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»Das Geldchaos ist überwunden, die Wirtschaft hat sich weitgehend stabilisiert, aber die Lage der Arbeitnehmerschaft hat sich kaum geändert. Dafür gibt es nur eine Erklärung, nämlich die, dass die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung, sofern man überhaupt von Ordnung sprechen kann, in jedem Fall gegen die Interessen der arbeitenden Menschen ist.« Die Bilanz von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB 1949 spiegelt die Enttäuschungen der organisierten Arbeitnehmerschaft wider. Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft hatte man auf eine grundlegende Veränderung der alten Besitz- und Machtverhältnisse in der Industrie gesetzt. Gemeineigentum und wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte lauteten die zentralen Parolen. Übrig blieb davon nur die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der anhaltende Widerstand der alliierten Besatzungsmächte im Kalten Krieg, unterstützt von den wiedererstarkten restaurativen Kräften auf deutscher Seite, aber auch die mangelnde Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, die Basis zu mobilisieren, verhinderten die Neuordnung. Heute sind diese wichtigen Weichenstellungen im Prozess der Gründung der Bundesrepublik fast völlig in Vergessenheit geraten. Die Neuausgabe dieser Pionierarbeit von Eberhard Schmidt, die nach Erscheinen1970 mit über zwanzigtausend verkauften Exemplaren breit diskutiert wurde, ruft diese Entwicklung wieder in Erinnerung.
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Seitenzahl: 354
»Das Geldchaos ist überwunden, die Wirtschaft hat sich weitgehend stabilisiert, aber die Lage der Arbeitnehmerschaft hat sich kaum geändert. Dafür gibt es nur eine Erklärung, nämlich die, dass die bestehende Wirtschafts- und Sozialordnung, sofern man überhaupt von Ordnung sprechen kann, in jedem Fall gegen die Interessen der arbeitenden Menschen ist.«
Die Bilanz von Hans Böckler auf dem Gründungskongress des DGB 1949 spiegelt die Enttäuschungen der organisierten Arbeitnehmerschaft wider. Nach dem Ende der Nazi-Herrschaft hatte man auf eine grundlegende Veränderung der alten Besitz- und Machtverhältnisse in der Industrie gesetzt. Gemeineigentum und wirtschaftliche Mitbestimmungsrechte für die Betriebsräte lauteten die zentralen Parolen. Übrig blieb davon nur die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie. Der anhaltende Widerstand der alliierten Besatzungsmächte im Kalten Krieg, unterstützt von den wiedererstarkten restaurativen Kräften auf deutscher Seite, aber auch die mangelnde Bereitschaft der Gewerkschaftsführung, die Basis zu mobilisieren, verhinderten die Neuordnung.
Heute sind diese wichtigen Weichenstellungen im Prozess der Gründung der Bundesrepublik fast völlig in Vergessenheit geraten. Die Neuausgabe dieser Pionierarbeit von Eberhard Schmidt, die nach Erscheinen1970 mit über zwanzigtausend verkauften Exemplaren breit diskutiert wurde, ruft diese Entwicklung wieder in Erinnerung.
Der AutorEberhard Schmidt, Jahrgang 1939, von 1974 bis 2004 Professor für Politikwissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Eberhard Schmidt
Zur Auseinandersetzungum die Demokratisierung der Wirtschaft
E-Book (EPUB)
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2022
Alle Rechte vorbehalten.
Coverabbildung: Mit freundlicher Genehmigung: Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, 6/FOTB004737
EPUB: ISBN 978-3-86393-596-2
Auch als gedrucktes Buch erhältlich:
Neuausgabe © CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2022
Print: ISBN 978-3-86393-138-4
Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter www.europaeischeverlagsanstalt.de
Einleitung zur Neuauflage
Anmerkungen
Erster Teil
1945–1947: Der Zerfall der alliierten Kriegskoalition und die Auseinandersetzungen um eine Neuordnung der Wirtschafts- und Betriebsverfassungen in den Westzonen
1.Die wirtschaftlichen Grundsätze der Deutschlandpolitik der alliierten Mächte von der Potsdamer Konferenz bis zur Moskauer Außenministerkonferenz im März 1947
2.Das Wiederentstehen von Betriebsvertretungen und Gewerkschaften nach der Kapitulation unter der Kontrolle der alliierten Besatzungsmächte
3.Die Maßnahmen der westlichen Alliierten zur Neuordnung der deutschen Wirtschaft und die Forderungen der Gewerkschaften nach Sozialisierung und Wirtschaftsdemokratie
4.Eine Bilanz der gewerkschaftlichen Situation am Ende der ersten Phase der Nachkriegsentwicklung
Zweiter Teil
1947–1949: Die Zurückdrängung der gewerkschaftlichen Forderungen nach einer Neuordnung der Wirtschaft unter dem Druck des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts
1.Die Verschärfung des »Kalten Krieges« zwischen den Großmächten vom Scheitern der Moskauer Konferenz bis zur Gründung deutscher Separatstaaten
2.Die Zustimmung der Gewerkschaften zum Marshallplan und die Folgen für die gesamtdeutsche Gewerkschaftseinheit
3.Die Wiederherstellung der liberalen Wettbewerbswirtschaft und der Widerstand der Arbeitnehmer und Gewerkschaften
4.Die Eingriffe der Militärregierung in die Versuche einer gesetzlichen Verankerung der Neuordnung von Wirtschaft und Unternehmen
5.Die Situation der Gewerkschaften der Westzonen bei ihrem Zusammenschluss zum Deutschen Gewerkschaftsbund im Oktober 1949
Dritter Teil
1949–1952: Das Scheitern der gewerkschaftlichen Bemühungen um eine Neuordnung der Wirtschafts- und Betriebsverfassung nach der Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse
1.Das Gesetz Nr. 27 und die Lösung der Eigentumsfrage in den Grundstoffindustrien zugunsten der Altbesitzer
2.Die gesetzliche Sicherung des Mitbestimmungsrechtes in der Montanindustrie durch die Streikdrohung der Gewerkschaften
3.Die Niederlage der Gewerkschaften bei den Auseinandersetzungen um die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes
4.Die Bedeutung der Niederlage der Gewerkschaften im Kampf um das Betriebsverfassungsgesetz für die künftige Rolle der Gewerkschaften in der Bundesrepublik
Anhang
Anmerkungen
Literatur- und Quellenangaben
Als vor gut 50 Jahren die Europäische Verlagsanstalt das Buch »Die verhinderte Neuordnung 1945–1952« mit dem Untertitel »Zur Auseinandersetzung um die Demokratisierung der Wirtschaft in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutschland« veröffentlichte, gab es noch kaum nennenswerte wissenschaftlichen Arbeiten zur Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, die sich dieser Thematik gewidmet hätten.1
Hervorgegangen war die Arbeit aus meiner Dissertation an der Philipps-Universität Marburg bei Wolfgang Abendroth. Als Pressereferent beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt war es mir als Erstem möglich, die einschlägigen Aktenbestände im noch reichlich ungeordneten Archiv der Gewerkschaft, ebenso wie im Archiv des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Düsseldorf zu sichten und auszuwerten. Nach Überwindung erheblicher Zugangshindernisse konnte ich auch Dokumente im Archiv der Sozialen Demokratie in Bonn einsehen, deren brisante Passagen ich vorsichtshalber mit der Hand abschrieb, um einer Zensur zu entgehen. Schließlich führte mich meine Recherche zu Betriebsräten und Gewerkschaftern, die unmittelbar nach 1945 am Wiederaufbau der Organisationen und der Betriebe aktiv beteiligt waren und die mir über die seinerzeitigen Konflikte weitere Auskünfte geben konnten. Mit dem ehemaligen britischen Labour Officer Francis Kenny traf ich sogar noch den in der Militärregierung zuständigen Verantwortlichen für den Wiederaufbau der Gewerkschaften in der britischen Zone.
