Die Verlobte seines Bruders - Jessa James - E-Book

Die Verlobte seines Bruders E-Book

Jessa James

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Beschreibung

Ich liebte sie vor langer Zeit.Effie gottverdammt White, die schwarzhaarige Verführerin mit den wundervollen Schmolllippen.Zum Teufel, ich war verdammt besessen von ihr. Ihren Berührungen, ihrem Geruch, ihrem Geschmack ich konnte nicht genug kriegen.Dann zertrümmerte sie mein kaltes, hartes Herz in eine Million Stücke.Das wird mir nie wieder passieren. Jemals. Ich weiß es besser.Mein Bruder Thorne lauerte in den Schatten. Als ich ging, schlug er zu. Jetzt bin ich zurück und Effie hängt an Thornes Arm und trägt seinen Ring.Aber sie schaut zu mir. Und als wir zusammen eingeschneit werden, zieht sie mich mit diesen babyblauen Augen aus. Berührt mich. Quält mich.Diese Sache, von der ich sagte, dass sie mir kein zweites Mal passieren würde?F*ck, sie tut es mir schon wieder an. Und ich liebe, wie sich das anfühlt, fast so sehr wie sie

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Die Verlobte seines Bruders

Jessa James

Die Verlobte seines Bruders

Copyright © 2020 von Jessa James

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, elektronisch, digital oder mechanisch, reproduziert oder übertragen werden, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Fotokopieren, Aufzeichnen, Scannen oder durch irgendeine Art von Datenspeicherungs- und Datenabfragesystem ohne ausdrückliche, schriftliche Genehmigung des Autors.

Veröffentlich von Jessa James

James, Jessa

Cover design copyright 2020 by Jessa James, Author

Images/Photo Credit: Deposit Photos: VitalikRadko

Hinweis des Herausgebers:

Dieses Buch wurde für ein erwachsenes Publikum geschrieben. Das Buch kann explizite sexuelle Inhalte enthalten. Sexuelle Aktivitäten, die in diesem Buch enthalten sind, sind reine Fantasien, die für Erwachsene gedacht sind, und jegliche Aktivitäten oder Risiken, die von fiktiven Personen innerhalb der Geschichte übernommen werden, werden vom Autor oder Herausgeber weder befürwortet noch gefördert.

Inhalt

1. Effie

2. King

3. Effie

4. King

5. Effie

6. King

7. Effie

8. King

9. Effie

10. King

11. Effie

12. King

13. Effie

14. King

15. Effie

16. King

17. Effie

18. King

19. Effie

20. King

21. Effie

22. King

23. Effie

24. King

25. Effie

Bücher von Jessa James

Also by Jessa James (English)

Über die Autorin

1

Effie

Das Leben ist nicht fair, oder?, dachte Effie, während sie mit ihren Fingern durch das hasenähnliche Fell der alten Ragdoll-Katze strich. Jedenfalls nicht für diesen Kater.

Effie beugte sich über das kühle Plastik der Maschine, während sie Dr. Yung beobachtete, die den Bildschirm anstarrte. Bei den meisten Aspekten ihres Jobs als Tierarzthelferin gab sich Effie cool, aber sie war nervös, als Dr. Yung das MRT beendete.

„Immer noch gleich?“, fragte Effie.

„Leider. Er hat noch keine Herzinsuffizienz entwickelt, aber die Arrhythmie ist gleichgeblieben. Aber wenigstens können wir seiner Familie sagen, dass er stabil ist.“

Dr. Yung streifte ihre Handschuhe ab, während Effie den trägen Kater hochhob. Der alte Kater blinzelte suchend in Effies Augen.

„Er hat die wundervollsten Augen. Wie eine Galaxie.“

„Tatsächlich finde ich, dass seine Augen deinen ziemlich ähnlich sehen“, meinte Dr. Yung.

Effie spähte zu der älteren Frau hoch. „Meinen Sie damit, meine Augen sehen wie die einer Katze aus, oder anders herum?“

„Beides, nehme ich mal an. Geh ruhig schon und stemple dich aus, wenn du ihn wieder in seiner Box verstaut hast. Ich werde mit der Familie reden. Der nächste Kunde hat abgesagt, also sind wir für heute fertig.“

Effie lockte den Kater in die Transportbox, die für kleine Hunde gedacht war. Er schien froh darüber zu sein, wieder in die abgeriegelte Sicherheit zurückkehren zu können.

Sie zog den Haargummi vom Ende ihres Zopfes, sowie sie in ihren Explorer rutschte. Sowohl die zweite als auch dritte Sitzreihe war nach hinten geklappt und auf dem gesamten taupefarbenen Interior gab es Beweise verschiedenster Tierhaare. Effie seufzte, während sie mit den Fingern durch ihren geöffneten Zopf kämmte und ihre dichten mahagonifarbenen Locken ausschüttelte.

Sobald sie das Auto angelassen hatte, vibrierte ihr Handy.

„Hi, Yaya“, sagte sie mit einem Lächeln, während sie den Lautsprecher anschaltete und vom Parkplatz der Tierklinik fuhr.

„Hi, Baby. Pós eísai? Gut?”

„Eímai kalá“, erwiderte Effie, sich bewusst, wie steif und unbeholfen ihr Griechisch klang.

„Ah! Du hast geübt!“, lobte ihre Oma in ihrem starken griechischen Akzent.

„Frag mich aber bloß nichts anderes, das ist so ziemlich das Einzige, das ich auf Lager habe“, sagte Effie lachend.

