Die verborgenen Spielregeln des Universums - Michael Harder - E-Book

Die verborgenen Spielregeln des Universums E-Book

Michael Harder

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Beschreibung

Was ist Leben? Welche Spielregeln hat die Natur für unsere Welt und unser Leben vorgesehen? Und was hat das mit all den Krisen zu tun, die wir gerade erleben? In seiner Suche stößt der Autor auf die vier Gesetze der Zeit, mit denen gleichzeitig ein grundlegender Dualismus offen in Erscheinung tritt. Es ist der Dualismus von Ordnung und Chaos, der in eine Welt führt, in der Logik und Beweisbarkeit in den Hintergrund treten. Es sind nun ganz andere, nämlich die Spielregeln der komplexen Systeme, um die die Physik gerne einen großen Bogen macht, die aber den Lauf und die Lebendigkeit der Welt und damit unser aller Leben bestimmen und prägen. Und erst, wenn wir endlich diese Spielregeln der Natur erkennen und akzeptieren, werden wir die Krisen und die Komplexität der modernen Welt meistern können. Denn genau darum geht es jetzt: wenn wir unsere Art des Lebens erhalten wollen, müssen wir dringend herausfinden, wie die Welt wirklich funktioniert.

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Zu diesem Buch:

Spiele bestehen in der Regel aus zwei Dingen, aus der „Hardware“ wie Spielkarten oder dem Spielplan mit den Spielsteinen und aus der „Software“, den Spielregeln. Nachdem der Wissenschaftler Dr. Michael Harder im Band I dieser Reihe „Die verborgenen Spielregeln des Universums“ mit der Weiterentwicklung von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie eine neue Sicht auf die Hardware der Welt formuliert hat, geht es in diesem Band II nun um etwas noch Wichtigeres, es geht nun um unser reales Leben auf diesem Planeten und um die Gesetze, die es bestimmen.

Was ist also Leben? Welche Spielregeln hat die Natur für unsere Welt und unser Leben vorgesehen? Und was hat das mit all den Krisen zu tun, die wir gerade erleben?

In seiner Suche stößt der Autor auf die vier Gesetze der Zeit, mit denen gleichzeitig ein grundlegender Dualismus offen in Erscheinung tritt. Es ist der Dualismus von Ordnung und Chaos, der in eine Welt führt, in der Logik und Beweisbarkeit in den Hintergrund treten. Es sind nun ganz andere, nämlich die Spielregeln der komplexen Systeme, um die die Physik gerne einen großen Bogen macht, die aber den Lauf und die Lebendigkeit der Welt und damit unser aller Leben bestimmen und prägen. Und erst, wenn wir endlich diese Spielregeln der Natur erkennen und akzeptieren, werden wir die Krisen und die Komplexität der modernen Welt meistern können.

Denn genau darum geht es jetzt: wenn wir unsere Art des Lebens erhalten wollen, müssen wir dringend herausfinden, wie die Welt wirklich funktioniert.

Zum Autor:

Der Naturwissenschaftler Dr. Michael Harder gehört zu den wichtigen interdisziplinären Wissenschaftlern in Deutschland. Nach seinem physikalisch-chemischen Studium in Kiel promovierte er 1980 in Chemie mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaften, arbeitete dann in der BASF AG an der Forschung und Entwicklung von Datenträgern und wechselte schließlich zur Leitung eines systemischen Beratungsbüros für Umweltfragen in Freiburg. Zwischenzeitlich gehörte er zur Endauswahl der Wissenschafts-Astronauten der D2-Mission.

Nach einem familienbedingten Rückzug ins Privatleben gründete er 2002 das Büro für Interdisziplinäre Wissenschaften in Staufen. Seitdem forscht er interdisziplinär nach den Zusammenhängen der einzelnen wissenschaftlichen Fachbereiche. Er ist Autor von Fachbüchern wie „Einsteins Irrtümer“ und „Physiconomics“ und hält u.a. Vorträge zu fundamentalen Fragen im Grenzbereich von Physik und Ökonomie.

Inhalt

Anmerkungen zu diesem Buch

Vorbemerkung 1

Teil 1: Grundlagen

1. Der Tipping Point und seine Folgen

1.1. Ist die Welt ver-rückt geworden?

1.2. Bruno Latour: Die Natur macht ernst

1.3. Der Tipping Point

1.4. Das Ende der anthropogenen Herrschaft

1.5. Hindernisse auf dem Weg zu Neuem Denken

1.6. Auf dem Weg ins neue Zeitalter

2. Vom Universum zum System Erde

3. Warum dieses Buch?

4. Logik und Intuition, Licht und Dunkelheit

Vorbemerkung 2

5. Die ersten drei Gesetze der Natur: Nicht alles ist logisch

5.1. Frank Knight und die Unsicherheit in der Ökonomie

5.2. Kurt Gödel und das Ende des Logizismus

5.3. Ein neues Weltbild

5.4. Popper und Gödel und das 2. und das 3. Gesetz der Natur

6. Die Zeitgesetze

6.1. Was ist Zeit?

6.2. Das 1. Zeitgesetz: Die Trägheit von Impulszuständen

6.3. Das 2. Zeitgesetz: Prinzipien des Ausgleichs

6.4. Das 3. Zeitgesetz: Die Entropiezunahme

6.5. Der Hang zum Monismus

6.6. Das 4. Zeitgesetz: Die Entwicklung von Strukturen

7. Der Dualismus der Welt

7.1. Quantenphysik und Komplementarität

7.2. Ein neuer Zeitbegriff

7.3. Der Dualismus und die Poesie der Welt

7.4. Chaordische Systeme und die „Weltformel“ der Ökonomie

8. Die Gesetze der Evolution

8.1. Wojziech Zurek und die „Weltformel“ der Physik

8.2. Die Spielarten des Darwinismus

8.2.1. Die 5 Mechanismen des Darwinismus

8.2.2. Mechanismus 1: Ideen, Fluktuationen und Mutationen

8.2.3. Mechanismus 2: Formierung

8.2.4. Mechanismus 3: Adaptive Anpassung an die Umgebung

8.2.5. Mechanismus 4: Konkurrenz und Kooperation

8.2.6. Mechanismus 5: Nachhaltigkeit

8.3. Das Zusammenspiel der Mechanismen

9.