Das Buch löste eine große Resonanz aus. In den Medien wurde es breit rezensiert, vom »Spiegel« bis hin zu regionalen Blättern. An den Universitäten avancierte die Publikation rasch zu einem Standardwerk über die Nachkriegsgeschichte der Arbeiterbewegung. In den soziologischen, politikwissenschaftlichen und historischen Seminaren wurde es viel gelesen und diskutiert. Bis 1981 erlebte das Buch acht Auflagen mit 20.000 verkauften Exemplaren. Kritische Anmerkungen kamen naturgemäß sowohl von Gewerkschafts- als auch von Arbeitgeberseite. Die Aufnahme war aber insgesamt eher positiv.
Ich war mit meiner Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass die Gewerkschaften im Nachkriegsdeutschland mit ihren ambitionierten Vorstellungen von einer Wirtschaftsdemokratie weitgehend gescheitert waren. Die Forderungen nach einer Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum und einer erweiterten Mitbestimmung der Betriebsräte waren zunächst nicht nur von den Gewerkschaften, sondern auch von den maßgeblichen Parteien (zum Beispiel auch von der CDU in ihrem Ahlener Programm von 1947) erhoben worden. Bei den alliierten Besatzungsmächten, insbesondere der US-Militärregierung unter General Lucius D. Clay, stießen diese Pläne allerdings auf harten Widerstand und wurden letztlich nicht genehmigt. Dabei setzten sich die Alliierten, im Gegensatz zu ihren öffentlichen Bekenntnissen, in Deutschland eine demokratische Ordnung zu installieren, in Fragen der Wirtschaftsverfassung über die demokratische Willensbildung in den neuen Landesparlamenten hinweg. In allen Länderverfassungen (außer Hamburg) waren ab 1946 Verfassungsbestimmungen zur Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien enthalten.
In Hessen, wo die amerikanische Militärregierung eine gesonderte Volksabstimmung über den Sozialisierungsartikel Nr. 41 angesetzt hatte, akzeptierten sie das Resultat nicht, obwohl 71,9% der TeilnehmerInnen an der Abstimmung dem Artikel zugestimmt hatten. Sie suspendierten die Umsetzung des Gesetzes.2 Entsprechende Bestrebungen im nordrhein-westfälischen Landtag von 1948, die sich auf die Kohleindustrie bezogen, wurden von der britischen Regierung (auf Druck der Amerikaner) annulliert. Ähnliches galt für die wirtschaftliche Mitbestimmung der Betriebsräte in den Unternehmen.
Aber auch die wiedererstandenen Gewerkschaften unter Führung von Hans Böckler hatten ihren Anteil an der Niederlage. Es war ihnen allenfalls begrenzt gelungen, von den Besatzungsmächten Zugeständnisse zu erreichen, weil sie die Mobilisierung der Mitglieder, nicht zuletzt aus Furcht vor einem Anwachsen des kommunistischen Einflusses und einer Radikalisierung der Arbeiterschaft, nur selten wagten. Der »Kalte Krieg« zwischen Ost und West, der seit 1947 an Vehemenz zunahm, wirkte sich weitgehend lähmend auf die Handlungsbereitschaft der Gewerkschaftsführungen aus. Mit der Gründung der Bundesrepublik 1949 betrieb die unternehmerfreundliche, von Konrad Adenauer geführte Regierung mit amerikanischer Unterstützung die Wiedereinsetzung der Altbesitzer in ihre Eigentumsrechte (per Umtausch der Altaktien). Das Gesetz Nr.75, das die Eigentumsregelung noch offen gelassen hatte, wurde durch das neue Gesetz Nr. 27 vom 20.5.1950 ersetzt. Es sicherte den ehemaligen Aktionären der Konzerne eine »angemessene und geeignete Entschädigung« zu. Das ebnete den inzwischen zumeist als »nicht belastet« eingestuften Vertretern der Altkonzerne, wieder in ihre alten Positionen einzurücken. Die Gewerkschaften konnten dagegen nur noch ohnmächtigen Protest einlegen. Sie waren gleichzeitig mit der Verteidigung der paritätischen Montanmitbestimmung beschäftigt, die die Briten als Ausgleich für die verhinderte Sozialisierung angeboten hatten, und die nun ebenfalls in Gefahr geraten war, wieder abgeschafft zu werden. Mit einer Streikdrohung in der Montanindustrie gelang das noch gerade. Konrad Adenauer wollte eine solche Kraftprobe in der noch jungen Republik nicht riskieren und vermittelte zwischen den Kontrahenten.
Bei der folgenden Auseinandersetzung um das Betriebsrätegesetz 1951/52 gelang es Adenauer dann allerdings, durch geschicktes Taktieren die Forderungen der Gewerkschaften nach wirtschaftlichen Mitbestimmungsrechten der Betriebsräte, für die im Mai 1952 Hunderttausende mit Arbeitsniederlegungen und Warnstreiks demonstriert hatten, abzuwehren. Der spätere IG Metall Vorsitzende Otto Brenner, damals noch Bezirksleiter in Hannover, erklärte auf dem DGB-Kongress im Oktober 1952: »Die wiedererstarkten restaurativen Kräfte in Deutschland, das wiedererstarkte restaurative Unternehmertum zielen darauf ab, den Gewerkschaften nach 1945 die erste entscheidende Niederlage beizubringen. Darum war meiner Meinung nach der einmal begonnene Kampf um das Betriebsverfassungsgesetz von entscheidender Bedeutung«. Die alten Industrieeliten mit ihren restaurativen Bestrebungen hatten in der Auseinandersetzung um die Besitz- und Machtverhältnisse den Sieg davon getragen.
Im Laufe der siebziger Jahre erschienen weitere Arbeiten zu dieser Thematik, die, mit unterschiedlicher Gewichtung einzelner Aspekte, zu ähnlichen, teilweise auch abweichenden Schlüssen in der Bewertung der Rolle der westlichen Besatzungsmächte und der gewerkschaftlichen Akteure kamen.3 Wichtige Ergänzungen in den damals von mir aufgezeigten Forschungslücken wurden geschlossen. Das galt insbesondere für die Rolle der „antifaschistischen Aktionsausschüsse“ in den ersten Wochen und Monaten nach der Kapitulation. Lutz Niethammer u.a. haben in ihrer breit angelegten Untersuchung »Arbeiterinitiative 1945« etwa 137 solcher lokalen Ausschüsse quer über ganz Deutschland nachgewiesen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit). Die Autoren wiesen darauf hin, dass die »zweite Phase der Arbeiterbewegung«, der organisierte Wiederaufbau der Gewerkschaften und Parteien nach 1945, »die Erinnerung an die erste verdrängt (hat)«.4 Schließlich sind im Laufe der Jahre weitere Regional- und Lokalstudien über den Wiederaufbau der Gewerkschaften nach 1945 erschienen, die das Gesamtbild differenzierter gestaltet haben.
