Die weißen Schatten der Nacht - Sabine Klewe - E-Book
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Die weißen Schatten der Nacht E-Book

Sabine Klewe

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Beschreibung

Ein ermordetes Mädchen. Eine schockierende Entdeckung. Und zwei Ermittler, die mit ihrer eigenen Vergangenheit kämpfen.

Düsseldorf in der Vorweihnachtszeit. Die zehnjährige Antonia Bruckmann wird mit gebrochenem Genick zu Hause aufgefunden. Zahlreiche Hämatome und Abschürfungen sprechen gegen einen Unfall. Bei der Obduktion stellt sich obendrein heraus, dass das Mädchen nach seinem Tod missbraucht wurde. Die Kommissare Lydia Louis und Christopher Salomon stehen vor einem Rätsel: Ist Antonia das Zufallsopfer eines Perversen geworden, oder haben sie es mit einem Fall von häuslicher Gewalt zu tun? Ihre Ermittlungen führen Louis und Salomon zu der mysteriösen Leonie – und zu einer Wahrheit, die sie lieber nie herausgefunden hätten ...

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Seitenzahl: 428

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Buch

Düsseldorf in der Vorweihnachtszeit. Die zehnjährige Antonia Bruckmann wird mit gebrochenem Genick zu Hause aufgefunden. Zahlreiche Hämatome und Abschürfungen sprechen gegen einen Unfall. Bei der Obduktion stellt sich obendrein heraus, dass das Mädchen nach seinem Tod missbraucht wurde. Die Kommissare Lydia Louis und Christopher Salomon stehen vor einem Rätsel: Ist Antonia das Zufallsopfer eines Perversen geworden, oder haben sie es mit einem Fall von häuslicher Gewalt zu tun? Ihre Ermittlungen führen Louis und Salomon zu der mysteriösen Leonie – und zu einer Wahrheit, die sie lieber nie herausgefunden hätten ...

Autorin

Sabine Klewe, Jahrgang 1966, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Düsseldorf und hat zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht. »Die weißen Schatten der Nacht« ist nach »Der Seele weißes Blut« der zweite Fall für das Ermittlerduo Lydia Louis und Christopher Salomon.

Sabine Klewe

Die

weißen Schatten

der Nacht

Roman

1. Auflage

Originalausgabe Juni 2013

Copyright © dieser Ausgabe 2013 by Sabine Klewe

Copyright © dieser Ausgabe 2013

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagbild: © Alexandre Cappellari / Arcangel Images

und FinePic®, München

Redaktion: Friederike Arnold

LT · Herstellung: Str.

Satz: IBV Satz- u. Datentechnik GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-641-10418-4

www.goldmann-verlag.de

Der Tag ist nur

der weiße Schatten der Nacht.

Heinrich Heine

Prolog

Siriaki, Ukraine

Oktober 2002

Elena sah zu, wie die Schatten länger wurden, wie die Sonne in einem Schleier aus taubengrauem Dunst versank, noch bevor sie den Horizont berührte. Der Herbst hatte einen goldgelben Teppich über der Ebene ausgebreitet. Langsam, kaum merklich, wurden die Tage kürzer, jeden Abend legte sich die Dunkelheit ein wenig früher über das Land. Nachts zog bereits der Winter über die Felder und hinterließ eine Spur aus Reif und Eis. Es war wie jedes Jahr und doch vollkommen fremd. Dieser Winter würde anders werden als alle vorangegangenen. Härter und kälter.

Elena wollte sich abwenden, die beklemmenden Gedanken an die ungewisse Zukunft abschütteln, als der Schmerz sie mitten in der Bewegung lähmte. Es war, als risse eine ungeheure Kraft ihren Körper auseinander. Sie krümmte sich und presste die linke Hand auf ihren Unterleib, während sie sich mit der rechten auf der hölzernen Tischplatte abstützte. Sie keuchte, rang nach Atem, wartete, bis der Schmerz verebbte. Als nur noch ein schwaches Ziehen zu spüren war, stolperte sie zur Tür und trat hinaus. Der Abend war kühl, eine leichte Brise trug den Geruch nach Holzfeuer über die Ebene und strich ihr über das schweißnasse Gesicht. Erste Sterne funkelten am Himmel und verhießen eine frostige Nacht.

