Die weiße Sklavin - Rene  Daalder - kostenlos E-Book

Die weiße Sklavin E-Book

Rene Daalder

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Beschreibung

Das 1967/68 von Regisseur Rene Daalder und Architekturstudent Rem Koolhaas verfasste Drehbuch zu Daalders 1969 erschienenem Film De blanke slavin (Die weiße Sklavin) ist ein von B-Movies und Luis Buñuel inspiriertes Spiegelkabinett camper Klischees und deren Verkehrung. Einige Jahre nach dem Eichmann-Prozess sucht Günther Unrat in den Niederlanden nach “guten Deutschen”, die gegen die Nazi-Besatzung Widerstand geleistet haben. Schon bald gerät er an eine schändliche Organisation, die ihn anspornt, in die Fußstapfen Albert Schweitzers, des „guten Deutschen“ schlechthin, zu treten und ein Trainingscamp für junge holländische Frauen einzurichten, die glauben, dort für ihre Arbeit als Krankenschwestern in Afrika ausgebildet zu werden. Verblendet vom Idealismus, ist er unfähig zu sehen, dass seine zwielichtigen Partner planen, sie als Sex-Sklavinnen zu verkaufen. Das Drehbuch entwickelt sich rasch zu einem absurden Moralstück, das alle Vorstellungen politischer Korrektheit, damals wie heute, herausfordert. Es wurde von Annette Wunschel aus dem Niederländischen übersetzt, Rene Daalders Vorwort über die Entstehungsgeschichte des Films aus dem Englischen.

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Seitenzahl: 144

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Impressum

Erstveröffentlichung

Fiktion, Berlin 2016

www.fiktion.cc

ISBN 978 3 95988 033 6

Projektleitung

Mathias Gatza, Ingo Niermann (Programm)

Henriette Gallus (Kommunikation)

Julia Stoff (Organisation)

Titel der Originalausgabe

De Blanke Slavin

Übersetzung aus dem Niederländischen

Annette Wunschel

Lektorat

Mathias Gatza

Korrektorat

Rainer Wieland

Lektorat der englischen Fassung

Carel Struycken

Alexander Scrimgeour

Design Identity

Vela Arbutina

Programmierung

Maxwell Simmer (Version House)

Das Copyright für den Text liegt bei den Autoren.

Fiktion wird getragen von Fiktion e.V., entwickelt in

Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt und

gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

Fiktion e.V., c/o Mathias Gatza, Sredzkistrasse 57,

D-10405 Berlin

Vorstand

Inhalt

Rene Daalder

Vorwort: Ein Heer von Florence Nightingales

Rene Daalder und Rem Koolhaas

Rene Daalder VORWORT: EIN HEER VON FLORENCE NIGHTINGALES

Jeder in der Filmindustrie weiß, dass Filmprofis es hassen, Drehbücher zu lesen. Selbst in Hollywood, wo das „Script“ als das A und O der Branche gilt, sind die meisten Offiziellen auffällig abgeneigt, ein Drehbuch wirklich zu lesen; lieber flüchten sie sich in die Aufforderung an den Autor, er solle den ersten Akt überarbeiten (das kann man über jede Fassung jedes Drehbuchs seit Vom Winde verweht genauso sagen). Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass ein Studiomanager Zeit fände, um Anfang, Mitte oder Ende der obligatorischen drei Akte eines Drehbuchs zur Kenntnis zu nehmen, ist es trotzdem tief im Erfahrungswissen der meisten Drehbuchautoren verankert, dass die Vertreter der Branche nur die Dialoge überfliegen und die eher beschreibenden Teile mit ihrer „Langatmigkeit“ überspringen.

Nun werden Sie sich vielleicht fragen: Wenn schon die Leute, die letztendlich Filme machen, eine derart ausgeprägte Abneigung gegen das Drehbuchlesen haben, weshalb sollte man dann das Drehbuch für einen Film lesen –geschweige denn es verlegen –, der 1969 herausgekommen ist, und noch dazu in einem kleinen Land ohne nennenswerte Filmkultur, in dem sich anscheinend auch nie etwas Dramatisches ereignet, außer die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs?

