Kurt von Plettenberg - Eberhard Schmidt - E-Book

Kurt von Plettenberg E-Book

Eberhard Schmidt

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Beschreibung

Ein Lebensweg in den Widerstand Kurz vor Kriegsende 1945 stürzte sich Kurt von Plettenberg aus dem 4. Stock des Gestapo-Gefängnisses in Berlin, um unter Folter seine Mitstreiter nicht zu verraten. Lange Zeit unentdeckt, hatte er mit führenden Köpfen des Widerstands um den richtigen Weg zwischen Ehrenkodex und persönlicher Überzeugung gerungen – bis nur noch ein Schluss blieb: "Wir müssen Hitler umbringen." Der Politikwissenschaftler Eberhard Schmidt zeichnet den außergewöhnlichen Lebensweg des Vertrauten von Marion Dönhoff und Generalbevollmächtigten des ehemaligen preußischen Königshauses nach. Entstanden ist das faszinierende Porträt eines Aufrechten, der bis zuletzt seinem Gewissen folgt.

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Seitenzahl: 285

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© für die Originalausgabe und das eBook: © 2014 F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel, München

Umschlagmotiv: Privatarchiv Familie von Plettenberg

eBook-Produktion: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

ISBN 978-3-7766-8196-3

Bildnachweis

Alle Abbildungen stammen aus dem Archiv der Familie von Plettenberg, wenn nicht anders angegeben.

Inhalt

»Ich fürchte den Tod nicht,denn ich habe einen guten Richter«

Das preußische Erbe

Leutnant im Ersten Weltkrieg

Schwere Jahre

Marion Gräfin Dönhoff

Hoffnungen auf das »Dritte Reich«

Arianne Freiin von Maltzahn

Abschied vom Staatsdienst

Infanterie-Regiment 9

In Diensten der Hohenzollern

Im Netzwerk des Widerstandes

Nach dem Scheitern der »Operation Walküre«

Denunziation

Prinz-Albrecht-Straße 8

»Niemand hat größere Liebe denn die,dass er sein Leben lasset für seine Freunde«

Anhang

Danksagung

Biografie Kurt Freiherr von Plettenberg

Quellen- und Literaturhinweise

Register

»Ich fürchte den Tod nicht,denn ich habe einen guten Richter«

Als Kurt Freiherr von Plettenberg am 24. Juli 1944, vier Tage nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, an seinen Schreibtisch auf Schloss Cecilienhof in Potsdam zurückkehrte, fand er »offen auf seinem Schreibtisch die Bestellung eines Fernsprechanrufs vor: ›Oberst Graf Stauffenberg bittet Baron Plettenberg, am 19. Juli, 14 Uhr nachmittags mit ihm nach Neuhardenberg zu fahren‹«, eine offensichtlich codierte Nachricht, die ihm signalisieren sollte, dass die letzte Etappe der »Operation Walküre« begonnen hatte. Dank seiner loyalen Mitarbeiter hat die Gestapo nicht davon erfahren. Die unmittelbare Verhaftung wäre die sichere Folge gewesen.

Plettenberg, der Generalbevollmächtigte des vormaligen preußischen Königshauses, gehörte zu den wenigen Mitgliedern des Inneren Kreises der Verschwörung, die in den folgenden Wochen nicht von Verhör oder Verhaftung durch die Gestapo betroffen waren. »Wider Erwarten war er, der in den letzten Wochen häufig mit Stauffenberg zusammen gekommen war, von den Verfolgungen freigeblieben«, schreibt Eberhard Zeller.

Als er schließlich Anfang März 1945 doch noch aufgrund einer Denunziation von der Gestapo verhaftet und in das berüchtigte Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße 8 eingeliefert wurde, waren viele seiner Mitverschwörer bereits vom Volksgerichtshof verurteilt und gehenkt worden. In den Verhören bedrohte man ihn mit der Folter, wenn er nicht weitere Mitwisser preisgäbe. Daraufhin versetzte er bei einer Vernehmung im vierten Stock des Gebäudes dem ihn vernehmenden Beamten einen Kinnhaken und stürzte sich aus dem Fenster auf den darunterliegenden Hof. Er war sofort tot.

Kurt von Plettenberg, Vater dreier kleiner Kinder, hatte den Freitod der Gefahr des Verrats an seinen Freunden und Mitstreitern vorgezogen. Die letzte Nachricht, die seiner Witwe überbracht wurde, lautete:

Ich fürchte den Tod nicht, denn ich habe einen guten Richter. Wird man für meine Familie sorgen können? Bitte den Apfel und die Zigaretten, die noch in meinem Besitze sind, dem Wärter zu geben, der immer so freundlich zu mir war.

Wer war dieser Mann aus altem westfälischem Adel, dem sein eigenes Leben und die Rücksicht auf seine Familie im entscheidenden Augenblick weniger bedeuteten als die Rettung des Lebens seiner Freunde und Mitstreiter und die Bewahrung seiner Selbstachtung? Woher nahm er die Entschlossenheit, sich gegen die Mehrheit der Deutschen, darunter auch die meisten seiner Standesgenossen, zu stellen, die in den Jahren nach 1933 dem »Führer« Adolf Hitler zujubelten und ihm in seine verbrecherischen Kriegsabenteuer folgten?

Die Darstellung seines Lebens beginnt mit der Erziehung in einem preußisch-protestantischen Elternhaus der wilhelminischen Jahre. Sie führt von seinen Erfahrungen als Maschinengewehroffizier im 1. Weltkrieg zu seinem beruflichen Aufstieg zum Oberlandforstmeister und zum Generalbevollmächtigten des vormaligen Preußischen Königshauses. Nur vor diesem Hintergrund wird sein Weg in den Widerstand gegen das »Dritte Reich« verständlich, bis hin zu seiner Entscheidung, sich das Leben zu nehmen.

Dieses Buch ist seinem Andenken gewidmet.