»Jurij«, flüsterte sie. »Jurotschka, wo steckst du? Komm zu mir, ich brauche dich!«

Sie horchte, doch alles war still. Was, wenn Jurij sich nicht gleich nach der Arbeit auf den Heimweg gemacht hatte? Wenn er heute später nach Hause kam? Oder gar nicht? Die Nacht bei dieser Frau verbrachte, dieser Magdalena, die er nie mit hierherbrachte, weil er sich schämte für sein ärmliches Haus und für seine einfältige Schwester. Eine aus der Stadt war sie, aus Kiew, elegant und gebildet. Was sie von einem wie Jurij wollte, war Elena schleierhaft.

Wieder fuhr der Schmerz durch ihren Körper wie der Hieb eines Beils. Sie klammerte sich an den Türrahmen, um nicht einzuknicken, presste ihre Stirn an das kühle Holz. »Jurij, hilf mir!«, wollte sie rufen, doch alles, was sie über die Lippen brachte, war ein heiseres Stöhnen. Sie war allein. Niemand würde ihr helfen, wenn Jurij nicht kam. Der Gedanke war noch unerträglicher als das Reißen in ihrem Unterleib.

Ihr Blick huschte hinüber zu Olgas Haus, das nicht mehr war als ein weißer Fleck in der grauen Dämmerung. Ein winziges Licht brannte dort, ein schmaler, silbriger Rauchfaden schlängelte sich aus dem Schornstein in den kobaltblauen Abendhimmel und versprach Wärme und Geborgenheit. Doch sie durfte nicht mit Olga reden. Geschweige denn, sie um Hilfe bitten. Jurij verachtete Olga, er hielt sie für eine Verräterin, auch wenn er sich weigerte zu erklären, was er damit meinte. Elena senkte den Blick. Sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. Vermutlich hätte sie ohnehin nicht mehr die Kraft, sich bis zu Olgas Haus zu schleppen.

Aber was sonst sollte sie tun? Tränen schossen ihr in die Augen. Ihre Finger zitterten. Ihr ganzer Körper bebte. Sie war ein hilfloses Bündel aus Schmerz und Angst. Das Reißen breitete sich in ihren Gliedern aus, als wolle es sie von innen her verschlingen, es tötete jeden Gedanken ab, stieß sie ins Nichts. Einen Moment lang verschwammen der Türrahmen und die Landschaft dahinter vor ihren Augen zu einer schwarzgrauen formlosen Masse, dann wurde ihr Blick wieder klar. Der Schmerz ließ nach, ein wenig zumindest. Elena versuchte, regelmäßig und ruhig zu atmen. Ein, aus, ein, aus. Sie starrte auf ihre Finger. Die Knöchel waren weiß, weil sie sich so festgekrallt hatte. Sie konzentrierte sich auf ihren Atem.

Gerade als sie sich erleichtert aufrichten wollte, kehrte der Schmerz mit grausamer Entschlossenheit zurück. Elenas Beine gaben nach, stöhnend sank sie auf die Knie. Als ihre Hände ihren Schoß berührten, spürte sie etwas Feuchtes auf ihrer nackten Haut. Erschrocken senkte sie den Blick, erstarrte, als sie ihre blutverschmierten Finger sah.

Ich werde sterben, dachte sie, und der Gedanke hatte beinahe etwas Tröstliches.

Sie schloss die Augen, lehnte den Kopf gegen die Türfassung und ließ den Schmerz über sich hinwegrollen wie eine mächtige Woge des Schwarzen Meeres. Sie wollte ertrinken in diesen Fluten, in diesem Meer, über das sie so viele Geschichten kannte, das sie jedoch noch nie mit eigenen Augen gesehen hatte.

Das Letzte, was sie vernahm, war das leise Tuckern des Zweitakters, der sich langsam näherte.

