Die vergessene Prinzessin - Eva-Maria Bast - E-Book
SONDERANGEBOT

Die vergessene Prinzessin E-Book

Eva-Maria Bast

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Prinzessin, die für ihr Glück kämpfen musste – das tragische und unkonventionelle Leben der Mutter von Prinz Philip und späteren Schwiegermutter der Queen Elizabeth. Ein privater Blick hinter die Kulissen des englischen Königshauses! London, 1902: Als Alice von Battenberg dem weltgewandten Prinzen Andreas von Griechenland begegnet, ist sie sofort von ihm eingenommen. Er erwidert die Gefühle der ausgesprochen intelligenten Prinzessin, die zwar taub geboren wurde, aber in mehreren Sprachen Lippen lesen kann. Alice folgt ihrer großen Liebe nach Griechenland, nichts von der Zerreißprobe ahnend, die ihr dort einige Jahre später bevorstehen soll: Der Konflikt zwischen Volk und Krone spitzt sich zu, Unruhen stürzen das Land in eine schwere Krise. Alice kämpft für ihre neue Heimat, baut Hospitäler und kümmert sich um Kriegsversehrte. Doch die Lage verschärft sich, ihre Familie gerät wiederholt in tödliche Gefahr, und letztendlich scheint eine Flucht der einzige Ausweg zu sein … Spätestens seit der Netflix-Serie »The Crown« dürfte Alice von Battenberg den meisten ein Begriff sein. In ihrem Roman beleuchtet Eva-Maria Bast das Schicksal dieser starken, ungewöhnlichen Frau, die von der Prinzessin zur Heimatsuchenden wurde. Bedeutende Frauen, die die Welt verändern  *Mit den historischen Romanen unsere Reihe »Bedeutende Frauen, die die Welt verändern" entführen wir Sie in das Leben inspirierender und außergewöhnlicher Persönlichkeiten!* Auf wahren Begebenheiten beruhend erschaffen unsere Autorinnen ein fulminantes Panormana aufregender Zeiten und erzählen von den großen Momenten und den kleinen Zufällen, von den schönsten Begegnungen und den tragischen Augenblicken, von den Träumen und der Liebe dieser starken Frauen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 408

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autorinnen, Autoren und Bücher:

www.piper.de

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, schreiben Sie uns unter Nennung des Titels »Die vergessene Prinzessin« an [email protected], und wir empfehlen Ihnen gerne vergleichbare Bücher.

© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Kerstin von Dobschütz

Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign

Covermotiv: Johannes Wiebel unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com und Hulton Archive/Getty Images; Kolorierung Motiv »Battenberg« von Olga Shirnina

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Wir weisen darauf hin, dass sich der Piper Verlag nicht die Inhalte Dritter zu eigen macht und dafür keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Cover & Impressum

Prolog

Frankreich, St. Cloud, Frühjahr 1929

Darmstadt, Neues Palais, 13 Monate später

Teil 1

1902–1905

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Teil 2

1912–1914

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

Teil 3

1920–1922

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

Epilog

London, 2. Juni 1953

Athen, vierzehn Jahre später

Zwei Jahre später, Buckingham Palace,London, 5. Dezember 1969

Danksagung

Spuren der Realität

Quellen und Literatur

Prolog

Frankreich, St. Cloud, Frühjahr 1929

»Mama!«

Der kleine Junge gab nicht auf. »Mama, schau mal, wie schön diese Blume ist.«

Er pflückte an diesem warmen Frühlingstag des Jahres 1929 eine Margerite und hielt sie seiner Mutter hin, die im Garten ihres Hauses in St. Cloud auf einer schmiedeeisernen Bank saß.

Alice starrte die Blume an wie einen Fremdkörper. Das strahlende Gelb, umgeben von dem weißen Kranz. Wie eine Sonne. Eine weiße Sonne.

»Mama!« Philip lachte und gab ihr die Blume. »Mama, wenn ich dir diese Blume schenke, dann sprichst du aber wieder mit mir, ja? Ich hab dir doch nichts getan, Mama. Ich hab dich doch lieb.«

Alice spürte seine beiden Kinderärmchen um ihren Hals. Die Wange, die sich an die ihre presste. Wie gut er roch! Sie schloss die Augen und sog seinen Duft tief in sich ein.

Sie wusste nicht, ob er noch weitersprach. Wenn sie die Augen geschlossen hielt, war da nur noch Stille. Denn Alice war taub, und wenn sie die Augen schloss, konnte sie nicht von den Lippen der anderen lesen und sich somit ganz in ihre Welt zurückziehen. Aber sie war doch nur taub und nicht taubstumm! Sie konnte nicht nur perfekt Lippenlesen, sondern auch perfekt sprechen – in mehreren Sprachen. Dass sie es nicht mehr tat, war eine bewusste Entscheidung. Sie schwieg, weil keiner sie verstand. Andreas, ihr geliebter Mann, ihre vier Töchter, ihr gesamtes Umfeld in ihrem französischen Exil – sie alle nahmen sie nicht ernst. Keiner glaubte ihr, dass sie heilende Kräfte hatte und in der Lage war, direkt mit Jesus Christus zu sprechen. Dabei waren diese heilenden Kräfte doch so wichtig, um die Welt zu retten, diese böse, dunkle Welt voller Mörder und Revolutionäre, die so grausam war und ihr so viele ihrer Liebsten geraubt hatte. Und Alice wusste, dass es weitergehen würde! Und dass auch dieser kleine Junge, der ihr gerade diese wunderschöne Blume gereicht hatte, in Gefahr war.

Sie spürte, dass er die Arme von ihrem Hals löste. Die Leere griff nach ihr, füllte sie aus. Auch er verließ sie. War er in Gefahr? So wie Alexei einst in Gefahr gewesen war? Wie ihre Tante, die Zarin, hatte sie vier Töchter und einen Jungen. Ihre Tante, die Zarin, hatten die Revolutionäre gejagt und am Ende grausam ermordet. Würde ihnen das gleiche Schicksal drohen?

Erschrocken riss sie die Augen wieder auf. Philip!

Da stand er mit hängenden Armen und sah sie still an. Nein, er war nicht in Gefahr, sie waren in Frankreich und in Sicherheit. Aber er sah so traurig aus, so unendlich ratlos. Dabei war er doch nur ein siebenjähriger Junge, der sich nach der Liebe und Zuneigung seiner Mutter sehnte.

Alice begann zu zittern. Wie gerne hätte sie die Arme nach ihm ausgestreckt. Doch sie konnte es nicht. Ihre Arme wollten ihr nicht gehorchen.

So sah sie ihn nur an. Ihr trauriger Blick erwiderte den seinen.

Sie war allein, so allein. Und Philip war es auch.

*

Eine Stunde später saß Alice noch immer auf der schmiedeeisernen Bank im Garten von St. Cloud. Philip war längst von seiner einfühlsamen Nanny Tilda nach drinnen gebracht worden, und ihre Hofdame Martha war gekommen und hatte sich neben sie gesetzt, ihr fürsorglich eine Decke um die Schultern gelegt. Alice hielt nach wie vor die Margerite in der Hand, die Philip ihr gegeben hatte, und drehte sie nachdenklich hin und her.