Das preußische Erbe

Kurt von Plettenberg entstammt einem sehr alten westfälischen Adelsgeschlecht. Schon 1042 wird ein Ritter von Plettenberg als Teilnehmer eines Turniers in Halle erwähnt. Der berühmteste Träger des Namens war Wolter von Plettenberg, späterer Landmeister des Deutschen Ordens in Livland. Kaiser Karl der Fünfte erhob ihn in den Reichsfürstenstand. Unter seiner Führung siegte das geeinte Livland mit einem Heer aus Ordensrittern, Landsknechten und Bauern zweimal, 1501 und 1502, über die zahlenmäßig weit überlegene Armee des Moskowiter Großfürsten Iwan III., mit dem er danach einen fast sechzig Jahre währenden Frieden schloss. Seit dem 19. Jahrhundert wählten die männlichen Mitglieder der Linie Plettenberg-Stockum, der die Familie Kurt von Plettenbergs angehört, stets eine militärische Laufbahn. Eugen Freiherr von Plettenberg, Kurts Großvater, war Major und Eskadronschef im Westfälischen Husarenregiment Nr. 8. Kurts Vater, Karl von Plettenberg, begann seine Laufbahn ebenfalls beim preußischen Militär.

Wolter von Plettenberg (rechts), Steinrelief im Hof des Ordensschlosses zu Riga

Um zu verstehen, was es bedeutete, in der Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts in eine Familie von altem Adel hineingeboren zu werden, hilft es, diese »Adeligkeit« näher zu beleuchten.

Der Adel hob sich zu dieser Zeit noch deutlich in Lebensstil und Werten vom aufsteigenden Bürgertum ab. Im Zentrum der adligen Lebensform stand der eigene Familienverband mit seiner langen Tradition, innerhalb derer das einzelne Mitglied Teil einer fest gefügten Kette war, verpflichtet, zum Ansehen, zum Erhalt und zum Fortbestand der Familie beizutragen. Dabei legten sich auf der Basis möglichst ebenbürtiger Heiraten um die engere Familie ausgedehnte verwandtschaftliche Beziehungen, die als soziale Netzwerke fungierten und von Krisen betroffene Familienmitglieder unterstützten. Darüber hinaus wurden gerade unter den Offizieren weitverzweigte Verbindungen gepflegt, die später für das im Widerstand geknüpfte Netz von großer Bedeutung waren.

Im Gegensatz zum bürgerlichen Lebensentwurf, der die Voraussetzung für den angestrebten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufstieg in der Entfaltung der Individualität und der Mehrung von Bildung und Wissen sah, wurden die jungen Adligen auf eine Führungsrolle im Staat vorbereitet. Aus der Erziehung zur Charakterfestigkeit, dem angemessenen Umgang zwischen den Geschlechtern, Manieren und Tischsitten ergaben sich Codes, an denen man einander erkannte und wertschätzte. Wichtiger als der Erwerb von Fachwissen – »man ist ja schon wer von Geburt her« – erschien die Formung auf das Ziel tatkräftigen Handelns hin. Ewald von Kleist-Schmenzin schrieb noch 1926 in einem Aufsatz über Adel und Preußentum: »Das Streben nach Geistigkeit muß dort seine Grenze finden, wo es auf Kosten der geschlossenen Persönlichkeit, der Wurzelfestigkeit und der Stoßkraft des Handelns geht.«

Das bedeutet nicht, dass Adlige der Bildung keinen Wert beimaßen. Die große Mehrheit der Söhne besuchte Gymnasien oder ausgesuchte private Lehranstalten, legte das Abitur ab und nahm ein Studium auf, wobei eine deutliche Konzentration auf die Fächer Jura, Landwirtschaft und Forstwissenschaft festzustellen ist. Studiert wurde an wenigen ausgewählten Universitäten, an denen man in der Regel Mitglied einer exklusiven Verbindung wurde. Die Verbindung festigte die soziale Zugehörigkeit. Das Studium diente weniger dem gesellschaftlichen Aufstieg wie im Bürgertum, es qualifizierte in den meisten Fällen vielmehr zur Verwaltung oder Bewahrung des Grundbesitzes.

Die adligen Töchter erhielten dagegen zumeist nur eine intellektuell weniger anspruchsvolle Ausbildung, die sich darauf beschränkte, sie auf ihre späteren Pflichten als Ehefrau, als Herrin des Hauses und für die Ausübung von Wohltätigkeit vorzubereiten. Fremdsprachenkenntnisse wurden als Befähigung zu vollendeter Konversation vermittelt, ebenso dienten die Fächer Haushaltung, Tanzen, Turnen und die musische Erziehung, Klavierspielen und Malen, der späteren Eheanbahnung. An eine berufliche Verwendung dieser erworbenen Kompetenzen wurde, bei wenigen Ausnahmen, nicht gedacht.

Die ökonomische Lebensführung war in den meisten Familien des preußisch-protestantischen Adels im Gegensatz zu den katholischen Herren in Süddeutschland, die in der Regel über größeren Grundbesitz verfügten, eher spartanisch. Die Kinder wurden nicht verwöhnt, man pflegte eine »Kultur der Kargheit«. Sparsamkeit, Schlichtheit, Nüchternheit, Gehorsam und Strenge galten als hohe Werte. »Mehr sein als scheinen«, hieß das Motto. Den Kindern wurden die »preußischen« Tugenden Pflichtbewusstsein, Unbestechlichkeit, Gerechtigkeitssinn, Anstand, Redlichkeit und Verlässlichkeit vermittelt. Preußen hatte auf dieser Basis eine sehr fortschrittliche Rechtsordnung und eine gut funktionierende Verwaltung entwickelt, auf die sich die Bürger verließen und in deren Rahmen Industrie und Gewerbe vor dem Ersten Weltkrieg florierten.

