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Evangeline Jenner wird nach dem Tod ihres Vaters ein Vermögen erben. Und nun liegt der berüchtigte Geschäftsmann tatsächlich im Sterben. Um ihrer bösartigen, habgierigen Verwandtschaft zu entkommen, die sie seit Jahren unterdrückt, sieht die schüchterne Evie nur noch einen Ausweg: Sebastian, Lord St. Vincent. Der berüchtigte Frauenheld ist nicht nur als unwiderstehlicher Herzensbrecher bekannt, er steckt auch in ernsthaften Geldsorgen. Verzweifelt macht Evie ihm einen Heiratsantrag, und Sebastian, der keiner Herausforderung widerstehen kann, willigt ein. Doch Evie ist fest entschlossen, eine Scheinehe zu führen und den charmanten Lord weder in ihr Bett noch in ihr Herz zu lassen …
Dieser Titel ist bereits auf Deutsch unter dem Titel »Es begann in einer Winternacht« erschienen.
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Seitenzahl: 487
Buch
Evangeline Jenner ist bei der kaltblütigen Familie ihrer Mutter aufgewachsen. Mit ihrem nicht standesgemäßen Vater hat sie kaum Kontakt, doch alle wissen, nach dessen Tod wird sie ein Vermögen erben. Und nun liegt der berüchtigte Geschäftsmann tatsächlich im Sterben. Um ihrer habgierigen Verwandtschaft zu entkommen, die sie seit Jahren unterdrückt und sie nun mit einem Cousin der Familie verheiraten will, sieht die schüchterne Evie nur noch einen Ausweg: Sebastian, Lord St. Vincent. Der berüchtigte Frauenheld ist nicht nur als unwiderstehlicher Herzensbrecher bekannt, er steckt auch in ernsthaften Geldsorgen. Verzweifelt schlägt Evie ihm einen Deal vor: Wenn er sie heiratet und ihr ein freies Leben fernab ihrer Familie ermöglicht, kann er ihr Erbe haben. Und Sebastian, der keiner Herausforderung widerstehen kann, willigt ein. Doch Evie ist fest entschlossen, eine Scheinehe zu führen und den charmanten Lord weder in ihr Bett noch in ihr Herz zu lassen …
Weitere Informationen zu Lisa Kleypas sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Lisa Kleypas
Übersetzt vonBabette Schröder & Wolfgang Thon
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Devil in Winter« bei Avon Books, an imprint of HarperCollins Publishers, New York
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Copyright © 2006 by Lisa Kleypas
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Die vorliegende Ausgabe ist eine Neuübersetzung des erstmals 2009 unter dem Titel »Es begann in einer Winternacht« auf Deutsch erschienenen Romans.
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Umschlagmotive: Lee Avison / Trevillion Images; FinePic®, München
Redaktion: Antje Steinhäuser
MR · Herstellung: ik
Satz: Mediengestaltung Vornehm GmbH, München
ISBN: 978-3-641-29702-2V001
www.goldmann-verlag.de
London, 1843
Während Sebastian, Lord St. Vincent, die junge Frau musterte, die gerade in seine Londoner Residenz gestürmt war, schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, dass er letzte Woche in Stony Cross Park möglicherweise versucht hatte, die falsche Erbin zu entführen.
Und obwohl Entführung bis vor Kurzem nicht auf Sebastians langer Liste von Schandtaten gestanden hatte, hätte er es auf jeden Fall geschickter anstellen sollen.
Im Nachhinein betrachtet war Lillian Bowman eine törichte Wahl gewesen, obwohl sie damals die perfekte Lösung für Sebastians Dilemma zu sein schien. Ihre Familie war wohlhabend, Sebastian dagegen hatte einen Titel und steckte in finanziellen Schwierigkeiten. Und die dunkelhaarige Schönheit Lillian schien mit ihrem lebhaften Temperament das Zeug zu einer unterhaltsamen Bettpartnerin zu haben. Er hätte sich ein weit weniger energisches Opfer aussuchen sollen. Lillian Bowman, die temperamentvolle, amerikanische Erbin, hatte sich seinem Plan heftig widersetzt, bis sie von ihrem Verlobten, Lord Westcliff, gerettet worden war.
Miss Evangeline Jenner hingegen, das lammfromme Geschöpf, das jetzt vor ihm stand, war ganz das Gegenteil von Lillian Bowman. Insgeheim betrachtete Sebastian sie mit Verachtung, er rief sich ins Gedächtnis, was er über sie wusste. Evangeline war das einzige Kind von Ivo Jenner, dem berüchtigten Londoner Spielclubbesitzer, mit dem ihre Mutter durchgebrannt war – die ihren Fehler allerdings schnell erkannt hatte. Evangelines Mutter stammte zwar aus gutem Hause, doch ihr Vater war kaum besser als der letzte Abschaum aus der Gosse. Trotz des unrühmlichen Stammbaums hätte Evangeline eine anständige Partie abgegeben, wäre da nicht ihre lähmende Schüchternheit gewesen, die sich in einem quälenden Stottern äußerte.
Sebastian hatte Männer finster sagen hören, eher würden sie ein Büßerhemd tragen, bis ihre Haut blutig gescheuert sei, als sich auf eine Unterhaltung mit ihr einzulassen. Natürlich war ihr Sebastian so weit wie möglich aus dem Weg gegangen. Das war nicht schwierig gewesen. Die schüchterne Miss Jenner pflegte sich bei offiziellen Gesellschaften zumeist in dunklen Ecken zu verstecken. Sie hatten noch nie miteinander gesprochen – ein Umstand, der ihnen beiden gut zu passen schien.
Doch jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Aus irgendeinem Grund hatte Miss Jenner es für angebracht gehalten, Sebastian zu einer skandalös späten Stunde uneingeladen zu Hause aufzusuchen. Um die Situation noch kompromittierender zu machen, war sie allein gekommen – und mehr als eine halbe Minute allein mit Sebastian zu verbringen reichte aus, um den Ruf eines jeden Mädchens zu ruinieren. Er war ausschweifend, amoralisch und perverserweise auch noch stolz darauf. In seiner gewählten Tätigkeit des dekadenten Verführers hatte er Maßstäbe gesetzt, die nur wenige Herzensbrecher erreichen konnten.
Sebastian entspannte sich in seinem Sessel und beobachtete mit trügerischer Gelassenheit, wie Evangeline Jenner näher kam. In der Bibliothek war es dunkel, bis auf das kleine Feuer im Kamin, dessen Schein sanft über das Gesicht der jungen Frau flackerte. Sie wirkte kaum älter als zwanzig, ihr Teint war frisch, und ihre Augen strahlten die Art von Unschuld aus, die ihn stets mit Verachtung erfüllte. Sebastian hatte Unschuld noch nie geschätzt oder gar bewundert.
Eigentlich hätte es sich für ihn als Gentleman gehört, sich aus seinem Sessel zu erheben, doch unter diesen Umständen schienen höfliche Gesten überflüssig. Stattdessen deutete er gleichgültig auf den anderen Sessel neben dem Kamin.
»Setzen Sie sich, wenn Sie mögen«, sagte er. »Obwohl ich an Ihrer Stelle nicht lange bleiben würde. Ich langweile mich schnell, und Sie stehen nicht gerade in dem Ruf, eine unterhaltsame Gesprächspartnerin zu sein.«
Bei seiner rüden Bemerkung verzog Evangeline keine Miene. Sebastian fragte sich unwillkürlich, welche Art von Erziehung sie so gründlich gegen Beleidigungen abgehärtet hatte, bei denen jedes andere Mädchen zutiefst errötet oder in Tränen ausgebrochen wäre. Entweder war sie einfältig, oder sie hatte bemerkenswerte starke Nerven.
Evangeline legte ihren Mantel ab, drapierte ihn über eine Armlehne des mit Samt bezogenen Sessels und nahm ohne jede Anmut oder Eleganz Platz. Ein Mauerblümchen, dachte Sebastian und erinnerte sich, dass sie nicht nur mit Lillian Bowman befreundet war, sondern auch mit Lillians jüngerer Schwester Daisy sowie mit Annabelle Hunt. Diese Gruppe von vier jungen Frauen hatte in der letzten Saison auf zahlreichen Bällen und Soireen am Rand gesessen, eine Gruppe ewiger Mauerblümchen. Doch nun schien sich ihr Glück gewendet zu haben, denn Annabelle war es endlich gelungen, sich einen Ehemann zu angeln, und Lillian hatte Westcliff gerade dazu gebracht, ihr einen Antrag zu machen. Sebastian bezweifelte allerdings, dass sich ihr Glück auch auf dieses linkische Wesen erstreckte.
Obwohl er versucht war, sie nach dem Grund ihres Besuchs zu fragen, fürchtete Sebastian, mit dieser Frage ein ausgedehntes Stottern auszulösen, das sie beide quälen würde. Er zwang sich zu warten, während Evangeline zu überlegen schien, was sie sagen wollte. Als sich das Schweigen in die Länge zog, betrachtete Sebastian sie in dem flackernden Licht und stellte überrascht fest, dass sie durchaus attraktiv war. Er hatte sie nie genauer angesehen, sondern sich immer nur mit dem Eindruck eines schluderigen, rothaarigen Mädchens mit schlechter Körperhaltung begnügt. Dabei war sie entzückend.