„Okay, okay. Ich war mir nicht sicher, ob ich dich noch erwischen würde. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, um wie viel Uhr du fertig bist.“

„Ich bin heute ein bisschen früher fertig geworden. Ein Kunde hat abgesagt.“

„Ich verstehe. Also was machst du gerade? Fährst du zu Thorne?“

„Wie hast du das nur erraten?“

„χρυσό μου, wo solltest du sonst hingehen? Zu deinem Freund oder zur Arbeit, das ist alles. Und das ist gut, so wie es sein sollte. Ich bin mir sicher, King wird sich freuen.“

„Tho – egal, vergiss es“, sagte Effie.

Sie biss sich auf die Lippe. Sie verspürte immer noch einen Stich in ihrem Herzen, wann immer jemand Kings Namen erwähnte. Es half auch nicht, dass es die ganze Zeit geschah.

Selbst wenn Yaya nicht auf dem Weg zu einer Demenz wäre, bedeutet, mit dem Bruder deines Ex‘ verlobt zu sein, nicht unbedingt, dass du seinen Namen nie wieder hörst, rief sie sich ins Gedächtnis.

„Wie geht’s dir, Yaya?“

„Oh, prima. Ganz prima. Denk dran, wir brauchen mehr Thymian. Kannst du welchen mitbringen? Clem, vergiss es dieses Mal nicht, ja?“

„Yaya, hier ist… okay, ja. Ich werde welchen besorgen.“

Sie schluckte die Proteste, die in ihr hochstiegen, als Yaya sie Clem nannte. Es war nicht das erste Mal, dass Effie mit dem Namen ihrer Mutter angesprochen worden war, und es würde auch nicht das letzte Mal sein.

Effie brauste an dem WILLKOMMEN IN GLENCO, ILLINOIS Schild vorbei und tastete in der Mittelkonsole blind nach einem Papierzettel. Während sie die Abfahrt zu Thorne nahm und an einem Stoppschild hielt, kritzelte sie sich eine Notiz.

Thymian kaufen.

Effie hatte keine Ahnung, ob ihnen der Thymian wirklich ausgegangen war, aber wenn Yaya in Kochlaune war, war fehlender Thymian ein ausgewachsenes Desaster. Sie zermarterte sich das Gehirn, wie das Gewürzregal das letzte Mal, als sie es gesehen hatte, ausgesehen hatte, aber sie konnte sich nicht daran erinnern.

„Und Oregano. Dieses Mal den in der Glasflasche. Plastik und Glas, das macht einen Unterschied, weißt du.“

„Ja, Yaya, ich weiß“, entgegnete Effie.

„Effie?“

„Ja?“

„Was ist los?“ Sie hörte die Sorge in Yayas Stimme, den Hauch von Klarheit, der ihr verriet, dass Yaya – zumindest für den Moment – einen klaren Kopf hatte.

„Nichts. Was meinst du?“

„Du klingst… ich weiß nicht. Traurig vielleicht. Was stimmt nicht?“

„Nichts, Yaya, wirklich.“

„Effie, ich kenne dich. Welchen Grund gibt es, traurig zu sein? Du hast einen perfekten Verlobten, der so höflich ist. Einen guten Job –“

„Yaya, mir geht’s gut. Wirklich. Ich bin nur müde. Es war ein langer Tag auf der Arbeit.“

Yaya seufzte. „Traurigkeit ist nicht hübsch.“

Effie fuhr fast geradewegs in den Kofferraum eines kleinen Mercedes Cabriolet, der in Thornes Einfahrt parkte. „Mist!“

„Effie!“

„Sorry, Yaya, ich muss Schluss machen. Ich bin gerade bei Thorne angekommen.“

„Nur, wenn du mir versprichst, dass du nicht traurig bist.“

„Das bin ich nicht. Ich verspreche es. Hab dich lieb.“

Effie beendete das Telefonat, während sie auf den Gehweg fuhr in dem Versuch, den SUV auf den begrenzten Platz zu lenken, der für das Parken am Straßenrand reserviert war. Sowie sie den Motor ausschaltete, öffnete sich der graue Himmel und ein Regenschauer setzte ein.

„Die Sonne wird rauskommen… irgendwann, richtig?“, murrte sie vor sich hin.

Der Regenguss kam plötzlich und heftig. Wegen der starken Wind- und Regenböen konnte sie die Tür kaum öffnen. Effie zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf, ein dunkelbrauner Trenchcoat, der mit weißen Katzenhaaren übersät war.

Sie sprintete die maßgefertigte Steintreppe von Thornes nagelneuer Eigentumswohnung hoch, die mit bodentiefen Fenstern im Mid-century modern Stil gebaut worden war. Selbst in dem wohlhabenden Vorort Chicagos am Nordufer war das Gebäude von Thornes Wohnung ein architektonisches Schmuckstück. Und ihm – nun, schon bald würden es ihnen heißen – gehörte das gesamte Penthouse und ein exklusiver Aufzug.

Effie überprüfte ihr Aussehen im Spiegel des Aufzugs, während dieser sie gen Himmel beförderte. Sie hasste es, dass sie sich darum Gedanken machte, aber Thorne hatte mehr als einmal klargestellt, dass er, oder vielmehr seine Eltern, gewisse Dinge von ihr erwarteten.

Wie zum Beispiel nicht voller Tierhaare nach Hause zu kommen, dachte sie.

Als die Aufzugtüren aufglitten, griff ihre Hand automatisch nach dem vertrauten Bronzegriff, doch die Wohnungstür stand sperrangelweit offen.

„Thorne?“, rief sie. In einem der hinteren Zimmer konnte sie das Hämmern von Musik hören. Dua Lipa stöhnte aus Thornes Stereosystem. Das dämliche Teil, das mit einem Preis kam, der so hoch war, dass es Effie kaum ertragen konnte, von den Kosten zu hören. Vor allem wenn Thorne dann auch noch vor Freunden mit seinen neuesten Käufen prahlte oder auf Instagram Fotos mit zu vielen Filtern postete.

„Thorne!“, rief sie erneut.