Eine eher grundsätzliche Kritik an dem Buch und an verwandten Publikationen aus dieser Zeit setzte erst erheblich später ein. Die Auseinandersetzung konzentrierte sich dabei vor allem auf die Verwendung des Begriffs »Restauration der Besitz– und Machtverhältnisse«. Die Beiträge des Historikers Axel Schildt, die sich allerdings nicht direkt auf die »Verhinderte Neuordnung« bezogen, sondern die »Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik« gegenüber kritischeren Beurteilungen betont haben, können dafür als paradigmatisch gelten: »Die Restaurationsbegrifflichkeit ist zwar für eine Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik untauglich. Bedacht werden sollte allerdings, daß – wenngleich bisweilen in grotesker Überzeichnung – dunkle Flecken der jungen Bundesrepublik beleuchtet und das Problem der Elitenkontinuität, allerdings in falscher Terminologie, thematisiert wurden«. Auf die Vorentscheidungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, geht Schildt nirgends näher ein. Sein Urteil lautete, die „Restaurationsthese“ habe »im Gefolge der Studentenbewegung von 1968 – und munitioniert durch Veröffentlichungen von Historikern der DDR – vorübergehend Eingang in die westdeutsche Zeitgeschichte gefunden«, und sich »nicht selten mit einer Glorifizierung der Arbeiterklasse oder des ‚einfachen Volkes‘ (verbunden) dessen auf radikale Demokratisierung gerichtete Bestrebungen von oben unterdrückt worden seien«.5
Bezieht man die Kritik am Restaurationsbegriff auf die Gesamtgeschichte der Bundesrepublik, wie es Schildt und andere Autoren tun, mag dies eine gewisse Berechtigung haben. »Die verhinderte Neuordnung« behandelt allerdings explizit nur die wirtschaftspolitischen Entscheidungen in den ersten Nachkriegsjahren, die auf dem Feld der Betriebs- und Unternehmensverfassung getroffen wurden, und zwar für den Zeitraum vom Kriegsende bis zu den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Dabei war der Fokus der Analyse begrenzt auf die Gründe für die gescheiterten Erwartungen der Organisationen der Arbeiterbewegung, eine wirtschaftsdemokratische Neuordnung nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft durchsetzen zu können. Es wurde nicht der Anspruch erhoben, die Geschichte der Bundesrepublik insgesamt zu bewerten.
Als unbestreitbares Resultat der im Buch beschriebenen Auseinandersetzungen kann jedenfalls konstatiert werden, dass am Beginn der bundesrepublikanischen Geschichte die Wiedereinsetzung der alten, als »nicht-belastet« eingestuften Eliten der Großindustrie in ihre überkommenen Positionen und Eigentumsrechte erfolgt war, verbunden mit der erfolgreichen Abwehr der gewerkschaftlichen Forderungen. Die wenigen Zugeständnisse beschränkten sich auf die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie. In diesem eingegrenzten Sinn erscheint mir der Begriff »Restauration« für die beschriebenen Prozesse nach wie vor zutreffend zu sein.
Andere Kritiker, wie der in den USA lehrende Historiker Volker R. Berghahn, sahen im Verlauf der Nachkriegsentwicklung grundsätzlich eine langfristige Erfolgsgeschichte der deutschen Gewerkschaften, die gerade auf deren »productionist and cooperative posture« in diesem Zeitabschnitt gegründet sei, also auf ihrer pragmatischen Anpassung an die Verhältnisse. Deshalb sei die Kritik an der Haltung der Gewerkschaften »radical and unrealistic«.6 Berghahn bewertet die Entwicklung generell als »Umbau des Überkommenen nach dem Vorbild des erfolgreichen amerikanischen Wirtschaftssystems».7 Er orientiert sich mit dieser Bewertung meines Erachtens schon vorab an einer Auffassung von Gewerkschaften, wie sie im angelsächsischen Sprachraum bei liberalen und konservativen Ökonomen gängig ist. Mit der Aufbruchsstimmung, die nach 1945 bei bedeutenden Teilen der Arbeiterschaft, aber auch in der breiten Bevölkerung vorhanden war, hat er sich offensichtlich nicht detaillierter auseinandergesetzt. Die damals erhobenen Forderungen in Parteien und Gewerkschaften waren eben nicht einfach das Produkt abgehobener Intellektueller oder von radikalen Funktionären, sondern getragen von einer Hoffnung beträchtlicher Gruppen der Bevölkerung auf eine Neuordnung der Wirtschaft. Ein Wiedererstarken der alten, reaktionären Kräfte sollte verhindert werden. Anders lassen sich weder die breite Zustimmung zu den Sozialisierungsartikeln in den Länderverfassungen, die Mehrheit bei der hessischen Sonderabstimmung, noch die zahlreichen Arbeitsniederlegungen und Massendemonstrationen erklären, die sich gegen eine Wiederherstellung der alten Besitz- und Machtverhältnisse richteten.
Die erwähnten Kritikansätze greifen deshalb meines Erachtens zu kurz. Sie urteilen von einer ex post Situation her, der längerfristig unbestreitbar gelungenen demokratischen Ordnung der späteren Bundesrepublik und ihrer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Dabei übersehen sie, dass die Handlungshorizonte in der unmittelbaren Nachkriegszeit, auf die sich meine und andere Untersuchungen bezogen, nicht nur eine eingleisige, alternativlose Entwicklungsmöglichkeit aufwiesen, sondern vieles noch offen und nicht determiniert war. Die unerfüllten Erwartungen der Organisationen der Arbeiterbewegung in den ersten Jahren nach 1945 und die Gründe für deren Scheitern interessierten diese Kritiker nicht wirklich. Diesem Tatbestand galt aber das Hauptaugenmerk meiner nun erneut aufgelegten Arbeit.
Bremen, Oktober 2021
1Eine gewisse Ausnahme bildete die Arbeit von Theo Pirker, Die blinde Macht. Die Gewerkschaftsbewegung in Westdeutschland, Teil 1: 1945–1952, München 1960. Sie leidet aber darunter, dass die politischen Eingriffe der alliierten Besatzungsmächte in den Prozess der Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft nach 1945 (vermutlich aus Mangel an verfügbaren Quellen) nicht gründlich analysiert werden. Außerdem hat der Autor in seinem Buch vollständig auf Quellennachweise verzichtet. Er stützte sich lediglich auf öffentlich zugängliche Quellen.
2Gerd Winter, Sozialisierung in Hessen 1946–1955, in: Kritische Justiz 7, 1974, Heft 2, 157–175.
3U. Schmidt, T. Fichter, Der erzwungene Kapitalismus, Berlin 1971; f. Deppe, Das Bewußtsein der Arbeiter. Studien zur politischen Soziologie des Arbeiterbewußtseins, Köln 1971, 255–300; E.U. Huster, G. Kraiker u.a. (Hg.), Determinanten der westdeutschen Restauration 1945–1949, Frankfurt/M 1972; (aus DDR-Sicht) R. Badstübner, S. Thomas, Restauration und Spaltung. Entstehung und Entwicklung der BRD 1945–1955, Köln 1975; R. Krusche, D. Pfeifer, Probleme der Gewerkschaftspolitik 1945–1965, in: B. Blanke, f.C. Delius u.a. (Hg.), Die Linke im Rechtsstaat, Band 1, Berlin 1976, 139–158; W. L. Bernecker, Die Neugründung der Gewerkschaften 1945–1949, in: J. Becker, Th. Stammen, P. Waldmann (Hg.), Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, München 1979; J.-B. Lange-Quassowski, Neuordnung oder Restauration, Opladen 1979; H. A. Winkler (Hg.), Politische Weichstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945–1953 mit einschlägigen Beiträgen von Niethammer, Kleßmann, Mielke, Winkler, Steininger und Abelshauser, Sonderheft Nr. 5 von ‚Geschichte und Gesellschaft‘, Göttingen 1979; M. Fichter, Gewerkschaften und Besatzungsmacht, Zur Entwicklung und Anwendung der US-Gewerkschaftspolitik in Deutschland 1944–1948, Bonn 1982; Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945–1955, Bonn 1984; Siegfried Mielke, Die Neugründung der Gewerkschaften in den westlichen Besatzungszonen 1945 bis 1949, in: H. O. Hemmer, K. Th. Schmitz (Hg.), Geschichte der Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1990, 19–83.