Während Sebastian sie taxierte, spürte er, wie sich seine Muskeln anspannten und sich die winzigen Härchen in seinem Nacken aufstellten. Er blieb entspannt im Sessel sitzen, hinterließ jedoch mit den Fingerspitzen leichte Eindrücke in dem weichen Samtpolster. Er fand es seltsam, dass er sie nie bemerkt hatte, da es doch so viel an ihr zu bemerken gab. Ihr Haar leuchtete in einem derart intensiven Rotton, wie er es noch nie gesehen hatte; es schien sich von dem Schein des Feuers zu nähren und vor Hitze zu glühen. Ihre schmalen Augenbrauen und der dichte Wimpernkranz waren kastanienbraun, während ihre Haut die einer echten Rothaarigen war – hell und mit leichten Sommersprossen auf Nase und Wangen. Sebastian amüsierte sich über die fröhlichen, kleinen, goldenen Tupfer, die aussahen, als hätte eine freundliche Fee sie über ihre Haut gestreut. Sie hatte volle Lippen, was überhaupt nicht der aktuellen Mode entsprach, die in einem natürlichen Rosa schimmerten, und große, runde blaue Augen … schöne, aber emotionslose Augen wie die einer Wachspuppe.
»Ich habe die Nachricht erhalten, dass meine Freundin Miss Bowman jetzt Lady Westcliff ist«, sagte Evangeline in vorsichtigem Ton. »Sie und der Earl sind nach G …Gretna Green gereist, nachdem er Sie … verprügelt hat.«
»›Er hat mich windelweich geprügelt‹, wäre wohl die zutreffendere Wortwahl«, erwiderte Sebastian liebenswürdig, wohl wissend, dass die blauen Flecken von Westcliffs Fäusten an seinem Kiefer ihrer Aufmerksamkeit nicht entgingen. »Er schien es nicht gut aufzunehmen, dass ich versucht habe, mir seine Verlobte auszuborgen.«
»Sie h …haben sie entführt«, konterte Evangeline ruhig. »›Ausborgen‹ impliziert, dass Sie die Absicht hatten, sie zurückzugeben.«
Sebastian spürte, wie sich seine Lippen zu seinem ersten richtigen Lächeln seit Langem verzogen. Sie war offenbar nicht dumm. »Entführt also, wenn Sie es denn so genau nehmen wollen. Sind Sie deshalb gekommen, Miss Jenner? Wollen Sie mir einen Bericht über das glückliche Paar geben? Ich bin des Themas überdrüssig. Sie sollten lieber bald etwas Interessantes sagen, sonst müssen Sie leider gehen.«
»Sie w …wollten Miss Bowman, weil sie eine reiche Erbin ist«, fuhr Evangeline fort. »Und Sie m… müssen jemand Vermögendes heiraten.«
»Das stimmt«, gab Sebastian leichthin zu. »Mein Vater, der Herzog, ist der einzigen Verantwortung, die er im Leben hatte, nicht gerecht geworden: das Familienvermögen zu bewahren, um es an mich weitergeben zu können. Meine Pflicht hingegen besteht darin, meine Zeit in lasterhaftem Müßiggang zu verbringen und auf seinen Tod zu warten. Ich habe meine Aufgabe vorzüglich erfüllt, der Herzog seine bedauerlicherweise nicht. Er hat das Familienvermögen verprasst, ist derzeit unverzeihlich arm und, was noch schlimmer ist, gesund.«
»Mein Vater ist reich«, sagte Evangeline sachlich. »Und liegt im Sterben.«
»Glückwunsch.« Sebastian musterte sie aufmerksam. Er bezweifelte nicht, dass Ivo Jenner ein beträchtliches Vermögen aus dem Spielclub besaß. Das Jenner’s war ein Ort, an dem Londoner Gentlemen Glücksspiele, gutes Essen, starke Getränke und billige Huren genossen. Es herrschte eine extravagante Atmosphäre mit einem angenehmen Hauch von Schäbigkeit. Noch zwanzig Jahre zuvor war das Jenner’s eine zweitklassige Alternative zum legendären Craven’s gewesen, dem größten und erfolgreichsten Spielclub, den England je gekannt hatte.
Doch als das Craven’s abbrannte und sein Besitzer sich weigerte, es wieder aufzubauen, hatte Jenners Club mangels Konkurrenz eine Reihe wohlhabender Stammgäste geerbt und war bald berühmt geworden. Nicht, dass es sich jemals mit dem Craven’s hätte vergleichen können. Ein Club war vor allem ein Abbild des Charakters und Stils seines Besitzers, und beides fehlte Jenner vollkommen. Derek Craven war unbestreitbar ein vollendeter Unterhalter gewesen. Ivo Jenner dagegen war ein grobschlächtiger Rohling, ein ehemaliger Boxer, der nie etwas Besonderes geleistet hatte, aber durch eine wundersame Laune des Schicksals ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden war.
Und hier stand Jenners Tochter, sein einziges Kind. Wenn sie vorhatte, Sebastian das Angebot zu machen, das er vermutete, konnte er es sich schwerlich leisten abzulehnen.
»Ich will Ihre G… Glückwünsche nicht«, erwiderte Evangeline auf seine Bemerkung hin.
»Was wollen Sie dann, Kindchen?«, fragte Sebastian leise. »Kommen Sie zur Sache, wenn Sie so freundlich wären. Das hier wird allmählich ermüdend.«
»Ich möchte die letzten Tage meines Vaters bei ihm verbringen. Die Familie meiner Mutter erlaubt mir nicht, ihn zu sehen. Ich habe versucht, wegzulaufen und ihn in seinem Club zu besuchen, aber sie haben mich jedes Mal erwischt und bestraft. Dieses Mal werde ich nicht zu ihnen zurückkehren. Sie haben Pläne, die ich zu verhindern gedenke – und wenn es mich mein Leben kostet.«
»Und diese Pläne sind?«, fragte Sebastian träge.
»Sie wollen mich zwingen, einen meiner Cousins zu heiraten. Mr Eustace Stubbins. Er interessiert sich nicht für mich und ich mich n… nicht für ihn … aber er fungiert als willige Figur im Spiel der Familie.«
»Und dieses Spiel heißt, nach seinem Tod die Kontrolle über das Vermögen Ihres Vaters zu erlangen?«
»Ja. Zuerst erwog ich diese Möglichkeit, weil ich dachte, dass Mr Stubbins und ich unser eigenes Haus haben könnten … und ich dachte … das Leben wäre v… vielleicht erträglich, wenn ich weit weg von den anderen leben könnte. Aber Mr Stubbins hat mir mitgeteilt, dass er n …nicht die Absicht habe, irgendwohin zu ziehen. Er will unter dem Dach der Familie bleiben … und ich glaube nicht, dass ich dort noch lange überleben kann.« Angesichts seines scheinbar teilnahmslosen Schweigens fügte sie leise hinzu: »Ich glaube, sie wollen m… mich umbringen, nachdem sie das Geld meines Vaters bekommen haben.«
Sebastians Blick wich nicht von ihrem Gesicht, während er in beiläufigem Tonfall antwortete: »Wie leichtfertig von ihnen. Warum sollte mich das interessieren?«
Evangeline ging nicht auf seine Provokation ein, sondern bedachte ihn mit einem festen Blick, der von einer angeborenen Zähigkeit zeugte, der Sebastian noch nie bei einer Frau begegnet war. »Ich biete Ihnen an, Sie zu ehelichen«, sagte sie. »Ich möchte Ihren Schutz. Mein Vater ist zu krank und zu schwach, um mir zu helfen, und meinen Freundinnen will ich nicht zur Last fallen. Sie würden mich gewiss aufnehmen, aber selbst dann müsste ich stets auf der Hut sein, weil ich befürchte, dass meine Verwandten es bewerkstelligen könnten, mich zu entführen und mir ihren Willen aufzuzwingen. Eine unverheiratete Frau findet kaum irgendwo Zuflucht, weder gesellschaftlich noch rechtlich. Das ist nicht f… fair … aber ich kann es mir nicht leisten, gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich brauche einen E …Ehemann. Sie brauchen eine wohlhabende Frau. Da wir beide gleichermaßen verzweifelt sind, gehe ich davon aus, dass Sie auf meinen V… Vorschlag eingehen werden. Wenn dem so ist, würde ich gern noch heute Abend nach Gretna Green aufbrechen. Auf der Stelle. Denn ich bin sicher, dass meine Verwandten bereits nach mir suchen.«
Bleierne Stille lag über dem Raum, während Sebastian sie mit skeptischem Blick taxierte. Er traute ihr nicht. Und nach dem Debakel der vereitelten Entführung letzte Woche hatte er nicht den Wunsch, diese Erfahrung zu wiederholen.
Dennoch hatte sie in einem Punkt recht: Sebastian war tatsächlich verzweifelt. Wie eine Vielzahl von Gläubigern bestätigen würde, war er ein Mann, der sich gern gut kleidete, gut aß und gut lebte. Die ohnehin knauserige, monatliche Apanage, die er vom Herzog erhielt, sollte bald ganz gestrichen werden, und das Geld auf seinem Konto reichte nicht einmal mehr, um diesen Monat über die Runden zu kommen. Für einen Mann, der nichts dagegen hatte, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, war dieses Angebot ein Geschenk des Himmels. Falls sie wirklich bereit war, es durchzuziehen.
»Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul«, antwortete Sebastian beiläufig, »aber wie kurz vor dem Dahinscheiden ist Ihr Vater? Manche Menschen verbringen jahrelang auf dem Sterbebett. Ich finde, es zeugt von schlechtem Stil, die Leute warten zu lassen.«
»Sie werden nicht lange warten müssen«, antwortete sie spröde. »Mir wurde gesagt gesagt, dass er möglicherweise keine vierzehn Tage mehr leben wird.«
»Welche Garantie habe ich, dass Sie Ihre Meinung nicht ändern, bevor wir Gretna Green erreichen? Sie wissen, was für ein Mann ich bin, Miss Jenner. Muss ich Sie daran erinnern, dass ich letzte Woche versucht habe, eine Ihrer Freundinnen zu entführen und zu vergewaltigen?«
Evangelines Blick sprang zu seinem. Im Gegensatz zu seinen blassblauen Augen waren ihre von einem dunklen Saphirblau. »Haben Sie versucht, Lillian zu vergewaltigen?«, fragte sie mit fester Stimme.
»Ich habe es ihr angedroht.«
»Hätten Sie Ihre Drohung wahr gemacht?«
»Das weiß ich nicht. Ich habe so etwas noch nie getan, aber wie Sie schon sagten, ich bin verzweifelt. Und da wir gerade beim Thema sind … schlagen Sie eine Vernunftehe vor, oder sollen wir gelegentlich miteinander schlafen?«
Evangeline ging über die Frage hinweg und beharrte: »Hätten Sie sich ihr aufgedrängt oder nicht?«
Sebastian warf ihr einen unverhohlen spöttischen Blick zu. »Selbst wenn ich die Frage verneine, Miss Jenner, woher wollen Sie wissen, ob ich nicht lüge? Aber nein, ich hätte sie nicht vergewaltigt. Ist das die Antwort, die Sie hören wollen? Glauben Sie es, wenn Sie sich dadurch sicherer fühlen. Und nun zu meiner Frage …«
»Ich werde nur einmal mit Ihnen schlafen«, sagte sie, »um die Ehe zu vollziehen. Danach nie wieder.«
»Wunderbar«, murmelte er. »Ich schlafe selten mehr als einmal mit einer Frau. Sex ist stinklangweilig, wenn der Reiz des Neuen vorbei ist. Außerdem wäre ich nie so spießig, meine eigene Frau zu begehren. Das impliziert, dass man nicht über die Mittel verfügt, sich eine Mätresse zu halten. Natürlich geht es auch darum, mir einen Erben zu schenken … aber solange Sie diskret vorgehen, ist es mir egal, wessen Kind es ist.«
Sie blinzelte nicht einmal. »Ich möchte, dass ein T… Teil des Erbes für mich in einem Treuhandfonds angelegt wird. Ein großzügiger Teil. Die Zinsen gehören mir allein, und ich werde das Geld verwenden, wie ich es für richtig halte – ohne Ihnen gegenüber Rechenschaft abzulegen.«
Sebastian begriff, dass sie keineswegs dumm war, auch wenn das Stottern viele Menschen täuschte. Sie war es gewohnt, unterschätzt, ignoriert und übersehen zu werden … und er ahnte, dass sie das wann immer möglich zu ihrem Vorteil nutzte. Das weckte seine Neugier.
»Ich wäre ein Narr, Ihnen zu vertrauen«, sagte er. »Sie könnten jeden Moment von unserer Vereinbarung zurücktreten. Und Sie wären eine noch größere Närrin, wenn Sie mir vertrauten. Denn wenn wir erst einmal verheiratet sind, kann ich Ihnen viel übler mitspielen, als die Familie Ihrer Mutter es sich je hätte träumen lassen.«
»Es ist mir l… lieber, wenn das jemand tut, den ich mir selbst ausgesucht habe«, konterte sie grimmig. »Besser Sie als Eustace.«
Sebastian grinste. »Das spricht nicht gerade für Eustace.«
Sie erwiderte sein Lächeln nicht, sondern sank nur ein wenig in ihrem Sessel zusammen, als fiele eine große Anspannung von ihr ab. Sie sah ihn mit verbissener Resignation an, ihre Blicke bohrten sich ineinander, und Sebastian durchfuhr ein Stromschlag von Kopf bis zu den Zehen.
Es war nicht neu für ihn, dass eine Frau ihn schnell erregte. Er hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass er sinnlicher reagierte als die meisten anderen Männer. Manche Frauen entfachten Feuer in ihm und erweckten seine Wollust in einem ungewöhnlichen Maße zum Leben. Aus irgendeinem Grund war dieses linkische, stotternde Mädchen eine von ihnen. Er wollte mit ihr schlafen.
Aus seiner Fantasie tauchten schwüle Visionen auf – von ihrem Körper, ihren Gliedmaßen und Kurven, der Haut, die er noch nicht gesehen hatte, von der Wölbung ihres Gesäßes, das er mit den Händen umfasste. Er ersehnte ihren Duft in seiner Nase und auf seiner Haut, wollte ihr langes Haar auf seinem Hals und seiner Brust spüren. Er wollte unaussprechliche Dinge mit ihrem Mund tun und mit seinem eigenen.
»Dann ist es entschieden«, murmelte er. »Ich nehme Ihren Antrag an. Es gibt natürlich noch etliches zu besprechen, aber wir haben ja auch zwei Tage Zeit, bis wir Gretna Green erreichen.« Er erhob sich aus dem Sessel und streckte sich, und als er bemerkte, wie ihr Blick über seinen Körper glitt, lächelte er lasziv. »Ich lasse die Kutsche anspannen und befehle meinem Kammerdiener, für mich zu packen. Wir brechen innerhalb der nächsten Stunde auf. Übrigens, wenn Sie auf der Fahrt von unserer Vereinbarung zurücktreten, werde ich Sie erwürgen.«
Sie warf ihm einen sarkastischen Blick zu. »Das betreffend würden Sie sich nicht so große Sorgen machen, hätten Sie nicht letzte Woche ein unw… williges Opfer entführt.«
»Touché. Dann dürfen wir Sie als williges Opfer bezeichnen?«
»Als ungeduldiges Opfer«, korrigierte Evangeline ihn kurz und sah aus, als wollte sie sofort aufbrechen.
»Die sind mir die liebsten«, bemerkte er und verbeugte sich höflich, bevor er die Bibliothek verließ.
Als Lord St. Vincent den Raum verließ, stieß Evie einen zittrigen Seufzer aus und schloss die Augen. St. Vincent brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass sie ihre Meinung änderte. Jetzt, da sie sich mit ihm geeinigt hatte, war sie hundertmal mehr darauf erpicht, die Reise anzutreten, als er. Das Wissen, dass Onkel Brook und Onkel Peregrine höchstwahrscheinlich gerade in diesem Moment nach ihr suchten, erfüllte sie mit Angst.
Als sie gegen Ende des Sommers aus dem Haus geflohen war, war sie sie am Eingang zum Club ihres Vaters erwischt worden. Auf der Kutschfahrt nach Hause hatte Onkel Peregrine sie derart verprügelt, dass sie eine gesprungene Lippe und ein blaues Auge gehabt hatte und ihr Rücken und ihre Arme von blauen Flecken übersät gewesen waren. Es folgten zwei Wochen, in denen man sie auf ihrem Zimmer eingesperrt und ihr nur Wasser und Brot durch die Tür geschoben hatte. Niemand, nicht einmal ihre Freundinnen Annabelle, Lillian und Daisy, kannte das ganze Ausmaß dessen, was sie durchlitten hatte. Das Leben im Maybrick-Haushalt war ein Albtraum gewesen. Die Maybricks, die Familie ihrer Mutter, und die Stubbinses – die Schwester ihrer Mutter, Florence, und deren Mann, Peregrine – hatten sich zusammengetan, um Evies Willen zu brechen. Sie waren verärgert und fragten sich, warum sich das als so schwierig erwies. Evie war nicht weniger verwirrt als sie. Sie hätte nie gedacht, dass sie harte Bestrafungen, Gleichgültigkeit und sogar Hass ertragen könnte, ohne zusammenzubrechen. Vielleicht hatte sie mehr von ihrem Vater in sich als vermutet. Ivo Jenner war ein knallharter Kämpfer gewesen, und das Geheimnis seines Erfolges innerhalb und außerhalb des Boxrings war nicht Talent, sondern Hartnäckigkeit. Offenbar hatte sie diese Hartnäckigkeit geerbt.
Evie wollte ihren Vater sehen. Sie sehnte sich so sehr danach, dass es sie körperlich schmerzte. Sie glaubte, er sei der einzige Mensch auf der Welt, dem sie etwas bedeutete. Seine Liebe war zwar nachlässig, aber sie war mehr, als sie je von jemand anderem bekommen hatte. Sie verstand, warum er sie vor langer Zeit bei den Maybricks zurückgelassen hatte, nachdem ihre Mutter bei der Geburt gestorben war. Ein Spielclub war kein Ort, um ein Kind aufzuziehen. Und obwohl die Maybricks nicht zum Adel gehörten, waren sie von gutem Blut. Evie fragte sich unwillkürlich, ob ihr Vater auch so entschieden hätte, wenn er gewusst hätte, wie man sie dort behandelte. Wenn er geahnt hätte, dass sich der Zorn der Familie über die Rebellion ihrer jüngsten Tochter gegen ein hilfloses Kind richtete … aber es war müßig, jetzt noch darüber nachzugrübeln.
