Ich schätze, sie war halb so alt wie er. Mitte zwanzig, schwarzes Haar, zierlich und immer elegant gekleidet.«
»Wissen Sie ihren Namen?«
»Er nannte sie Nora. Mehr weiß ich nicht.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
Florentine Masperone wirkte nachdenklich. »Ehrlich gesagt, das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe, war, kurz bevor Monsieur Basilov zuletzt verreist ist.«
»Wann war das?«
»Vor anderthalb Wochen. Ich glaube, er sagte etwas von St. Peter Ording. Liegt an der Nordsee in Deutschland, glaube ich. Da würde ich gerne sein. Bestimmt schön kühl da. Monsieur Basilov ist dort öfter hingeflogen.«
»Meinen Sie wirklich St. Peter Ording?«, fragte ich.
»Was weiß ich?«
»Könnte es sein, dass er nach St. Petersburg in Russland geflogen ist?«, mischte sich François ein.
Florentine Masperone wirkte etwas ratlos. »Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen«, gestand sie.
»Hat Basilov irgendwann mal geäußert, dass er sich bedroht fühlt?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben kaum miteinander gesprochen. Monsieur Basilov war immer sehr höflich, aber er hat nie viel mit mir geredet.«
»Hatte er Angestellte in seiner Galerie?«, fragte ich.
»Ja, einen Mann namens Antoine Thuppoire. Aber der war nicht fest angestellt. Monsieur Basilov hat ihn immer dann angeheuert, wenn es viel zu tun gab.«
Ich wandte mich an Duval. »Sagt Ihnen der Name Thuppoire etwas, Marcel?«
»Nein, aber es würde mich nicht wundern, wenn er irgendwie aus der Szene kommen würde und wir bereits etwas über ihn im Archiv hätten. Ich werde das mal überprüfen.«
»Monsieur Thuppoire wird heute sicher noch auftauchen«, glaubte Madame Masperone. »Der schöne Antoine …« Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »In einer halben Stunde öffnet die Galerie. Eigentlich müsste er jetzt sogar schon hier sein – aber ich weiß natürlich nicht, was Monsieur Basilov für Abmachungen mit ihm getroffen hat.« Sie seufzte hörbar und fuhr fort: »Glauben Sie, es besteht noch eine Chance, dass Monsieur Basilov nicht umgebracht sondern vielleicht nur entführt wurde?«
»Beim gegenwärtigen Stand der Ermittlungen möchte ich da keine Spekulationen in die Welt setzen, Madame Masperone«, antwortete ich ausweichend.
»Das verstehe ich«, murmelte sie tonlos.
Sie schluckte und schüttelte stumm den Kopf.
9
Später befragten François und ich die Angestellten des Sicherheitsdienstes, der für die Sicherheit im Haus verantwortlich war.
Pro Schicht waren drei Wachmänner im Einsatz. Sie überwachten von einem Kontrollraum aus die zu den Kameras gehörenden Monitore und gingen rund um die Uhr regelmäßig auf Patrouille.
»Für ein mit zehn Stockwerken ziemlich winziges Haus sind wir hervorragend besetzt«, meinte Charles Reevers, der gerade diensthabende Schichtführer, als wir ihn im Kontrollraum aufsuchten.
Seine beiden Kollegen wirkten etwas reserviert, aber Reevers war sehr auskunftsfreudig.
»Trotzdem ist bei Monsieur Basilov eingebrochen worden, und wir haben Grund zu der Annahme, dass er einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist«, gab ich zu bedenken.
Reevers runzelte die Stirn.