Und noch etwas: Obwohl Die weiße Sklavin damals der teuerste je in den Niederlanden gedrehte Streifen war, war er an den Kinokassen ein Flop. Wahr ist aber auch, dass er quasi Kultstatus erlangt hat, was zum Teil der Nähe seiner jugendlichen Autoren zur Comic-Kultur und den subversiven Ideen des deutschen Philosophen Oswald Spengler geschuldet war. In seinem Buch Der Untergang des Abendlandes hatte er 1918-22 ein Geschichtsmodell postuliert, in dem jeder „Kultur-Organismus“ eine begrenzte und vorhersehbare Lebensdauer (von etwa 1000 Jahren) besaß; uns erschien das damals als ein wichtiges Leitmotiv für den Plot der Weißen Sklavin. Aber wer waren diese jungen Cineasten, die in die Lage versetzt wurden, solche kopflastigen Ideen im ersten vermeintlich kommerziellen Spielfilm ihrer Heimat umzusetzen?

Nun, ich war selbst einer davon, und mein Kompagnon war der zukünftige Architekt Rem Koolhaas – zwei frühreife Schulabbrecher, die ein unheimliches Gespür für den Zeitgeist teilten und dazu den dringenden Wunsch, die Welt entsprechend neu zu erfinden. Unsere erste Begegnung mit der Zukunft hatten Rem und ich dann 1958 auf der Weltausstellung in Brüssel, die wir ohne uns zu kennen beide als Teenager besuchten. Rem wurde von seinem Großvater begleitet, dem Architekten Dirk Roosenburg, ich selbst reiste mit meinem idealistisch denkenden Vater, dessen Interesse an der Expo utopischen Charakter hatte, in einem Citröen 2 CV an.

Für mich wurden Corbusiers und Iannis Xenakis‘ Philips-Pavillon der Anstoß zu einer lebenslangen Beschäftigung mit digitalen Technologien, elektronischer Musik und virtuellen Wirklichkeiten, während der Einfluss der unmöglich ineinander verschränkten Formen des Gebäudes auf Rem vermutlich bis in den architektonischen Spagat reicht, der in seiner Gestaltung der Zentrale des chinesischen Staatsfernsehens in Peking zu besichtigen ist – nicht zu reden von der nachhaltigen Wirkung des Schweizer Architekten auf Rems kreative Praxis und sein starkes Interesse für Medien und bildende Kunst und in späteren Jahren für die wissenschaftliche Publikationen der Denkfabrik AMO des OMA (Office for Metropolitan Architecture).

Aber es sollten noch ein paar Jahre vergehen, ehe Rem und ich uns als Schüler des weiterführenden Montessori Gymnasiums in Amsterdam begegneten, wo wir enge Freunde wurden und später gemeinsame Drehbücher für verschiedene Filmprojekte in Europa und den Vereinigten Staaten verfassten. Von Anfang an war klar, dass wir beide uns längerfristig eine andere Bühne suchen würden als den spießigen Provinzialismus im Nachkriegsholland. Also hatte unser biederer Griechischlehrer mit seiner abfällig gemeinten Bemerkung recht: Wir wollten wirklich nicht weniger als „zum Mond reisen“. Schließlich hatte Russland gerade seinen Sputnik in den Weltraum geschossen, und das amerikanische Apollo-Programm stand kurz davor, die ersten Menschen auf den Mond bringen. Unser Lehrer konnte allerdings kaum ahnen, dass wir unsere Schulbildung bald ganz an den Nagel hängen und vom Gymnasium abgehen würden, um die wirkliche Welt zu erkunden!

Wenig später setzten wir unsere liberalen Elternhäuser über diesen radikalen Plan in Kenntnis und verkündeten, dass wir Amsterdam, das ja oft das „Venedig des Nordens“ genannt wird, verlassen wollten, um ihr Gegenstück in Italien zu besuchen. Nebenbei beschlossen wir eine vergleichende Studie über die unterschiedlichen Fortbewegungsmittel im Europa der Nachkriegszeit durchzuführen, bei der Rem den Trans-Europ-Express-Zug nehmen würde und ich mich auf die Freundlichkeit von Fremden verlassen und mich per Anhalter durch Hitlers Nachkriegs-Autobahnennetz schlagen sollte, in der Hosentasche Jack Kerouacs On the Road, das den kulturellen Bezug zu einem ähnlichen Schnellstraßennetz in den USA herstellte. Ich meine mich zu erinnern, dass auch Rem eins seiner Lieblingsbücher eingesteckt hatte, den Roman Hadrian the Seventh von dem schwulen britischen Autor Frederick Rolfe alias Baron Corvo, der die fiktive Geschichte einer Wunscherfüllung erzählt: Sein Protagonist, der als Gondoliere in Venedig ein bescheidenes Dasein fristet, erfährt eines Tages, dass er zum nächsten Papst bestimmt wurde.