Ihre Mutter war tot, und ihr Vater lag im Sterben, und es gab Dinge, die Evie ihn fragen musste, bevor er verschied. Ihre beste Chance, den Fängen der Maybricks zu entkommen, war der unausstehliche Aristokrat, den sie gerade zu heiraten eingewilligt hatte.
Sie war erstaunt, dass es ihr gelungen war, sich so gut mit St. Vincent zu verständigen, der mit seiner goldenen Schönheit, den kalten eisblauen Augen und einem Mund, der für Küsse und Lügen gemacht zu sein schien, mehr als nur ein wenig einschüchternd wirkte. Er sah aus wie ein gefallener Engel, ausgestattet mit all der gefährlichen, männlichen Schönheit, die Luzifer sich ausdenken konnte. Zudem war er selbstsüchtig und skrupellos, was er bei dem Versuch bewiesen hatte, die Verlobte seines besten Freundes zu entführen. Aber Evie war klar geworden, dass ein solcher Mann ein angemessener Gegner für die Maybricks war.
Natürlich würde St. Vincent ein schrecklicher Ehemann sein. Doch solange Evie sich keinen Illusionen über ihn hingab, störte sie das nicht. Da sie sich nichts aus ihm machte, konnte sie vor seinen Fehltritten die Augen verschließen, und seine Beleidigungen trafen auf taube Ohren.
Ihre Ehe würde sich stark von denen ihrer Freundinnen unterscheiden. Bei dem Gedanken an die Mauerblümchen drohten ihr plötzlich die Tränen zu kommen. Es gab keine Möglichkeit, dass Annabelle, Daisy oder Lillian – insbesondere Lillian – mit Evie befreundet bleiben würden, wenn sie erst einmal St. Vincent geheiratet hatte. Sie blinzelte die aufkommenden Tränen fort und schluckte gegen den stechenden Schmerz in ihrer Kehle an. Es hatte keinen Sinn zu weinen. Auch wenn dies keine optimale Lösung für ihr Dilemma war, so war es doch die beste, die ihr einfiel.
Wenn sie sich den Zorn ihrer Tanten und Onkel vorstellte, sobald sie erfuhren, dass sie – und ihr Vermögen – für immer ihrem Zugriff entzogen waren, spürte Evie, wie ihr Kummer ein wenig nachließ. Ihr war jedes Opfer recht, wenn sie nicht für den Rest ihres Lebens unter deren Knute leben musste. Und auch dafür, nicht in eine Ehe mit dem armen, feigen Eustace gezwungen zu werden, der sich in exzessives Essen und Trinken flüchtete, bis er fast zu beleibt war, um noch durch die Tür seines eigenen Zimmers zu passen. Obwohl er seine Eltern beinahe so sehr hasste wie Evie, würde Eustace es niemals wagen, sich ihnen zu widersetzen.
Ironischerweise war es Eustace gewesen, der Evie an diesem Abend endgültig zur Flucht getrieben hatte. Am Nachmittag war er mit einem Verlobungsring zu ihr gekommen, einem Goldring mit einem Jadestein. »Hier«, hatte er ein wenig verlegen gesagt. »Mutter sagte, den soll ich dir geben. Wenn du ihn nicht beim Dinner trägst, bekommst du nichts zu essen. Das Aufgebot wird nächste Woche bekannt gegeben, hat sie gesagt.«
Der Antrag war nicht unerwartet gekommen. Nachdem es in drei Saisons nicht gelungen war, einen aristokratischen Ehemann für Evie zu finden, war die Familie schließlich zu dem Schluss gekommen, dass sie durch Evie keine gesellschaftlichen Vorteile zu erwarten hatte. Und da sie bald an ihr Vermögen kommen würde, hatten sie einen Plan ausgeheckt, um sich ihres Erbes zu bemächtigen, indem sie sie mit einem ihrer Cousins verheiraten wollten.
Als Evie Eustaces Worte hörte, war zu ihrem eigenen Erstaunen eine derartige Wut in ihr aufgestiegen, dass sie scharlachrot angelaufen war. Eustace hatte bei diesem Anblick gelacht. »Meine Güte«, hatte er gesagt, »du siehst vielleicht aus, wenn du rot wirst! Dann wirkt dein Haar richtig orange.«
Evie hatte sich eine bissige Antwort verkniffen, sich beruhigt und sich auf die Worte konzentriert, die in ihrem Gehirn umherwirbelten wie Laub in einer Windböe. Nachdem sie sich mühsam gesammelt hatte, schaffte sie es, ohne zu stottern zu fragen: »Cousin Eustace … wenn ich zustimme, dich zu heiraten … würdest du dich jemals gegen deine Eltern stellen? Würdest du mir erlauben, meinen Vater zu besuchen und mich um ihn zu kümmern?«
Das Lächeln auf Eustaces Gesicht war erloschen, und seine feisten Wangen hingen schlaff herab, als er in ihre ernsten blauen Augen geblickt hatte. Dann wandte er den Blick ab und antwortete ausweichend: »Sie wären nicht so streng mit dir, Cousine, wenn du nicht so eine sture Maus wärst.«
Evie verlor die Geduld und spürte, wie das Stottern sie übermannte. »Du würdest mein V… Vermögen nehmen und nichts für mich tun …«
»Wozu brauchst du ein Vermögen?«, hatte er verächtlich gefragt. »Du bist ein schüchternes Geschöpf, das von einer Ecke in die andere huscht … du brauchst keine schönen Kleider oder Schmuck … du taugst nicht zur Konversation. Du bist nicht reizvoll genug, um mit dir zu schlafen, und du besitzt keinerlei Fähigkeiten. Du solltest dankbar sein, dass ich bereit bin, dich zu heiraten, aber du bist noch zu dumm, um das zu erkennen!«
»I… i… i… i…« Die Verzweiflung hatte sie sprachlos gemacht. Sie fand keine Worte, um sich zu verteidigen, konnte nur die Hände ringen, ihn böse anstarren und nach Luft schnappen.
»Was für eine Närrin du bist!«, stieß Eustace ungeduldig hervor. In einem Wutanfall schleuderte er den Ring auf den Boden, wobei sein fleischiger Arm heftig wabbelte. Der Ring hüpfte und rollte außer Sichtweite unter das Sofa. »Da, jetzt ist er weg. Und das ist deine Schuld, weil du mich aufregst. Du solltest ihn besser suchen, sonst musst du hungern. Ich werde Mutter sagen, dass ich meinen Teil erledigt und ihn dir gegeben habe.«
Evie hatte auf das Abendessen verzichtet, und statt nach dem verlorenen Ring zu suchen, hatte sie fieberhaft eine kleine Reisetasche gepackt. Sie war durch das Fenster im ersten Stock geflohen, eine Regenrinne hinuntergerutscht und dann über den Hof geeilt. Durch einen glücklichen Zufall hatte sie eine freie Mietdroschke anhalten können, als sie gerade aus dem Tor kam.
Das war wahrscheinlich das letzte Mal gewesen, dass sie Eustace gesehen hatte, dachte Evie mit mürrischer Zufriedenheit. Man sah ihn nicht oft in der Gesellschaft. Je dicker er wurde, desto mehr hielt er sich in Maybrick House auf. Wie auch immer die Dinge sich entwickelten, sie würde es nie bereuen, dem Schicksal entgangen zu sein, seine Frau zu werden. Es war zweifelhaft, dass Eustace jemals auch nur versucht hätte, sie zu beschlafen … er schien nicht über eine ausreichende Menge dessen zu verfügen, was man im Allgemeinen als »animalischen Geist« bezeichnete. Seine Leidenschaft konzentrierte sich ausschließlich auf Speisen und Wein.
Lord St. Vincent hingegen hatte zu viele Frauen verführt und kompromittiert, als dass man sie hätte zählen können. Viele Frauen schienen das anziehend zu finden, Evie gehörte nicht dazu. Allerdings würde niemand daran zweifeln, dass ihre Ehe gründlich vollzogen worden war.
Bei diesem Gedanken zog sich ihr Magen nervös zusammen. In ihren Träumen hatte sie sich vorgestellt, einen freundlichen und einfühlsamen Mann zu heiraten, der vielleicht ein wenig jungenhaft war. Er würde sie nie wegen ihres Stotterns verspotten, wäre liebevoll und sanft zu ihr.
Sebastian, Lord St. Vincent, war das komplette Gegenteil von ihrem Traumliebhaber. Er hatte nichts Liebenswürdiges, Sensibles oder auch nur im Entferntesten Jungenhaftes an sich. Er war ein Raubtier, das zweifelsohne gern mit seiner Beute spielte, bevor es sie tötete. Evie starrte auf den leeren Sessel, in dem er gesessen hatte, und dachte daran, wie St. Vincent im Feuerschein ausgesehen hatte. Er war groß und schlank, schlichte, elegante Kleidung kam an seinem Körper wunderbar zur Geltung und lenkte nicht von seiner rotblonden Schönheit ab. Sein Haar, das antike Gold einer mittelalterlichen Ikone, war dicht und leicht gelockt, mit hellen bernsteinfarbenen Strähnen. Seine blassblauen Augen funkelten wie seltene Diamanten an der Halskette einer alten Kaiserin. Es waren schöne Augen, die jedoch nicht einmal Emotionen zeigten, wenn er lächelte. Das Lächeln selbst genügte, um einem den Atem zu rauben … der sinnliche, zynische Mund, die blitzenden weißen Zähne … Oh, St. Vincent war ein blendend aussehender Mann. Und das wusste er genau.