Adlige Männlichkeit, so erscheint es in vielen späteren Kindheitserinnerungen dieser Generationen, war darüber hinaus bestimmt von Haltung. Haltung im Sinne der Kontrolle des Körpers und der Gefühle bis hin zur Todesverachtung. Gleichzeitig wurde das Bewusstsein der Höherwertigkeit gepflegt, das aber auch die Übernahme von Verantwortung einschloss. Diese Herausforderungen an den Charakter und das Handeln wurden umso dringender empfunden, je mehr man sich nicht durch Grundbesitz, sondern allein durch standesgemäßes Verhalten seiner Herkunft zugehörig fühlen und dadurch der Tradition gegenüber bewähren konnte.

Der Wert der Ehrenhaftigkeit und die Pflicht zur Höflichkeit gegenüber dem anderen Geschlecht vervollständigten das Leitbild der Erziehung. Es ist das Bild des Ritters, das das Ideal standesgemäßer Erziehung prägte. Zum Bild des »modernen Ritters« gehören in den adligen Erziehungsanstalten neben der Unterrichtung in Kriegswissenschaften und Exerzieren, auch für die Männer, die Fächer Musik, Tanzen, Reiten und Fechten. Kriegerisches und Höfisches in der Gestalt eines kultivierten, ja selbst mondänen Lebensgenusses scheinen miteinander vereinbar. In der äußeren Gestalt sollte sich die innere Haltung widerspiegeln.

Obwohl sich der Adel, grundbesitzend oder nicht, gegenüber dem aufkommenden Bürgertum in einer zunehmend defensiven Situation befand, behauptete er seine politische und gesellschaftliche Hegemonie noch lange, zumindest bis 1918. Betrachtet man das Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum im tonangebenden Offizierskorps Preußens, so zeigt sich, dass noch 1912, trotz aller Tendenzen zur Professionalisierung des Berufs, in Regimentern wie dem 1. Garderegiment zu Fuß von den 86 Offizieren alle aus dem Adelstand kamen. Dasselbe galt für das in Potsdam stationierte 3. Garde-Ulanen Regiment. In nur wenigen anderen Garderegimentern erreichten bürgerliche Offiziere nennenswerte Quoten oder übertrafen sogar die Anzahl der adligen Offiziere. Im Generalstab waren drei von vier Offizieren adliger Herkunft. Der adlige Offizier stellte in der wilhelminischen Gesellschaft das soziale Leitbild dar, das auch vom gehobenen Bürgertum, trotz der Verachtung des Zivilen, die der Adel nicht selten an den Tag legte, anerkannt und nachgeahmt wurde.

***

Auf dieses Leitbild hin werden auch die Männer der Familie Plettenberg erzogen, so auch Kurts Vater, Karl von Plettenberg. Nach Georg von dem Bussche muss er eine farbige Persönlichkeit gewesen sein, ein »Rauhbein mit Herz«. 1852 in Neuhaus bei Paderborn geboren, ist er von Jugend auf für die Karriere eines preußischen Offiziers vorgesehen. Sein Vater nimmt ihn schon früh in die Kaserne und zur Jagd mit. Von seinen drei Geschwistern stirbt der Zweitälteste, Eugen, mit 18 Jahren. Die Schwestern Jenny und Minette heiraten standesgemäß. Der junge Karl genießt eine äußerst strenge protestantische Erziehung. In seinen »Lebenserinnerungen«, erzählt er von einem Hauslehrer, dem Kandidaten Heinrich Vogel, Sohn eines Grobschmieds, »äußerlich wenig bevorzugt, aber auch sein innerer Mensch war wohl nicht zu bemerken. Trotzdem fühle ich eine Art von Zuneigung, jedenfalls aber Dankbarkeit für ihn im Herzen, denn er hat es verstanden, mir die Grundlagen der Wissenschaft im wahrsten Sinne des Wortes einzupauken, – er schlug durchschnittlich pro Tag einen Stock auf mir entzwei – so daß ich im Mai 1864, 11 Jahre alt, in die Quinta der Kadettenanstalt aufgenommen werden konnte.«

Kaiser Wilhelm II. zwischen General Friedrich von Friedeburg und seinem Generaladjutanten Karl Freiherr von Plettenberg im Ersten Weltkrieg

Körperliche Züchtigung ist damals üblich. Von den Kadettenanstalten weiß man, dass der Ton dort extrem rau und die Erziehungsmethoden teilweise brutal sind.

Als Karl von Plettenberg vierzehn Jahre alt wird, kommt er auf die Kadettenanstalt in Bensberg, zwei Jahre später wechselt er nach Berlin in die Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde, um seinen Abschluss zu machen. Als Fähnrich und Leutnant nimmt der 18-Jährige am Krieg gegen Frankreich teil und erlebt 1871 die Kaiserproklamation von Wilhelm I. in Versailles. Die Gründung des Deutschen Reiches wird ein prägendes Ereignis für sein ganzes Leben.

Clara Freifrau von Plettenberg, geb. Gräfin von Wedel, im Alter von 31 Jahren

Nach Kriegsende studiert Karl von Plettenberg an der Preußischen Kriegsakademie in Berlin. Damit ist sein beruflicher Weg vorgezeichnet. Als Truppenführer für geeignet befunden, kommt er in die »Leibcompagnie« des 1. Garderegiments zu Fuß in Potsdam, für die unter anderem die Bedingung gilt, dass der Mann mindestens 1,87 m groß sein muss. Bald führt er selbst eine Compagnie und da er passionierter Jäger ist, wählt das Offizierskorps ihn zum Jagddirektor. »Plettenaugust«, so lautet sein Spitzname im Regiment und später auch bei Veteranentreffen, ist darüber hinaus lange Zeit Vortänzer bei Hofe. In seiner Zeit beim 1. Garderegiment zu Fuß lernt er im Offizierscasino auch den späteren Kaiser Wilhelm II. persönlich kennen. Der Prinz führt ebenfalls eine Compagnie. Diese Kameradschaft mag mit dazu beitragen, dass er später Flügeladjutant und schließlich Generaladjutant des Kaisers wird.