Wenige Tage auf der Straße und viele Abenteuer später erreichte ich Venedig, drei Stunden vor dem TEE-Zug und gerade rechtzeitig, um Rem, der mit der Eleganz eines europäischen Gesandten in wichtiger Mission dem Zug entstieg, auf dem Bahnsteig zu begrüßen. Die Ankunft am Bahnhof Santa Lucia war spektakulär, denn bei wenigen Erfahrungen in der westlichen Welt stellt sich ein solches Hochgefühl ein wie in dem Moment, in dem der Reisende Terraferma verlässt, um eine Gondel zu besteigen und über den Canal Grande zu gleiten – nicht unähnlich, stelle ich mir vor, dem Gefühl vorübergehender Schwerelosigkeit bei einem Astronauten, der zum ersten Mal den Fuß auf einen anderen Planeten setzt. Ich erinnere mich, dass Rems umfassende Kenntnis der Stadt den Eindruck vermittelte, er sei bereits dort gewesen. Er erteilte mir eine Grand Tour durch die Stadt, die im Schatten des Markusdoms endete, wo der Geist der Gottheit durch die schieren architektonischen Dimensionen der Kathedrale beschworen und durch die theatralen Effekte ihrer überwältigenden Ikonografie und anderer akustischer und visueller Bühneneffekte verstärkt wird.

Zwar sagen viele Architekten, das Kino interessiere sie sehr; aber nur wenige waren mit der zentralen Aussetzung der Ungläubigkeit des Mediums so vertraut wie Rem, ob er nun die Gegenwart Gottes in den großen Kathedralen der Welt bestaunte, den Schauder der Anti-Schwerkraft-Themenparks von Coney Island studierte oder die Gesetze der Baukunst in Filmbüchern wie S,M,L,XL (1995) umschrieb.

Wenn ich zurückdenke, verschwimmen Manhattans hupende gelbe Taxis, die durch die dunklen Straßenschluchten von New York City gleiten, mit dem lärmenden Stoßverkehr der Wassertaxis auf dem Canal Grande, die eine ähnlich berauschende Erfahrung opernhafter Grandezza evozieren. Da ich extensiv an der Schnittstelle von Musik und Film gearbeitet habe, hatte ich oft Gelegenheit, das in Rems Buch Delirious New York enthaltene Kinopotenzial zu bewundern, das eine entsprechende Bearbeitung für den Broadway zur Entfaltung hätte bringen können – besonders in den 1980er-Jahren, als Manhattan am Boden lag und dringend eine effektivere Werbekampagne nötig hatte als die „I Love New York“-Logos, die Tausende T-Shirts und Kaffeetassen schmückten. Schon allein der exzentrische Titel Delirious New York hätte als Slogan viel besser funktioniert und die Stadt im literarischen Handstreich vorangebracht.

Aber greifen wir nicht vor. Seinerzeit in Venedig hätten solche melancholischen Überlegungen über das Kinopotenzial dieser Stadtvisionen Rem allenfalls schmerzlich daran erinnert, dass seine mögliche Karriere als Architekt wegen seines fehlenden Abschlusszeugnisses auf der Kippe stand – Anlass für ihn, nach kurzem Aufenthalt heimzureisen und sich den Folgen seines Schulabbruchs zu stellen. (Damals konnte er ja nicht ahnen, dass Venedig ihn ein paar Jahrzehnte später mit allem Pomp begrüßen würde, von dem Baron Corvo geträumt hatte – als er nämlich für das „päpstliche“ Amt des Leiters der Biennale des Jahres 2014 in Venedig ausgewählt wurde.)