4L. Niethammer, U. Borsdorf, P. Brandt (Hg.), Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976.
5A. Schildt, Fünf Möglichkeiten, die Geschichte der Bundesrepublik zu erzählen, in: Blätter für Deutsche und Internationale Politik, 10/1999, 1234–1244.
6Zit. nach D. Prowe, Ordnungsmacht und Mitbestimmung, The Postwar Labor Unions and the Politics of Reconstruction, in: D. E. Barclay, E. D. Weitz (ed.), Between Reform and Revolution. German Socialism and Communism from 1840 to 1990, 397–420.
7V. Berghahn, Deutschland im „American Century“ 1945–1990, in: M. Frese, M. Prinz (Hg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert, Paderborn 1996, 789–800.
Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 hatte die totale Machtübernahme durch die alliierten Großmächte zur Folge. Ihre nationalen und internationalen Interessen und Zielsetzungen bestimmten damit auf Jahre hinaus die Entwicklung der Neuordnung in Deutschland. Der Spielraum für eigenständiges politisches Handeln auf deutscher Seite wuchs nur allmählich; zunächst nur um den Preis der Anpassung an die Interessen der jeweiligen Besatzungsmacht und sofern die von ihr abgesteckten Grenzen nicht überschritten wurden. Anpassung und Widerstand an das Verhalten der jeweiligen Militärregierung kennzeichnen daher die Versuche der verschiedenen politischen Kräfte auf deutscher Seite, Einfluss auf den Gang der Nachkriegsentwicklung zu erlangen.
Die Interessen der Besatzungsmächte bestanden unmittelbar nach dem Zusammenbruch in erster Linie in der Herstellung der Sicherheit für die eigenen Truppen gegenüber möglichen nazistischen Widerstandsbewegungen und in der Durchsetzung der Kriegsziele, wie sie in Teheran, Jalta und dann in Potsdam endgültig formuliert wurden. Von einer Zusammenarbeit mit demokratischen Kräften in Deutschland selbst war zunächst nur sehr bedingt die Rede. Die Situation änderte sich erst, als eine zunehmende Konsolidierung der Verhältnisse im besetzten Deutschland eintrat, und als die wachsenden Differenzen zwischen den westlichen Besatzungsmächten und der Sowjetunion die Alliierten zwangen, sich die von ihnen Besiegten in gewissen Grenzen zu Verbündeten zu machen.
Eine Untersuchung der gewerkschaftlichen Bemühungen um die Neuordnung der Wirtschaft muss daher berücksichtigen: 1. in welchem Rahmen das Wirken der Gewerkschaften von den Besatzungsmächten vorgesehen war und geduldet wurde, und 2. inwieweit die Gewerkschaften in ihrem selbständigen politischen Denken und Handeln mögliche Reaktionen der Besatzungsmacht bereits vorab in ihre Bemühungen einbezogen. Der Spielraum der Gewerkschaften wurde ja nicht nur von den Anordnungen der Besatzungsmächte begrenzt oder von politischen Gegenkräften, wie sie von den westlichen Alliierten schon bald wieder geduldet oder sogar gefördert wurden, sondern auch von der unabweisbaren Tatsache der alltäglichen Notlage der deutschen Bevölkerung. Die Beseitigung dieser Notlage, vor allem auf den Gebieten der Versorgung mit Nahrungsmitteln, mit Heizmaterial, mit Kleidung und mit Wohnraum, hing aber wiederum in erheblichem Maße von den Entscheidungen der jeweiligen Militärregierung ab. Die direkte und indirekte Abhängigkeit von der Politik der Besatzungsmächte bildete somit den nur schwer übersteigbaren Rahmen für mögliche Neuordnungsbemühungen der Gewerkschaften. Zum Verständnis dieser Problematik ist es daher unumgänglich, die Voraussetzungen für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in der ersten Nachkriegsphase in Betracht zu ziehen, sofern sie das Verhältnis der alliierten Mächte zueinander und damit auch gegenüber der deutschen Frage bestimmten.
Die Festlegung der Richtlinien für eine Behandlung Deutschlands auf der »Potsdamer Konferenz« im Juli 1945 war das Ergebnis eines Kompromisses zwischen den »Großen Drei«, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion und Großbritannien. Das unterschiedliche Verständnis, mit dem die Großmächte den Kompromiss akzeptierten, bewirkte allerdings, dass die Gegensätze zwischen den westlichen Alliierten, zu denen das in Potsdam nicht vertretene Frankreich trat, und der Sowjetunion sich bald in voller Schärfe entfalteten. Hauptanlass dazu war der Streit um die Regelung der deutschen Reparationen, die für die von den Kriegsfolgen vergleichsweise am schwersten betroffene Sowjetunion zum wichtigsten Ziel ihrer Deutschlandpolitik geworden war, und die so von den Westalliierten, vor allem von den Vereinigten Staaten, bei Bedarf als Hebel für die Durchsetzung der eigenen Forderungen genutzt werden konnte.1
Die Richtlinien für eine Behandlung Deutschlands seitens der alliierten Großmächte
Die Potsdamer Konferenz der Regierungschefs der drei Großmächte vom 17. Juli 1945 bis zum 2. August 1945 endete mit der Verkündung des sogenannten »Potsdamer Abkommens«2, einer Zusammenfassung von »Entscheidungen und Vereinbarungen« über die zukünftige Behandlung Deutschlands, der sich Frankreich mit bestimmten Vorbehalten3 wenig später anschloss. Dieses Schlussprotokoll basierte im Wesentlichen auf einem Memorandum, das am 17. Juli von der amerikanischen Delegation vorgelegt worden war, und das in einigen Punkten eine Präzisierung erfahren hatte.
Kernpunkte der » Wirtschaftlichen Grundsätze« des Potsdamer Abkommens waren4: das Verbot der »Produktion von Waffen, Kriegsausrüstung und Kriegsmitteln«, die Überwachung und Beschränkung der »Herstellung von Metallen und Chemikalien«, die Dezentralisierung des deutschen Wirtschaftslebens »mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft«, die bevorzugte »Entwicklung der Landwirtschaft und der Friedensindustrie für den inneren Bedarf«, die Behandlung »Deutschlands als einer wirtschaftlichen Einheit«, die Errichtung einer »alliierten Kontrolle über das deutsche Wirtschaftsleben … jedoch nur in den Grenzen, die notwendig sind«, und schließlich soll »die Bezahlung der Reparationen … dem deutschen Volk genügend Mittel belassen, um ohne eine Hilfe von außen zu existieren«. An diese wirtschaftlichen Grundsätze schloss sich eine Regelung der Reparationsfrage an, die der umstrittenste Komplex der Verhandlungen gewesen war.
