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Liebe kennt keine Grenzen: „Die Zauberin von Toledo“ von Rena Monte jetzt als eBook bei dotbooks. Toledo erblüht im 11. Jahrhundert unter der arabischen Herrschaft: Muslime, Christen und Juden leben friedlich zusammen. Die Familie der schönen Christin Isabella de León genießt am Hofe des Herrschers hohes Ansehen. Isabella schätzt die arabische Kultur über alle Maßen – und die Zauberei. Bei ihren heimlichen Besuchen in der Moschee verliebt sie sich unsterblich in den ebenfalls der Zauberei ergebenen Arzt Ramón de Fuentes. Doch ihre Eltern haben sie bereits dem päpstlichen Legaten Theobaldo versprochen. Als das christliche Heer vor den Toren Toledos steht und die Stadt zurückerobern will, entführt Theobaldo Isabella in ein entferntes Kloster. Wird ihre Zauberkraft ihr helfen, sich zu befreien und wieder zu Ramón zu finden? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Zauberin von Toledo“ von Rena Monte. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 504
Über dieses Buch:
Toledo erblüht im 11. Jahrhundert unter der arabischen Herrschaft: Muslime, Christen und Juden leben friedlich zusammen. Die Familie der schönen Christin Isabella de León genießt am Hofe des Herrschers hohes Ansehen. Isabella schätzt die arabische Kultur über alle Maßen – und die Zauberei. Bei ihren heimlichen Besuchen in der Moschee verliebt sie sich unsterblich in den ebenfalls der Zauberei ergebenen Arzt Ramón de Fuentes. Doch ihre Eltern haben sie bereits dem päpstlichen Legaten Theobaldo versprochen. Als das christliche Heer vor den Toren Toledos steht und die Stadt zurückerobern will, entführt Theobaldo Isabella in ein entferntes Kloster. Wird ihre Zauberkraft ihr helfen, sich zu befreien und wieder zu Ramón zu finden?
Über die Autorin:
Rena Monte studierte Geschichte und Rechtswissenschaft und veröffentlichte unter verschiedenen Pseudonymen zahlreiche historische Romane. Rena Monte lebte als freie Autorin in der Nähe von München und zeitweise in der Toskana. Sie verstarb 2014.
Bei dotbooks erscheinen die Romane »Das Herz der Falknerin«, »Die schöne Verräterin« und »Die Kurierreiterin«. Außerdem schrieb sie für die Tempelritter-Saga den folgenden Band:
»Die Tempelritter-Saga – Band 1: Der Fluch der Templer«»Die Tempelritter-Saga – Band 3: Der Emir von Al-Qudz«
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eBook-Neuausgabe August 2016
Copyright © der Originalausgabe 2001 by Rena Monte/Dörnersche Verlagsgesellschaft mbH. Reinbek
Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Zdenka Darula
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-222-7
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Rena Monte
Die Zauberin von Toledo
Roman
dotbooks.
Isabella, ein behütetes Mädchen aus westgotischer Adelsfamilie, die sich zu einer begabten Zauberin und leidenschaftlichen Geliebten entwickelt.
Ramón de Fuentes, ein erfahrener Arzt mit einem gewissen Hang zur Magie, der sich als fähiger Lehrer der Liebesspiele erweist.
Don Jimenez de León, Isabellas Vater, dem Bücher wichtiger sind als Menschen.
Doña Juana, Isabellas Mutter, eine gläubige Katholikin, die alles Arabische verachtet.
Alfonso, Isabellas Bruder, ein Herumtreiber und Schläger, den eine schmerzhafte Strafe trifft.
Pelayo, Alfonsos Freund, ein Wüstling, der die Härte arabischer Gesetze zu spüren bekommt.
Tamina, Isabellas Amme und Vertraute, die in allen Wirrnissen einen kühlen Kopf behält.
Fatima, Taminas Tochter, die zu Hilfsleistungen gezwungen wird.
Sulaiman, ein treuer arabischer Diener, der eine geheimnisvolle Vergangenheit verbirgt.
Raymonda, Isabellas Tante, deren einzige Leidenschaft das Sticken ist.
Ordonio, Raymondas Sohn, ein Ausreißer, der als furchtloser, aber nicht ganz uneigennütziger Retter auftritt.
Theobaldo de Pavia, ein hinterhältiger Gesandter, der sich eine Teufelsaustreibung zum Ziel gesetzt hat.
Ghisberdus, ein boshafter Mönch, der sich zur Hexenverfolgung berufen fühlt.
Außerdem:
Muslimische Herrscher, Herren der Adelspartei, Lanzenreiter, Schwertträger, Alchimisten, Nonnen, ein Müller, ein Schäfer und Alarich, Isabellas Pferd.
Wir glauben an unseren Herrn, damit er uns unsere Verfehlungen vergebe und auch die Zauberei.
Begegnung in der Moschee
Nach einer schwülen Nacht erhob sich gegen Morgen ein böiger Westwind, der den Teppich vor dem Eingang zum Schlafgemach ins Schlingern brachte. Irgendwo in dem weitläufigen Palacio war ein ächzendes Geräusch zu hören, als sich eine Tür auf ihren Zapfen schwerfällig drehte.
Isabella schrak aus unruhigem Schlummer hoch und trat an das Fenster, das ihr einen Ausblick auf die Brücke bot, die sich in einem Halbrund über den Tajo wölbte. Die silbrige Fläche des sonst so glatten Spiegelbildes wirkte durch die hüpfenden Wellen wie zersprungen. Versunken betrachtete sie das seltene Schauspiel und zuckte zusammen, als der weithin schallende Ruf des Muezzin vom Minarett der Hauptmoschee erklang: »Allah akbar« – Gott ist groß.
Isabella folgte diesem Ruf seit ihrer frühesten Kindheit. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte ihre Amme Tamina sie zum Gebet mitgenommen und in der islamischen Religion und allen Riten unterwiesen. Sie war etwa zwölf Jahre alt gewesen, als sie bemerkte, daß die Besuche in der Moschee heimlich und ohne das Wissen ihrer katholischen Eltern stattfanden. Zu dieser Zeit fühlte sie sich jedoch schon fest in der muslimischen Religion verankert und hütete dieses Geheimnis sorgsam vor ihrer Familie.
»As-salat hair min an-naum« – Das Gebet ist verdienstvoller als der Schlaf –, fügte der Muezzin seinem morgendlichen Gebetsruf hinzu.
Isabella war aufrichtig genug, um sich einzugestehen, daß sie jenes frühe Morgengebet bevorzugte, weil ihre Familie zu dieser Stunde noch schlief.
Als der Muezzin nun weithin hallend sein »La ilah illa Allah« – Es gibt keinen Gott außer Gott – gesungen hatte, hüllte sie sich in ein langes Gewand und verbarg ihr Gesicht hinter einem leichten Schleier.
Auf der Brücke wurde sie bereits von Tamina erwartet, die den Palacio durch den Kücheneingang verlassen hatte. »Hat Euch jemand gesehen?«
Diese besorgte Frage stellte Tamina ihr jeden Morgen. Wie immer schüttelte Isabella den Kopf. Vorsorglich drehten sich beide noch einmal um, ehe sie mit den anderen Gläubigen der Moschee zueilten. Sie hätten an diesem Morgen jedoch etwas aufmerksamer sein sollen.
Nachdem sie sich ihrer Schuhe entledigt hatten, ließen sie sich im Vorhof der Moschee auf den steinernen Stufen des Brunnens nieder. Isabella hatte das kurze Verweilen an der Fontäne, deren klares Wasser Tag und Nacht leise vor sich hinplätscherte, immer schon sehr geliebt. Alte Platanen spendeten kühlenden Schatten und tauchten den Hof in ein fast geheimnisvolles Dunkel. Sie wäre gerne eine Weile am Brunnen sitzengeblieben, um die Wassertropfen über Gesicht, Hände und Füße perlen zu lassen, wie Muhammad es geboten hatte. Aber Tamina drängte darauf, die Moschee aufzusuchen, um dort die vorgeschriebene Gebetsrichtung gen Mekka einzunehmen. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um das »Qad qamat as-salat« – Das Gebet hat begonnen – des Imam mitzuhören.
Seit einiger Zeit schweiften Isabellas Gedanken beim Gebet ab, obwohl sie wußte, daß dies eine Versuchung des Teufels war, der den Gläubigen ins Ohr flüsterte: »Denk an dieses, denk an jenes!«
Aber sie dachte an etwas ganz Bestimmtes. Ihr Blick wanderte in den Hauptraum der Moschee, wo die Männer beteten. In der letzten Reihe, nicht weit entfernt von den Frauen, folgte ein junger Mann den islamischen Riten mit einer Anmut, die ihn von den anderen Gläubigen unterschied. Sie konnte ihren Blick nicht von dem gebeugten Nacken des Mannes abwenden, dessen blondes Haar unter all den schwarzhaarigen Arabern in der Morgensonne auffällig leuchtete. Und als sich ein Schatten über die Gläubigen legte, weil eine Wolke die Sonne verdeckte, hielt Isabella den Atem an, als ob sich die dunklen Augenblicke auf diese Weise überbrücken ließen. Beinahe hätte sie sogar eine Niederwerfung vergessen, weil sie keine einzige Bewegung des jungen Mannes verpassen wollte. Doch der Gedanke an die Wassertropfen der Waschung, welche doch gerade erst jede Sünde entfernt hatte, die sie vielleicht mit den Augen begangen hatte, brachte sie schließlich dazu, den Kopf zu senken. Sie versuchte, während des gemeinschaftlichen Gebetes der Gläubigen, seine Stimme herauszuhören. Aber erst, als er die Stirn vom Boden hob und auf den Fersen saß, glaubte sie, aus seinem Mund ein besonders wohlklingendes »Mein Gott, vergib mir!« vernommen zu haben.