Spieltheorie: Erfolg durch Konkurrenz und Kooperation

9.1. Tit-for-tat

9.2. Das Gefangenendilemma

9.3. Das Nash-Gleichgewicht

9.4. Supercooperators

9.5. Die Logik des kollektiven Handelns

9.6. Mehrere Systemteilnehmer in einem begrenzten System

9.7. Die Diktatur von Minoritäten

9.8. Ausblick zur Spielthorie

10. Begrenzte Systeme

10.1. Die Erde: Ein begrenztes System

10.2. Wachstum in begrenzten Systemen

Teil 2: Die Wissenschaft von der Lebendigkeit: Komplexe Systeme

Vorbemerkung 3

11. Komplexe Systeme und die Grundlagen der Lebendigkeit

11.1. Philosophische Grundlagen

11.2. Komplexität und wissenschaftliche Objektivität

11.3. Erste Entdeckungen in der Welt der Lebendigkeit

11.3.1. Lebendige Systeme sind offene Systeme

11.3.2. Kybernetik und Rückkopplung

11.3.3. Die Geschlossenheit lebendiger Systeme bzgl. Selbstregelung

11.4. Die Black-Box-Methode

11.4.1. Ein Instrument für die geschlossene Selbstregelung in Systemen

11.4.2. Die Anwendung der Black-Box-Methode auf Gesellschaft und Ökonomie

11.4.3. Die Anwendung der Black-Box-Methode auf die Sars-Cov-2-Pandemie

11.5. Weitere Entdeckungen in der Welt der Lebendigkeit

11.5.1. Menschliche und künstliche Intelligenz

11.5.2. Komplexe System und ihr „Import“

11.5.3. Die Veränderung von Organisationsstrukturen in komplexen Systemen

11.5.4. Die Entstehung des Lebens

11.5.5. Was ist Leben? Der Prozess der Kognition

11.5.6. Trägheit, Problemexport und Evolution von Systemen

12. Die Stabilität lebendiger Systeme

12.1. Grundlagen zur Systemstabilität

12.2. Stabilität und Instabilität von gesellschaftlichen Systemen

12.3. Der Monismus der Heterarchie

13. Die Mathematik selbstorganisierender Systeme und das Wetter

14. Das Klima und die Systemfragen

14.1. Die Erwärmung des Klimas: Ursachen und Strategien

14.2. Die tatsächliche Systemfrage

14.3. Der freie Wille und Neues Denken

14.3.1. Der freie Wille

14.3.2. Das Stirnlappensyndrom

14.3.3. Kreativität und Innovation

Teil 3: Der Umgang mit Komplexität und Instabilität

15. Das Management komplexer Systeme

15.1. Gleichzeitige hohe Komplexität und Instabilität

15.2. Das 4-Zimmer-Modell

15.3. Die Natur spricht

Schlussbemerkung

Anhang : Eine Situationsanalyse

A1: Resilienz

A2: Humanitarismus und Zukunft

Anmerkungen zu diesem Buch

In meinem Bemühen, die Welt noch während meiner Lebenszeit besser zu verstehen und sie mit wachen Augen zu sehen, folgt nach einer neuen Antwort auf die Frage, woraus denn unsere Welt überhaupt besteht, nun die Suche danach, welche Spielregeln die Natur für uns vorgesehen hat. Mit den Ergebnissen dieser Suche bin ich heute so zufrieden, dass ich vorerst nicht mehr vorhabe, ein weiteres wissenschaftliches Buch zu schreiben.

Meine Arbeiten zu diesem Buch bestanden darin, so viele wissenschaftliche Puzzleteile wie möglich zu sammeln ... und dann daraus ein Bild zu schaffen, in das alle weiteren Puzzleteile hineinpassten. Um dann endlich vor den Gesetzen unseres Daseins zu stehen – wie auch vor den Aufgaben, die sich in dieser modernen Zeit mit ihren Krisen und Verwirrungen daraus ergeben und die es anzugehen gilt.

Diese Arbeiten waren nicht einfach. Neben meinen eigenen Büchern wie „Einsteins Irrtümer“, „Physiconomics“ oder dem Band I dieser Reihe mit dem Untertitel „Woraus die Welt wirklich besteht“ wurden viele andere Informationen aus Gesprächen und Internet zur Quelle des Verstehens – wie auch manche Bücher, die ich hier nennen möchte. Insbesondere waren es die Werke „Lebensnetze“ von Fritjof Capra, „Eros, Kosmos, Logos“ von Ken Wilber, „Chaos im Universum“ von Joachim Bublath, „Die Entdeckung des Chaos“ von John Briggs und David Peat, „Die Erfindung der Natur“ von Andrea Wulf und „Erfolgreiches Management von Instabilität“ von Peter Kruse. Ich danke hiermit allen weiteren Denkern und Schreibern, männlich wie weiblich, deren Wissen in dieses Buch eingeflossen ist, auch wenn ich sie nicht immer explizit zitieren kann oder nicht mehr sagen kann, wo ich deren Puzzleteile aufgeschnappt hatte.

Was Sie hier in diesem Buch über die Grenzen der Logik, über logische Inseln in einem Meer von Wahrscheinlichkeiten und Unentscheidbarkeiten, über komplexe und chaordische Systeme und den Dualismus (statt Monismus) unserer Welt, über Evolutions- und Spieltheorie, über die Gesetze von Leben und Lebendigkeit, über Heterarchie und den Umgang mit der Überforderung durch Instabilität und zu hohe Komplexität lesen werden, soll Sie nun – das war mein zusätzliches Bemühen – in Form einer Reise der Erkenntnisse fesseln. Um dann am Schluss der Natur einmal selbst zuzuhören. Ich wünsche Ihnen dafür jetzt recht viele Aha-Erlebnisse.

Dr. Michael Harder, im September 2022

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich ganz besonders bei meinem Sohn Sven sowie bei Lydia Brändlin und Michael Heller bedanken, die mir beim Lektorieren dieses Buches sehr geholfen haben.

Vorbemerkung 1

Für mein Vorhaben, herauszufinden und Ihnen dann auf den nächsten 246 Seiten zu erklären, wie – es ist natürlich meine Lösung – die Welt wirklich funktioniert, stand ich schnell vor einem grundsätzlichen wissenschaftlichen Problem: Ich musste erkennen, dass die etablierte Physik, ja sogar die gesamte logizistische Naturwissenschaft dafür nur bedingt geeignet ist, weil sie den Prozess des Lebens, also lebendige Systeme und deren Abläufe, weitgehend ausklammert.

So werde ich Sie nun genau in den Bereich der Wissenschaften mitnehmen, der von ihr gerne gemieden wird. Kurz gesagt: Wir gehen auf eine Reise in die dunklen Tiefen der Wissenschaft, um herauszufinden, welche Naturgesetze in der Welt die wirklich wichtigen sind ... damit wir als Menschen unsere Existenz auf diesem wunderbaren Planeten nicht nur verstehen, sondern auch – ich drücke mich hier vorsichtig und hoffnungsvoll aus – mit diesem Verständnis lernen, wie wir mit ihm umzugehen haben. Denn, wie ich Ihnen zeigen werde, so viel Zeit haben wir nicht mehr dafür.

Bei der Lektüre werden Sie schnell erkennen, dass ein rein logisches Vorgehen, das im Band I dieser Reihe erfolgreich funktionierte und zur Erkenntnis führte, dass – alles spricht dafür – unsere Welt physikalisch aus Wirkung besteht (und daraus ihre Dynamik resultiert), nun seine Grenzen erlebt. Immer wieder werden nun neben logischen Schlussfolgerungen auch subjektive Einschätzungen von mir dort auftreten, wo aus ganz natürlichen Gründen Beweisbarkeiten nicht mehr möglich sind.

Subjektive Einschätzungen sind in den Naturwissenschaften allerdings „non grata“. Intuitive Schlussfolgerungen und Spekulationen, so begründet sie sein mögen, werden in der Regel als unwissenschaftlich abgetan. Wie ich Ihnen zeigen werde, ist dies aber, wollen wir den wirklich wichtigen Gesetzen der Natur nahekommen, unumgänglich.

Um es ganz einfach zu sagen: Es liegt in der Natur der Sache!

Das ist denn auch der Grund dafür, dass die wirklichen Spielregeln der Natur bisher in der Wissenschaft kaum Beachtung gefunden haben – und es Mittel braucht, die selten sind: Interdisziplinäres Denken und analytische Gedanken zur Komplexität der Natur. Gedanken, die – wie eben schon gesagt – nicht immer logisch, sondern zwangsläufig auch subjektiv und intuitiv sein werden und ein komplexes Denken erfordern.

Ich hoffe nun, ich kann mit meinen Gedanken und Ergebnissen, die ich in diesem Buch schildere, ein wenig dazu beitragen, dass wir die Welt und unser Leben besser verstehen ... und verantwortungsvoller damit umgehen. Eine moralisierende Ethik, auch das werde ich Ihnen zeigen, reicht dafür nicht aus.

Teil 1

Grundlagen

Where is the wisdom we lost in knowledge? Where is the knowledge we lost in information?

T.S. Eliot

I think the next century will be the century of complexity.

Stephen Hawking

1. Der Tipping Point und seine Folgen

1. 1. Ist die Welt ver-rückt geworden?