Als Rem nach Holland zurückkehrte, blieb ich noch ein paar Tage länger und schlug mein Zelt auf der Insel Lido auf, um die Filmfestspiele von Venedig zu besuchen. Das Schicksal wollte es, dass Luis Buñuel der Ehrengast war. Er zeigte sein Meisterwerk Belle de jour (1967), dessen Hauptdarstellerin zufällig eine von Rems Lieblingsschauspielerinnen war: Catherine Deneuve, die eine Frau spielt, deren Leben an einen Wendepunkt kommt, als sie ein exklusives Pariser Bordell entdeckt, in dem Hausfrauen der bürgerlichen Mittelschicht wie sie selbst an den Nachmittagen „arbeiten“.

Während ich mich in Venedig aufhielt, hatte Rem eine Volontärstelle im Kulturteil der Wochenzeitschrift Haagsche Post ergattert. In dieser Eigenschaft praktizierte er bald seine eigene Form von „New Journalism“, die von der amerikanischen Berichterstattung in der Ich-Form und von fiktionalen Techniken geprägt war, die Journalisten eine eher literarische, soziologische oder sogar psychoanalytische Herangehensweise erlaubten. Autoren wie Norman Mailer und Tom Wolfe jonglierten äußerst effektiv mit Fakten und Fiktionen, so wie Rem selbst in einem frühen Interview mit Federico Fellini, in dem der italienische Maestro partout nicht mit Rem reden wollte und es dem jungen Journalisten überließ, sich ein eigenes Bild zu machen. Das hieß, dass er Fellini durch die schrulligen Figuren in seiner Entourage porträtierte, ähnlich wie Fellini seine eigenen Zirkusgarderobenszenen schrieb.

Wieder zurück in unserer verregneten Heimat war auch ich gezwungen, mich mit meinem verpassten Abschlusszeugnis auseinanderzusetzen. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich meine Bildungslücke am besten schließen konnte, wenn ich mich an Amsterdams frischgebackener Filmakademie bewarb, die damals auf engstem Raum in mehreren alten Häusern am Ufer der Grachten des Amsterdamer Rotlichtviertels untergebracht war. Mit der Unterstützung von Rems Vater, der Drehbuchschreiben unterrichtete und später zum Direktor der Akademie aufstieg, wurde ich mit offenen Armen aufgenommen. Anton Koolhaas war für sein literarisches Werk bekannt; seine Beziehung zum Film beschränkte sich auf Buch und gelegentlich Regie bei konventionellen Dokumentarfilmen, etwa über Hollands Kampf um Land, das dem Meer abgetrotzt werden musste, oder über die Versuche, die zerbombten Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs wiederaufzubauen. Die meisten Filmstudenten von damals versuchten dagegen, die französische „Nouvelle Vague“ zu imitieren, eine Bewegung, die Rem und ich wegen ihres seichten Intellektualismus ablehnten. Ein typisches Beispiel dafür war Jean Luc Godards Film Vivre sa vie mit Anna Karina als Möchtegern-Schauspielerin, die sich prostituiert, indem sie mit den Freiern, die sie in den Kneipen des Viertels abschleppt, um dadurch ihre Schauspielkarriere zu finanzieren, über Philosophie diskutiert; unter den Frauen, die bei der Filmakademie um die Ecke ihre Haut zu Markte trugen, „arbeitete“ keine mit dieser Strategie. (Rems Biographen können übrigens sagen, was sie wollen, er hat nie regulär an der Filmakademie studiert. Soweit ich mich erinnere, hat er das Gebäude kaum je betreten und missbilligte auch in der Regel den Filmgeschmack seines Vaters, aber die Verwaltung der Schule war ziemlich lax und achtete wenig auf das Kommen und Gehen der Studierenden oder auf das technische Equipment, das sie uns benutzen ließ.)