Sie lief durch den Flur, dessen eine Seite mit Spiegeln dekoriert war und die andere mit einer Mischung von Fotografien in Sterlingsilber- und Kristallrahmen. Sie kannte jedes der Fotos in- und auswendig und wusste auch genau, wo sie nicht hinschauen sollte.

Auf zwei der Fotos war King zu sehen. Eines der Fotos war aufgenommen worden, als sie noch zusammen gewesen waren, aber natürlich war sie nicht auf diesem Foto zu sehen. Es war von einem Familienosterbrunch im Alinea in der Stadt. Aber King hatte das Hemd getragen, das sie ihm gekauft hatte, kurz bevor sie miteinander Schluss gemacht hatten.

Das passiert nun mal, wenn man zwei Männer aus der gleichen Familie datet, dachte sie müßig. Es machte Familienfotos unangenehm, um es mal vorsichtig auszudrücken.

Effie ließ ihre Augen über die förmlichen Verlobungsfotos von sich und Thorne schweifen. Ihre Mom und Yaya hatten die gleichen Fotos in ihrem kleinen, unscheinbaren Häuschen. Es waren wunderschöne Fotos, aber sie hätte schwören können, dass ihr das Paar auf den Fotos völlig fremd war. Ihre zueinander passenden falschen Lächeln sahen allerdings absolut perfekt aus.

Die Musik wurde lauter, als sie sich dem Schlafzimmer näherte, dessen Tür leicht geöffnet war.

„Thorne?“, fragte sie, während sie die Tür aufstieß. Sie sah seinen breiten, nackten Rücken, der über die Bettkante gebeugt war. „Was machst du –“

Er drehte sich abrupt um, gerade als eine Frau ihren Kopf zwischen seinen Beinen hervorzog. Die Frau wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, während Thorne ihre Haare aus seiner Faust entließ.

„Effie! Was zum Henker – warum bist du nicht auf der Arbeit?“

„Ich?“, fragte sie, überrascht, wie leise und angespannt ihre Stimme klang. „Was machst du… wer ist sie?“

„Was ist hier los?“, wollte die Frau wissen, während sie hastig nach etwas suchte, mit dem sie sich bedecken konnte. Effie konnte einfach nicht den Blick von ihr abwenden. Es war, als würde sie in einen Spiegel schauen. Die gleichen dichten, rötlich braunen Haare. Die strahlend blauen Augen. Die gleichen vollen Brüste.

„Thorne, was zum Teufel?“, kreischte die Frau. „Du hast gesagt, ihr habt euch getrennt!“

„Ich – ich hab das nie gesagt“, widersprach Thorne. Er blickte von einer zur anderen. „Effie, du musst mir glauben, ich habe nie gesagt, dass –“

„Mir ist schnuppe, was du gesagt hast“, entgegnete Effie. Sie wollte schreien, weinen, aber es fühlte sich an, als würde alles in ihrer Brust feststecken. „Mir ist egal, was du ihr erzählt hast! Warum hast du… wie lange… egal“, sagte sie. „Vergiss es.“

Effie drehte sich um und knallte die Tür hinter sich zu. Als sie durch den Flur hastete, konnte sie die Frau schreien und Glas zerbrechen hören.

Mach ihn fertig, dachte sie bei sich. Wenn sie sich nicht dazu bringen konnte, den Zorn auszudrücken, den er verdiente, dann sollte das ihre Doppelgängerin übernehmen.

Sie schloss sich in der Bibliothek ein und zerrte eine der Ledertaschen aus dem Schrank. Effie war bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen, dass die Dinge, die wirklich ihr gehörten und die sie am meisten mochte, Thorne in das kleinste Zimmer der Wohnung verbannt hatte. Es war im Grunde genommen nur ein Schrank, wenn auch ein hübscher. Sie stopfte ihre USB-Sticks und Laptop in die Tasche, die Flasche Parfüm, die ihre Yaya vor Jahren aus Griechenland mitgebracht hatte, und den Stapel ihrer Lieblingsliebesromane.

Vergiss die Klamotten und das Make-up, dachte sie. Verschwinde einfach.

Als sie den Reißverschluss der Tasche zuzog und die Bibliothek verließ, konnte sie hören, dass die zwei im Schlafzimmer nach wie vor zu Gange waren. Sie konnte nicht sagen, ob sie stritten oder vögelten, aber es interessierte sie auch nicht. Sie musste von hier wegkommen, so schnell wie möglich.

Effie hämmerte mit dem Daumen auf den Aufzugknopf. Tränen fingen an, in ihren Augen zu brennen, aber sie wollte verdammt sein, wenn sie weinen würde, ehe sie es zu ihrem Auto geschafft hatte.

„Effie!“, hörte sie Thorne brüllen, als er ansetzte, ihr durch den Flur mit schweren Schritten hinterherzurennen. „Effie, stopp! Lass uns darüber reden, das Ganze ist total aus dem Zusammenhang gerissen –“

Bitte geh zu, betete sie, während sie beobachtete, wie er um die Ecke zum Aufzug bog, nackt und immer noch halb-steif. Bitte geh zu.

Als befände sie sich in einem perfekt getimten Film, glitten die Aufzugtüren zu, als er nur noch Zentimeter entfernt war.

Effie rannte zum Auto, die Kapuze abgesetzt und ließ den starken Illinois Regen auf ihren Kopf trommeln. Sie schloss sofort die Tür ab und fuhr, ohne nachzuschauen, vom Straßenrand weg. Hinter ihr hupte es laut und sie sah einen weißen Escalade, der scharf nach links schwenkte, damit er nicht in sie krachte.

„Drei Jahre“, sagte sie laut, während sie die Tränen, die über ihre Wangen strömten, wegwischte. „Drei gottverdammte Jahre.“

Das war eine lange Zeit, um sie mit jemandem zu verbringen und zu verschwenden. Und das nachdem sie ihre gesamte Highschoolzeit mit King zusammen gewesen war!