Merkwürdigerweise hatte Evie keine Angst vor ihm. St. Vincent war viel zu klug, um zu körperlicher Gewalt zu greifen, wenn er jemanden mit einem Minimum an Aufwand mit ein paar gut gewählten Worten scharf kritisieren konnte. Was Evie viel mehr fürchtete, war die einfältige Brutalität von Onkel Peregrine, ganz zu schweigen von den bösartigen Händen von Tante Florence, die mit Vorliebe brennende Ohrfeigen und schmerzhafte Kniffe verteilte.
Nie wieder, schwor sich Evie und strich abwesend über die Flecken auf ihrem Kleid, auf dem der Dreck aus dem Abflussrohr schwarze Schlieren hinterlassen hatte. Sie war versucht, das saubere Kleid anzuziehen, das sich in ihrer Reisetasche befand, die sie in der Eingangshalle zurückgelassen hatte. Durch die Strapazen der Reise würde es jedoch bald so staubig und zerknittert sein, dass es sinnlos war, sich jetzt umzuziehen.
Ein Geräusch an der Tür ließ sie aufblicken. Dort stand ein rundliches Hausmädchen, das sie ziemlich schüchtern fragte, ob sie sich in einem der Gästezimmer frisch machen wolle. Bedauernd stellte sie fest, dass das Mädchen an die Anwesenheit einer unbegleiteten Lady im Haus offenbar gewöhnt zu sein schien, und ließ sich von ihr in ein kleines Zimmer im Obergeschoss führen. Das Zimmer war wie die anderen Teile des Hauses, die sie bisher gesehen hatte, hübsch eingerichtet und gut gepflegt. Eine helle Tapete mit handgemalten chinesischen Vögeln und Pagoden schmückte die Wände. Zu Evies Freude befand sich in einem angrenzenden Vestibül ein Waschbecken mit einem Hahn mit fließendem Wasser, die Griffe in der Form von Delphinen. Und in der Nähe gab es einen Schrank mit einem Wasserklosett.
Nachdem sie ihre privaten Bedürfnisse erledigt hatte, ging Evie zum Waschbecken, um sich Hände und Gesicht zu waschen, und trank durstig aus einem silbernen Becher. Sie ging ins Schlafzimmer, um nach einem Kamm oder einer Bürste zu suchen. Da sie nichts fand, strich sie mit den Händen über ihr üppiges, hochgestecktes Haar.
Es war kein Geräusch zu hören, nichts, was die Anwesenheit eines anderen Menschen verriet, dennoch spürte Evie plötzlich ein Kribbeln. Als sie sich erschrocken umdrehte, stand St. Vincent in entspannter Haltung hinter ihr im Raum und beobachtete sie mit leicht schief gelegtem Kopf. Ein seltsames Gefühl durchströmte sie, eine sanfte Wärme, wie Licht, das durch Wasser fällt, und plötzlich fühlte sie sich schwach. Sie bemerkte, dass sie sehr müde war. Der Gedanke an alles, was ihre bevorstand … die Reise nach Schottland, die überstürzte Hochzeit, der anschließende Vollzug … erschöpfte sie. Sie straffte die Schultern und tat einen Schritt nach vorn, doch sogleich explodierte ein Funkenregen vor ihren Augen, und sie hielt schwankend inne.
Evie schüttelte den Kopf, um ihren Blick zu klären, und wurde sich bewusst, dass St. Vincent neben ihr stand und ihre Ellbogen umfasste. Sie war ihm noch nie so nah gewesen … Ihre Sinne nahmen seinen Geruch wahr … ein dezenter Hauch von teurem Eau de Cologne und sauberer Haut, die von feinem Leinen und Wollstoff bedeckt war. Er strahlte Gesundheit und Männlichkeit aus. Zutiefst verunsichert blinzelte Evie in sein Gesicht, das sich weit höher über ihrem befand als erwartet. Es überraschte sie, wie groß er war – seine wahre Größe war kaum einzuschätzen, bis sie ihm ganz nah war.
»Wann haben Sie das letzte Mal etwas gegessen?«, fragte er.
»Gestern m… morgen … glaube ich …«
Er hob eine goldblonde Braue. »Sagen Sie nicht, dass Ihre Familie Sie hungern lässt?« Als sie nickte, richtete er den Blick himmelwärts. »Das wird ja von Minute zu Minute rührseliger. Ich trage der Köchin auf, uns einen Korb mit belegten Broten zu packen. Nehmen Sie meinen Arm. Ich helfe Ihnen die Treppe hinunter.«
»Ich brauche keine Hilfe, danke …«
»Nehmen Sie meinen Arm«, wiederholte er liebenswürdig, auch wenn in seiner Stimme Eisen mitschwang. »Ich lasse nicht zu, dass Sie fallen und sich das Genick brechen, bevor wir die Kutsche erreichen. Verfügbare Erbinnen sind schwer aufzutreiben. Es würde mir verdammt schwerfallen, Sie zu ersetzen.«
Evie sagte sich, dass sie noch erschöpfter gewesen sein musste, als sie gedacht hatte, denn als sie gemeinsam zur Treppe gingen, war sie froh über seine Unterstützung. Irgendwann legte St. Vincent seinen Arm um ihren Rücken, nahm ihre freie Hand und führte sie vorsichtig die restlichen Stufen hinunter. Auf seinen Knöcheln schimmerten dunkel ein paar blaue Flecken, die an die Prügelei mit Lord Westcliff erinnerten. Bei dem Gedanken daran, wie es diesem verwöhnten Aristokraten in einer körperlichen Auseinandersetzung mit ihrem stämmigen Onkel Peregrine ergehen würde, fröstelte Evie, und sie wünschte, sie wären bereits in Gretna Green angelangt.
St. Vincent spürte ihr Zittern und verstärkte den Griff um sie, als sie die letzte Stufe erreichten. »Ist Ihnen kalt«, fragte er, »oder sind es die Nerven?«
»Ich w… will nur weg aus London«, antwortete sie, »bevor meine Verwandten mich aufspüren.«
»Gibt es einen Grund, aus dem Ihre Familie vermuten könnte, dass Sie zu mir gekommen sind?«
»Oh, n… nein«, erwiderte sie rasch. »Niemand würde glauben, dass ich derart wahnsinnig sein könnte.«
Wäre ihr nicht schon etwas schwummrig gewesen, hätte sein strahlendes Grinsen sie gewiss schwindeln lassen. »Gut, dass meine Eitelkeit so ausgeprägt ist. Sonst hätten Sie sie jetzt ruiniert.«
»Ich bin sicher, Sie haben schon g… genug Frauen, die Ihrer Eitelkeit schmeicheln. Sie brauchen nicht noch eine.«
»Ich brauche immer noch mehr, Herzchen. Das ist mein Problem.«
Er führte sie zurück in die Bibliothek, wo sie noch ein paar Minuten vor dem Kamin sitzen blieb. Gerade als sie in dem Sessel zu dösen begann, kam St. Vincent zurück, um sie nach draußen zu bringen. Taumelnd begleitete sie ihn zu einer schwarzlackierten, glänzenden Kutsche, die vor dem Haus wartete, und St. Vincent half ihr geschickt beim Einsteigen. Die üppigen cremefarbenen Samtpolster im Inneren waren äußerst unpraktisch, aber prächtig und leuchteten im sanften Licht einer kleinen Kutschenlampe. Evie verspürte ein ungewohntes Wohlgefühl, als sie sich auf einem mit Seidenfransen gesäumten Kissen zurücklehnte. Die Familie ihrer Mutter hatte strenge Vorstellungen, was der gute Geschmack erlaubte, und misstraute allem, was nach Überfluss roch. Bei St. Vincent, so vermutete sie, war Überfluss alltäglich, vor allem, wenn es um körperliche Bequemlichkeit ging.
Ein Korb aus dünnen, geflochtenen Lederstreifen stand auf dem Boden. Als Evie ihn zaghaft durchsuchte, fand sie mehrere in Servietten eingewickelte dicke Scheiben Buttermilchbrot, die mit dünnen Fleisch- und Käsescheiben belegt waren. Bei dem Duft des geräucherten Fleisches spürte sie plötzlich überwältigenden Hunger und verschlang zwei Brote derart gierig, dass sie sich fast verschluckt hätte.
Dann stieg St. Vincent in die Kutsche und ließ sich gebückt mit seinem großen, schlanken Körper auf die gegenüberliegende Sitzbank sinken. Als er sah, wie Evie gerade die letzten Krümel eines Brotes verzehrte, lächelte er schwach. »Fühlen Sie sich besser?«
»Ja, danke.«
St. Vincent öffnete die Tür eines Fachs, das geschickt in die Innenwand der Kutsche eingelassen war, und holte ein kleines Kristallglas und eine Flasche Weißwein heraus, die ein Diener dort platziert hatte. Er füllte das Glas und reichte es ihr. Nach einem ersten vorsichtigen Schluck des süßen, eiskalten Weins trank Evie durstig. Junge Ladys durften nur selten vollmundigen Wein trinken … meist war er stark verdünnt. Sie leerte das Glas und hatte kaum Zeit, sich einen weiteren Schluck zu wünschen, als es auch schon aufgefüllt wurde. Mit einem leichten Ruck setzte sich die Kutsche in Bewegung, und Evies Zähne stießen leise klirrend an den Rand des Glases, während das Gefährt über die Straße holperte. Aus Angst, sie könnte den Wein auf dem cremefarbenen Samtpolster verschütten, nahm sie einen großen Schluck und hörte das leise Lachen von St. Vincent.