Unnötig zu erwähnen, dass Rem und ich der Versuchung nicht widerstanden, uns mit dem frankophilen Anteil unter den Studenten anzulegen. Dazu verfassten wir ein Anti-Autorenfilm-Manifest und trommelten ein paar Freunde von uns zusammen, um gemeinsam die Gruppe 1,2,3 enz. zu gründen, ein Filmemacherkollektiv, in dem alle irgendwann als Autoren, Regisseure, Kameramänner und Besetzung einer Serie von Kurzfilmen drankamen. Das Ganze gründete sich lose auf den Gedanken, dass klassische Hollywoodkinofilme völlig um die Persönlichkeiten der Stars kreisten, die in vielen Fällen als eigentliche Autoren ihrer Filme gelten konnten, wie Gene Kelly, Greta Garbo, Buster Keaton usw. Entsprechend ließe sich behaupten, dass die Praxis von 1,2,3 enz. ansatzweise an Andy Warhols Factory erinnerte (mit unserer eigenen Riege sogenannter „Andy Warhol Superstars“, die den Hollywoodglamour in Low-Budget- und häufig auch Camp-Versionen erstehen ließen).

Wie der Architekturkritiker und Essayist Bart Lootsma es im Filmmagazin Hunch von 1998 ausdrückte, verspottete „1,2,3 enz. alles, was in den 60er Jahren als ‚in‘ betrachtet wurde – insbesondere alles was persönlich, künstlerisch, idealistisch oder intellektuell daher kam“, wie beispielsweise das Programmkino oder die literarischen Ambitionen des französischen Autorenkinos.[1] Die Vorstellung, ein Film dürfe nur einen Autor haben, um als Kunst gelten zu können, stammte unserer Meinung nach aus dem 19. Jahrhundert. Stattdessen operierten wir wie eine Band und jeder machte jedes – Finanzierung, Casting, Besetzung ebenso wie Produktion und Vertrieb –, und das alles ohne die Subventionen, von denen andere niederländische Filmemacher abhingen. Unsere Filme entsprachen so wenig allem Gewohnten, dass sie bei den staatlichen Kulturausschüssen am laufenden Band durchfielen. In einer Episode, die wir für unsere erste Anthologie The 1,2,3 Rhapsody (1965) drehten, mit Rem in der Hauptrolle des Dieners einer Königin-Elisabeth-Doppelgängerin, überschritt er zum Beispiel die Grenzen seiner Rolle, indem er ein Perlenhalsband, das ihm „aus Versehen“ ins Dekolleté Ihrer Majestät gerutscht war, kurzerhand herausfischte. Anlass genug für die niederländische Zensur, künftige Vorführungen des „obszönen“ Kurzfilms zu verbieten, damit sich die Regierung in dem unwahrscheinlichen Fall, dass das britische Königshaus sich von unseren Jungenstreichen beleidigt fühlte, distanzieren könnte. Nach diesem umstrittenen Streifen folgte ein Kurzfilm, in dem ich eine Krankenschwester spielte, die nach der Arbeit von ihrem „Freund“ (gespielt von Rem) abgeholt wird; in einem weiteren Segment besetzte Jan de Bont die Rolle eines Fotomodells, das im Amsterdamer Vondelpark Herrenunterwäsche vorführt.

Ich arbeitete regelmäßig mit Jan als Kameramann zusammen. Er und ich rückten beide allmählich vom Drehen mit der Handkamera ab und konnten durch die Verwendung von Hollywoods ultramodernem Cinemascopeformat als Erste im Lande im Nu einen Minikassenschlager drehen, mit der von der Schule gestellten Ausrüstung. Unter Verwendung derselben anamorphotischen Projektionsverfahren drehten wir in der Folge mehrere flotte Low-Budget-Kurzfilme, die den Titel Body and Soul 1 & 2 (beide 1966) trugen. Ersterer war eine visuelle Hommage an einen der charismatischsten Bodybuilder von Amsterdam; er lässt darin seine stattlichen Muskeln vor unserer Breitbildkamera spielen, während er zugleich seine Hauptangst eingesteht, sein Körper könnte ihm eines Tages über den Kopf wachsen. Auf diesen Kurzfilm folgte ein längeren Film mit unserer Lieblingsschauspielerin Andrea Domburg in der Hauptrolle, der „Grande Dame“ des niederländischen Staatstheaters, die wir als heimisches Pendant zu Greta Garbo ansahen (und die später die Hauptrolle in Die weiße Sklavin spielte). Aufgrund dieser Filme, die in kurzer Zeit auf verschiedenen Festivals gezeigt wurden und mehrere Auszeichnungen erhielten, konnten wir uns erstmals um eine substanziellere niederländische Förderung bewerben, die uns die Entwicklung eines ersten Langfilms ermöglichte. Doch bald war klar, dass wir zur Verwirklichung unseres Vorhabens Ressourcen benötigten, die in Holland Mangelware waren, wie erfahrene Produzenten und international bekannte Stars sowie ein ausgereiftes Drehbuch in Spielfilmlänge!

