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Auf der Suche nach Lösungsansätzen für die uns ständig verunsichernden Wirtschaftskrisen setzt der Autor naturwissenschaftliches Wissen ein und entdeckt in einem bisher kaum untersuchten Grenzbereich zwischen Physik und Ökonomik eine neue interdisziplinäre Wissenschaft, die elementare Erkenntnisse über die Zusammenhänge und Hintergründe der ökonomischen Krisen liefern kann. Physiconomics, so die Bezeichnung für diese neue Wissenschaft, kombiniert elementare Elemente der „Physik der komplexen Systeme“, der „Spieltheorie“ und der „Evolutionstheorie (Darwinismus)“ mit ökonomischen Fragen. In einer auch für den Nicht-Wissenschaftler leicht verständlichen Sprache werden mit Physiconomics nicht nur die elementaren Fehler unseres Wirtschaftssystems diagnostiziert, sondern erstmals auch die naturwissenschaftlichen Grundlagen für eine nachhaltige Ökonomik geliefert. Ein Beispiel dafür, wie wir mehr oder minder unbewusst gegen natürliche Gesetzmäßigkeiten verstoßen, ist die Entdeckung vom „Paradoxon der Spielregeln der Ökonomik“, das die VWL bisher übersehen hat: In Systemen mit begrenzten Ressourcen kehren sich in der Sättigungsphase bei weiterem Wachstum die Spielregeln komplett um. So ist denn auch der deutsche Exportboom zwar sinnvoll für Unternehmen, volkswirtschaftlich aber zwangsläufig desaströs. Werden die Ökonomisierung unserer Gesellschaft, das immer noch geltende Wachstumsdogma und das bestehende Finanzsystem weiter aufrecht erhalten, zeichnen sich außerdem unterschiedliche Crashszenarien ab. Spieltheoretisch lässt sich weiter zeigen, dass – selbst bei größten Anstrengungen – die Eurozone nie funktionieren kann und aufzulösen ist.
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Seitenzahl: 337
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Zu diesem Buch
Auf der Suche nach Lösungsansätzen für die uns ständig verunsichernden Wirtschaftskrisen setzt der Autor naturwissenschaftliches Wissen ein und entdeckt in einem bisher kaum untersuchten Grenzbereich zwischen Physik und Ökonomik eine neue interdisziplinäre Wissenschaft, die elementare Erkenntnisse über die Zusammenhänge und Hintergründe der ökonomischen Krisen liefern kann.
Physiconomics, so die Bezeichnung für diese neue Wissenschaft, kombiniert elementare Elemente der „Physik der komplexen Systeme“, der „Spieltheorie“ und der „Evolutionstheorie (Darwinismus)“ mit ökonomischen Fragen. Der Erkenntniszuwachs ist enorm: Es werden nicht nur endlich die Fehler unserer veralteten Volkswirtschaftslehre und unseres Wirtschaftssystems deutlich, sondern es lassen sich auch klare Empfehlungen geben, in welche Richtung sich eine neue, nachhaltigere Ökonomik entwickeln muss.
Ein Beispiel dafür ist die Entdeckung vom „Paradoxon der Spielregeln der Ökonomik“, das die VWL bisher übersehen hat: In Systemen mit begrenzten Ressourcen kehren sich in der Sättigungsphase bei weiterem Wachstum die Spielregeln komplett um. So ist denn auch der deutsche Exportboom zwar sinnvoll für Unternehmen, volkswirtschaftlich aber zwangsläufig desaströs.
Zusammen mit der Ökonomisierung unserer Gesellschaft, dem immer noch geltenden Wachstumsdogma und dem ausufernden Finanzsystem zeichnen sich unterschiedliche Crashszenarien ab. Spieltheoretisch lässt sich weiter zeigen, dass – selbst bei größten Anstrengungen – die Eurozone nie funktionieren kann und aufzulösen ist.
Zum Autor
Dr. Michael Harder gehört zu den wichtigen Querdenkern in Deutschland. Nach seiner Promotion 1988 in Chemie, mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaften, arbeitete er in der Industrie an der Forschung und Entwicklung von Datenträgern und wechselte dann zur Leitung eines systemischen Beratungsbüros in Freiburg. Zwischenzeitlich gehörte er zur Endauswahl der Wissenschafts-Astronauten der D2-Mission.
Nach einem familienbedingten Rückzug ins Privatleben gründete er 2002 das Büro für Interdisziplinäre Wissenschaften in Staufen und hält u.a. Vorträge zu fundamentalen Fragen im Grenzbereich von Physik und Ökonomie.
Dieses Buch behandelt eine große Bandbreite unseres hochkomplexen Wirtschaftssystems. Es ist der Versuch, aus dieser scheinbar unüberschaubaren Komplexität ein Bild zu formen, das die Zusammenhänge und Hintergründe, die Fehlentwicklungen und die dazugehörigen Lösungsansätze zeigen und verständlich machen kann.
Spannend für mich als Wissenschaftler ist wieder einmal die Erfahrung, dass es tatsächlich einer Gesamtsicht bedarf, um diesem hohen Anspruch zu genügen. Meine Erfahrungen beim Schreiben dieses Buches machen mich zuversichtlich, dass dies mit Physiconomics gelungen ist; denn die im Laufe mehrerer Jahre gesammelten Fakten finden alle problemlos ihren Platz in diesem neuen Gesamtbild eines volkswirtschaftlichen Modells.
Es ist wie bei einem Puzzle: Aus allen Einzelteilen entsteht auf einmal ein richtiges Bild, das zeigt, worum es die ganze Zeit ging.
So hoffe ich, mit Physiconomics einen Beitrag zur Lösung des aktuellen Dilemmas der Volkswirtschaftslehre beitragen zu können.
Dieses Buch ist natürlich ein wissenschaftliches Buch. Wie der Leser feststellen wird, vermeidet es aber die übliche wissenschaftliche Sprache, die im universitären Diskurs verwendet wird.
Dies ist Absicht.