»Trinken Sie langsam, Schätzchen. Wir haben eine lange Fahrt vor uns.« Er lehnte sich in die Kissen zurück und sah aus wie ein träger Pascha aus einem der anzüglichen Romane, die Daisy Bowman so liebte. »Sagen Sie mir, was hätten Sie getan, wenn ich nicht auf Ihren Vorschlag eingegangen wäre? An wen hätten Sie sich gewandt?«
»Vermutlich an A… Annabelle und Mr Hunt.« Zu Lillian und Lord Westcliff zu fliehen war keine Option, denn sie befanden sich in ihren einmonatigen Flitterwochen. Und die Bowmans zu fragen wäre sinnlos. Selbst wenn Daisy sich leidenschaftlich für sie eingesetzt hätte, hätten ihre Eltern nichts mit der problematischen Situation zu tun haben wollen.
»Und warum war das nicht Ihre erste Wahl?«
Evie runzelte die Stirn. »Es wäre für die Hunts schwierig, wenn nicht gar unmöglich, meine Onkel davon abzuhalten, mich zurückzuholen. Als Ihre Frau fühle ich mich erheblich s… sicherer denn als Hausgast bei jemand anderem.« Der Wein bereitete ihr einen angenehmen Schwindel, und sie sank tiefer in ihren Sitz.
St. Vincent betrachtete sie nachdenklich und beugte sich dann hinunter, um ihr die Schuhe auszuziehen. »Ohne die haben Sie es bequemer«, sagte er. »Um Gottes willen, scheuen Sie sich nicht. Ich werde Sie nicht in der Kutsche belästigen.« Er löste die Schuhbänder und fuhr in seidigem Tonfall fort: »Und selbst wenn ich dazu neigte, wäre das auch nicht weiter schlimm, denn wir werden ja bald heiraten.« Er grinste, als sie ihren bestrumpften Fuß hastig zurückzog, und griff nach dem anderen.
Evie erlaubte ihm, ihr den anderen Schuh auszuziehen, und zwang sich, sich zu entspannen, auch wenn die Berührung seiner Finger an ihrem Knöchel ein seltsam heißes Kribbeln in ihr auslöste. »Sie sollten die Schnüre Ihres Korsetts lockern«, riet er ihr. »Das macht die Reise angenehmer.«
»Ich trage kein K… Korsett.« Sie schaffte es nicht, ihm bei diesen Worten in die Augen zu sehen.
»Nicht? Mein Gott!« Sein sachkundiger Blick glitt abschätzend über sie. »Was für ein wohlproportioniertes loses Frauenzimmer Sie doch sind.«
»Diese Bezeichnung gefällt mir ganz und gar nicht.«
»Loses Frauenzimmer? Verzeihen Sie … Macht der Gewohnheit. Ich behandle Ladys immer wie lose Frauenzimmer, und lose Frauenzimmer wie Ladys.«
»Und dieser Ansatz zahlt sich für Sie aus?«, erkundigte sich Evie skeptisch.
»Oh ja«, antwortete er mit einer so fröhlichen Arroganz, dass sie unwillkürlich lächeln musste.
»Sie sind ein f… furchtbarer Mann.«
»Das stimmt. Aber es ist eine Tatsache, dass furchtbare Menschen in der Regel mehr bekommen, als sie verdienen. Wohingegen nette Menschen wie Sie …« Er deutete auf Evie und ihre Umgebung, als ob ihre derzeitige Situation ein perfektes Beispiel wäre.
»Vielleicht bin ich gar nicht so n… n…nett, wie Sie denken.«
»Das kann man nur hoffen.« Nachdenklich kniff er die hellen, glitzernden Augen zusammen. Evie bemerkte, dass seine Wimpern, die für einen Mann unanständig lang waren, einige Nuancen dunkler waren als sein Haar. Trotz seiner Größe und seines breitschultrigen Körperbaus hatte er etwas Katzenhaftes an sich … er wirkte wie ein träger, aber möglicherweise tödlicher Tiger. »Woran ist Ihr Vater erkrankt?«, fragte er. »Ich habe Gerüchte gehört, aber nichts Gesichertes.«
»Er leidet unter Schwindsucht«, murmelte Evie. »Sie wurde vor sechs Monaten diagnostiziert – seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Das ist die längste Zeit, die ich ihn nicht gesehen habe. Früher haben mir die Maybricks immer erlaubt, ihn im Club zu besuchen, weil sie nichts Schlimmes darin sahen. Doch letztes Jahr beschloss Tante Florence, dass meine Chancen, einen Ehemann zu finden, durch meine Beziehung zu meinem Vater beeinträchtigt würden und ich mich deshalb von ihm distanzieren sollte. Sie wollen, dass ich so tue, als existierte er nicht.«
»Wie überraschend«, erwiderte er süffisant und schlug die Beine übereinander. »Warum die plötzliche Leidenschaft, an seinem Sterbebett zu verweilen? Wollen Sie sich Ihren Platz in seinem Testament sichern?«
Evie ignorierte den boshaften Unterton, der in seiner Frage mitschwang, dachte über ihre Antwort nach und erwiderte kühl: »Als ich ein kleines Mädchen war, durfte ich ihn oft besuchen. Wir standen uns nahe. Er war und ist der einzige Mann, der je etwas für mich empfunden hat. Ich liebe ihn. Und ich will nicht, dass er allein stirbt. Sie k… können mich gern dafür verspotten, wenn es Ihnen Spaß macht. Das ist mir gleich. Ihre Meinung bedeutet mir nichts.«
»Ganz ruhig, Herzchen.« In seiner Stimme lag ein Hauch von Belustigung. »Ich sehe Anzeichen eines Temperaments, das Sie zweifellos von Ihrem Herrn Vater geerbt haben. Seine Augen blitzen genauso, wenn sich seine Federn wegen irgendeiner Bagatelle sträuben.«
»Sie kennen meinen Vater?«, fragte sie überrascht.
»Natürlich. Alle hedonistischen Männer waren schon im Jenner’s, um sich auf die eine oder andere Art stimulieren zu lassen. Ihr Vater ist ein anständiger Kerl, obwohl er so ausgeglichen ist wie eine Zunderbüchse. Ich kann mir die Frage nicht verkneifen, wie in Gottes Namen eine Maybrick einen Cockney heiraten konnte?«
»Ich denke, dass meine Mutter ihn unter anderem als einen Weg betrachtet hat, auf dem sie ihrer Familie entkommen konnte.«
»Genau wie in unserem Fall«, bemerkte St. Vincent beiläufig. »Darin liegt eine gewisse Symmetrie, finden Sie nicht?«
»Ich h… hoffe, die Symmetrie endet hier«, antwortete Evie. »Denn ich wurde kurz nach ihrer Hochzeit gezeugt, und meine Mutter starb bei der Geburt.«
»Ich werde Sie nicht schwängern, wenn Sie es nicht wünschen«, versprach er freundlich. »Es ist einfach genug, eine Schwangerschaft zu vermeiden … Kondome, Schwämme, Spülungen, ganz zu schweigen von den raffinierten kleinen Silberamuletten, die man …« Bei ihrem Gesichtsausdruck hielt er plötzlich inne und lachte. »Mein Gott, Ihre Augen sind groß wie Untertassen. Habe ich Sie etwa erschreckt? Sagen Sie nicht, dass Sie von Ihren verheirateten Freundinnen noch nie von diesen Dingen gehört haben.«
Evie schüttelte langsam den Kopf. Obwohl Annabelle Hunt gelegentlich bereit gewesen war, sie über einige Geheimnisse der ehelichen Beziehung aufzuklären, hatte sie nie irgendwelche Vorrichtungen zur Verhinderung einer Schwangerschaft erwähnt. »Ich bezweifle, dass eine von ihnen jemals davon gehört hat«, sagte sie, und er lachte erneut.