Trotz dieser noch zustande gekommenen Vereinbarung zwischen den Großmächten handelte es sich eher, wie die folgende Entwicklung rasch zeigen sollte, um eine »Scheinfassade der Einigkeit«5, hinter der sich die Gegensätze nur mühsam verbargen. Die gegensätzlichen Ziele und Interessen der beteiligten Großmächte standen einer dauerhaften Einigkeit zu sehr im Wege. Zudem ließen die vereinbarten Grundsätze, die den Charakter von allgemeinen Rahmenbestimmungen hatten, den einzelnen Militärregierungen genügend Spielraum für eigene Auslegungen, eine Tatsache, die besonders auf westalliierter Seite von Bedeutung wurde. Zum Verständnis der Entwicklung der Auseinandersetzungen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion ist es aber zuvor notwendig, die Voraussetzungen für die konkrete Deutschlandpolitik der einzelnen Mächte näher zu betrachten. Besonders wichtig erscheint diese Klärung für die amerikanische Deutschlandpolitik, deren offizielle Fassung bereits zur Zeit des Potsdamer Abkommens erheblich von der tatsächlich praktizierten Politik abwich. Diese Tendenz hatte ihre Ursache vor allem in dem Wandel von der Rooseveltschen Verständigungspolitik mit der Sowjetunion zu Trumans Politik der Eindämmung des sowjetischen Einflusses in Europa. Ohne die verwickelten Linien dieses Prozesses im Einzelnen verfolgen zu können, sollen einige markante Punkte, besonders im Hinblick auf die Behandlung wirtschaftlicher Fragen, herausgegriffen werden.
Noch während des Jahres 1943 standen bei der amerikanischen Deutschlandpolitik »die politischen Aspekte der Planung im Vordergrund …, während wirtschaftlich-soziale Fragen zwar gelegentlich angeschnitten, aber doch nicht gründlich durchgesprochen wurden«.6 Das änderte sich erst, als im September 1944 Roosevelts Finanzminister Morgenthau dem Washingtoner Kabinett einen detaillierten Deutschlandplan vorlegte. Morgenthaus 14-Punkte-Programm7, das den Titel trug: »Wie kann Deutschland verhindert werden, einen Dritten Weltkrieg zu entfesseln?« sah für die deutsche Wirtschaft vor: »Die vollkommene Zerstörung der gesamten deutschen Rüstungsindustrie, aber auch die Wegführung oder Zerstörung aller Schlüsselindustrien, auf denen eine neue Rüstungsindustrie aufgebaut werden kann«. Das Ruhrgebiet sollte in absehbarer Zeit kein Industriezentrum mehr sein können, »die Militärregierung soll … überhaupt keine Maßregel ergreifen, die den Zweck hat, die deutsche Wirtschaft zu erhalten oder zu stärken … Es ist ausschließlich Sache der Deutschen selbst, ihre Wirtschaft und sich selbst zu erhalten«, schließlich sollen »mindestens zwanzig Jahre lang nach der Kapitulation Kontrollen, auch über den deutschen Außenhandel, und scharfe Beschränkungen des Kapitalimports durch die Vereinigten Staaten durchgeführt werden«. Dieser radikale Plan eines »Karthagofriedens« gegenüber Deutschland rief sofort die scharfe Gegnerschaft des Außen- und des Kriegsministeriums hervor, wo sich bereits unter Roosevelt diejenigen Kräfte zu formieren begannen, die später als die Befürworter eines harten Kurses gegenüber der Sowjetunion hervortraten. Dennoch gelang es Morgenthau, Roosevelt zumindest in den Grundzügen für seine Vorstellungen zu gewinnen. Dies zeigte sich besonders deutlich in dem Niederschlag, den Vorstellungen Morgenthaus in einem Dokument fanden, das von 1945 bis zum Juli 1947 die offizielle Richtschnur der Politik der amerikanischen Militärregierung in Deutschland bildete.
Die »Direktive der Vereinigten Amerikanischen Generalstäbe an den Oberkommandierenden der amerikanischen Besatzungstruppen, betreffend die Militärregierung in Deutschland (ICS 1067/6–7)«8 wurde General Eisenhower im Dezember 1944 übermittelt. Nachdem es Eisenhower nicht gelang, eine Einigung darüber mit den anderen alliierten Oberbefehlshabern herbeizuführen, wurde die Direktive schließlich in überarbeiteter Fassung am 14.Mai 1945 für die amerikanische Militärregierung allein verbindlich. Wegen ihrer Bedeutung für die kommenden beiden Jahre der Besatzungspolitik und als Anhaltspunkt für die Tatsache, wie rasch sich die Militärregierung in der Praxis, unter dem Eindruck des Zerfalls der Kriegskoalition, von diesen Richtlinien entfernte, sei hier näher auf sie eingegangen. Der Vergleich mit den oben angeführten Hauptpunkten des Morgenthauplanes zeigt den Einfluss des Finanzministers auf die Ausformulierung der amerikanischen Deutschlandpolitik zum Zeitpunkt der Abfassung der Direktive Ende 1944/Anfang 1945.
Als wirtschaftliche Hauptziele waren in ICS 1067 in Artikel 4 unter anderem definiert9: »Die industrielle Abrüstung und die Entmilitarisierung Deutschlands, an die sich eine ständige Kontrolle über die Mittel anschließen muß, mit denen Deutschland sich eine neue Rüstung schaffen könnte … « In Artikel 5 heißt es: »Als Mitglied des Kontrollrats und als Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungszone werden Sie sich von dem Grundsatz leiten lassen, daß die deutsche Wirtschaft in der Weise überwacht wird, daß die Entwicklung der in Artikel 4 näher gekennzeichneten Ziele sichergestellt wird … Es soll aber bei der Durchführung des Reparationsprogrammes oder in anderem Zusammenhang nichts unternommen werden, was die allgemeinen Lebensbedingungen in Deutschland oder in Ihrer Zone auf einen höheren Stand bringen würde, als in irgendeinem der Nachbarländer Deutschlands … « Im zweiten Teil der Direktive, der »Wirtschaftsfragen« überschrieben ist, werden dann im einzelnen Ziele und Methoden der Kontrolle erläutert. Unter Hinweis auf die in den Artikeln 4 und 5 definierten Ziele wird die Militärregierung angewiesen »… keine Maßnahmen (zu) ergreifen, die a) dem wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands dienen, oder b) das Ziel haben, die deutsche Wirtschaft zu erhalten oder zu stärken«.10
Besonders die beiden letzten Sätze, die fast wörtlich den Formulierungen des Morgenthauplanes (Ziffer 8) entsprachen, stießen auf den heftigsten Widerstand derjenigen, die die Anweisungen als Verantwortliche der amerikanischen Militärregierung in Deutschland ausführen sollten. Schon unter Roosevelt, besonders aber dann vor allem unter seinem Nachfolger Truman, rekrutierten sich die meisten Schlüsselpositionen im Kriegs- und Außenministerium aus den Kreisen der Hochfinanz und mit ihnen verflochtener Anwaltsfirmen sowie aus Persönlichkeiten, die diesen Interessen in irgendeiner Weise verbunden waren.11 Zu ihnen gehörten neben dem künftigen Militär-Gouverneur General Lucius D. Clay eine Reihe seiner Berater, vor allem sein Leiter der Wirtschaftsabteilung, William H. Draper, ein ehemaliger Bankier, sein erster Finanzberater Lewis Douglas, ehemaliger Präsident einer großen Versicherungsgesellschaft, und der Leiter der politischen Abteilung, Robert Murphy.12 Eine Ausnahme machten in der »Clay-Administration« offenbar nur die rasch wechselnden Leiter der Entflechtungsabteilungen, wie Russel A. Nixon und James St. Martin, die als »Morgenthauboys« galten und deshalb rasch in Konflikt mit Clays Politik und der seiner anderen Berater gerieten. Die politischen Ziele der Gruppe, die nach dem Tode Roosevelts im April 1945 unter dessen Nachfolger Truman ihren vollen Einfluss entfalten konnte, waren gemäß ihrer konservativen Grundeinstellung und ihrem ungebrochenen »Vertrauen in die Leistungskraft privatkapitalistischen Managements«13, auf eine harte Haltung gegenüber der Sowjetunion gerichtet. Deutschland gegenüber rieten sie eher zu einer gemäßigten Politik der wirtschaftlichen Unterstützung und des Wiederaufbaus der Wirtschaft nach dem Vorkriegsmuster, damit das sowjetische Übergewicht in Europa ausgeglichen würde.