Er wechselte kurz einen Blick mit seinen Kollegen und erklärte dann: »Monsieur Basilov war immer ein problematischer Hausbewohner für uns.«
»Wie meinen Sie das?«
»Zunächst einmal, weil er viele Sonderregelungen für sich beansprucht hat, die es nicht gerade erleichtert haben, für seine Sicherheit zu sorgen.«
»Was waren das für Sonderregelungen?«
»Er beharrte darauf, das gesamte Überwachungssystem für seinen Teil des Hauses autonom abschalten zu können – was er relativ häufig getan hat.«
»Hat er das begründet?«
»Ja, er meinte der Kunsthandel, den er betreiben würde, wäre ein sensibles Geschäft, und er hätte manchmal sehr zahlungskräftige Kundschaft, die keinen Wert darauf legt, gefilmt zu werden. Dass wir Aufnahmen, die wir in den Fluren und im Eingangsbereich aufzeichnen, alle zwei Wochen vernichten, schien ihm nicht auszureichen.« Reevers zuckte mit den breiten Schultern. Das schwarze Uniformhemd spannte sich um die kräftigen Bizeps, als er die Arme vor der Brust verschränkte. »Wann ist das Verbrechen geschehen?«
»Wahrscheinlich in dieser Nacht, aber genau lässt sich das wohl erst sagen, wenn die Erkennungsdienstler ihren Job gemacht haben«, erläuterte François. »Hoffe ich jedenfalls.«
»Gestern am frühen Abend wurde die Überwachungsanlage für seinen Teil des Hauses abgeschaltet«, erklärte Reevers. »Wahrscheinlich hatte er wieder eine exklusive Vorführung irgendwelcher Kunstobjekte für genauso exklusive Kunden. Also keine öffentliche Veranstaltung oder so etwas. Sie müssten mal mit diesem Typen sprechen, den er angestellt hatte. Der kann Ihnen bestimmt mehr darüber sagen.«
»Antoine Thuppoire?«, vergewisserte ich mich.
»Ja, das ist sein Name. Er hat einen Schlüssel zum Haus und zur Galerie. Außerdem einen Parkplatz in der Tiefgarage, genau wie Basilov selbst.«
»Wir brauchen die Adresse von diesem Thuppoire.«
»Steht in seinen Unterlagen. Warten Sie, ich suche Ihnen das heraus. Ich habe sogar Fingerabdrücke von ihm, sonst hätte er weder die Schlüssel noch den Parkplatz bekommen. Das ist eine Auflage der Eigentümergemeinschaft, der dieses Haus gehört. Schließlich soll hier nicht jeder nach Belieben ein- und ausgehen können!«
»Wunderbar!«, freute ich mich. »Dann händigen Sie uns doch bitte alle Unterlagen aus, die Sie über Thuppoire haben!«
Reevers erhob sich von seinem Platz, ging an einen Aktenschrank und holte eine Mappe hervor.
»Das hier ist das Original. Aber wir haben das Ganze auch als Datensatz. Wenn Sie mir Ihre Email-Adresse geben, kann ich Ihnen das gerne auf den Rechner schicken!«
»Gerne.«
»Ich muss vorher nur kurz mal mit meinem Chef telefonieren und fragen, ob das okay ist. Aber im Prinzip kann ich mir nicht vorstellen, dass er sich querlegt, wenn es darum geht, Hilfe zu leisten!« Er verzog das Gesicht. »Schließlich kämpfen wir doch auf derselben Seite, wie ich meine!«
»Wir hätten dann trotzdem noch gerne Ihre Videoaufzeichnungen der letzten zwei Wochen«, mischte sich François ein. »Es könnte ja sein, dass jemand, der als Täter in Frage kommt, Monsieur Basilov bereits früher einmal besucht hat.«
Reevers nickte. »In Ordnung.«
Ich erkundigte mich anschließend nach der Tiefgarage. »Sie hat zwei Decks und ist eigentlich für das Haus etwas überdimensioniert. Aber es war wohl von Anfang an so konzipiert, dass Leute, die ein Heidengeld für eine Wohnung in diesem Haus bezahlen, sich keine Gedanken darüber machen müssen, ob sie Platz für den Wagen finden – und zwar selbst dann, wenn mehrere oder sehr sperrige Autos vorhanden sind. Monsieur Basilov zum Beispiel besaß einen Lamborghini und einen etwas unscheinbaren Chevrolet …«
Ich schrieb mir Stellplatznummer und die Kennzeichen der beiden Fahrzeuge auf – so wie ich mir auch notierte, wo Thuppoire seinen Wagen abzustellen pflegte.
»Ich nehme an, dass die Überwachung des Parkdecks lückenlos war«, vermutete ich. »Oder hatte Monsieur Basilov da auch Sonderregelungen?«
Reevers lächelte dünn.
»Ich glaube kaum, dass er so etwas gegen die anderen Eigentümer hätte durchsetzen können. Die haben ihn ohnehin alle für einen Spinner gehalten. Beliebt war er nun wirklich nicht. Schon deshalb, weil immer wieder Kleinlastwagen völlig verkehrswidrig vor seinem separaten Eingang zum Be- und Entladen hielten. Ob er dafür wirklich eine Sondergenehmigung der Schutzpolizei hatte, weiß ich nicht, aber mir ist bekannt, dass das einige andere Hausbewohner ziemlich aufgebracht hat.«
Einer von Reevers Kollegen schaltete einen Computerschirm ein und schaltete den Bildausschnitt von einer der Überwachungskameras um.