Oh, die Jahre, die ich an die Smith Brüder verschwendet habe. Sollen sie doch beide zur Hölle fahren.

„Ich bin eine verfluchte Idiotin“, schimpfte sie und dachte sich, dass sie einen Drink brauchte.

Effie suchte in dem kleinen Arsenal an Boutiquen in Thornes Viertel nach irgendeiner Art von Bar. Irgendetwas, das keine zwanzig Dollar Cocktails und Entrees, die einen Tageslohn kosteten, anbot, würde ihr genügen. Doch in Thornes schickimicki Viertel gab es nichts, das auch nur annähernd an das herankam, was sie jetzt brauchte.

Was sie eigentlich am meisten brauchte, war ein Ort, an den sie verschwinden konnte.

Schließlich fuhr sie zu einem kleinen Tapas-Laden, der mit seiner Happy Hour warb. Effie parkte ganz hinten auf dem Parkplatz und beobachtete, wie ein makellos gekleidetes Paar kreischte, als der Valet die Türen mit gigantischen schwarzen Regenschirmen öffnete.

Sie konnte das Bild dieses Betrügers einfach nicht aus ihrem Kopf kriegen. Der Gedanke an ihre Doppelgängerin, die über Thornes Schenkel spähte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie spürte, wie Zorn in ihrer Brust anschwoll, an der Innenseite ihrer Kehle kratzte und verzweifelt versuchte, zu entwischen.

„Wie konntest du mir das antun?“, schrie sie in der leeren Fahrerkabine des Autos. Endlich hatte sie ihre Stimme wiedergefunden.

Sie war nicht dumm gewesen. Als Thorne sich anfangs an sie rangemacht hatte, hatte sie gewusst, dass er es nur tat, um King eins auszuwischen. Immerhin hatten sie und King sich erst einen Monat zuvor getrennt.

Da war sie gewesen, hatte in einem Starbuck‘s gesessen und in ihr Getränk gestarrt. Hatte darüber nachgedacht, dass King sie kein einziges Mal angerufen oder ihr geschrieben hatte in dem Monat, seit er gegangen war.

Er hatte sie vollkommen vergessen, obwohl er sie die Liebe seines Lebens genannt hatte. Als sie an jenem Tag also seine große Gestalt gesehen hatte…

Sie konnte sich eingestehen, dass sie mehr als ein wenig deprimiert gewesen war, als sie realisiert hatte, dass es sich um Thorne handelte. Und er war auf der Suche nach ihr gewesen, um ihr einen Vorschlag zu unterbreiten.

Effie musste zugeben, dass ein Teil von ihr die Idee gemocht hatte. Sie hatte sich sogar ein wenig daran erfreut. Wenn sie und Thorne gemeinsam King verärgern konnten, warum nicht?

Es war ja nicht so, als würde King herumstehen und auf sie warten. Er war längst fort.

Sie hatten diesbezüglich nie etwas laut besprochen, aber es war eine Art stillschweigendes Einverständnis. Dann war die Sache komplizierter geworden. Chaotischer.

Als Thorne ihr nach drei Monaten gestanden hatte, dass er sie liebte, hatte sie das erwidert, weil sie bereits mitten in einer Beziehung gesteckt hatten. Außerdem hatte ihre Mom sie beharrlich in seine Richtung gedrängt.

„Aber er ist Kings Bruder!“, hatte sie protestiert. Sie erinnerte sich noch deutlich an jene Nacht. Effie hatte noch immer ihre Robe von der Highschoolabschlussfeier getragen.

„Ja und?“, hatte ihre Mom gefragt. „Du und King, das war nichts. Eine Schwärmerei. Thorne ist der Respektable. Der Erwachsene. Und seine Familie liebt dich bereits!“

„Mom –“

„Bei Beziehungen geht es nicht nur um zwei Leute“, hatte ihre Mom gesagt, was Effie dazu gebracht hatte, den Mund zuzuklappen.

Drei Jahre später hatte Thorne ihr einen Antrag gemacht. Thorne hatte sie, ihre Mom und Yaya zu einem edlen Restaurant ausgeführt, wo er für alle bestellt hatte. Bevor die Appetizer serviert worden waren, hatte sich Thorne über den Tisch gebeugt und die Hand ihrer Mom genommen.

„Ich möchte, dass du weißt, dass Effie und ich heiraten? Das bedeutet, dass ich mich auch dir verpflichtet habe. Und Yaya. Ihr müsst euch um nichts mehr Sorgen machen. Ich werde mich um euch kümmern.“

Als ihrer Mom Tränen in die Augen getreten waren, hatte Effie gewusst, dass sie das Richtige tat. Außerdem war Thorne ein ganz anständiger Kerl. Zumindest hatte sie das gedacht.

„Kümmerst du dich etwa so um mich? Um uns?“, fragte sie, doch das leere Auto gab ihr keine Antwort. „Arschloch!“

Das Wort, das nur selten über ihre Lippen kam, ließ sie erschaudern.

Wag es ja nicht, wegen ihm zu weinen, schimpfte sie sich. Keine einzige Träne!

Effie schniefte und blickte durch den Regenvorhang auf das Restaurant. So richtig es sich momentan auch anhörte, sie konnte sich nicht dazu überwinden, jetzt etwas zu trinken. Am allerwenigstens an einem öffentlichen Ort umringt von glücklichen Pärchen.

Stattdessen nahm sie ihr Handy in die Hand und scrollte zu MOM.

„Mom?“, fragte sie, als ihre Mom ein verschlafenes „Hallo?“ ins Handy nuschelte. „Wo bist du?“

„Auf einem Debütantinnenball, wo denkst du denn?“

Effie hörte den Ärger in der Stimme ihrer Mom.