Isabella warf sich mit den anderen Gläubigen zu Boden. Sie wußte, daß vor allem sie selbst für die Sünden, die sie mit den Augen begangen hatte, die Vergebung Allahs erbitten mußte. Aber sie war diesmal von einer so heftigen Erregung erfaßt worden, die sie bisher nicht gekannt hatte. Wie gut, daß der Schleier ihre glühenden Wangen verbarg! Sie konnte kaum das Ende des Gebetes erwarten, bei dem es üblich war, einen Friedensgruß nach rechts und links zu richten. War es nur ihr brennender Wunsch, oder hatte der junge Mann tatsächlich seinen Kopf ein wenig weiter als üblich gedreht, um auch ihr einen Gruß zukommen zu lassen?
»Der Friede sei über Euch und die Barmherzigkeit Gottes«, sprach auch sie im Chor mit den anderen Gläubigen, aber sie meinte damit nicht die neben ihr stehende Tamina, sondern den blonden Fremden.
Trotz aller Bedenken richtete sie es so ein, daß sie beim Verlassen der Moschee dicht an dem hellhäutigen jungen Mann vorbeigehen konnte. Sie blickte ihm unter ihrem Schleier beinahe ungebührlich ins Gesicht. Der so Angestarrte mußte etwas gemerkt haben, denn er wandte sich dem Mädchen zu, lächelte und murmelte einen arabischen Gruß.
»Wer ist das?« Isabella blieb stehen und zupfte ihre Ama am Ärmel.
Aber Tamina zerrte sie ärgerlich nach draußen. »Schämt Ihr Euch denn nicht, einen Mann durch Eure unzüchtigen Blicke zu ungebührlichen Annäherungen zu ermuntern? Dieser Mann ist nichts für Euch. Eure Eltern würden ihn davonjagen, falls er sich Eurem Haus je nähern sollte.«
Isabella war ein wenig gekränkt, daß ausgerechnet diesem Mann, der fast alle ihre Gedanken beherrschte, der Palacio ihres Vaters verschlossen bleiben sollte.
Unwillig befreite sie sich aus dem festen Griff ihrer Ama. »Wieso das denn? Ist er vielleicht ein Verbrecher oder bei al-Ma'mûn in Ungnade gefallen, so daß es gefährlich ist, ihn näher zu kennen?«
»Nichts von alledem. Er ist sogar ein berühmter Arzt, der die Medizin der Araber studiert hat und besser als alle anderen beherrscht, so daß der Herrscher ihn schließlich zu seinem Leibarzt ernannt hat. Leider ist er nur ein Mozaraber.« Sie betonte dieses »nur« fast verächtlich.
Nach dieser kurzen Verzögerung zog sie Isabella eilig mit sich fort, denn es konnte nicht mehr lange dauern, bis ihre Dienstherrin Doña Juana de León aus dem Schlaf erwachen und ihre Tochter vermissen würde. Isabella verlangsamte jedoch auf dem Weg durch die verschlungenen Gäßchen bewußt ihren Schritt und spähte an jeder Ecke zurück, ob ihr der Mozaraber vielleicht folgen würde. Zu ihrem Bedauern ließ er sich nicht blicken.
Schon oft hatte Isabella ihre Eltern in nicht gerade schmeichelhaften Tönen über Mozaraber reden hören, die zwar Christen waren, aber Lebensweise und Kultur der Araber angenommen hatten. Im Palacio von Jimenez de León wurden keine Mozaraber empfangen. Doña Juana hatte sich sogar einmal empört darüber geäußert, daß es für einen christlichen Jüngling schamlos sei, die Sprache und Literatur der Araber zu bevorzugen. Dieser Meinung sei übrigens jeder gute Katholik.
Und Alfonso, Isabellas Bruder, hatte schon so manche Händel mit Mozarabern ausgefochten, die ihn einmal sogar vor Gericht gebracht hatten. Nur der starke Einfluß seines Vaters, der an der berühmten Übersetzerschule von Toledo als anerkannter Wissenschaftler tätig war, hatte eine Auspeitschung verhindern können.
Isabella schlich sich mit Tamina durch den Kücheneingang ins Haus und atmete auf, als sie ungesehen in ihrem Zimmer anlangte. Sie warf noch einmal einen Blick aus ihrem Fenster, aber die Brücke, die über den Tajo zum Palacio de León führte, war menschenleer. Enttäuscht wandte sie sich ab, wechselte ihre Kleidung und eilte in den stets düsteren Speisesaal, wo Don Jimenez die Familie zu sehen wünschte.
Die gereizte Stimmung schlug Isabella sogleich entgegen. Doña Juana blickte stumm auf ihren Teller, Don Jimenez hatte zornig die Stirn gerunzelt; nur Alfonso feixte beinahe vergnügt vor sich hin.
»Hast du uns vielleicht etwas zu sagen?« Don Jimenez ballte die Fäuste so verkrampft, daß die Knöchel weiß hervortraten. Erschrocken blieb Isabella stehen. Sie wußte nicht, welche Antwort von ihr erwartet wurde, und schüttelte nur stumm den Kopf.
Don Jimenez wandte sich seinem Sohn zu. »Berichte, was du heute morgen entdeckt hast!«
Alfonso erhob sich, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Ich habe beobachtet, wie meine Schwester Isabella in muslimischer Kleidung gemeinsam mit ihrer arabischen Kinderfrau das Haus verließ, die Moschee aufsuchte und dort nach islamischem Ritus betete. Sie saß unter all diesen gräßlichen arabischen Weibern auf dem staubigen Teppich, auf dem schon unzählige Araber mit ihren nackten Füßen herumgetrampelt sind.«
Doña Juana brach in lautes Schluchzen aus. »Welch eine Schande! Die Nachfahrin eines westgotischen Adeligen, dessen Familie seit dem Übertritt unseres Königs Rekkared immer gut katholisch war, folgt dem Ruf des Muezzin.«
Isabella konnte sich nicht erinnern, ihre Mutter jemals anders als jammernd und klagend erlebt zu haben. Nur wenn sie die Lehren der christlichen Kirchenväter zustimmend deklamierte, gewann ihre Stimme eine gewisse Festigkeit.
Isabellas Gedanken schweiften ab. Sie dachte an Tamina, die ihr in Kindertagen mit singendem Tonfall arabische Geschichten erzählt hatte: von großen Magiern, denen ganze Geisterheere gehorchten, von zauberkräftigen Amuletten und geheimnisvollen Sprüchen, mit deren Hilfe sich jede Gefahr bannen ließ.
Aber Don Jimenez, der mit einer kurzen Handbewegung seiner Gemahlin zu schweigen geboten hatte, riß Isabella jäh aus ihren Träumen. Denn er wandte sich mit ungewohnter Lautstärke an seine Tochter: »Wie lange geht das schon?«
Isabella lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand, als ob ihr die feste Mauer Schutz bieten könnte. Sie erwog kurz, ob sie lügen sollte, entschied sich dann aber für die Wahrheit. »Seit meiner frühesten Kindheit. Ich kann nichts Böses darin erkennen, daß ich nach den Geboten des Propheten Muhammad lebe.«
Der gemeinsame Aufschrei der Familie ließ sie verstummen. »Willst du etwa damit sagen, daß du unseren Herrn Jesus Christus verleugnest?«
Isabella hätte ihnen gerne erklärt, daß auch die Moslems Jesus als Propheten anerkannten, auch wenn er für sie, obwohl ein sündenfreier Gesandter Gottes, nur ein gewöhnlicher Mensch war. Mußte er denn nicht wie alle anderen Menschen Nahrung zu sich nehmen?
Aber man ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen. Don Jimenez schlug mit der Faust auf den Tisch, eine Geste, die Isabella selten an ihm gesehen hatte. »Ich werde darüber nachdenken, welche Strafe ich für dich wählen werde. Selbstverständlich unterbleiben von nun an die Besuche in der Moschee. Tamina werde ich verkaufen. Sie hat unser Vertrauen schmählich mißbraucht.«
Erst jetzt brach Isabella in Tränen aus. »Straft mich, wie ihr es für richtig haltet, aber verschont Tamina, die mich mit ihrer Muttermilch großgezogen hat! Es ist alles meine Schuld. Als Kind habe ich immer geweint, wenn sie ohne mich in die Moschee gehen wollte. Später habe ich sie sogar gezwungen, mich zum Gebet mitzunehmen.«
Doña Juana öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schwieg aber, als sie den zornigen Blick ihres Gatten bemerkte. Alfonso ließ sich jedoch nicht einschüchtern. »Das habe ich immer geahnt. Meine Schwester hat stets recht merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag gelegt, wenn der Muezzin zum Gebet rief. Man sollte sie in ein strenges Kloster stecken.«
»Schweig und kümmere dich um deine eigenen Schandtaten!« Don Jimenez wandte nun seinen ganzen Zorn dem Sohn zu. »Erst vor einer Woche konnte ich den Herrscher nur mit Mühe beruhigen, weil du seinen Lieblingsjungen aus der Palastwache so brutal zusammengeschlagen hast, daß al-Ma'mûn seinen Leibarzt bemühen mußte.«
Isabella kannte diesen Vorfall in allen Einzelheiten, weil sich die Frauen im Vorhof der Moschee darüber empört hatten, daß ein Ungläubiger den kleinen Moslem mit Fußtritten traktiert hatte, als dieser schon am Boden lag.