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Clay, als er die Direktive ICS 1067 zusammen mit Douglas im April 1945 zum ersten Mal zu Gesicht bekam, schockiert war. Er erinnert sich: »Wir waren entsetzt – nicht wegen der vorgesehenen Strafmaßnahmen, sondern über das Versagen, das in dem Mangel zum Ausdruck kam, die finanziellen und wirtschaftlichen Zustände, denen wir uns gegenüber sehen würden, zu erkennen«.14 Douglas Reaktion wird von Murphy überliefert: »Ökonomische Schwachköpfe!«15 Sein Versuch, auf Geheiß Clays, in Washington Einschränkungen der Direktive durchzusetzen, schlug fehl. Er trat deshalb bald darauf von seinem Posten als Finanzberater zurück. Clay dagegen, der die wenig straffe Führung der Außenpolitik unter Truman auszunutzen wusste und sich auf den starken Einfluss der Vereinigten Stabschefs und des Verteidigungsministeriums in Washington stützen konnte, wählte den Weg, ihm allzu unbequeme Bestimmungen zu umgehen: »Zum Glück waren die Vorschriften von ICS 1067 in mancher Hinsicht allgemein gefasst, sodass die Auslegung dem Militärgouverneur überlassen blieb«.16 Walter L. Dorn beschreibt Clays Haltung noch präziser: »Clay tat, was das Kriegsministerium von ihm erwartete, er ließ die undurchführbaren Bestimmungen von ICS 1067 in der Praxis Stück für Stück fallen«.17
Außerdem bediente er sich der noch flexibleren Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Clay: »Einige der drastischeren wirtschaftlichen und finanziellen Bestimmungen (der Direktive ICS 1067, d. V.) wurden auch durch das Potsdamer Abkommen gemildert«.18 Obwohl das Potsdamer Abkommen durchaus noch Morgenthaugedanken (etwa in Abschnitt 13) enthielt, war Clay bestrebt, die Auslegung seinen eigenen Zielen anzupassen: »Die wirtschaftlichen und finanziellen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens hoben die Verfügungen von ICS 1067, nach denen wir Kontrollen in finanziellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten nicht ausüben durften, es sei denn zur Verhinderung einer Inflation, auf … Jetzt waren wir direkt verpflichtet, eine ausgeglichene Wirtschaft zu entwickeln, die Deutschland auf eigene Füße stellen sollte«.19 Diese Wendung ursprünglich einschränkender Bestimmungen (Clay bezog sich hier offenbar auf Artikel 15 c des Potsdamer Abkommens) in konstruktive Leitlinien bedeutete eine ziemlich extensive Auslegung des Abkommens und brachte Clay bald nicht nur in Gegensatz zur sowjetischen Politik, sondern auch zur eigenen Regierungspolitik, vor allem in der Frage der Dekartellisierung (Entflechtung) der deutschen Industrie.20
Im Gegensatz zu diesen Widersprüchen zwischen offiziell proklamierter Politik und tatsächlich praktizierter erschien die sowjetische Deutschlandpolitik eindeutiger ausgerichtet. Die Sowjetunion war, was die wirtschaftlichen Probleme anbetraf, von Anfang an nahezu ausschließlich an der Frage deutscher Reparationen interessiert. Die außerordentlich hohen Verluste, die die deutsche Kriegsführung der sowjetischen Wirtschaft beigebracht hatte, ließen alle anderen Probleme als nachgeordnet erscheinen. So hatte die sowjetische Delegation bereits auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 darauf gedrängt, die Reparationssumme und die Verteilung festzulegen. Nach anfänglichem Widerstand hatten die Vereinigten Staaten, nicht aber Großbritannien, nachgegeben und eine Summe von 20 Milliarden Dollar als Diskussionsgrundlage (»as a basis for discussions« ) akzeptiert.21 In Potsdam kam es nun ein halbes Jahr später über diese Frage wieder zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Amerikaner setzten schließlich mit der Drohung, sonst die Konferenz scheitern zu lassen22, durch, dass keine fixe Summe genannt wurde und stattdessen jede Besatzungsmacht für Reparationen auf ihre Zone verwiesen wurde. Der Kompromiss, der damit zustande kam, sah im Wesentlichen vor, dass die einzelnen Mächte ihre Reparationsansprüche an Deutschland aus den von ihnen besetzten Zonen deckten, dass aber die Sowjetunion zusätzlich » 15% derjenigen verwendungsfähigen und vollständigen industriellen Ausrüstung, vor allem der metallurgischen, chemischen und maschinenerzeugenden Industrien (erhält), soweit sie für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig und aus den westlichen Zonen Deutschlands zu entnehmen sind …«23 Als Austausch waren in entsprechendem Wert Nahrungsmittel, Kohle und andere Güter nach Vereinbarung vorgesehen. 10% der industriellen Ausrüstung sollten außerdem ohne Gegenwert verrechnet werden. Die Entnahme der industriellen Ausrüstung sollte sobald wie möglich beginnen. Hinsichtlich der Frage einer neuen deutschen Wirtschaft trat die Sowjetunion in Potsdam für eine vollständige Entmilitarisierung Deutschlands ein und für die Vernichtung des deutschen Kriegspotentials. Dazu diene, wie die sowjetischen Vertreter ausführten, eine Wirtschaftspolitik, die das Ziel verfolge, »ein Wiedererstarken der Teile der Wirtschaft zu verhindern, die die Grundlage der Schwerindustrie sind, und gleichzeitig Deutschland freie Hand in der Landwirtschaft und in der Leichtindustrie zu lassen. «24 Maiskij, der sowjetische Vertreter im Unterausschuss für deutsche Wirtschaftsfragen in Potsdam, betonte außerdem: »Die deutsche Wirtschaft wird nach diesem Krieg eine sehr straff gelenkte Wirtschaft sein, denn sonst könnte sie keine Reparationszahlungen leisten«.25
Die Politik der britischen Regierung wurde ebenfalls eindeutig von der finanziellen Notlage bestimmt, in die Großbritannien durch den Krieg und seine Folgen hineingeraten war. Bereits in Jalta hatten sich Churchill und Eden deshalb heftig gegen die Höhe der sowjetischen Reparationsforderungen gewehrt. Sie wollten, wie sie erklärten, nicht an einen ökonomischen Leichnam gekettet werden, denn sie befürchteten, Deutschland später »finanzieren und ernähren« zu müssen.26 Auch in Potsdam legte die britische Delegation, und es gab hier zwischen Churchill und dem ihn ablösenden Labour-Premierminister Attlee keinen Unterschied, größten Wert auf möglichst umgehende Lieferung von Nahrungsmitteln im Austausch gegen die der Sowjetunion zugesprochenen Investitionsgüter aus den westlichen Zonen.27 Großbritannien war damit an einer möglichst raschen Ingangsetzung der deutschen Produktion interessiert, soweit es ein Niveau betraf, das die Selbstversorgung der Bevölkerung nicht überschritt. Churchills Unterhausrede vom 16. August 1945 gab dieser Ansicht Ausdruck: »In der Zwischenzeit aber ist es nach meiner Meinung überaus wichtig, daß die Verantwortung tatsächlich von deutschen lokalen Körperschaften übernommen wird, um unter alliierter Oberaufsicht die für die Erhaltung des Lebens einer riesigen Bevölkerung nötige Produktion und Verwaltung weiterzuführen … Die deutschen Massen dürfen uns nicht zur Last fallen und erwarten, jahrelang von den Alliierten ernährt, organisiert und erzogen zu werden«.28
Frankreich schließlich, das in Potsdam selbst nicht anwesend war, war von Anfang an daran interessiert, eine Abtrennung des Ruhrgebiets und des Saargebiets vom Deutschen Reich durchzusetzen. Unter Umständen war es auch bereit, die Form einer internationalen Eigentümerschaft anzuerkennen, wenn Frankreich dabei einen besonders großen Teil der Ruhrkapazität erhalten würde. Wirtschaftliche Bedürfnisse, die Ersetzung der Kriegsverluste und militärisches Sicherheitsstreben gegenüber deutscher Aggression waren die Hauptmotive der französischen Politik gegenüber Nachkriegsdeutschland.