Und dann sprach sie die ersten Worte seit Wochen. »Ich bin wirklich krank«, sagte sie leise. »Wie Philip mich angesehen hat – ich muss etwas tun. Er hat eine ganz normale Mutter verdient, die für ihn da ist und ihm die Welt erklärt. Ich will nicht versagen.«

Die Hofdame nickte weise. »Ja, das müssen Sie«, erwiderte sie sanft. »Es ist gut, dass Sie das erkennen.«

»In mir ist manchmal so viel Dunkelheit«, erklärte Alice. Nun, da sie sich entschlossen hatte zu sprechen, brachen die Worte nur so aus ihr hervor. »So unendlich viel Dunkelheit. Und da sind diese Stimmen, die auf mich einreden. Dann halte ich mir die Ohren zu, doch es hilft nichts, denn sie kommen ja von innen. Und Andreas bin ich auch nur eine Last. Er glaubt mir nicht, dass ich heilende Hände habe. Und er glaubt mir nicht, dass Jesus mir Dinge anvertraut. Wir haben uns einmal so geliebt, mittlerweile lehnt er mich nur noch ab.«

Alice sah die andere an, voller Hoffnung, bei ihrer stets so treuen Hofdame auf Verständnis zu stoßen. Doch auch Martha musterte sie auf diese eigenartige Weise. Mit einer Mischung aus Mitgefühl und Ablehnung.

Sie war allein. So allein. War sie das wirklich? Da war doch Jesus, der ihr Halt und Kraft gab! Jesus! Ihr treuer Gefährte! Er würde immer an ihrer Seite sein!

*

»Lass die Kinder zu mir. Bitte.«

»Nein. Du machst ihnen Angst.«

»Ich will ihnen doch nur helfen.«

»Du hilfst ihnen nicht, Alice. Du läufst mit irgendwelchen Ikonen murmelnd durch das Zimmer. Oder du liegst auf dem Sofa.«

»Ich will das Böse vertreiben. Aber die dunklen Mächte drücken mich manchmal nieder. Dann muss ich mich hinlegen. Doch ich werde euch alle retten, Liebster. Wie ich euch schon einmal gerettet habe. Euch wird nichts geschehen.«

»Du musst uns nicht mehr retten«, sagte Andreas. Seine sonst so kalte Stimme klang mit einem Mal zärtlich, und für einen Augenblick sah Alice in seinen Augen die innige Liebe, die sie einmal verbunden hatte.

»Wir sind in Frankreich. Und in Sicherheit.«

Angstvoll sah sie ihn an. »Die dunklen Mächte sind überall.«

Die Liebe in seinem Blick erlosch.

Er ging fort. Wieder war Alice allein.

*

Andreas hatte Alice’ Mutter kontaktiert, die sofort angereist war, um ihrer Tochter zur Seite zu stehen.

»Bitte, Liebes, sag mir, was dich so bedrückt«, flehte Viktoria Mountbatten ihre Tochter nach dem gemeinsamen Essen an.

»Ich muss sie beschützen«, erklärte Alice auch ihr.

»Wen? Wen musst du beschützen?«

Alice sah aus dem Fenster, ihr Blick verlor sich. Dann wandte sie rasch den Kopf. »Ist dir schon einmal aufgefallen, wie ähnlich die Situation deiner Schwester, der Zarin, mit der meinen ist?«

Viktoria sah sie an, unendlichen Schmerz im Blick. »Aber deine Tante Alix ist tot, mein Kind.«

Alice nickte finster. »Eben. Sie hat ihre Familie nicht retten können. Mir wird das gelingen. Ich werde den Bann des Bösen brechen. So vieles ist ähnlich. Beide haben wir vier Töchter und dann noch einen kleinen Jungen bekommen. Unsere Männer wurden gefangen genommen. Wir wurden von Soldaten bewacht und von Revolutionären gejagt. Sie wurden am Ende alle ermordet. Uns wird das nicht passieren.«

Alice zögerte. Sollte sie ihrer Mutter anvertrauen, dass sie erfahren hatte, dass sie eine Heilige war? Wer, wenn nicht sie, würde ihr glauben?

»Ja, mein Liebes, Alix ist tot«, sagte Viktoria und nahm ihre Hände. »Aber euch wird das nicht passieren, da hast du ganz recht. Ihr seid geflohen und in Sicherheit.«

Alice’ Blick verschleierte sich. »Wir sind auch in Sicherheit, weil ich eine enge Beziehung zu Jesus Christus habe. Er gibt mir seine Kraft. Wir haben zusammen zu Abend gegessen und …«

Ruckartig entzog Viktoria ihr die Hände.

»Da gibt es noch eine Gemeinsamkeit zwischen dir und Alix«, sagte sie kalt. »Beide leidet ihr an religiösen Wahnvorstellungen. Ich werde nicht zulassen, dass es in deinem Leben auch einen Rasputin geben wird.«

Dann ging sie hinaus.

Alice sah ihr nach. Sie war allein. So allein.

Darmstadt, Neues Palais, 13 Monate später

Sie war allein. So allein. Alle waren fortgegangen und hatten sie mit diesem Mann zurückgelassen.

»Ihr Kopf und Ihr Körper sind krank, Alice«, sagte Professor Karl Wilmanns. »Sie wissen das. Dr. Simmel und Sigmund Freud haben Ihnen ja auch schon geholfen. Aber das hat nicht ausgereicht. Nun ist es Zeit, mit mir an den Bodensee zu kommen. Dort steht eine wunderschöne Klinik, in der wir Ihnen noch besser helfen können.«

Alice starrte ihn an. Panik im Blick. Dieser Mann war böse. Und sie wusste es. Sie war allein mit dem Bösen, war ihm völlig ausgeliefert. Dolla, Cecilia, Tante Onor und Onkel Ernie wollten mit Mama und Philip ein kleines Picknick machen. Als sie fort waren, hatte sich dieser mitfühlende Mensch, der zunächst solches Interesse an ihren religiösen Ansichten gezeigt hatte, in ein Monster verwandelt, in den Teufel.

»Nein«, schrie Alice. »Nein, ich gehe nicht mit Ihnen.«

Die Augen des Mannes wurden zu Eiskristallen. »O doch, das werden Sie«, sagte er ruhig. Seine Hand, eine riesige Pranke, fuhr nach vorne und packte sie grob am Unterarm.

»Nein!«, rief Alice panisch und riss sich los. Sie sprang so heftig auf, dass der Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, umkippte und zu Boden fiel.

Sie rannte zur Tür, um nach Hilfe zu rufen, doch der Mann hatte sie bereits erreicht und rammte ihr eine Spritze in den Arm.

Alice sank in sich zusammen.

Sie war allein. So allein. Und diesem Mann hilflos ausgeliefert. Das Böse hatte die Macht über sie gewonnen.

Teil 1

1902–1905

1. Kapitel

Die junge Frau beugte sich nach vorne, um kritisch ihr Spiegelbild zu mustern. Es war der 23. Juni 1902, und Nona Kerr, die Hofdame ihrer Mutter, bürstete gerade Alice’ dichtes blondes Haar. Ihre dunklen Augen leuchteten voller Vorfreude, und der hochgeschlossene Spitzenkragen betonte ihr ebenmäßiges Gesicht. Zaghaft lächelte Alice ihrem Spiegelbild zu. Heute war es ihr wichtiger denn je, hübsch auszusehen.

Gemeinsam mit ihrer Mutter Viktoria von Battenberg, geborene Prinzessin von Hessen und bei Rhein und in Begleitung von Hofdame Nona, war Prinzessin Alice von Battenberg am Vorabend im Buckingham Palace angekommen, um an Onkel Berties Krönungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Dreiundsechzig Jahre hatte Königin Victoria geherrscht, und als sie nach mehr als sechs Jahrzehnten Regierungszeit am 22. Januar 1901 gestorben war, war der neunundfünfzigjährige Albert Edward aus dem deutschen Adelsgeschlecht Sachsen-Coburg und Gotha an der Reihe. In drei Tagen war es so weit, und aus Onkel Bertie würde Edward VII. werden. Viel aufregender fand Alice jedoch die Tatsache, dass sie heute Andreas wiedertreffen würde. Die Mitglieder des griechischen Königshauses wurden zum Mittagessen erwartet, für das sich Alice gerade hübsch machte. Oder besser: hübsch machen ließ. Nona leistete ganze Arbeit, und Alice beobachtete im Spiegel, wie deren geschickte Hände die Strähnen ihrer Haare zusammenfassten. Man sagte von ihr, sie sei die schönste Prinzessin Europas – als habe Gott damit, dass er ihr ein besonders ansehnliches Äußeres verlieh, wettmachen wollen, dass sie taub war. Dafür konnte sie umso besser sehen und beobachten.