»Einer von Basilovs Wagen fehlt«, stellte er fest. »Es ist der Chevrolet. Er hat die dazugehörige Chipkarte genau um vier Uhr dreißig heute morgen benutzt.«
»Könnte man feststellen, ob sich Basilov wirklich in seinem Wagen befand?«, fragte François.
»Sicher. Dauert aber ein bisschen.«
»Macht nichts«, sagte ich. »Das könnte uns eventuell weiterbringen. Und vielleicht stellen Sie dann auch gleich mal fest, wann Antoine Thuppoire zuletzt im Gebäude gewesen ist.«
»In Ordnung«, nickte der Wachmann, an dessen Uniformhemd der Name Valentin E. Sopolle in Großbuchstaben aufgebügelt war.
Es dauerte eine Weile, bis Sopolle die richtigen Stellen in den Aufzeichnungen herausgesucht hatte. Es war auf dem Bildschirm deutlich zu sehen, wie Antoine Thuppoire am Vortag gegen Mittag mit seinem Wagen in die Tiefgarage gefahren war. Erst nach Mitternacht hatte er sie wieder verlassen.
»Wahrscheinlich war da diese Privatvorführung für irgendwelche erlesenen Kunden zu Ende«, meinte François.
Anschließend zeigte uns Sopolle die Szenen, in denen man sehen konnte, wie Basilovs Audi am Morgen um 4.30 Uhr die Tiefgarage verließ.
»Können Sie die den Fahrer näher heranzoomen?«, fragte ich.
»Sicher«, nickte Sopolle.
Er vergrößerte den Bildausschnitt, der den Mann hinter dem Steuer des Audis zeigte. Aber mehr als ein gepixelter Schatten war dort nicht zu sehen.
»Wer sollte das denn sonst sein – außer Basilov?«, fragte Reevers.
Ich zuckte mit den Schultern. »Wir sind uns nicht sicher, ob Basilov zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch am Leben war. Den Wagen könnte auch sein Mörder benutzt haben.«
Wir ließen uns noch den Blick auf Basilovs Parklatz zeigen.
Allerdings versperrten ein Pfeiler sowie ein paar andere Fahrzeuge den Blick. So war auch nicht zu sehen, wer den Wagen bestiegen hatte und ob der Betreffende vielleicht noch eine Leiche im Kofferraum verstaute.
»Noch eine letzte Frage«, wandte ich mich an Reevers. »Vor zwei Monaten soll eine gewisse Nora bei Basilov eingezogen sein. Hatte sie zufälligerweise auch eine Chipcard für die Tiefgarage?«
Reevers schüttelte den Kopf. »Nein. Sie ist bei uns nicht bekannt. Basilov war Eigentümer seiner Wohnung. Der konnte dort wohnen lassen, wen er wollte.«
»Offenbar hatte die Lady keinen eigenen Wagen«, kommentierte François.
10
»Wenn du mich fragst, dann passt das alles überhaupt nicht zusammen«, meinte François, während wir mit dem Lift zurück in die Galerie im Erdgeschoss fuhren. »Basilov fährt mit seinem eigenen Wagen am frühen Morgen aus der Tiefgarage, obwohl er in seiner Wohnung ermordet wurde?«
»Wir wissen nicht, wer am Steuer des Autos saß«, erinnerte ich François.
»Gut, gehen wir davon aus, dass es der Mörder war, der am Steuer saß. Er veranlasst Basilov, ihm die Tür aufzumachen …«
»Das heißt, er muss Basilov bekannt gewesen sein, François!«
»Nicht unbedingt. Eine Automatik mit Schalldämpfer könnte auch ein überzeugendes Argument gewesen sein! Und sag jetzt nicht, dass er um seines Gastes willen die Alarmanlage ausgeschaltet hat! Die hat er einfach nur vergessen, weil am Vorabend doch eine dieser mysteriösen Präsentationen gewesen ist, deren Gäste so lichtscheu sind, dass sie nicht von einer Überwachungskamera aufgezeichnet werden wollen.«
»Wie auch immer. Es kommt zum Streit, vielleicht auch zum Kampf«, sagte ich. »Der Schuss in der Galerie ist eine Tatsache. Basilov bekommt eine Kugel ab, und der Killer durchsucht das ganze Haus nach belastendem Material! Aber ein unbekannter Profi hätte Basilov schon an der Tür erschossen. Also muss es doch ein Bekannter gewesen sein.«
»Okay, ich gebe zu, dass sie offenbar noch eine ganze Weile miteinander geredet haben, Pierre. Vielleicht wollte der Killer zuerst noch Informationen aus Basilov herausholen.«
Ich atmete tief durch »Vielleicht sollten wir das Ganze mal umgekehrt durchdenken, François.«
»Wie meinst du das?«
»Na, wir gehen doch bis jetzt immer davon aus, dass Basilov das Opfer war. Wie funktioniert das denn, wenn er der Täter ist?«
»Komm schon, das ist nicht dein Ernst, Pierre!«
»Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die Blutanalyse.«
Als wir in der Galerie ankamen, war Marcel Duval bereits vom Café Capute zurückgekehrt.