Selbst wir Wissenschaftler verstehen die Welt nicht mehr. Wir leben in einem nie da gewesenen Wohlstand und sind doch damit überfordert. Wir sind überfordert von Klimafragen, von einem Virus namens SARS-Cov-2, von einem Finanz- und Wirtschaftssystem, das längst an seine Grenzen gekommen ist, von Juristen, die immer neue Geschäftsbedingungen, Vorschriften und Richtlinien ausarbeiten, von religiösen und ethnischen Konflikten, von einer zunehmenden Gesinnungsethik und Cancel Culture, in der der „korrekte“ Gebrauch von Worten von denen intolerant kontrolliert wird, die Toleranz gegenüber jeder Andersartigkeit und Identität fordern.

Wir überfordern uns mit Geschlechterfragen, wir überfordern unsere Gesellschaft mit dem Ruf nach Freiheit und Gleichheit, nach Selbstverwirklichung und Rollenmodellen, die dysfunktionale Familien hinterlassen, wir sind überfordert von immer mehr künstlicher Intelligenz, an die wir uns als Menschen anpassen (müssen), vom technischen Fortschritt, der uns nicht mehr zur Ruhe kommen lässt, von einer Flut von Informationen nicht nur aus dem Internet oder von den Medien, die gerne Alarmstimmungen verbreiten, und von einer Welt, in der jeder kleinste Winkel längst kartiert und von Satelliten aufgenommen und ökonomisch globalisiert ist. Wir leben in einer Welt, in der man sich kaum noch zurückziehen kann, in der wir die Natur Zug um Zug „vermüllen“ und zerstören und in der kaum noch Abenteuer möglich sind, weil fast alles reguliert ist. Wir sind überfordert von einer Zukunft, die eher Dystopie statt Verheißung ist. Und wir trauen den Politikern nicht mehr zu, dass sie dieses Dilemma lösen werden.

Die Welt ist offensichtlich verrückt ... und es ist uns alles zu viel geworden. Das war doch früher nicht so. Was ist passiert?

Als ich das erste Mal über diese lange Liste der Überforderungen nachdachte, kam mir schnell der Gedanke, dass es nicht die Welt ist, die verrückt geworden ist, sondern dass wir Menschen selbst es sind, die (uns) die Welt verrückt gemacht haben. Dass wir es sind, die sich mit dem überfordern, was wir selbst geschaffen haben. Und damit sind wir bei uns.

Den ersten wichtigen, wenn auch etwas desillusionierenden Ansatzpunkt für meine weiteren Arbeiten fand ich beim altrömischen Philosophen Seneca, der vor etwa 2000 Jahren sagte:

„Wo die Natur nicht will, ist die Mühe umsonst.“

Vom Beherrschen der Natur ist schon damals im Altertum keine Rede.

Stattdessen heißt es: Man kann grundsätzlich nicht gegen die Natur gewinnen! So lautet denn auch in meinen Vorträgen die allererste Erfolgsregel:

Es ist einfacher, im Leben mit den Gesetzen der Natur erfolgreich zu sein als gegen sie.

Verstoßen wir etwa gegen Naturgesetze? Ist das der Grund für unsere Überforderung? Wenn ja – und alles spricht dafür – müssen wir dringend herausfinden, wie die Welt funktioniert, und zwar wirklich funktioniert. Welche Spielregeln also wirklich in ihr gelten.

Damit komme ich zu meinem zweiten Ansatzpunkt, zu den Ergebnissen meiner Arbeiten zum Buch „Physiconomics“. Dort kam ich zur Erkenntnis, dass sich die Spielregeln der Welt und damit unsere Erfolgsregeln vor etwa 20 Jahren, also um das Jahr 2000, komplett geändert haben. Sie haben sich aber nicht nur geändert, sondern sogar um 180 Grad gedreht! Das ist denn auch das wichtigste Ergebnis meiner interdisziplinären Forschung:

Vor etwa 20 Jahren haben sich in der Welt die „Spielregeln“ grundlegend geändert, ohne dass es bemerkt, geschweige denn beachtet wurde.

Und so konnte bis heute darauf nicht angemessen reagiert werden. Wie ich bei meinen Diskussionen mit führenden Vertretern der Wirtschaft feststellen muss, erlebe ich dort als wissenschaftlicher Autor und Vortragsredner eine Welt, in der man versucht, mit veralteten Strategien erfolgreich zu sein, ohne zu bemerken, dass die alten Erfolgsregeln schon seit einiger Zeit nicht mehr gelten. So macht man weiter, ohne sich um eine Einsicht in die wirklich wichtigen Naturgesetze zu kümmern.

Erst jetzt beginnt man auch dort zu spüren, dass wir manches (oder vieles?) ändern müssen, weil wir sonst sogar als Gesellschaft, als Ganzes scheitern könnten – man redet sogar von einem „Great Reset“. Aber was müssen wir ändern? Und ist es dringend?

Die Antwort fand ich beim dritten Ansatzpunkt, bei Bruno Latour.

1.2. Bruno Latour: Die Natur macht ernst

„In Wirklichkeit leben wir nicht im Anthropozän, sondern im Kapitalozän.“

Harald Lesch, Physiker

Der französische Soziologe Bruno Latour hat etwas erkannt, was eigentlich jedem Systemanalytiker aufgefallen sein sollte (und wohl meist auch ist) und was auch nicht neu sein dürfte, nämlich dass unsere Erde, unser System, nicht mehr groß genug ist für uns alle. Uns kommen – einfach gesagt – die Lebensgrundlagen abhanden.

Die Stichworte sind Bodenerosion, Ressourcenknappheit und Habitatzerstörung. Anders als andere Vordenker geht Latour aber noch weiter.

Er erkennt, dass die Natur seitdem ihre Rolle drastisch geändert hat und sagt diesen Satz:

Die Natur, die über Jahrhunderte behandelt wurde, als wäre sie ein verlässlicher Unter- und Hintergrund, wird selbst zum mächtigen politischen Akteur.

Als ich diesen Satz für mich „übersetzte“, fiel es mir wie Schuppen von den Augen:

Aus „Mother Earth“ ist „Planet Earth“ geworden.

Die Natur, dieser bisher so freundliche Lieferant für unsere Lebensweise, ist zu einem mächtigen Gegenspieler avanciert, der uns nun – bleiben wir bei unserem Verhalten – teuer bezahlen lässt. Denn die Natur ist erschöpft. Und damit ändern sich die Rollen elementar: Aus dem geringgeschätzten Lieferanten ist aus der Knappheit heraus ein mächtiges Gegenüber geworden, mächtiger als wir selbst.

Bruno Latour *1947

Die im Übermaß strapazierte und erschöpfte Natur beginnt, sich unserem Wirtschaftssystem und unserem Raubbau mangels Masse zu verweigern und zeigt uns nun, wie sehr unsere Existenz von ihr abhängt … und Stück für Stück, aber unaufhaltsam, zerbricht unsere Illusion, dass wir die Natur beherrschen. Kurz gesagt:

Die Natur ist vom Freund zum mächtigen Gegenspieler geworden!

Wir Menschen sind seit Beginn der Sesshaftigkeit auf der Suche nach Wissen, um uns vor allem „die Natur zu unterwerfen“ oder – eine andere Anwendung – um im Wettbewerb innerhalb unserer Spezies erfolgreich zu sein. Es ging uns bisher nicht um das Verstehen der Natur, sondern um ihre Beherrschung und um das, was amerikanische Manager als „to make money“ bezeichnen.

Es ging uns dabei selten um Weisheit, um Erkenntnisse zum Wesen und zum verständnisvollen Umgang mit der Natur.

Jahrhundertelang ging das ja auch ohne großes Drama. Die Welt war groß genug und die Natur bisher äußerst spendabel. Je mehr man sie ausbeutete, desto mehr Erfolg hatte man. Aber genau das ist es, was sich jetzt ändert, übrigens zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit. Nun ist die Welt nicht mehr groß genug, und wenn wir bisher vielleicht glaubten, wir wissen genug über die Natur und haben sie mit unseren Technologien und Innovationen im Griff, dann zwingt uns jetzt die Natur zur Einsicht, dass das die ganze Zeit eine völlige Illusion war.