Ihre Mutter hatte stets darauf bestanden, dass man keine Rücksicht auf ihre Taubheit nehmen solle, und Alice gezwungen, das Lippenlesen zu lernen. Sie war stolz darauf, das Lippenlesen in drei Sprachen zu beherrschen – doch Andreas konnte noch viel mehr Sprachen. Deutsch, Englisch, Dänisch, Russisch, Französisch und Italienisch. Vor drei Monaten hatte sie den drei Jahre älteren Prinz Andreas von Griechenland und Dänemark bei einem Familientreffen kennengelernt. Ihr griechischer Prinz, wie sie den vierten Sohn König Georgs I. von Griechenland insgeheim nannte, war ungemein klug, das war ihr von dem Gespräch, das sie damals geführt hatten, in Erinnerung geblieben. War sie anfangs noch etwas scheu gewesen und hatte befürchtet, dass ihre Taubheit ihn abschrecken könne, so hatte er sie schnell eines Besseren belehrt, ihre Taubheit nicht als Makel wahrgenommen, sondern ihr im Gegenteil Komplimente dafür gemacht, wie gut sie das Lippenlesen beherrschte. »Wieso sollte es mich stören?«, hatte er gefragt, als sie ihn direkt darauf ansprach. »Du verstehst doch jedes Wort, das ich sage. Außerdem: Wenn mich deine Taubheit stören würde, könntest du dich auch an dem Monokel stoßen, das ich tragen muss, weil ich kurzsichtig bin.« Verschmitzt hatte er hinzugefügt: »Zum Glück habe ich das Monokel, sonst würde ich vielleicht gar nicht so deutlich sehen können, wie schön du bist.«

Alice war ob des Kompliments errötet, und ihr Herz hatte wild zu schlagen begonnen. Meinte er es ernst? Irgendetwas sagte ihr, dass seine Worte ehrlich gemeint waren und er ebenfalls Gefühle für sie hegte.

Es war ihr schwergefallen, Abschied zu nehmen, umso mehr hatte sie der Krönung entgegengefiebert – und gleich würde sie vor ihm stehen.

Nona berührte sie sanft an der Schulter, und Alice wandte sich um, um ihr von den Lippen ablesen zu können.

»Ich wäre dann fertig«, sagte die Hofdame lächelnd. Nona war siebenundzwanzig Jahre alt, hatte dichtes rotbraunes Haar, das sie hochgesteckt trug, und ein ebenmäßiges Gesicht. Ihre Augen waren voller Zuneigung. »Wenn ich mir das erlauben darf, du siehst zauberhaft aus.«

»Danke«, erwiderte Alice. »Und ich bin froh, dich heute und immer an meiner Seite zu haben.«

Nona lächelte. »Ich wüsste auch nicht mehr, was ich ohne euch tun würde.« Nona Kerr arbeitete inzwischen schon seit fünf Jahren bei der Familie und war zu einer wichtigen Stütze für sie alle geworden. Ein Leben ohne Nona konnte Alice sich gar nicht mehr vorstellen. Kurz vor dem diamantenen Kronjubiläum Königin Victorias war sie in ihrer aller Leben getreten. Die Engländerin hatte damals kein Wort Deutsch gesprochen, sich aber schnell eingewöhnt. Inzwischen kam sie mit dem Sprachengemisch aus Französisch, Deutsch und einer Prise Englisch, dessen man sich im Hause Battenberg bediente, gut zurecht.

»Dann ist es wohl Zeit hinunterzugehen«, sagte Alice.

Sie schritt durch die breite Flügeltür und den Salon, der ihr Zimmer mit dem ihrer Mutter verband. Viktoria von Battenberg, geborene Prinzessin von Hessen und bei Rhein, war eine streng aussehende, schlanke Frau mit schmalem Gesicht, ihre hohe Stirn wurde von einem gelockten Pony bedeckt. Ohne diese Frisur, dachte Alice, hätte das Antlitz ihrer Mutter vermutlich noch länger und schmaler gewirkt. Das Lächeln, das sie Alice schenkte, war liebevoll, aber zurückhaltend. Viktoria von Battenberg war eine strenge und zielstrebige Mutter, die hohe Erwartungen an ihre Kinder hatte.

»Du siehst schön aus«, machte Viktoria ihrer Tochter ein Kompliment.

»Danke, du siehst auch sehr gut aus, Mama.«

Seite an Seite schritten die beiden Frauen zum Mittagessen.

»Ich hoffe, ich mache alles richtig«, murmelte Alice. Sie hatte die Etikette am englischen Königshaus zwar mit der Muttermilch aufgesogen, aber dennoch oft das Gefühl, dass es derart viel zu beachten gab, dass sie niemals allem gerecht werden konnte.

Ihre Mutter sah sie im Gehen an, das war nötig, damit Alice von ihren Lippen lesen konnte, als sie erwiderte: »Mach dir darum keine Sorgen. Seit Onkel Bertie hier das Sagen hat, riecht es nicht nur im ganzen Palast nach Zigarren, sondern auch mit der Etikette nimmt man es seither nicht mehr so genau.«

*

Als sie den Blauen Salon betraten, fiel Alice’ Blick sofort auf Andreas, und ihr Herz schlug schneller. Wie ein griechischer Gott sah er aus! Groß und schlank war er, seine Haltung voller natürlicher Eleganz, das dunkle Haar, an der Seite gescheitelt, lag glatt um seinen Kopf, auf seiner Nase thronte das Monokel. Er stand vor dem Kamin, ein Glas in der Hand, und sah ihr erwartungsfroh entgegen. »Alice.« Er begrüßte sie mit einem Handkuss, als sie bei ihm angelangt war, und in ihrem Bauch stieg ein ganzer Schwarm von Schmetterlingen empor.

»Wie schön, dich wiederzusehen.«

Bevor Alice Kronprinz Konstantin und dessen Frau Sophie von Griechenland begrüßen konnte, die sich in Andreas’ Nähe befanden, richtete sich alle Aufmerksamkeit auf den Mann, der gerade zur Tür hereingekommen war. Onkel Bertie. Englands Thronfolger, der in drei Tagen gekrönt werden sollte. Doch er war seltsam bleich, auf seiner Oberlippe standen Schweißperlen, und es ging ihm offensichtlich ganz und gar nicht gut.

»Bertie!«, rief seine Gattin Alexandra, die nahe der Tür gestanden hatte, und eilte auf ihn zu. »Was ist mit dir?«

Sie nahm ihn beim Arm, um ihn zu stützen.

»Du lieber Himmel«, flüsterte Alice Andreas zu, und alle Befangenheit war angesichts des schlimmen Zustands von Onkel Bertie wie weggeblasen. »Er verliert gleich das Bewusstsein.«

In diesem Moment schwankte Englands künftiger König und Andreas’ Bruder, Kronprinz Konstantin, lief nun ebenfalls erschrocken herbei, um seinen Onkel zu stützen. »Holen Sie einen Arzt, und bringen Sie ihn in seine Gemächer«, wies die entsetzte Alexandra die Dienerschaft an.

Minuten später war Bertie samt Alexandra verschwunden. Die Zurückbleibenden sahen sich ratlos an.