Basilov hatte dort tatsächlich jeden Morgen sein Frühstück eingenommen, wie Duval uns berichtete. In der Zeit vor seiner letzten Reise nach Russland war dabei oft eine junge Frau zugegen gewesen. »Basilov wurde gestern zum letzten Mal im Café Capute gesehen«, berichtete Duval. »Und zwar zusammen mit einem Mann, der ein ziemlich auffälliges Äußeres hatte: kaum einen Meter sechzig groß, fast kein Hals, breites Gesicht und grauer Cäsar-Schnitt. Er trug einen blauen Blazer und sprach mit sehr hartem, ausländischem Akzent.«
»Ein Russe?«, fragte François.
»Möglich. Die Leute in dem Café waren sich leider nicht sicher. Tatsache ist, dass das Arbeitsfrühstück der beiden mit einem lautstarken Krach endete! Basilov blieb allein zurück.«
»Wir müssen unbedingt mit dem Zwergen-Cäsar sprechen!«, stellte ich klar.
Duval nickte. »Deswegen habe ich auch bereits in Ihrem Präsidium angerufen. Sie verfügen da über einen exzellenten Zeichner …«
»Perouche!«, schloss ich.
»Genau. Er begibt sich mit seinem Laptop zum Café Capute und fertigt aus den Angaben der Angestellten ein Phantombild. Vielleicht finden wir ihn dann.« Duval blickte auf die Uhr. »Sie beide waren ja eine Weile weg, und da habe ich die Zeit genutzt, um den Kerl zu überprüfen, den Basilov in der Galerie angestellt hatte.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Antoine Thuppoire?«
Er nickte. »Genau. Über den Kerl gibt es eine Datei, die man über unser Datenverbundsystem einsehen kann. Mehrere Verurteilungen wegen Hehlerei stehen auf seinem Kerbholz.«
»Das ist interessant.«
»Noch interessanter ist, worum es dabei ging, Pierre. Sie werden es nicht glauben: Er hatte sich auf illegale Kunstgegenstände spezialisiert. Allerdings war er damals noch auf Kunst aus Südostasien versessen.«
»Vielleicht liefen Basilovs Verbindungen zur Kunstmafia über diesen Thuppoire«, vermutete ich.
Duvals Gedanken schienen sich in dieselbe Richtung zu bewegen. »Das liegt meiner Ansicht nach nahe.«
11
Wir befragten noch systematisch die anderen Bewohner des Hauses. Die meisten waren um diese Zeit zur Arbeit, und so würden wir wahrscheinlich noch einmal zurückkommen müssen.
Ein Siebzigjähriger, der seine Wohnung im fünften Stock hatte, beschwerte sich darüber, dass gegen vier Uhr dreißig morgens ein Transporter mit laufendem Motor vor der Galerie gestanden hatte.
»Ich habe einen leichten Schlaf und war deswegen ziemlich sauer«, meinte der Zeuge.
Er hieß Thomé Meggier und war ein ehemaliger Börsenmakler, der sich zur Ruhe gesetzt hatte. Allerdings verfolgte er die aktuellen Kurse immer noch rund um die Uhr online und spekulierte wohl auch in gewissem Rahmen mit seinen Ersparnissen. Zumindest verfolgte er auf drei verschiedenen Monitoren die Kursstände der Börsen London, Frankfurt, New York und Tokio. »Ich kann es halt nicht lassen«, meinte er dazu schulterzuckend. »Viel Schlaf brauche ich glücklicherweise nicht.«
»Können Sie uns über diesen Transporter noch irgendwelche Einzelheiten sagen?«
»Es war ein Mercedes, da bin ich mir sicher. Ich bin auf den Balkon gegangen und habe hinuntergeschaut. Wissen Sie, dass bei dieser Galerie des Öfteren mal etwas angeliefert wird, bin ich ja gewöhnt. Aber das geschieht dann tagsüber. Manchmal kommt es zu einem kleinen Stau bis zur Ausfahrt der Tiefgarage, was viele Hausbewohner sehr aufgebracht hat.«
»Sie nicht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich benutze meinen Wagen kaum noch. Der Verkehr im Großraum Marseille ist mir einfach zu hektisch geworden.«
»Haben Sie gesehen, was aus- oder eingeladen wurde?«, mischte sich François in das Gespräch ein.