Damit sind in Kürze die Ausgangspositionen beschrieben, die unmittelbar nach der Kapitulation von Seiten der drei alliierten Großmächte und Frankreichs für eine Behandlung der deutschen Wirtschaft eingenommen wurden. Die gegensätzlichen Interessen der Großmächte, vor allem aber der Sowjetunion und der Westmächte, konnten bereits in Potsdam nur noch schwer durch Kompromisse gebändigt werden. Sie trugen in sich schon den Keim der künftigen Auseinandersetzungen.
Das Auseinanderbrechen der Siegerkoalition über der Frage der Reparationsregelung
Die Entwicklung nach Potsdam ist gekennzeichnet durch die ständig wachsenden Spannungen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion über die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Der offene Bruch trat ein als Clay im Mai 1946 die seit September 1945 begonnenen Reparationslieferungen aus der amerikanisch besetzten Zone stoppen ließ. Nach Auffassung der amerikanischen Militärregierung sei von der Sowjetunion das Potsdamer Abkommen verletzt worden, da das Prinzip der Behandlung Deutschlands als einer Wirtschaftseinheit nicht eingehalten worden sei. Insbesondere habe es an Lebensmittellieferungen aus der sowjetisch besetzten Zone gefehlt, wie sie im Austausch für Investitionsgüter vorgesehen seien.29 Die Sowjetunion argumentierte dagegen, die Behinderung und Verzögerung der Reparationslieferungen aus den westlichen Besatzungszonen durch die Erklärung Clays sei ungesetzlich und eine Verletzung der Potsdamer Vereinbarungen.30 Auf der Pariser Außenminister-Konferenz, die vom 25. April bis 19. Mai und vom 15. Juni bis 12. Juli 1946 stattfand, hatte der amerikanische Außenminister Byrnes einen neuen Plan vorgelegt, der die Entmilitarisierung Deutschlands für 25 Jahre vorsah und entsprechende Abrüstungsmaßnahmen vorschlug.31 Der sowjetische Außenminister Molotow lehnte diesen Plan vor allem deswegen als unzulänglich ab, da der Plan die Reparationslieferungen völlig ignoriere. Außerdem sei eine Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands für mindestens 40 Jahre vonnöten, und die vorgesehenen Maßnahmen böten keine ausreichende Sicherheitsgarantie.32 Da es zu einer Einigung über den von ihr vorgeschlagenen Plan in Bezug auf eine Wirtschaftseinheit ganz Deutschlands nicht kam, machte die amerikanische Militärregierung am 20. Juli 1946 jeder interessierten Besatzungsmacht das Angebot, auch getrennt zu diskutieren, »um gegebenenfalls gemeinsam beschlossene Abmachungen in die Tat umzusetzen«.33 In einer Rede in Stuttgart am 6. September 1946 begründete der amerikanische Außenminister Byrnes diese Wende der amerikanischen Deutschlandpolitik, die die Separatentwicklung der Westzonen einleitete, mit der Notwendigkeit, »den Stand der industriellen Erzeugung zu erreichen, auf den sich die Besatzungsmächte als auf das absolute Mindestmaß einer deutschen Friedenswirtschaft geeinigt hatten«.34 Da die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens nicht eingehalten worden seien, werde man nun den Weg der wirtschaftlichen Vereinigung mit allen Zonen beschreiten, die dazu bereit seien. Bereit war dazu vor allem Großbritannien, das die fehlenden Lebensmittellieferungen ebenfalls beklagte und wirtschaftlich wie finanziell nach dem amerikanisch-britischen Anleihevertrag vom 6. Dezember 1945 in starkem Maße von den USA abhängig war.35 Nachdem erste Besprechungen über die wirtschaftliche Verschmelzung der britischen und amerikanischen Zone bereits Ende Juli 1946 aufgenommen worden waren, kam es am 2. Dezember 1946 zur Unterzeichnung eines Abkommens in Washington, das die Zusammenlegung der beiden Besatzungszonen für den 1. Januar vorsah und die näheren Modalitäten festlegte. Die Kosten wurden von den beiden Mächten geteilt.36 Auf der Moskauer Außenministerkonferenz im März 1947 (10. bis 24. April 1947) reagierte die sowjetische Regierung mit heftigem Protest und forderte die Beseitigung des Bizonenabkommens, da es mit der Verwirklichung der Wirtschaftseinheit Deutschlands unvereinbar sei.37
Allerdings beschränkte sich die Sowjetunion nicht auf den Protest, sondern bot anstatt der Bizonenlösung die Einsetzung einer vorläufigen Regierung nach einer Volksabstimmung an, die darüber entscheiden sollte, »ob Deutschland ein Einheits oder ein föderalistischer Staat werden soll. Durch einen Beschluss über die Abhaltung eines solchen Volksentscheids unter vierseitiger Kontrolle würde den Meinungsverschiedenheiten in dieser Frage ein Ende gemacht werden«.38 Dieses Angebot einer freien, von den Alliierten überwachten Abstimmung wurde von allen drei Westalliierten abgelehnt. Als Begründung wurden Sicherheitsbedenken angeführt. Bevin erklärte: »Es ist mir gleichgültig, ob die Deutschen Sozialisten, Konservative oder Kommunisten sind, solange sie friedlich bleiben. Es ist mir aber nicht gleichgültig, wenn einer deutschen Zentralregierung automatisch große Machtbefugnisse übertragen würden«.39 Bidault schloss sich dieser Meinung ausdrücklich an, und der neue amerikanische Außenminister Marshall bezweifelte, ob das deutsche Volk die notwendige Einsicht besitze. Er glaube nicht daran.40 Die Moskauer Konferenz zeigte mit aller Deutlichkeit, dass eine gemeinsame Linie für die Behandlung Deutschlands durch die ehemaligen Verbündeten nicht mehr zu finden war. Die Westmächte waren nicht mehr bereit, der Sowjetunion in der Reparationsfrage entgegenzukommen. Schwarz bemerkt in seiner Bilanz der Moskauer Konferenz deshalb: »War die Sowjetunion nicht bereit, so gut wie vollständig vor der amerikanischen Deutschlandkonzeption zu kapitulieren, so mußte Amerika unverzüglich und nunmehr auf lange Frist gesehen, den Versuch aufgeben, mit dem russischen Partner in Deutschland weiter zusammenzuarbeiten … Die antirussische Richtung in Washington war endgültig zum Zuge gekommen. Sie drängte darauf, die bloß taktisch gedachte Bizonen-Verschmelzung zur strategischen Grundlinie einer neuen Deutschlandpolitik zu machen«.41
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Prozess des Auseinanderfallens der Kriegskoalition zwischen den Westmächten und der Sowjetunion, der nach Kriegsende einsetzte und in ständiger Steigerung der Spannungen im Frühjahr 1947 einen ersten Abschluss erreichte, die bestimmende Komponente für die Politik der Großmächte und der von ihnen eingesetzten Militärregierungen gegenüber Deutschland war. Die Forderung nach Reparationen und nach einer zentralstaatlichen Regelung auf Seiten der Sowjetunion einerseits, die Sicherung des deutschen Potentials vor den sowjetischen Ansprüchen seitens der Westmächte andererseits, bestimmte im Großen und Ganzen das Verhalten der Besatzungsmächte gegenüber »ihren« Zonen und steckten damit auch den Rahmen ab für den politischen Spielraum von Gewerkschaften und Parteien in der ersten Phase der Nachkriegsentwicklung.