Sie beobachtete, daß Alfonso in Erinnerung an diese Szene am liebsten laut gelacht hätte, und beurteilte seine Entschuldigung als pure Heuchelei. »Es tut mir leid, daß ich mich gehen ließ, aber ich kann nun mal nichtvergessen, daß ich ein Westgote bin. Hätte ich doch nur damals schon gelebt und mitkämpfen können, als diese wilden Berber in Tarifa landeten und unser Land eroberten!«
Isabella kannte diese Tiraden zur Genüge und gab sich Mühe, nicht hinzuhören. Sie ließ sich am Ende der langen Tafel nieder und heftete ihren Blick auf die Gemälde, die an den steinernen Wänden hingen. Die ohnehin finsteren Gesichter ihrer Vorfahren wirkten noch grimmiger, weil die feuchte Mauer den hölzernen Untergrund der Bilder im Laufe der Zeit aufgedunsen und nahezu zerstört hatte.
Erschrocken fuhr sie zusammen, als Alfonso sie erbost anschrie. »Auch du solltest besser zuhören, wenn ich von dem verräterischen Julian berichte, der die Araber aus Rache über die Meerenge geführt hat, weil der Westgotenkönig angeblich seine Tochter geschändet hatte. Aber sie wird schon das Ihrige dazugetan haben.«
Isabella schluckte eine empörte Erwiderung herunter. Unter den arabischen Frauen kursierten dramatische Geschichten über Vergewaltigungen durch die Westgoten. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte, und war froh, als Don Jimenez der haßerfüllten Rede seines Sohnes ein Ende bereitete. Ihr erschien es sinnlos, Alfonso auf die Toleranz der Eroberer hinzuweisen, die es Christen, Juden und Moslems erlaubte, in Frieden nebeneinander in Toledo zu leben. Aber ihr Vater versuchte es zumindest, und Isabella schöpfte Hoffnung, daß sich die Situation zu ihren Gunsten wenden könnte.
Doch als Don Jimenez von der Intoleranz westgotischer Gesetze berichtete, in denen es Juden unter Androhung der Kastration verboten war, sich beschneiden zu lassen, und daß man den daran beteiligten Frauen die Nase abschnitt, empfand Isabella Übelkeit. Keinen Bissen konnte sie herunterbringen, obwohl eine arabische Süßspeise auf dem Tisch stand, die sie besonders liebte.
»Schmeckt es dir nicht?« Alfonso lächelte sie an, aber die nun folgende widerwärtige Bemerkung entlarvte seine gespielte Freundlichkeit. »Ich stelle mir gerade Tamina ohne Nase vor.«
Isabella hoffte, daß sich der Zorn des Vaters nun vollständig gegen Alfonso richten würde. Aber Don Jimenez grollte anscheinend Sohn und Tochter gleichermaßen. Er wies unmißverständlich zur Tür. »Geht mir aus den Augen! Alle beide!«
Obwohl Isabella mit gesenkten Kopf den Raum verließ, entging ihr nicht, wie Alfonso grinste, als er sich vor den Blicken seines Vaters sicher wähnte.
Tamina mußte gelauscht haben. Denn kaum war Isabella in ihren Gemächern angelangt, als die Ama auch schon lautlos herantrat, sich zu Isabella auf den Diwan setzte und sie zärtlich in die Arme nahm. »Weint nicht, meine Kleine! Ich habe schon meine Habseligkeiten gepackt und werde das Haus verlassen, ehe Euer Vater mich verkaufen kann.«
Doch bevor Isabella eine Antwort finden konnte, wurde der Teppich vor dem Eingang heftig beiseite geschoben, und Alfonso stürzte in den Raum. Er schwang die Reitpeitsche, die sonst seine edle Araberstute im Übermaß zu spüren bekam. »Das könnte dir so passen, du widerliches Araberweib! Deiner gerechten Strafe wirst du nicht entgehen. Ich werde sie eigenhändig vollstrecken, da ich die Milde meines Vaters nur zu gut kenne.«
Es half Tamina nichts, daß sie ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Die Schläge prasselten auf sie nieder, und sofort platzten am ganzen Körper blutende Wunden auf. Vergeblich warf sich Isabella zwischen ihren Bruder und die laut weinende Tamina.
Alfonso hatte sich in eine maßlose Wut gesteigert. »Du bist auch nicht besser als diese niederträchtigen islamischen Weiber. Was sagt denn dein Prophet zu einem solchen Strafgericht? Vielleicht findest du einen tröstenden Hinweis in deinem Koran.« Er schlug nun wahllos auf die beiden Frauen ein, die sich aneinandergeklammert hatten, und gab erst Ruhe, als beide halb ohnmächtig am Boden lagen. Mit einem höhnischen Lachen verließ er den Raum.
Isabella faßte sich als erste. Sie erhob sich und half Tamina auf die Beine. »Komm mit mir! Wir werden zu meinem Vater gehen und uns ihm in diesem Zustand zeigen.«
Tamina konnte sich kaum aufrecht halten. »Nein, nein! Don Jimenez wird mir die Schuld geben und nur noch zorniger werden.«
Sie sackte aufs neue zu Boden, doch Isabella zog sie energisch hoch. »Du gehst mit! Ich bestehe darauf.«
Don Jimenez hatte sich in die Schrift des griechischen Philosophen Aristoteles vertieft, die er auf Wunsch des Herrschers ins Arabische übersetzen sollte. Er hatte allen Familienärger aus seinen Gedanken verbannt und dachte über die Möglichkeiten einer wortgetreuen Übersetzung nach. Unwillig hob er zunächst den Kopf von den griechischen Zeichen, als die beiden Frauen eintraten, sprang dann jedoch entsetzt auf. »Was ist geschehen?«
Tamina warf sich ihrem Herrn zu Füßen, aber Isabella trat, flammend vor Wut, vor ihren Vater. Ihre azurblauen Augen wirkten jetzt tiefschwarz, wie immer, wenn der Zorn sie übermannte.
»Mein Bruder Alfonso hat uns so zugerichtet. Er wollte das Strafgericht eigenhändig ausführen, da er dich hierzu nicht für befähigt hielt.« Bewußt und ein wenig scheinheilig hatte sie diese Worte gewählt, um vielleicht den Zorn des Vaters auf seinen Sohn zu lenken. Ihre Rechnung ging auf.
»Habe ich nicht schon genug Schwierigkeiten mit diesem ungeratenen Sohn, der mich sogar bei al-Ma'mûn in Mißkredit bringt? Das Maß ist endgültig voll.« Er schlug dreimal mit großer Wucht auf einen eisernen Gong, dessen tiefer Klang unverzüglich seinen Leibwächter und Vertrauten auf den Plan rief. Der dunkelhäutige Sulaiman war ein breitschultriger Hüne mit feuerroten Narben im Gesicht, die er sich in zahlreichen Kämpfen zugezogen hatte. Niemand wußte, auf wessen Seite er eigentlich stand. Don Jimenez, der ein überdurchschnittliches Sprachempfinden und ein feines Ohr für die Unterscheidung von Dialekten besaß, glaubte einen marokkanischen Tonfall zu erkennen, wie ihn die Berber sprachen, deren Heerführer sich in Granada ein Königreich geschaffen hatten. Sulaiman weigerte sich stets, über seine Herkunft zu sprechen, aber er war seinem Herrn in unbedingter Treue ergeben und führte jeden Befehl widerspruchslos aus.
Auch jetzt schwieg er und verzog keine Miene, als Don Jimenez seine Anweisung gab. »Hole mir meinen Sohn!«
Als Alfonso erschien, deutete Don Jimenez auf die beiden Frauen. »Hast du deine Schwester und deren Amme so zugerichtet?«
Ungerührt betrachtete Alfonso die Blutlache, die sich allmählich auf dem kostbaren Araberteppich ausbreitete. »Ich hielt es für nötig, das Strafgericht sogleich auszuführen. Eine Strafe sollte dem Vergehen stets unverzüglich auf dem Fuße folgen.«
Don Jimenez wandte sich mit versteinertem Gesichtsausdruck seinem Sohn zu. Er haßte jede Form von Gewalt. »Solltest du dir noch ein einziges Mal eine derartige Schandtat zuschulden kommen lassen, wird Sulaiman das an dir vollstrecken, was dir für deinen unchristlichen Lebenswandel gebührt. Du magst wohl wissen, was das bedeutet.«
Isabella beobachtete mit Genugtuung, wie Alfonso dem Hünen einen wütenden Blick zuwarf. Sie wußte, daß Sulaiman der einzige Mensch in der Umgebung ihres Bruders war, den er fürchtete. Aber sie versagte es sich, Alfonso ihre Schadenfreude spüren zu lassen. Die verächtliche Bemerkung, die Alfonso auszusprechen wagte, erregte jedoch beinahe ihre Bewunderung. »Einen Nachfahren des Königs Rekkared wird man nicht einer demütigenden Strafe unterwerfen. Diese schwarze Bestie wird sich hüten, mich anzurühren.«
Während Sulaiman reglos stehenblieb, als ob er nichts gehört hätte, verließ Alfonso den Raum, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Don Jimenez verzichtete darauf, ihn zurückzurufen. Er war leichenblaß und gab Sulaiman einen Wink, daß auch er gehen könne.
Der unerfreuliche Auftritt hatte ihn angestrengt. Mit müder Stimme wandte er sich an die beiden Frauen. »Eure Strafe war hart genug. Ich werde euch verzeihen, wenn ihr mir versprecht, von nun an ein christliches Leben zu führen.«
Isabella nickte wortlos, aber Tamina schien ohnmächtig und keiner Antwort fähig zu sein.