Er nickte heftig.
»Ja. Es handelte sich um ein paar Kisten und einen Teppich. Es waren drei Mann, die das Zeug aus der Galerie holten, einluden, und dann ab damit. Das ging sehr schnell und hektisch.«
»War dies einer der drei?«, fragte ich und zeigte ihm ein Bild von Antoine Thuppoire.
»Nein. Das ist der Kerl, den Basilov für die Galerie angestellt hat, den kenne ich! Ich glaube, er heißt Thuppoire. Sein Parkplatz liegt in der Tiefgarage neben meinem. Wissen Sie, ich benutze meinen Wagen zwar kaum noch, aber wenn jemand einen Kratzer dran macht, möchte ich wissen, wer das war. Deswegen habe ich mich erkundigt. Ich finde es übrigens nicht in Ordnung, dass hier Leute Parkplätze bekommen, die gar nicht im Haus wohnen! Aber wenn Monsieur Basilov das will, gelten offenbar die Beschlüsse unserer Eigentümerversammlung nicht mehr! Ich habe keine Ahnung, wie er das dreht, aber in Ordnung ist das nicht!«
»Können Sie die Männer beschreiben?«, versuchte ich das Gespräch wieder auf den Punkt zu bringen.
»Die waren so um die dreißig Jahre alt. Einer hatte einen Vollbart, ein anderer war blond. Der dritte war etwas größer als die beiden anderen und hatte gelocktes Haar.«
Ich telefonierte kurz mit unserem Kollegen Perouche, damit er nach seinem Besuch beim Café Capute auch noch bei Thomé Meggier vorbeischaute.
Wir hatten Meggiers Wohnung gerade verlassen, als uns ein Anruf aus dem Präsidium erreichte. Unser Kollege Maxime Valois meldete sich. Ich schaltete das Handy auf laut.
»Dieser Markov hat sich gemeldet. Er ist am Flughafen und hätte gerne, dass Monsieur Duval ihn abholt.«
»Okay«, nickte Marcel Duval.
»In Ordnung«, meinte Maxime. »Markov sitzt im Café Numéro une. Das ist im …«
»Ich kenne es«, schnitt Duval ihm das Wort ab.
»Sie sollen sich dort einfach irgendwo hinsetzen. Markov wird Sie dort ansprechen.«
»Gut.«
Das Gespräch wurde unterbrochen.
»Dieser Markov kennt Sie?«, fragte ich etwas verwundert.
»Ja, wir sind uns vor zwei Jahren auf einer internationalen Tagung in Budapest über die Bekämpfung des illegalen Kunsthandels begegnet. Ein guter Mann.«
»Aber offenbar sehr misstrauisch.«
Duval lachte auf. »Was glauben Sie, was da zur Zeit in St. Petersburg so los ist? Leute wie Markov sind doch ständig Zielscheiben der Kunstmafia. Den Mann, der vorher auf Markovs Posten war, fand man als Wasserleiche in der Newa. Er hat allen Grund, vorsichtig zu sein.«
François und ich wechselten einen kurzen Blick. »Okay, dann trennen sich unsere Wege hier erst mal. Wir werden zu Antoine Thuppoire fahren und ihm ein paar Fragen stellen.«
Marcel Duval grinste.
»Viel Glück dabei.«
12
Antoine Thuppoire blickte kurz auf die Papiere und Flugtickets. Ein neuer Name und ein neues Leben. Der Name, unter dem das Wirklichkeit werden sollte, war James Smith, südafrikanischer Staatsangehöriger.
Ganz so fantasielos hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt!, ging es ihm durch den Kopf.
Er hörte Schritte. Nackte Füße auf dem Parkettboden. Seine Freundin Edda kam aus der Dusche. Sie trug einen Frotteemantel und ein Handtuch, das wie ein Turban um ihren Kopf gewickelt war.