Zum Einen dient es der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit für den „Normalbürger“, zum Anderen soll damit auch der Diskurs zwischen Naturund Wirtschaftswissenschaftlern ermöglicht werden, die unterschiedliche Fachsprachen haben.
Drittens liegt es aber in der Natur der Sache. Wie Sie noch bei den Ausführungen zu Kurt Gödel und der Natur unserer Welt sehen werden, ist eine logizistische wissenschaftliche Sprache für Details wertvoll, für einen Gesamtblick aber denkbar ungeeignet.
Und um den geht es in diesem Buch.
Seit 2008 sind Krisen unsere ständigen Begleiter: Mit der Subprimekrise kam die Lehman-Krise, dann die Finanz- und Bankenkrise, die Staatsschuldenkrise, die Eurokrise und es gab Krisen und Pleitegefahren in Irland, Griechenland, Spanien, Zypern und Italien. Bis heute wurde keine dieser Krisen wirklich gelöst und immer neue Rettungsschirme und Haftungsrisiken bestimmen die politischen Schlagzeilen. Aber das ist noch längst nicht alles: Wir erleben eine Wachstumskrise, eine Demografie- und Rentenkrise und eine Arbeitskrise mit Niedriglöhnen, eine aktuelle Flüchtlingskrise, und wir sind zunehmend mit ökologischen Fragen und sogar globalen Risiken des Klimas konfrontiert.
So ist es kein Wunder, das wir in Zeiten hoher Unsicherheit unseres gesellschaftlichen und ökonomischen Denkens und Wollens leben. Irgendetwas ist schief gelaufen, wir sind überfüllt mit Informationen, und wir haben gleichzeitig unsere Orientierung verloren. Das ist schwerwiegend; denn es betrifft unsere Entscheidungsfähigkeit. Wir wollen „richtig“ entscheiden, und können es oft nicht mehr. Wir ahnen, dass wir zunehmend zu Entscheidungen gedrängt werden, denen wir eigentlich innerlich widerstreben. Wir sind überfordert und verlieren manchmal sogar das Gefühl für uns selbst.
Nun … die dramatischen Entwicklungen der ökonomischen Probleme unserer Gesellschaft sind sicher kein Zufall. Wir müssen etwas falsch gemacht haben. Aber was? So suchen wir nach Antworten auf die vielen ökonomischen Fragen in unserem Wissen, in der Lehre von der Ökonomie, in der Ökonomik.
Betrachten wir die betriebswirtschaftliche ökonomische Lehre (BWL), so müssen wir feststellen, dass wir dort kaum Antworten finden, obwohl diese Lehre fast bis zur Perfektion entwickelt wurde. Lenken wir aber unseren Blick auf die volkswirtschaftliche Lehre (VWL), so sieht es ganz anders aus: Nicht nur aus der Sicht von frustrierten Studenten kann man sie getrost in elementaren Bereichen als „veraltet“ bezeichnen, die derzeitige VWL liefert auf die aktuellen Fragen keine brauchbaren Antworten. Das trifft logischerweise damit auch auf die Verknüpfungen beider Bereiche, von BWL und VWL, in der Ökonomik zu. So bin ich wie viele andere Wissenschaftler und Ökonomen davon überzeugt, dass beide wissenschaftlichen Bereiche – die VWL und die Zusammenhänge von VWL und BWL – grundlegend in ihrem Wissen und ihren Erkenntnissen zu reformieren sind.
Was zur Frage führt, wie? Und … wo auf der wissenschaftlichen Landkarte müssen wir suchen, um das dafür notwendige Wissen zu finden?
Da ich neben Naturwissenschaften auch mehrere Jahre Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, führte mich meine Neugier in den Grenzbereich zwischen Physik und Ökonomik. Zwei wichtige Erkenntnisse warteten dort auf mich: Es ist ein weitgehend unerforschtes Gebiet … und dort liegen Lösungen.
In diesem interdisziplinären Grenzbereich existiert zwar bereits eine Teildisziplin namens Econophysics, die sich vor allem mit logizistischen Beschreibungen von ökonomischen Teilphänomenen beschäftigt. Diese Teildisziplin ist auch ein dankbares Forschungsgebiet für universitäre Untersuchungen (und Auszeichnungen), da hier evaluierbare Formeln eine große Rolle spielen – wir leben nun einmal in einer Zeit, in der es wichtig ist, dass man etwas berechnen können muss.
Die vielfältigen und sehr komplexen Zusammenhänge in der Ökonomie lassen sich aber – auch wenn es unser Verstand und unser Wunsch nach Beherrschbarkeit/Kontrolle so gerne hätten – mit eindeutigen Formeln nicht wiedergeben bzw. in den Griff bekommen. Das liegt daran, dass die Natur der Ökonomie anders ist als wir es gerne hätten: Sie ist in ihrem Inneren komplex und kaum mathematisierbar. Für die genannten elementaren Probleme unserer ökonomischen Lehre ist Econophysics daher relativ wertlos, einen Blick auf das Ganze und die wirklich wichtigen Zusammenhänge können wir so nicht bekommen.
Lassen wir uns aber nicht entmutigen; denn es gibt in diesem Grenzbereich noch etwas Anderes. Es betrifft die Physik der Komplexen Systeme, die nur darauf wartet, auf die Ökonomik angewendet zu werden. Das notwendige Wissen ist nämlich längst da … nur wurde es von den Ökonomen nicht bemerkt; was auch daran liegen könnte, dass Physiker und Ökonomen kaum miteinander reden (können).
Meine Studien zeigen, dass gerade in den letzten 20 Jahren in der Physik der Komplexen Systeme (bzw. einer Physik, die ich selber besser „Prozessphysik“ nennen möchte) wichtige Naturgesetze gefunden wurden, die so elementar sind, dass ihnen auch ökonomische Zusammenhänge unterliegen. Dieses neue Wissensgebiet, von dem dieses Buch nun handeln wird, nenne ich Physiconomics (= Physics + Economics). Es ist eine Bezeichnung, die bereits existiert, aber nie mit Inhalten gefüllt wurde. Diese Inhalte werde ich nun im Laufe dieses Buches beschreiben. Neben den physikalischen Erkenntnissen zu den Funktionen komplexer Systeme spielen dabei überraschenderweise auch Bereiche eine wichtige Rolle, die scheinbar nicht zur Physik zählen, nämlich die Evolutionstheorie und die Spieltheorie.