Alice nutzte die Gelegenheit, um Andreas’ Geschwister zu begrüßen. »Königliche Hoheiten, es ist mir eine Ehre!«, sagte sie und knickste erst vor dem Kronprinzen Konstantin von Griechenland, dann vor seiner Gattin Sophie von Preußen und im Anschluss vor einem weiteren Bruder von Andreas, Georg.

»Alice, Sie sehen zauberhaft aus«, versicherte Georg und schenkte ihr einen freundlichen Blick. Andreas’ Bruder war Alice schon bei ihrer letzten Begegnung sehr sympathisch gewesen. Wie jetzt auch hatte sie sich des Eindrucks nicht erwehren können, dass Georg sehr genau um die Gefühle wusste, die sie füreinander hegten. Immer wieder hatte sie die dunklen Augen des griechischen Prinzen auf sich ruhen gespürt, fragend, aber auch wohlwollend. Kronprinz Konstantin war ebenfalls eine ausgesprochen sympathische Erscheinung: ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem mächtigen Schnauzer und klugem Blick. Seine Gattin war eine wunderschöne Frau, die allerdings etwas hochnäsig wirkte und Alice mit hochgezogenen Brauen von oben bis unten musterte, als erwäge sie, ob diese es wert sei, mit ihrer Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Ihr Blick verunsicherte Alice zutiefst.

»Hoffentlich geht es Bertie bald besser«, murmelte sie verlegen.

»Ach, es wird nur die Aufregung vor der Krönung sein«, vermutete Konstantin. »Oder die vielen Vorbereitungen haben ihn zu sehr belastet.«

Etwas ratlos begab sich die Tischgesellschaft schließlich zur reichhaltig gedeckten Tafel im Dining Room, der Butler signalisierte der Dienerschaft aufzutragen. Alice konnte ihr Glück kaum fassen, als sie feststellte, dass Andreas ihr Tischherr war, obwohl sie in der Rangfolge weit unter ihm stand. So dicht neben ihm zu sitzen war furchtbar aufregend, gleichzeitig aber auch ungemein unterhaltsam. Andreas war ein wortgewandter Gesprächspartner, und es rührte Alice, wie streng er darauf achtete, ihr immer das ganze Gesicht zuzuwenden, wenn er etwas zu ihr sagte – denn so hatte sie es leichter, von seinen Lippen abzulesen. Sie spürte, dass sie beobachtet wurden. Sowohl Sophie von Griechenlands als auch Viktoria von Battenbergs skeptische Blicke ruhten immer wieder auf dem Paar. Bei Letzterer wusste Alice, was das bedeutete: Ihre Mutter hielt sie mit ihren siebzehn Jahren noch für zu jung, um eine ernsthafte Bindung einzugehen. Aber daran war ja überhaupt noch nicht zu denken! Auch wenn Andreas ihr gegenüber sehr charmant und aufmerksam war und sie wirklich das Gefühl hatte, dass er ebenso in sie verliebt war wie sie in ihn – wissen konnte sie das nicht. Vielleicht war das ja alles nur Höflichkeit.

*

Andreas wich den Rest des Tages nicht von ihrer Seite – sie hatten ja auch nicht viel zu tun, außer bang auf Nachrichten von Onkel Bertie zu warten. Die Familie verstreute sich nach dem Essen nicht, sondern wechselte lediglich vom Speisesaal wieder in den Blauen Salon, wo die Dienerschaft Tee und Gebäck reichte. Alice und Andreas hatten es sich nebeneinander auf einem schmalen Sofa gemütlich gemacht, von dem aus sich ein hervorragender Blick auf die Parkanlagen des Palastes bot.

»Wie viele Geschwister hast du eigentlich?«, fragte Alice. Nicht, um das Gespräch in Gang zu bringen, denn sie hatten einander so viel zu sagen, dass das nicht nötig war, sondern aus echtem Interesse.

»Sechs, eigentlich sieben, aber meine Schwester Olga starb noch als Baby«, erwiderte er melancholisch.

»Das tut mir leid«, sagte Alice und fügte dann, um ihn abzulenken, hinzu: »Ich freue mich, dass du nun tatsächlich bei der griechischen Armee bist. Davon hast du ja bei unserem letzten Treffen so geschwärmt – und gesagt, dass das dein Traum ist.«

Andreas nickte, und Alice konnte Stolz in seiner Miene erkennen, als er sagte: »Ja, Griechenland ist meine Heimat. Deshalb spreche ich mit meinen Eltern auch nur griechisch.«

»Ich bewundere dich dafür, wie viele Sprachen du beherrschst«, sagte Alice. »Griechisch, Englisch, Französisch, Russisch …«

»Das muss man, wenn man mit halb Europa verwandt ist«, scherzte er.

»Deine Mutter ist eine Enkelin des Zaren Nikolaus I., richtig?«, fragte Alice.

Er bejahte ihre Frage und sah ihr dann tief in die Augen, ihr Herz schlug schneller. »Im Übrigen bist du es, die Bewunderung verdient.«

»Ach was«, winkte sie ab. »Ich spreche längst nicht so viele Sprachen wie du.«

»Meine Liebe, du kannst drei Sprachen von den Lippen ablesen. Das soll dir einmal einer nachmachen. Du scheinst wirklich sehr fleißig zu sein und einen eisernen Willen zu haben.«

Alice errötete. Sosehr sie seine Komplimente freuten – sie wusste nicht wirklich damit umzugehen, es war das erste Mal, dass ihr ein Mann solch freundliche Dinge sagte. Daher versuchte sie, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

»Wenn wir gerade bei halb Europa sind – dein anderer Großvater ist doch König Christian IX. aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg?«

»Genau«, grinste Andreas. »Und der wiederum ist der Vater von Tante Alexandra und damit der Schwiegervater von Bertie.«

»Wie kommt es eigentlich, dass ein dänischer Prinz auf dem griechischen Thron sitzt?«, erkundigte sie sich.

Er lachte. »Das ist mindestens so kompliziert wie unserer aller Verwandtschaftsverhältnisse. Also …«

Er setzte sich zurecht, und Alice machte sich auf eine längere Geschichtsstunde gefasst, als endlich – es war inzwischen Abend geworden, und bald würde das Dinner gereicht werden – die Tür aufgerissen wurde und eine blasse Alexandra das Zimmer betrat. Die Anwesenden erhoben sich sofort eilig von ihren Plätzen, um zu lauschen, was die Gattin des Thronfolgers über dessen Gesundheitszustand zu berichten hatte.

»Bertie wurde direkt in den Musiksaal gebracht und dort auf dem Tisch operiert. Er hat starke Schmerzen und Fieber«, stieß Alexandra hervor. »Sein Blinddarm war entzündet.«

Alice und Andreas sahen einander voller Entsetzen an. »Eine Blinddarmentzündung ist lebensgefährlich«, formte er mit den Lippen, wissend, dass er die Dinge nicht laut aussprechen musste, damit sie sie verstand.

Alice nickte betroffen. »Armer Onkel Bertie, arme Tante Alexandra.«

»Die Krönungsfeierlichkeiten werden nun wohl verschoben, und wir werden erneut anreisen müssen«, sagte Andreas’ Schwägerin Sophie, die sich mit ihrem Gatten, dem griechischen Thronfolger Konstantin, wenig später zu ihnen gesellte, Alice allerdings mit Missachtung strafte. Die Kronprinzessin von Griechenland, geborene Prinzessin von Preußen, hielt sie offenbar für unwürdig oder nicht standesgemäß. Ihr Blick war kühl, ihr Mund leicht spöttisch herabgezogen. Zu Alice’ Erleichterung gesellte sich aber alsbald Georg, Andreas’ älterer Bruder, zu ihnen und lächelte ihr erneut freundlich zu. Alice lächelte dankbar zurück.

2. Kapitel

Die Rosen im Garten des Buckingham Palace standen in voller Blüte und schwängerten die Luft mit ihrem süßen Duft. Die Sonne schien warm auf Alice’ Haut, und die Vögel jubilierten, als müssten sie für einen Meisterwettbewerb singen.