Bevor sie etwas von den Papieren sehen konnte, ließ Antoine Thuppoire sie in der Jackettinnentasche verschwinden. Er hatte keine Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten. Und gefragt hätte Edda mit Sicherheit!
Sie blickte auf den Koffer, in den er ein paar Hemden, ein Jackett und eine zweite Hose gelegt hatte.
»Du willst weg?«
»Ich muss.«
»Davon hast du mir noch gar nichts gesagt.«
»Habe ich wohl vergessen.«
»Wieso denn jetzt so plötzlich?«
»Geschäftlicher Termin in Toronto. Du weißt doch, dass bei Monsieur Basilov diese Dinge manchmal Hals über Kopf gehen.«
»Dann arbeite doch für jemand anders als für diesen schmierigen Typen. Ehrlich gesagt, mochte ich ihn von Anfang an nicht.«
Thuppoire schloss den Koffer.
»Findest du nicht, dass die Sachen, die du da eingepackt hast, für Toronto ein bisschen zu sommerlich wirken?«
Antoine Thuppoires Ton wurde schärfer. »Herrgott noch mal, was machst du jetzt für einen Aufstand? Ich muss ein paar Tage weg, das ist alles! Eigentlich dachte ich, du hättest dich langsam daran gewöhnt!«
Das Telefon klingelte.
Thuppoire nahm ab.
»Ja?«
Keine Antwort. Es klickte in der Leitung. Thuppoire legte wieder auf. Eine tiefe Furche erschien auf seiner Stirn.
Edda stemmte die Arme in die Hüften
»Wer war das?«, wollte sie wissen.
»Niemand …«
»Hör mal, ich glaube fast, du tanzt noch irgendwo auf einer anderen Hochzeit! Erzählst mir da irgendwelche Geschichten über Geschäfte in Toronto oder so einen Mist und packst Sachen ein, die dazu nicht passen!«
»Edda …«
»Ich habe schon länger den Eindruck, dass du da irgendwo noch etwas anderes laufen hast!«
»Das ist Unsinn!«
»Besser, du sagst es mir offen und ehrlich, statt dieses feige Versteckspiel weiter zu treiben!«
»Edda, mein Flieger wartet nicht!«
»Du kannst mir noch nicht einmal gerade in die Augen sehen, Antoine!«
»Vielleicht können wir ein anderes Mal in Ruhe darüber reden …«
In diesem Augenblick klingelte es am Eingang. Edda ging zur Tür des geräumigen Ein-Zimmer-Apartments.
»Wer ist da?«, fragte sie über die Sprechanlage, ehe Antoine Thuppoire es verhindern konnte.
Eine sonore Stimme meldete sich. »Paketservice. Ich habe eine Sendung für Sie.«
Edda öffnete die Tür.
Ein Mann in einer bis über die Hüfte gehenden, taillierten Lederjacke und dazu passenden Lederstiefeln stand auf dem Flur. Eine dunkle Strickmütze bedeckte fast die gesamte Stirn.
Der Mann in Leder blickte an Edda vorbei in Antoine Thuppoires Richtung und griff unter seine Jacke. Edda sprang zurück, während eine Automatik mit Schalldämpfer unter der Lederjacke hervorgezogen wurde.
Thuppoire griff unter sein Jackett und riss einen kurzläufigen Revolver hervor.
Aber er kam nicht mehr zum Schuss.
Zweimal kurz hintereinander ertönte ein Geräusch wie bei einem heftigen Niesen. Das Mündungsfeuer leckte blutrot aus dem Schalldämpfer heraus. Thuppoire zuckte und sackte erst auf die Knie, ehe er mit dem Gesicht nach vorn zu Boden fiel.
Edda wich zurück und schrie.
Der Mann in Leder richtete seine Waffe auf sie und drückte noch einmal ab. Getroffen sank sie zu Boden und blieb regungslos liegen. Blut sickerte aus einer Schusswunde an ihrem Kopf.
Der Killer trat in die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und sah sich um.
Ein zynisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
Für jemanden, der in den letzten Jahren so gute Geschäfte gemacht hat, hast du aber ziemlich stillos gelebt, Antoine Thuppoire!, dachte er grinsend
13
François und ich parkten vor einem Altbau. Antoine Thuppoires Apartment lag im vierten Stock.
Das Haus war gepflegt, verfügte aber über keinerlei besonderen Luxus und auch nicht über besondere Sicherheitstechnik. Die Mieten waren in dieser Gegend aber auf Grund der zentralen Lage trotzdem gepfeffert.