Einordnung und Inhalte von Physiconomics
Was haben Evolutionstheorie und Spieltheorie mit Physik zu tun? Nun, wie ich noch zeigen möchte, ist die Evolutionstheorie (= Darwinismus) mittlerweile in der Physik gut angekommen, und zwar bei der Verknüpfung von Quantentheorie und Makrophysik, und die Evolutionstheorie zeigt sich hier sogar in ihrer zentralen naturwissenschaftlichen Bedeutung, die damit weit über die Biologie hinausreicht. Wenn man dann noch die (aus der Mathematik stammende) Spieltheorie als einen wesentlichen Bestandteil des darwinistischen Wettbewerbs erkennt, taucht auch sie plötzlich in der Prozessphysik auf.
Mir ist durchaus bewusst, dass mit dem Begriff und den Inhalten von „Physiconomics“ nun möglicherweise eine neue wissenschaftliche Disziplin begründet wird, der ich allerdings – so spät diese weißen Flecken nun erstmals beschrieben werden – eine große Zukunft vorhersage. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass ich dieses Fachgebiet – das ist nun mal bei Pionieren so – nur in einer Art „Go West“ angehen kann. Das Ergebnis kann daher nur eine erste Landkarte dieses Gebietes sein. Ich bin mir aber sicher, dass die im Folgenden vorgestellten Erkenntnisse – so einfach und plausibel sie oft erscheinen – von hoher Bedeutung sind und vielleicht sogar das gesuchte „missing link“ für eine tiefgreifende Reform unserer ökonomischen Vorstellungen und Lehrauffassungen sind. Nimmt die wissenschaftliche Welt die folgenden Erkenntnisse ernst, könnte dies gravierende Auswirkungen nicht nur auf die ökonomische Lehre, sondern auch auf die Ökonomie selbst sowie auf die Gesellschaft und die Politik haben.
In meinen Vorträgen musste ich feststellen, dass der Begriff „Komplexe Systeme“ für Naturwissenschaftler, was die Inhalte betrifft, in der Regel mehr oder weniger klar ist. Für Ökonomen scheint er nicht selbstverständlich, obwohl unsere Ökonomie nichts Anderes als ein reales komplexes System darstellt.
Um zu erklären, was ein komplexes System ist, benutze ich dann zwei Bilder, eines mit einem Kamel in der Wüste, und eines mit einem Gorilla im Dschungel. Meist schaut man dann auf das Kamel oder den Gorilla. Wie sehr diese Lebewesen aber von der Umgebung abhängig sind, zeigt ein einfaches Vertauschen der Umgebung. Dann verliert das Kamel (im Dschungel) schnell die Übersicht, und der Gorilla sitzt im Trockenen. Wir sehen hier ein einfaches komplexes System, nämlich die Abhängigkeit von etwas Dynamischem (hier sind es Tiere) von der Umgebung bzw. das Zusammenspiel von beidem.
Quelle: pixabay.com
Illustration zum Thema „Komplexe Systeme: Ein Kamel in der Wüste und ein Gorilla im Dschungel. Wenn man die Tiere vertauscht, wird die Abhängigkeit von der Umgebung deutlich.
Kompliziertes wird es, wenn z.B. im Dschungel weitere Gorillas da sind; dann entsteht so etwas wie Konkurrenz oder Kooperation dieser Spezies im Gesamtsystem. Noch komplizierter wird es, wenn weitere Tiere (Konkurrenten) im System auftauchen, wie Jaguare und Schlangen etc., und nun erinnert das Ganze doch schon sehr an Unternehmen, die in einem ökonomischen Umgebungssystem erfolgreich sein wollen/müssen. Und jetzt müsste deutlich werden, warum die Erkenntnisse der Physik zur Funktion komplexer Systeme sowie zum Darwinismus und (etwas übergreifend) auch zur Spieltheorie von zentraler Bedeutung für das neue Gebiet von Physiconomics sind.
Als ich 2012 in der Waldhof-Akademie in Freiburg ein Symposium zum Thema „Wie wollen wir in der Zukunft leben?“ veranstaltete, stand ich danach vor einem Phänomen, mit dem ich nicht gerechnet hatte: In jedem Vortrag tauchte das Wort „schizophren“ auf, und es beschrieb aus unterschiedlichsten Perspektiven heraus die Wahrnehmung unserer Gesellschaft, wie sie sich entwickelt hat. Dieser Begriff „Schizophrenie“ machte deutlich, dass wir in unserem Leben längst überall auf scheinbar unauflösbare Widersprüche stoßen, die uns verunsichern und jede Orientierung schon fast unmöglich machen. Wir alle leben in einer Zeit, die uns überfordert, und ein Dozent meinte sogar, wir müssten „professionell schizophren“ sein, um damit umgehen zu können.
Mir scheint es, als ob wir alle in einem Boot (unserer Gesellschaft) sitzen, das „auf Sicht“ fährt. In dem Nebel einer Fülle von Informationen werden grundlegende Werte und Orientierungen außer Kraft gesetzt, und so wird der Kurs immer unsicherer. Alte Paradigmen in sozialen und ökonomischen Fragen scheinen sich aufzulösen und hinterlassen Fragezeichen, und so empfinden wir das Leben als zunehmend komplizierter. Und es ist es auch:
In den Nachrichten erfahren wir von einem regelrechten Job-Boom … und wissen aus denselben Quellen, dass zur gleichen Zeit 7,5 Millionen Bürger in Deutschland Hartz-IV-Transfers beziehen, die gerade so hoch sind, dass sie das Überleben sichern. Die Meldungen über einen Wirtschaftsboom wechseln sich mit denen einer Wirtschaftskrise schon fast täglich ab. Unglaubliche Geldmengen werden in den Markt gepumpt, um ein weiteres Wachstum der Wirtschaft zu unterstützen, während gleichzeitig viele Marktteilnehmer über Geldknappheit klagen, von sozialen Einrichtungen und Vorhaben ganz zu schweigen.