Es ist die Macht, die sich nun verschoben hat, von uns hin zur Natur.

Und wir beginnen zu spüren, dass wir uns viel zu sehr mit den Naturgesetzen beschäftigt haben, die uns Erfolg brachten. Weisheiten? Haben wir gerne ignoriert: Zu wenig Nutzen, zu kompliziert, zu komplex.

Aber jetzt, da unser Planet zu klein für uns geworden ist, brauchen wir sie. Und zwar dringend, wie ich Ihnen zeigen möchte. Wir stehen nämlich – seit die Natur sich wehrt – vor der Systemfrage unseres Lebens, unserer ökonomisierten Gesellschaft. Das ist für mich ein Teil des Dramas der Moderne. Auf diese Weise sind wir zu einem modernen Sisyphos geworden.

So schaffen wir es seit langer Zeit, mit unserem Energieeinsatz und all unseren Fähigkeiten und technischen Mitteln einen Felsbrocken gegen die Naturgesetze einen Berg hinauf zu rollen – und waren damit bisher (!) sogar ziemlich erfolgreich. So machen wir auf vertraute Art weiter – es ging doch – und haben nicht bemerkt, dass der Berg irgendwann zu steil geworden ist. Schon ein kleiner Schritt weiter, und es kann passieren, dass unsere Kräfte nicht mehr ausreichen … und der Fels uns überrollt (s. Abbildung).

Die Gesellschaft des modernen Menschen in der Rolle des Sisyphos. Wir sind an einem Punkt (Tipping Point) angekommen, an dem der Berg zu steil wird. Die „Spielregeln“ ändern sich jetzt. Wir müssen jetzt lernen, die Naturgesetze zu respektieren.

1.3. Der Tipping Point

Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, voller Informationen, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen, aber mager an Erfahrung. So gingen wir, von uns selbst nicht aufgehalten.

Roger Willemsen

Latours Satz lässt als einzigen Schluss zu, dass es irgendwann in letzter Zeit einen konkreten Zeitpunkt gegeben haben muss, an dem sich die Rolle der Natur und damit die „Spielregeln“ unserer Welt komplett verändert haben (s. auch Abbildung oben). Ich benutze dafür bei Vorträgen gerne den Begriff „Tipping Point“. Der Ausdruck Tipping Point (oder auch Kipp-Punkt) bezeichnet laut Wikipedia einen Punkt oder Moment, an dem eine vorher recht eindeutige Entwicklung mit bekannten Gesetzmäßigkeiten sich plötzlich ändert und entweder abbricht, die Richtung wechselt oder stark beschleunigt wird.

Ein beliebtes Beispiel ist die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch, die sich unaufhörlich auf die Tischkante zubewegt. Eben schien noch alles in Ordnung … und dann fällt sie plötzlich hinunter. Es gibt aber auch andere Mechanismen. Denken Sie an einen Kanuten, der gemütlich auf einem Fluss paddelt, alles ist entspannt und schön, bis er plötzlich von einer leichten Strömung erfasst wird, die immer stärker wird und ihn schließlich unausweichlich in eine Stromschnelle treibt. Der Kanute braucht jetzt eine völlig andere Technik, die Regeln haben sich komplett geändert.

Das ist das Beispiel, das ich an dieser Stelle bevorzuge. Bei komplexen Systemen, wie es unsere Gesellschaft in Abhängigkeit von der Natur darstellt, ist es nämlich oft ähnlich. So kann es geschehen, dass ein Tipping Point überschritten wird, ohne dass es besonders deutlich wird. Die Strömung wird langsam stärker, die Systemumgebung ändert sich schleichend und damit kaum merkbar. Und das System selbst läuft scheinbar unbeeindruckt weiter, bis dann plötzlich die Stromschnelle da ist und heftigst zupackt und das System, ist es darauf nicht vorbereitet, irgendwann plötzlich ganz oder teilweise zusammenbricht. Anders als bei der Kaffeetasse war hier der Tipping Point leicht zu übersehen. Aber er war da. Erfahrene Kanuten kennen das.

Bei meinen Arbeiten zur Physik der Ökonomie (= Physiconomics) zeigte es sich z.B., dass es im ökonomischen Umfeld etwa um das Jahr 2000 einen derartigen Tipping Point gab, auch wenn der Systemeinbruch noch auf sich warten lässt. Zu diesem damaligen Zeitpunkt änderten sich komplett die Spielregeln für das Geld- und Finanzsystem und die globale Ökonomie. Die ökonomischen volkswirtschaftlichen Regeln hatten sich tatsächlich sogar um 180 Grad gedreht, wie ich Ihnen später noch in diesem Buch genauer zeigen möchte.

Dieselben Strategien, die eben noch Erfolg und Wohlstand brachten, begannen nun daran zu zehren. Das kann man dramatisch nennen.

Denn dasselbe Vorgehen, das bis dahin den Unternehmen und der Gesellschaft in der Vergangenheit Erfolg brachte, droht nun, das Gesamtsystem (in dem die Unternehmen agieren) zum Absturz zu bringen. Als wichtigste Ursachen fand ich übrigens eine Entkoppelung von Realökonomie und Geldmenge und das Festhalten am Wachstumsdogma in einer ökologisch überforderten und begrenzten Welt, basierend auf unserem Schuldgeldsystem.

Und doch machen wir mit denselben Narrativen weiter wie bisher. Die Globalisierung, der globale Wettbewerb, das Wachstumsdogma – alles läuft scheinbar unbeeindruckt weiter.

Wir versuchen es mit einer Eurozone, die nicht funktioniert, mit einer zentralistischen EU-Bürokratie, die immer neue Regeln einführt und vor allem für die Großindustrie da ist und müssen leider all die Auswirkungen beobachten: Es gibt kaum noch Produktivitätssteigerungen, die Löhne stagnieren, und zusammen mit der zunehmenden Überbevölkerung sind Vermüllung und Artensterben die Folge. Es sind die Wirtschaft und die Finanzen, die im Mittelpunkt unserer Anstrengungen stehen – der Mensch an sich und die Natur sind nur noch Mittel zum Zweck.

Ich nenne das die Ökonomisierung und Finanzialisierung der Welt.

Das Eigenartige ist: Niemand scheint diese Wende der Spielregeln, das Scheitern der alten Narrative, die wirklichen Mechanismen dieses Tipping Points registriert zu haben! Bis heute favorisieren Politik, Unternehmen und Medien trotz Club of Rome oder Fridays for Future unbeirrt immer noch die veralteten Erfolgsrezepte. Auch wenn man langsam dabei verzweifelt oder als Ausweg planwirtschaftliche Globalrezepte wie einen „Great Reset“ diskutiert, hält man am Wachstumsgedanken fest. Getreu dem Motto: Früher hat es ja funktioniert, warum soll das nicht so weitergehen?

Was bisher aber nicht gesehen wird und was mir auch erst spät auffiel, ist eine Erkenntnis, die weit über die Bedeutung hinausgeht, die ich bisher dem Tipping Point zugeordnet hatte. Sie lautet:

Wir leben schon jetzt in einem neuen Zeitalter.

Wir haben es bloß noch nicht bemerkt.

1.4. Das Ende der anthropogenen Herrschaft

Nun, da wir langsam erkennen, dass die Welt zu klein für uns alle ist, dass diese Welt bis in den letzten Winkel ökonomisch und geografisch erschlossen ist und strapaziert wird, hat sich auch unser eigenes Leben um 180 Grad geändert, auch wenn wir es nicht gerne so drastisch formulieren. Aber die Zeiten, neue und unbekannte Gebiete zu erschließen, oder die Zeiten der großen unbeschwerten Abenteuer und leichtfertigen Möglichkeiten und des nachdenkfreien Genusses von Flugreisen, Autofahrten, Fleisch, Wirtschaftswachstum etc. etc., diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Wir werden uns stattdessen der Grenzen unseres Lebens bewusst und diskutieren zumindest hier in Deutschland allerorten und betroffen über das, wie wir es verstehen und was wir tun können. Und es nimmt uns die Leichtigkeit, raubt uns die Lebensfreude. Das ist unser persönlicher Tipping Point, den wir täglich spüren – und er hinkt zeitlich dem ökonomischen etwas nach.