Seufzend wandte sich Don Jimenez wieder seinem Text zu. Ihm waren Spannungen innerhalb seines Familienlebens zuwider, und er hoffte, daß er mit der Androhung einer Körperstrafe seinen Sohn für eine Weile zur Ruhe gebracht hatte.
LiebesbriefohneEmpfänger
Jedesmal wenn der Muezzin zum Gebet rief, trat Isabella an das Fenster und beobachtete sehnsüchtig, wie die Gläubigen der Moschee zustrebten. Bald hatte sie Tamina erkannt, die nicht ihr altes verblichenes Kopftuch trug, sondern ein neues tiefschwarzes. Ihr Gesicht hatte sie hinter einer Maske versteckt, die nur die Augen freiließ. Sie drehte sich niemals zum Palacio um, und Isabella hätte aus Furcht vor Entdeckung auch nicht gewagt, ihrer Ama zuzuwinken.
Drei Tage vergingen, ehe Tamina sich bei Isabella einfand. Sie trug ein kleines Päckchen bei sich, das Isabella als arabisches Tuch zu erkennen glaubte.
Traurig schüttelte sie den Kopf. »Warum bringst du mir ein neues Kopftuch? Du weißt doch, daß ich keine islamische Kleidung tragen darf.«
Aber Tamina drängte ihr das kleine Geschenk förmlich auf. »Schaut es Euch doch erst einmal genauer an! In dem Tuch befindet sich etwas, das Euch mit Sicherheit erfreuen wird.«
Beinahe lustlos wickelte Isabella das Bündel aus und schrie dann vor Freude laut auf, als ein Koran zum Vorschein kam. Doch sogleich verdüsterte sich ihr Gesicht wieder, und sie legte das Buch achtlos beiseite. »Ich kann doch weder schreiben noch lesen.«
Tamina sah nur für einen kurzen Augenblick ratlos vor sich hin. Aber dann wußte sie eine Antwort und bewies, daß man sich auch als Analphabetin gut im Koran auskennen konnte. »Es wird gesagt, daß selbst unser Prophet Muhammad weder lesen noch schreiben konnte, weil er nämlich im Koran zuweilen ungelehrt genannt wird. Ist das nicht etwa ein Zeichen dafür, daß der Koran Gottes unverfälschtes Wort ist, weil er seit jeher mündlich überliefert wurde?«
Isabella war wieder einmal vom Wissen ihrer Ama beeindruckt. Don Jimenez hatte Tamina als Sklavin gekauft. Woher sie eigentlich kam, hatte er nie herausfinden können. Zweifellos hatte sie in ihrer Jugend eine gewisse Bildung genossen, zumindest den Koran studiert.
Trotzdem ließ sich Isabella nicht überzeugen. »Ich darf mich nicht mit unserem Propheten messen, dem sich Gott offenbart hat. Ein Mädchen wie ich, die ich keine Koranschule besuchen darf, ist auf das geschriebene Wort angewiesen.« Sehnsüchtig betrachtete sie das Buch in ihren Händen und fand dann doch einen Ausweg.
»Ich möchte lesen und schreiben lernen«, bat Isabella ihren Vater, der soeben einen schwierigen arabischen Text zu erschließen versuchte.
Don Jimenez fand nur mühsam aus seiner philosophischen Welt in die Wirklichkeit zurück. Er glaubte, sich verhört zu haben. »Was sagtest du da eben?«
»Bitte unterrichte mich im Schreiben und Lesen.« Isabella trat einen Schritt näher und betrachtete neugierig das Pergament, auf dem für sie nur unverständliche Zeichen zu sehen waren.
Ihr Vater brach in schallendes Gelächter aus. »Wie willst du denn lesen lernen, wenn du weder der griechischen noch der lateinischen Sprache mächtig bist? Die Gesetzestexte unseres Westgotenkönigs Eurich werden dich doch wohl kaum interessieren.«
Isabella schüttelte den Kopf. Aber sie wollte ihren Plan nicht so leicht aufgeben. Trotz der Einwände ihres Vaters machte sie ihm einen Vorschlag, um so die Erfüllung ihres Wunsches zu ermöglichen. »Ich beherrsche doch das Arabische, und wir könnten zunächst einmal mit dieser Schrift anfangen.«
Bedächtig legte Don Jimenez sein Schreibgerät beiseite und betrachtete prüfend seine Tochter, als ob er sie erst heute kennengelernt hätte. Wie sehr hatte er immer gehofft, daß sein Sohn Alfonso Lust und Neugier zum Studium gezeigt hätte!
»Also gut, versuchen wir es.«
Schon nach kurzer Zeit hatte Isabella den wahren Grund ihres Bemühens vergessen. Jeden Buchstaben, den sie erlernte, empfand sie als Bereicherung ihres bis dahin so eintönigen Lebens. Ihr kam es vor, als hätte sie bisher in tiefer Dunkelheit gelebt und als sei jedes neu erlernte Schriftzeichen ein weiterer Schritt zum Licht. Bald entzifferte sie ganze Sätze, und die pergamentenen Schriftrollen, die sie mit ihren Schreibübungen bedeckte, stapelten sich in ihrem Gemach. Sie widmete sich mit einer solchen Begeisterung ihren Studien, daß sie oftmals sogar den Ruf des Muezzin überhörte.
Don Jimenez war zunächst über den Eifer seiner Tochter überrascht, später aber stolz auf ihre schnellen Fortschritte. Er empfand sogar Achtung vor dem klugen Mädchen und richtete während der gemeinsamen Mahlzeiten fast nur noch das Wort an Isabella, während er sie früher kaum beachtet hatte. Seine Gattin nahm diese Bevorzugung unübersehbar beleidigt zur Kenntnis. Alfonso starrte nur wie gewöhnlich finster vor sich hin.
Doch eines Tages konnte er sein aufbrausendes Temperament nicht mehr zügeln. »Was bedeutet denn euer geheimnisvolles Alif, das Mim oder das Gain? Ist es wirklich passend für ein Mädchen, diese lächerlichen Schnörkel zu lernen?«
Isabella schien ein Wort der Entgegnung sinnlos, und selbst Don Jimenez blieb erstaunlich gelassen. »Sprich nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst! Solltest du aber Lust verspüren, diese für dich rätselhaften Zeichen zu ergründen, kannst du dich gerne bei mir einfinden. Ich glaube jedoch kaum, daß deine Schwester einen ernsthaften Konkurrenten in dir sehen muß.«
»Für einen jungen Mann gibt es wichtigere Dinge zu tun, als in der muffigen Stube zu hocken und Kreise und Bögen zu malen. Ich bin soeben dabei, eine störrische Araberstute zuzureiten und davon überzeugt, daß Isabella niemals zu einer solchen Dressurleistung fähig wäre.« Alfonso sah seiner Schwester triumphierend ins Gesicht.
Schaudernd dachte Isabella an Alfonsos Reitpeitsche, an die spitzen Sporen, die er zu benutzen pflegte, und an die blutenden Flanken seiner Reitpferde. Sie seufzte, und ihre Stimme war kaum zu vernehmen, weil sie am liebsten losgeweint hätte. »Mein Araberhengst hat mir bisher auch ohne Sporen keine Schwierigkeiten bereitet.« Das war alles, was sie hervorbringen konnte. Ihre Gedanken schweiften zu ihrem geliebten Hengst Alarich, auf dessen Rücken sie oft in die nahegelegenen Wälder ritt, um im Schatten der hohen Bäume zu ruhen, während das Pferd im satten Grün graste.
Doña Juana blickte hilflos von einem zum anderen. Sie ahnte, daß diese Unterhaltung in einen heftigen Disput münden würde. »Nun streitet doch nicht, Kinder!«
Aber Alfonso hatte schon zu einer Entgegnung angesetzt. »Diese arabischen Zuchttiere sind genauso störrisch wie die arabischen Weiber. Man muß sie prügeln, wenn sie ungehorsam sind; das steht doch in euren muslimischen Gesetzen. Oder etwa nicht?«
Ehe die geschwisterliche Auseinandersetzung noch weiter ausufern konnte, erhob sich Don Jimenez und beendete damit das unerquickliche Mittagsmahl.
Immer wenn Isabella hinter ihrer Liegestatt einen Stein in der Mauer lockerte, um den dahinter versteckten Koran herauszuholen, hatte sie keine rechte Freude am Studium der Suren. Denn Don Jimenez ahnte nicht im entferntesten, wozu seine Tochter ihre Kenntnisse im Lesen benutzte. Daher war Isabella sehr froh, als ihr Vater eines Tages von seinem Bücherstapel ein mit Blumenornamenten verziertes Büchlein nahm und es ihr überreichte.
»Deine Kenntnisse genügen jetzt, um dich in diese wunderschöne arabische Poesie zu vertiefen. Es handelt sich um Frauengedichte. Sie werden dir gefallen. Viele Verse sprechen von der Liebe und passen zu einem jungen Mädchen wie dir wohl besser als Texte der Medizin oder Mathematik.«
Isabella verbrachte viele Abende mit der Lektüre dieser Gedichte: Klage um den Geliebten, der sich entfernt hat; Ruf nach ihm; Fragen, die ein verliebtes Mädchen an die Mutter stellt; Gedichte vom Tagesanbruch, wenn der Geliebte die Frau verläßt.