Der Zerfall von Familien geht einher mit einer bisher unbekannten sozialen Kälte und schon machen Worte wie Altersarmut, Pflegenotstand und sogar eines wie „soziale Kernschmelze“ die Runde, und zum selben Zeitpunkt gab es noch nie so viel Geldvermögen und reiche Menschen in der Welt. Sparpakete mischen sich mit milliardenschweren Rettungspaketen für Banken und Staaten, immer neue Rettungsschirme werden definiert und aufgespannt und die Europäische Zentralbank wird immer mehr zu einer Bad Bank, die „faule“ Papiere aufkauft. Die explodierenden Geldmengen müssten längst in eine heftige Inflation der Preise für Güter jeder Art umschlagen, stattdessen erleben wir eine bemerkenswerte Preisstabilität, die eigentlich eher einer Deflation entspricht … usw. usw. usw. ...
Wie lässt sich das erklären? Was machen wir falsch?
Im Laufe meiner Forschungen zeigte sich: Wir sind orientierungslos, weil wir gegen wichtige Regeln verstoßen. Wir benehmen uns wie Schachspieler, die die Regeln des Schachspiels entweder vergessen haben oder aus anderen Gründen der Ignoranz gegen sie verstoßen und nun etwas ratlos mit den Figuren hantieren. Aber … es ist kein Spiel, es ist bitterer Ernst. Wir verstoßen – und das ist die erste, grundlegende Überraschung und Erkenntnis – nicht gegen Regeln, die wir uns ausgedacht haben, sondern gegen Regeln, die die Natur uns vorsetzt!
Was für Regeln sind es? Nun, es sind Regeln, die grundsätzlich in dieser Welt gelten, für alles und jeden, für unsere Ökonomie wie für unser Leben und sogar für unsere sozialen Beziehungen. Nur … wir ignorieren diese Regeln gerne und manchmal denke ich, wir haben sie sogar vergessen – wohl auch, weil wir Wissenschaftler und Techniker vor lauter Möglichkeiten und ökonomischen Gewinnchancen den wichtigen Respekt vor der Natur (und ihren komplexen Gesetzmäßigkeiten) verloren haben. Die Vorstellung, dass die Natur uns Menschen Grenzen setzt, dass unsere Freiheiten des Agierens durch die Natur beschränkt werden, ist uns deshalb unangenehm – man denke nur an die aktuellen Genderdiskussionen.
Vieles deutet darauf hin, dass genau dieses die Krankheit unserer Zeit ist: Das Übersehen oder Überspielen natürlicher Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die Geringschätzung einer Natur, wenn sie ökonomischen Fragen entgegensteht.
So wird nun dieses Buch genau davon handeln, von der Suche nach diesen (auch ökonomisch bedeutsamen) elementaren Regeln der Natur, den „Rules of Everything“, die, das mag uns an dieser Stelle noch überraschen, gleichzeitig auch die „Rules of Success“ sind, die Spielregeln des Erfolgs.
Wenn wir sie gefunden haben, werden wir als Nächstes erkennen, wo und wie wir gegen sie verstoßen, ob bewusst oder unbewusst – anstatt mit ihnen erfolgreich zu sein. Und dann wird deutlich, warum unser Leben tatsächlich immer „verrückter, schizophrener“ geworden ist – und was wir dagegen tun können.
Dafür muss man etwas wissen, was uns selten bewusst ist, nämlich dass wir unser Leben nach einer gesellschaftlichen „Story“ ausrichten, wie es auch unsere Ökonomie und Politik machen.
Diese Story besteht in der Regel aus unwidersprochenen Glaubenssätzen, die unser Handeln anleiten. Stimmen sie, ist alles gut – stimmen sie nicht, muss man sie schleunigst ändern. Betrachten wir beispielsweise unsere ökonomische „Story“, die aktuellen Glaubenssätze in der Ökonomie (und in der Ökonomik).
Eine von mir durchgeführte Zusammenstellung dieser Glaubenssätze kam zu folgendem Ergebnis:
Wie ich Ihnen im Verlauf dieses Buches nun zeigen werde, sind alle hier aufgeführten 12 Glaubenssätze falsch! Unsere „Story“, nach der wir (Deutschen) und die Aktienbörsen die ökonomische Situation bewerten, ist grundlegend falsch. Und all diese verwirrenden Entwicklungen (s.o.) sind hausgemacht.
Wie komme ich zu dieser Aussage? Wo beginnt der Weg dazu?
Um Probleme wirklich zu lösen, ist es notwendig, in ihre Problemtiefe zu gehen und die wahren Ursachen zu analysieren. Beginnen wir daher dieses Buch mit dem Anstieg der Crime Rate in den USA, einem Ereignis, das mit Ökonomie aber auch gar nichts zu tun hat, uns aber auf den richtigen Weg führen kann.
Anfang der 90er Jahre konnte man in den USA – las man die Zeitungen – durchaus Angst um sein Leben haben. Die Crime Rate (Verbrechensrate) stieg seit vielen Jahren ständig an, heftige Gewalttaten waren schon fast an der Tagesordnung. Verantwortlich dafür waren zunehmend sog. „Superpredators“, mit Schusswaffen bewaffnete Jugendliche, die nicht lange zögerten, Gewalt einzusetzen. Kriminologen sagten deshalb übereinstimmend, es entstünde eine Generation von Killern und eine beispiellose Welle der Gewalt würde den amerikanischen Alltag heimsuchen.
Alle Voraussagen beschrieben einen exponentiellen Anstieg dieser Gewalt, und selbst Präsident Clinton sah (noch vor ökonomischen Fragen) in dieser Problematik die größte Herausforderung der US-Gesellschaft. Aber dann – anstatt ständig weiter zu steigen – bemerkte man plötzlich, dass die Crime Rate längst gefallen war! Und sie fiel und fiel weiter. Und dieselben Experten, die vorher ihren Anstieg prophezeit hatten, begannen nun in aller Eile, diesen Fall zu erklären.