Die gewerkschaftliche Regeneration auf der Ebene der Betriebe und örtlicher Zusammenschlüsse
Noch vor der formellen Beendigung des Krieges durch die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945 kam es nach zwölfjährigem Verbot und illegaler Arbeit zu den ersten Ansätzen gewerkschaftlicher Tätigkeit. General Eisenhower, der Oberkommandierende der alliierten Streitkräfte in Europa, hatte sofort nach überschreiten der deutschen Grenze im März 1945 eine Anordnung der Alliierten Militärregierung erlassen, die versprach: »Die deutschen Arbeiter werden sich, sobald die Umstände dies gestatten, zu demokratischen Gewerkschaften zusammenschließen dürfen. Die Deutsche Arbeitsfront und andere Gliederungen der Naziorganisationen werden sofort aufgelöst …«1 In Aachen kam es daraufhin bald zu den ersten Gewerkschaftsversammlungen, von denen der britische Historiker Ebsworth als zeitgenössischer Beobachter schreibt, sie seien die ersten politischen Versammlungen im besetzten Gebiet überhaupt gewesen. Alle seien nach dem gleichen Muster abgelaufen: Angriffe gegen die früheren Machthaber und Besitzer, die Pickel und Schaufel in die Hand nehmen und richtige Arbeit leisten sollten.2
Eine systematische Übersieht über das Wiedererstehen von Betriebsvertretungen und Gewerkschaftsorganisationen unmittelbar nach dem Zusammenbruch ist aufgrund der schwierigen Quellenlage bisher nicht möglich. Die Darstellung muss sich daher auf typische Einzelbeispiele beschränken.3 Eine zutreffende Vorhersage der Entwicklung findet sich bereits in der Programmschrift der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter in England im September 1944. Dort heißt es: »Die ersten Formen gewerkschaftlicher Interessenvertretung werden sich aus den Kämpfen der illegalen Organisationen und Kräfte gegen Naziregime und Krieg entwickeln. Betrieblich und örtlich werden sich in Stadt und Land vom Vertrauen der Arbeitenden getragene Ausschüsse bilden. Sie werden die Interessen der Arbeitenden an der Arbeitsstelle und in der Selbstverwaltung zu vertreten und besonders in der Übergangszeit in der örtlichen Verwaltung, in der Lebensmittelversorgung und bei der Behebung sozialer und wirtschaftlicher Notstände mitzuwirken haben«.4
Tatsächlich traten nach der Besetzung durch die alliierten Streitkräfte überall wieder gewerkschaftliche Kräfte in die Öffentlichkeit, deren Basis die Betriebe bildeten. In einer Erinnerungsschrift der Verwaltungsstelle Essen der IG Metall heißt es, stellvertretend für viele Fälle: »Als am 11. April 1945 für unsere Ruhrmetropole der unerträgliche Kriegszustand beendet und die Handlungen der furchtbaren Zerstörungen ihren Abschluss fanden, wurde schon in der letzten Aprilwoche durch Bildung von provisorischen Betriebsausschüssen der erste Keim unserer neuen Gewerkschaftsarbeit gelegt«.5 über die Tätigkeit solcher Betriebsausschüsse heißt es in einem Rückblick der Hüttenzeitung des »Bochumer Vereins«, dass bereits wenige Tage nach der Besetzung am 10. April 1945 ein vorläufiger Betriebsausschuss gebildet worden war. Am 16. April 1945 sei bereits wieder der größte Teil der Belegschaft am Arbeitsplatz gewesen. Der Betriebsausschuss habe sich um Brot, Arbeitskleidung und Wohnungen kümmern müssen und habe Verbindung zu den neuen Behörden aufgenommen, um das für das Werk Günstigste herauszuholen. Erst später sei der Betriebsvertretung wieder die traditionelle Aufgabe der Mitwirkung bei der Regelung der Löhne und Prämien zugefallen.6 Zu beobachten ist, dass überall dort, wo illegale Kader der verschiedenen Richtungen der alten Arbeiterbewegung das Dritte Reich überlebt hatten, rasch wieder Betriebsvertretungen entstanden, die dann auch auf örtlicher Ebene sich sofort an die Gründung von Gewerkschaften machten. Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende der Reichswerke AG Salzgitter, Erich Söchtig, erinnert sich, dass die illegale Gruppe, die er während der Nazi-Zeit aufgebaut hatte, sofort nach dem Zusammenbruch die entscheidenden Positionen im Betrieb besetzte und von dieser Basis aus eine Neugründung der örtlichen Gewerkschaftsorganisation betrieb, wobei Söchtig selbst in Personalunion als Betriebsratsvorsitzender und Vorstandsmitglied der neuen Gewerkschaft fungierte.7 Für den Raum Solingen berichtet der spätere Vorsitzende der Metallarbeitergewerkschaft der Nordrhein-Provinz, Karl Küll, der damals der KPD angehörte, dass vor der Legalisierung durch die Besatzungsmächte illegale Ernährungsausschüsse in den Betrieben als Massenbasis für die Betriebsrätearbeit dienten. In der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch habe auch durchaus eine Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten geherrscht.8 Beispielhaft für eine solche Aktionseinheit war in Bremen die »Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus« (KGF), der ehemalige Sozialdemokraten, Kommunisten und Mitglieder anderer Linksgruppen angehörten. Die KGF trat am 1.6.1945 mit einem Rundschreiben Nr. 1 ihrer Abteilung Betrieb und Gewerkschaften an »alle Stadtteilleitungen und Betriebsarbeiter« heran.9 Neben einer Aufforderung, die Betriebe von allen Nationalsozialisten zu säubern, wird dazu aufgerufen, schnellstens überall, wo das noch nicht geschehen ist, antifaschistische Betriebsvertretungen zu bilden, die als Sofortforderung »die Anerkennung des provisorischen Betriebsrates« durch die Betriebsleitung und »die sofortige Entlassung des NS-Vertrauensrates« durchsetzen sollten. Einstellungen und Entlassungen sollten nur dann Gültigkeit haben, »wenn zwei besonders dazu beauftragte Mitglieder des Betriebsrates ihre Zustimmung dazu gegeben haben«, eine Maßnahme, die verhindern sollte, dass bei den unklaren Rechtszuständen die Betriebsratsmitglieder entlassen würden.
Die Beispiele zeigen, wie auf der Betriebsebene sich das gewerkschaftliche Leben rasch wieder regenerierte, noch bevor die Besatzungsmächte eingreifen konnten. Auf örtlicher Ebene wurden von Mai bis August 1945 (als die Militärregierung die ersten reglementierenden Anordnungen erließ) in mindestens 29 Städten der britischen Besatzungszone Gewerkschaftsversammlungen veranstaltet.10 Die Betriebsräte als Hauptträger der gewerkschaftlichen Arbeit in der Phase unmittelbar nach dem Zusammenbruch übten damals einen außerordentlich großen Einfluss aus. Nach Broeckers Darstellung11