Es ist aber viel mehr, was gerade geschieht. Es ist nicht nur individuell, es ist global.

Wir selbst spüren es, und ich bin überzeugt, es ist real: Wir erleben alle gerade den Beginn eines neuen Zeitalters. Etwas Neues beginnt.

Denn mit der Verschiebung der Macht hin zur Natur und ihrer Rollenänderung verändert sich nun auch unsere Rolle. Unsere anthropogene Herrschaft über die Natur ist ein Auslaufmodell und eigentlich schon jetzt vorbei. Wir Menschen haben uns – wie es schon Arthur Koestler (s.o.) vermutete – als Dilettanten erwiesen. So erleben wir nun eine Welt, in der ab jetzt die Natur das Sagen hat. Es fragt sich nur, ob wir bereit dazu sind und es hören wollen.

Sie haben sicherlich schon mal den Witz gehört, wie sich zwei Planeten unterhalten. Und der eine zum anderen sagt: „Du siehst gar nicht gut aus! Was ist los?“, und der andere antwortet: „Ich habe Homo Sapiens“. Worauf der erste Planet sagt: „Kenne ich, das geht bald vorbei.“ Was ich damit ausdrücken möchte: Die Natur kennt keine Moral, unser Planet nimmt keine Rücksichten auf uns Menschen, er kommt auch ohne uns aus. Es sind wir Menschen, die für uns sorgen müssen, mit den Regeln der Natur – und nicht gegen sie. Und wir müssen uns dessen klar werden: Das Zeitalter der anthropogenen Herrschaft ist seit dem Tipping Point Geschichte.

Was hat uns in dieses Dilemma gebracht? Was war das alte Zeitalter? Descartes z.B. sagte stellvertretend im „alten Denken“ für viele: „Die Menschen sind die Herren und Besitzer der Natur“. So beackerte der Mensch Felder, rodete Wälder und schuf ordentliche Dörfer und Städte, scheinbar wüste Wildnis wurde in liebliche und fruchtbare Landschaften verwandelt. Wildnis war deformiertes Chaos und wurde in Ordnung verwandelt. Es war schließlich – lange nach Seneca – Alexander von Humboldt, der in der westlichen Welt inständig warnte, dass man die Natur zu achten, ihre Kräfte und Verknüpfungen zu studieren habe und die natürliche Welt nicht nach Belieben zu seinem eigenen Vorteil verändern könnte. Er erkannte auf seiner Reise zum Orinoco, dass die Menschen die Macht haben, die Umwelt zu zerstören und die Folgen katastrophal sein können, dass wir der Natur unsere unzureichende, vom Verstand geprägte Ordnung aufzwingen – statt umgekehrt.

Das alte Zeitalter der anthropogenen Herrschaft

Die Natur hat alle die Geschöpfe um der Menschen willen geschaffen (Aristoteles).

Alle Dinge sind zum Nutzen der Menschen gemacht (Carl von Linné).

Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet … über alles Getier … (Bibel).

Die Menschen sind die Herren und die Besitzer der Natur (Descartes).

Das neue Zeitalter der anthropogenen Demut

Wo die Natur nicht will, ist die Mühe umsonst (Seneca).

Nature cannot be fooled (Richard Feynman).

Der Mensch kann auf die Natur nicht einwirken, sich keine ihrer Kräfte aneignen, wenn er nicht die Naturgesetze nach Maß und Zahlverhältnis kennt (Alexander v. Humboldt).

Die Natur ist mächtiger als wir Menschen. Wir sind Teil von ihr und unterliegen ihren Gesetzen.

Die Schlussfolgerung aus dieser Diskussion sollte nun klar sein: Wenn wir unsere Krisen meistern wollen, müssen wir die Natur mit ihren Gesetzen viel ernster nehmen. Nach vielen Jahren der Forschung bin ich daher heute der festen Überzeugung, dass es ein Übersehen von elementaren Naturgesetzen ist, das für fast alle Krisen unserer Moderne (s. Kapitel 1) verantwortlich ist. Stimmt das, dann ist das auch die grundlegende Ursache für unser Dilemma: Wir haben uns zu wenig um die wirklichen Gesetze der Natur, also um die Natur gekümmert. Und das ist nun die Folge:

Wir müssen uns von der anthropozentrischen Sicht auf die Welt verabschieden. Und die Natur ins Zentrum stellen.

Das ist tatsächlich nichts weniger als ein Paradigmenwechsel, dessen Bedeutung nicht hoch genug angesetzt werden kann. Wir müssen vom Herrschaftswissen in etwas ganz Anderes übergehen, in eine Art respektvoller Neugier auf die Natur, verbunden mit einer gewissen Demutshaltung.

Und schon stoßen wir im Denken auf so manche Hindernisse, die es zu beachten gilt.

1.5. Hindernisse auf dem Weg zu Neuem Denken

Die Dominanz des Verstandes mit einem „Wie kriegen wir die Natur unter Kontrolle statt wie gehen wir mit ihr um?“ ist schon das erste, das neuem Denken entgegensteht. Kontrollverlust wird gerne mit Hilflosigkeit gleichgesetzt, es macht Angst. Es ist eine Angst vor dem „Lauf der Dinge“ – statt mehr Vertrauen in deren Lauf.

Als Nächstes gibt es die Erfahrung aus der Psychologie, dass Menschen, die unter Veränderungsdruck gelangen, zuerst einmal versuchen, ihre bislang als erfolgreich erwiesenen Verhaltensweisen beizubehalten – wir werden das später als Trägheitsgesetz wiedererkennen. Das traurige Ergebnis aber ist: Unsere ökonomischen Krisen werden seit 20 Jahren mit denselben Mitteln bekämpft, die diese hervorgerufen haben.

So waren denn auch meine eigenen Erfahrungen mit Ökonomen und sogar Naturwissenschaftlern größtenteils entmutigend. Ökonomen z.B. kennen sich nicht mit Naturgesetzen aus, und sie sind auch nicht bereit, sich mit ihnen zu beschäftigen. Naturgesetze sind für sie eine Art Fremdsprache, nicht einmal der Begriff „Entropie“ oder der Zusammenbruch von Wachstumsfunktionen in komplexen Systemen ist ihnen bekannt. Im Gegenzug sperrt die Physik gerne die Welt der lebenden oder komplexen Systeme aus, die in unserem Leben aber überall die Regel sind. Die Physik hat nicht einmal eine Sprache dafür. So weigert sich die Physik denn auch, sich mit politischen und ökonomischen oder soziologischen Fragen zu beschäftigen – ein Manko, eine Art Stillstand, der mich als interdisziplinärer Forscher, der beides studiert hat, enttäuscht.

Überhaupt stelle ich auch im Alltag immer wieder fest, dass nur sehr wenigen Mitmenschen klar ist, wie sehr naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten unser Leben bestimmen, wie existentiell sie sind. Sie werden sogar selbst dann leicht übersehen, wenn diese Gesetze längst angefangen haben, unsere Gesellschaft, wie wir sie kennen, aus den Angeln zu heben.

Mag ja sein, dass wir sie übersehen haben, weil die Welt bisher noch groß genug war. Jedoch – wie schon gesagt – das ist jetzt vorbei.

Aber das ist noch nicht alles. Denn es kommt noch etwas – aus Sicht eines Naturwissenschaftlers – viel Schwerwiegenderes hinzu, das unabhängig vom Wissen oder der Trägheit im Denken Einzelner existiert: Nicht nur, dass unsere Welt nun zu klein ist für uns, auch unser aktuelles Weltbild ist ziemlich antiquiert, um nicht zu sagen ziemlich falsch.