Erst jetzt wurde ihr klar, daß die Kunst des Lesens ihr viele neue Freuden bringen würde. Vor ihrem geistigen Auge tauchte die Gestalt des jungen Mozarabers auf, den sie in der Moschee gesehen hatte. Ihre Sehnsucht nach ihm,, der doch nur einen einzigen Blick mit ihr gewechselt hatte, wurde immer stärker. Sie glaubte allmählich, all diese schönen Gedichte seien nur für sie und den Leibarzt des Herrschers geschrieben. Manchmal vergaß sie sogar darüber die tägliche Lesung aus dem Koran.
Schließlich faßte sie einen Entschluß. In ihrer schönsten arabischen Kalligraphie schrieb sie auf das edelste Pergament ein Gedicht, das ihr besonders gefallen hatte. Wallada hatte es verfaßt, die berühmteste aller andalusischen Dichterinnen, die Tochter des Omayyaden-Kalifen Muhammad III.
Dem Geliebten gilt meine Wangengrube, ich schenke Küsse dem, der sie begehrt.
Sie versah diese Verse noch mit einigen goldenen Verzierungen und ließ Tamina rufen.
»Wenn du heute zum Freitagsgebet in die Moschee gehst, nimm bitte dieses Pergament mit und stecke es heimlich dem Mozaraber zu! Du brauchst nicht auf eine Antwort zu warten.« Sie sprach mit verschwörerischer Stimme und gab das Pergament zunächst nicht aus der Hand. Es war ihr recht lieb, daß Tamina offensichtlich nicht lesen konnte. Aber da hatte sie sich getäuscht.
Tamina warf einen Blick auf die Verse und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Seid Ihr denn völlig von Sinnen? Ihr könnt doch nicht diesem fremden Mann ein Liebesgedicht schicken! Vielleicht zeigt er es gar seinen Freunden am Hof des Herrschers und macht Euch zum Gespött. Noch schlimmer allerdings wäre es, wenn er es al-Ma'mûn selbst oder dem Wesir überbringen würde. Ihr seid ein dummes Kind und wißt ja gar nicht, was das bedeutet. Euren Vater würden sie mit Schimpf und Schande davonjagen, weil er eine Hure zur Tochter hat, und was mit Euch selber geschehen würde, wage ich mir gar nicht auszudenken.«
Isabella starrte ihre Ama fassungslos an. »Warum hast du mir denn nie gesagt, daß du lesen kannst? Du hättest es mir sagen und mich unterrichten müssen.«
Tamina machte ein undurchdringliches Gesicht. »Viele Dinge behält man besser für sich, wenn man dazu verurteilt ist, als Sklavin zu leben.«
Isabella verspürte nicht die geringste Lust, Taminas geheimnisvolle Herkunft aufzudecken. Sie war verärgert und empfand das Schweigen ihrer Ama als Vertrauensbruch. »Was soll ich dir da noch viel erklären? Sicher wußtest du schon lange vor mir, daß diese Verse von der berühmten Dichterin Wallada stammen und daß sie über Jahre hinweg den Poeten Ibn Zaydun zum Geliebten hatte. Es ist ihr nicht gelungen, diese Liebschaft geheimzuhalten. Alle Welt hat davon gewußt.«
»Und von Eurer Verliebtheit wird auch bald jeder wissen, wenn Ihr so weitermacht. Seid Ihr etwa eine Kalifentochter und so hoch gestellt, daß Ihr Euch Freiheiten solcher Art erlauben könnt, die man Mädchen aus geringerem Stand niemals erlauben würde?« Tamina griff nach dem Pergament und zerriß es in winzige Fetzen.
Verärgert wandte sich Isabella ab und starrte zum Fenster hinaus. Das Minarett der Hauptmoschee ragte in den dunkelblauen Nachthimmel, und die Sterne schienen sich wie eine Perlenkette um die Brüstung der oberen Empore zu legen.
Wenn es dunkel wird, warte auf meinen Besuch, denn mir scheint, daß die Nacht am getreuesten die Geheimnisse birgt.
Isabella kannte diese Verse schon auswendig, die Wallada ihrem Geliebten gewidmet hatte. Wie sehr beneidete sie diese Kalifentochter, die so etwas an einen jungen Mann schreiben durfte!
»Ihr solltest aufhören, diese Liebesgedichte zu lesen. Sie verwirren Euch nur den Verstand.« Tamina verließ kopfschüttelnd den Raum.
»Ich möchte keine Gedichte mehr lesen. Sie sind wunderschön, aber nun lockt mich die arabische Wissenschaft.«
Jimenez de León hob den Blick. Seit den gemeinsamen Studien mit seiner Tochter war er über keine ihrer Störungen mehr ungehalten. Dennoch konnte er sein Erstaunen nicht verbergen. »Wie stellst du dir das vor? Ich habe fast ein Jahr gebraucht, um das schwierige Werk des berühmten arabischen Mathematikers Al Khârismi zu übersetzen. Auch mir war das Addieren und Dividieren nach der indischen Rechnungsart fremd.«
Isabella blieb hartnäckig, lehnte sich an den niedrigen Tisch und betrachtete den Bücherstapel. »An eine so schwierige Rechnungsart habe ich gar nicht gedacht. Es muß doch auch etwas Einfacheres geben.«
Don Jimenez blieb zurückhaltend. »Ohne Vorkenntnisse wirst du wohl kaum die Funktion des Nullzeichens, das x-Symbol und das Aufstellen von Gleichungen verstehen, die wir erst von den Arabern gelernt haben.«
Aber Isabella war um keine Antwort verlegen. »Tamina hat mir schon das Rechnen mit dem arabischen Zählrahmen Abakus beigebracht.«
»Diese Tamina erstaunt mich immer wieder. Es würde sich gewiß lohnen, ihre Vergangenheit zu erforschen. Vielleicht ist sie sarazenischer Abstammung, von den Sarazenen haben wir nämlich den Zählrahmen übernommen.«
Isabella spürte, daß dieses Gespräch eine gefährliche Wendung nahm. Warum nur hatte sie Tamina überhaupt erwähnt? »An die Mathematik hatte ich eigentlich gar nicht gedacht, eher an die Astrologie, denn das geheimnisvolle Firmament hat mich schon immer fasziniert.«
Don Jimenez stützte seinen Kopf in beide Hände und starrte grüblerisch vor sich hin. »Wenn wir uns an den arabischen Autor Al Kindi halten, der die Astronomie auf eine streng wissenschaftliche Basis gestellt hat, werden wir keine Gefahr laufen, von den islamischen Glaubenshütern angeklagt zu werden. Ich möchte dich schließlich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Ist es denn verboten, die Sterne zu betrachten?«
»Nein, natürlich nicht. Aber die Grenze zwischen verbotenem Zauberglauben und wissenschaftlicher Beschäftigung mit den Sternen ist sehr schmal. Ich hatte im Sinn, die Secreta secretorum, nämlich Die Geheimnisse der Geheimnisse, zu übersetzen, doch das wurde nicht gerne gesehen. Denn in diesem Buch wird berichtet, der Philosoph Aristoteles habe einst Alexander dem Großen den Rat gegeben, er solle niemals einen Krieg beginnen, ja nicht einmal essen und trinken oder sich setzen und aufstehen, ohne einen Astrologen um Rat zu fragen. Das entspricht natürlich nicht den Lehren des Propheten.«
Isabella war zutiefst beeindruckt. Wie groß mußte die Macht der Sterne sein, wenn sich sogar Feldherren ihnen beugen mußten! Und weil sie den Eindruck gewonnen hatte, daß Don Jimenez bereit war, sie in Astrologie zu unterweisen, machte sie einen kleinen Freudensprung und umarmte stürmisch ihren Vater. »Wann werden wir anfangen?«
Don Jimenez de León schob seine Tochter sachte beiseite. »Heute abend werde ich dich auf die oberste Empore unseres Palacio mitnehmen. Dort habe ich ein Fernrohr aufgebaut, durch das sich die Sterne beobachten lassen. Ich habe so manche Nacht dort oben zugebracht.«
Die junge Frau starrte ihren Vater überrascht an. Sie wußte jetzt, daß sie ihren Vater bis zum Beginn der gemeinsamen Studien so gut wie gar nicht gekannt hatte. Zwar hatte sie ihn schon immer als Autorität geachtet, aber ihn in einer Ferne gesehen, die für sie nicht erreichbar war. Sie spürte das Verlangen, ein paar zärtliche Worte zu sagen. Aber Don Jimenez hatte sich schon wieder seinen Büchern zugewandt.
Isabella konnte es kaum erwarten, bis die Dunkelheit hereinbrach. Als der Muezzin zum Abendgebet rief, war es immer noch hell. Sie lockerte den Stein in der Mauer hinter ihrer Liegestatt und holte den Koran heraus.
»Es ist zulässig, bei Regen oder aus anderen Gründen das Gebet zu Hause zu verrichten«, hatte der Prophet eingeräumt und den Muezzin angewiesen, in kalten und regnerischen Nächten den Zusatz auszurufen: »Betet daheim!« Leider aber war heute nicht ein einziges Wölkchen zu sehen, das den Blick zum Himmel verdeckt hätte.
Und was die anderen Gründe betraf, so wußte Isabella ganz genau, daß hier keinerlei Veranlassung gegeben war, das Abendgebet zu versäumen. Denn sie kannte das ungeschriebene Gebot, daß ein Sohn seiner Mutter den Gehorsam verweigern solle, falls sie ihm verbiete, zum Nachtgebet in die Moschee zu gehen, weil sie sich um ihn sorge. Bei Vater und Tochter dürfte es sich wohl kaum anders verhalten.