Neue Theorien wurden aufgestellt, sie waren konventionell, und sie wurden dann auch von den Entscheidungs- und Informationsträgern übernommen und galten nun: Innovative Polizeistrategien, Verbesserung des Strafvollzugs, Veränderung des Drogenmarktes, Altern der Bevölkerung, bessere Waffenkontrollgesetze usw. (siehe Abbildung). Das Problem: Sie waren kaum relevant, der mit Abstand wichtigste Parameter war übersehen worden.
Das stellte sich erst heraus, als sich eine Arbeitsgruppe von Querdenkern um Steven Levitt (Autor von „Freakonomics“) damit beschäftigte.
Aufgrund ihrer Arbeiten fanden sie als wichtigste Ursache etwas ganz Anderes, Verblüffendes, und zwar ein Ereignis, das etwa 20 Jahre zuvor in Dallas geschehen war. Es betraf eine einzelne junge schwarze Frau namens Norma McCorvey.
Entwicklung und „offizielle“ Ursachenforschung zur Crime Rate in den USA
Norma war arm, ungebildet, drogensüchtig, 21 Jahre alt, hatte schon 2 Babys zur Adoption freigegeben und wollte nun, bei ihrer 3. Schwangerschaft, eine Abtreibung. Bloß: Diese war nur in ganz wenigen Bundesstaaten der USA erlaubt, in Texas nicht. Sie klagte, der Fall ging schließlich bis zum Obersten Gerichtshof (Supreme Court), und am 22. Januar 1973 wurde das Recht auf Abtreibung für die gesamte USA durchgesetzt. Für Norma war es zu spät, wieder gab sie ihr Baby zur Adoption frei, aber auf die Crime Rate hatte es enorme Auswirkungen. Denn nach dem Richterspruch konnten unerwünschte Schwangerschaften nun beendet werden, die Anzahl ungewollter Kinder sank deutlich – in den USA finden seitdem jährlich etwa 1,5 Millionen Abtreibungen statt – und damit sank Jahre später drastisch die Anzahl krimineller Jugendlicher.
Es waren dann die Erfahrungen auch aus anderen Untersuchungen, die Levitt dazu veranlassten, die folgenden Grundsätze seines „Querdenkens“ aufzustellen:
1. Persönliche/Institutionelle Absichten (und das Streben nach Vorteilen) sind grundlegende Faktoren im modernen Leben.
2. Die konventionellen Auffassungen sind oft falsch.
3. Dramatische Ereignisse haben oft verborgene Ursachen.
4. „Experten“ benützen ihren informativen Vorteil, um eigene Pfründe zu sichern.
5. Die komplizierte Welt wird einfacher, wenn man weiß, was man wirklich messen muss und wie man es am besten misst.
Kann man diese Grundsätze auch auf unsere aktuellen ökonomischen Probleme, auf die Euro- und Bankenkrise und alle weiteren Krisen anwenden? Natürlich. Sie gelten auch für die Forschung in anderen Bereichen, wie z.B. in der Physik. Und doch fehlt hier – will man die Regeln des Querdenkens auf komplexe Fragestellungen anwenden – noch etwas, und zwar für mich sogar der wichtigste Teil. Es ist der „Teil“, von dem dieses ganze Buch handelt.
Dafür gehen wir in der Geschichte etwa 2000 Jahre zurück, in die griechische Mythologie und ins alte Rom.
Nun war Levitt kein Naturwissenschaftler, und so hat auch er etwas übersehen. Sie alle kennen sicherlich die Geschichte von Sisyphos, der von den Göttern dazu verdammt war, einen Felsbrocken einen Berg hinauf zu rollen.
Aber immer dann, wenn seine Kräfte erlahmten oder der Berg zu steil wurde, rollte der Felsbrocken wieder hinunter und Sisyphos begann von neuem mit seiner Arbeit.
Der moderne Mensch als Sisyphos
Sein Problem war, dass er gegen eine Naturkraft arbeitete, und zwar gegen die Gravitation.
Diesem Sisyphos ähnelt oft der moderne Mensch, der glaubt, mit seinen Fähigkeiten und all seinen organisatorischen und technischen Mitteln die Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten zu überwinden – um schlussendlich dann doch wieder zu scheitern. Der moderne Mensch hat offenbar eine Erkenntnis vergessen, die bereits vor ca. 2000 Jahren der römische Philosoph Seneca fand und so ausdrückte:
Wo die Natur nicht will, ist die Mühe umsonst!
Die lapidare Schlussfolgerung daraus bezeichne ich in Vorträgen gerne als die allererste Erfolgsregel:
Es ist einfacher, mit den Gesetzen der Natur erfolgreich zu sein, als gegen sie.
Ich muss also die Gesetze der Natur kennen, will ich oder will die Gesellschaft erfolgreich sein!
Und damit sind wir auch ökonomisch schon mitten in der Naturwissenschaft. Und mit ihrer Hilfe gehen wir nun gleich den Dingen auf den Grund, aber vorher kommt noch kurz etwas zur Grounding-Methode. Ihr Ziel ist es nicht nur, Problemen „auf den Grund zu gehen“, sondern auch Zusammenhänge zu verstehen.
Der Begriff „Grounding“ wird in der Literatur verschieden benutzt und reicht von Aspekten der Kommunikationstheorie bis zu einem Flugverbot in der Luftfahrt. Ich orientiere mich hier mehr an das Thema „Verständnis“ in der Kommunikationstheorie und bezeichne mit Grounding den Prozess, bei unübersichtlichen Problemlagen ein tiefergehendes Verständnis unter Berücksichtigung der Naturgesetze zu erlangen.
Für diese Methode habe ich einfach die Grundsätze des Querdenkens von Levitt et al. ergänzt: Um bei Problemen in die Tiefe zu gehen und die wahren Ursachen zu analysieren, wurde die Liste von Levitt lediglich um zwei neue Grundsätze erweitert. Ich halte sie für elementar. Sie lauten:
6. Falsche Aussagen entstehen oft, weil die konventionellen Auffassungen mit naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, also den Spielregeln der Natur, kollidieren. Oft handelt es sich dabei um die Spielregeln komplexer Systeme, die übersehen wurden.