So suchen wir auch heute noch gerne nach klaren Ursache-Wirkungs-Prinzipien. Wir reduzieren und trivialisieren. Vor Komplexität, vor komplexen Sachverhalten scheuen wir jedoch zurück.

Das hat durchaus seine Berechtigung, wie wir noch sehen werden, denn in komplexen Fragen sind eindeutige Ursache-Wirkungsbeziehungen nicht besonders häufig.

Man behilft sich hier stattdessen eher mit etwas, das ich eine „Story“ nenne, eine Art Erzählung, in der aktuell „anerkannte“ Überzeugungen eine große Rolle spielen. Diese Überzeugungen lassen sich nicht beweisen, man glaubt an sie.

Als ich 2015 mein Buch „Physiconomics“ schrieb, verwendete ich für derartige Überzeugungen gerne das Wort „Glaubenssätze“, das ich später in Vorträgen durch den Begriff „Narrative“ ersetzte. Mittlerweile wird dieser Begriff in vielen TV-Diskussionen benutzt und macht eine erstaunliche Karriere. Es scheint ein Zeitgeist zu sein, der für ein Spüren steht, dass wir in wichtigen Fragen mit Vermutungen und Überzeugungen arbeiten müssen und diesen dann als Wegweiser in komplexen Fragen folgen – auch wenn wir jetzt mehr und mehr erkennen, dass wir uns dabei auf unsicherem Boden bewegen. So gilt es angesichts der vielen von uns selbst erzeugten Krisen nun, diese Narrative wieder als reine Glaubenssätze zu erkennen und neu zu überprüfen.

Wie notwendig dies aus meiner Sicht tatsächlich ist, zeigten mir meine Arbeiten im Zusammenhang mit unserem Wirtschaftssystem. Im Jahr 2015 stieß ich auf folgende 12 Narrative, die zu dieser Zeit galten:

Wie sich bei meinen Arbeiten herausstellen sollte, erwiesen sich – damals auch für mich überraschend – alle 12 als falsch. Alle 12 Narrative (!). Dieses Ergebnis war eine einzige Kritik an den Überzeugungen im Wirtschaftssystem!

Ähnliches sollte danach eine gründliche Überprüfung der aktuellen Überzeugungen der Physik ergeben (s. Band I: „Woraus die Welt wirklich besteht“). Von 11 zentralen Narrativen der Physik blieb wenig übrig – Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sollte sich allerdings glänzend bestätigen und nun viel besser erklären lassen.

Als Problem erweist sich also, dass dort, wo klare Ursache-Wirkungsprinzipien fehlen und Narrative an ihre Stelle treten, diese gerne weiter wie eingemeißelt im Raum stehen und damit einem notwendigen Wissensfortschritt massiv im Wege stehen – wieder eine Art von Trägheit. In der Ökonomie ist es z.B. der ungebrochene Wachstumsgedanke, in der Physik wiederum sind es z.B. die Raumzeit oder Poppers Kriterien der Beweisbarkeit.

Es sind diese Narrative, die uns im veralteten Denken festhalten, und für die es dringend gilt, sie sorgfältig darauf zu prüfen, ob und welche von ihnen sich als falsch erweisen könnten – und dann daraus zu lernen.

Wir werden dabei aber auf die nächste wissenschaftliche Hürde stoßen. Sie ahnen es vielleicht: Es geht schon wieder um diese verflixte Komplexität. Komplexität schreckt ab, klare Beweisbarkeiten sind hier eher selten, und so geschieht in der Wissenschaft das Gegenteil: überall läuft eine Spezialisierung ab, eine Konzentration auf vielfältiges Einzelwissen. So leben wir heute zunehmend in einer Zeit der „Herrschaft des Detailwissens“. Es ist wie bei einem Puzzle. Wir haben die einzelnen Teile, und wir kennen sie ziemlich gut. Aber wir wissen nicht, was diese kleinen Teile darstellen, wohin diese Fragmente gehören und wie alles zusammenpasst. Wir versuchen, von den einzelnen Teilen her das Bild zu finden (Aufwärtskausalität), und ... haben bis heute keines. Wir bräuchten es aber, um die Teile an den richtigen Fleck zu platzieren (Abwärtskausalität) … und festzustellen, welche noch fehlen.

Das ist unsere wissenschaftliche Situation, mit der wir nun vor den großen Aufgaben stehen.

Wissenschaftler wie z.B. der Mikrobiologe Artur Casaderall fordern denn auch eine Entspezialisierung zugunsten einer Art „studium generale“ – statt reduktionistischem Detailwissen ein kritisches Denken mit der Fähigkeit, wieder Gesamtbilder zu formen. Folgen wir diesem Gedanken, dann stehen wir heute vor einer großen Aufgabe: Nach all unserem Forschen in Spezialdisziplinen gilt es nun, die großen Zusammenhänge zu finden.

Das mag hier einfacher klingen als es sich zeigen wird. Denn es gilt in der Konsequenz, dass wir uns – gegen jede Trägheit – einem neuen Denken öffnen müssen.

Kurz betont: Wir stehen vor einem dringend notwendigen Umbruch des Denkens.

1.6. Auf dem Weg ins neue Zeitalter

Wie funktioniert die Welt wirklich? Was sind die wirklichen Spielregeln der Natur? Was können uns die verschiedenen Wissenschaften dazu sagen, was können und müssen wir lernen? Das sind die Fragen, denen wir uns nun zu stellen haben.

Wir müssen unseren „Gegner“ also neu studieren. Nicht, um ihn zu beherrschen, sondern um ihn wieder zum Freund zu machen. Das heißt:

Es gilt jetzt, nach den wirklich wichtigen Gesetzen der Natur zu suchen, und zwar verschärft nach denen, die wir bisher nicht beachtet haben.

Das Dumme (für uns) an den Naturgesetzen ist weiter: Sie haben Eigenschaften, die uns nicht immer behagen, die wir aber lernen müssen zu respektieren:

Naturgesetze sind nicht verhandelbar, und sie unterliegen keiner Moral oder Ethik.

Sie sind nicht, wie wir oder unser Verstand sie gerne hätten, sie sind so, wie sie eben sind. Die Natur ist eben keine Veranstaltung, in der jedes Tier und jede Pflanze einen gottgewollten Platz einnimmt – sie ist oft sehr schön, aber sie ist eben kein Garten Eden. Ob Fauna oder Flora, alles kämpft ums Leben und Überleben, ums Fressen und Gefressenwerden. Alexander v. Humboldt musste dies auf seinen Reisen durch Südamerika erkennen, und er stellte fest: „Alles Leben befindet sich in einem ununterbrochenen, blutigen Kampf.“

Flapsig ausgedrückt klingt es so: Das Leben ist eben alles andere als ein „Ponyhof“.

Alexander v. Humboldt 1769-1859

Und so stehen wir wohl bald, was die Zukunft betrifft, vor großen Widersprüchen zu unserem humanistischen Denken, vor essentiellen Entscheidungen zwischen Menschlichkeit und Naturgesetzen. Wie wir noch sehen werden.

So bekommen wir langsam ein Gefühl dafür, dass die Tragweite der Herausforderungen enorm ist und manche reden neuerdings sogar von einem „Great Reset“. Aber genau das ist dann auch unser Dilemma: Wir spüren diesen Druck und ahnen, dass es dringend ist, aber wir wissen nicht, was und wie wir es machen sollen. Und verfallen in alte Denkgewohnheiten, in neue Kontrollphantasien.

Was wird mit uns passieren, wenn wir begreifen, dass wir tatsächlich am Ende unserer derzeitigen Gewohnheiten angelangt sind? Dass auch ohne Covid-19 in der Zukunft vieles nicht mehr so sein wird, wie es bisher war, dass mit dem Tipping Point unwiderruflich ein Paradigmenwechsel stattfand und ein neues, anderes Zeitalter begonnen hat? Dass wir uns dieser Einsicht stellen müssen:

Wir müssen uns und unsere Art zu leben und unser Verhältnis zur Natur neu definieren.