Eine Befreiung von der Welt der Kadettenanstalten, Kasernen und Offizierskasinos sind die Jagd und der Aufenthalt in der freien Natur, die er sehr liebte. Dieselben Vorlieben sollten sich später auch bei seinem Sohn Kurt zeigen.

Mit 33 Jahren verlobt er sich mit der 21-jährigen Clara Gräfin von Wedel, die ebenfalls aus Westfalen, aus dem Hause Sandfort im Münsterland, stammt. Ihr Vater ist Königlich Preußischer Kammerherr, Landrat und Oberst a. D. Clara ist eine entfernte Verwandte Plettenbergs, ihre Mutter Luise entstammt dem Hause Bodelschwingh-Plettenberg. Sie ist die einzige Überlebende von acht Kindern der Familie. Nach der Hochzeit 1887 bezieht das junge Paar eine kleine Wohnung am Luisenplatz in Potsdam nahe dem Brandenburger Tor und dem Park von Sanssouci. Karl von Plettenberg ist inzwischen zum Hauptmann befördert worden.

Clara von Plettenberg führt, dem Rollenverständnis der damaligen Zeit entsprechend, eine nicht öffentliche Existenz. Es ist kennzeichnend für die zeittypische Randrolle der Frauen in diesen Kreisen, dass die Geburt von Kurt von Plettenbergs Mutter im Hausbuch des Vaters nur nebenbei in einem Halbsatz erwähnt wird, und auch in den »Lebenserinnerungen« ihres Mannes taucht sie nur selten auf. Während der Abwesenheit Karls in den Jahren des 1. Weltkrieges führen die Ehepartner jedoch eine kontinuierliche Korrespondenz, die ihre tiefe Bindung offenbart. Karl hing sehr an seiner einfühlsamen Frau Clara. In der Familie wird überliefert, dass er unruhig auf und ab ging, wenn Clara sich verspätete. Da Karl von Plettenberg ein aufbrausendes Temperament hat, muss seine Frau mit ihrem ausgleichenden Wesen in späteren Jahren immer wieder bei Streitigkeiten zwischen dem Vater und dem ältesten Sohn schlichten. Ein im Februar 1888 erstgeborener Sohn Walter stirbt in Potsdam vier Monate nach der Geburt. 1889 wird dann der ersehnte Stammhalter Karl-Wilhelm geboren.

Im Jahr 1890 ordnet der Generalstab die Versetzung Karl von Plettenbergs nach Bückeburg an. Verbunden mit der Ernennung zum Major, wird er Kommandeur des 7. Jägerbataillons, der »Bückeburger Jäger«.

Aus seinen Lebenserinnerungen können wir entnehmen, wie schwer den Plettenbergs der Abschied von Berlin fällt:

Wir hatten am 21. März 1890 einige gute Bekannte zum Abendessen bei uns gehabt, von denen wir uns, nachdem meine Aussichten auf den Flügeladjutanten wieder eingehend besprochen waren, spät trennten. Kaum waren sie fort, als eine Schar junger Offiziere durch das Brandenburger Tor drang mit furchtbarem Geschrei, aus dem ich nur immer Bückeburg verstehen konnte. Wer beschreibt meinen Schrecken, als es schließlich klar wurde, dass ich tatsächlich unter Ernennung zum Major in das 7. Jägerbataillon nach Bückeburg versetzt war. Wir kamen uns wie aus dem Paradies vertrieben vor und waren tief unglücklich. Der Gedanke, die schöne Uniform des Ersten Garderegiments mit der eines Jäger-Bataillons vertauschen und namentlich das hässliche Tschako aufsetzen zu müssen, war furchtbar. Entsetzlich schwer wurde mir die Trennung von meiner Compagnie. Ich habe noch nach Jahren geweint, wenn ich den Torgauer Marsch hörte, den meine lieben Kerls so schön sangen. Wie gern hätte ich auf den Major verzichtet, wenn ich wieder an die Spitze meiner Compagnie hätte treten können. Und doch war meine vorzeitige Beförderung zum Major der Wendepunkt zu meinem Glück in meinem militärischen Fortkommen und Veranlassung dazu, dass ich in die höheren Stellungen in verhältnismäßig jungem Alter gekommen bin. (…) Meine Compagnie übernahm der Prinz Friedrich Leopold. Ihm fehlte jede militärische Erfahrung. Meine lieben, treuen Kerls hatten darunter bei dem nun beginnenden Compagnie-Exerzieren, schwer zu leiden.

Es dauert einige Zeit, bis sich die Plettenbergs in Bückeburg zu Hause fühlen. Bückeburg ist damals ein beschauliches Städtchen, landschaftlich schön gelegen, aber sie sind an den Glanz des Potsdamer Hofes gewöhnt. Allerdings muss sich ein preußischer Offizier, auch im höheren Rang, in der Regel mit einem eher bescheidenen Salär zufrieden geben, das der Familie ein standesgemäßes, aber kein luxuriöses Leben ermöglicht. Preußen belohnt durch Ehre und Ansehen, die sich im Rang spiegelt. Wenn, wie im Fall der Plettenbergs, zusätzliche Einnahmen durch Grundbesitz wegfallen, ist die erwähnte »Kultur der Kargheit« Richtschnur des alltäglichen Lebens. Kurt von Plettenbergs Ablehnung einer materialistischen Ausrichtung des Lebens hat in diesen Zusammenhängen ihre Wurzeln.