Und, auf Sisyphos bezogen:
7. In nicht oder schlecht funktionierenden Systemen, die menschengemacht sind, sind oft „Sisyphos-Anteile“ verborgen, die es zu identifizieren und zu behandeln gilt.
Ziel dieser Grounding-Methode ist es, den üblichen Reparaturkreislauf bei fehlerhaften Systemen zu vermeiden (s. Abbildung).
Mit dieser Methode werden wir nun die verwirrende Situation unserer Ökonomie analysieren. Dazu beginnen wir jetzt endlich mit der Suche nach den übersehenen „Spielregeln der Natur“.
Warum sollten Sie nun weiterlesen?
Nun, Sie alle sind Teilnehmer eines Spiels, dessen Regeln sie vielleicht ahnen, aber nicht wirklich kennen. Und Sie wollen ja erfolgreich sein. Je besser Sie die Regeln kennen, desto einfacher wird das für Sie sein.
Selbst die Natur-Wissenschaften tun sich bis heute schwer, die wirklich wichtigen Gesetzmäßigkeiten oder Spielregeln der Natur zu finden. So gibt es in der Physik zwar die Astrophysik mit Einsteins Relativitätstheorie, die Wärmelehre (Thermodynamik) mit der Entropie, die Quantentheorie mit dem Thema „Zufälle und Wahrscheinlichkeiten“, die Chaostheorie und als neuen Zweig die Physik der komplexen Systeme – aber alle Theorien beschäftigen sich nur mit fachspezifischen Teilaspekten. Und wie verträgt sich die Physik mit dem elementaren Gesetz der Biologie, das in der Evolutionstheorie beschrieben wird?
Auf der Suche nach den Spielregeln der Natur war man also hier und dort fündig geworden, aber es ist wie bei einem Puzzle: Viele Teile sind da, nur das Gesamtbild will sich nicht zeigen. Es passt alles einfach noch nicht zusammen. Das grundlegende Zusammenspiel der Gesetzmäßigkeiten der Natur ist immer noch ein Rätsel. Und das gilt damit natürlich auch für die Ökonomie.
Woran liegt das?
Bei meinen eigenen Forschungen wurde es immer deutlicher, dass irgendwann im Laufe der Geschichte der Naturwissenschaften eine „Weiche“ falsch gestellt worden war … und dass es galt, diese Weiche zu finden und die Naturwissenschaften neu „aufzudröseln“. Als ich sie dort nicht fand, suchte ich weiter, um schließlich fündig zu werden: In einer ganz anderen Disziplin, nämlich in der Philosophie.
Dafür gehen wir in der Zeit wieder etwas zurück, diesmal aber nicht 2000 Jahre, sondern „nur“ etwa 200 Jahre.
In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder Zeiten, in denen für das menschliche Denken wesentliche Weichen gestellt werden. Einer dieser wichtigen Momente, wenn auch bisher wenig beachtet, spielte sich etwa um 1800 n. Chr. ab.
Zwei Philosophen, die sich sogar zeitweise eine Studentenbude teilten, später aber grußlos aneinander vorbeigingen, vertraten zwei völlig verschiedene Sichtweisen.
Der Philosoph G.W.F. Hegel formulierte im Jahre 1817 die Sätze: „Insofern der Mensch als Naturwesen ist und sich als solches verhält, so ist dies ein Verhältnis, welches nicht sein soll. Der Geist soll frei und das, was er ist, durch sich selbst sein.“ Der Mensch erhebe sich mit seinem (logischen) Verstand über die Natur, so in etwa läs st sich dieser Satz deuten.
G.W.F. Hegel (1770-1831)
Unterstützt von der katholischen Kirche setzte sich Hegel damals mit dieser Auffassung durch. Und diese Auffassung ist auch heute noch weit verbreitet und ich mache sie tatsächlich für unsere aktuelle Krise unseres Denkens und unserer Ökonomie mit verantwortlich.
Erst in der heutigen Sicht wird deutlich, dass – ein historischer Fehler – Hegel sich damals gegen einen anderen Philosophen durchgesetzt hatte, der nur einige Jahre vorher ganz anders argumentiert hatte.
F.v. Schelling (1775-1854)
1799 prägte Friedrich von Schelling den Satz: „Die Natur ist autark, und autonom, sich selbst organisierend. In jedem Individuum spiegelt sich das Ganze, das Unendliche.“
Danach ist der Mensch Teil der Natur, und alles, die Ergebnisse der Wissenschaft im Labor wie aber auch das menschliche Leben mit all seinen Facetten, sind Ausdruck derselben elementaren Naturgesetze.
Das ist schon mal neu für unsere Suche, die Physik hat das Leben mit seinen Gesetzmäßigkeiten bis heute völlig außer Acht gelassen.
Überträgt man Schellings Ansicht auf die Suche nach den Gesetzen der Natur, macht man den entscheidenden revolutionären Gedankensprung:
Es gilt nämlich, nach den Gesetzmäßigkeiten zu suchen, die gleichzeitig sowohl in der Physik und anderen Naturwissenschaften als auch in anderen Wissenschaften (Ökonomik, Soziologie, Biologie etc.) und am besten auch noch in den Gegebenheiten des realen Lebens auftreten. Die entscheidenden Hinweise auf die Grundprinzipien der Natur werden wir vor allem dort finden, wo sie sich in schöner Übereinstimmung auch in anderen Disziplinen zeigen!
Damit haben wir schon einmal lokalisiert, wie und wo wir suchen müssen: Interdisziplinär. Kein Wunder, dass ich Friedrich v. Schelling gerne als den „Guru“ bzw. Wegbereiter der interdisziplinären (oder transdisziplinären) Wissenschaften bezeichne. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass nicht nur die Ökonomen von der Physik lernen können, sondern auch die Physiker von der Ökonomie.