Darum nahm sie sich vor, ihr Versäumnis durch besonders inbrünstige Gebete auszugleichen. Sie folgte den Riten, ohne sich die geringste Nachlässigkeit zu erlauben, um so den Wert des Gebetes zu erhöhen. Denn der Prophet hatte einmal gesagt, daß ein gemeinschaftliches Gebet den fünfundzwanzigfachen Wert eines allein verrichteten Gebetes betrage. So beschloß Isabella, 25 Gebete in der vorgeschriebenen Form zu sprechen. Diesmal verschwendete sie keinen einzigen Gedanken an den jungen Mozaraber und vergaß auch keine der Niederwerfungen. Dabei ließ sie ihre langen Haare wie einen Vorhang über ihr Gesicht fallen, um jede Störung von außen zu verbannen. Sie vergaß sogar ihre Angst, daß Alfonso sie bei ihrem verbotenen Tun überraschen könnte.
Daher bemerkte sie nicht, wie sich die Dämmerung allmählich über die Stadt breitete und der tagsüber so heitere Fluß eine dunkelgrüne Färbung annahm. Sie wurde erst von der Finsternis überrascht, als es ihr nicht mehr möglich war, die Buchstaben der Suren zu entziffern. Eilig brachte sie das Buch in sein Versteck zurück und trat ans Fenster.
Wie sehr liebte sie diese Abendstunde, wenn die Sterne langsam nacheinander am nachtblauen Himmel sichtbar wurden und auf dem Wasserspiegel des Tajo zu tanzen schienen. Heute betrachtete sie die Gestirne mit besonderer Aufmerksamkeit. Sie fürchtete sich ein wenig davor, daß diese Himmelskörper ihren Glanz verlieren könnten, wenn man ihnen allzu nahe rückte.
Zwar verspürte sie keinen Hunger, aber sie wußte, daß Don Jimenez es nicht gerne sah, wenn man den gemeinsamen Mahlzeiten fernblieb.
Alfonso betrachtete seine Schwester argwöhnisch. »Warum siehst du denn so erhitzt aus? Warst du gar in der Moschee und bist überstürzt nach Hause gelaufen, damit man deinen Ungehorsam nicht entdeckt?«
Isabella senkte den Kopf. In der Tat fühlte sie sich schuldig, weil sie über mehrere Stunden im Koran gelesen hatte. Sie zog es vor zu schweigen, aber Don Jimenez warf seinem Sohn einen warnenden Blick zu und wandte sich dann an seine Tochter. »Komm mit mir! Wir werden uns jetzt der Astronomie zuwenden.«
Alfonso konnte sich wieder einmal nicht beherrschen. Er sprang so heftig auf, daß sein Stuhl krachend zu Boden fiel. »Unsere Kirchenlehrer haben das Wahrsagen verboten, und wer ihnen zuwiderhandelt, hat eine strenge Strafe zu erwarten.«
Don Jimenez machte aus seiner Verachtung keinen Hehl. »Wenn du dich etwas mehr mit den Studien beschäftigt hättest, dann wüßtest du, daß es hier nicht um unchristliche Lehren oder gar zauberische Praktiken geht, sondern um wissenschaftliche Forschungen.«
Es war nicht zu übersehen, daß Alfonso gerne höhnisch gelacht hätte. Aber anscheinend wagte er es nicht. Isabella sah jedoch seinen haßerfüllten Augen an, daß er nicht zögern würde, sie bei den christlichen oder auch islamischen Glaubenshütern anzuzeigen, wenn er sie bei verbotenem Tun überraschen könnte. Aber sie fühlte sich in der Obhut ihres Vaters sicher und empfand auch keine Angst, als sie eine Botschaft zu verstehen glaubte, die Alfonso mit den Lippen formte. »Hüte dich, du scheinheilige Tochter des Propheten! Ich werde beweisen, daß du heimlich verbotenen Lehren anhängst.« So ähnlich mußte es wohl heißen.
Isabella wollte sich beim besten Willen nicht mit den Drohungen ihres Bruders befassen. Sie dachte nur noch an den bevorstehenden Blick in das unendliche All.
FolgenschwereAbenteuer
Isabella wartete voller Ungeduld, bis Don Jimenez das Fernrohr zu seiner Zufriedenheit eingerichtet hatte. Angespannt sah er auf das Himmelsgewölbe, das sich von der oberen Empore aus mit dem nachtdunklen Horizont zu vereinen schien. Noch niemals hatte Isabella so viele Sterne gesehen. Denn von ihrem Zimmer aus konnte sie stets nur einen kleinen Ausschnitt des Himmels überblicken. Bisher hatte es ihr immer sehr gefallen, wenn der Strahlenkranz der Himmelskörper von den Umrissen der Hauptmoschee begrenzt wurde. Die Moschee galt ihr als Mittelpunkt der Welt, und sie hatte immer geglaubt, daß Allah nur dort anwesend sein könne. Zum erstenmal kamen ihr ernste Zweifel. Sie hatte Allah in seiner Größe und Allmacht wohl unterschätzt. Allerdings glaubte sie sich zu erinnern, einmal in einer Sure gelesen zu haben, daß Gott am Tage der Auferstehung die Himmel zusammenfalten und in die rechte, die Erde dagegen in die linke Hand nehmen würde. Nun verstand sie, was damit gemeint war. Geradezu ehrfürchtig näherte sie ihre Augen dem Okular, als Don Jimenes ihr endlich einen Blick in die Sternenwelt erlaubte.
Stumm betrachtete sie das glitzernde und flimmernde Firmament. Selbst ihr Vater unterbrach diese fast feierliche Stimmung nicht.
Schließlich flüsterte Isabella: »Aber diese unendliche Sternenwelt muß doch irgendeine Bedeutung für uns Menschen haben. Ist denn dort oben nicht schon alles vorherbestimmt?«
Don Jimenez legte seinen Arm um ihre Schultern. »Die Beobachtung der Gestirne hat bei den Arabern schon immer eine bedeutende Rolle gespielt. Die Sterne wiesen nämlich den Nomaden ihren Weg. Die Wüstenbewohner verstanden es sogar, die Laufbahn der Gestirne zu berechnen, um so ihren Standort und die genaue Tageszeit zu ergründen. Man erzählt sich auch, daß sie aufgrund der Sternenkonstellation Vorsorge gegen drohende Unglücksfälle treffen konnten.«
»Dann haben die Sterne also doch Einfluß auf unser menschliches Leben!« Isabella lächelte triumphierend und wollte wieder vor das Fernrohr treten.
Aber Don Jimenez hielt sie zurück. »Bevor wir solcherlei Probleme erörtern, müßtest du dich zunächst noch mit einem wichtigen Buch befassen, das ich dir mitgebracht habe. Studiere es genau! Du wirst, wenn du fleißig bist, etwa drei Tage dafür benötigen. Danach treffen wir uns wieder hier oben und werden uns mit den philosophischen und religiösen Fragen der Astrologie beschäftigen.
»Aber darf ich denn nicht vorher noch einmal den Himmel betrachten?« Enttäuscht nahm Isabella das empfohlene Buch entgegen.
Don Jimenez wies energisch zur Treppe. »Betrachte den Sternenhimmel einstweilen von deinem Fenster aus! Auch so wirst du verstehen, was der berühmte arabische Astronom al-Battani meint.«
Nach diesem nächtlichen Erlebnis schlief Isabella sehr unruhig und wachte erst gegen Mittag auf Es war drückend heiß, und ihr erschien die Tageszeit für ein Studium nicht sehr geeignet. Erst gegen Abend konnte sie sich entschließen, das Buch aufzuschlagen. Gleich auf den ersten Seiten erklärte al-Battani, daß die Wissenschaft von den Sternen zu den Dingen gehöre, die jeder Mensch von den Gesetzen und Einrichtungen der Religion kennen müsse. Diese trockenen Erörterungen waren jedoch nicht das, was Isabella zu finden gehofft hatte. Sie wollte doch vor allem von dem geheimnisvollen Einfluß der Himmelskörper auf das Leben der Menschen erfahren. Gelangweilt klappte sie das Buch zu.
Als der Vater beim Abendmahl einige Fragen an sie richtete und feststellte, daß sie sich mit den wissenschaftlichen Problemen, die al-Battani behandelte, kaum beschäftigt hatte, umwölkte sich seine Stirn. Eine Einladung auf die Empore unterblieb.
Die Dunkelheit brach schnell herein. Isabella trat ans Fenster und wartete das Abendgebet ab. Sie hatte sich zu einem kühnen Unterfangen entschlossen, obwohl sie wußte, daß sie sich mit ihrem Vorhaben großen Gefahren aussetzen würde.
Alfonso trieb sich um diese Zeit für gewöhnlich mit anderen Raufbolden in den Straßen Toledos herum. Seine Abwesenheit wollte Isabella nutzen, um aus seiner Truhe einige abgelegte Kleidungsstücke herauszusuchen, die ihm zu klein geworden waren. Fast lautlos schlich sie über die steinernen Treppenstufen in das obere Stockwerk, wo die Gemächer ihres Bruders lagen. Immer wenn sie zwei der hohen Stufen überwunden hatte, blieb sie mit angehaltenem Atem stehen. Einmal glaubte sie, weit unten leise Schritte zu hören und eine schattenhafte Gestalt wahrzunehmen. Entsetzt sprang sie hinter ein Gestell, in dem alte Krüge aufbewahrt wurden, die verräterisch zu klirren begannen.
Beinahe wäre sie umgekehrt, aber sie war dem Ziel schon so nahe, daß sie sich bis zu der Truhe vorpirschte, in die Alfonso seine Kleidungsstücke in wirrem Durcheinander hineingeworfen hatte. Mit hastigen Bewegungen wühlte sie zwischen Hosen und Hemden und fand schließlich, wonach sie gesucht hatte.