Es führt tatsächlich kein Weg daran vorbei, egal, wie wir uns damit fühlen. Wenn wir unser Verhältnis zur Natur neu definieren wollen, dann gilt aber auch:

Wir müssen dringend herausfinden, wie die Welt wirklich funktioniert.

Gewöhnen wir uns also an den Gedanken, dass wir alle bereits ab der Geburt, mit dem schutzlosen Beginn unseres Lebens, Zug um Zug lernen müssen, mit den Gesetzen der Natur klarzukommen. Wir treten ein in eine Welt nicht nur voller schöner und angenehmer Seiten, sondern es gibt auch etwas Anderes: Natur ist weniger das gepflegte Naherholungsgebiet am Stadtrand, nein, die Natur ist mehr, sie ist auch wild und voller Risiken, es geht ums Leben und Überleben, und diese Kräfte und Eigenheiten der Natur werden uns unser gesamtes Leben begleiten. Eindringlich offenbart dies ein Schild, das mir kürzlich in Argentinien bei den Iguazú-Wasserfällen auffiel. Es zeigt eine Warnung, die ganz im Sinne Alexander von Humboldts ist:

„Achtung: Sie betreten eine wilde Naturzone, die Risiken für ihre Sicherheit und Gesundheit in sich birgt, verursacht durch die Kräfte der Natur.“

Foto: Harder

Wie funktioniert also die Welt wirklich? Mit welchen Kräften der Natur müssen wir klarkommen?

Mag uns nun Alexander v. Humboldt für den Weg dorthin ein Vorbild sein. Denn ich bin mir längst sicher: Nur mit Respekt und Demut vor der Natur und einer großen Neugier auf ihre Gesetze und „Spielregeln“ werden wir zu den gesuchten Antworten kommen.

Es ist eine Aufgabe, zu der ich nun versuchen will, einen Teil beizutragen.

So werde ich mich zusammen mit Ihnen nun mit dieser Neugier auf die Suche nach den Antworten und Zusammenhängen machen. Wir werden uns interdisziplinär Stück für Stück vorantasten und dabei schließlich auch in den dunklen Teil der Wissenschaften gelangen – dorthin, wo Beweisbarkeiten zur Illusion und andere Kriterien zum Verstehen notwendig werden.

Ich werde dann versuchen, dieses neue Wissen auf unsere Gesellschaft, auf unsere Politik, auf uns selbst und unser Leben anzuwenden ... um damit die Komplexität unserer modernen Welt besser zu erkennen und zu durchdringen. Denn erst dann, im realen Leben, können wir mit einem neuen Blick auf ihre Gesetze zu einem besseren Verständnis der Natur kommen.

Für diesen Weg beginne ich mit dieser Geschichte jetzt ganz am Anfang. Ich starte meine Suche nach den wirklich wichtigen Spielregeln der Welt mit der Existenz unseres Universums.

2. Vom Universum zum System Erde

Seitdem der Mensch sich seiner bewusst wurde, versucht er sich und seine Rolle in der Welt zu begreifen. Wenn sich auch die Wissenschaftler nicht einig sind, wann diese Suche begann ... war es der Übergang zum Homo Sapiens in Afrika etwa 300.000 v. Chr. oder die Gründung der ersten Siedlungen etwa 150.000 v. Chr.? ... so liegt für mich der Anfang der Kulturgeschichte der Menschheit in den ersten Höhlenmalereien, also vor etwa 45.000 Jahren.

Es waren in der Folge die Werkzeuge der Mythen und der Poesie, mit denen der Mensch seine Beobachtungen der Natur in Worte fasste. Auffällig ist, dass sich die mythischen Beschreibungen häufig gleichen: Die Welt ist nicht einfach und unveränderlich da, sondern es gibt ein gewaltiges Weltenspiel. Ursprung und Grundlage dieses Spiels ist eine große Kraft, die den Kosmos in einem ungeheuren Schöpfungsakt hervorbrachte.

Die Kulturen kennen in der Regel eine ordnende Gottheit, die das Ur-Chaos überwand und die Welt entstehen ließ. Das Ur-Chaos wird auch oft als „formloser Geist“ oder „formlose Dunkelheit“ beschrieben. In der Welt selber gibt es dann ordnende und zerstörerische Kräfte, die sich in verwandten Formen denn auch in allen Weltreligionen wiederfinden lassen. Im Gegensatz zu heute spielten Chaos und Ordnung bei der Suche nach den Gesetzmäßigkeiten der Welt eine zentrale Rolle.

Dies galt teilweise noch bis in die Antike. Bei Heraklit fielen mir folgende scheinbar schwer verständlichen Sätze auf:

Die verborgene Harmonie ist mächtiger als die offensichtliche. Die Menschen sehen nicht, dass alles, was sich widerspricht, dadurch mit sich in Einklang kommt.

Das erinnert sehr an die Mythengestalt Hermes Trismegistos, der in einer Essenz aus altägyptischen und altgriechischen Philosophien sagte:

Nichts ist in Ruhe, alles bewegt sich, alles ist in Schwingung, alles hat sein Paar in Gegensätzlichkeiten. Gegensätze sind identisch in ihrer Wesensart, nur verschieden im Grad. Extreme berühren sich, alle Wahrheiten sind nur halbe Wahrheiten, alle Widersprüche können miteinander in Einklang gebracht werden.

Es sind also Gegensätzlichkeiten in Einklang und Harmonie, die hier die entscheidende Rolle spielen.

Wenig später rückte man in der Antike von dieser Beschreibung der Realität ab und versuchte erstmals, die Logik in die Wissenschaft einzuführen. Um gleichzeitig die Erkenntnisse aus jahrtausendelanger „poetischer“ Beobachtung der Natur hinwegzufegen. Es waren Platon und vor allem dessen Schüler Aristoteles, die nun ein substantielles, qualitatives und quantitatives Denken zur Beschreibung der Natur einführten. Für Platon waren Ideen wesentlich dadurch bestimmt, dass sie der Zeitlichkeit und der Veränderung nicht unterworfen waren, sie allein waren für ihn würdige Gegenstände der genaueren Betrachtung. Im Denken des Aristoteles bekamen nun auch Bewegung und Veränderung ihren Platz; allerdings waren für ihn nur Anfangs- und Endzustand von Bedeutung, alles andere erschien zu kompliziert. Dieses Denken dominiert bis heute die Physik – mit dem Lebendigen hat sie es nicht besonders.

Für den Vorsokratiker Heraklit war es noch ganz anders gewesen. Für ihn kam nur der Veränderung Wirklichkeit zu, während für ihn stationäre Zustände grundsätzlich nicht existierten, sondern lediglich scheinbar waren. Sie kennen sicher seinen Spruch „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen … alles fließt!“.

So sucht der moderne Mensch nun seit über 2000 Jahren mit Logik nach seiner Stellung im Universum. Und wenn sie den Band I dieser Reihe gelesen haben oder sich schon länger mit Physik beschäftigen, wissen Sie längst so einiges über dieses Universum: Es ist riesig. Und es wächst weiter. Wir wissen heute, dass es derzeit einen Durchmesser von etwa 90 Milliarden Lichtjahren hat, wobei ein einzelnes Lichtjahr in etwa 10 Billionen Kilometern entspricht. Unser Universum ist also wirklich riesig.

Welche Spielregeln hat das Universum für uns vorgesehen?