»Ich bin gern bereit, Sie aufzuklären, wenn wir endlich in Schottland sind.« Seine Lippen verzogen sich zu dem Lächeln, das die Bowman-Schwestern einst so charmant gefunden hatten … das berechnende Glitzern in seinen Augen jedoch war ihnen wohl entgangen. »Liebchen, haben Sie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass Sie den Vollzug unserer Ehe so sehr genießen könnten, dass Sie ihn mehr als einmal erleben wollen?«
Wie leicht ihm Kosenamen über die Lippen zu kommen schienen. »Nein«, sagte Evie entschieden. »Das werde ich gewiss nicht.«
»Mmm …« Ein Geräusch, fast wie das Schnurren einer Katze, drang aus seiner Kehle. »Ich mag Herausforderungen.«
»Es k… könnte mir Spaß machen, mit Ihnen ins Bett zu gehen«, sagte Evie und starrte ihn unverwandt an, obwohl dieser lange Blickkontakt sie vor Unbehagen erröten ließ. »Ich hoffe, dass ich Spaß haben werde. Aber das wird nichts an meiner Entscheidung ändern. Denn ich weiß, was Sie sind – und ich weiß, wozu Sie fähig sind.«
»Herzchen …«, erwiderte er fast zärtlich, »meine schlimmsten Seiten haben Sie noch gar nicht kennengelernt.«
Für Evie, der schon die zwölfstündige Kutschfahrt von Westcliffs Anwesen in Hampshire letzte Woche nicht bekommen war, bedeutete die achtundvierzigstündige Reise nach Schottland eine einzige Qual. Wäre ihr Tempo etwas gemäßigter, wäre die Fahrt wesentlich leichter zu ertragen gewesen. Auf Evies Drängen hin fuhren sie jedoch nach Gretna Green durch und hielten nur alle drei Stunden an, um Fahrer und Kutschpferde zu wechseln. Evie befürchtete, dass ihre Verwandten herausgefunden haben könnten, was sie vorhatte, und ihr dicht auf den Fersen waren. Und in Anbetracht des Ausgangs von St. Vincents Kampf mit Lord Westcliff hegte Evie wenig Hoffnung, dass er in einer körperlichen Auseinandersetzung gegen ihren Onkel Peregrine gewinnen könnte.
Obwohl die Kutsche gut gefedert und ausgestattet war, rüttelte und schwankte das Gefährt bei dieser unerbittlichen Geschwindigkeit derart stark, dass Evie ein Gefühl der Übelkeit beschlich. Sie war erschöpft und fand keine bequeme Position, in der sie schlafen konnte. Ständig schlug ihr Kopf gegen die Kutschwand. Immer wenn es ihr gelang einzunicken, schien es nur wenige Minuten zu dauern, bis sie wieder geweckt wurde.
St. Vincent erging es offensichtlich weniger übel als Evie, obwohl auch er zerknittert und von der Reise mitgenommen aussah. Ihre Versuche, Konversation zu treiben, waren schon lange verkümmert, und sie fuhren gemeinsam in stoischer Ruhe. Erstaunlicherweise äußerte St. Vincent kein Wort des Protestes über diese grauenvolle Übung in Ausdauer. Evie erkannte, dass er Schottland ebenso dringend wie sie erreichen wollte. Sein Interesse, so schnell wie möglich legal mit ihr verheiratet zu sein, schien beinahe noch größer als ihres.
Immer weiter und weiter … die Kutsche holperte über die unebene Straße und schleuderte Evie manchmal fast vom Sitz auf den Boden. Der Wechsel zwischen unruhigem Dösen und erzwungenem Aufwachen setzte sich fort. Jedes Mal, wenn sich die Wagentür öffnete und St. Vincent hinaussprang, um für ein frisches Gespann zu sorgen, wehte ein eiskalter Luftzug in das Fahrzeug. Kalt, steif und mit schmerzenden Knochen kauerte Evie in der Ecke.
Auf die Nacht folgte ein Tag mit eiskalten Temperaturen und Nieselregen, der Evies Mantel durchnässte, als St. Vincent sie über den Hof eines Gasthauses führte. Er geleitete Evie in ein Privatzimmer, wo sie eine lauwarme Schüssel Suppe aß und den Nachttopf benutzte, während er sich um einen weiteren Wechsel der Pferde und des Kutschers kümmerte. Der Anblick des Bettes machte Evie fast krank vor Sehnsucht. Aber an Schlaf konnte sie später denken, nachdem sie Gretna Green erreicht und sich endgültig dem Zugriff ihrer Familie entzogen hatte.
Alles in allem dauerte der Aufenthalt weniger als eine halbe Stunde. Als Evie in die Kutsche zurückkehrte, versuchte sie, ihre nassen Schuhe wieder auszuziehen, ohne die Samtpolster mit Schlamm zu beschmieren. St. Vincent stieg hinter ihr ein und beugte sich hinunter, um ihr zu helfen. Während er ihr die Schuhe aufband und sie von ihren verkrampften Füßen zog, nahm Evie ihm wortlos den regennassen Hut vom Kopf und warf ihn auf den gegenüberliegenden Sitz. Sein Haar sah dicht und weich aus, die Strähnen enthielten alle Schattierungen zwischen Bernstein und Champagner.
St. Vincent setzte sich neben sie, betrachtete ihr verkniffenes Gesicht und streckte die Hand aus, um ihre kühle Wange zu berühren. »Ich muss Ihnen ein Kompliment machen«, murmelte er. »Jede andere Frau würde jetzt heulend lamentieren und sich beschweren.«
»Ich k… kann mich kaum beschweren«, sagte Evie und zitterte heftig, »da ich diejenige bin, die darum gebeten hat, ohne Zwischenstopp nach Schottland durchzufahren.«
»Wir haben die Hälfte geschafft. Noch eine Nacht und ein Tag, dann sind wir morgen Abend verheiratet.« Seine Lippen zuckten in der Andeutung eines Lächelns. »Zweifellos gab es noch nie eine Braut, die sich mehr auf das Ehebett gefreut hat als Sie.«
Evies zitternde Lippen verzogen sich ebenfalls zu einem Lächeln, als sie seine Andeutung verstand – dass sie sich nach Schlaf sehnte, nicht nach einem Liebesspiel. Während sie aus dieser Nähe in sein Gesicht blickte, fragte sie sich unwillkürlich, wie er trotz Müdigkeit und Schatten unter den Augen so anziehend aussehen konnte. Vielleicht lag es daran, dass er jetzt menschlich wirkte und nicht mehr wie ein schöner, aber herzloser, römischer Gott. Ein Großteil seines aristokratischen Hochmuts war verschwunden, würde aber zweifellos später wieder zutage treten, wenn er vollständig ausgeruht war. Im Moment war er jedoch entspannt und zugänglich. Es schien, als hätte sich auf dieser höllischen Reise ein zartes Band zwischen ihnen geknüpft.
Der Moment wurde durch ein Klopfen am Kutschschlag unterbrochen. St. Vincent öffnete, und davor stand ein durchnässtes Zimmermädchen im Regen. »Bitte sehr, Mylord«, sagte sie und lugte unter der Kapuze ihres triefenden Mantels hervor, während sie ihm zwei Gegenstände reichte. »Ein heißer Becher und ein Ziegelstein, wie Sie verlangt haben.«
St. Vincent zog eine Münze aus seiner Weste und drückte sie ihr in die Hand. Sie strahlte ihn an, bevor sie zurück in den Schutz des Gasthauses eilte. Evie blinzelte überrascht, als St. Vincent ihr einen zinnglasierten Steingutbecher reichte, der mit einer dampfenden Flüssigkeit gefüllt war. »Was ist das?«
»Etwas, das Sie von innen wärmt.« Er hob einen Ziegelstein in die Höhe, der von grauem Flanell umwickelt war. »Und das ist für Ihre Füße. Legen Sie Ihre Beine auf den Sitz.«
Unter anderen Umständen hätte Evie sich vielleicht dagegen gewehrt, dass er ihre Beine so beiläufig anfasste. Doch als er ihre Röcke zurechtrückte und den heißen Ziegelstein zu ihren Füßen legte, wehrte sie sich nicht. »Ohhhh …« Sie erschauerte vor Behaglichkeit, als die köstliche Wärme ihre gefrorenen Zehen umfing. »Oh … n …nichts hat sich je so gut angefühlt …«
»Das sagen mir die Frauen ständig«, erwiderte er mit einem Lächeln in der Stimme. »Hier, lehnen Sie sich an mich.«
Evie gehorchte und lag halb auf ihm, während er seine Arme um sie legte. Seine Brust war fest und muskulös, bot jedoch ein perfektes Polster für ihren Hinterkopf. Sie setzte den Steingutbecher an die Lippen und nahm einen zaghaften Schluck von dem heißen Getränk. Es war eine Art Schnaps, mit Wasser gemischt und mit Zucker und Zitrone abgeschmeckt. Der Trank durchflutete ihren Körper mit Wärme, und ein langer, zufriedener Seufzer entrang sich ihr. Die Kutsche schlingerte los, doch St. Vincent passte seinen Griff sofort an und hielt sie bequem an seine Brust geschmiegt. Evie begriff kaum, wie sich die Hölle so plötzlich in den Himmel verwandeln konnte.
Noch nie war sie einem Mann so nah gewesen, und es schien furchtbar falsch, es zu genießen. Andererseits müsste sie schon bewusstlos sein, um es nicht zu tun. Die Natur hatte ein unverschämtes Maß an männlicher Schönheit an dieses unwürdige Geschöpf verschwendet. Und noch besser: Er war unglaublich warm. Sie kämpfte gegen den Drang an, sich noch enger an ihn zu schmiegen. Seine Kleidung war aus erlesenen Stoffen gefertigt; ein Mantel aus feiner Wolle, eine Weste aus schwerer Seide, ein Hemd aus weich fließendem Leinen. Der Geruch von Stärke und teurem Eau de Cologne vermischte sich mit dem salzig-sauberen Duft seiner Haut.