„Mom, ich muss auf eine Geschäftsreise zu einer Konferenz. Es ist wirklich kurzfristig, ich habe erst heute davon erfahren. Kannst du dich um Yaya kümmern? Wir… wir haben keinen Thymian mehr. Und vielleicht auch keinen Oregano.“

„Effie, ernsthaft? Jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Du wohnst noch nicht bei Thorne, weißt du. Du wohnst hier. Bei uns. Wo du gewisse Verantwortungen zu übernehmen hast.“

Was zum Teufel machst du denn sonst noch, außer dich den ganzen Tag im Haus einzuschließen und fernzusehen?

„Es tut mir leid, aber das ist wirklich wichtig für meine Karriere –“

„Du bist eine glorifizierte Tierfriseurin, Effie. Was für einen Notfall könnte es da schon geben?“ Effie hörte, wie der Hörer auf der anderen Seite auf die Gabel geknallt wurde. Manchmal glaubte sie, dass ihre Mom nur zu diesem Zweck das Festnetztelefon behielt.

„Scheiß drauf“, sagte sie. Sie startete ihren Wagen und versuchte, zu entscheiden, wohin sie fahren sollte.

Es wurde dunkel und die Straßen zurück zu ihrer Wohnung wären mittlerweile von der Rush Hour verstopft. Sie brauchte einen Ort, an den sie gehen konnte und der außerhalb der Stadt lag. Sie erwog, ein Hotelzimmer zu mieten, aber die Vorstellung, so viel Geld auszugeben, wenn die Zukunft so ungewiss war, machte sie nervös. Sie ging ein paar Ideen durch und verwarf einige Orte und dann kam ihr ganz plötzlich eine mögliche Lösung.

Die Smith Familienhütte.

King hatte sie in der Highschool unzählige Male zu dem kleinen, nicht weit entfernten Rückzugsort in den Hügeln mitgenommen. Dort hatte sie ihre Jungfräulichkeit verloren.

Effie durchwühlte das Handschuhfach und hoffte entgegen aller Vernunft, dass in der kleinen Ersatzschlüsselschachtel der Hüttenschlüssel lag. Sie schnappte sich die Schlüssel und seufzte fast vor Erleichterung, als sie ihn sah.

Ein großer goldener Schlüssel mit dem Schildchen „Hütte“ hing an einem kleinen Kiefernschlüsselring.

Sie fuhr vom Parkplatz, ihr Ziel in Stein gemeißelt.

Zu dem Zeitpunkt, als sie auf den Schotterparkplatz fuhr, war es dunkel. Doch als sie in die vertraute Hütte mit ihrer himmelhohen Kathedralendecke trat, wurde sie sofort von der Wärme getröstet. Effie entzündete ein Feuer und suchte im Weinlager nach einem vollmundigen Dessertwein. Etwas, das sie betrunken machen und zugleich mit Zucker versorgen würde.

Sie ringelte sich neben dem Feuer ein und wickelte sich in eine dicke Pendleton Wolldecke. Doch gerade, als sie es sich gemütlich gemacht hatte, tauchte das Bild von Thorne, der irgendeine fremde Frau vögelte, in Effies Gehirn auf und ging einfach nicht wieder.

In Ordnung, sagte sie sich widerwillig. Du kannst ein bisschen weinen. Nur für ein paar Minuten.

Sie begann, darüber nachzudenken, wie sehr sie und Thorne miteinander verbunden waren, wie sehr sie sich erlaubt hatte, sich auf ihn zu verlassen in Bezug… nun, auf alles. Das Ganze zu klären würde so gut wie unmöglich werden.

Und das schloss noch nicht einmal ihre bevorstehenden Eheversprechen mit ein. Erst letzte Woche hatten sie eine Anzahlung für einen Veranstaltungsort für die Feier geleistet.

Meine Güte, was für ein Schlamassel!

Als sie schließlich die halbe Flasche getrunken hatte, hatte sie sämtliche Tränen vergossen. Erschöpft schlief sie ein, während das Licht der Flammen über ihr geschwollenes Gesicht leckte.

2

King

King ächzte und rollte sich im Bett herum. Die Kühle der Seidendecke konnte seine Schmerzen nicht lindern. Er verzog schmerzerfüllt das Gesicht, als er die blauen Flecken, frisch und neu, auf seinen Rippen erblühen spürte. Während er sich nach oben stemmte, verflog die Taubheit, die der Schlaf geboten hatte, vollständig.

King stellte sich vor den Spiegel, der mit dickem Holz umrahmt war, um zur Familienhütte zu passen, und begutachtete seine Rippen. An manchen Stellen bedeckten die Blutergüsse einen Teil seiner Tinte fast vollständig und verwandelten seine Tattoos in Schemen.

Während er mit seiner Hand über die Wölbungen seines Bauches strich, verspürte er einen Hauch Lust, der sich mit dem Schmerz vermischte.

„Das ist der Preis, den du bezahlen musst“, teilte er seinem Spiegelbild mit.

Die grauen Augen im Spiegel starrten ihm entgegen. Effie hatte ihm früher immer gesagt, „Der Himmel ist heute wütend“, wenn sie zu ihm aufgeblickt hatte. Er hasste es, dass sie ihn so mühelos hatte lesen können.

King betrachtete sich noch eine Minute im Spiegel, dann ging er ins Bad. Die Dielen unter seinen nackten Füßen knarzten wie das Jammern weitentfernter Gespenster.

Er drehte den Wasserhahn über der Badewanne auf in der Absicht, sich kurz zu Duschen. Doch während er darauf wartete, dass das Wasser warmlief, konnte er nicht aufhören, über die Vergangenheit nachzudenken.