»Du siehst zauberhaft aus«, flüsterte Andreas und sah Alice mit glühendem Blick an. »Du bist schöner als all die Rosen in diesem Garten.«

Er brach eine gelbe Blüte ab und reichte sie ihr mit einer kleinen Verbeugung. Alice nahm sie lächelnd entgegen, hielt sie an die Nase und sog den Duft tief ein. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob andere Menschen, die zu hören vermochten, in der Lage waren, Düfte so intensiv zu erleben wie sie selbst. Wenn sie einen schönen Duft roch, war es ihr, als breite er sich in ihr aus, ergreife von ihr Besitz. Manchmal sah sie dann auch Farben vor sich und nahm etwas wahr, das vielleicht Musik gewesen wäre, wenn sie es denn hätte hören können.

Als sie die Augen wieder öffnete, bemerkte sie, dass Andreas sie unverwandt ansah. »Alice«, sagte er leise. Zart berührte er ihr Kinn und hob ihr Gesicht, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. Alice warf einen raschen Blick auf Nona, die ihnen in einiger Entfernung gefolgt war, nun jedoch demonstrativ den Kopf abwandte.

»Alice«, sagte Andreas noch einmal, und dieses Mal erwiderte sie seinen Blick.

Er zog sie unter eine nahe gelegene Pergola, die über und über von Rosen bewachsen war und sie vor neugierigen Blicken schützte, dann ging er vor ihr auf die Knie.

Fassungslos sah sie ihn an, als er sagte: »Alice von Battenberg, ich habe mich schon vor drei Monaten in dich verliebt. Als ich dich das erste Mal sah, wusste ich: Das ist die Frau, mit der ich mein Leben verbringen möchte. Du hast mich verzaubert, Alice. Würdest du mir die Ehre erweisen, mich zu heiraten?«

»Ja«, rief Alice nach einem Moment der Sprachlosigkeit überwältigt vor Glück, »ja, und wie ich das will.« Und während ihr die Knie weich wurden, war er schon wieder aufgestanden, zog sie in seine starken Arme und küsste sie, dass ihr schwindelig wurde.

Als sie sich voneinander lösten, griff er nach ihrer Hand, strich sanft über ihren Ringfinger und sagte: »Einen Ring habe ich leider nicht bei mir, schon gleich keinen, der gut genug für meine Prinzessin wäre.« Um ihr dann tief in die Augen zu schauen und zu versichern: »Aber der wird nachgereicht.«

»Ein Ring ist nicht so wichtig«, sagte sie strahlend. »Wichtig ist nur unsere gemeinsame Zukunft. Oh, wie sehr ich mich darauf freue!«

»Ich dachte eigentlich, ich reise zu einer Krönungsfeier an«, schmunzelte Andreas. »Stattdessen komme ich zu meiner eigenen Verlobung.«

Alice musste lachen. Sie liebte seinen Humor.

»Was denkst du, wie unsere Familien es auffassen?«

»Meine Eltern werden sich sehr freuen«, war Andreas überzeugt. »Sie werden dich gleich in ihr Herz schließen, deine Zielstrebigkeit bewundern, dich bezaubernd schön finden. So wie ich auch.«

Alice musste lachen. »Du bist ein Charmeur.«

»An meine Komplimente wirst du dich gewöhnen müssen«, gab er zurück, um ernst hinzuzufügen: »Und deine Familie? Wie werden sie reagieren?«

Alice seufzte. »Wir haben über diese Dinge noch nie gesprochen. Sie haben einfach … keine Rolle gespielt bisher. Ich glaube, Mama hätte nie damit gerechnet, dass ich mich so früh schon verloben würde.«

»Aber werden sie es billigen?«

»Das hoffe ich«, sagte Alice bang. Viktoria von Battenberg hatte ihr Missfallen darüber, dass Alice und Andreas so viel Zeit miteinander verbrachten, ihrer Tochter gegenüber inzwischen sehr deutlich gemacht.

»Ich werde dann natürlich offiziell um deine Hand anhalten.«

Alice nickte. »Warte damit aber noch ein bisschen«, bat sie, überlegte kurz und meinte schließlich: »Ich werde mit Tante Alexandra darüber sprechen. Und mit Onkel Bertie, wenn es ihm besser geht. Zu ihnen hatte ich schon immer ein inniges Verhältnis. Sie werden uns einen guten Rat geben können.«

*

»Wie geht es dir, Tante Alexandra?« Alice knickste und näherte sich der englischen Kronprinzessin, die inzwischen eigentlich schon zur Königin hätte gekrönt sein sollen. Sie saß am Fenster, wo sie mit einer Lektüre beschäftigt war. Alice fand, dass die letzten Tage Spuren im Gesicht ihrer Großtante hinterlassen hatten. Die Augen unter dem lockigen Pony lagen tief in den Höhlen, ihr Gesicht wirkte schmal und blass.

Alexandra sah von ihrem Buch auf und lächelte. »Alice, wie schön. Nimm doch Platz.«

Alice tat wie ihr geheißen.

»Um auf deine Frage zurückzukommen«, sagte Alexandra müde, »so bin ich erschöpft, aber zugleich unendlich erleichtert, dass Bertie wieder auf dem Weg der Besserung ist. Ich habe mir schreckliche Sorgen um ihn gemacht.«

»Wir alle«, wisperte Alice. Dann sagte sie vorsichtig: »Es muss schön sein, so zu lieben und so geliebt zu werden.«

Alexandras Lächeln vertiefte sich. »Ich freue mich, dass du diese Erfahrung nun auch machen darfst.«

Alice erschrak. Es war klar, dass ihre Mutter um ihre Liebe wusste. Aber dass selbst ihre Großtante bei all ihren Sorgen bemerkt hatte, wie es um sie stand, überraschte sie dann doch.

»Ist das so offensichtlich?«

»Ach, Liebes«, sagte Englands künftige Königin, »Euer Glück springt einem förmlich entgegen. Es ist mit Händen zu greifen.«

Ein Strahlen breitete sich auf Alice’ Gesicht aus. »Er hat mir einen Heiratsantrag gemacht.«

»Das ist ja wundervoll! So schnell …«

»Es war Liebe auf den ersten Blick. Für uns beide«, merkte Alice an. »Du … bist die Erste, der ich es erzähle.«

»Das ehrt mich sehr«, freute sich Alexandra.

»Ich bin nicht sicher, wie Mama darauf reagieren wird«, fuhr Alice zögernd fort. »Sie weiß zwar nichts von unserer Verlobung, aber dass wir gegenseitig große Zuneigung füreinander empfinden, hat sie natürlich mitbekommen und mir sehr unmissverständlich klargemacht, dass sie das nicht gutheißt.«

»Lass ihr Zeit«, empfahl ihre Großtante. »Du bist noch jung, und sie sorgt sich wegen deiner Taubheit um dich.«

»Das muss sie nicht«, begehrte Alice auf. »Ich habe ihr doch gezeigt, dass es mir bestens gelingt, im Leben Fuß zu fassen.«

»O ja, und dafür bewundern wir dich auch alle«, sagte Alexandra, um dann vorsichtig fortzufahren: »Vielleicht hat sie auch nicht damit gerechnet, dass du so schnell einen Mann finden würdest.«

»Weil ich taub bin?«, fragte Alice geradeheraus.

»Nun …«, murmelte Alexandra verlegen, der anzumerken war, dass sie ihre Worte schon bereute.

»Schon gut«, sagte Alice rasch. »Du musst dir keine Sorgen machen, dass du mich verletzen könntest. Ich weiß, dass ich taub bin, und ich weiß, dass es Männer geben könnte, die das abschreckt. Andreas gehört nicht dazu, im Gegenteil.«

»Im Gegenteil?« Alexandra sah sie fragend an.