Da sie befürchtete, dass er sie loslassen würde, nachdem sie den Becher geleert hatte, versuchte Evie, ihn so lange wie möglich zu genießen. Zu ihrem Bedauern leerte sie schließlich auch die letzten süßen Tropfen vom Boden des Bechers. St. Vincent nahm ihr das irdene Gefäß ab und stellte es auf den Boden. Zutiefst erleichtert spürte Evie, wie er sich mit ihr in den Armen erneut zurücklehnte. Sie hörte, wie er über ihrem Kopf gähnte. »Schlafen Sie«, murmelte er. »Sie haben drei Stunden Zeit bis zum nächsten Pferdewechsel.«
Evie drückte ihre Zehen fester gegen den heißen Ziegelstein, drehte sich halb um, schmiegte sich noch enger an St. Vincent und ließ sich in die einladenden Tiefen des Schlummers sinken.
Der Rest der Reise wurde zu einem schemenhaften Ablauf aus Bewegung, Müdigkeit und rüdem Erwachen. Mit zunehmender Erschöpfung wurde Evie immer abhängiger von St. Vincent. Bei jeder neuen Etappe brachte er ihr einen Becher Tee oder Brühe und wärmte den Ziegelstein an jeder verfügbaren Feuerstelle auf. Er fand sogar irgendwo eine Steppdecke und riet Evie trocken, nicht zu fragen, woher er sie hatte. In der Überzeugung, dass sie ohne ihn schon längst erfroren wäre, verlor Evie schnell alle Bedenken, sich an ihn zu schmiegen, sobald er in der Kutsche saß. »Ich m… mache keine Annäherungsversuche«, erklärte sie ihm, während sie sich an seine Brust kuschelte. »Sie sind nur eine verfügbare W …Wärmequelle.«
»Das behaupten Sie«, erwiderte St. Vincent träge und zog die Bettdecke noch fester um sie beide. »Aber in der letzten Viertelstunde haben Sie Teile meiner Anatomie liebkost, die noch nie jemand zu berühren gewagt hat.«
»Das b… bezweifle ich sehr.« Sie grub sich noch tiefer in seinen Mantel und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Sie wurden wahrscheinlich schon öfter angefasst als ein Tragekorb bei Fortnum und Mason.«
»Aber ich bin zu einem viel günstigeren Preis zu haben.« Plötzlich zuckte er zusammen und schob sie auf seinem Schoß zurecht. »Legen Sie Ihr Knie bitte nicht dorthin, Schätzchen, oder Ihre Pläne, die Ehe in Schottland zu vollziehen, könnten plötzlich über den Haufen geworfen werden.«
Sie döste bis zum nächsten Halt, und gerade als sie in einen tiefen Schlaf verfiel, rüttelte St. Vincent sie sanft wach. »Evangeline«, murmelte er und strich ihr das wirre Haar zurück. »Wachen Sie auf. Wir haben die nächste Station erreicht. Zeit, für ein paar Minuten hineinzugehen.«
»Ich will nicht«, murmelte sie und stieß ihn gereizt von sich.
»Sie müssen aber«, beharrte er sanft. »Anschließend haben wir noch eine lange Strecke vor uns. Sie müssen jetzt die Örtlichkeiten aufsuchen, denn es wird für eine Weile die letzte Gelegenheit sein.«
Evie wollte gerade protestieren, dass sie keine Örtlichkeit benötigte, als sie merkte, dass das nicht stimmte. Der Gedanke, aufzustehen und wieder in den eiskalten grauen Regen hinauszugehen, trieb ihr fast die Tränen in die Augen. Sie bückte sich, zerrte an ihren klammen, verdreckten Schuhen und fummelte kläglich an den Schnürsenkeln herum. St. Vincent schob ihre Hände weg, band ihr die Schuhe zu und half ihr aus der Kutsche. Evie biss die Zähne zusammen, als ein bitterer Windstoß sie erfasste. Draußen war es verflucht kalt. Nachdem er die Kapuze ihres Mantels weiter über ihr Gesicht gezogen hatte, legte St. Vincent einen stützenden Arm um ihre Schultern und half ihr über den Hof des Gasthauses. »Glauben Sie mir«, sagte er, »Sie verbringen lieber ein paar Minuten hier, als dass Sie später am Straßenrand anhalten müssen. Nach allem, was ich über Frauen und ihre untere Anatomie weiß …«
»Ich kenne mich mit meiner Anatomie bestens aus«, unterbrach Evie gereizt. »Sie brauchen sie mir nicht zu erklären.«
»Natürlich. Verzeihen Sie mir, wenn ich zu viel rede … ich versuche nur, mich wach zu halten. Und Sie übrigens auch.«
Evie hielt sich an seiner schlanken Taille fest, stapfte durch den eisigen Schlamm und lenkte sich mit Gedanken an Cousin Eustace ab und wie froh sie war, ihn nicht heiraten zu müssen. Sie würde nie wieder unter dem Dach der Maybricks leben müssen. Dieser Gedanke gab ihr Kraft. Sobald sie verheiratet war, hatten sie keine Macht mehr über sie. Guter Gott, es konnte gar nicht früh genug geschehen.
Nachdem er für die vorübergehende Nutzung eines Zimmers gesorgt hatte, nahm St. Vincent Evie bei den Schultern und musterte sie eingehend. »Sie sehen aus, als würden Sie gleich in Ohnmacht fallen«, sagte er offenherzig. »Schätzchen, es ist genug Zeit, um sich hier ein oder zwei Stunden auszuruhen. Warum gehen Sie nicht …?«
»Nein!«, unterbrach sie ihn entschlossen. »Ich will weiterfahren.«
St. Vincent betrachtete sie mit offensichtlichem Ärger, aber in seiner Frage schwang kein Groll mit. »Sind Sie immer so starrköpfig?« Er begleitete sie auf ihr Zimmer und erinnerte sie daran, die Tür abzuschließen, wenn er ging. »Versuchen Sie, nicht auf dem Nachttopf einzuschlafen«, riet er zuvorkommend.
Als sie zur Kutsche zurückkehrten, folgte Evie ihrem gewohnten Muster, zog ihre Schuhe aus und erlaubte St. Vincent, ihr den erhitzten Ziegelstein zu Füßen zu legen. Er platzierte sie zwischen seinen gespreizten Beinen und stützte sich mit einem bestrumpften Fuß in der Nähe des Ziegelsteins ab, während er den anderen gegen den Kutschschlag stemmte, um ihr Gleichgewicht zu wahren. Evies Herzschlag beschleunigte sich, und ein Kribbeln strömte durch ihren Körper, als St. Vincent eine ihrer Hände in seine nahm und mit ihren kalten Fingern zu spielen begann. Seine Hand war so warm, seine Fingerspitzen waren samtig, die Nägel kurz und glatt gefeilt. Eine starke Hand, aber dennoch eine, die zweifellos einem Müßiggänger gehörte.
St. Vincent verschränkte seine Finger leicht mit ihren, zeichnete mit dem Daumen einen kleinen Kreis in ihre Handfläche und ließ dann seine Finger nach oben gleiten, um sie an ihre zu legen. Obwohl er einen hellen Teint hatte, war seine Haut honigfarben, die Art, die die Sonne gut vertrug. Schließlich hörte St. Vincent auf zu spielen und umschloss ihre Finger mit seinen.
Das konnte doch nicht sie sein … das Mauerblümchen Evangeline Jenner … allein mit einem gefährlichen Frauenheld in einer Kutsche, die wie verrückt nach Gretna Green raste. Worauf habe ich mich da nur eingelassen, dachte sie benommen. Sie drehte ihren Kopf auf seiner Brust und schmiegte ihre Wange an das weiche Leinen seines Hemdes. »Wie ist Ihre Familie so?«, fragte sie schläfrig. »Haben Sie Brüder und Schwestern?«
Er strich einen Moment mit den Lippen durch ihre Locken, dann hob er den Mund, um zu antworten. »Es gibt nur noch meinen Vater und mich. Ich habe keine Erinnerungen an meine Mutter – sie starb an Cholera, als ich noch ein Kind war. Ich hatte vier ältere Schwestern. Da ich der Jüngste war und der einzige Junge, wurde ich über alle Maßen verwöhnt. Aber noch als Kind verlor ich drei meiner Schwestern durch Scharlach. Ich erinnere mich, dass ich auf unseren Landsitz geschickt wurde, als sie erkrankten, und als ich zurückkam, waren sie fort. Die eine, die übrig blieb – meine älteste Schwester –, heiratete, aber wie Ihre Mutter starb sie im Kindbett. Das Kind hat ebenfalls nicht überlebt.«
Während dieser sachlichen Schilderung verhielt sich Evie ganz still und zwang sich, sich weiter entspannt an ihn zu schmiegen. Aber in ihrem Inneren regte sich Mitleid für den kleinen Jungen, der er gewesen war. Eine Mutter und vier liebevolle Schwestern, die alle aus seinem Leben verschwunden waren. Es wäre für jeden Erwachsenen schwierig, einen solchen Verlust zu verarbeiten, geschweige denn für ein Kind. »Fragen Sie sich manchmal, wie Ihr Leben verlaufen wäre«, hörte sie sich fragen, »wenn Sie eine Mutter gehabt hätten?«
»Nein.«
»Ich schon. Ich frage mich oft, welchen Rat sie mir gegeben hätte.«
»Da Ihre Mutter am Ende einen Draufgänger wie Ivo Jenner geheiratet hat«, antwortete St. Vincent süffisant, »hätte ich nicht allzu viel auf ihren Rat gegeben.« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Wie haben sie sich kennengelernt? Es kommt nicht oft vor, dass ein sanftmütiges, vornehmes Mädchen auf einen von Jenners Sorte trifft.«