Als King die Mafiabosse in L.A., für die er die vergangenen Jahre gearbeitet hatte, verlassen hatte, hatte er gewusst, dass er einen Preis dafür bezahlen würde. Er hatte nur nicht gewusst, wann diese Bezahlung eingefordert werden würde. Doch sowie er die Schlägertypen auf dem Parkplatz gesehen hatte, hatte er es gewusst.

Er hatte einst einen Anzug getragen, der genau wie die ausgesehen hatte, die sie getragen hatten.

„King Smith?“, hatte einer gefragt.

King hatte nicht geantwortet. Er hatte sich einfach nur umgedreht, um in Empfang zu nehmen, was auch immer sie für ihn bereithielten.

Der erste Schlag war immer der schlimmste. Derjenige, der sich nach seinem Namen erkundigt hatte, war jung gewesen, gerade mal achtzehn, und mehrere Zentimeter kleiner als King, aber gebaut wie ein Stier. Sowie er die harten Knöchel an seinem Kiefer gespürt hatte, hatte sich ein Kupfergeschmack in seinem Mund ausgebreitet.

„Was zum Teufel stimmt mit dem Typen nicht?“, hatte er einen der anderen fragen gehört, als seine Knie auf dem Asphalt aufgeschlagen waren.

Er hatte nicht mehr zwischen Fäusten und Tritten unterscheiden können, sie waren auf seinen ganzen Körper niedergeprasselt. Ein Schauer wütender Schläge und Hiebe. Es hatte sich angefühlt, als würde sich sein ganzer Kopf mit Blut füllen, und das Geräusch einer Rippe, die gebrochen wurde, hatte wie das Knacken eines Astes geklungen.

Aber King hatte sich geweigert, sich zu wehren. Das hätte es nur noch schlimmer gemacht. Selbst durch den zugeschwollenen Spalt seiner Augen hatte er den jüngeren innehalten sehen können, als sie fertig gewesen waren.

King kannte diesen Blick. Der Kerl fragte sich, ob er noch einen letzten guten Treffer platzieren sollte, wie es die Bösewichte in den Filmen immer taten. Der Treffer, der Kings Kiefer ausrenken oder seine Nase zertrümmern würde.

Er war sich nicht sicher, ob er sich richtig daran erinnerte, oder ob er sich einfach nur wünschte, dass er es getan hätte – aber er glaubte, dass er seinen Kopf gerade so weit angehoben hatte, um dem Kerl ein gutes Ziel zu bieten. Doch letzten Endes war der junge Mann mit dem Rest der Crew davongegangen.

King erschauderte in dem Bad, während er sich aus seinen Klamotten schälte und in die dampfende Dusche trat. Draußen war es arschkalt, eine Art finales Fick dich, weil er in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Heute Abend wurde mit heftigem Schneefall gerechnet.

Was überhaupt erst der Grund dafür gewesen war, dass er sich dazu entschieden hatte, zur Hütte zu fahren. Das und es war das einzige Wohneigentum, das er theoretisch gesehen besaß. Selbst wenn Thorne oder seine Eltern herausfänden, dass er hier war, gab es rein gar nichts, das sie deswegen unternehmen könnten.

Er seifte sich ein, anstatt sich über Thorne aufzuregen und darüber was für ein stehlender, hinterhältiger Drecksack sein kleiner Bruder war. Von Thorne und ihrem Politiker-Vater wegzukommen, war das Beste, das King hatte tun können. Auch wenn es ihn einige Dinge gekostet hatte.

Wie beispielsweise Effie, dachte er.

Er schnitt eine Grimasse. Er strengte sich an, an etwas anderes, irgendetwas anderes zu denken. Er ertappte sich dabei, wie er sich abermals die Vergangenheit durch den Kopf gehen ließ.

Beinahe zwei Jahre lang war King ein Mittelsmann für die Bosse gewesen. Das war seine Rolle gewesen. Er war lang genug der Bösewicht, das Schreckgespenst gewesen, dem niemand in einer dunklen Straße begegnen wollte. Und anfangs war es auch aufregend gewesen.

King konnte sich noch immer an das erste Mal erinnern, als er sich persönlich mit einem der Bosse getroffen hatte. Es hatte Wochen gedauert, in denen er sich mit rangniedrigen Mitgliedern getroffen hatte, während diese ihn überprüften und versuchten, hinter seine Motive zu kommen. Als King dem dickbäuchigen Mann mittleren Alters in dem privaten Esszimmer im Everest, von dessen Existenz er nicht einmal gewusst hatte, gegenüber gesessen hatte, war das eine kleine Enttäuschung gewesen. Der Boss hatte milchig blaue Augen gehabt und eine Haut wie Krepppapier. Kein bisschen wie Marlon Brandos Der Pate.

„King Smith. Was für ein Name ist das?“, hatte der Mann gefragt.

„Das ist der Name, den mir meine Eltern gegeben haben. Sir“, hatte er noch schnell angehängt.

„Ja, deine Eltern. Die modernen Kennedys Chicagos“, hatte der Boss mit einem leisen Lachen erwidert, dass sich leicht mädchenhaft angehört hatte. „Ich habe schon so einige reiche Privatschüler gesehen, die darauf aus waren, die andere Seite auszuprobieren. Geht es hier darum? Musst du deinem Daddy etwas beweisen? Bist du zu gut für sein Geld?“

Kings Gesicht war heiß geworden. Er hatte gehofft, dass es im Dämmerlicht des Restaurants, ein Bodyguard auf jeder Seite des Bosses, niemand bemerkt hatte.