Sie schlüpfte in die Beinkleider, die bei den Arabern Sirwal genannt wurden, wählte ein Hemd aus weißer Baumwolle und hüllte sich in die Burda, einen langen Mantel. Ihr lockiges Haar versteckte sie unter einem Turban, wie ihn die arabischen Jungen zu tragen pflegten. Bei ihrem Tun zitterte sie zwar am ganzen Körper aus Furcht vor einer plötzlichen Rückkehr ihres Bruders, aber sie war fest entschlossen, sich in dieser Verkleidung in die Gärten des Herrschers zu schleichen, um dort von einer Anhöhe aus den Sternenhimmel ungehindert betrachten zu können.
Sie hatte sich entschieden, Knabenkleidung zu tragen, weil sie von ihrem Fenster aus einmal miterlebt hatte, wie eine junge Frau, die um Mitternacht alleine in den Straßen umherlief, von den islamischen Ordnungshütern als Hure beschimpft und heftig geschlagen wurde. Die Frau hatte bei jedem Schlag laut geschrien und versucht, sich loszureißen. Man hatte sie schließlich an den Haaren gepackt und von dannen geschleift. Isabella hatte sogar aus Mitleid geweint, als Doña Juana ihr damals zur Abschreckung in allen Einzelheiten berichtete, dieses liederliche Weib sei ausgepeitscht und deportiert worden. In Erinnerung an dieses Vorkommnis befiel sie eine tiefe Angst, und sie war erneut nahe daran, ihren Plan fallenzulassen. Aber ihr Verlangen, den Sternenhimmel in all seiner Pracht sehen zu können, überwog schließlich.
In den Straßen der Stadt war es um diese Stunde sehr still, die Pforten der Moschee waren bereits geschlossen. Aber bis zum Palast al-Ma'mûns war es nicht mehr weit, wenn man erst einmal die Brücke über den Tajo hinter sich gelassen hatte.
Nahe einem baumbestandenen Weg, der stets in Ordnung gehalten wurde, weil der Herrscher ihn auf seinen zahlreichen Ausfahrten benutzte, erstreckten sich die Gärten, die in der Nacht einen schweren Blumenduft verströmten. Hohe Laubbäume spendeten Schatten und boten Schutz in der Dunkelheit. Dennoch verhielt Isabella plötzlich ihren Schritt und horchte auf das leise Lachen, das ganz in ihrer Nähe ertönte. Vorsichtig schlich sie näher. Unter einem Oleanderstrauch, dessen zahlreiche prächtige Blüten die Zweige tief nach unten drückten, erkannte sie an dem golddurchwirkten Gewand einen Jungen der Palastwache. Neben ihm lag ein Mädchen, das nur noch mit einem Hemd bekleidet war. Offenbar scherzten die beiden miteinander, denn das Mädchen gluckste hinter vorgehaltener Hand, und der Junge flüsterte zwei Worte, deren Sinn Isabella zunächst nicht verstand: »Reite mich!«
Erst als das Mädchen sich auf den Schenkeln des Jungen niedergelassen hatte und zu reiten begann, als wolle sie einen widerspenstigen Hengst zum Gehorsam zwingen, wußte sie, was gemeint war. Warum ließ sich der Junge, der doch viel kräftiger als seine Reiterin war, nur diese grobe Behandlung gefallen? Er forderte sogar eine immer schnellere Gangart.
Isabella konnte ihre Augen nicht von dem ihr ungewohnten Anblick wenden. Der Ritt erschien ihr endlos, bevor sich das Mädchen anscheinend erschöpft erst zu Boden fallen ließ, dann aber behende ihre Kleider zusammenraffte und offenbar zu fliehen versuchte. Dabei stellte sie sich äußerst ungeschickt an, so kam es Isabella zumindest vor. Leicht hätte ihr die Flucht gelingen können, aber der Junge war bei weitem schneller als sie. Er packte sie an den Füßen, zog sie zu sich heran, begrub sie unter sich und übte an der Unterworfenen seine Vergeltung, während das Mädchen unter ihm schluchzte und weinte. Isabella empfand diese Bestrafung als gerecht für die dem jungen Manne angetane Schmach, zum Reittier erniedrigt zu werden. Warum schrie sie nicht um Hilfe? Noch wagte Isabella nicht, ihr Versteck zu verlassen. Sie hörte ihren eigenen Herzschlag und wartete darauf, daß diese schreckliche Bestrafung ein Ende nehmen würde. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis der Junge sich endlich schwer atmend in das Gras fallen ließ. Das Mädchen lag still neben ihm und griff schließlich nach ihren Kleidungsstücken.
Vom Schloß her tönte ein Hornsignal. Der Junge erhob sich, trat auf das Mädchen zu, strich ihr über die Brüste und küßte sie. »Meine Wache beginnt. Ich muß dich verlassen, aber ich komme morgen zur gleichen Stunde wieder hierher!«
Sie wird sich hüten, dachte Isabella, aber zu ihrem Erstaunen lachte das Mädchen. »Wir werden wieder viel Vergnügen miteinander haben.«
Die beiden entfernten sich, aber Isabella blieb noch eine Weile liegen. Während der ganzen Szene hatte sie die Sterne völlig vergessen. Sie wartete noch, bis ihr Herz seinen normalen Rhythmus wiedergefunden hatte, und stieg langsam hügelaufwärts.
Oben hätte sie beinahe einen lauten Freudenschrei ausgestoßen, denn vor ihr breitete sich bis zum Horizont der Sternenhimmel aus. Sie ließ sich ins Gras fallen, legte den Kopf nach hinten und schaute lange auf die ferne glitzernde Pracht. Wie nichtig erschien ihr auf einmal das Pärchen unter dem Oleanderstrauch!
Eine Stunde war vergangen, als sie langsam schläfrig wurde. Aber sie mochte sich nicht von dem überwältigenden Anblick trennen. Denn auch der Mond war hinter den Hügeln zum Vorschein gekommen und überflutete die weiten Wiesenflächen mit seinem milden Licht. Die arabischen Wasserspiele im Garten des Herrschers schienen leuchtende Diamanten zu stäuben und wetteiferten durch ihr Glitzern und Glimmern mit den Sternen am Firmament.
Isabella war so in dieses wunderschöne Schauspiel vertieft, daß sie nicht bemerkte, wie sich lautlos auf bloßen Füßen eine kleine Gestalt heranschlich. Urplötzlich riß sie eine helle Stimme aus ihren Träumen. »Was treibst du denn hier? Zur Palastwache gehörst du jedenfalls nicht. Ich habe dich noch nie zuvor gesehen.«
Mit einem Sprung war Isabella auf den Beinen. Vor ihr stand einer der Jungen, die den Garten bewachten, und mit Schrecken erkannte sie denjenigen, der sich unter dem Oleanderbusch vergnügt hatte. Welch guter Einfall, die Knabenkleidung zu wählen, denn sie mochte sich gar nicht ausmalen, was der Bursche mit ihr anstellen würde, sobald er ihr Geschlecht erkannt hätte. Sie wollte flüchten, aber der kleine Bursche hielt ihre Burda so fest in seinen Fäusten, daß der linke Ärmel von oben bis unten zerriß und in Fetzen herabhing. Isabella wagte nicht, den Mantel abzustreifen und in den Händen des Jungen zu lassen. Zu leicht hätte man den Besitzer des Kleidungsstückes herausfinden können.
Der Junge spürte ihr Zögern und griff noch fester zu. »Du kommst sofort mit zur Palastwache! Dort wird man schon feststellen, ob du ein Dieb bist, der hier die Früchte stehlen will, die nur für die Tafel unseres Herrschers bestimmt sind.«
Die Angst vor der Entdeckung verlieh Isabella ungeahnte Kräfte. Sie war ein wenig größer als der Junge, der nicht mit einem Überraschungsangriff rechnete. Nach dem ersten Schlag geriet er zwar ins Straucheln, hielt den vermeintlichen Eindringling jedoch weiterhin am Mantel fest, fing sich sogleich wieder und schlug mit einem Knüppel zu. Isabella verspürte einen stechenden Schmerz im Schultergelenk, aber sie wußte, daß ihr die Flucht gelingen mußte, wenn sie nicht mit Schande und Spott im Kerker des Alcazar landen wollte. In höchster Verzweiflung riß sie sich los und jagte die Anhöhe hinab. Als ob eine ferne Macht ihr Hilfe senden wollte, schob sich just in diesem Augenblick eine große Wolke vor den Mond, so daß die Wiesen in völliger Dunkelheit lagen. Sie hörte noch das gewaltige Geschrei, mit dem der Junge die anderen Wächter herbeiholen wollte, aber die aufgeregten Stimmen verloren sich schon bald in der Ferne.
Im Schatten der Moschee blieb sie schließlich atemlos stehen und sah sich um, ob ihr jemand gefolgt sei. Als sie niemanden entdecken konnte, lief sie in langen Sprüngen dem Palacio zu, wo sie den Kücheneingang wie immer geöffnet vorfand. Ihre Erleichterung, das Zuhause unerkannt erreicht zu haben, schlug jedoch augenblicklich in Entsetzen um. Denn ihre Burda war in den Fäusten des Jungen zurückgeblieben.
Warum nur hatte sie sich auf ein solches Wagnis eingelassen? Sie sah im Geiste schon die findigen islamischen Wächter in den Palacio eindringen, um den vermeintlichen Dieb aufzuspüren und vor den Richter zu schleppen. Ihre Schulter schmerzte, und sie geriet in Panik.