Die Familie mietet sich im Residenzstädtchen gegenüber dem Schloss in einer bescheidenen Wohnung im 1. Obergeschoss über der Hofapotheke am Markt ein. Die Mitglieder des Fürstenhauses Schaumburg-Lippe kommen Karl von Plettenberg eher befremdlich vor. Er schildert sie mit Humor:

Die »hochfürstlichen« Herrschaften des regierenden Hauses waren mehr oder weniger eigentümliche Persönlichkeiten. Der fast 80-jährige Fürst, der mit meinem seligen Vater im 8. Husarenregiment gestanden hat, empfing mich mit größter Herzlichkeit; sie reichte aber, wie sich später herausstellte, doch nicht soweit, meine damals noch brennende Jagdpassion zu befriedigen. Er selbst war ein sehr passionierter, ausgezeichneter Waidmann und vortrefflicher Schütze mit Kugel und Schrot. (…) Unter den vier Söhnen des Fürsten trat Prinz Hermann, der den Krieg 1870/71 beim Bataillon mitgemacht hatte und die Uniform der 7. Jäger trug, durch originelles Wesen besonders hervor. Seine ausgesprochene Passion war die Hühnerzucht, sein Streben, Hühner in den Schaumburg-Lippeschen Farben zu züchten (weiß-rot-blau, der Verf.). Er trug stets Hühnerfutter in der Rocktasche und strömte deshalb einen höchst eigenartigen Geruch aus. Aus Gesundheitsrücksichten behauptete er, nicht sitzen zu dürfen. Er hatte deshalb in seiner Equipage sowie in dem Salonwagen der Eisenbahn ein Holzpferd eingebaut, auf dem er ritt (…). Als es an Kaisers Geburtstag regnete, erschien er im Paradeanzug zu Pferde mit aufgespanntem Regenschirm. Für den Kommandeur war er eine schwere Belastung, weil er die jungen Offiziere ausfragte und alles seinem »hochfürstlichen« Herrn Vater hinterbrachte.

Im offiziellen Dienst ist viel Geduld angesagt:

Am Monatsersten hatte der Kommandeur dem hohen Chef, dem Fürsten, zu rapportieren. Ich wurde dazu um 12 befohlen; da aber, wie jedermann wusste, der Fürst nie vor 1 Uhr aufstand, so hatte man sich auf einige Zeit des Antichambrierens einzurichten. Der hohe Herr erschien, so wie er aus dem Bette gekommen war – wörtlich zu nehmen – im Schlafrock und Pantoffeln, darunter nur Unterhosen und Strümpfe und fesselte mich oft stundenlang durch Besprechung meist höchst gleichgültiger Dinge. Mein Vorgänger behauptete, ein solcher Empfang im »Krönungsmantel« – wie er diesen Aufzug nannte – sei ein Beweis besonderer Gunst.

Der alte Fürst stirbt 1893. Als er ernstlich krank geworden war, hatten die Ärzte einen schweren Stand mit ihm, weil er ihre Anordnungen nicht befolgte.

Sein Nachfolger, Fürst Georg, wird von Karl von Plettenberg als gnädiger Chef beschrieben, »den wir bald alle lieb gewonnen hatten; unter dem Einfluß seiner jugendlichen, lebenslustigen Gattin entwickelte sich eine lebhafte Geselligkeit, so dass die kleine Residenz bald nicht mehr wiederzuerkennen war (…). Wir haben uns schließlich in dem kleinen Bückeburg wohl gefühlt und erkannt, welch eine Bedeutung doch ein kleiner Hof für Stadt und Land hat.«

***

Kurt Eugen Gustav Adolf Freiherr von Plettenberg wird am 31. Januar 1891 in Bückeburg als zweitältester Sohn in diese preußische Adelsfamilie geboren. Der Rückruf nach Potsdam erfolgt 1894 durch den Kaiser, der Plettenberg als Flügeladjutanten anfordert. Kurts Kindheit und Jugend im Schoße seiner Familie weisen viele adelstypische Züge auf. Dabei ist die Prägung durch den Vater von besonderem Gewicht. Nur an einem Tag im Jahr dürfen Karl-Wilhelm und Kurt »frech« gegenüber dem Vater sein, sonst müssen sie gehorchen.

Kurts Cousine Elisabeth von Sydow, neun Jahre älter als er, die später sein vertrautes »Bäschen« werden wird, erinnert sich an ihn als »dreijähriges Bübchen, den Kopf voll blonder Löckchen (…). Kurt war allgemeiner Liebling durch seine fröhliche und zärtliche Art«, ein Wesenszug, den er sich, wie wir aus den Zeugnissen seiner Freunde wissen, als erwachsener Mann erhalten hat. Vom jungen Kurt Plettenberg sagt sie: »Er las viel und gut und hatte ein erstaunliches Gedächtnis, liebte Gedichte, die er auch gut sprach«. Seine Heiterkeit ist sprichwörtlich. Die Erziehung durch die Eltern ist protestantisch, betont kaisertreu und vaterlandsliebend.

Der Einfluss der mütterlichen Erziehung ist aufgrund der fehlenden Quellen nicht angemessen nachzuvollziehen. Nach Erzählungen der späteren Ehefrau von Kurt hatte ihre Schwiegermutter Clara eine lyrisch-dichterische Begabung, die sie aber aufgrund der Repräsentationspflichten an der Seite ihres Mannes nicht entfalten kann. Sehr wohl mag aber die Liebe ihres Sohnes Kurt für die Dichtkunst auch auf die Prägung durch seine Mutter zurückgehen. Kurt ist seiner Mutter zeitlebens sehr verbunden. Im Briefwechsel mit der Mutter, vor allem auch während des 1. Weltkriegs, vermeidet er es, ähnlich wie alle Soldaten, sie zu beunruhigen, und zeigt seine Anhänglichkeit. Wie in so vielen Familien ist es die Mutter, die, selbst mit neun Geschwistern groß geworden, dafür sorgt, dass die Bande innerhalb der Großfamilie bewahrt und mit Leben erfüllt bleiben. Ihr Einfluss auf die Erziehung ihrer beiden Söhne und ihrer später geborenen Tochter Luise ist nicht zu verkennen.

Kurt lernt früh, sich »adelsgemäß« zu verhalten und die Werte zu verinnerlichen, die damit verbunden sind. Diese Prägung wird nicht zuletzt durch Bilder deutlich, die im Wohnzimmer der Familie hängen. Das eine Bild zeigt Wolter von Plettenberg, den Deutschordensmeister in Livland, und das andere den Bamberger Reiter, Inbegriff von ritterlicher »maze« und »tugent«. Das Ideal eines »Ritters ohne Furcht und Tadel« begleitet Kurt von Plettenberg Zeit seines Lebens. Es verweist, neben dem »ritterlichen Benehmen« gegenüber den Mitmenschen, vor allem auf die tradierte christliche Sorge für die Schwachen und Bedürftigen, denen Hilfe zu leisten als bedeutender Aspekt der täglichen Lebensführung gilt.