So geht es also nun darum, die Gesetzmäßigkeiten zu finden, die in beiden Disziplinen – der Physik und der Ökonomik – und am besten auch noch in anderen Wissenschaften wie der Mathematik und der Biologie gemeinsam (!) sichtbar werden. Denn: Erst wenn wir in möglichst vielen Disziplinen auf vergleichbare Gesetzmäßigkeiten stoßen, können wir sicher sein, dass wir nun endlich den wirklich elementaren Spielregeln der Natur auf der Spur sind!
Beginnen wir daher nun mit unserer Suche, zusammen mit diesem bisher völlig übersehenen Aspekt – und aus der Sicht der späteren Lösung. Und das ist neu.
Die Suche nach dem Ursprung und den Gesetzen des Universums ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Das liegt nicht nur daran, dass man als intelligentes und sterbliches Wesen schließlich irgendwann wissen möchte, in was für einer Welt man lebt, sondern auch daran, dass man das Wesen des Universums und seine Regeln kennen möchte, um mit ihnen möglichst gut zu leben und zu überleben, also erfolgreich zu sein.
In meinem Buch „Einsteins Irrtümer“ habe ich diese Suche mit all ihren Erfolgen und Irrwegen ausführlich aus der Sicht eines Physikers beschrieben. Ich möchte diese Geschichte nun aber einmal ganz anders erzählen, und zwar aus Sicht eines Ökonomen.
Die ersten Deutungen der Wirklichkeit wurden im Zeitalter der Mythologie sichtbar. Man beschäftigte sich vor allem mit dem Bezug des Lebens zur Welt. Auffällig ist, dass die Menschheit mit einer Sprache der Poesie begann, um die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten zu beschreiben. Und ebenso auffällig ist, dass sich die mythischen Beschreibungen häufig glichen: Die Welt war nicht einfach und unveränderlich da, sondern es gab ein gewaltiges Weltenspiel. Ursprung und Grundlage dieses Spiels war eine große Kraft, die den Kosmos in einem ungeheuren Schöpfungsakt hervorbrachte: Die Kulturen kannten in der Regel eine ordnende Gottheit, die das Ur-Chaos überwand und die Welt entstehen ließ. Das Ur-Chaos wurde auch oft als „formloser Geist“ oder „formlose Dunkelheit“ beschrieben. In der Welt selber gab es dann ordnende und zerstörerische (chaosfördernde) Kräfte, die sich in verwandten Formen dann auch in allen Weltreligionen wiederfinden lassen. Es war ein Spiel zwischen Ordnung und Chaos.
In der Antike (es beginnt mit Platon und Aristoteles) rückte man stattdessen von dieser Beschreibung der Realität ab und versuchte erstmals, die Logik in die Wissenschaft einzuführen – um gleichzeitig die Erkenntnisse aus jahrtausendelanger „poetischer“ Beobachtung der Natur hinwegzufegen. Eine historische Weichenstellung, seit der die Physiker versuchen, ausschließlich Kausalität und Logik als Maßstab für die Beschreibung der Gesetzmäßigkeiten der Natur zu nehmen. Nun, es war auch an der Zeit, sich endlich logisch mit der Natur auseinander zu setzen. Was auch sonst – es gab keine Alternative. Der Logizismus setzte sich auf diese Weise früh durch. Und er führte zu einer Vielzahl von Erkenntnissen – wenn auch nicht immer alle richtig waren.
Der Logizismus feierte nun einen Erfolg nach dem anderen. Mit Kopernikus und Kepler wurde zwar das geozentrische Weltbild nachhaltig zerstört und die Sonderstellung des Menschen zum ersten Mal erschüttert, aber der menschliche Verstand war auf der Siegesstraße. Galileo Galilei und Isaac Newton schufen jetzt eine Physik der Bewegung und Trägheit von Körpern. Die Gesetze von Impulsen und Kräften wie auch der Gravitation wurden erforscht und mathematisch in Formeln ausgedrückt.
Unser logizistisches Weltbild: Wir glauben gerne an absolute Kausalität – wie in einem Uhrwerk. Denn das ist recht einfach und bequem.
Die Folge: Spezialisierung – übrigens auch in der Physik
Die Ausbreitung des Lichtes wurde als nächstes untersucht, und seine Eigenschaften einer elektromagnetischen Welle entdeckt. Michael Faraday und James Clark Maxwell führten in der Folge Optik und Elektromagnetismus zusammen, die Frage nach einem Lichtäther machte die Runde, ohne dass jemand auch nur eine Vorstellung davon hatte, was er sein könnte, bis dann Albert Einstein diesen Äther einfach abschaffte, indem er seine beiden berühmten Relativitätstheorien (die spezielle und die allgemeine) in die Welt brachte, die auch heute noch in der Physik das Maß der Dinge sind.
Für den physikalischen Laien sei hier kurz erwähnt, dass die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) versucht, das Phänomen zu erklären, dass ich auf mich eintreffendes Licht immer mit derselben Geschwindigkeit c messe. Ich messe diese Geschwindigkeit c selbst dann, wenn ich mich mit fast Lichtgeschwindigkeit auf einen Lichtstrahl zubewege.
Und die Allgemeine Relativitätstheorie (ART) beschreibt, wie sich Gravitation auf Raum und Zeit auswirkt.
Was aber hat Einstein nun mit Ökonomie zu tun?
Eigentlich nichts, aber auch gar nichts. Die wichtigste Formel der Physik ist für die Ökonomik völlig unbrauchbar. Aber … gerade Einstein steht auch heute noch für den Logizismus in unseren Wissenschaften und geradezu legendär ist sein Ausspruch: „Gott würfelt nicht!“ Und es ist dieses logizistische Weltbild mit absoluter Kausalität, an das wir und unser Verstand so gerne glauben, weil es uns ein Gefühl der Beherrschbarkeit und Kontrolle ermöglicht.
Daniel Kehlmann lässt in seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ den Mathematiker Gauß über die Kausalität der Welt formulieren: Aus der Nähe betrachtet, sehe man hinter jedem Ereignis die unendliche Feinheit des Kausalgewebes. Das war der Wunsch von Gauß: Je genauer ich hinschaue, desto deutlicher wird die Feinheit der Kausalität. Und so hätten auch wir und unser Verstand es gerne.