»Nun«, setzte Alice an, »er bewundert mich dafür, wie gut es mir trotz meiner Taubheit gelingt, ein ganz normales Leben zu führen.«

»Da bewundert er dich zu Recht«, freute sich Alexandra. »Er hat etwas erkannt, das alle, die dir nah sind, an dir schätzen und bewundern. Deine ungemeine Zielstrebigkeit, deine Stärke und deine Fähigkeit, Benachteiligungen in Vorteile umzuwandeln.«

Sie streckte ihre Hände aus, und Alice legte die ihren hinein. »Du bist ein ganz besonderer Mensch. Mein Neffe Andreas hat großes Glück. Und wer weiß: Vielleicht seid ihr im Sommer, wenn wir uns alle wiedersehen, um die Krönungsfeierlichkeiten nachzuholen, ja schon ganz offiziell ein Paar.«

3. Kapitel

Alice liebte Schloss Heiligenberg. An sommerlichen Tagen wie diesem, aber auch zu allen anderen Jahreszeiten. Es war ihr immer Heimat gewesen, hatte ihr ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt. Zwölf Kilometer südlich von Darmstadt und direkt östlich des Heiligenbergs gelegen schmiegte es sich in die gesegnete Natur, die es umgab.

Alice’ Urgroßmutter, die damalige Erbgroßherzogin Wilhelmine von Hessen und bei Rhein, hatte es im Jahr 1827 erworben, um es als Sommersitz zu nutzen. Einst war es noch ein Gutshaus gewesen, das sie, als ihr Gatte Ludwig nach dem Tod seines Vaters Großherzog wurde, zu einem Schloss umbauen ließ. Der Sohn des Paares, Alexander von Hessen und bei Rhein, hatte das Schloss später mit seiner morganatischen Gattin Fürstin Julia von Battenberg bewohnt. Die beiden waren die Begründer des Adelsgeschlechts derer von Battenberg und hatten es ab 1862 mehrmals umbauen lassen. Alice fühlte sich besonders der ältesten Tochter der beiden sehr verbunden: Marie Karoline von Battenberg, Fürstin zu Erbach-Schönberg, war zwar sehr viel älter als sie, aber Alice bewunderte sie sehr, vor allem auch für ihre schriftstellerische Tätigkeit. Marie beobachtete viel und schrieb dann darüber, und diese Fähigkeit, ganz genau hinzusehen, dachte Alice, hatten sie gemein.

Marie, überlegte Alice, wäre sicherlich eine gute Gesprächspartnerin in Liebesdingen gewesen. Doch ihre Großtante weilte derzeit nicht auf Schloss Heiligenberg, und so hatte Alice niemanden, mit dem sie ihr großes Glück teilen konnte. Ihre zwölfjährige Schwester Louise war noch zu jung. Dabei schrie ihr Herz danach, sich mitzuteilen und ihre Liebe in die Welt hinauszuposaunen.

Und dann wurde sie schließlich dazu gezwungen: Ihre Mutter zitierte sie zu sich.

»Nimm Platz, Alice«, sagte sie streng, als ihre Tochter eintrat, und wies auf die zierliche Sitzgruppe am Fenster. Alice setzte sich und sah ihre Mutter bang an.

»Hast du mir etwas zu sagen?«

»Was meinst du?«, fragte Alice ausweichend.

»Du weißt sehr genau, was ich meine. Es war für jeden ersichtlich, wie nahe du und Andreas euch steht. Wie soll es in dieser Sache nun weitergehen?«

»Wir haben uns verlobt«, platzte Alice heraus und bereute im nächsten Moment ihre Worte. Ungeschickter hätte sie es nicht anstellen können. Doch ihr Herz war einfach so übervoll, dass man sie nur sanft anzustoßen brauchte, damit das Glück aus ihr heraussprudelte. Selbst wenn das Gegenüber ihr und ihrer großen Liebe vielleicht nicht wohlgesonnen war.

Viktoria von Battenberg war blass geworden und kräuselte missbilligend die Lippen. »Ihr habt euch verlobt?«, fragte sie. »Man sollte meinen, dass der Prinz von Griechenland weiß, wie man einen standesgemäßen Heiratsantrag macht.«

»Es war ganz spontan«, verteidigte Alice ihn. »Er hatte ja noch nicht mal einen Ring, eben weil er nichts vorbereitet hatte.«

»Solche Dinge sollte man aber vorbereiten«, erwiderte Viktoria kühl. »Du bist noch sehr jung, Alice. Ihr kennt euch kaum. Ich möchte nicht, dass du unglücklich wirst, zumal du immer besondere Unterstützung brauchst.«

»Nein, Mutter«, widersprach Alice. »Ich benötige keine besondere Unterstützung, und diese Tatsache habe ich nur dir zu verdanken. Du hast immer dafür gesorgt, dass ich lerne, auf eigenen Beinen zu stehen. Nun, da es so weit ist, musst du mich auch loslassen.«

»Aber doch nicht so früh!«, rief Viktoria.

»Mutter.« Alice sah ihr fest in die Augen. »Du hast mir einmal gesagt, dass ich einen sehr starken Willen habe. Und dass es auch mein Wille war, der dazu führte, dass ich perfekt in mehreren Sprachen von den Lippen lesen kann. Diesen Willen habe ich auch jetzt. Ich werde Andreas heiraten. Tante Alexandra und Onkel Bertie freuen sich übrigens über meine Wahl, und wenn diese selbst vom künftigen englischen Königspaar gutgeheißen wird, kann sie ja so schlecht nicht sein.« Sie verschwieg, dass sich Bertie zwar mit ihr gefreut, zugleich aber erklärt hatte, dass er ihr eine noch deutlich glanzvollere Partie gewünscht hätte. Für die schöne Alice, hatte er gesagt, sei kein Thron zu gut.

»Du hast mit Onkel und Tante bereits darüber gesprochen?«, fragte Viktoria, und erst jetzt wurde Alice klar, wie verletzend es für ihre Mutter sein musste, dass sie nicht zuerst sie ins Vertrauen gezogen hatte.

»Es … es hat sich so ergeben«, stammelte sie.

Viktoria nickte nur knapp. »Ist das dein letztes Wort?«, fragte sie. »Du willst Andreas von Griechenland wirklich heiraten?«

Alice sah ihre Mutter mit unbeugsamer Entschlossenheit an. »Ja. Das ist mein letztes Wort.«

Viktoria stand auf. »Ich werde deinen Vater kontaktieren.«

*

»Post für Sie, Durchlaucht.«

»Endlich«, rief Alice und riss die Schreiben mit den aufregend aussehenden ausländischen Briefmarken, die der Diener auf einem silbernen Tablett in ihr Zimmer gebracht hatte, buchstäblich an sich. So lange hatte sie auf eine Nachricht ihres Liebsten gewartet, und je länger das Warten dauerte, desto größer waren ihre Zweifel geworden. Hatte Andreas ihr vorschnell seine Liebe erklärt? Bereute er seinen Antrag inzwischen? Vorstellen konnte sie es sich eigentlich nicht, sie war sich seiner Gefühle für sie recht sicher – aber dennoch: Vielleicht hatte auch seine Familie ihrer Verbindung starken Widerspruch entgegengesetzt? Dass die Kronprinzessin sie nicht leiden konnte, hatte diese bei ihrem Treffen unmissverständlich zu erkennen gegeben. Vielleicht hatte sie viel Einfluss auf Andreas und diesen geltend gemacht?

Sosehr Alice versucht hatte, sich gegen diese Gedanken zu wehren – ganz vertreiben ließen sie sich nicht.

Doch die Erlösung war nah, steckte in diesen weißen Kuverts. Hoffentlich.