Es enthält mindestens 2 Billionen Galaxien, von denen eine einzelne unsere Milchstraße ist. Messen wir nun den Durchmesser dieser Milchstraße, liegt der Wert bei etwa 170.000 bis 200.000 Lichtjahren. Wollten wir also allein unsere Milchstraße von einem Ende zum anderen durchqueren, bräuchten wir selbst bei einer unvorstellbaren Geschwindigkeit unseres Raumschiffs von 20 Millionen km/h über 9 Millionen Jahre – alleine für unsere Reise quer durch unsere Galaxie. Eine von 2 Billionen. Unsere Galaxie wiederum enthält etwa 200 Milliarden Sonnen. Wiederum eine einzige davon bestimmt Ihren Alltag. Sie kennen sie, denn genau um diese Sonne kreisen Sie, unaufhörlich, auch wenn Sie gerne von Sonnenaufgängen und -untergängen sprechen. Sie umkreisen sie auf einer Kugel, von der sie nicht herunterfallen können, weil das Naturgesetz der Schwerkraft sie darauf festhält. Sie und mittlerweile etwa 8 Milliarden weitere Menschen. Und natürlich gelten alle Gesetze des Weltalls auch auf dieser Kugel.

Viele dieser Gesetze habe ich für Sie in Band I zusammengestellt. Es ging dabei nicht nur um Bewegungen und Gravitation, die Zeiten und Längen verändern und Räume krümmen, nicht nur um die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, sondern vor allem darum, dass unser Universum kein abgeschlossenes System ist und ständig weiter wächst und jeden Tag aus einer Art „Nichts“ heraus neue Wirkung, d.h. neuen Raum, neue Energie und neue Materie bildet. Es ging darum, dass die Zeit ständig von einem gequantelten Jetzt zum nächsten fließt und damit die Dreiteilung der Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in die Physik eingeführt werden konnte, und es ging auch darum, dass die Grundlage des Universums nicht aus einem Raumzeitkontinuum besteht, sondern aus gequantelter Wirkung, die dafür sorgt, dass die Welt so dynamisch ist – was uns nun in diesem Band helfen wird, das rätselhafte Phänomen Zeit zu verstehen. Es ging aber auch um Entropiefragen und den komplementären Gegensatz von „logischer“ Makrophysik und „chaotischer“ Quantenphysik.

Diese Erkenntnisse werden nun zur Grundlage der Erkenntnisse zum Leben. Denn wenn ich mir die letzten Sätze beim Schreiben noch einmal anschaue, fällt mir auf, dass Hermes Trismegistos und Heraklit viel zu schnell vergessen worden waren. Mit ihren Beobachtungen anhand des realen Lebens auf unserer „Kugel“ lagen sie doch ziemlich richtig.

Mit diesem neuen Wissen um die Physik des Universums und den Beobachtungen der Vorsokratiker verlasse ich aber nun die Weite des Universums und wende mich dem Geschehen auf unserer Kugel zu:

Willkommen also auf dem Planeten Erde.

3. Warum dieses Buch?

Um unser Leben auf dieser Erde geht es also in diesem Buch, in diesem Band II von „Die verborgenen Spielregeln des Universums“. Es geht darum, nun die Gesetze zu finden, die unser Leben auf diesem Planeten betreffen, die Gesetze, die vice versa genauso im großen Universum existieren, die wir aber nur hier, in unserem Leben und Wirken beobachten und beschreiben können. Es geht schlichtweg um die Gesetze, die unser Leben und unser Verhältnis zur Natur bestimmen.

Nun gibt es natürlich schon eine Menge anderer Bücher zu diesem Thema, viele intelligente Menschen – Physiker, Chemiker, Philosophen, Ökonomen, Soziologen und andere Wissenschaftler – haben sich mit diesem Thema beschäftigt und reihenweise dazu Bücher geschrieben. Warum also dieses Buch? Warum noch eins?

Beim Schreiben fand ich schnell zwei Antworten darauf. Zum einen behaupte ich, es ist dringend. Es geht nämlich zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit darum, dass wir kaum noch Zeit haben, die wirklichen Gesetze der Natur zu finden. Jede neue Erkenntnis kann hier ungemein wertvoll sein.

Als zweites stellte ich fest, dass es nur mit einem neuen Blick auf die Physik (s. Band I) überhaupt möglich ist, bei dieser Suche den notwendigen Erfolg zu haben. So gründet diese Suche auf meinen Arbeiten zur wesentlichen Frage, woraus die Welt wirklich besteht und was der sachliche Grund für ihre Dynamik ist. Diese Arbeiten waren essentiell; denn es war und ist wie bei einem Spiel: Wenn ich weder das Spielbrett noch die Figuren kenne, wie soll ich da die Spielregeln finden?

In diesem Band II geht es also jetzt, nachdem – das ist meine Überzeugung – die „Hardware der Welt“ neu entschlüsselt wurde, um die passende „Software“, um die Spielregeln. Denn auch wenn all die Erkenntnisse der klassischen Wissenschaften den Menschen zu einer erfolgreichen Spezies gemacht haben, mit all den Technologien, die ihn sich als Herrscher über die Natur haben fühlen lassen, so zeigen unsere Krisen und Überforderungen, dass uns elementares Wissen zu etwas fehlt, das ich die Lebendigkeit der Welt nennen möchte.

So wende ich mich – einfach gesagt – in diesem Band II nun dem Leben, dem Lebendigen zu. Und den Gesetzmäßigkeiten der Natur, die nicht nur unser tägliches Leben viel stärker bestimmen, als wir es ahnen, sondern für unsere Zukunft – so wir denn eine haben wollen – essentiell sind.

Sonst werden wir tatsächlich zu einer biologischen Besonderheit auf diesem Planeten, zur einzigen Spezies, die ihre Fähigkeiten nutzt, sich selbst die Lebensgrundlagen zu entziehen und sich das Leben schwer zu machen.

4. Logik und Intuition, Licht und Dunkelheit

Die Crux ist, dass wir es mit dem wahren Leben zu tun haben, das ist was ganz anderes.

Frank Schätzing in „Lautlos“

Wie sich aber schon am Anfang meiner Arbeiten herausstellte, existiert an genau dieser Stelle ein tiefer Bruch in der Wissenschaft. So stieß ich sehr schnell an die Grenzen der objektiven Wissenschaft, die sich dessen noch viel zu wenig bewusst ist: Ich stieß an die Grenzen der Logik. Für meine Suche nach den wirklich wichtigen Gesetzen der Natur musste ich schon zwangsmäßig die alte und – wie wir sehen werden – die oberflächliche Physik, die ich die rein logische, materielle oder auch „tote“ Physik nenne, verlassen.

Die Situation der Physik ähnelt damit sehr jener aus der Schlüsselparabel, die ich hier kurz anführen will: Es ist nachts, und unter dem Schein einer Laterne sucht ein Mann auf dem Boden nach etwas. Ein nächtlicher Spaziergänger kommt vorbei und fragt, was er suche. „Meinen Schlüssel. Ich habe ihn vorhin verloren. Ich wohne nämlich dort, auf der anderen Straßenseite“ erhält er als Antwort. Er ist hilfsbereit und so suchen sie nun gemeinsam. Und finden alles mögliche, nur keinen Schlüssel, bis der Spaziergänger ungeduldig wird und fragt: „Sind Sie sicher, dass Sie ihn hier verloren haben?“ „Nein“, erhält er als Antwort, „verloren habe ich ihn dort drüben. Aber dort ist es zu dunkel zum Suchen.“

Es gilt jetzt tatsächlich, in die Tiefen der Naturwissenschaft hinabzusteigen, in die Dunkelheit, die von uns Wissenschaftlern so sehr gemieden wird. Denn hier versagen die etablierten Forschungsmethoden der Physik – mit ihrer einseitigen Suche nach reproduzierbaren Ergebnissen, nach logischen und beweisbaren Formeln, mit denen man so schön promovieren, habilitieren und publizieren kann. Sie werden daher nun verfolgen können, dass die wirklich wichtigen Gesetze der Natur mathematisch kaum erfasst werden können, sondern Beschreibungen, Intuition und sogar Spekulation plötzlich eine wesentliche Rolle spielen und zu wichtigen Instrumenten der Erkenntnis werden. Anders geht es nicht mehr in dieser „Dunkelheit“, und das ist auch der Grund, warum das Leben in der Physik bisher keine Rolle spielt.