„Nein, Sir“, hatte er erwidert. „Ich möchte einfach mein eigenes Geld verdienen.“

„Beste Schuldbildung. Belesen, gute Abstammung. Ich könnte mir vorstellen, dass du ein sehr angenehmes Leben führen könntest, indem du für das Familiengeschäft arbeitest. Wie ich höre, ist es sogar auf einem aufsteigenderen Ast als meines. Vetternwirtschaft einmal ausgenommen, aber in jedem Geschäft gibt’s Politik. Familie hin oder her.“

Der Boss hatte genickt, als der Kellner eine Flasche Scotch präsentiert hatte. Zwei Fingerbreit waren elegant in Kristalltumbler gegossen worden.

„Macallan 1952“, hatte der Boss gesagt, während er das Kristall an seine Lippen geführt hatte.

King war seinem Beispiel gefolgt und hatte das bernsteinfarbene Feuer durch seine Kehle brennen lassen, nachdem er es sechs Sekunden auf seiner Zungenspitze behalten hatte, um es dämpfen.

„Gut und selten“, hatte King entgegnet.

Der Boss hatte gelächelt. „Du bist vertraut mit dem Jahrgang.“

„Es ist Macallans bester.“

„Das hat man mir zumindest erzählt. Wenn es nicht darum geht, deinem Daddy eins auszuwischen, worum geht es dann? Warum möchtest du für mich arbeiten?“

Genau darauf hatte sich King vorbereitet.

„Sie haben recht“, hatte er eingeräumt, nachdem er tief Luft geholt hatte. „Es hat etwas mit meinem Vater zu tun, aber es ist kein Racheakt. Ich… ich will nicht wie er sein.“

Der Boss hatte sich nach hinten gelehnt, während Kaviar an den Tisch gebracht worden war. „Und warum ist das so?“

„Ich habe einen Bruder“, hatte er erklärt, aber sich gerade noch gestoppt, bevor er Thornes Namen ausplaudern konnte. Nicht, dass er das hätte tun müssen. Der Boss wusste alles über ihn. „Und in unserer Familie waren wir immer Yin und Yang.“

„Der Engel und der Teufel“, hatte der Boss gesagt, während er einen kleine Klecks Kaviar auf seine Faust gelöffelt hatte. „Wie originell. Und lass mich raten, wer du bist.“

King hatte nichts gesagt. Der Boss hatte ihm keinen Kaviar angeboten. Stattdessen sah King dabei zu, wie der Boss ein vollständiges Viergänge-Menü genoss, während ihm nichts angeboten wurde, nicht einmal ein zweites Glas des vierzigtausend Dollar teuren Scotch.

Als der Boss zufrieden gewesen war, hatte er zu King geschaut.

„Du fängst heute Abend an“, hatte er verkündet und sich erhoben.

Und so begann es, dachte King. Die ganzen Erpressungen, Bestechungen, Nötigungen, von denen man nur träumen konnte, haben einfach nur darauf gewartet, dass ich diesen Anzug anlegte.

Er stieg aus der Dusche und schaltete das Wasser ab. Nachdem er sich in ein Handtuch gewickelt hatte, eilte er zurück zum Schlafzimmer, um sich anzuziehen.

Jetzt wurden die blauen Flecken nicht mehr von Schnitten und offenen Wunden begleitet. Sie hatten diese Phase dumpfen Schmerzes erreicht. Die Mittelsmänner des Bosses hatten sechs Monate gebraucht, um seine Schulden einzutreiben.

Die Blutergüsse standen ihm besser, als er zugeben wollte. Wenigstens konnte man auf diese Weise den Schaden sehen, anstatt ihn sich nur vorzustellen.

Der Bad Boy zu sein, war alles, was er jemals gekannt hatte, und er hatte diese Rolle sein Leben lang gespielt.

Thorne war immer der Gute gewesen, der Verantwortungsbewusste, derjenige, der alle Regeln befolgte und den Erwartungen der Familie so wunderbar gerecht wurde.

King seufzte. Gott sei gedankt für Melatonin, dachte er.

Das war das Einzige, das ihm auch nur die geringste Chance auf Schlaf bot, ohne dass er am nächsten Tag wie ein Zombie umherlief. Die ganze früh morgens aufstehen Geschichte war nichts für ihn.

Er brachte einige Minuten damit zu, im Schlafzimmer alles aufzuräumen. Das war eines der Dinge, die King an sich mochte. Pingeligkeit.

In Ordnung lag Trost. Seine Mundwinkel hoben sich, als er daran dachte, dass es nicht jeder zu schätzen wusste, wie sehr er es liebte, wenn alles seine Ordnung hatte. Das war etwas an ihm, das Effie nie verstanden hatte.

Es war eines der Dinge, die ihn wahnsinnig gemacht hatten. Dass sie ihre Handtasche auf die erste verfügbare Fläche hatte fallen lassen, wenn sie in ein Zimmer gelaufen war, oder dass sie ihre Schuhe einfach von den Füßen getreten hatte und sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie ordentlich an der Wand aufzureihen. Die Liebesromane, die sie überall mit Eselsohren hatte herumliegen lassen.

Aber dennoch. Es war Teil des Gleichgewichts, das Yin und Yang.

„Liebe ist eine Schwäche. Schwäche ist für Loser“, erinnerte er sich.

Jetzt zieh dich an, um Himmels willen.

King realisierte, dass er noch nicht ganz bereit war, seine Kleider anzuziehen. Er brauchte den nagelneuen Deoroller, den er auf seinem Weg hierher im Gemischtwarenladen gekauft hatte. Er befand sich noch in einer Plastiktüte, die an der Eingangstür hing.

Er befestigte das Handtuch wieder um seine Taille und machte sich auf den Weg durch den Flur. Der Geruch eines Holzfeuers flutete seine Nasenlöcher.

„Was zum Teufel?“ Er hätte schwören können, dass er das Feuer gestern Abend gelöscht hatte, aber als er das Wohnzimmer betrat, toste es wild im Kamin. „Scheiße!“

Ein Kopf schoss auf der anderen Seite der Couch in die Höhe. Kings Herz setzte beinahe aus. Er war sich sicher, dass das das Ende war.