Der Diener ließ sie wieder allein, und Alice zählte: »Eins, zwei, drei, vier, fünf.« Sie sortierte die Briefe nach den Poststempeln und öffnete mit zitternden Fingern den ersten Umschlag. Am liebsten hätte sie ihn aufgerissen, aber sie zwang sich dazu, ihn vorsichtig und achtsam aufzumachen. So, wie man eben mit Dingen umging, die vom Verlobten kamen.

Sie entfaltete das Papier, ihr Blick flog über die Zeilen, die sich in akkurater Schrift untereinanderreihten. Bevor sie richtig las, wollte sie den Kern des Schreibens erkunden. War es ein Abschieds- oder ein Liebesbrief?

Ihre Augen erfassten Worte und Sätze wie »Sehnsucht«, »glücklichste Tage meines Lebens« und »meine Gedanken weilen ununterbrochen bei Dir, und ich kann es kaum erwarten, bis endlich der Termin für die neuen Krönungsfeierlichkeiten festgesetzt ist und wir uns wiedersehen«.

Überglücklich drückte sie den Brief an ihr Herz, hob ihn an die Lippen, um ihn sacht zu küssen, und las ihn dann noch mal, Zeile für Zeile, Wort für Wort, Buchstabe für Buchstabe. Die nächsten Briefe bestätigten nur den Inhalt des ersten, Andreas liebte sie. Offenbar waren seine Schreiben bei der Post liegen geblieben. Sie breitete die fünf Briefe nebeneinander aus. Ihre Augen folgten dem Schwung seiner Handschrift, ergötzten sich an dem zackigen G und freuten sich an dem schwungvollen F. Es war schließlich das erste Mal, dass sie etwas Handgeschriebenes von ihm sah.

Dann ging sie zu ihrem zierlichen Schreibtisch, zog ihr Briefpapier hervor, das immer ein wenig nach Rosen duftete, und begann zu schreiben.

Schloss Heiligenberg, 15. Juni 1902

Liebster Andreas,

heute ist mein Glückstag, denn soeben hat mir der Diener Deine Briefe übermittelt. Ich habe so darauf gewartet! Stell Dir vor, sie kamen alle auf einmal. Fünf Stück!

Nachdenklich legte sie den Federhalter zur Seite und sah zum Fenster hinaus. Ob sie ihm schreiben sollte, dass sie schon angefangen hatte, an seiner Liebe zu zweifeln? Aber wäre das nicht ein trauriges Zeichen ihres Glaubens an ihre gegenseitige Zuneigung und tiefe Verbundenheit, ihm das mitzuteilen? Es könnte ihn kränken, dass sie so wenig Vertrauen zu ihm hatte. Sie entschloss sich, ihm stattdessen zu berichten, was sich unterdessen auf Schloss Heiligenberg zugetragen hatte.

Ich habe Mama von unserer Verlobung erzählt, und sie war etwas pikiert, dass wir so eigenmächtig gehandelt haben. Außerdem sagte sie, ich sei noch so jung und wir würden uns gar nicht richtig kennen. Ich habe ihr erklärt, dass man sich manchmal begreift, ohne viele Stunden miteinander verbracht zu haben, und dass das dann die wahre Liebe sei. Mama hat auch Papa informiert, der momentan eigentlich auf Korfu ist, und er hat Verpflichtungen Verpflichtungen sein lassen, um sofort anzureisen und mit mir zu sprechen.

Wieder ließ Alice ihren Füller sinken und dachte lächelnd an die Gespräche mit ihrem Vater. Ludwig von Battenberg war anfangs noch der festen Überzeugung gewesen, ihr die Hochzeitspläne ausreden zu können, und hatte durchaus überrascht reagiert, als er feststellte, wie ernst es ihr damit war.

Vater hat dann irgendwann verstanden, wie groß unsere Liebe zueinander ist, und mir gesagt, dass weder er noch Mama mir vorschreiben wollen, welchen Mann ich heiraten solle. Und standesgemäß bist Du ja. Mehr als standesgemäß. Ich sei dann eine Prinzessin von Griechenland, hat Papa gesagt und ein wenig verwundert dreingeschaut. Ich glaube, letzten Endes haben meine Eltern beide nicht gedacht, dass ihre taube Alice einmal eine so gute Partie machen würde.

Alice stockte und sah die Zeilen an, die sie gerade geschrieben hatte. Ob sie klug waren? Wiesen sie ihn nicht auf ihre Behinderung hin? Wobei er um diese ja wusste und sich nicht im Geringsten daran störte. Außerdem sollte sie nicht so viel zaudern. Wenn sie mit Andreas verheiratet wäre, wollte sie ihn ohnehin an all ihren Gedanken und Träumen teilhaben lassen. Also schrieb sie weiter.

Große Unterstützung erhalten wir von meiner Tante Alix, der russischen Zarin. Mama tauscht sich sehr viel mit ihren Schwestern aus, und meine Tante erinnerte sie daran, dass sowohl Tante Elisabeth als auch meine Mama selbst so um ihre Liebe haben kämpfen müssen – also müsste Mama mich doch eigentlich am besten verstehen. Die Heirat zwischen Mama und Papa war nämlich auch eine Liebesheirat, und es gab viele, die sich dagegenstellten, insbesondere mein Großvater Großherzog Ludwig war mit meinem Vater nicht einverstanden. Das weiß ich natürlich nicht von Mama selbst, Tante Alix hat mir geschrieben, dass sie Mama geschrieben hat. Was für eine umständliche Formulierung! Jedenfalls scheint sie nun nicht mehr so ablehnend zu sein, und auch Papa ist inzwischen überzeugt. Er hat mir gesagt, das Einzige, was er doch nur für mich will, ist, dass ich glücklich bin. Wie es scheint, steht unserem Glück also zumindest vonseiten meiner Familie nichts mehr im Wege – und ich zähle die Tage, bis wir uns bei den erneuten Krönungsfeierlichkeiten von Onkel Bertie dann endlich wiedersehen werden.

Bitte schreib mir bald, schreib mir am besten stündlich, um die lange Wartezeit etwas zu verkürzen!

In inniger Liebe,

Deine Alice

4. Kapitel

Nun zappel doch nicht so herum«, ermahnte Viktoria von Battenberg ihre Tochter, als die Kutsche am 7. August 1902 auf den Buckingham Palace zufuhr. »Das ziemt sich nicht für eine junge Dame. Und schon gar nicht für die Verlobte eines griechischen Prinzen.«

Alice warf ihr einen überraschten Blick zu. Ihre Mutter schien sich in der Tat so langsam an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie bald eine verheiratete Frau sein würde. Immerhin hatte Andreas inzwischen schriftlich bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten und damit Viktorias Verlangen nach einem standesgemäßen Antrag Genüge getan.

Die junge Prinzessin musste sich allerdings noch in Geduld üben, bis sie Andreas endlich wiedersehen würde. Die griechische Gesandtschaft war zwar schon am Vorabend angereist, aber Alice musste mit ihrer Mutter und der treuen Nona zunächst ihre Gemächer beziehen und ihre Reisekleidung ablegen, bis sie endlich beim Nachmittagstee aufeinandertreffen würden. Einerseits schien die Zeit ungemein langsam zu vergehen, andererseits flog sie viel zu schnell dahin, denn Alice wollte für Andreas natürlich besonders schön sein, und wie schon beim letzten Mal leistete Nona ganze Arbeit. Alice trug ein waldgrünes Taftkleid mit Puffärmeln und weitem Dekolleté, das ihre Haare wunderbar zum Leuchten brachte. Die Hofdame frisierte sie zu weichen Wellen im Nacken, dazu trug Alice ihre Smaragde.