Wir klingelten nicht bei Thuppoire sondern bei einem der anderen Mieter, der uns hereinließ, nachdem wir uns mündlich als FoPoCri-Beamte vorgestellt hatten.
Mit dem Lift ging es dann hinauf in den vierten Stock.
Wenig später standen wir vor Thuppoires Tür. Aus der Wohnung waren Geräusche zu hören.
»Das hört sich an, als würde dort jemand einen Umzug beginnen!«, meinte François und drückte auf die Klingel.
Die Geräusche verstummten.
Nichts geschah.
Wir postierten uns rechts und links der Tür, die Hand an der Dienstwaffe.
»Monsieur Thuppoire, hier spricht die Polizei! Bitte machen Sie die Tür auf! Wir müssen dringend mit Ihnen sprechen!«
Im nächsten Moment folgten fünf kurz hintereinander abgegebene Schüsse. Die großkalibrigen Projektile stanzten daumengroße Löcher in die Tür.
Anschließend waren auf der anderen Seite schnelle Schritte zu hören.
Ich schnellte vor, zog die Dienstwaffe vom Typ SIG Sauer P226 und stürmte los.
Zwei Schritte weit kam ich.
Dicke, blassgrüne Schwaden zogen mir entgegen, die die Augen tränen ließen.
Der Nebel war so dicht, dass ich kaum etwas sehen konnte.
Nur eine schattenhafte Gestalt. Ein Mündungsfeuer blitzte durch den Nebel hindurch.
Kein Schussgeräusch.
Die Kugel zischte dicht an mir vorbei. Ich feuerte zurück ins Nichts hinein. Das Geräusch einer zerspringenden Fensterscheibe war zu hören.
Dann war die Gestalt verschwunden.
Ich kämpfte mich durch den beißenden Nebel und presste mir dabei mein Taschentuch vor die Nase.
Ein paar Schritte vor mir lag dir Leiche einer jungen Frau.
»Zurück, Pierre!«, rief François – und er hatte Recht.
Ich taumelte zurück zur Tür und hustete erbärmlich. Brechreiz machte sich bemerkbar. Wer diese Wolke durchquerte, war anschießend kampfunfähig.
François klingelte inzwischen an der Tür der Nachbarwohnung und klopfte heftig gegen die Tür. »Polizei! Machen Sie die Tür auf!«
Ich erholte mich unterdessen einigermaßen.
Ein Mann von Mitte vierzig öffnete die Tür der Nachbarwohnung.
»Was wollen Sie?«
»Gehen Sie zur Seite!«, forderte François und hielt ihm seinen Dienstausweis unter die Nase. »Wir müssen durch Ihre Wohnung.«
»Aber …«
»Gibt auf Ihrer Seite des Hauses eine Feuertreppe?«
»Ja.«
»Außen angebracht?«
»Ja. Ein zweiter Fluchtweg ist für ein Gebäude wie dieses Vorschrift. Da im Innenbereich kein Platz ist, um …«
»Dachte ich mir!«, unterbrach ich ihn.
François stürmte voran. Ich schnellte hinterher. Der Wohnungsbesitzer, an dessen Tür der Name Professor Dr. Rainier Luis Brume stand, sah uns verdutzt hinterher.
Mit schnellen Schritten war François durch die Ein-Zimmer-Wohnung geeilt und hatte die Balkontür erreicht. Ich war ihm dicht auf den Fersen. François öffnete die Tür, und wir traten ins Freie.
Aus Thuppoires Wohnung quollen blassgrüne Tränengasschwaden.
»Das ist aber ein anderes Zeug als unsere Kollegen von der Schutzpolizei verwenden«, meinte François.
»Aber mindestens genauso wirksam!«, gab ich zurück und versuchte den Drang zu unterdrücken, mir die Augen zu reiben.
Ich ließ den Blick schweifen.
Die Fluchttreppe war von Thuppoires Balkon aus gut zu erreichen.
Über sie war der Täter vermutlich geflüchtet.
Vor uns lag ein Hinterhof, der von mehrstöckigen Gebäuden umgeben war. Offenbar sollte der gesamte Komplex gründlich saniert werden. Das Gebäude auf der Rechten war eine entkernte Ruine ohne Fenster. Offenbar wurde das Haus gerade abrissfertig gemacht. Auf der Linken war bereits ein acht Stockwerke hoher Rohbau zu sehen, der zeigte, wie sich die Eigentümer die Zukunft vorstellten.