»Jurotschka«, flüsterte sie kraftlos. Ein weiterer Schwall warmer, klebriger Flüssigkeit ergoss sich über ihre Schenkel, noch einmal stöhnte sie kaum hörbar, dann hüllte gnädige Dunkelheit sie ein und nahm sie mit ins Land des Vergessens.

1

Düsseldorf, zehn Jahre später

Dienstag, 4. Dezember

Es war bereits dunkel, als sie in die Freiheitstraße bogen. Zu beiden Seiten tauchten schmucke weiße Einfamilienhäuser auf, Doppelhaushälften und kleine Reihenhäuser mit braunen oder grünen Fensterläden. Hinter vereinzelten Scheiben funkelte Weihnachtsbeleuchtung, in einem Vorgarten wand sich eine Lichterkette um das kahle Geäst eines Apfelbaums.

Spießerhölle, dachte Lydia Louis, während sie langsam an den Häusern vorbeifuhren, doch sie sprach den Gedanken nicht aus. Das Viertel in Köln, in dem ihr Kollege Chris Salomon wohnte, war mindestens genauso spießig, und sie wollte ihn nicht verärgern. Nicht heute. Nicht auf dem Weg zu einer Kinderleiche.

Das Haus, nach dem sie suchten, war das letzte einer Viererreihe und besaß einen kleinen Seitenanbau. In allen Fenstern brannte Licht, und auch die Straße davor war unwirklich hell erleuchtet. In der Einfahrt parkte hinter dem Notarztwagen, dessen Blaulicht noch blinkte, ein Leichenwagen. Auf der Straße standen zwei Streifen in zweiter Reihe, der Kastenwagen der Kriminaltechnik war vor der Garage des Nachbarhauses abgestellt. Lydia suchte die Umgebung nach dem BMW ihres Chefs ab, doch sie entdeckte ihn nicht.

Vor der Haustür stand eine blonde Streifenpolizistin mit blassem Gesicht, neben ihr ein dürrer junger Kerl in orangefarbener Tracht, der nervös an einer Zigarette zog. Lydia hielt ihren Ausweis hoch und blieb vor dem Mann stehen.

»Sind Sie der Notarzt?«

Der Bursche nickte und schnippte die Zigarette auf die Steinplatten. Im gleichen Augenblick sah er die beiden Kripobeamten schuldbewusst an, bückte sich, hob die Kippe auf und steckte sie in die Tasche.

»Und?«, fragte Lydia.

»Äh, ja natürlich«, stammelte der Arzt. »Mädchen, schätzungsweise acht bis zehn Jahre alt. Genickbruch. Sie lag am Fuß der Treppe, vermutlich ist sie gestürzt. Ich konnte nichts mehr für sie tun.«

Lydias Blick glitt über das Wagenaufgebot vor dem Haus. »Es kann kein Unfall gewesen sein?«

Der Mann fischte ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und steckte eine in den Mund. »Sieht nicht so aus.« Er zündete sie an. Seine Finger zitterten.

Lydia unterdrückte mühsam ihre Ungeduld. »Was heißt das?«

»Sie hat Kratzer im Gesicht, die eindeutig nicht von dem Sturz stammen. Außerdem wurde sie …« Er stopfte umständlich das Feuerzeug zurück in die Tasche. »Jemand hat sich an ihr vergangen.«

Lydia tauschte einen Blick mit Chris Salomon, der die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben hatte. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Aber seine Augen verrieten, dass er ebenso alarmiert war wie sie.

»Ist mein erster Tag heute«, sagte der Arzt ungefragt. »Mein erster Tag und dann gleich so eine Scheiße.« Er trat von einem Bein auf das andere und blies Qualm in die Luft.

Sie ließen ihn ohne Antwort stehen und stießen die angelehnte Haustür auf. Drinnen wurden sie mit lautem Gebrüll empfangen.

»Verdammt, muss denn hier jeder Idiot durch meinen Tatort trampeln?« Gerald Spuntenmeyers Bariton dröhnte durch die Diele. »Alle raus, die hier nichts verloren haben!«

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