Um ihre Tat abzubüßen und vor allem auch, um sich von den Schmerzen abzulenken, griff sie zu der Schrift des Astrologen al-Battani und versuchte, seine Gedankengänge zu verstehen.
Darüber mußte sie wohl eingeschlafen sein. Als sich das erste Licht der aufgehenden Sonne in ihrem Schlafgemach ausbreitete, erwachte sie aus unruhigen Träumen. Zwar kehrten sogleich Furcht und Panik zurück, aber sie fand in der festen Überzeugung Trost, daß die Gestirne ihr im Garten des Herrschers zur Flucht verholfen hatten. Die Rettung wäre doch umsonst gewesen, wenn sie ihr jetzt nicht weiterhelfen wollten.
Schlaftrunken entdeckte sie neben ihrer Liegestatt ein Kleiderbündel. Sie hob es vom Boden auf und konnte zunächst nicht glauben, was sie da gefunden hatte. Es war die Burda, die sie am Abend zuvor getragen hatte. Sogar der zerfetzte Ärmel war noch vorhanden.
Wer nur hatte diesen Mantel, den sie mit Sicherheit am Ort des Geschehens zurückgelassen hatte, in ihre Gemächer gebracht? War es ein Freund? Oder ein Feind?
Kurz erwog sie, ob sie vielleicht Tamina ins Vertrauen ziehen sollte. Aber seit der Erkenntnis, daß die Ama seit jeher vor ihr ein Geheimnis gehütet hatte, fühlte sich Isabella befangen. Sie mußte diese Burda so schnell wie möglich loswerden, aber sie verwarf einen Plan nach dem anderen. Es erschien ihr außerordentlich gefährlich, das Kleidungsstück zu nächtlicher Stunde in den Tajo zu werfen. Leicht könnte das Bündel angeschwemmt werden. Es war jedoch ebenso wenig ratsam, den Mantel in einer der vielen Ruinen zu verstecken, die ehemals von Westgoten bewohnt worden waren und nun langsam verfielen. Und wenn sie die Nachtstunde abwarten würde, damit sie die Sterne um einen rettenden Wink bitten konnte? In diesem Fall müßte sie das verräterische Kleidungsstück noch mehrere Stunden in ihrem Schlafgemach aufbewahren. Auch dieser Gedanke erwies sich kaum als rettender Ausweg.
Dann faßte sie einen Entschluß. Sie löste den Stein hinter ihrer Liegestatt, wo sie den Koran verborgen hatte, wickelte die Burda zu einem kleinen Bündel und stopfte sie, wenn auch ein wenig mühsam, zusammen mit dem Buch in die Mauernische.
Noch war der Ruf des Muezzin nicht erklungen. Im Palacio de León herrschte tiefe Stille. Isabella verließ ihr Zimmer und horchte angestrengt nach oben und nach unten. Kein Laut war zu hören. Mit fahrigen Bewegungen hüllte sie sich in einen langen schwarzen Umhang und bedeckte ihr Gesicht mit einer Maske, die nur die Augen freiließ. Eine derartig vollständige Verschleierung hatte sie, trotz Taminas inständiger Bitten, bisher stets abgelehnt. Denn sie kam sich in dieser Verhüllung, die ihren schlanken Körper und die zarten Gesichtszüge so vollständig verdeckte, unförmig und grobschlächtig vor. Dieser Eindruck konnte jedoch bei ihrem Vorhaben nur von Nutzen sein.
Auf der Brücke wurde sie noch von Gewissensbissen geplagt, aber als sie den Vorhof der Moschee erreicht und sich auf den steinernen Stufen des Brunnens niedergelassen hatte, kam ihr eine tröstliche Ausrede in den Sinn: Hatte sie etwa nicht ihrem Vater lediglich versprochen, das Innere der Moschee zu meiden, um dort mit den Muslimen zu beten? Von der Fontäne war keine Rede gewesen.
Sie öffnete den Mantel und ließ das kühlende Naß über ihren Körper laufen. Die Schmerzen im Schultergelenk ließen langsam nach, wenn sich auch auf dem Oberarm ein blaugrüner Bluterguß gebildet hatte. Das Wasser, das tief aus dem Boden kam und von unterirdischen Quellen gespeist wurde, ließ sie in dieser frühen Morgenstunde leicht frösteln. Sie spürte, wie Furcht und Panik von ihr abfielen und ihre Gedanken allmählich klarer wurden. Sie schrak nicht einmal zusammen, als sie schrille Frauenstimmen hörte. Sie schloß ihren Umhang und neigte das Gesicht tief über den Wasserspiegel, in dem sie sich selbst kaum wiedererkannte.
Die drei Frauen, die laut stöhnend und mit schlurfenden Schritten die Stufen zum Vorhof der Moschee heraufstiegen, kannte Isabella seit ihren Kindertagen. Ihr kam es so vor, als wären jene Frauen immer schon alt gewesen. Früher hatte sie geglaubt, die drei seien gar keine Menschen, sondern riesige Vögel, die sich irgendwann einmal mit ihren Umhängen wie auf schwarzen Schwingen in die Luft erheben würden. Im Laufe der Jahre waren sie zunehmend ertaubt und daher gezwungen, sich in gewaltiger Lautstärke zu verständigen.
Sie hatten sich noch nicht einmal auf den steinernen Stufen vor der Wasserstelle niedergelassen, als Isabella, ob sie nun wollte oder nicht, ihrer Unterhaltung folgen mußte.
»Die Menschen werden wirklich immer schlechter. Zu unserer Zeit hätte es niemand gewagt, in die Gärten des Herrschers einzudringen.« Die alte Frau nickte mit dem Kopf, der ohnehin in ständiger Bewegung war.
»Man sagt, Allah selbst hätte diese Apfel gesegnet. Der gemeine Dieb sei bis in alle Ewigkeit verflucht, da er sich an diesen heiligen Früchten vergreifen wollte!« Die zweite Frau schüttelte sogar drohend eine Faust.
Die dritte stierte zunächst nur bewegungslos vor sich hin. Ihre blutleeren Lippen hatte sie zu einem dünnen Strich zusammengepreßt. Doch dann öffnete sie plötzlich ihren zahnlosen Mund und stieß schrille Schreie aus, ehe sie geifernd einige Worte formen konnte. »Man wird den Dieb fangen, vor Gericht stellen und der gesetzlichen Strafe unterwerfen.«
Das jedenfalls glaubte Isabella aus den Wortfetzen entnommen zu haben. Sie begann zu zittern.
Es ekelte ihr vor den drei alten Frauen, aber stärker als der Abscheu war der Gedanke an den Vollzug der Strafe, die vom islamischen Gesetz für Diebstahl vorgeschrieben war: Man müßte ihr erbarmungslos eine Hand abschlagen. Denn niemand würde ihr Glauben schenken, daß sie es gar nicht auf die Früchte des Herrschers abgesehen hatte.
Erst jetzt kam ihr voll zu Bewußtsein, in welche Gefahr sie sich bei ihrem nächtlichen Abenteuer begeben hatte. Noch dazu hatte sie einen unbekannten Mitwisser. Sie sprang hoch und eilte so überstürzt die Treppen zum Tajo hinab, daß sie mehrmals strauchelte, einmal sogar ausglitt und mit dem linken Knie auf die scharfe Kante einer steinernen Stufe aufschlug. Nun schmerzte nicht nur die rechte Schulter, sondern auch noch das linke Knie.
Unentdeckt erreichte sie noch vor dem Ruf des Muezzin ihr Schlafgemach und warf sich auf die Liegestatt. Nur zu gerne hätte sie ihre Beherrschung aufgegeben und ihren Tränen freien Lauf gelassen, um die starre Verzweiflung durch einen Weinkrampf zu lösen. Aber obwohl ihre Augen brannten, fand sie keine Tränen.
Die Kunde von dem unerhörten Verbrechen war auch bis in den Palacio de León gedrungen. Ein Bote hatte Don Jimenez von dem nächtlichen Vorkommnis verständigt. Der Hausherr zeigte sich empört: »Natürlich befürworte ich nicht die Strafe, die das grausame islamische Gesetz vorschreibt, aber eine drastische Strafe hielte ich durchaus für angemessen.«
Auch Alfonso mußte einmal wieder seine Meinung zum besten geben. »Es ist doch wichtig, daß ein solches Urteil der Abschreckung dient. Außerdem unterstütze ich die islamische Gepflogenheit, den Vollzug der Strafe in aller Öffentlichkeit auf dem Hauptplatz von Tolaitola durchzuführen. Da ist doch endlich einmal wieder etwas Spannendes zu sehen.«
Isabella spürte, daß sie am ganzen Körper bebte. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe und preßte ihren Rücken gegen die hölzerne Stuhllehne, um sich Halt zu verschaffen.
Alfonso gab immer noch keine Ruhe und betrachtete seine Schwester schadenfroh. »Warum bist du nur so bleich? Auch du mußt dir unbedingt dieses Schauspiel ansehen. Ich werde dich mitnehmen und dich notfalls stützen, falls dir schlecht werden sollte.«
Doña Juana preßte nur ein »Schäm dich!« hervor, aber Don Jimenez verbot seinem Sohn mit einer energischen Handbewegung jede weitere Stellungnahme. »Bis jetzt hat man den Dieb ja noch gar nicht gefunden, obwohl ich nicht daran zweifele, daß die islamischen Gerichtsdiener den Verbrecher schon bald aufspüren werden. Der kleine Wächter soll den Eindringling im Mondlicht ziemlich deutlich gesehen haben.«