Die Arbeiten ruhten zur Zeit. Wie ich später erfuhr, gab es Unstimmigkeiten über die Zahlung einiger Zwischenrechnungen.
Der Asphalt auf dem Mittelplatz war von feinem Zementstaub bedeckt. Der Wind wehte ihn aus dem Neubau, sodass eine feine Schicht davon auch die Baumaschinen und den Kran der Abrissbirne bedeckte.
Frische Fußspuren fanden sich dort – gleich im Anschluss an das Ende der Feuertreppe.
Leider verloren sie sich bereits nach wenigen Schritten.
François telefonierte mit unserem Präsidium. Ich überkletterte inzwischen die Balkonbrüstung und machte einen Satz, sodass ich auf dem nächsten Absatz der Feuertreppe landete.
»Warte, Pierre!«, rief François.
Aber ich dachte gar nicht daran.
Der Kerl, den ich gesehen hatte, konnte sich schließlich nicht in Luft auflösen.
Die Einfahrt zum Hinterhof war mit einem drei Meter hohen Zaun aus Stahlgitter gesperrt.
Dass der Schatten es innerhalb der kurzen Zeit geschafft hatte, diesen Zaun zu überklettern, schien mir sehr unwahrscheinlich.
Vielleicht hatte er versucht, über das Abbruchhaus oder den Rohbau zu entkommen.
Es war anzunehmen, dass die jeweiligen Baustellen zur Straßenseite ebenfalls stark gesichert waren.
Schon deshalb, weil es keine Baufirma und kein Bauherr riskieren konnte, unter Umständen millionenschwere Schmerzensgelder zahlen zu müssen, wenn sich dort irgendein Passant verletzte.
Vielleicht steckte der Schatten also noch ganz in der Nähe, verbarg sich einfach irgendwo und hoffte darauf, dass wir ihn bereits aufgegeben hatten.
Ich rannte mit Riesenschritten die Fluchttreppe hinunter.
In den Augen brannte es immer noch höllisch, und ich hatte gleichzeitig ein Gefühl, als wollte mir jemand die oberen Atemwege ohne Betäubung aus dem Leib reißen. Aber ich biss die Zähne zusammen.
Unten angekommen verharrte ich für einen kurzen Moment neben einem übervollen Müllcontainer. Dort hatte ich zumindest etwas Deckung.
Die Spur verlor sich, zeigte aber für meinen Geschmack eindeutig in Richtung des Abbruchhauses. Ich beobachtete sorgfältig die Fenster, achtete dort auf jede Bewegung, jede Kleinigkeit …
Aber da schien niemand zu sein.
Mit der Pistole in beiden Händen stürmte ich voran. Einige Meter ohne Deckung musste ich überwinden, ehe ich einen etwa zwei Meter fünfzig hohen Schuttcontainer erreichen konnte.
Kurz bevor ich die Deckung erreichte, tanzte der feine, kaum sichtbare Strahl einer Laserzielerfassung durch die Luft und brach sich im aufgewirbeltem Staub.
Ich wartete nicht, bis mein Gegner mich perfekt im Visier hatte.
Stattdessen hechtete ich zu Boden und rollte um die eigene Achse über den Boden.
Der Schatten entschloss sich eine Sekunde zu spät zum Schuss. Die kurz nacheinander abgefeuerten Kugeln krachten in den Asphalt und stanzten dort Löcher hinein, deren Tiefe der Länge eines Zeigefingers entsprach.
Im nächsten Moment hatte ich den Schutz des Schuttcontainers erreicht. Ein Projektil kratzte pfeifend über der oberen Metallkante.
François feuerte unterdessen von einem der Absätze der Fluchttreppe aus auf das Fenster, wo sich der Schatten verborgen hielt.
Inzwischen waren in der Ferne bereits die Sirenen der Schutzpolizei und der Feuerwehr zu hören, die François ebenfalls alarmiert hatte.
Ich tauchte aus der Deckung hervor, richtete die Waffe empor und hielt sie auf das Fenster, aus dem auf mich geschossen worden war.
Aber der Schütze hatte sich von dort offenbar inzwischen zurückgezogen.
Ich rannte in geduckter Haltung auf das Haus zu. François gab mir dabei von seiner Position aus Feuerschutz.
Wenige Augenblicke später erreichte ich die Wand und schwang mich dann im Erdgeschoss durch ein Fenster ins Innere. Mit der SIG im Anschlag schlich ich voran und versuchte, keinen Laut zu verursachen.