Und dann stand er vor ihr im Salon und sah ihr mit leuchtenden Augen entgegen. »Alice«, murmelte er, als er ihr formvollendet die Hand küsste. »Meine Alice. Wie wunderschön du bist.«

Sie spürte ihren Herzschlag in ihrem Hals. Endlich! Endlich wieder er! Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen und hätte ihn nie wieder losgelassen.

Doch sie waren nicht allein, und Alice spürte den prüfenden Blick ihrer Mutter auf sich gerichtet. Andreas war er ebenfalls nicht entgangen, und er begrüßte Viktoria von Battenberg auf die denkbar charmanteste Weise.

Seine Freundlichkeit verfing selbst bei der strengen Viktoria, und Alice bemerkte erleichtert, dass ihre Mutter ihrem Verlobten ein warmes Lächeln schenkte. Na also! Das ließ sich doch alles ganz hervorragend an!

»Das Glück sprüht einem gerade so entgegen, wenn man euch zusammen sieht«, sagte die englische Kronprinzessin wenig später leise zu ihrer Großnichte. Die Familie hatte den Tee gemeinsam eingenommen und saß nun in kleineren Grüppchen zusammen, wobei sich Alice’ und Andreas’ Blicke immer wieder verfingen. »Ich bin wirklich sehr froh, dass es mir offenbar gelungen ist, deine Mutter von ihrer strengen Haltung abzubringen. Ihr gehört einfach zusammen.«

»Ich danke dir von Herzen dafür, dass du dich so für uns einsetzt«, sagte Alice.

Sie lächelte. »Für die Liebe tue ich alles. Und für meinen Lieblingsneffen auch.«

*

Alexandra hatte noch eine Überraschung für Alice parat: Im Vorfeld der Krönungsfeierlichkeiten hatte sie dafür gesorgt, dass Alice und Viktoria von Battenberg in derselben Kutsche fuhren, in der man auch Andreas und dessen Bruder Georg platziert hatte. Auf dem Weg zur Westminster Abbey, wo die feierliche Zeremonie stattfinden sollte, saßen sich Alice und Andreas gegenüber, und sie hatte das Gefühl, dass die Luft zwischen ihnen regelrecht brannte. Auch Viktoria schien dies wahrzunehmen und für äußerst unpassend zu erachten, wie an ihrem missbilligenden Blick unschwer zu erkennen war. Alice, die feine Antennen für die Stimmungen anderer Menschen – vor allem derer, die ihr nah und vertraut waren – besaß, bemerkte dies sehr wohl, versuchte aber, sich dadurch ihr Glücksgefühl nicht trüben zu lassen. Zumal sie wirklich nichts Verbotenes taten. Und Andreas und Georg verstanden es auch, formvollendet Konversation zu betreiben.

»Ob Onkel Bertie sehr traurig ist, weil bei seiner Krönung nun nicht so viele Gäste aus dem Ausland dabei sind wie ursprünglich geplant?«, fragte Alice. Nicht alle hatten es möglich machen können, zum neuen Termin zu erscheinen.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte Andreas. »Er legt nicht so großen Wert auf so etwas. Wichtig ist ihm sicher, dass ihr bei ihm seid, und vor allem, dass er seine schwere Krankheit überlebt hat.«

Alice nickte. »Es ist schon aufregend«, sagte sie. »Aus Onkel Bertie wird nun König Edward VII. Das Viktorianische Zeitalter ist vorbei und das Edwardianische beginnt.«

»Wir sind Zeugen einer Zeitenwende«, bekräftigte Andreas und sah Alice vielsagend in die Augen. Sie erwiderte den Blick ein paar Sekunden zu lang, bevor sie ihn senkte.

Viktoria an ihrer Seite räusperte sich und ließ sie damit wissen, dass sie den Blickwechsel zwischen dem Liebespaar sehr wohl bemerkt hatte.

»Wir sind ja noch ganz gut in der Zeit, schließlich wurde die Krönung nach dem obligatorischen Trauerjahr, das im 18. Jahrhundert eingeführt wurde, nur um zwei Monate verschoben«, plauderte Alice daher, um gleich überzuleiten: »Der erste Edward auf dem englischen Thron war im November 1272, also zum Zeitpunkt seiner Thronfolge, nämlich gerade auf Kreuzzug, und es dauerte fast zwei Jahre bis zu seiner Krönung.«

Alice’ Plan ging auf. Viktoria war ausgesprochen stolz auf ihre belesene Tochter, und auch jetzt zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht ab.

»Edward II. ging es im Juli 1307 ganz ähnlich, er musste noch einiges erledigen, bevor er im Februar 1308 gekrönt werden konnte. Zunächst musste er den Transport des Leichnams seines Vaters von Schottland nach England organisieren und die Beerdigung vorbereiten. Und im Anschluss daran Isabelle de France heiraten, denn die Vermählung war schon mehrfach verschoben worden. Deshalb dauerte es ein gutes halbes Jahr, bis er gekrönt wurde«, fuhr Alice fort.

»Da weiß ich auch noch eine schöne Anekdote, die Edward V. betrifft«, ließ Andreas sich vernehmen. »Der wurde nie gekrönt, weil er vorher abgesetzt wurde.«

»Das passiert Bertie sicher nicht«, mischte sich nun Georg, Andreas’ sympathischer älterer Bruder, ins Gespräch. »Er hat die Aufregungen jetzt alle hinter sich und wird England garantiert gut regieren.«

»Davon bin ich überzeugt«, sagte Alice und schenkte ihrem Verlobten ein inniges Lächeln.

*

Als sie Westminster Abbey erreichten, war Alice mit einem Mal furchtbar nervös. Als eine der Ehrendamen nahm sie zunächst nicht mit den anderen im vorderen Teil der Kirche Platz, sondern gehörte gemeinsam mit den Geistlichen und weiteren Würdenträgern der Prozession an. Mit den anderen Ehrendamen und einer Ehrengarde der Gentlemen at arms betrat sie mit dem zu krönenden Monarchen als Letztes Westminster Abbey. Onkel Bertie sah in seiner Robe, einem Hermelinumhang mit einer purpurnen Schleppe aus Samt, sehr beeindruckend und seltsam fremd aus. Er hatte plötzlich gar nichts mehr mit dem gutmütigen Onkel, der so gerne Pfeife und Zigarren rauchte, gemein und schon gar nicht mit dem Mann, den sie vor wenigen Wochen noch auf dem Krankenbett besucht und der sie zu ihrer Liebe mit Andreas beglückwünscht hatte.

Alice war ein wenig zittrig zumute, als sie dicht bei ihrem Onkel zum Hochchor der Westminster Abbey schritt. Unter der Vierung stieg Edward drei Stufen zum »Theater« empor, dort stand, um fünf Stufen erhöht, der Thron und links daneben, etwas tiefer, der Thron der künftigen Königin.

Als Bertie sich auf den Chair of Estate setzte, übergaben die Träger dem Dekan von Westminster die Kronjuwelen, der sie in einer überaus feierlichen Geste auf dem Hochaltar platzierte. Nun durfte Alice, ebenso wie alle anderen Teilnehmer der Prozession, ihren Platz einnehmen – sie saß ganz vorne bei den Ehrengästen, direkt hinter ihrer Mutter, und war ausgesprochen froh, dass alles gut gegangen war. Nicht auszudenken, wenn sie gestolpert wäre! Insofern hatte Alice wenig später auch furchtbares Mitgefühl mit Frederick Temple: Der achtzigjährige Erzbischof von Canterbury, der die Krönungszeremonie vorgenommen hatte, hatte sich gerade vorgebeugt, um den neuen König auf die Wange zu küssen, als er ins Straucheln geriet und beinahe stürzte. Doch er fing sich wieder und führte die Zeremonie würdevoll zu Ende.

Ende der Leseprobe