Kurt von Plettenberg nach erfolgreicher Jagd

Als zweitem Sohn bleiben Kurt die Kadettenanstalten des Vaters erspart. Nur der ältere Bruder Karl-Wilhelm ist für die militärische Laufbahn vorgesehen. So besucht Kurt von 1900 bis 1906 die Gymnasien in Potsdam und Charlottenburg. Im August 1900 wird die Schwester Luise geboren. Der Vater ist inzwischen zum Oberstleutnant befördert worden und befehligt als Kommandeur das berühmte 1. Garde-Regiment zu Fuß, dessen Motto »semper talis« noch heute das Portal der ehemaligen Kaserne in Potsdam schmückt.

1902 zum Inspekteur der Jäger und Schützen ernannt, nimmt der Vater, Karl von Plettenberg, darüber hinaus die Geschäfte des Kommandeurs des Reitenden Feldjägerkorps wahr. Friedrich der Große hatte 1740 das Reitende Feldjägerkorps für militärische Erkundungs- und Kurierdienste geschaffen. Die aus dem militärischen Dienst Ausgeschiedenen wurden in den preußischen Forstdienst übernommen. Mittlerweile hatte es sich von der militärischen Ausbildungsstätte zur Korporation für den forstlichen Nachwuchs in Preußen entwickelt. Der forstliche Anteil der Ausbildung überwiegt schließlich zunehmend den militärischen. Der Feldjäger, in den Dienstgraden des Leutnants und Oberleutnants, absolviert ein Studium der Forstwissenschaft und verbleibt im Korps, bis für ihn eine Stelle als Oberförster frei wird.

Karl von Plettenberg wird 1906 in Kassel Kommandeur der 22. Division, die er vier Jahre lang führt. Für die Brüder Karl-Wilhelm und Kurt sind die in Kassel verbrachten Jahre eine besonders glückliche Zeit. Die zur Selbständigkeit heranwachsenden Jungen werden von Verwandten und Freunden, die noch über Güter auf dem Land verfügen, oft eingeladen. 1910 machen sie dort ihr Abitur, beide mit sehr guten Noten, was den Vater in seiner exponierten Stellung besonders freut, wie er in seinen Erinnerungen ausdrücklich vermerkt.

Kurt von Plettenberg als Mitglied einer Studentenverbindung, Universität Lausanne 1910

Aufgrund der väterlichen Prägung ist es nicht verwunderlich, dass Kurt sich nach dem Abitur entscheidet, in den Forstdienst einzutreten. Es ist nicht zuletzt die ausgeprägte Liebe zur Natur, die den heranwachsenden Kurt für den Forstdienst prädestiniert. Sein ganzes Leben lang ist ihm die Natur eine Quelle, aus der er immer wieder, vor allem in Krisensituationen, Kraft schöpfen kann, sei es beim Pirschen und Jagen, beim Spazierengehen mit Freunden oder einfach als tiefe Erfahrung ihrer Herrlichkeit. Zunächst wird ihm – wie schon seinem Vater – vor allem die Jagd zur Passion und er notiert, auch in seinen späteren Tagebüchern, stets Wild, Strecke, das Vergnügen, das er dabei hat, oder auch mal einen Fehlschuss. Er ist jedoch zu vielseitig veranlagt, um sich nur auf Wald und Wild zu konzentrieren.

Forstmeister zu werden, bedeutet bereits damals, ein wissenschaftliches Studium zu absolvieren, dessen Anforderungen hoch sind. Nach zwei Semestern, die der junge Student an den Universitäten Kiel und Lausanne verbringt, wo er vorwiegend juristische Vorlesungen besuchen muss, bewirbt er sich bei der preußischen Forstverwaltung und wird im Frühjahr 1911 angenommen. Die übliche halbjährige Lehrzeit absolviert er in der traditionsreichen Oberförsterei Menz bei Stechlin im Brandenburger Land. Im Oktober folgt die Militärzeit, das »Einjährig-Freiwillige«, das er beim 2. Großherzoglich Mecklenburgischen Dragoner-Regiment Nr. 18 in Parchim ableistet.

Anschließend studiert Kurt weitere vier Semester an der Forstakademie in Hannoversch-Münden. Zwischendurch bringt er die obligatorischen militärischen Übungen hinter sich, die ihn zum Reserveoffizier qualifizieren. Die Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung lehnt er ab. Um nicht als feige zu gelten, aber auch wegen des damit verbundenen Krafttrainings, nimmt er jedoch Boxunterricht und bringt es beim Heer später zum Meistertitel in seiner Gewichtsklasse.

Der Vater ist 1912 zum Kommandierenden General des IX. Armeekorps in Altona ernannt worden und übernimmt 1913 den Befehl über das Gardekorps, dem sämtliche Gardetruppenteile der Königlich-Preußischen Armee angehören. Die Familie gehört nun zur gesellschaftlichen Oberschicht im wilhelminischen Kaiserreich.

1914 unterbricht der Weltkrieg Kurts Studium. Der Kriegsausbruch kommt für die Brüder Karl-Wilhelm und Kurt überraschend, trotz aller Anzeichen, die spätestens seit 1913 auf eine konflikthafte Lösung der Spannungen zwischen den Großmächten in Europa hindeuteten. Sie müssen ihre Pläne für eine große Afrikareise, die sie schon sehr detailliert vorbereitet haben, zurückstellen.