Die niederländischen Produzenten, die wir ansprachen, waren leider wegen des Fehlens einer florierenden heimischen Filmindustrie in einer Weise besorgt, die sich in unserem kleinen, unsicheren Land, wo jeder ständig nach Präzedenzfällen und Bestätigung aus dem Ausland sucht, nicht leicht beheben ließ. So erschien uns ein international erfolgreiches Drehbuch, das mit nichts Ähnlichkeit hatte, was in Holland geschrieben wurde, als einziger Ausweg. Auf der Suche nach einem renommierten englischsprachigen Roman war ich auf Vladimir Nabokovs Roman The Real Life of Sebastian Knight (1941) gestoßen, der Rem und mir als Drehbuchneulingen alle Möglichkeiten bot, unsere Fähigkeiten in der „Charakterentwicklung“ zu üben, während wir zugleich Nabokovs Prosa in „pintereske“ Dialoge überführten. Wir bewunderten die bevorzugte Technik des britischen Dramatikers, seine Figuren unter ein Vergrößerungsglas zu legen, um das entstehen zu lassen, was treffend als „Komödien der Bedrohung“ bezeichnet wird.

Es war vorgesehen, dass ich Nabokov zu einem Drink an der Bar des Montreux Palace Hotel in der Schweiz treffen sollte, wo mir nach der langen Anreise von Amsterdam von einem Zwerg, der kaum über den Tresen sah, aber bezogen auf die aristokratische Persönlichkeit des russisch-amerikanischen Autors einen perfekten Diener abgab, Sherry serviert wurde. Den Sebastian Knight betreffend, sagte ich Nabokov, wie sehr ich seinen Einfall bewunderte, den Biografen des Protagonisten als Ausgangspunkt für eine Detektivgeschichte zu gebrauchen. Als ich ihn bat, uns eine Option auf die Drehbuchadaption einzuräumen, war er überraschenderweise sofort einverstanden und ließ durchblicken, dass er es schätzte, dass wir uns für unser niederländisches Drehbuchdebüt den ersten Roman ausgesucht hatten, den er auf Englisch geschrieben hatte. Vielleicht identifizierte er sich mit unserem Problem, seine Prosa zu dramatisieren, denn er hatte erst wenige Jahre zuvor mit dem Regisseur Stanley Kubrick zusammengearbeitet (an der Drehbuchfassung seines berühmtesten Buchs, mit Sue Lyon in der namengebenden Hauptrolle der leichtfertig-lasziven Kindfrau Lolita). Doch zu unserer Überraschung lehnte die niederländische Filmstiftung eine Förderung unserer geplanten filmischen Adaption des Sebastian Knight kurzerhand ab: Das Buch werde aufgrund seiner Internationalität den gesetzlichen Anforderungen an eine „niederländische“ Produktion nicht gerecht, befand sie und führte uns die ganze Engstirnigkeit der Niederlande, die sich damals außerhalb der internationalen Kultur bewegten, vor Augen. Dieses bürokratische Debakel brachte uns dazu, uns ein paar Tricks für unser Projekt bei dem einzigen niederländischen Romanschriftsteller abzuschauen, den wir ernsthaft bewunderten: Willem Frederik Hermans, dessen Werk bis heute noch nie erfolgreich in andere Sprachen oder Kulturen übersetzt wurde. In dem schon erwähnten Hunch-Artikel schrieb Lootsma: „Für Hermans, der als der wichtigste niederländische Autor der Nachkriegszeit gilt, ist die menschliche Existenz durch ein Gefühl der Unsicherheit bestimmt: ein chaotisches, ‚sadistisches Universum‘“, in dem „zwischen Freund und Feind nicht zu unterscheiden“[2]