Die letzten Prügel waren nur eine Aufwärmübung gewesen. Bei dieser würden sie nicht bei Blutergüssen aufhören, dessen war er sich sicher.

Und dann realisierte er, dass es sie war.

„Effie?“, fragte er unsicher. „Was…“

Sie schaute mit großen Augen zu ihm.

„King?“

Aus irgendeinem Grund fühlte er sich schrecklich entblößt, so wie er in nichts außer einem Handtuch dastand.

„Was zum Henker machst du hier?“, verlangte er zu wissen.

Es kam wütender heraus, als er beabsichtigt hatte.

„Sorry, ich… ich wusste nicht, dass du hier bist. Oder überhaupt jemand hier ist. Da war kein Auto – was ist mit dir passiert? Geht’s dir gut?“

Ihre Augen waren weit aufgerissen, während sie die Blutergüsse auf seiner Brust musterte.

„Was machst du hier?“, wiederholte er.

„Ich… ich weiß nicht“, antwortete sie leise.

Was hatte das zu bedeuten?

„Wie bist du reingekommen? Warte, vergiss das. Wo ist Thorne?“

„Er ist… nicht hier?“

Es war eine Frage, keine Antwort. Das verwirrte ihn nur noch mehr.

King verlagerte leicht sein Gewicht. Effies plötzliches Erscheinen hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. Natürlich hatte er Effie im Verlauf der Jahre einige Male gesehen. Er konnte ihr schließlich nur ein gewisses Maß aus dem Weg gehen, da sie die Person war, die praktisch an Thornes Seite klebte.

Er starrte sie an und sie starrte zurück.

„Bleib hier“, sagte er. „Ich bin gleich zurück.“

Während er sich anzog, ging er eine Liste an Dingen durch, die er sagen sollte. Dass sie hier war und ihn so überraschte, war das Letzte, das er brauchte.

Als er zurück ins Wohnzimmer stürmte, saß Effie auf der Couch mit einer dicken Decke um die Schultern. Er konnte das tief ausgeschnittene Satincamisole darunter sehen. Es war ziemlich weit in gefährliche Regionen hinabgerutscht, aber er weigerte sich, sich davon ablenken zu lassen.

Wen interessiert es schon, dass sie heißer ist als in der Highschool?

„Wo ist Thorne?“, fragte er.

Klasse. Das ist ein wirklich super Einleitungssatz.

„Er ist… er ist…“ Effie fuchtelte durch die Luft und brach dann in Tränen aus.

King sah sich im Zimmer um, doch da war niemand, der hätte helfen können.

Das ist genau das, was ich brauche, dachte er.

„Was ist los?“, wollte er wissen.

„Er betrügt mich!“, sagte sie zwischen Schluchzern.

Unbeholfen streckte er seine Hand aus und tätschelte ihre Schulter.

„Es ist okay“, sagte er. „Er ist –“

„Es ist nicht okay! Ich habe ihn verdammt nochmal mit einer anderen im Bett erwischt! Einer, die übrigens genauso wie ich aussieht.“

„Oh“, sagte er stirnrunzelnd. „Tja, ich schätze, das ist irgendwie gut.“

„Gut?“, fragte sie verärgert.

„Ich meine, wenigstens fühlt er sich zu dir hingezogen, oder?“ King konnte die Selbstgefälligkeit in seiner Stimme hören, aber kam nicht dagegen an. „Ich meine, so bleibt es irgendwie in der Familie. Darin seid ihr beide ja so gut.“

Er konnte sich einfach nicht stoppen. King war bis zu diesem Moment gar nicht klar gewesen, dass er während der vergangenen drei Jahre so viel Wut darüber gehegt hatte, dass sie mit seinem Bruder zusammen war.

„Du bist ein Arsch, weißt du das?“, fragte sie.

Effie stand auf und ließ die Decke auf die Couch fallen. Sie schnappte sich ihre Jacke, aber nicht ehe er sehen konnte, dass sie ihren BH zum Schlafen ausgezogen hatte. Die plötzliche Kälte, weil sie die Decke verloren hatte, ließ ihre Nippel unter dem dünnen Stoff sofort hart werden. Er spürte, wie sich sein Schwanz weiter unten regte, aber schob den Drang beiseite.

Sie verdiente das.

King hörte die Eingangstür knallen und ein Auto in der Einfahrt anspringen. Langsam schlenderte er auf die Terrasse. Seine Erektion weigerte sich sogar dann noch, sich zu legen, als ihr SUV außer Sicht verschwand.

Was zur Hölle soll ich jetzt tun?

3

Effie

Effie hatte gedacht, dass sie sämtliche Tränen vergossen hätte, doch zu dem Zeitpunkt, als sie das Ende der Einfahrt zur Hütte der Smiths erreichte, blendeten ihre Tränen sie.

Ich kann mich auf keinen Fall in der Nähe von so jemandem aufhalten.

Sie musste nicht einmal darüber nachdenken. Effie lenkte den SUV zum Startpunkt der vertrauten Wanderwege, die sie mit King während ihrer gesamten Highschoolzeit erkundet hatte.

Er tröstete sie, der Klang ihrer Schritte in der Wildnis. Genau wie als Teenager konnte sie mühelos die Laute im Wald, der die Außenbezirke der Stadt umgab, auseinanderhalten. Winterammer. Goldzeisig. Roter Kardinal.

Genau an diesem Ort hatte sie King während ihres Junior Years zum ersten Mal erzählt, dass sie Tierarzthelferin werden wollte. Er hatte gelacht und gescherzt, dass es gut sei, dass sich das unermüdliche Auswendiglernen der Vogellaute bezahlt machen würde.