Leutnant im Ersten Weltkrieg

Als Reaktion auf die Ermordung des habsburgischen Thronfolgerpaares durch den serbischen Nationalisten Gavrilo Princip hatte die österreichisch-ungarische Regierung in einem Ultimatum von Serbien verlangt, eine gerichtliche Untersuchung einzuleiten, an der sie selbst beteiligt sein wollte. Das lehnte die serbische Regierung strikt ab, woraufhin die K.u.k.-Monarchie Serbien einen Monat nach dem Attentat den Krieg erklärte. »Jetzt oder nie« kam die Unterstützung aus Berlin vom Kaiser. Das mit Serbien verbündete Russland beschloss zwei Tage später die Generalmobilmachung. Das Deutsche Reich reagierte mit einer Kriegserklärung an Russland am 1. August und zwei Tage später gegenüber Frankreich.

Dieser Schritt erklärt sich nicht allein durch die Bündnisverpflichtungen gegenüber Österreich-Ungarn (»Nibelungentreue«) und die Bedrohung durch Russland, sondern war auch eine Folge der verstärkten Konkurrenz der imperialen Mächte um die Aufteilung der Welt, insbesondere um die Kolonien in Asien und Afrika. Die politische Situation erschien Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg, vor allem aber der obersten Heeresleitung günstig, die Vorherrschaft des Deutschen Reiches in Mitteleuropa zu festigen. Für dieses Vorhaben waren die militärischen Planungen weit fortgeschritten.

Dem Schlieffen-Plan des alten Generalstabschefs, der 1905 abgetreten war, folgend, sollten sieben deutsche Armeen unter Missachtung des Völkerrechts in einem Zangenangriff durch das neutrale Belgien zügig nach Nordfrankreich vorstoßen. Ein rascher, erfolgreicher Schlag gegen Frankreich sollte dazu führen, die militärische Kampfkraft sodann ganz auf Russland konzentrieren zu können.

Die unmittelbare Folge dieser Kriegserklärung war allerdings der Kriegseintritt Großbritanniens. Damit eskalierte der Krieg zwischen den Mittelmächten, Deutschland und Österreich-Ungarn, und der Entente aus Frankreich, England und Russland, der sich später auch Italien anschloss, zum Weltkrieg. Der Zweifrontenkrieg, den schon Friedrich der Große für Preußen gefürchtet und den Bismarck durch diplomatisches Geschick vermieden hatte, war nun Wirklichkeit geworden.

Kaiser Wilhelm II. gab in seiner berühmten Balkonrede am 1. August 1914 dem unter den Deutschen verbreiteten Gefühl Ausdruck, sich einer bedrohlichen Einkreisung durch die Mächte der Entente erwehren zu müssen: »(…) Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe ich zu Gott, daß unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.«

***

Die Brüder Kurt und Karl-Wilhelm von Plettenberg ziehen, wie so viele ihrer Standesgenossen und ebenso wie die Jugend des Bildungsbürgertums mit großem Enthusiasmus in den Krieg. Die jungen Soldaten glauben fest an den Kaiser und an Deutschlands Sendung. Kurt, im August 1914 23 Jahre alt, sieht zu der Zeit nur, dass der Kriegseintritt der Abschied von der unbeschwerten Jugend sein wird. Mit der Möglichkeit des Sterbens geht er fast spielerisch um und dankt seiner Lieblingscousine, stellvertretend für die Großfamilie, für seine frohen Jugendjahre. Die Teilnahme am Krieg erscheint ihm geradezu als eine Dankespflicht:

Liebes Elisabethchen,

(…) Ich bin der alte Optimist geblieben, sowohl für unser Volk – obwohl ich den furchtbaren Ernst der Lage einsehe – als auch für mich persönlich. Aber man muss sich ja mal klar machen, daß es doch vielleicht ein langer Abschied ist, den ich jetzt brieflich von Euch nehme. Nun möchte ich Euch … nochmal meinen allerherzlichsten Dank sagen für Alles, was ich Euch in meinen schönen Jugendjahren zu verdanken gehabt habe, für die unzähligen frohen und gemütlichen Stunden in Westhusen und Himmighausen. Wie gern ich immer bei Euch war, – ich glaube, das wißt Ihr ganz genau. – Mir erscheint der Kriegszug für mich persönlich jetzt eine Pflicht der Dankbarkeit. Jetzt muß man sich nachträglich noch Alles das verdienen, was man rings im weiten Deutschland unverdient durch so viele liebe Menschen besonders in unserer Verwandtschaft genießen konnte. (…) KW (der Bruder Karl-Wilhelm, d. Verf.) ist in Hans Bocks Compagnie, worüber wir uns alle sehr freuen. Ich bin 2. G. Ulan geworden, leider nicht bei der Kav. Division, wo Spatz, Kurd, Gisbert, Moritz u. all die guten Kerls sind, aber wenn man nicht sofort »abgeknipst« wird, begegnet man sich wohl noch draußen. (…) Heil und Sieg!

Die Brüder Kurt (links) und Karl-Wilhelm von Plettenberg im 1. Garderegiment zu Fuß, im Ersten Weltkrieg

Der Bruder Karl-Wilhelm geht noch euphorischer gestimmt in den Krieg. Nach der überfallartigen Eroberung Lüttichs am 7. August jubelt er auf einer Postkarte an seinen Bruder Kurt:

Hurrah!

Lüttich erstürmt!

Junge!

Es ist herrlich!

Auf nach Walhall!

Auch seiner Tante Erika teilt Karl-Wilhelm seine überschwängliche Begeisterung mit:

Tante Erika!

(…) Es geht ins Feld! O, es ist schön! Du weißt nicht, wie gewaltig hier die Erhebung im deutschen Lande sich darstellt. Hunderttausende strömen begeistert zu den Fahnen, alle singend und jauchzend; durch die Stadt braust der Siegesjubel über die Erstürmung von Lüttich! Unsere Mannschaften sind von einem wunderbaren Geist erfüllt, das Offiziers Korps ernst und zurückhaltend, wie es sich so gewaltigen Aufgaben gegenüber gehört und doch in jedem Herzen die lodernde Freude dass wir mit dabei sein dürfen und diese große Stunde miterleben dürfen!