Es wäre schön und einfach, nur ist die Welt ganz anders – natürlich auch in der Ökonomie.
Gauß hatte sich nämlich völlig geirrt.
Die aufsehenerregenden Erfolge Einsteins mit seiner Relativitätstheorie ermunterten einige Ökonomen, die logizistischen physikalischen Vorgehensweisen auch auf die Ökonomik zu übertragen. Ihr wichtigster Vertreter in diesen Anfängen, der sich mit der Übertragung physikalischer Gesetze in die Ökonomik beschäftigte und auch einer der wenigen auf diesem Gebiet bleiben sollte, war der bis heute weitgehend unbekannte Frank Knight.
Frank Knight 1885-1972
Wie er feststellen musste, stieß man bei der analogen Vorgehensweise aber schnell an Grenzen. Zu viele Variable und zu viele Unbekannte traten auf und es ergab sich schnell das Problem der „Mathematisierung des Nichtwissens. Es zeigte sich: Will die Ökonomie wirklich exakt sein, wird sie unrealistisch. Es war das Jahr 1917, als Knight publizierte, dass die dynamischen Gegebenheiten der Wirtschaft mit deterministischen Ansätzen nicht zu lösen sind (bis auf kleine „Inseln“).
Wie er weiter erkannte, ist das ökonomische System ein sozialer Prozess mit Irrtümern, Konflikten, Innovationen und unendlich vielen Möglichkeiten von Veränderungen. Die Vorgehensweise der Physik war damit in der Ökonomie angesichts einer unüberschaubaren Komplexität und Dynamik grundsätzlich nicht möglich, und eine Sicherheit in Entscheidungen nur relativ selten.
Das Weltbild der Ökonomie (nach Frank Knight, 1917)
Damit ergibt sich für die Ökonomie ein Bild, das in der obigen Abbildung wiedergegeben wird (das D steht für „dynamisch“ und soll kennzeichnen, dass das Modell prozessorientiert ist). Neben „klaren“ Bereichen der Entscheidungssicherheit existieren „graue“ Zwischenformen des Risikos und „dunkle“ Bereiche der Unsicherheit.
Das war anfangs überraschend: Einsteins logizistisches Weltbild war in der Ökonomik unbrauchbar. Frank Knights „Inseln des Determinismus“ in einer scheinbar unüberschaubaren Welt des Risikos oder sogar der Unsicherheit von unternehmerischen Entscheidungen in einer Welt voller Komplexität und Dynamik waren mit Einsteins Denken nicht vereinbar. Die ökonomische Welt war und ist – so die klare Erkenntnis der Untersuchungen von Knight – ganz offensichtlich nicht nur logisch aufgebaut.
In der logischsten aller Wissenschaften, in der Mathematik, sollte genau das sich eindrucksvoll bestätigen.
Stimmt es, ist die gesamte Welt wirklich nicht nur logisch aufgebaut, sondern auch noch anders? Ist die Welt doch mehr als ein Uhrwerk?
Zur Prüfung diese Frage gehen wir in die logischste aller Wissenschaften, in die Mathematik. Zum Wesen der Mathematik gehört es geradezu, alles und jedes zu beweisen. Mathematik, das ist Logik pur – so unsere Auffassung von der Mathematik und unsere Erwartung an sie. Wendet man beispielsweise Schellings Philosophie auf die Mathematik an, nach der alles Ausdruck der elementaren Gesetze der Natur ist, müsste sich in dieser Wissenschaft am ehesten zeigen, ob wenigstens hier eine rein logische Erfassung der Welt und ihrer Phänomene denkbar und möglich ist. Würde es selbst in der logischen Mathematik nicht gelingen, wäre dies ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Welt grundsätzlich anders ist.
Mathematiker und Logiker waren nun lange der festen Überzeugung, die Mathematik sei in ihrem Wesen vollkommen, nämlich vollkommen beweisbar, logisch erklärbar und widerspruchsfrei. Gäbe es hier und da Probleme, müsste die Mathematik nur noch klarer formuliert werden.
Und hier beginnt die Geschichte eines Mannes, über den Freeman Dyson von der Princeton University sagte: „Er war der einzige von uns, der sich mit Einstein auf gleicher Augenhöhe bewegte“.
Obwohl dieser Mann mit seinen wissenschaftlichen Aussagen immer wieder Einstein verunsicherte, ging Einstein schließlich sogar eine Freundschaft mit ihm ein. Es ist der Mathematiker Kurt Gödel.
Albert Einstein und Kurt Gödel an der Princeton University, ca. 1950.
Die eigentliche Geschichte von Gödel und seiner Mathematik beginnt aber schon vor seiner Zeit, um ca. 1900:
Am Ende des 19. Jahrhunderts, zurückgezogen und unbeachtet, arbeitete der Mathematiker Gottlob Frege in Jena an einer Abhandlung mit dem Titel „Grundgesetze der Arithmetik“. Darin verfolgte Frege nichts weniger als das Ziel, die These vom Logizismus der Mathematik einzulösen. Die Mathematik sollte reine Logik sein, und sie sollte auf wenige logische Grundgesetze (Axiome) zurückgeführt werden können. Trotz der komplizierten Formelsprache, die sich bei diesem Projekt ergab, hatte Frege zu Beginn des 20. Jahrhunderts für kurze Zeit die persönliche Genugtuung, die Mathematik auf sicheren Boden gestellt zu haben.
Die Freude währte nicht lange. Noch vor Erscheinen seines zweiten Bandes der „Grundgesetze der Arithmetik“ erhielt Frege im Juni 1902 einen Brief von Bertrand Russell, der ähnliche Ziele verfolgte. In diesem Brief erzählte er Frege von einem bahnbrechenden Widerspruch, einer Antinomie, die er gefunden hatte.
Russell war nämlich auf mathematische Mengen gestoßen, die sich nicht selbst als Element enthalten, dafür aber ihrerseits wieder eine Menge bildeten. Die