Es erscheint uns allen als die Erfüllung unseres Sehnens und Ringens!!! Die Früchte werden sich im Felde zeigen. Ich habe nur noch den einen Wunsch, dass ich mit Ehren meine stolzen Grenadiere gegen den Feind führe. Dann will ich gerne sterben, ich stehe völlig ruhig und überlegen dem Tode gegenüber, und das ist mir der Beweis, dass ich richtig gekämpft habe.

Muss es sein draußen im Felde, kommen viele von uns nicht wieder, denke auch an das herrliche alte Landsknechtslied: Kein schönrer Tod ist auf der Welt als wer vor dem Feind erschlagen, auf grüner Haid in weitem Feld darf nicht hören groß Wehklagen!!!

Alles ist Schönheit und Harmonie, die Menschheit scheint sich über sich selbst erhoben zu haben. Nur die edelsten Gefühle reißen die Menschen vorwärts! O Jahrhundert, es ist eine Lust zu leben.

Ich glaube es ist so lange wie die Welt steht, nie eine stolzere und mehr begeisterte Truppe unter einem ritterlicheren Führer ins Feld gezogen, als heute das Gardekorps unter meinem Vater. Natürlich haben wir alle Streitigkeiten beendet. So etwas verschwindet von selber vor der dramatischen Größe des Augenblicks.

Hans, mein Kompanieführer, Kurdel 2. Garde-Ulan, dass O. Dolf hier ist, ist sehr schön. Ich sah ihn nicht, er ist aber auf einem seiner würdigen Platz. Sei stolz darauf, und sei nicht traurig. Ich glaube sicher, Du wirst wie auch sonst, auch jetzt noch ruhig und sicher das Schicksal betrachten!

Nun muss ich schließen, ich kann nicht mehr!

Lebe wohl, liebes Tantchen, nochmals vielen, vielen Dank!!!

Klingt auch bei ihm das jugendliche O-Mensch-Pathos der wilhelminischen Gesellschaft an, das seine Verwandtschaft im expressionistischen Aufbruch und in der Jugendbewegung hatte, so schließt sein letzter Brief doch mit ganz persönlichen Ahnungen:

Was werden die nächsten Wochen bringen?

Sieg und Ehre, ich hoffe es zuversichtlich! – Oder den Tod! Beides ist schön, der Tod vor dem Feinde scheint mir ein germanischer Abschluß meines so angsterfüllten Lebens!

Lebe wohl

auf immer!

Dein

Karl-Wilhelm

Am 29. August starten die Deutschen einen groß angelegten Angriff auf St. Quentin in der Picardie im Norden Frankreichs. Karl-Wilhelm von Plettenberg, Leutnant im 1. Garderegiment zu Fuß, fällt am selben Tag bei einem Angriff auf die französischen Linien durch einen Granateneinschlag, als er an der Spitze seiner Compagnie mit gezogenem Degen vorwärts stürmt. Sein Vater, der Kommandierende General sucht persönlich auf dem Schlachtfeld nach ihm und findet den toten Sohn. Gemeinsam mit Kurt begräbt er ihn am nächsten Tag unter großer Anteilnahme der Kameraden. »Walhall«, die von Karl-Wilhelm beschworene Wohnstätte und Ruhmeshalle der gefallenen germanischen Krieger, wird zur traurigen Realität des Todes.

Karl-Wilhelm als »Erster Gardist« in Paradeuniform, Potsdam vor dem Ersten Weltkrieg

Kurt, damals 23-jähriger Leutnant, trauert sehr um den geliebten, älteren Bruder. Die Mutter schreibt im Oktober 1914 an Kurts Kusine Elisabeth:

Ich habe nun, wo ich ihn nicht mehr habe, doch die schöne Erinnerung an die 25 verflossenen Jahre und bin dankbar, dass er sich so bewährt hat bis zuletzt; für Kurdel ist es eigentlich viel schwerer, er hing so an Karl-Wilhelm und hat mit ihm unendlich viel verloren, so daß er sich jetzt grenzenlos verzweifelt fühlt, besonders seit er nicht mehr im Regiment unter Altersgenossen, sondern beim Stabe unter lauter älteren Offizieren ist.

Kurts Stolz auf den »Heldentod« des Bruders spricht aus einem Brief an die Mutter vom 1. November 1914, mit dem er sich selbst aufrichtet, aber auch der Glaube an die einzigartige Möglichkeit, die der Krieg bietet, anders als im Frieden, sich angesichts des Todes zu bewähren:

Du schreibst mir: »Für uns bliebe nur das schmerzliche Entbehren – und mit dem Stolze würde einem zu oft etwas vorgeredet.« Mein liebes Mütterlein – Es ist auch sehr schmerzlich dieses Missen, aber mich tröstet der Stolz doch. Ich sage mir, es ist uns allen, die wir in die Welt gekommen sind, aufgegeben, den schweren Weg bis zum Ende zu bestehen. Es ist für einen Durchschnittsmenschen sehr, sehr schwer bei diesem Weg noch irgendwie Ehre und Ruhm zu gewinnen. Sonst troddelt man so sein Alltagsleben durch, dem Tode entgegen, der einen doch mit unerschütterlicher Sicherheit erreicht. Auch hier wird ja mancher vom Tode ereilt, der nur vor den Augen der Welt einen »Heldentod« stirbt, dem aber die Angst in den Knochen saß und der eben nur starb, weil er nicht anders konnte. Unter richtigem Heldentod verstehe ich aber – so war es bei Karl-Wilhelm und so ist’s Gott sei Dank in anererbter Tugend bei den meisten unseres Volkes – ein frohes zuversichtliches Entgegensehen und Entgegengehen mit dem Willen das zu zeigen, was man im Frieden nicht resp. weniger zeigen kann, – daß man innerlich frei ist, daß man die Kraft hat, seinem Ideal zu folgen bis zum letzten Atemzuge. – Darauf sollst Du stolz sein.